07.463 Parlamentarische Initiative Anwesenheit der Mitglieder des Bundesrates bei der Behandlung des Geschäftsberichts im Nationalrat Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 19. Oktober 2007

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen die Entwürfe zu einer Änderung des Parlamentsgesetzes und des Geschäftsreglements des Nationalrates. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, den beiliegenden Entwürfen zuzustimmen.

19. Oktober 2007

Im Namen der Kommission Der Präsident: Jean-Paul Glasson

2007-2940

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Gemäss dem Bundesgesetz über die Bundesversammlung vom 13. Dezember 2002 (Parlamentsgesetz, ParlG, SR 171.10) vertritt die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident den Geschäftsbericht des Bundesrates in den Räten (Art. 145 Abs. 1 ParlG). Diese Art der Behandlung des Geschäftsberichtes wurde seit dem Jahr 2000 mit der Behandlung des Geschäftsberichtes 1999 praktiziert. Zuvor mussten alle Bundesratsmitglieder in Randstunden der Session einzeln diejenigen Kapitel des Geschäftsberichts in den Räten vertreten, für die sie als Departementsvorsteher zuständig waren.

Durch die Abwesenheit von sechs Bundesratsmitgliedern hat das Geschäft seit dem Jahr 2000 in den Räten an Stellenwert verloren. Die Debatte wurde oberflächlich und folgt heute einem festen Zeremoniell. Dem präsidierenden Bundesratsmitglied werden in erster Linie dieselben Fragen gestellt, welche die Bundesratsmitglieder den Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) im Rahmen der Vorberatung bereits beantwortet haben. Präzisere Fragen zu Entwicklungen in den Departementen kann das präsiderende Bundesratsmitglied, das den Geschäftsbericht über das Amtsjahr seines Vorgängers vertritt, nicht beantworten. Die Ratsdebatte über die Geschäftsführung des Bundesrates stösst deshalb bei den Mitgliedern des Nationalrates auf geringes Interesse und erfolgt vor fast leeren Reihen. Dieser Bedeutungsverlust höhlt die Oberaufsicht des Nationalrates über die Geschäftsführung des Bundesrates aus.

Der unbefriedigende Ablauf der Debatten sorgte in beiden Räten für Unmut. Die GPK des National- und des Ständerates analysierten seit 2005 die Behandlung des Geschäftsberichtes in den Räten und diskutierten Massnahmen zur Aufwertung der Debatten. Dabei kristallisierten sich unterschiedliche Sichtweisen und Informationsbedürfnisse der beiden Kommissionen heraus: Die GPK des Ständerates (GPK-S) sprach sich dafür aus, am bestehenden System Retouchen anzubringen, ohne den Ablauf grundlegend zu verändern. Die GPK-S hielt zudem fest, dass das Geschäft nicht in beiden Räten gleich behandelt werden müsse. Die GPK des Nationalrates (GPK-N) hingegen beschloss am 18. November 2005 eine Veränderung des Ablaufs der Beratung des Geschäftes vorzuschlagen, damit sich in Zukunft der Gesamtbundesrat vor den Räten für seine Geschäftsführung verantworten muss.

Am 8. Februar 2006 fragten
die Geschäftsprüfungskommissionen den Bundesrat an, ob er freiwillig in corpore an den Beratungen seines Geschäftsberichtes in den Räten teilnehmen würde. Mit demselben Schreiben wurde dem Bundesrat mitgeteilt, dass die GPK-N im Falle einer abschlägigen Antwort das Ergreifen einer Kommissionsinitiative ins Auge fasse. In seiner Antwort vom 1. März 2006 verwies der Bundesrat darauf, dass er sich per Gesetz in den Räten durch die Bundespräsidentin oder den Bundespräsidenten vertreten lassen könne und dieses Recht auch weiterhin in Anspruch zu nehmen gedenke.

Nach Kenntnisnahme der ablehnenden Antwort des Bundesrates entschied die GPK-N am 25. August 2006 mit 17 zu einer Stimme bei einer Enthaltung eine Kommissionsinitiative zu ergreifen, die nicht die Anwesenheit des Bundesrates in corpore, sondern des jeweiligen Mitglieds, dessen Departementsgeschäfte gerade anhand des Geschäftsberichtes beraten werden, verlangt. Die GPK-S äusserte sich 1096

skeptisch zum Anliegen ihrer Schwesterkommission und sprach sich dafür aus, im Ständerat den Status quo beizubehalten. Das Parlamentsgesetz soll mit dieser Vorlage deshalb dahingehend geändert werden, dass das Anliegen der GPK-N umgesetzt werden kann, während der Ständerat beim bestehenden System bleibt. Am 29. Juni 2007 gab die GPK-S ihrer Schwesterkommission die Zustimmung zur Ausarbeitung einer Kommissionsinitiative mit dieser Stossrichtung.

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Grundzüge der Vorlage

Die seit dem Jahr 2000 praktizierte Vertretung des Geschäftsberichtes durch das präsidierende Bundesratsmitglied sollte zu einer Fokussierung der Ratsdebatten auf die politische Geschäftsführung durch den Gesamtbundesrat führen. Damit sollten strategische Fragen und das Prinzip der Kollegialität betont werden. Zuvor war in den Debatten in erster Linie die Geschäftsführung der einzelnen Departemente thematisiert worden.

Die Erfahrung von zwei Legislaturperioden hat jedoch gezeigt, dass der Nationalrat mit dem heutigen System seine in der Verfassung verankerte Oberaufsicht über die Geschäftsführung des Bundes (gem. Art. 169 Abs. 1 BV) nicht in einem zufriedenstellenden Masse ausüben kann. In der Debatte in der grossen Kammer bleiben zu viele Fragen unbeantwortet. Damit die Mitglieder des Nationalrats ihre Aufsichtsfunktion wahrnehmen können, bedürfen sie auch der Auskünfte von den Departementsvorstehern zu den Entwicklungen in ihren jeweiligen Geschäftsbereichen (vgl. Art. 187 Abs. 1 Bst. b BV).

Mit der vorgeschlagenen Änderung des Parlamentsgesetzes wird die rechtliche Möglichkeit geschaffen, dass die Räte unabhängig voneinander entscheiden können, wer den Geschäftsbericht des Bundesrates im Plenum vertritt. Für die Beratung des Geschäftsberichtes im Nationalrat wird eine Änderung des Geschäftsreglementes vorgeschlagen, wonach alle Bundesrätinnen und Bundesräte sowie die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler nacheinander an der Debatte im Rat teilnehmen und sich damit sowohl als Mitglied des Gesamtbundesrats wie auch für ihre Arbeit als Vorsteher eines Departements oder der Bundeskanzlei verantworten. Damit erhält die Kontrolle des Geschäftberichts in der grossen Kammer wiederum den Stellenwert, der ihr zusteht.

Der Fokus auf die politische und strategische Führung durch den Gesamtbundesrat nach dem Kollegialitätsprinzip bleibt erhalten, da die Bundesratsmitglieder sowie die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler an einem Tag befragt werden sollen.

Dies im Unterschied zum bis 1999 bestehenden System, wo das Geschäft in Randstunden der Session an verschiedenen Tagen beraten worden war. Mit Annahme dieser Vorlage ist die Behandlung des Geschäftsberichtes in Zukunft gemäss der bei allen anderen Geschäften angewandten Praxis in der Regel an einem Tag anzusetzen. Dies kann beispielsweise durch eine
Traktandierung als erstes Geschäft der Tagesordnung garantiert werden. Da das Geschäft die Anwesenheit aller Bundesratsmitglieder sowie der Bundeskanzlerin oder des Bundeskanzlers bedingt, ist abzuklären, ob der Geschäftsbericht beispielsweise am Tag der Fragestunde behandelt werden kann, damit sich die Departementsvorsteherinnen und Departementsvorsteher rechtzeitig nach diesem einen Datum richten können.

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Indem der Ständerat auf eine Änderung seines Reglementes verzichtet, gilt hier weiterhin, dass die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident den Geschäftsbericht im Rat vertritt.

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

3.1

Parlamentsgesetz (ParlG)

Artikel 145 Absatz 1 ParlG Mit der Gesetzesänderung wird ein Mindeststandard der Berichterstattung des Bundesrates zu seinem Geschäftsbericht in den Räten festgeschrieben. Gleichzeitig wird den unterschiedlichen Informationsbedürfnissen der beiden Räte Rechnung getragen, indem sie in ihren Reglementen eine vom Mindeststandard abweichende Behandlung des Geschäftes festlegen können (siehe Ziff. 2).

3.2

Geschäftsreglement des Nationalrates (GRN)

Damit der Nationalrat in Zukunft im Rat alle für die Beurteilung der Geschäftsführung des Bundesrats relevanten Auskünfte erhält, bedingt die obige Änderung des Parlamentsgesetzes auch eine Änderung des Geschäftsreglements des Nationalrates.

Artikel 33d Der neu zu schaffende Artikel sieht in Anlehnung an Artikel 159 Absatz 1 ParlG vor, dass die Mitglieder des Bundesrates sowie die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler in der Ratsdebatte bei der Behandlung derjenigen Teile des Geschäftsberichtes anwesend sind, die in den Geschäftsbereich ihres Departements oder der Bundeskanzlei gehören (siehe die Begründung sowie die Bemerkungen zum Ablauf der Behandlung des Geschäftes unter Ziff. 2).

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Auswirkungen auf den Bund

Die vorgeschlagenen Änderungen des ParlG und GRN haben keine unmittelbaren finanziellen oder personellen Auswirkungen.

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Rechtliche Grundlagen

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Artikel 187 Absatz 1 Buchstabe b BV bestimmt, dass der Bundesrat der Bundesversammlung regelmässig Bericht erstattet. Dies ermöglicht der Bundesversammlung ihre mit Artikel 169 Absatz 1 BV festgelegte Oberaufsicht über die Bundesgeschäfte auszuüben. Der Geschäftsbericht des Bundesrates ist gemäss der Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996 (BBl 1997 1) das primäre Instrument der Berichterstattungen. Wann der Bericht vorliegen muss und welche Punkte 1098

darin vom Bundesrat erläutert werden müssen, legt Artikel 144 Absatz 2 und 3 ParlG fest.

Das Parlamentsgesetz und dessen hier vorgeschlagene Änderung stützen sich auf Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe g BV, wonach die grundlegenden Bestimmungen über die Organisation und das Verfahren der Bundesbehörden in einem Bundesgesetz erlassen werden müssen.

Das Geschäftsreglement und dessen hier vorgeschlagene Änderung beruhen auf Artikel 36 ParlG, wonach jeder Rat ein Geschäftsreglement erlässt, das seine Organisation und sein Verfahren bestimmt.

5.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die vorgeschlagene Änderung von Artikel 145 Absatz 1 ParlG ermächtigt die Räte, in ihren Geschäftsreglementen, welche von ihrer Rechtsnatur her Verordnungen sind, eine vom gesetzlichen Grundsatz abweichende Behandlungsweise des Geschäftsberichtes des Bundesrates in ihrem Rat festzulegen.

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