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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die 40. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz und

Botschaft zum

Übereinkommen betreffend die Abschaffung der Zwangsarbeit (Vom 7. März 1958)

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren!

Wir erstatten Ihnen hiemit gemäss den Bestimmungen der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation Bericht über die 40. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz. Diesem Bericht fügen wir den Entwurf zu einem Bundesbeschluss betreffend das Internationale Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit bei.

I. Allgemeines, Verhandlungen und Beschlüsse der Konferenz 1. Die Tagesordnung der 40. Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom 5. bis 27. Juni 1957 in Genf stattfand, umfasste folgende Gegenstände : 1. Bericht des Generaldirektors; 2. Finanz- und Budgetfragen; 3. Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen ; 4. Zwangsarbeit (2.Beratung); 5. Wöchentliche Euhezeit im Handel und in Büros (2.Beratung); 6." Schutz und gesellschaftliche Eingliederung der eingeborenen Bevölkerung und anderer in Stammesverbänden oder stammesähnlichen Verbänden lebender Bevölkerungsgruppen (2.Beratung); 7. Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (1.Beratung); 8. Arbeitsbedingungen der Plantagenarbeiter (I.Beratung).

531 2. Die schweizerische Delegation setzte sich zusammen aus den Herren Dr. Max Holzer, Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit, und Dr. Arnold Saxer, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung, als Kegierungsvertreter, sowie Herrn Charles Kuntschen (Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberorganisationen) als Arbeitgebervertreter und Herrn Jean Möri (Schweizerischer Gewerkschaftsbund) als Arbeitnehmervertreter. Der Delegation waren wie bisher einige technische Berater beigegeben.

An der Konferenz, die von Herrn Harold Holt, dem Arbeitsminister von Australien, präsidiert wurde, waren 73 von den insgesamt 79 der Internationalen Arbeitsorganisation angeschlossenen Mitgliedstaaten vertreten.

3. Die drei ersten Traktanden der Tagesordnung, die jedes Jahr zur Erörterung stehen, geben zu folgenden Bemerkungen Anlass.

Der Bericht des Generaldirektors befasste sich neben dem Überblick über die Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation im abgelaufenen Jahr insbesondere mit den sozialen Auswirkungen der Automation und anderer technischer Neuerungen. An der Diskussion dieser Fragen beteiligten sich 160 Eedner, worunter die Arbeitsminister zahlreicher Staaten und der Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit als schweizerischer Eegierungsdelegierter.

Die Konferenz stimmte dem Budget der Internationalen Arbeitsorganisation für das Jahr 1958, das sich auf 7 972 901 $ gegenüber 7 617 708 $ für das Jahr 1957 beläuft, zu. Der Beitrag der Schweiz erfuhr neuerdings eine Ermässigung, indem er 1,47 Prozent der Gesamtausgaben gegenüber 1,49 Prozent im Jahr 1957 ausmacht. Er beläuft sich auf 110 742 $ gegenüber 105 372 $ für das Jahr 1957.

Die Internationale Arbeitsorganisation hatte sich auch an ihrer 40. Tagung mit verschiedenen Fällen zu befassen, in denen sich einzelne Staaten nicht an die von ihnen übernommenen Verpflichtungen hielten, die ihnen, namentlich auf Grund der von ihnen ratifizierten Übereinkommen, gemäss der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation obliegen. Da die Arbeitskonferenz über keine wirksamen Sanktionen verfügt, muss sich sich darauf beschränken, die betreffenden Staaten zu ermahnen und an die von ihnen übernommenen Verpflichtungen zu erinnern.

4. Die Traktanden 4-8 betrafen die Aufstellung von internationalen Normen in
Übereinkommen und Empfehlungen. Die Traktanden 4-6 bildeten Gegenstand einer ersten Beratung an der 39. Tagung und führten zu Beschlüssen der Konferenz. Auf die Traktanden 4 und 5 betreffend die Zwangsarbeit und die wöchentliche Euhezeit im Handel und in Büros kommen wir in Abschnitt II und III zurück, in denen die Frage der Eatifikation dieser Übereinkommen zu erörtern ist. An dem unter Traktandum 6 behandelten Übereinkommen (Nr. 107) betreffend den Schutz und die gesellschaftliche Eingliederung der eingeborenen Bevölkerung und anderer in Stammesverbänden oder stammesähnlichen Verbänden lebender Bevölkerungsgruppen und der entsprechenden Empfehlung (Text vgl. S. 548 ff. und 558 ff.) ist unser Land nicht interessiert, weshalb eine

532 Eatifikation ausser Betracht fällt. Das Übereinkommen wurde mit 179 gegen 8 Stimmen bei 45 Enthaltungen und die Empfehlung (Nr. 104) mit 177 Stimmen ohne Gegenstimme bei 53 Enthaltungen angenommen.

Die Traktanden 7 und 8 galten der ersten Beratung und wurden auf die Tagesordnung der diesjährigen Tagung der Internationalen Arbeitsorganisation gesetzt. · 5. Die Konferenz hat auch an ihrer 40. Tagung eine Eeihe von Eesolutionen angenommen, die verschiedene Gegenstände betreffen, wie den Schutz der Gewerkschaftsfreiheit, die Sicherheitsvorkehren in Bergwerken, die Verkürzung der Arbeitszeit, die Ausbildung der Arbeiter, die Frauenarbeit, den Wohnungsbau, die Abrüstung und die Verwendung der Atomenergie (vgl. auch Abschnitt II, 3).

6. Die Konferenz hatte den Verwaltungsrat der Internationalen Arbeitsorganisation zu erneuern, der jeweils auf drei Jahre bestellt wird und aus 20 Vertretern der Eegierungen und je 10 Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht. Die Schweiz wurde als beisitzendes Eegierungsmitglied, zu dem sie an der 34. Tagung vom Jahre 1951 gewählt wurde, wiedergewählt (über die Wahl des Verwaltungsrates vgl. BB11955, II, 1305).

II. Übereinkommen (Nr. 105) betreffend die Abschaffung der Zwangsarbeit

1. Wie wir schon in unserem Bericht über die 39. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz ausgeführt haben (BB1 1956, II, 904), beschäftigt sich bereits ein umfangreiches Übereinkommen (Nr. 29) vom Jahre 1930 mit der Frage der Zwangsarbeit. Jenes Übereinkommen betraf hauptsächlich die Arbeitsverhältnisse in den Kolonien. Die Schweiz hat jenes Abkommen aus humani.tären Gründen und um die Bestrebungen auf Abschaffung der Zwangsarbeit moralisch zu unterstützen, ratifiziert. Dem Abkommen war ein ziemlich grosser Erfolg beschieden; es ist bis heute von 48 Staaten ratifiziert worden. Es ist dies eine Zahl von Eatifikationen, die nur selten erreicht wird.

Das neue Übereinkommen (Text vgl. S. 538 ff.), das anlässlich der 40. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz mit 240 Stimmen ohne Gegenstimme bei einer Enthaltung angenommen wurde, bezieht sich auf ganz besondere Formen von Zwangsarbeit, die in neuester Zeit eine Eolle gespielt haben und über welche der Arbeitskonferenz ein weiterer, gut dokumentierter Bericht des Spezialkomitees des Internationalen Arbeitsamtes für die Untersuchung der bestehenden Formen der Zwangsarbeit unterbreitet worden war 1).

Das neue Übereinkommen ist sehr kurz gehalten und weist nur zwei materiell wesentliche Artikel (Art. l und 2) auf. Nach dem Übereinkommen verpflichten sich die ratifizierenden Staaten, die Zwangsarbeit als Mittel der politischen 1 ) Le Travail forcé. Supplément: Rapport du Comité du travail forcé institué par l'O.I.T., Genève 1957.

583 Erziehung oder als Strafe für die Äusserung bestimmter politischer Ansichten, die einem bestehenden politischen, wirtschaftlichen oder sozialen System widersprechen, nicht anzuwenden. Ferner soll die Zwangsarbeit ausser Betracht fallen als Mittel der Mobilisierung der Arbeitskraft für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, als Mittel der Arbeitsdisziplin, als Strafe für die Teilnahme an Streiken oder als Mittel rassischer, sozialer, nationaler oder religiöser Diskrimination.

Mit Kecht ist das Übereinkommen in die jetzige kurze und präzise Fassung gebracht und unabhängig vom Abkommen von 1930 ausgestaltet worden. Das neue Übereinkommen von 1957 betrifft Formen von Zwangsarbeit, die keineswegs mit jenen vermischt werden sollten, die Gegenstand des Abkommens von 1930 bilden.

2. Das vorliegende Abkommen ist sehr zu begrüssen; es ist erfreulich, festzustellen, dass es anlässlich der 40. Arbeitskonferenz mit allgemeiner Zustimmung beschlossen wurde. Hat die Schweiz schon das Übereinkommen von 1930 aus humanitären Gründen ratifiziert, obgleich, wie damals in unserem Bericht ausgeführt wurde, das Abkommen die Schweiz materiell nicht betrifft, so gelten heute hinsichtlich des Übereinkommens von 1957 ähnliche Überlegungen. Die Schweiz hat die Zwangsarbeit, wie sie durch dieses neue Abkommen getroffen werden soll, nie gekannt. Trotzdem sind wir der Auffassung, dass dasselbe ratifiziert werden sollte, um die Bestrebungen auf Abschaffung dieser neuen Formen von Zwangsarbeit moralisch zu unterstützen. Die schweizerische Delegation an der Arbeitskonferenz hat denn auch dem Abkommen aus den gleichen Gründen einhellig zugestimmt.

Wir möchten deshalb beantragen, es'sei das Abkommen von 1957 über die Zwangsarbeit durch die 'Schweiz zu ratifizieren. Es ist sehr erwünscht, dass eine möglichst grosse Zahl von Staaten diesem humanitär sehr wichtigen Abkommen beitritt.

3. Dem Abkommen sind drei Eesolutionen beigegeben, die die Abschaffung der Konzentrationslager, die Beseitigung bestimmter Lohnzahlungsmethoden und die Katifikation der Übereinkommen über die Sklaverei betreffen. Diese Eesolutionen geben zu keinen besonderen Bemerkungen Anlass.

m. Übereinkommen (Nr. 106) und Empfehlung (Nr. 103) betreffend die wöchentliche Buhezeit im Handel und in Büros 1. An ihrer 39. Tagung im Jahre 1956 hat die Internationale
Arbeitskonferenz beschlossen, die Frage der wöchentlichen Euhezeit im Handel und in Büros auf die Traktandenliste der 40. Tagung zu setzen, nachdem eine erste Beratung stattgefunden hatte. Das Übereinkommen (Text vgl. S. 541 ff.) ist an der 40. Tagung mit 176 gegen 27 Stimmen bei 31 Enthaltungen angenommen ·worden, und es kann schon jetzt damit gerechnet werden, dass eine stattliche Anzahl von Mitgliedstaaten das Übereinkommen ratifizieren wird.

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Das Übereinkommen, das im grossen und ganzen der Empfehlung Nr. 18 der Internationalen Arbeitskonferenz von 1921 entspricht, sieht in der wichtigsten in Artikel 6 enthaltenen Bestimmung vor, dass alle dem Übereinkommen unterstellten Personen Anspruch auf eine wöchentliche Euhezeit von 24 Stunden innert einer Woche haben. Die Euhezeit soll, soweit wie möglich, dem gesamten Personal desselben Betriebes gleichzeitig gewährt werden und, wenn möglich, mit dem landes- oder ortsüblichen wöchentlichen Ruhetag zusammenfallen. Gemäss Artikel 7 können für Betriebe, die aus wirtschaftlichen Gründen den vorgesehenen Euhetag nicht durchführen können, Ausnahmen zugelassen werden; ferner sind nach Artikel 8 zeitweilige Ausnahmen zulässig beim Vorliegen besonderer Umstände, wie Betriebsunfällen, aussergewöhnlichem Arbeitsanfall und ähnlichem. Die übrigen Bestimmungen des Übereinkommens regem insbesondere den Geltungsbereich (Art. 2-5), die Einwirkung des Übereinkommens auf die Eegelung der Löhne (Art. 9) sowie die Aufsicht durch die Mitgliedstaaten (Art. 10). Schliesslich sei noch Artikel 12 erwähnt, wonach durch die Einführung des Übereinkommens diejenigen Arbeitnehmer, die bisher günstigere Euhezeitbedingungen hatten, nicht schlechter gestellt werden dürfen.

2. Die im vorliegenden Übereinkommen aufgestellten Grundsätze entsprechen im wesentlichen unserer im Bundesgesetz vom 26. September 1981 enthaltenen Eegelung. Nach unsern Vorschriften fällt der öffentliche Euhetag im allgemeinen mit dem Sonntag zusammen, und die Sonntagsarbeit ist grundsätzlich verboten. Unter diesen Umständen wäre es sehr erwünscht, wenn das Übereinkommen von der Schweiz ratifiziert werden könnte. Bedauerlicherweise weicht jedoch das Übereinkommen in einzelnen Bestimmungen von den schweizerischen Vorschriften ab.- Diese Abweichungen betreffen die Betriebe mit Familienmitgliedern, das Büropersonal der gemeinnützigen Betriebe sowie die der oberen Betriebsführung angehörenden Personen.

In Artikel 5, Buchstabe a, nimmt das Übereinkommen lediglich Familienbetriebe im engeren Sinne des Wortes aus, d.h. solche Betriebe, die nur Familienmitglieder des Arbeitgebers beschäftigen, sofern diese nicht Lohnempfänger sind oder als solche gelten können. Demgegenüber ist die entsprechende Ausnahme in Artikel 2, Absatz 2, Buchstabe a, des Euhezeitgesetzes
weiter gefasst. Danach sind die Familienmitglieder der Betriebsinhaber ganz allgemein ausgenommen, also auch dann, wenn sie Lohnempfänger sind oder als solche gelten können, und überdies auch dann, wenn im Betriebe noch Dritte beschäftigt sind.

Das Übereinkommen ist auch auf das Büropersonal der gemeinnützigen Betriebe anwendbar. Eine Ausnahme für diese Kategorie von Personen ist nicht vorgesehen. Ausserdem ergibt sich eindeutig aus dem Protokoll der Kommissionsberatungen der Internationalen Arbeitskonferenz, dass das Büropersonal der gemeinnützigen Betriebe mit einbezogen werden soll. Dagegen fallen nach Artikel l, Absatz 2, des Euhezeitgesetzes die «Anstalten gemeinnützigen Charakters» nicht unter dieses Gesetz.

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Schliesslich stimmt das Übereinkommen mit dem Euhezeitgesetz hinsichtlich der Anwendbarkeit auf die der oberen Betriebsführung angehörenden Personen nicht in allen Teilen überein. Nach Artikel 5, Buchstabe b, des Übereinkommens ist dieses auf Personen nicht anwendbar, die eine gehobene Stellung in der Betriebsleitung bekleiden. Diese Umschreibung dürfte der Bestimmung von Artikel 2, Absatz 2, Buchstaben b und c, des Euhezeitgesetzes entsprechen, soweit dort die Betriebsleiter und die Personen, denen eine höhere Vertrauensstellung im Betriebe übertragen ist, ausgenommen werden. Die Ausnahmen des Euhezeitgesetzes in den angeführten Bestimmungen sind jedoch weiter gefasst, indem neben den Betriebsleitern auch noch die Mitglieder ihrer Familien sowie diejenigen Personen, denen eine auswärtige Vertretung des Betriebes übertragen ist, ausgenommen werden. In verschiedenen Fällen werden zwar diese Kategorien von Personen eine gehobene Stellung in der Betriebsleitung bekleiden.

Doch dürfte dies nicht durchwegs zutreffen, weshalb die Ausnahmebestimmungen des Euhezeitgesetzes weiter gehen als diejenigen des Übereinkommens.

Die angeführten Abweichungen sind von eher untergeordneter Bedeutung.

Da jedoch sowohl der Wortlaut des Übereinkommens wie auch derjenige des Euhezeitgesetzes keine andere Auslegung zulassen, muss auf die Eatifikation des Übereinkommens zurzeit verzichtet werden. Angesichts der geringfügigen Abweichungen würde es sich nicht rechtfertigen, das Euhezeitgesetz abzuändern, um das Übereinkommen hierauf ratifizieren zu können. Doch soll die wöchentliche Euhezeit im kommenden allgemeinen Arbeitsgesetz so geordnet werden, dass eine völlige Übereinstimmung mit dem Übereinkommen der Internationalen Arbeitskonferenz erzielt wird.

3. Die Empfehlung betreffend die wöchentliche Euhezeit im Handel und in Büros (Text vgl. S. 546 ff.), die das Übereinkommen ergänzt, wurde mit 188 Stimmen ohne Gegenstimme und bei 46 Enthaltungen von der Konferenz angenommen. Diese Empfehlung sieht insbesondere vor, dass den Arbeitnehmern nicht nur eine Euhezeit von 24, sondern von 36 Stunden in der Woche gewährt werden soll. Ferner werden namentlich Bestimmungen für Jugendliche empfohlen". Die in der Empfehlung enthaltenen Segeln sind in unserem Land weitgehend verwirklicht. Was im besondern, die Jugendlichen anbelangt,
so gehen die heutigen Bestrebungen dahin, die Euhezeit noch weiter auszudehnen. Besondere Massnahmen der zuständigen Behörden sind zurzeit nicht erforderlich.

Doch ist bei der Eegelung der Euhezeit im kommenden allgemeinen Arbeitsgesetz auch auf die Empfehlung der Internationalen Arbeitskonferenz gebührend Bedacht zu nehmen.

Wir empfehlen Ihnen, von den vorstehenden Ausführungen in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen und uns gemäss dem beigefügten Entwurf zu einem Bundesbeschluss zur Eatifikation des Internationalen Übereinkommens über die Abschaffung der Zwangsarbeit zu ermächtigen.

536 Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den T.März 1958.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Holenstein Der Bundeskanzler: Ch. Oser

Beilagen: 1. Entwurf zu einem Bundesbesohluss betreffend das Internationale Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit.

2. Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit (105).

3. a. Übereinkommen betreffend die wöchentliche Ruhezeit im Handel und in Büros (106); 6. Empfehlung betreffend die wöchentliche Ruhezeit im Handel und in Büros (103).

4. a. Übereinkommen betreffend den Schutz und die gesellschaftliche Eingliederung der eingeborenen Bevölkerung und anderer in Stammesverbänden oder starrimesähmichen Verbänden lebender Bevölkerungsgruppen (107).

b. Empfehlung betreffend den Schutz und die gesellschaftliche Eingliederung der eingeborenen Bevölkerung und anderer in Stammesverbänden oder stammesähnlichen Verbanden lebender Bevölkerungsgruppen (104).

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Bundesbeschluss betreffend

das internationale Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestütz auf Art. 8, Ziffer 5 der Bundesverfassung; nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 7. März 1958, beschliesst: Einziger Artikel Das von der Internationalen Arbeitskonferenz an ihrer vierzigsten Tagung beschlossene Übereinkommen (Nr. 105) über die Abschaffung der Zwangsarbeit wird genehmigt. Der Bundesrat wird ermächtigt, es zu ratifizieren.

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538 Beilage l

Wortlaut der von der Internationalen Arbeitskonferenz an ihrer 40. Tagung, 1957, angenommenen Übereinkommen und Empfehlungen Die nachstehend abgedruckten deutschen Texte bilden die in Übereinstimmung mit Artikel 42 der Geschäftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz angefertigten offiziellen Übersetzungen der französischen und englischen Urtexte.

Übereinkommen (Nr, 105) über die Abschaffung der Zwangsarbeit Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 5. Juni 1957 zu ihrer vierzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat die Frage der Zwangsarbeit geprüft, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, hat die Bestimmungen des Übereinkommens über Zwangsarbeit, 1930, zur Kenntnis genommen, hat zur Kenntnis genommen, dass das Übereinkommen über die Sklaverei, 1926, bestimmt, dass zweckmässige Massnahmen ergriffen werden sollen, um zu verhüten, dass die Pflicht- oder Zwangsarbeit der Sklaverei ähnliche Zustände herbeiführt, und dass das Zusätzliche Übereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Gepflogenheiten, 1956, die völlige Abschaffung der Schuldknechtsehaft und der Leibeigenschaft vorsieht, hat zur Kenntnis genommen, dass das Übereinkommen über den Lohnschutz, 1949, bestimmt, dass der Lohn in regelmässigen Zeitabschnitten bezahlt werden muss, und Lohnzahlungsmethoden untersagt, die dem Arbeitnehmer in Wirklichkeit die Möglichkeit nehmen, sein Arbeitsverhältnis zu beenden, hat beschlossen, verschiedene weitere Anträge anzunehmen betreffend die Abschaffung gewisser Formen der Zwangs- oder Pflichtarbeit, durch die eine Verletzung der Menschenrechte gegeben ist, auf die in der Charta der Vereinten Nationen hingewiesen wird und die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verkündet werden, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 25. Juni 1957, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit, 1957, bezeichnet wird.

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Artikel l Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, die Zwangs- oder Pflichtarbeit zu beseitigen und in keiner Form zu verwenden a. als Mittel politischen Zwanges oder politischer Erziehung oder als Strafe gegenüber Personen, die gewisse politische Ansichten haben oder äussern oder die ihre ideologische Gegnerschaft gegen die bestehende politische, soziale oder wirtschaftliche Ordnung bekunden ; b. als Methode der Eekrutierung und Verwendung von Arbeitskräften für Zwecke der wirtschaftlichen Entwicklung; c. als Massnahme der Arbeitsdisziplin ; d. als Strafe für die Teilnahme an Streiks; e. als Massnahme rassischer, sozialer, nationaler oder religiöser Diskriminierung.

Artikel 2 Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, wirksame Massnahmen zur sofortigen und vollständigen Abschaffung der in Artikel l dieses Übereinkommens bezeichneten Zwangs- oder Pflichtarbeit zu ergreifen.

Artikel 3 Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 4 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Eatifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate, nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Eatifikation in Kraft.

Artikel 5 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

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2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden.

In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 6 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Eatifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Eatifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt. ' Artikel 7 Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Eatifikationen und Kündigungen.

Artikel 8 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, so oft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 9 .

1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen: a. Die Eatifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Eüeksicht auf Artikel 5, vorausgesetzt,'dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b. Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

541 2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 10 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

Beilage 2a Übereinkommen (Nr. 106) über die wöchentliche Ruhezeit im Handel und in Büros Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 5. Juni 1957 zu ihrer vierzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die wöchentliche Euhezeit im Handel und in Büros, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 26. Juni 1957, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen nber die wöchentliche Euhezeit (Handel und Büros), 1957, bezeichnet wird.

Artikel l Die Bestimmungen dieses Übereinkommens sind im Wege der innerstaatlichen Gesetzgebung durchzuführen, soweit dies nicht durch amtliche Verfahren zur Lohnfestsetzung, Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche oder auf eine andere landesübliche, den Verhältnissen des betreffenden Landes entsprechende Weise geschieht.

Artikel 2 Das Übereinkommen gilt für alle Personen, einschliesslich der Lehrlinge, die in den nachstehend aufgezählten öffentlichen oder privaten Betrieben, Einrichtungen und Verwaltungen beschäftigt sind : a. Handelsbetriebe; b. Betriebe, Einrichtungen und Verwaltungen, in denen Büroarbeit überwiegt, einschliesslich Büros von Personen, die in freien Berufen tätig sind; c. soweit die in Betracht kommenden Personen nicht in Betrieben beschäftigt sind, die unter Artikel 8 fallen, und nicht innerstaatlichen Vorschriften oder anderen Eegelungen betreffend die wöchentliche Euhezeit im Gewerbe, im Bergbau, im Transportwesen oder in der Landwirtschaft unterliegen : i) Handelsabteilungen aller anderen Betriebe ; Bundesblatt. 110. Jahrg. Bd. I.

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542 ii) diejenigen Abteilungen aller anderen Betriebe, in denen Büroarbeit überwiegt ; iii) Betriebe, die sowohl Handels- als auch gewerbliche Betriebe sind.

Artikel 3 1. Dieses Übereinkommen gilt auch für das Personal derjenigen der nachstehend angeführten Betriebe, die von den Mitgliedern, die das Übereinkommen ratifizieren, in einer der Eatifikation beigefügten Erklärung bezeichnet werden : a. Betriebe, Einrichtungen und Verwaltungen, die Dienstleistungen persönlicher Natur erbringen ; fe. Post- und Fernmeldewesen; c. Pressebetriebe; d. Theater und öffentliche Vergnügungsbetriebe.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann in der Folge dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes eine Erklärung übermitteln, wonach es die Verpflichtungen des Übereinkommens in bezug auf weitere im vorstehenden Absatz genannte Betriebe übernimmt, die es nicht bereits in einer früheren Erklärung bezeichnet hat.

3. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat in den nach Artikel 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation zu erstattenden Jahresberichten mitzuteilen, inwieweit es die Bestimmungen des Übereinkommens auf diejenigen der in Absatz l dieses Artikels genannten Betriebe angewendet hat oder anzuwenden beabsichtigt, die es nicht in einer nach Absatz l oder 2 abgegebenen Erklärung bezeichnet hat, und welche Fortschritte hinsichtlich der schrittweisen Anwendung des Übereinkommens auf diese Betriebe erzielt worden sind.

Artikel 4 1. Erforderlichenfalls ist durch zweckdienliche Massnahmen die Grenze zwischen den Betrieben, auf die dieses Übereinkommen Anwendung findet, und den anderen Betrieben zu bestimmen.

2. In allen Fällen, in denen Unklarheit darüber besteht, ob die Bestimmungen dieses Übereinkommens auf einen gegebenen Betrieb, eine Einrichtung oder Verwaltung Anwendung finden, ist die Frage entweder von der zuständigen Stelle nach Anhörung der in Betracht kommenden massgebenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, soweit solche bestehen, oder auf irgendeine andere Weise zu entscheiden, die mit der Gesetzgebung und Praxis des betreffenden Landes im Einklang steht.

Artikel 5 Die zuständige oder eine sonstige geeignete Stelle jedes Landes kann vom Geltungsbereich dieses Übereinkommens ausschliessen : a. Betriebe, die nur Familienangehörige des
Arbeitgebers beschäftigen, sofern diese nicht Lohnempfänger sind oder als solche gelten können; b. Personen, die eine gehobene Stellung in der Betriebsleitung bekleiden.

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Artikel 6 1. Alle Personen, auf die dieses Übereinkommen Anwendung findet, haben, vorbehaltlich der in den folgenden Artikeln vorgesehenen Ausnahmen, Anspruch auf eine wöchentliche Kuhezeit von mindestens 24 aufeinanderfolgenden Stunden innerhalb einer Zeitspanne von jeweils sieben Tagen.

2. Die wöchentliche Buhezeit ist nach Möglichkeit allen in Betracht kommenden Personen desselben Betriebes gleichzeitig zu gewähren.

3. Die wöchentliche Euhezeit hat nach Möglichkeit mit dem landes- oder ortsüblichen wöchentlichen Buhetag zusammenzufallen.

4. Die Überlieferungen und Bräuche religiöser Minderheiten sind nach Möglichkeit zu achten.

Artikel 7 1. Schh'essen die Art der Arbeit, die Art der vom Betrieb erbrachten Dienstleistungen, die zahlenmässige Bedeutung des Bevölkerungskreises, dem diese Dienstleistungen zugute kommen, oder die Anzahl der beschäftigten Personen die Anwendung des Artikels 6 aus, so kann die zuständige oder eine sonstige geeignete Stelle jedes Landes Massnahmen treffen, um erforderlichenfalls für ausdrücklich bezeichnete Gruppen von Personen oder Betrieben, für die dieses Übereinkommen gilt, unter Berücksichtigung aller erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Umstände Sonderregelungen anzuwenden.

2. Die Personen, für die diese Sonderregelungen gelten, haben für eine Zeitspanne von jeweils sieben Tagen Anspruch auf eine Buhezeit von mindestens ebenso langer Gesamtdauer wie die in Artikel 6 vorgesehene Buhezeit.

3. Die Bestimmungen des Artikels 6 finden jedoch auf Personen Anwendung, die in Zweigstellen von Betrieben mit Sonderregelung beschäftigt sind, wenn diese Zweigstellen als selbständige Betriebe den Bestimmungen des Artikels 6 unterworfen wären.

4. Alle Massnahmen im Zusammenhang mit der Anwendung der in Absatz l, 2 und 3 dieses Artikels enthaltenen Bestimmungen sind in Beratung mit den in Betracht kommenden massgebenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, soweit solche bestehen, zu treffen.

Artikel 8 1. Zeitweilige Ausnahmen von allen oder einigen der in Artikel 6 und 7 vorgesehenen Bestimmungen (einschliesslich der Aufhebung oder Verkürzung der Buhezeit) können in jedem Lande von der zuständigen Stelle oder auf eine von ihr genehmigte Weise, die mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis im Einklang steht, zugelassen werden a. bei Unfällen oder Unfallgefahr
und in Fällen höherer Gewalt oder bei dringenden Arbeiten an Betriebsanlagen, jedoch nur soweit dies zur Vermeidung ernstlicher Störungen der normalen Betriebstätigkeit erf orderlich ist ;

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b. bei aussergewöhnlichem, durch besondere Umstände verursachtem Arbeitsanfall, soweit dem Arbeitgeber andere Massnahmen üblicherweise nicht zugemutet werden können; c. um den Verlust leicht verderblicher Güter zu verhindern.

2. Bei der Bestimmung der Umstände, unter denen nach Unterabsatz b und c des vorstehenden Absatzes zeitweilige Ausnahmen zugelassen werden können, sind die in Betracht kommenden massgebenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, soweit solche bestehen, anzuhören.

3. Sind zeitweilige Ausnahmen nach den Bestimmungen dieses Artikels zugelassen worden, so ist den davon betroffenen Personen eine Ersatzruhezeit zu gewähren, deren Gesamtdauer nicht geringer sein darf als die in Artikel 6 vorgesehene Euhezeit.

Artikel 9 Soweit die Eegelung der Löhne durch die Gesetzgebung oder unter der Aufsicht der Verwaltungsbehörden erfolgt, darf die Durchführung der auf Grund dieses Übereinkommens getroffeneri Massnahmen nicht zu einer Kürzung des Einkommens der Arbeitnehmer führen, auf die das Übereinkommen Anwendung findet.

Artikel 10 1. Für die ordentliche Durchführung der Vorschriften oder Bestimmungen über die wöchentliche Euhezeit durch angemessene Aufsicht oder durch sonstige Mittel sind geeignete Massnahmen zu treffen.

2. Sofern die Art der Durchführung dieses Übereinkommens es gestattet, ist die wirksame Anwendung seiner Bestimmungen durch entsprechende Zwangsmassnahmen zu gewährleisten.

Artikel!!

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat seinen Jahresberichten, die es nach Artikel 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation zu erstatten hat, folgendes beizufügen : a. Listen der Gruppen von Personen und Betrieben, für die in bezug auf die wöchentliche Euhezeit Sonderregelungen nach Artikel 7 gelten ; b. Auskünfte über die Umstände, unter denen nach Artikel 8 zeitweilige Ausnahmen zugelassen werden können.

Artikel 12 Soweit nach Gesetz, Eechtsspruch, Gewohnheitsrecht oder Vertrag günstigere Bedingungen für die beteiligten Arbeitnehmer gelten, als in diesem Übereinkommen vorgesehen sind, werden diese durch die Bestimmungen dieses Übereinkommens nicht berührt.

545 Artikel 13 Im Falle eines Krieges oder ausserordentlicher Umstände, die eine Bedrohung der Landessicherheit darstellen, können die Bestimmungen dieses Übereinkommens von der Regierung des betreffenden Landes ausser Kraft gesetzt werden.

Artikel 14 Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 15 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate, nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

8. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

Artikel 16 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 17 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

546 Artikel 18 Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Eatifikationen und Kündigungen.

Artikel 19 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, so oft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 20 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen : a. Die Eatifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Eücksicht auf Artikel 16, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

fe. Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 21 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

Beilage 2b

Empfehlung (Nr. 103) betreffend die wöchentliche Runezeit im Handel und in Büros Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 5. Juni 1957 zu ihrer vierzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die wöchentliche Buhezeit im Handel und in Büros, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und

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dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung zur Ergänzung des Übereinkommens über die wöchentliche Ruhezeit (Handel und Büros), 1957, erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 26. Juni 1957, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die wöchentliche Euhezeit (Handel und Büros), 1957, bezeichnet wird.

Die Konferenz geht davon aus, dass das Übereinkommen über die wöchentliche Euhezeit (Handel und Büros), 1957, Bestimmungen über die wöchentliche Euhezeit in Handelsbetrieben und in Büros enthält, und dass es wünschenswert ist, diese Bestimmungen zu ergänzen.

Die Konferenz empfiehlt, die folgenden Bestimmungen anzuwenden: 1. Personen, für die das Übereinkommen über die wöchentliche Euhezeit (Handel und Büros), 1957, gilt, sollten nach Möglichkeit Anspruch auf eine wöchentliche Euhezeit von mindestens 36 Stunden haben, die, soweit durchführbar, ohne Unterbrechung aufeinanderfolgen.

2. Die in Artikel. 6 des Übereinkommens über die wöchentliche Euhezeit (Handel und Büros), 1957, vorgesehene wöchentliche Euhezeit sollte nach Möglichkeit derart festgesetzt werden, dass sie die Zeitspanne von Mitternacht bis Mitternacht umfasst und keine andere unmittelbar vorausgehende oder folgende Euhezeit einschliesst.

3. Die in Artikel 7 des Übereinkommens über die wöchentliche Euhezeit (Handel und Büros), 1957, vorgesehenen Sonderregelungen der wöchentlichen Euhezeit sollten so gestaltet werden, dass a. Personen, für die solche Sonderregelungen gelten, nicht länger als drei Wochen hindurch arbeiten, ohne dass ihnen die Euhezeit gewährt wird, auf die sie Anspruch haben ; b. Euhezeiten stets mindestens 12 aufeinanderfolgende Stunden umfassen, wenn Euhezeiten von 24 aufeinanderfolgenden Stunden nicht gewährt werden können.

4. (1) Jugendlichen unter 18 Jahren sollte nach Möglichkeit eine ununterbrochene wöchentliche Euhezeit von zwei Tagen gewährt werden.

(2) Die Bestimmungen von Artikel 8 des Übereinkommens über die wöchentliche Euhezeit (Handel und Büros), 1957, sollten auf Jugendliche unter 18 Jahren keine Anwendung finden.

5. In allen Betrieben, in denen die wöchentliche Euhezeit für bestimmte Mitglieder des Personals von der landesüblichen Praxis abweicht, sollten den betreffenden Personen die Tage und Stunden der wöchentlichen Euhezeit durch Anschläge an gut sichtbarer
Stelle im Betrieb oder an einem anderen geeigneten Ort oder auf irgendeine andere Weise, die der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis entspricht, bekanntgemacht werden.

6. Es sollten geeignete Massnahmen getroffen werden, um zu gewährleisten, dass für die genaue Durchführung der Euhezeitregelungen die notwendigen Aufzeichnungen geführt werden, insbesondere über Regelungen betreffend

548 a. Personen, für die eine Sonderregelung der wöchentlichen Euhezeit nach Artikel 7 des Übereinkommens über die wöchentliche Euhezeit (Handel und Büros), 1957, gilt; fe. Personen, für welche die in Artikel 8 des Übereinkommens über die wöchentliche Euhezeit (Handel und Büros), 1957, vorgesehenen zeitweiligen Ausnahmen gelten.

7. Ist Artikel 9 des Übereinkommens über die wöchentliche Euhezeit (Handel und Büros), 1957, nicht anwendbar, weil die Eegelung der Löhne weder durch die Gesetzgebung noch unter Aufsicht der Verwaltungsbehörden erfolgt; so sollten durch Gesamtarbeitsverträge oder auf irgendeine andere Weise Massnahmen getroffen werden, um zu verhindern, dass die gemäss dem Übereinkommen getroffenen Massnahmen zu einer Kürzung des Einkommens von Personen führen, für die das Übereinkommen gilt.

Beilage 3a

Übereinkommen (Nr. 107) über den Schutz und die Eingliederung eingeborener Bevölkerungsgruppen und anderer in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 5. Juni 1957 zu ihrer vierzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Schutz und die Eingliederung eingeborener Bevölkerungsgruppen und anderer in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern, eine Frage, die den sechsten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz geht davon aus, dass die Erklärung von Philadelphia das Eecht aller Menschen bestätigt, materiellen Wohlstand und geistige Entwicklung ,,in Freiheit und Würde, in wirtschaftlicher Sicherheit und unter gleich günstigen Bedingungen zu erstreben, dass in verschiedenen unabhängigen Ländern eingeborene und andere in Stämmen lebende und stammesähnliche Bevölkerungsgruppen bestehen, die noch nicht in die nationale Gemeinschaft eingegliedert sind und deren soziale, wirtschaftliche oder kulturelle Lage sie daran hindert, in den vollen Genuss der den anderen Bevölkerungsgruppen zugute kommenden Eechte und Vorteile zu gelangen, dass es sowohl aus Gründen der Menschlichkeit als auch im Interesse der beteiligten Länder wünschenswert ist, die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Bevölkerungsgruppen ständig zu verbessern, indem gleichzeitig alles zur Beseitigung der Umstände unternommen wird, die diese Bevölkerungsgruppen

549 bisher daran gehindert haben, am Fortschritt ihrer nationalen Gemeinschaft in vollem Masse teilzuhaben, und dass die Annahme allgemeiner internationaler Normen auf diesem Gebiete die Durchführung der erforderlichen Schutzmassnahmen für die genannten Bevölkerungsgruppen, ihre schrittweise Eingliederung in die nationale Gemeinschaft und die Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen erleichtern werde.

Die Konferenz hat zur Kenntnis genommen, dass diese Normen in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, der Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft, der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur und der Weltgesundheitsorganisation auf entsprechender Ebene und innerhalb ihres Tätigkeitsbereiches ausgearbeitet wurden und dass beabsichtigt ist, sich die dauernde Mitarbeit dieser Organisationen an den Massnahmen zu sichern, welche die Durchführung . dieser Normen fördern und gewährleisten sollen.

Die Konferenz nimmt deshalb heute, am 26. Juni 1957, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen, 1957, bezeichnet wird.

Teil I. Allgemeine Grundsätze Artikel l 1. Dieses Übereinkommen gilt für a. Angehörige in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern, deren soziale und wirtschaftliche Verhältnisse einer weniger fortgeschrittenen Stufe entsprechen als die von den übrigen Teilen der nationalen Gemeinschaft erreichte und deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Gebräuche oder Überlieferungen oder durch Sonderrecht geregelt ist ; b. Angehörige in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern, die als Eingeborene gelten, weil sie von Bevölkerungsgruppen abstammen, die in dem Lande oder in einem geographischen Gebiet, zu dem das Land gehört, zur Zeit der Eroberung oder Kolonisierung ansässig waren und die, unbeschadet ihrer Rechtsstellung, mehr in Übereinstimmung mit den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Einrichtungen jener Zeit leben als mit den Einrichtungen des Staates, dem sie angehören.

2. Im Sinne dieses Übereinkommens umfasst der Ausdruck «stammesähnlich» diejenigen Gruppen und Personen, die zwar im Begriffe sind, ihren Stammescharakter zu verlieren, die aber noch
nicht in die nationale Gemeinschaft eingegliedert sind.

3. Die in Absatz l und 2 dieses Artikels erwähnten eingeborenen und anderen in Stämmen lebenden oder stammesähnlichen Bevölkerungsgruppen werden in den folgenden Artikeln als «die genannten Bevölkerungsgruppen» bezeichnet.

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Artikel 2 1. Die Aufgabe, koordinierte und planvolle Massnahmen zum Schütze der genannten Bevölkerungsgruppen und zu ihrer schrittweisen Eingliederung in die nationale Gemeinschaft auszuarbeiten, fällt in erster Linie den Eegierungen zu.

· 2. Im Eahmen dieser Aufgabe sind Massnahmen vorzusehen, deren Zweck es ist, a. diesen Bevölkerungsgruppen zu gestatten, von den Eechten und Möglichkeiten, welche die innerstaatliche Gesetzgebung den übrigen Teilen der Bevölkerung gewährt, gleichberechtigt Gebrauch zu machen ; b. die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung dieser Bevölkerungsgruppen zu fördern und ihren Lebensstandard zu heben; c. Möglichkeiten für die Eingliederung in die nationale Gemeinschaft zu schaffen, unter Ausschluss von Massnahmen, die auf eine künstliche Assimilierung dieser Bevölkerungsgruppen abzielen.

3. Hauptziel dieser Massnahmen soll es sein, der menschlichen Würde des einzelnen grössere Geltung zu verschaffen sowie seine Nützlichkeit für die nationale Gemeinschaft und seinen persönlichen Unternehmungsgeist zu fördern.

4. Die Anwendung von Gewalt oder Zwang zur Eingliederung der genannten Bevölkerungsgruppen in die nationale Gemeinschaft ist unzulässig.

Artikel 3 1. Solange die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Lage der genannten Bevölkerungsgruppen sie daran hindert, in den Genuss der in den allgemeinen Gesetzen ihres Landes niedergelegten Eechte zu gelangen, sind besondere Massnahmen zum Schütze der Einrichtungen, der Einzelpersonen, des Eigentums und der Arbeit dieser Bevölkerungsgruppen zu treffen.

2. Es ist dafür zu sorgen, dass diese besonderen Schutzmassnahmen a. nicht dazu dienen, einen Zustand der Absonderung zu schaffen oder aufrecht zu erhalten; b. nur solange in Kraft bleiben, als ein Bedürfnis nach besonderem Schutz besteht, und nur in dem Masse, in dem dieser Schutz sich als notwendig erweist.

3. Diese besonderen Schutzmassnahmen dürfen die Ausübung der allgemeinen Staatsbürgerrechte, die durch keinerlei unterschiedliche Behandlung geschmälert werden darf, in keiner Weise beeinträchtigen.

Artikel 4 Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens, die sich auf die Eingliederung der genannten Bevölkerungsgruppen beziehen, ist a. den kulturellen und religiösen Werten und den überlieferten sozialen Verhaltensmassregeln dieser Bevölkerungsgruppen sowie der Natur der Pro-

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blême, denen sie sich als Gruppen und als Einzelpersonen während der Umgestaltung der sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen ihres Lebens gegenübergestellt sehen, gebührend Eechnung zu tragen ; b. der Gefahr Beachtung zu schenken, die für diese Bevölkerungsgruppen in einem Bruch mit ihrer überlieferten Wertordnung und ihren Einrichtungen liegen kann, wenn diese nicht auf angemessene Weise und mit Zustimmung der beteiligten Gruppen ersetzt werden ; c. auf die Milderung der Schwierigkeiten hinzuarbeiten, denen diese Bevölkerungsgruppen bei der Anpassung an die neuen Lebens- und Arbeitsbedingungen begegnen.

Artikel 5 · Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens, die sich auf den Schutz und die Eingliederung der genannten Bevölkerungsgruppen beziehen, haben die Kegierungen a. zu versuchen, die Mitwirkung dieser Bevölkerungsgruppen und ihrer Vertreter zu gewinnen; b. diesen Bevölkerungsgruppen Gelegenheit zu geben, ihren Unternehmungsgeist voll zu entfalten; c. die Entwicklung der bürgerlichen Freiheiten und die Schaffung auf dem Wahlprinzip begründeter Einrichtungen bei den genannten Bevölkerungsgruppen und deren aktive Teilnahme an solchen Einrichtungen mit allen Mitteln anzuregen.

Artikel 6 Der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie des Bildungsstandes der genannten Bevölkerungsgruppen ist in den allgemeinen Plänen für die wirtschaftliche Erschliessung der von ihnen bewohnten Gebiete eine Vorrangstellung einzuräumen. Auch die besonderen Wirtschaftspläne für diese Gebiete sind so zu gestalten, dass sie die Erreichung dieses Zieles begünstigen.

Artikel 7 1. Bei der Festlegung der Eechte und Pflichten der genannten Bevölkerungsgruppen ist deren Gewohnheitsrecht zu berücksichtigen.

2. Diesen Bevölkerungsgruppen ist die Bewahrung ihrer Bräuche und Einrichtungen zu gestatten, soweit sie weder mit der innerstaatlichen Kechtsordnung noch mit den Zielen der Eingliederungspläne unvereinbar sind.

8. Durch die Anwendung der in den vorstehenden Absätzen dieses Artikels enthaltenen Bestimmungen dürfen Angehörige dieser Bevölkerungsgruppen nicht daran gehindert werden, nach Massgabe ihrer persönlichen Fähigkeiten die allen Bürgern zuerkannten Rechte auszuüben und die entsprechenden Pflichten zu übernehmen.

552 Artikel 8 In dem Masse, in dem dies mit den Interessen der nationalen Gemeinschaft und mit der innerstaatlichen Rechtsordnung vereinbar erscheint, sind a. die den genannten Bevölkerungsgruppen eigentümlichen sozialen Verhaltensregeln nach Möglichkeit bei der Ahndung der von Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppen begangenen strafbaren Handlungen anzuwenden ; b. in Fällen, in denen die Anwendung dieser sozialen Verhaltensregeln nicht möglich ist, die strafrechtlichen Bräuche dieser Gruppen von den zuständigen Behörden und Gerichten in Betracht zu ziehen.

Artikel 9 Mit Ausnahme der vom Gesetz für alle Staatsbürger vorgesehenen Fälle ist es unter Strafandrohung zu verbieten, dass Angehörige der genannten Bevölkerungsgruppen zwangsweise in irgendeiner Form zu persönlichen Dienstleistungen, gleichviel, ob entgeltlicher oder unentgeltlicher Art, verpflichtet werden.

Artikel 10 1. Angehörige der genannten Bevölkerungsgruppen sind insbesondere gegen den Missbrauch der Untersuchungshaft zu schützen; ferner sind ihnen Rechtsmittel einzuräumen, die ihnen einen wirksamen Schutz gegen jede Verletzung ihrer Grundrechte gewähren.

2. Werden Strafen, die in der allgemeinen Gesetzgebung vorgesehen sind, gegen Angehörige der genannten Bevölkerungsgruppen verhängt, so ist die von diesen Bevölkerungsgruppen erreichte Kulturstufe zu berücksichtigen.

8. Sozialen Wiederanpassungsmethoden ist der Vorzug gegenüber dem Freiheitsentzug zu geben.

Teil II. Grund und Boden Artikel 11 Die Eigentumsrechte der Angehörigen der genannten Bevölkerungsgruppen an dem von ihnen von alters her besiedelten Land sind anzuerkennen, gleichviel, ob es sich um kollektive oder individuelle Rechte handelt.^ Artikel~12 1. Die genannten Bevölkerungsgruppen dürfen nicht ohne"ihre freiwillige Zustimmung aus den Gebieten, in denen sie ansässig sind, ausgesiedelt werden, es sei denn, dass dies im Einklang mit den Landesgesetzen aus Gründen der Landessicherheit, im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes oder der Gesundheit dieser Bevölkerungsgruppen geschieht.

2. Erweist sich in solchen Fällen eine Aussiedlung ausnahmsweise als unumgänglich, so ist den Betroffenen als Ersatz für ihren früheren Landbesitz

553 Grund und Boden von mindestens gleich guter Beschaffenheit zuzuweisen, dessen Ertrag ihre Bedürfnisse deckt und ihre künftige Entwicklung sicherstellt.

Bestehen andere Beschäftigungsmöglichkeiten und zieht die beteiligte Bevölkerung eine Entschädigung in Gestalt von Geld- oder Sachleistungen vor, so ist ihnen eine solche Entschädigung unter Gewährung angemessener Garantien zuzusprechen.

8. Den auf diese Weise Ausgesiedelten ist für jeden ihnen durch die Aussiedlung entstehenden Verlust oder Schaden voller Ersatz zu leisten.

Artikel 13 1. Die auf dem Gewohnheitsrecht der genannten Bevölkerungsgruppen beruhenden Verfahren der Übertragung von Grundeigentums- und Bodennutzungsrechten sind im Eahmen der innerstaatlichen Gesetzgebung in Geltung zu belassen, soweit sie den Bedürfnissen dieser Gruppen entsprechen und ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung nicht aufhalten.

2. Es sind Massnahmen zu treffen, um zu verhüten, dass Personen, die nicht den genannten Bevölkerungsgruppen angehören, diese Gewohnheitsrechte oder die Gesetzesunkenntnis von Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppen ausnützen, um Eigentums- oder Nutzungsrechte an deren Grund und Boden zu erwerben.

Artikel 14 In staatlichen Agrarprogrammen ist den genannten Bevölkerungsgruppen eine gleich günstige Behandlung wie den übrigen Teilen der nationalen Gemeinschaft zu sichern in bezug auf a. Landzuweisungen, wenn die diesen Gruppen zur Verfügung stehenden Bodenflächen zur Gewährleistung einer normalen Lebensführung oder im Hinblick auf ihren künftigen Bevölkerungszuwachs nicht ausreichen; b. die Gewährung der erforderlichen Mittel zur Hebung der Ertragsfähigkeit des bereits in ihrem Besitz befindlichen Bodens.

Teil III. Anwerbung und Beschäftigungsbedingungen Artikel 15 1. Jedes Mitglied hat im Eahmen der innerstaatlichen Gesetzgebung besondere Massnahmen zu treffen, um einen wirksamen Schutz der Arbeitnehmer, die den genannten Bevölkerungsgruppen angehören, in bezug auf deren Anwerbung und Beschäftigungsbedingungen zu gewährleisten, solange sie nicht den gesetzlichen Schutz in Anspruch nehmen können, der den Arbeitnehmern im allgemeinen gewährt wird.

2. Jedes Mitglied hat alles zu unternehmen, was in seiner Macht steht, um jede unterschiedliche Behandlung der den genannten Bevölkerungsgruppen angehörenden Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern zu verhindern, insbesondere in bezug auf

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a. die Zulassung zur Beschäftigung einschliesslich der Facharbeifc; b. gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit; c. ärztliche und soziale Betreuung, Verhütung und Entschädigung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Arbeitshygiene und Unterbringung; d. das Vereinigungsrecht und die freie Ausübung jeder nicht gegen die Gesetze verstossenden Gewerkschaftstätigkeit sowie das Eecht zum Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen mit Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden.

Teil IV. Beruf'sausbildung, Handwerk und ländliche Gewerbe Artikel 16 Personen, die den genannten Bevölkerungsgruppen angehören, sind die gleichen Berufsausbildungsmöglichkeiten zu bieten wie den übrigen Staatsbürgern.

Artikel 17 1. Soweit die allgemeinen Berufsausbildungsprogramme den besonderen Bedürfnissen.der den genannten Bevölkerungsgruppen angehörenden Personen nicht gerecht werden, haben die Eegierungen besondere Ausbildungsmöglichkeiten für diese Personen zu schaffen.

2. Diese besonderen Ausbildungsmöglichkeiten haben sich auf eine genaue Untersuchung über die wirtschaftlichen Umweltfaktoren, die kulturelle Entwicklungsstufe und die tatsächlichen Bedürfnisse der verschiedenen Berufskategorien dieser Bevölkerungsgruppen zu stützen; sie haben den in Betracht kommenden Personen insbesondere die Ausbildung in solchen Berufen zu ermöglichen, für die diese Bevölkerungsgruppen herkömmlicherweise eine besondere Eignung bewiesen haben.

3. Diese besonderen Ausbildungsmöglichkeiten sind nur so lange zu gewähren, als die kulturelle Entwicklungsstufe der genannten Bevölkerungsgruppen dies erforderlich macht; bei fortschreitender Eingliederung sind sie durch die den anderen Staatsbürgern offenstehenden Ausbildungsmöglichkeiten zu ersetzen.

Artikel 18 1. Handwerk und ländliche Gewerbe sind als Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung der genannten Bevölkerungsgruppen in der Weise zu fördern, dass diese Bevölkerungsgruppen dadurch in die Lage versetzt werden, einen höheren Lebensstandard zu erreichen und sich den modernen Produktions- und Absatzmethoden anzupassen.

2. Handwerk und ländliche Gewerbe sind in der Weise zu entwickeln, dass das kulturelle Erbe dieser Bevölkerungsgr.uppen erhalten bleibt und die ihnen eigentümlichen künstlerischen Werte und kulturellen Ausdrucksformen verbessert werden.

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Teil V. Soziale Sicherheit und Gesundheitswesen Artikel 19 Die bestehenden Systeme der .sozialen Sicherheit sind schrittweise soweit wie möglich auszudehnen auf a. die Lohnempfänger, die den genannten Bevölkerungsgruppen angehören; b. die anderen Angehörigen der genannten Bevölkerungsgruppen.

Artikel 20 1. Die Eegierungen haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass den gena.nnt.an Bevölkerungsgruppen zweckentsprechende Gesundheitsdienste zur Verfügung stehen.

2. Die Einrichtungen dieser Gesundheitsdienste hat sich auf eine systematische Untersuchung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse der genannten Bevölkerungsgruppen zu stützen.

3. Der Ausbau dieser Dienste ist mit der Durchführung allgemeiner Massnahmen zur Förderung des sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritts zu verbinden.

Teil VI. Bildungswesen und Informationsmiüel Artikel 21 Es sind Massnahmen zu treffen, damit den Angehörigen der genannten Bevölkerungsgruppen die gleichen Bildungsmöglichkeiten aller Stufen zu Gebote stehen wie der übrigen Bevölkerung des Landes.

Artikel 22 1. Bildungsprogramme für die genannten Bevölkerungsgruppen sind hinsichtlich der dabei zur Anwendung gelangenden Methoden der von diesen Bevölkerungsgruppen erreichten Stufe der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Eingliederung in die nationale Gemeinschaft anzupassen.

2. Der Ausarbeitung dieser Programme haben in der Eegel ethnologische Untersuchungen voranzugehen.

Artikel 23 1. Der Unterricht im Lesen und Schreiben für Kinder, die den genannten Bevölkerungsgruppen angehören, hat in deren Muttersprache zu erfolgen oder, wo sich dies als undurchführbar erweist, in der von der Bevölkerungsgruppe, der sie angehören, am meisten verwendeten Sprache.

2. Es ist für einen allmählichen Übergang von der Mutter- oder Stammessprache zur Landessprache oder zu einer der amtlichen Landessprachen zu sorgen.

.556 3. Soweit wie möglich sind geeignete Massnahmen zum Schütze der Muttersprache oder der Stammessprache zu treffen.

Artikel 24 Der Grundschulunterricht hat darauf abzuzielen, den Kindern, die den genannten Bevölkerungsgruppen angehören, allgemeine Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, die ihnen die Eingliederung in die nationale Gemeinschaft erleichtern.

Artikel 25 Unter der übrigen Bevölkerung, insbesondere dort, wo die unmittelbarste Berührung mit den genannten Bevölkerungsgruppen besteht, sind erzieherische Massnahmen zu treffen, um etwa bestehende Vorurteile gegen diese Bevölke- rungsgruppen zu beseitigen.

Artikel 26 1. Die Kegierungen haben unter Berücksichtigung der sozialen und kulturellen Eigentümlichkeiten der genannten Bevölkerungsgruppen geeignete Massnahmen zu treffen, um diese Bevölkerungsgruppen über ihre Eechte und Pflichten, insbesondere auf dem Gebiet der Arbeit und der sozialen Einrichtungen, aufzuklären.

2. Erforderlichenfalls hat dies durch schriftliche Übersetzungen und durch Mittel der Masseninformation in den Sprachen dieser Bevölkerungsgruppen zu geschehen.

Teil VII. Verwaltung Artikel 27 1. Die Behörde, welche für die in diesem Übereinkommen behandelten Angelegenheiten verantwortlich ist, hat zur Durchführung der in Frage kommenden Programme Verwaltungsstellen zu schaffen oder auszubauen.

2. Diese Programme sollen umfassen: o. die Planung, Koordinierung und Durchführung geeigneter Massnahmen für die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der genannten Bevölkerungsgruppen ; b. die Unterbreitung von Vorschlägen betreffend gesetzgeberische und andere Massnahmen an die zuständigen Stellen; c. die Überwachung der Durchführung dieser Massnahmen.

Teil VIII. Allgemeine Bestimmungen Artikel 28 Art und Umfang der in diesem Übereinkommen vorgesehenen Massnahmen sind in elastischer Weise zu gestalten, wobei auf die jedem Lande eigentümlichen Verhältnisse Rücksicht zu nehmen ist.

557 Artikel 29 Durch die Anwendung der in diesem Übereinkommen enthaltenen Bestimmungen dürfen die Vorteile, die den genannten Bevölkerungsgruppen auf Grund anderer Übereinkommen oder Empfehlungen zugesichert sind, keine Beeinträchtigung erfahren.

Artikel 30 Die förmlichen Eatifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 31 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Eatifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Eatifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Eatifikation in Kraft.

Artikel 32 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraums von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden.

In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraums von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 33 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Eatifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Eatifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

Bundesblatt. 110. Jahrg. Bd. I.

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Artikel 34 Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Eatifikationen und Kündigungen.

Artikel 35 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, so oft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 36 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen : a. Die ^Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich, ohne Eücksicht auf Artikel 32, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

fc. Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 37 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

Beilage 3b Empfehlung (Nr. 104) betreffend den Schutz und die Eingliederung eingeborener Bevölkerungsgruppen und anderer in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 5. Juni 1957 zu ihrer vierzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Schutz und die Eingliederung eingeborener Bevölkerungsgruppen und anderer in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern, eine Frage, die den sechsten Gegenstand ihrer Tages-

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Ordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung zur Ergänzung des Übereinkommens über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen, 1957, erhalten sollen.

Die Konferenz hat zur Kenntnis genommen, dass die nachstehenden Normen in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, der Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft, der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur und der Weltgesundheitsorganisation auf entsprechender Ebene und innerhalb ihres Tätigkeitsbereiches ausgearbeitet wurden und dass beabsichtigt ist, sich die dauernde Mitarbeit dieser Organisationen an den Massnahmen zu sichern, welche die Durchführung dieser Normen fördern und gewährleisten sollen.

Die Konferenz nimmt deshalb heute, am 26. Juni 1957, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen, 1957, bezeichnet wird.

Die Konferenz empfiehlt den Mitgliedern, die folgenden Bestimmungen anzuwenden : I. Einleitende Bestimmungen 1. (1) Diese Empfehlung findet Anwendung auf a. Angehörige in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern, deren soziale und wirtschaftliche Verhältnisse einer weniger fortgeschrittenen Stufe entsprechen als die von den übrigen Teilen der nationalen Gemeinschaft erreichte und deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Gebräuche oder Überlieferungen oder durch Sonderrecht geregelt ist; b. Angehörige in Stämmen lebender oder stammesähnlicher Bevölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern, die als Eingeborene gelten, weil sie von Bevölkerungsgruppen abstammen, die in dem Land oder in einem geographischen Gebiet, zu dem das Land gehört, zur Zeit der Eroberung oder Kolonisierung ansässig waren und die, unbeschadet ihrer Rechtsstellung, mehr in Übereinstimmung mit den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Einrichtungen jener Zeit leben als mit den Einrichtungen des Staates, dem sie angehören.

(2) Im Sinne dieser Empfehlung umfasst der Ausdruck «stammesähnlich» diejenigen Gruppen und Personen, die zwar im Begriffe sind, ihren Stammescharakter zu verlieren, die aber noch nicht in die nationale Gemeinschaft eingegliedert sind.

(3) Die in Unterabsatz (1) und (2) diese Absatzes erwähnten eingeborenen und anderen in Stämmen lebenden oderstammesähnlichenBevölkerungsgruppen werden im folgenden als «die genannten Bevölkerungsgruppen» bezeichnet.

560 II. Grund und Boden 2. Im Wege der Gesetzgebung oder der Verwaltung sollten Massnahmen für eine Eegelung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse getroffen werden, unter denen die genannten Bevölkerungsgruppen ihren Grund und Boden nutzen.

3. (1) Den genannten Bevölkerungsgruppen sollte bis zur Einführung besserer Anbaumethoden eine den Erfordernissen der Halbnomadenwirtschaft entsprechende Landreserve gewährleistet werden.

(2) Bis zur Erreichung der Ziele einer auf die Sesshaftmachung von halbnomadischen Bevölkerungsgruppen gerichteten Politik sollten Zonen bestimmt werden, in denen die Herden dieser Gruppen unbehindert weiden können.

4. Angehörige der genannten Bevölkerungsgruppen sollten hinsichtlich des Eigentums an Bodenschätzen oder der Prioritätsrechte auf Ausbeutung derselben die gleiche Behandlung gemessen wie die anderen Angehörigen der Landesbevölkerung.

5. (1) Die unmittelbare oder mittelbare Verpachtung von Grund und Boden, der sich im Besitz von Angehörigen der genannten Bevölkerungsgruppen befindet, zugunsten natürlicher oder juristischer Personen, die nicht diesen Gruppen angehören, sollte, ausser in gesetzlich festgelegten" Ausnahmefällen, beschränkt werden.

(2) In Fällen, in denen eine solche Verpachtung zugelassen ist, sollten die erforderlichen Massnahmen getroffen werden, um dem Eigentümer einen angemessenen Pachtzins zu sichern. Der Pachtzins für Grund und Boden, der gemeinsames Eigentum einer Gruppe ist, sollte auf Grund zweckentsprechender Eechtsvorschriften zugunsten der Gruppe verwendet werden.

6. Die hypothekarische Belastung von Grund und Boden, der Eigentum von Angehörigen der genannten Bevölkerungsgruppen ist, zugunsten einer natürlichen oder juristischen Person, die nicht diesen Bevölkerungsgruppen angehört, sollte beschränkt werden.

7. Es sollten geeignete Massnahmen zur Entschuldung der den genannten Bevölkerungsgruppen angehörenden Landwirte getroffen werden. Ferner sollten genossenschaftliche Kreditsysteme geschaffen und diesen Landwirten niedrig verzinsliche Darlehen, technische Hilfe und, wo dies angebracht erscheint, finanzielle Unterstützung gewährt werden, um ihnen die volle Nutzung ihres Grund und Bodens zu ermöglichen.

8. Falls dies zweckdienlich erscheint, sollten die modernen genossenschaftlichen Produktions-, Güterversorgungs- und
Absatzmethoden den überlieferten Formen des gemeinsamen Eigentums an Grund und Boden, der gemeinschaftlichen Nutzung von Boden und Geräten sowie den überlieferten Formen der gemeinschaftlichen Dienstleistung und der gegenseitigen Hilfe dieser Bevölkerungsgruppen angepasst werden.

561 III. Anwerbung und Beschäftigungsbedingungen 9. Solange die genannten Bevölkerungsgruppen nicht in der Lage sind, den der Gesamtheit der Arbeitnehmer gewährten gesetzlichen Schutz in Anspruch zu nehmen, sollte die Anwerbung von Arbeitnehmern, die diesen Bevölkerungsgruppen angehören, geregelt werden, insbesondere durch a. Schaffung eines Bewilligungssystems für private Anwerber und Überwachung ihrer Tätigkeit; b. Schutzmassnahmen gegen schädliche Einflüsse der Anwerbung von Arbeitnehmern auf deren Familien- und Gemeinschaftsleben, einschliesslich Massnahmen, durch welche i) die Anwerbung während bestimmter Zeiten und in bestimmten Gebieten untersagt wird ; ii) den Arbeitnehmern die Aufrechterhaltung ihrer Beziehungen zu den Gemeinschaften ihrer Herkunft sowie die Teilnahme an den wichtigen Stammeshandlungen ermöglicht wird ; iii) den Angehörigen angeworbener Arbeitnehmer Schutz gewährt wird; c. die Festsetzung eines Mindestalters für die Anwerbung sowie besonderer Bedingungen für die Anwerbung von jugendlichen Arbeitnehmern; d. die Aufstellung von Gesundheitserfordernissen, denen die Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Anwerbung entsprechen müssen; e. die Aufstellung von Normen für die Beförderung der angeworbenen Arbeitnehmer; /. die Gewährleistung, dass der Arbeitnehmer i) die Beschäftigungsbedingungen den in seiner Muttersprache gegebenen Erläuterungen zufolge richtig versteht und ii) die Beschäftigungsbedingungen freiwillig und in voller Kenntnis der Sachlage annimmt.

10. Solange die genannten Bevölkerungsgruppen nicht in der Lage sind, den der Gesamtheit der Arbeitnehmer gewährten gesetzlichen Schutz in Anspruch zu nehmen, sollten der Arbeitslohn und die persönliche Freiheit der Arbeitnehmer, die diesen Bevölkerungsgruppen angehören, geschützt werden, indem insbesondere bestimmt wird, dass a. Löhne normalerweise nur in gesetzlicher Währung ausgezahlt worden dürfen; b. Lohnzahlungen in Form von Alkohol oder anderen geistigen Getränken oder Kauschgiften untersagt werden; c. Lohnzahlungen in Schenken oder Läden, ausser an die dort beschäftigten Arbeitnehmer, untersagt werden; d. Höchstbeträge für Lohnvorschüsse und die Form ihrer Bückzahlung sowie das Ausmass, in dem Lohnabzüge vorgenommen werden dürfen, und die Voraussetzungen, unter denen sie zulässig sind, festgesetzt werden;

562 e. für Aufsicht über die zur Versorgung der Arbeitnehmer eingerichteten Betriebsläden und ähnliche mit den Unternehmen verbundene Einrichtungen gesorgt wird ; /. die Einbehaltung oder Beschlagnahme von Gebrauchsgegenständen oder Werkzeugen des Arbeitnehmers unter Berufung auf eine Schuldverpflichtung oder auf eine Vertragsverletzung ohne vorherige Genehmigung der zuständigen Gerichte oder Verwaltungsbehörden untersagt wird; g. die persönliche Freiheit des Arbeitnehmers wegen Schuldverpflichtungen nicht eingeschränkt werden darf.

11. Das Eecht des angeworbenen Arbeitnehmers, sich auf Kosten des Anwerbers oder des Arbeitgebers an den Herkunftsort heimschaffen zu lassen, sollte in allen Fällen gewährleistet werden, in denen der Arbeitnehmer a. während der Eeise zum Arbeitsort oder während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses infolge von Krankheit oder Unfall arbeitsunfähig wird ; fc. auf Grund einer ärztlichen Untersuchung als arbeitsuntauglich erklärt wird; c. aus einem von ihm nicht verschuldeten Grunde nicht angestellt wird, nachdem er die Eeise zum Zwecke der Anstellung unternommen hat ; d. laut Feststellung der zuständigen Stelle auf Grund falscher Angaben oder irrtümlich angeworben worden ist.

12. (1) Es sollten Massnahmen getroffen werden, um Arbeitnehmern, die den genannten Bevölkerungsgruppen angehören, die Anpassung an die Auffassungen und Methoden der Arbeitsbeziehungen in der modernen Gesellschaft zu erleichtern.

(2) Erforderlichenfalls sollten Musterarbeitsverträge entworfen werden, die in Beratung mit Vertretern der beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber auszuarbeiten sind. In diesenVerträgen sollten die Eechte und Pflichten der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie die Bedingungen, unter denen das Vertragsverhältnis gelöst werden kann, festgelegt werden. Ferner sollten zweckdienliche Massnahmen getroffen werden, um die Einhaltung dieser Verträge sicherzustellen.

13. (1) ImEahmen der geltenden Gesetze sollten Massnahmen zur Förderung der Ansiedlung von Arbeitnehmern und ihrer Familien in Beschäftigungszentren oder in deren unmittelbaren Umgebung getroffen werden, sofern eine solche Ansiedlung im Interesse der Arbeitnehmer und der Wirtschaft der betreffenden Länder hegt.

(2) Bei der Durchführung dieser Massnahmen sollte den Problemen der Anpassung der Arbeitnehmer, die den
genannten Bevölkerungsgruppen angehören, und ihrer Familien an die Lebens- und Arbeitsformen ihrer neuen sozialen und wirtschaftlichen Umwelt besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

14. In Fällen, in denen die Wanderungsbewegungen der Arbeitnehmer, die den genannten Bevölkerungsgruppen angehören, ihren eigenen Interessen und denjenigen ihrer Gemeinschaft zuwiderlaufen, sollte diesen Bewegungen durch

563 Massnahmen zur Verbesserung der Lebenshaltung in den herkömmlichen Siedlungsgebieten dieser Arbeitnehmer entgegengewirkt werden.

15. (1) Die Eegierungen sollten Arbeitsvermittlungsstellen mit festem oder wechselndem Sitz in den Gebieten errichten, in denen Arbeitnehmer, die den genannten Bevölkerungsgruppen angehören, in grösserer Zahl angeworben werden.

(2) Diese Stellen sollten nicht nur den Arbeitnehmern bei der Arbeitssuche und den Arbeitgebern bei der Suche nach Arbeitskräften helfen, sondern vor allem die folgenden Aufgaben übernehmen : a. die Bestimmung des Ausmasses, in dem die in anderen Gebieten des Landes herrschende Knappheit an Arbeitskräften durch verfügbare Arbeitskräfte in jenen Gebieten gedeckt werden kann, die von den genannten Bevölkerungsgruppen bewohnt werden, ohne dass sich daraus in diesen Gebieten wirtschaftliche oder soziale Störungen ergeben; b. die Beratung der Arbeitnehmer und ihrer Arbeitgeber hinsichtlich der für sie geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen über Löhne, Unterbringung, Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Beförderungsmittel und andere Beschäftigungsbedingungen ; c. die Zusammenarbeit mit den Behörden, welche die Durchführung von Gesetzen zum Schütze der genannten Bevölkerungsgruppen beaufsichtigen, und, wenn nötig, die Aufsicht über die Methoden der Anwerbung und die Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer, die diesen Bevölkerungsgruppen angehören.

IV. Berufsausbildung 16. Die Berufsausbildungsprogramme für die genannten Bevölkerungsgruppen sollten die Heranbildung von Angehörigen dieser Gruppen zu Lehrkräften vorsehen. Die Lehrkräfte sollten mit den einschlägigen Methoden vertraut sein und nach Möglichkeit Verständnis für anthropologische und psychologische Gegebenheiten besitzen, so dass sie in der Lage sind, den Unterricht den besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen dieser Bevölkerungsgruppen anzupassen.

17. Die berufliche Ausbildung der Angehörigen der genannten Bevölkerungsgruppen sollte nach Möglichkeit in der Nähe ihres Wohnortes oder am Arbeitsplatz erfolgen.

18. Im Anfangsstadium der Eingliederung sollte diese Ausbildung nach Möglichkeit in der Sprache der in Betracht kommenden Gruppe erfolgen.

19. Die für die genannten Bevölkerungsgruppen bestimmten Berufsausbildungsprogramme sollten mit Hilfsmassnahmen
Hand in Hand gehen, die es den selbständig Erwerbstätigen ermöglichen, sich die erforderlichen Ausrüstungsgegenstände und Werkstoffe zu beschaffen, und die darauf gerichtet sind, den Lohnempfängern bei der Suche nach Beschäftigungsmöglichkeiten, die ihren Fähigkeiten entsprechen, zu helfen.

564 20. Die bei der beruflichen Ausbildung der genannten Bevölkerungsgruppen zur Anwendung gelangenden Programme und Methoden sollten mit denen der Grunderziehung verknüpft werden.

21. Während ihrer Berufsausbildung sollte den Angehörigen der genannten Bevölkerungsgruppen jede mögliche Hilfe gewährt werden, um sie in die Lage zu versetzen, von allen gebotenen Gelegenheiten, insbesondere nach Möglichkeit auch von Stipendien, Gebrauch zu machen.

V. Handwerk und ländliche Gewerbe 22. Die Programme zur Förderung des Handwerks und der ländlichen Gewerbe der genannten Bevölkerungsgruppen sollten insbesondere die nachstehenden Ziele verfolgen : a. die Verbesserung der Arbeitstechnik, der Herstellungsmethoden und der Arbeitsbedingungen ; b. die allseitige Entwicklung der Erzeugung und des Absatzes, einschliesslich Möglichkeiten der Kreditgewährung, des Schutzes gegen Monopole und Ausbeutung durch Zwischenhändler, der Beschaffung von Eohstoffen zu angemessenen Preisen, der Schaffung von Qualitätsnormen für Handwerkserzeugnisse und des Schutzes der Muster und besonderer ästhetischer Merkmale dieser Erzeugnisse ; c. die Förderung der Bildung von Genossenschaften.

VI. Soziale Sicherheit und Fürsorgemassnahmen 28. Die Ausdehnung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, die den genannten Bevölkerungsgruppen angehören, sollte je nach den Umständen durch Massnahmen eingeleitet oder begleitet werden, die geeignet sind, ihre allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu verbessern.

24. Hinsichtlich der selbständigen Landwirte sollte gesorgt werden für a. die Unterweisung in modernen landwirtschaftlichen Methoden ; b. die Bereitstellung von Inventar, z.B. von Geräten, Vieh und Saatgut; c. den Schutz gegen Existenzbedrohung infolge der Vernichtung der Ernte oder des Viehbestandes durch Naturereignisse.

VII. Gesundheitswesen 25. Die genannten Bevölkerungsgruppen sollten zur Errichtung von eigenen, mit der Betreuung ihrer Angehörigen betrauten örtlichen Gesundheitsausschüssen innerhalb ihrer Gemeinwesen angeregt werden. Gleichzeitig mit der Schaffung dieser Einrichtungen sollte eine Aufklärungsaktion unternommen werden, um deren volle Ausnützung zu gewährleisten.

26. (1) Besondere Einrichtungen zur Heranbildung von Hilfskräften des Gesundheitsdienstes sowie von ärztlichem und sanitärem Fachpersonal aus den

565 genannten Bevölkerungsgruppen sollten dort geschaffen werden, wo Angehörige dieser Bevölkerungsgruppen nicht in der Lage sind, eine solche Ausbildung mittels der im Lande bestehenden ordentlichen Ausbildungsmöglichkeiten zu erlangen.

(2) Hierbei sollte jedoch verhütet werden, dass die Schaffung dieser besonderen Einrichtungen für die Angehörigen der genannten Bevölkerungsgruppen den Verlust der ordentlichen Ausbildungsmöglichkeiten nach sich zieht.

27. Die den Gesundheitsdienst für die genannten Bevölkerungsgruppen versehenden Fachkräfte sollten mit den anthropologischen und psychologischen Methoden vertraut sein, durch die sie ihre Arbeit den besonderen kulturellen Verhältnissen dieser Bevölkerungsgruppen anpassen können.

VIII. Bildungswesen 28. Es sollten wissenschaftliche Untersuchungen unternommen und finanziert werden, um die geeignetsten Methoden für den Lese- und Schreibunterricht für Kinder, die den genannten Bevölkerungsgruppen angehören, und für die Verwendung der Mutter- oder Stammessprache als Unterrichtsmittel zu entwickeln.

29. Die Lehrkräfte sollten mit anthropologischen und psychologischen Methoden vertraut sein, die es ihnen ermöglichen, ihre Arbeit den besonderen kulturellen Verhältnissen dieser Bevölkerungsgruppen anzupassen. Diese Lehrkräfte sollten, soweit wie möglich, diesen Bevölkerungsgruppen entnommen werden.

80. Der vorberufliche Unterricht sollte in die Lehrpläne der Grundschulen für die genannten Bevölkerungsgruppen aufgenommen werden, wobei auf den Unterricht in landwirtschaftlichen, handwerklichen, kleingewerblichen und hauswirtschaftlichen Fächern besonderes Gewicht zu legen ist.

31. Die Lehrpläne für den Grundschulunterricht der genannten Bevölkerungsgruppen sollten eine Einführung in die Grundbegriffe der Gesundheitspflege einschliessen.

82. Der Grundschulunterricht für die genannten Bevölkerungsgruppen sollte nach Möglichkeit durch Aktionen auf dem Gebiete der Grunderziehung ergänzt werden. Diese sollten darauf gerichtet sein, den Kindern und Erwachsenen zum Verständnis der Probleme ihrer Umwelt sowie ihrer Eechte und Pflichten als Staatsbürger und Einzelpersonen zu verhelfen und ihnen dadurch die Möglichkeit zu geben, wirksamer am sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt ihrer Gemeinschaft teilzunehmen. ° IX. Sprachen und andere Verständigungsmittel
83. Soweit dies zweckdienlich erscheint, sollte die Eingliederung der genannten Bevölkerungsgruppen erleichtert werden durch ..

a. die Bereicherung des technischen und juristischen Wortschatzes ihrer Stammessprachen und -dialekte;

566 fc. die Schaffung von Alphabeten für die schriftliche Wiedergabe dieser Sprachen und Dialekte; c. die Herausgabe von Lesebüchern, die der Bildungs- und Kulturstufe der genannten Bevölkerungsgruppen angepasst und in deren Sprache oder Dialekt abgefasst sind; d. die Herausgabe von zweisprachigen Wörterbüchern.

34. Als Verständigungsmittel sollten für die genannten Bevölkerungsgruppen die Methoden der Übermittlung durch Bild und Ton angewandt werden.

X. Stammesgruppen in Grenzgebieten 85. (1) Wenn möglich und zweckdienlich, sollten die beteiligten Eegierungen durch Abkommen gemeinsame Massnahmen in die Wege leiten, um die halbnomadischen Bevölkerungsgruppen zu schützen, deren angestammte Gebiete sich diesseits und jenseits der Landesgrenzen befinden.

(2) Diese Massnahmen sollten insbesondere darauf gerichtet sein, a. Angehörigen dieser Gruppen, die in einem anderen Land arbeiten, eine angemessene Entlohnung zu den am Arbeitsort üblichen Sätzen zu sichern; b. diesen Arbeitnehmern zu helfen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern, und zu verhüten, dass sie wegen ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer halbnomadischen Lebensweise unterschiedlich behandelt werden.

XI. Verwaltung 36. Es sollten, sei es durch eigens für diesen Zweck geschaffene Begierungsstellen oder durch Koordinierung der Tätigkeit bereits bestehender Stellen, auf dem Verwaltungswege Vorkehren getroffen werden, um a. die wirksame Durchführung der gesetzlichen Bestimmungen und Verwaltungsvorschriften über den Schutz und die Eingliederung der genannten Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten; fe. den Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppen den tatsächlichen Besitz ihres Grund und Bodens sowie die Nutzung anderer Naturgüter zu sichern ; c. das Vermögen und die Einkünfte der genannten Bevölkerungsgruppen zu verwalten, soweit dies in ihrem Interesse erforderlich erscheint; d. Angehörigen der genannten Bevölkerungsgruppen, die eines Bechtsschutzes bedürfen, die Kosten hiefür jedoch nicht tragen können, diesen Rechtsschutz unentgeltlich zu gewähren; e. Bildungseinrichtungen und Gesundheitsdienste für diese Bevölkerungsgruppen zu schaffen und zu unterhalten; /. Forschungsarbeiten zu fördern, die dazu bestimmt sind, das Verständnis für die Lebensformen dieser Bevölkerungsgruppen und für den Vorgang ihrer Eingliederung in die nationale Gemeinschaft zu erleichtern ;

567 g. zu verhüten, dass Arbeitnehmer, die den genannten Bevölkerungsgruppen angehören, infolge ihrer mangelnden Vertrautheit mit der industriellen Umwelt, in die sie verpflanzt werden, ausgebeutet werden; h. gegebenenfalls, im allgemeinen Eahmen der Schutz- und Eingliederungspolitik, die philanthropische oder gewinnbringende Tätigkeit von Einzelpersonen oder Organisationen öffentlicher oder privater Art in den Gebieten, die von den genannten Bevölkerungsgruppen bewohnt werden, zu beaufsichtigen und zu koordinieren.

37. (1) Die im besonderen mit dem Schutz und der Eingliederung der genannten Bevölkerungsgruppen betrauten Landesbehörden sollten regionale Dienststellen in den Gebieten unterhalten, in denen diese Bevölkerungsgruppen zahlreich vertreten sind.

(2) Diese Behörden sollten über einen für ihre besonderen Aufgaben ausgewählten und ausgebildeten Beamtenstab verfügen. Die Beamten sollten, soweit wie möglich, den genannten Bevölkerungsgruppen entnommen werden.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die 40. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz und Botschaft zum Übereinkommen betreffend die Abschaffung der Zwangsarbeit (Vom 7. März 1958)

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