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Bundesratsbeschluss betreffend Änderung des Bundesratsbeschlusses über die Einfuhr von Futtermitteln, Stroh und Streue # S T #

(Vom 22. Juni 1970)

Der Schweizerische Bundesrat beschliesst:

Artikel l des Bundesratsbeschlusses vom 17. Dezember 19561' über die Einfuhr von Futtermitteln, Stroh und Streue wird wie folgt ergänzt : Tanfnummer

Warenbezeichnung

2306.

Waren pflanzlichen Ursprungs der als Tierfutter verwendeten Art, anderweit weder genannt noch Inbegriffen : - andere

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II Dieser Beschluss tritt am 1. Mi 1970 in Kraft.

Bern, den 22. Juni 1970

*> AS 1956 1527, 1959 1640, 1961 225, 1962 822 1308, 1964 1365, 1967 1985, 1968 431, 1969 362

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Schweizerische Erklärung an der Zusammenkunft auf Ministerebene zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Schweiz Brüssel, 10. November 1970

Herr Präsident, Mit dem Abschluss der Übergangsphase der Europäischen Gemeinschaften, der Einleitung der Arbeiten über die Vertiefung der Integration und der Aufnahme der Verhandlungen über deren geographische Erweiterung eröffnen sich für die europäische Entwicklung neue Perspektiven von grundlegender Bedeutung. Der schweizerische Bundesrat weiss es besonders zu schätzen, dass die europäischen Gemeinschaften zu diesem Zeitpunkt auch mit der Schweiz und den übrigen neutralen EFTA-Staaten Besprechungen aufnehmen. Sie bringen dadurch zum Ausdruck, dass eine Gesamtlösung gefunden werden soll, die den organisch gewachsenen Verhältnissen Rechnung trägt und eine neue wirtschaftliche Aufsplitterung des westeuropäischen Raumes vermeidet. Damit entsprechen Sie einem ständigen, den Europäischen Gemeinschaften gegenüber mehrfach bekundeten Wunsch der schweizerischen Regierung.

Die Schweiz hat sich am europäischen Wiederaufbauwerk der Nachkriegsjahre aus der Überzeugung beteiligt, dass die Probleme der modernen Wirtschaft eine engere Zusammenarbeit erfordern. Sie hat auch von Anfang an die europäischen Bestrebungen unterstützt und sich an ihnen, wo dies möglich erschien, aktiv beteiligt. Gemessen an der Schwierigkeit der zu lösenden Aufgabe haben sich die in die wirtschaftliche Integration gesetzten Erwartungen zu einem guten Teil erfüllt. Insbesondere hat sich innerhalb der beiden europäischen Wirtschaftsorganisationen der Abbau der Handelsschranken wohlstandsfördernd ausgewirkt und die Anpassung der Produktions- und Handelsstrukturen an die modernen Marktverhältnisse und damit die internationale Arbeitsteilung begünstigt. Der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist es überdies durch die gemeinsame Ordnung wichtiger Bereiche des Wirtschaftslebens gelungen, einen wesentlichen ersten Schritt auf dem Wege der europäischen Einigung zurückzulegen. Damit hat die europäische Integration einen Grad der inneren Festigkeit erreicht, der eine geographische Erweiterung und eine angemessene Teilnahme neutraler Staaten an den Arbeiten der Gemeinschaft auf wirtschaftlichem Gebiet ermöglichen sollte. Die schweizerische

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Regierung begrüsst diese Entwicklung umsomehr, als die Ziele der Europäischen Gemeinschaften auf die volle Entfaltung der schöpferischen Kräfte unseres Kontinents, die Förderung der Wohlfahrt seiner Völker, die Schaffung eines freien, für Gleichgewichtsstörungen weniger anfälligen Wirtschaftsraumes und die Bewältigung der Wachstumsprobleme wirtschaftlicher und sozialer Natur, die sich aus der stürmischen Entwicklung von Wissenschaft und Technik ergeben, ausgerichtet sind und damit weitgehend auch den von der Schweiz als massgeblich erachteten Prioritäten entsprechen. Die Europäischen Gemeinschaften wollen zudem durch Stärkung der europäischen Wirtschaft den weltweiten Verantwortungen Europas besser gerecht werden und die Partnerschaft mit den Entwicklungsländern ausbauen können. Auch auf diesen Gebieten und ich könnte weitere nennen - ergibt sich zwischen uns eine weitreichende Übereinstimmung der Ziele und Interessen. Dies sind die Gründe, weshalb uns eine enge Zusammenarbeit geboten scheint, deren Inhalt, Form und Modalitäten zu bestimmen sind.

Die Staats- oder Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften haben anlässlich der Haager Gipfelkonferenz von Anfang Dezember 1969 nachdrücklich ihren Glauben an die politischen Zielsetzungen der Gemeinschaften bekräftigt und betont, dass die Erweiterung der Gemeinschaften dazu beitragen würde, ihnen zu Dimensionen zu verhelfen, die mehr und mehr dem heutigen Stand der Wirtschaft und der Technik entsprechen. Sie haben aber gleichzeitig anerkannt, dass neben dem Beitritt gemäss den im Vertrag von Rom vorgesehenen Modalitäten auch die Schaffung besonderer Beziehungen mit anderen europäischen Staaten, die diesen Wunsch geäussert haben, zu dieser Entwicklung beitragen sollte. Es wurde indessen präzisiert, dass die beitrittswilligen Staaten die Verträge und deren politische Zielsetzung, das seit Vertragsbeginn geschaffene Folgerecht und die für den Ausbau getroffenen Optionen zu akzeptieren gehalten sind.

Die Schweiz als ständig neutraler Staat nimmt mit Befriedigung die grundsätzliche Bereitschaft zur Herstellung besonderer Bezishungen zur Kenntnis. Sie war sich stets bewusst, dass die EG eine neuartige Orgamsationsform darstellen, die zu einer fortschreitenden politischen Einigung führen soll.

Diese von ihnen wiederholt hervorgehobene
Zielsetzung findet ihren Ausdruck einerseits im Bestreben der Gemeinschaften, gegenüber der Aussenwelt gemeinsam aufzutreten - z. B. durch Führung einer gemeinsamen Handelspolitik -, und ist anderseits bestimmend für die Sachgebiete und die Methoden, die für eine gemeinsame Tätigkeit im Inneren gewählt worden sind. In jedem Bereich, von der Agrarpolitik der sechziger Jahre bis zu den neuen Programmen für den Aufbau einer Wirtschafts- und Währungsunion im Verlaufe des eben begonnenen Jahrzehnts, wird die Übertragung von nationalen Hoheitsrechten auf zentralen Gebieten der Wirtschaftspolitik auf Gemeinschaftsinstitutionen vorgesehen, die ihre Tätigkeit nach europäischen Gesichtspunkten auszuüben haben.

Ein ständig neutraler Staat, der ein Nahverhältnis zu den Europäischen Gemeinschaften herzustellen wünscht, hat diesen Tatsachen bei der Wahl der

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sich hierfür darbietenden Lösungen Rechnung zu tragen. Die immerwährende, bewaffnete Neutralität der Schweiz ist bekanntlich zu einer Institution des Völkerrechts geworden ; die Kommission für Internationales Recht der UN hat dies ausdrücklich festgestellt. Die Pariser Akte vom 20. November 1815 hat feierlich erklärt, die schweizerische Neutralität entspreche dem wahren Interesse aller europäischen Staaten. Artikel 435 des Versailler Vertrages und die Londoner Erklärung des Völkerbundsrates vom 13. Februar 1920 stellten fest, dass die schweizerische Neutralität eine internationale Verpflichtung für die Aufrechterhaltung des Friedens sei.

Die auf dem Willen des Schweizervolkes beruhende Neutralitätspolitik stellt auch in der Gegenwart einen Faktor der Verständigung und der Entspannung dar ; sie ist von einem rein europäischen in einen weltweiten Zusammenhang hineingewachsen. Sie verkörpert eine Friedenspolitik im wahrsten Sinne des Wortes.

Infolge ihrer Voraussehbarkeit ist sie ein Element der Stabilität in der Weltpolitik; eine Einschränkung würde einen neuen Unsicherheitsfaktor schaffen. Die Wahrung der internationalen Glaubwürdigkeit der schweizerischen Neutralitätspolitik setzt Beschränkungen der nationalen Hoheitsrechte entsprechende Grenzen. Das Vertrauen der Aussenwelt in die Fähigkeit der Schweiz, ihre Neutralität aufrecht zu erhalten, muss gewahrt bleiben.

Diesen Erwägungen stehen die erwähnten politischen Ziele der Europäischen Gemeinschaften gegenüber. Diese werden heute jedoch nicht zuletzt auch in der Förderung der internationalen Entspannung und der Verständigung zwischen den Völkern des ganzen europäischen Kontinents gesehen. Die Schweiz glaubt, gerade in diesem Zusammenhang der ihr zukommenden Aufgabe am besten als neutraler Staat gerecht werden zu können. Der Eindruck einer Abweichung von der schweizerischen Neutralitätspolitik würde den Entspannungsbemühungen geradezu entgegenlaufen. Beides lässt sich vereinbaren: das angestrebte Nahverhältnis zu den Europäischen Gemeinschaften soll und wird die Verfolgung ihrer weitergehenden Ziele in keiner Weise erschweren und der Schweiz die Fortführung ihrer Neutralitätspolitik ermöglichen.

Diese Überlegungen führen uns zur Auffassung, dass - wie das Haager Communiqué ausführt - die Schaffung besonderer Beziehungen für die Ausgestaltung
des Verhältnisses zwischen der Schweiz und den EG am besten geeignet sein wird, die gebotene wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Entfaltung zu bringen. Angesichts der bereits erwähnten Gemeinsamkeit der Interessen und Zielsetzungen, aber auch eingedenk der bestehenden Vielfalt des geistigen kulturellen und wirtschaftlichen Austauschs und der unmittelbaren Nachbarschaft sollte jedoch eine möglichst umfassende Regelung angestrebt werden können. Der geschilderte Beziehungsreichtum zwischen der Schweiz und den Staaten der EG zeigt im übrigen, dass auf jeden Fall neue vertragliche Grundlagen geschaffen werden müssen, da mit fortschreitender Integration die bestehenden bilateralen Vereinbarungen mit den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft hinfällig oder inhaltlos geworden sind. Ich werde auf einige Probleme, die nur in einem breiten regionalen Rahmen zu lösen sind, als konkrete Beispiele für die Unerlässlichkeit gemeinsamer Anstrengungen noch im einzelnen hinweisen.

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Eine Lösung dieser Art entspricht zudem der Notwendigkeit, den Erfordernissen der spezifisch schweizerischen Ausprägung der direkten Demokratie und des föderalen Staatsaufbaus Rechnung zu tragen. Diese politische Struktur hat den inneren Zusammenhalt unserer aus verschiedenen sprachlichen und konfessionellen Gruppen zusammengesetzten Bevölkerung gewährleistet. Durch die Institutionen des Referendums und der Initiative wird dem Bürger ermöglicht, an den grundlegenden politischen Entscheidungen direkt teilzunehmen. Es handelt sich hier somit um Elemente unseres staatlichen Daseins, die im Denken und Fühlen unseres Volkes tief verwurzelt sind und die feste Grundlage auch für die zwischenstaatliche Tätigkeit der Schweiz bilden. Eine derartige Verankerung steht nicht im Gegensatz zu Ihren Bemühungen. Das Bekenntnis zur demokratischen und freiheitlichen Staatsform ist Ihnen und uns gemeinsam.

Die schweizerische Regierung weiss - und ich glaube, Sie stimmen mit uns überein -, dass mit einer solchen Vereinbarung, die einem hochindustrialisierten, neutralen Staate angemessen ist, Neuland betreten werden muss. Die Vorschaltung exploratorischer Gespräche, die es ermöglichen sollen, die Vorstellungen über den zweckentsprechenden Inhalt und die Modalitäten einer derartigen Vereinbarung gemeinsam und in besserer Kenntnis der gegenseitigen Bedürfnisse abzuklären, erscheint uns aus diesem Grunde unerlässlich. Die schweizerische Regierung hat wiederholt erklärt, und ich möchte dies heute bestätigen, dass sie in diese Gespräche ohne vorgefasste Meinung eintreten will und es als unzweckmässig erachten würde, den Fächer der denkbaren Lösungen für eine Teilnahme der Schweiz an der europäischen Integration von Anfang an allzusehr einzuengen.

Es würde dem Sinne dieser Erkundungsgespräche daher nicht entsprechen, wenn ich versuchen würde, Ihnen aus unserer Sicht schon heute ins Detail gehende Hinweise über den Inhalt der anzustrebenden Vereinbarungen bekanntzugeben. Ich versichere Sie jedoch, dass die schweizerische Regierung gewillt ist, den von ihr erwarteten Beitrag an die gemeinsame Vorarbeit zu leisten. Unsere Delegation bereitet sich darauf vor, in den Erkundungsgesprächen unsere Gedanken zu präzisieren. Wenn ich Ihnen nun einige allgemeine Überlegungen über die zu berücksichtigenden Sachgebiete vortragen werde,
möchte ich dadurch diesen Arbeiten nicht vorgreifen, sondern deren raschen Beginn erleichtern. Zum Schluss werde ich versuchen, unsere Auffassung über das Vorgehen in diesen Gesprächen und das dabei zu erreichende Ziel zu schildern.

Der bestehende hohe Grad der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen der Schweiz und der EWG kommt am deutlichsten im Warenaustausch zum Ausdruck, wo rund 75 Prozent der schweizerischen Einfuhren aus einer erweiterten Gemeinschaft stammen und beinahe 60 Proz, n ihrer Ausfuhren nach diesen Ländern gehen würden. Dem offensichtlichen Interesse der Schweiz, an einem grossen europäischen Markt teilzunehmen, dürfte ein Interesse der Gemeinschaft entsprechen, den bevölkerungsmässig zwar kleinen, aber ausserordentlich aufnahmefähigen schweizerischen Markt einzubeziehen, steht die Schweiz doch schon heute an zweiter Stelle der Kunden der EG mit einem Einfuhrüberschuss von nahezu 1,5 Milliarden Dollar, der von keinem anderen Drittstaat erreicht wird.

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Es liegt unseres Erachtens daher nahe, diese intensiven, durch die direkte Nachbarschaft geförderten Handelsbeziehungen so liberal wie möglich zu gestalten.

Wir legen Wert darauf, eine Regelung in Übereinstimmung mit Artikel XXIV des GATT, d. h.-eine umfassende Beseitigung der Handelshemmnisse, in Aussicht zu nehmen. Auf diese Weise würde auch den Interessen der Drittstaaten und der Entwicklung des Welthandels gebührend Rechnung getragen.

Im Rahmen einer Gesamtregelung würde die Schweiz einen Plan für den raschen Abbau der Handelsschranken und, zur Verstärkung der wirtschaftlichen Auswirkungen, substantielle Senkungsstufen befürworten.

Ich brauche auf die Bedeutung des Aussenhandels für die Bildung des schweizerischen Volkseinkommens wohl kaum besonders hinzuweisen ; der Anteil der Ausfuhr am Brutto-Sozialprodukt gehört in der Schweiz zu den höchsten aller Länder. Wenn sich der Aussenhandel der Schweiz dabei auch vorwiegend nach Europa orientiert hat, sind ihre übrigen Märkte, die immerhin 40 Prozent ihrer Ausfuhren aufnehmen, doch von erheblicher Bedeutung. Die hohe Abhängigkeit ihrer wirtschaftlichen Entwicklung vom Aussenhandel und dessen breite Streuung machen aus der Schweiz eine eigentliche Welthandelsnation, die, gemessen am Umfang ihres Aussenhandels, an 12. Stelle steht.

Um die für ihre Neutralitätspolitik erforderliche sichtbare Eigenständigkeit in der Gestaltung ihrer Aussenwirtschaftsbeziehungen zu erhalten, geht die Schweiz davon aus, dass sie gegenüber Drittstaaten Zoll- und Handelsabkommen weiterhin selbst aushandeln und abschliessen wie auch in internationalen Wirtschaftsorganisationen selbst auftreten wird.

Wir sind uns aber bewusst, dass bei der Herstellung des Warenfreiverkehrs Verkehrsverlagerungen und Wettbewerbsverfälschungen vermieden werden müssen, die aus einem eigenständigen handelspolitischen Vehalten gegenüber den Drittstaaten entstehen könnten. Wir sind deshalb bereit, gemeinsam mit Ihnen Vorkehren zur Lösung allenfalls sich ergebender Probleme zu prüfen. Auf Grund unserer Erfahrungen und Untersuchungen sind wir zum Schluss gelangt, dass unter den gegebenen Verhältnissen diese Gefahren nicht überschätzt werden dürfen. Wir sind überzeugt, dass es möglich ist, für beide'Seitenbefriedigende, administrativ einfache Regelungen zu finden.

Wir wissen ebenfalls, dass die
Gemeinschaft mit der Herstellung des Warenfreiverkehrs gleichzeitig andere Möglichkeiten der Wettbewerbsverfälschung auszuschalten sich bemüht, und zwar hinsichtlich der Kartelle und ähnlicher Vereinbarungen, staatlicher Handelsmonopole und des öffentlichen Auftragswesens, der Beihilfen und anderer ähnlicher Tatbestände. Da auch wir in der Beseitigung der Handelshindernisse ein Mittel zur Förderung des Wettbewerbs erblicken, sind wir überzeugt, dass für die wirtschaftlich relevanten Tatbestände eine angemessene vertragliche Regelung gefunden werden kann.

Mit Bezug auf die Landwirtschaft sollte es Ziel der Gespräche sein, unter Erhaltung eines lebensfähigen Bauernstandes Vereinbarungen zu finden, die

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einer ausgewogenen, auf Gegenseitigkeit beruhenden Gesamtlösung entsprechen.

Die schweizerische Agrarpolitik verfolgt grundsätzlich dieselben Ziele, wie sie für die EWG im Römer Vertrag festgelegt sind, doch hat ihre praktische Ausgestaltung in der Schweiz dazu geführt, dass das Preisniveau der schweizerischen Agrarproduktion bedeutend höher liegt als dasjenige der EWG. Diese Tatsache ist auf die besonderen naturbedingten Produktions- und Kostenverhältnisse in der Schweiz und dann vor allem auch darauf zurückzuführen, dass der Landwirtschaft gemäss dem Grundsatz der Parität ein Einkommen zugestanden wird, welches sich nach dem in anderen Wirtschaftszweigen erzielten ausrichtet. Die Übertragung der zurzeit in der EWG auf Grund der Agrarverordnungen geltenden Preise auf die schweizerischen Verhältnisse würde das Nettoeinkommen unserer Landwirte um durchschnittlich 50 Prozent senken und damit, abgesehen von den schwerwiegenden Folgen für die Landwirte, zu einer drastischen Reduktion des Selbstversorgungsgrades der Schweiz führen. Dieser liegt mit weniger als 60 Prozent heute schon an der Grenze des für einen neutralen Staat Verantwortbaren und lässt somit einen ungewöhnlich grossen Raum für die Einfuhr. Nahezu die Hälfte ihrer Agrarimporte bezieht die Schweiz aus der EWG. Sie weist in dieser Hinsicht, pro Kopf der Bevölkerung, die höchste Quote aller Drittstaaten auf.

Schliesslich ist an die bedeutende Rolle unserer Landwirtschaft - insbesondere auch in den Berggebieten - in der Besiedlungspolitik des Landes zu denken. All diesen Umständen ist bei der Erörterung der Vereinbarungen auf dem Gebiet der Landwirtschaft Rechnung zu tragen, was, wie bereits hervorgehoben, keineswegs ausschliessen soll und wird, dass für beide Seiten vorteilhafte und entwicklungsfähige Vereinbarungen getroffen werden.

Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Schweiz und der EWG erschöpft sich nicht in den Handelsbeziehungen, sondern umfasst alle wichtigen Zweige des Wirtschaftslebens. In vielen Fällen ist sie sogar intensiver als zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft selber, wie etwa der Handel mit Agrarerzeugnissen, der Dienstleistungsverkehr und die aussergewöhnlich hohe Zahl von Gastarbeitern eindrücklich zeigen. Ferner ist an die wirkungsvolle, wenn auch nach aussen wenig sichtbare währungspolitische
Zusammenarbeit, welche die Schweiz mit ihren europäischen Wirtschaftspartnern pflegt, zu erinnern wie auch an die Bedeutung des Zugangs zum schweizerischen Kapitalmarkt für die europäische Industrie. Eine vielfältige Interdependenz verbindet somit unser Land mit den Mitgliedstaaten der EG. Sie ist eine natürliche Folge seiner zentralen geographischen Lage, entspricht jedoch auch dem Gebot einer sinnvollen Aufgabenteilung im Rahmen der europäischen Wirtschaft.

Da die Schweiz auch in Zukunft bereit und gewillt ist, den einem hochindustrialisierten Staat gemässen Beitrag zur weiteren Entwicklung der europäischen Wirtschaft zu leisten und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu übernehmen, möchten wir in den Erkundungsgesprächen mit Ihnen untersuchen, wie über den Warenverkehr hinaus die bestehenden Beziehungen zwischen der Schweiz und den drei Europäischen Gemeinschaften im Lichte der integrationspolitischen Zielsetzungen ausgebaut werden können.

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Unter den möglichen Gesprächsgegenständen seien unter anderem erwähnt : die Dienstleistungen, die Niederlassungsfragen, die technischen Handelshemmnisse, die Heilmittelgesetzgebung, die Versicherungen.

Die Mitwirkung der Schweiz an der Ausarbeitung einer europäischen Patenterteilungskonvention ist ein gutes Beispiel für unser Interesse am gemeinsamen Aufbau einer europäischen Rechtsordnung.

Angesichts unserer Lage im Herzen Europas verdient die Verkehrspolitikbesondere Erwähnung.

Was die Freizügigkeit der Arbeitskräfte betrifft, so ist Ihnen zweifellos bekannt, dass in der Schweiz der Anteil der Gastarbeiter an der Bevölkerung um ein Mehrfaches höher ist als im Durchschnitt in der EWG. Daraus haben sich für unser Land eine Reihe von schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen ergeben, denen Rechnung getragen werden muss.

Wir sind gerne bereit, die genannten Probleme und unsere Politik in dieser Beziehung mit Ihnen zu besprechen und gemeinsam zu prüfen.

Ich habe die neuen Bereiche der Integration noch nicht erwähnt, die seit der Vollendung der Zollunion und dem Ende der Übergangszeit im Vordergrund Ihrer Bemühungen stehen. Diese oft treffend als «Programme der zweiten Generation» bezeichneten Arbeiten scheinen uns für die zukünftige Entwicklung der europäischen Wirtschaft von ebenso grosser Bedeutung zu sein wie die bisherigen Arbeiten, weil sie in direktem Zusammenhang mit den Kernbereichen unseres Wirtschaftslebens stehen. Ihre Arbeiten auf den Gebieten der Industriepolitik, der Forschungspolitik, der Energiepolitik, der Regionalpolitik, vor allem aber Ihre Absicht, stufenweise eine eigentliche Wirtschafts- und Währungsunion aufzubauen, erwecken in der Schweiz ganz natürlicherweise grosses Interesse.

Die Bekämpfung der Inflation und die Herstellung stabilerer Währungsverhältnisse sind Aufgaben, die sich im nationalen Rahmen nur beschränkt lösen lassen. Es handelt sich um gemeinsame Anliegen. Die Schweiz erachtet es deshalb als gegeben, mit den Europäischen Gemeinschaften zu prüfen, welche Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschafts- und der Währungspolitik im Hinblick auf den realisierbar erscheinenden Integrationsgrad wünschenswert und möglich sein könnte. Die gleiche Bereitschaft ist auch bezüglich der Freizügigkeit des Kapitalverkehrs vorhanden.

Des weiteren ist daran zu
erinnern, dass sich die Schweiz schon heute aktiv an den gemeinsamen Bemühungen der EG-Mitglieder und der interessierten Drittstaaten um eine europäische Zusammenarbeit auf den Gebieten der Technologie und der Forschung beteiligt. Diese Art von Mitwirkung könnte zweifellos ausgedehnt und vertieft werden.

Auf industriepolitischem Gebiet teilt die Schweiz das Interesse an der Schaffung von Rahmenbedingungen, welche die Anpassung der Unternehmensstrukturen an die neuen Marktdimensionen erleichtern können.

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Ferner sei daran erinnert, dass auf dem Gebiet der Uhrenindustrie das in der Kennedy-Runde abgeschlossene Abkommen zwischen der Schweiz und der EWG schon seit mehr als drei Jahren den Rahmen einer aktiven Zusammenarbeit und der Suche nach beide Seiten befriedigenden industriepolitischen Lösungen bildet.

In unseren Gesprächen wird es schliesslich notwendig sein, neben dem Inhalt der angestrebten Zusammenarbeit auch das dabei einzuhaltende Verfahren zu erörtern. Es ist nicht möglich, vorweg ins Einzelne gehende Vorstellungen über die institutionellen Verfahrensregeln zu entwickeln, da sie notwendigerweise das Spiegelbild des jeweiligen Inhalts unserer Vereinbarungen sein werden.

Wir anerkennen, dass die Zusammenarbeit mit der Schweiz die besonderen Beschlussfassungsmodalitäten, die unter den Mitgliedstaaten der erweiterten Gemeinschaften gelten, nicht beeinträchtigen darf. Anderseits erwartet die Schweiz, dass sie entsprechend der von ihr einzugehenden Verpflichtungen gestaltend mitwirken kann. Unsere Erfahrungen haben uns zur Überzeugung geführt, dass hierfür mannigfaltige Formen der Zusammenarbeit gefunden werden können.

Was wir anstreben, sind möglichst einfache und wirksame institutionelle Vorkehren, die das reibungslose Funktionieren der getroffenen Vereinbarungen gewährleisten, eine rasche Lösung allenfalls auftretender Schwierigkeiten erlauben und schliesslich periodische Überprüfungen des Standes der Zusammenarbeit gestatten, die zum Einbezug neuer Bereiche führen können. Die Schweiz, dies sei hier betont, wünscht, ein entwicklungsfähiges Abkommen zu schliessen, wie dies der Dynamik des modernen Wirtschaftslebens entspricht.

Es wird somit unsere Aufgabe sein, nicht bloss für den Vollzug und die Überwachung der in den bevorstehenden Verhandlungen eingegangenen gegenseitigen Verpflichtungen einen geeigneten institutionellen Rahmen zu finden, sondern auch für den Austausch von Gedanken und für Konsultationen in allen Bereichen von gemeinsamem Interesse, selbst wenn das Bedürfnis nach einer vertraglichen Regelung im Augenblick nicht oder noch nicht spürbar ist.

Wir sind davon überzeugt, dass sich derartige Kooperations- und Konsultationsniechanismen für beide Seiten als nützlich erweisen werden. Sie werden die Grundlage für ein vertieftes gegenseitiges Verständnis bilden und uns der
Verwirklichung unserer gemeinsamen Ziele einen Schritt näher bringen.

Dies einige Hinweise auf Gebiete, die nach schweizerischer Auffassung in angemessener Weise in eine Vereinbarung mit den Europäischen Gemeinschaften einbezogen werden sollten, und die hierfür anzustrebenden Verfahren. Wie ich eingangs schon erwähnt habe, stellt die Ausgestaltung eines entsprechenden Vertragswerkes eine Aufgabe dar, für deren Bewältigung noch keine Vorbilder bestehen. Ich möchte meine Ausführungen daher mit einem Verfahrensvorschlag beenden, der, wie ich glaube annehmen zu dürfen, auch Ihren Vorstellungen entspricht.

Die schweizerische Regierung ersucht um die Aufnahme exploratorischer Gespräche. Dies hätten den Zweck, das gegenseitige Interesse an einer engen Zusammenarbeit in den einzelnen Bereichen und die dabei zu berücksichtigenden

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grundsätzlichen Erwägungen näher abzuklären. Eine genaue Kenntnis der Arbeitsweise der Gemeinschaften einerseits und der schweizerischen Verhältnisse anderseits stellt die erste Voraussetzung für die Wahl der geeigneten Verhandlungsbasis dar. Von einer Bestandesaufnahme der heutigen vielfältigen Beziehungen zwischen der Schweiz und den Europäischen Gemeinschaften ausgehend, sollte sich die Richtung für deren weiteren Ausbau und das Ausmass der möglichen Teilnahme der Schweiz an der» zukünftigen Integrationsentwicklung bestimmen lassen.

Wir schlagen vor, dass diese Gespräche unverzüglich aufgenommen werden und wir für diesen Zweck ein Datum für eine erste Zusammenkunft zwischen den beiden Delegationen festsetzen. Eine gewisse zeitliche Dringlichkeit besteht in doppelter Hinsicht: einmal wegen des Zusammenhanges mit den Erweiterungsverhandlungen und der Notwendigkeit, gegenüber dem allgemeinen Zeitplan nicht in Rückstand zu geraten; anderseits weil die schweizerische Regierung vor Aufnahme formeller Verhandlungen mit den Europäischen Gemeinschaften das Parlament und die Öffentlichkeit eingehend orientieren muss. Die anschliessend zu erwartende Debatte sollte nicht unter Zeitdruck stehen. Ich erinnere insbesondere daran, dass eine substantielle Vereinbarung, wie wir sie anstreben, nach deren Abschluss dem Referendum unterliegt. Die Schweiz befindet sich in dieser Hinsicht in einer wohl einzigartigen Lage. Eine Auseinandersetzung mit diesem vielschichtigen und umfangreichen Stoff kann jedoch erst dann in nützlicher Weise beginnen, wenn auf Grund exploratorischer Gespräche die konkreten Lösungsmöglichkeiten besser erkennbar sind.

Als Frucht der exploratorischen Gespräche sollten dann die eigentlichen Verhandlungen kürzere Zeit beanspruchen. Auf jeden Fall teilen wir Ihre Auffassung vollständig, dass von Anfang an die Zollsenkungen zwischen der Gemeinschaft einerseits und den neuen Mitgliedstaaten sowie den Ländern, die wie die Schweiz ein besonderes Verhältnis zur erweiterten Gemeinschaft eingehen, anderseits gleichzeitig in Kraft treten sollten. Dies scheint uns schon deshalb erforderlich, weil die in der EFTA erzielte Zollfreiheit ohne Störung in neue Dimensionen übergeführt werden muss.

Lassen Sie mich mit der Feststellung schliessen, dass für die Schweiz die Herstellung besonderer Beziehungen zu
den Europäischen Gemeinschaften nicht nur Selbstzweck ist. Vielmehr anerkennt sie das europäische Interesse, alle kooperationswilligen Staaten enger zusammenzuschliessen und so eine wirtschaftliche Stärkung und Konsolidierung unseres Kontinents zu erreichen. Der Wunsch der Schweiz, sich an diesem Werk zu beteiligen, entspringt dem Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und der Bereitschaft, den ihr zukommenden Beitrag an die Bewältigung gemeinsamer Aufgaben zu leisten.

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19.01.1971

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