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Bundesblatt

Bern, den 20. August 1971

123. Jahrgang

Band II

Nr. 33 Erscheint wöchentlich. Preis: Inland Fr. 44.- im Jahr, Fr.26.- im Halbjahr, Ausland Fr. 58.im Jahr, zuzüglich Nachnahme- und Postzustellungsgebühr. Inseratenverwaltung : Permedia, Publicitas-Zentraldienst für Periodika, Hirschmattstrasse 36, 6002 Luzern, Tel. 041/23 66 66

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Initiative betreffend Telefonabhörung und Immunität (Vom 2. August 1971)

A. Bericht der Kommission des Nationakates zu den Initiativen von Herrn Nationalrat Gerwig betreffend die Telefonabhörung (10619) und das Amts- und Dienstgeheimnis (10618) sowie zur eigenen Initiative der Kommission.

Herr Präsident, Verehrte Herren Kollegen, Ihre Kommission1) hatte den Auftrag, die von Herrn Nationalrat Gerwig am 18. Juni 1970 als ausgearbeitete Entwürfe eingereichten Einzelinitiativen betreffend Ergänzung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzbuches (Amts- und Dienstgeheimnis) und Ergänzung der Bundesgesetze über den Telegrafen- und Telefonverkehr und den Postverkehr (Telefonabhörung) im Sinne von Artikel 21 "eptteu des Geschäftsverkehrsgesetzes zu prüfen.

Auf Wunsch des der Kommission angehörenden Initianten wurde zuerst die Initiative betreffend die Telefonabhörung behandelt. Die Kommission erachtete eine gesetzliche Klärung des Verhältnisses der Immunität zur strafprozessualen Aufhebung des Post-, Telegrafen- und Telefongeheimnisses als notwendig, jedoch die vom Initianten vorgeschlagene Lösung als zu absolut. Sie beschloss, eine auf den Interessenausgleich bedachte Lösung als eigene Initiative einzubringen. Eine Unterkommission hat die Einzelfragen untersucht. Als Sachverständige wurden die Herren Professoren François Aubert (Universität Neuenburg), Richard Bäumlin (Universität Bern), Peter Noli (Universitäten Basel und Zürich) und Vertreter der interessierten Verwaltungsstellen beigezogen. Herr Nationalrat 1 > Der Kommission gehören an : die Nationalräte Meyer-Luzern (Präsident), Akeret, Allgöwer, Baechtold-Lausanne, Cadruvi, Conzett, Copt, Egli, Bibel, Gerwig, Götsch, Grass, Lehner, Muheim, Schalcher, Tissières, Weber-Arbon.

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370 Gerwig schliesst sich der Initiative der Kommission an und lässt seinen eigenen Vorschlag fallen. Er hat ferner mitgeteilt, dass er im Interesse einer raschen Behandlung der Kommissionsinitiative dem Nationalrat auch die Abschreibung seiner zweiten Initiative betreifend Amts- und Dienstgeheimnis beantragt.

Dieser Bericht geht auf die Einzelinitiativen von Herrn Nationalrat Gerwig soweit ein, als es bei dieser Sachlage nötig ist, und erläutert namentlich die Initiative der Kommission.

Er gliedert sich wie folgt : 1. Zusammenfassung 2. Verfahrensfragen der parlamentarischen Initiativen 21. Änderbarkeit des Initiativtextes 22. Rückzug von Initiativen 3. Immunität und Telefonabhörung 31. Die Immunität 32. Die Post-, Telegrafen- und Telefonkontrolle 33. Verhältnis von Immunität und PTT-Kontrollen 34. Die Initiative von Herrn Nationalrat Gerwig 35. Stellungnahme der Kommission 36. Lösungsvorschlag 4. Verfassungsmässigkeit 5. Erläuterung des Textvorschlages 6. Weitere Fragen der Telefonabhörung 7. Anträge 71. Telefonabhörung 72. Amts- und Dienstgeheimnis 1. Zusammenfassung Bis zur Untersuchung gegen Herrn Nationalrat Hubacher wegen des « Florida »-Protokolls war das Problem Immunität und Telefonabhörung nie aktuell geworden und darum ungeklärt geblieben.

Die Immunität für Taten im Zusammenhang mit amtlicher Stellung und Tätigkeit, die den geschützten Personen die freie Ausübung des Mandats sichert, schliesst auch Ermittlungsmassnahmen von der Art der Post- und Telefonzensur aus. Aber sie kann aufgehoben werden, ist also von Gesetzes wegen nicht absolut und soll es, namentlich aus Staatsschutzgründen, auch in Zukunft nicht sein.

Die Post und Telefonkontrolle würde gegenüber immunitätsgeschützten Personen unbrauchbar, wenn zuvor die Bundesversammlung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen müsste. Anderseits ist es undenkbar, solche Ermittlungsmassnahmen ohne Ermächtigung zuzulassen. Die Kommission beantragt daher, die Erteilung der Ermächtigung für solche Ermittlungsmassnahmen in die Zuständigkeit eines kleinen, qualifizierten Ausschusses beider Räte zu legen.

Diese Lösung darf als verfassungskonform betrachtet werden.

Beide Initiativen von Herrn Gerwig sollen, da er sie selbst nicht aufrechterhält, abgeschrieben werden.

371 2. Verfahrensfragen der parlamentarischen Initiativen 21. Änderbarkeit des Initiativtextes

In der Kommission wurde die Hypothese erwähnt, wonach der mit einer Einzelinitiative eingebrachte ausgearbeitete Entwurf nicht geändert werden dürfe, damit die Eigenart dieser Initiativenform gegenüber der allgemeinen Anregung gewahrt bleibe. Die Räte könnten den Entwurf des Initianten nur als solchen annehmen oder ablehnen und ihm allenfalls einen Gegenvorschlag (Kommissions- oder Ratsinitiative) gegenüberstellen; Änderungsanträge und -beschlüsse wie bei den Vorlagen des Bundesrates seien dagegen ausgeschlossen.

Dass die Kommission hier einen eigentlichen Gegenvorschlag, das heisst eine eigene Kommissionsinitiative, vorlegt, darf aber nicht als Übernahme der genannten Hypothese verstanden werden, denn dieser stehen gewichtige Gründe entgegen.

Es wäre eine wesentliche Erschwerung des Verfahrens, wenn bei den Initiativen in der Form des ausgearbeiteten Entwurfes selbst unbedeutende Änderungen, ja blosse redaktionelle Verbesserungen nur durch Ablehnung der ursprünglichen und Einbringen einer Gegeninitiative bewirkt werden könnten.

Der Nachteil wäre zwar gering, wenn schon die vorberatende Kommission des ersten Rates eine Änderung vorschlägt und deshalb eine Gegeninitiative präsentiert. Die Komplikation wäre unerträglich, wenn erst im Zweitrat ein Änderungsantrag gestellt wird und nun das Verfahren für die Gegeninitiative mit Begleitbericht und Stellungnahme des Bundesrates von vorn beginnen müsste, mit umgekehrter Priorität.

Auch rechtlich bestehen in bezug auf die erwähnte Hypothese erhebliche Zweifel. Offensichtlich legt das Gesetz auf die Unterscheidung der Initiativen mit allgemeiner Anregung und solchen mit ausgearbeitetem Entwurf kein besonderes Gewicht. Es lässt beide Formen zu und zieht daraus die Konsequenz, dass die vorberatende Kommission bei der allgemeinen Anregung nicht nur einen Begleitbericht, sondern auch den Entwurftext verfassen muss. Nichts aber deutet darauf hin, dass im weitern Verfahren irgendwelche Unterschiede gemacht werden sollen, dass insbesondere nur der von der Kommission auf Grund einer allgemeinen Anregung verfasste Text, nicht aber der vom Initianten selber ausgearbeitete Entwurf durch Anträge geändert werden dürfte.

Analogien zu den Volksbegehren wären unzutreffend. Der Wortlaut eines Volksbegehrens kann an der Volksabstimmung trotz einer Ablehnungsempfehlung
oder einem Gegenvorschlag der eidgenössischen Räte durchdringen, weshalb die Unabänderlichkeit des Textes sinnvoll und gegeben ist. Parlamentarische Initiativen dagegen fallen aus Abschied und Traktanden, wenn nicht beide Räte einen übereinstimmenden Wortlaut annehmen; hier ist die Möglichkeit von Textänderungen wichtig, denn sie erhöht die Erfolgsaussichten der Initiativen in Form ausgearbeiteter Entwürfe.

Es gibt also keinen ausreichenden Grund, warum ein vom Initianten ausgearbeiteter Text nicht in gleicher Weise geändert werden könnte wie Vorlagen

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des Bundesrates oder der von einer Kommission verfasste Wortlaut einer Initiative.

Wenn die Kommission ihren Gegenvorschlag hier dennoch als eigene Initiative abfasst, so geschieht dies aus einem ändern Grunde. Die Lösung der Kommission unterscheidet sich inhaltlich so stark vom Vorschlag des Initianten, Herrn Nationalrat Gerwig, dass es den wirklichen Urheber-Verhältnissen schwerlich entspräche, wenn auch diese Lösung noch unter seinem Namen liefe.

22. Rückzug von Initiativen Das Geschäftsverkehrsgesetz und die Ratsreglemente regeln den Rückzug nicht, weder für die Initiativen noch für die übrigen parlamentarischen Geschäfte. Bei diesem Stand der Vorschriften ist davon auszugehen, dass ein Geschäft, das einmal bei einem Rat formell hängig ist, nicht ohne Beschluss des Rates abgesetzt werden kann. Fraglich könnte höchstens sein, von welchem Moment an ein Geschäft formell hängig ist, schon mit seiner kanzleimässigen Registrierung, mit der Bekanntgabe im Rate oder erst mit der ersten Verfügung des Rates (Prioritätszuteilung, Bestellung einer Ad-hoc-Kommission oder Zuweisung an eine ständige Kommission); an der Hängigkeit der Initiativen Gerwig besteht jedoch kein Zweifel. Der Rückzug einer Initiative durch den Initianten bedeutet in diesem Fall also lediglich einen Antrag an den Rat auf Nichteintreten bzw. Abschreibung. Anderseits aber darf man sich darauf verlassen, dass der Rat dem vom Initianten selbst gestellten Abschreibungsantrag zustimmen wird, zumal jedes Ratsmitglied, wenn es wollte, den Gegenstand mit einer eigenen Initiative wieder aufgreifen könnte.

Offen ist nur noch, wie weit die Aufgabe der vorberatenden Kommission geht, wenn sie weiss, dass der Initiant seinen Vorschlag zurückzieht.

Artikel 218eP*les des Geschäftsverkehrsgesetzes verpflichtet die Kommission, das Ergebnis ihrer Beratungen zusammen mit einem erläuternden Bericht dem Bundesrat zur Stellungnahme zu überweisen. Dies dürfte jedoch eine materielle Prüfung der Initiative voraussetzen und passt nicht für den Fall, dass der Initiant die Initiative vorweg zurückziehen will und kein Kommissionsmitglied auf die Weiterbehandlung der Initiative Wert legt. In einem solchen Falle muss es aus Gründen der Verfahrensökonomie möglich sein, dass die Kommission von einer einlässlichen Prüfung der abzuschreibenden Initiative absieht,
auf die Einholung der Stellungnahme des Bundesrates verzichtet und dem Rat direkt die Abschreibung der Initiative beantragt.

Das Problem zeigt sich im vorliegenden Falle nicht bei der Initiative betreffend Telefonabhörung, weil sie durch die Gegeninitiative der Kommission, die ihrerseits einen Begleitbericht und eine Stellungnahme des Bundesrates erfordert, abgelöst wird. Aktuell ist die Frage dagegen für die Initiative betreffend Amts- und Dienstgeheimnis, die ohne Ersatz zurückgezogen wird. Für diese Initiative wird dem Rat direkt und ohne materielle Prüfung die Abschreibung beantragt (vgl. Ziff. 72).

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3. Immunität und Telefonabhörung 31. Die Immunität

Es sind drei Fälle zu unterscheiden: 1. Nach Artikel 2 Absatz 2 des Verantwortlichkeitsgesetzes können die Mitglieder des National- und Ständerates und des Bundesrates für die in der Bundesversammlung oder in ihren Kommissionen abgegebenen Voten nicht verantwortlich gemacht werden (sogenannte Unverantwortlichkeit bzw. Redefreiheit, bzw. Wortprivileg, bzw. reine Immunität), 2. Gemäss Artikel l des Bundesgesetzes über die politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft kann gegen Mitglieder der beiden Rate während der Dauer der Bundesversammlung eine polizeiliche oder gerichtliche Verfolgung wegen Verbrechen oder Vergehen ohne Zusammenhang mit ihrer amtlichen Stellung nur eingeleitet werden, wenn der Betroffene selber schriftlich oder der Rat, dem er angehört, die Zustimmung gibt ; die vorsorgliche Verhaftung wegen Fluchtverdachts oder Ergreifens auf frischer Tat erfordert die nachträgliche Zustimmung des Rates, um die innert 24 Stunden nachgesucht werden muss (Verfolgungsprivileg I).

3. Nach Artikel 14 des Verantwortlichkeitsgesetzes bedarf die Strafverfolgung von Mitgliedern des National- oder des Ständerates und der von der Bundesversammlung gewählten Behördemitglieder und Magistratspersonen wegen strafbarer Handlungen, die sich auf ihre amtliche Tätigkeit oder Stellung beziehen, einer Ermächtigung der eidgenössischen Räte (Verfolgungsprivileg II).

Alle drei Formen der Immunität sind den geschützten Personen nicht als ein eigentliches Privileg gewährt, das heisst als unbegründete Bevorzugung, welche gegen die Rechtsgleichheit des Artikels 4 der Bundesverfassung verstossen würde, sondern sollen ihnen die freie Ausübung ihres Mandates gewährleisten.

Verschiedene Einzelfragen der Immunität sind ungeklärt, weil Anwendungsfälle sehr selten sind und sich keine Rechtspraxis bilden konnte.

Im gegenwärtigen Zusammenhang spielt die sogenannte Unverantwortlichkeit keine Rolle; denn zwischen den Voten im Plenum der Rate oder in den Kommissionen und der Post- und Telefonkontrolle besteht keinerlei Zusammenhang.

Von den beiden Verfolgungsprivilegien steht jenes wahrend der ganzen Dauer des Mandates für Straftaten mit Amtsbeziehung (Verfolgungsprivileg II) hier stark im Vordergrund. Das Verfolgungsprivileg I für Straftaten ohne Amtsbezug, beschränkt auf die Sessionen, ist in diesem Zusammenhang von geringerer Bedeutung; die Kommission sah keine Notwendigkeit zu gesetzlichen Präzisierungen bei dieser Form des Verfolgungsprivilegs.

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32. Die Post-, Telegrafen- und Telefonkontrolle Artikel 36 der Bundesverfassung erklärt das Post- und Telegrafenwesen zur Bundessache und gewährleistet die Unverletzlichkeit des Post- und Telegrafengeheimnisses. Seit der Einführung des Telefons gilt dies implizite auch für Telefonwesen und Telefongeheimnis.

Die Ausnahmen von Post-, Telegrafen- und Telefongeheimnis sind im Telegrafen- und Telefonverkehrsgesetz (Art. 7) und im Postverkehrsgesetz (Art. 6) geregelt. Die Revision der einschlägigen Bestimmungen vom 20. Dezember 1968 (AS 1969 1117) erstrebte eine Einschränkung der Post-, Telegrafen- und Telefonkontrollen. Sie sind nur noch möglich zur Strafuntersuchung oder Verhinderung von Verbrechen sowie der Vergehen gegen Staat, Landesverteidigung und Wehrkraft des Landes. Der Kreis der zur Veranlassung solcher Kontrollen zuständigen Behörden wurde beschnitten.

Die PTT-Betriebe haben bei Gesuchen um die Vornahme der Kontrolle nicht zu fragen, ob die Massnahmen nach dem massgebenden kantonalen Strafprozessrecht zulässig, noch ob sie für die jeweilige Untersuchung zweckmässig und notwendig sind, sondern müssen dafür auf die Angaben der ersuchenden Behörde abstellen, die dafür allein verantwortlich ist. Die PTTBetriebe haben die Gesuche nur auf ihre formelle Zulässigkeit, d. h. daraufhin zu prüfen, ob die ersuchende Behörde zuständig und der angegebene Grund gesetzmässig sei (BGE 79IV 179 Erw. 3).

33. Verhältnis von Immunität und PTT-KontrolIen

Das Problem Immunität und Telefonabhörung wurde bis vor kurzem kaum beachtet, war nie praktisch geworden und ist in der Literatur anscheinend nicht behandelt.

Bei den militärgerichtlichen Ermittlungen gegen den damals unbekannten Täter, der Herrn Nationalrat Hubacher das vertrauliche bzw. geheime «Florida»-Protokoll zugestellt hatte (vgl. dazu Amtl. Bull. 1970 N 410 S 249), ist auf Veranlassung des militärischen Untersuchungsrichters das Telefon von Herrn Nationalrat Hubacher abgehört worden. Der Untersuchungsrichter scheint zuvor ein Ermächtigungsgesuch an die Bundesversammlung, das die Massnahme vereitelt hätte, auch deswegen nicht gestellt zu haben, weil er Herrn Hubacher noch keiner strafbaren Handlung bezichtigte oder ihn nicht als Nationalrat, sondern nur als Redaktor beteiligt sah oder weil er die Telefonabhörung noch nicht als Massnahme der Strafverfolgung, sondern nur als eine der eigentlichen Strafverfolgung vorausgehende Ermittlungshandlung betrachtete. Bei der Verhandlung über das vom Untersuchungsrichter später eingereichte Gesuch um Ermächtigung zur Strafverfolgung von Herrn Nationalrat Hubacher ist auf die mögliche Beeinträchtigung der Ausübung des parlamentarischen Mandates durch Telefonabhörung hingewiesen worden.

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34. Die Initiative von Herrn Nationalrat Gerwig Die Initiative Gerwig vom 18. Juni 1970 (10 619) auf Ergänzung der Bundesgesetze betreffend den Telegrafen- und Telefonverkehr und den Postverkehr (Telefonabhörung) lautet wie folgt : «In Beantwortung einer Interpellation Gerwig über die .Florida-Angelegenheit' im Dezember 1969 hat Bundesrat Gnägi dem Parlament mitgeteilt, dass das Telefon von Nationalrat Hubacher abgehört worden sei.

Durch die Verfassung haben die Mitglieder der eidgenössischen Räte das Kontrollrecht über den Bundesrat, die Verwaltung, die Justiz und die Militärjustiz. Aus diesem Verfassungsauftrag heraus ist es rechlich unstatthaft, dass Parlamentarier ausgerechnet von jenen Stellen kontrolliert werden können, die sie kontrollieren müssen. Ich schlage daher vor, es sei 1. das Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über die Änderung des Bundesgesetzes betreffend den Telegrafen- und Telefonverkehr durch einen neuen Absatz 5 von Artikel 7 wie folgt zu ergänzen : ««Diese Vorschriften sind nicht anwendbar, wenn die betroffene Person Mitglied des Nationalrates, des Ständerates, des Bundesrates oder des Bundesgerichtes ist.»» 2. das Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über die Änderung des Bundesgesetzes betreffend den Postverkehr durch einen neuen Absatz 7 von Artikel 6 wie folgt zu ergänzen : ««Diese Vorschriften sind nicht anwendbar, wenn die betroffene Person Mitglied des Nationalrates, des Ständerates, des Bundesrates oder des Bundesgerichtes ist.»» Die Initiative zielt also darauf ab, die Post-, Telegrafen- und Telefonkontrolle gegenüber Mitgliedern der eidgenössischen Räte, des Bundesrates und des Bundesgerichts absolut auszuschliessen, auch für den Fall einer Strafuntersuchung wegen einer Straftat ohne Beziehung zum Amt und ohne die Möglichkeit der Ermächtigung zu Ausnahmen.

Bei der mündlichen Begründung in der Kommission betonte der Initiant, dass die Initiative keine Begünstigung der Ratsmitglieder erstrebe, sondern Würde, Einfiuss und wirksame Oberaufsicht der Bundesversammlung und eine verantwortungsbewusste Mandatsausübung ihrer Mitglieder sichern wolle.

Solche Immunität ergebe sich aus der Verfassung, mit der es nicht vereinbar sei, dass die zur Verwaltungskontrolle berufenen Parlamentarier von den dieser Kontrolle unterworfenen Beamten kontrolliert würden. Zwar schliesse die
Freiheit, welche die Initiative den Parlamentariern verschaffe, gewisse Missbrauchsrisiken ein; doch die Folgen der möglichen Missbräuche seien geringer als jene des Misstrauens, das die möglichen Post- und Telefonkontrollen erzeugten.

376 35. Die Auflassung der Kommission Einige Mitglieder der Kommission meldeten ein verbreitetes Unbehagen über Telefonabhörung gegen Parlamentarier und erklärten, dass die Voraussetzungen solcher Massnahmen allgemein immer noch zu weitmaschig seien.

Selbst als blosser Ermittlungsakt zähle die Telefonabhörung bereits zur Strafverfolgung und berühre die Immunität. Darum sei sie gegen Nationalrat Hubacher unerlaubt gewesen. Auch der Vertreter der Bundesanwaltschaft betrachtete eine Telefonabhörung ohne parlamentarische Ermächtigung gegenüber einem Mitglied der Bundesversammlung nur als zulässig ausserhalb der Session für Straftaten ohne Beziehung zur amtlichen Stellung und Tätigkeit.

Die Kommission erachtet die Immunität als unerlässlich, einerseits für den Parlamentarier in seinen Vertrauensbeziehungen mit den Bürgern, anderseits für die Wirksamkeit des Parlaments, die aus dem Handeln der einzelnen Ratsmitglieder erwächst und eine spitzelfreie Atmosphäre voraussetzt.

Aus der Verfassung, insbesondere aus der Oberaufsicht des Parlaments über die Verwaltung, kann aber kein absoluter Ausschluss der Telefonabhörung gegenüber Parlamentariern abgeleitet werden. Es geht um eine Interessenabwägung auf der Gesetzesstufe. Die Oberaufsicht steht nicht dem einzelnen Mitglied, sondern dem durch seine Mitglieder handelnden Parlament zu. Die Abhörung geschieht nicht für den einzelnen Beamten, sondern für die zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Die PTT-Betriebe, welche die Abhörung ausführen, stehen auch unter der durch die Geschäftsprüfungskommissionen ausgeübten Aufsicht der Bundesversammlung. Die Immunität in der Form des Verfolgungsprivilegs ist nicht absolut, gilt nicht für Straftaten ohne Beziehung zum Amt und kann für jene mit einer solchen Beziehung von den Räten aufgehoben werden.

Die Kommission hat sich daher praktisch einhellig gegen einen absoluten Ausschluss der Post-, Telegrafen- und Telefonkontrolle ausgesprochen. Immunität bedingt Integrität. In der rechtsstaatlichen Demokratie soll es keine unkontrollierten Aufseher geben. Die parlamentarische Immunität soll-zwar ein starker Grundsatz sein, der nur ausnahmsweise aufzuheben ist. Aber auch Mitglieder der Bundesversammlung dürfen, namentlich für Straftaten im Bereich des Staatsschutzes, nicht schlechthin gegen Verfolgungsmassnahmen geschützt sein.
36. Lösungsvorschlag Die Kommission beantragt eine Regelung der Telefonabhörung gegenüber Parlamentariern, die sich möglichst nahe an das bestehende Recht der Immunität anlehnt. Der Vorschlag stellt klar, dass die Post-, Telegrafen- und Telefonkontrollen unter den Begriff der Strafverfolgung im Sinne von Artikel 14 des Verantwortlichkeitsgesetzes (und damit auch unter jenen der polizeilichen oder gerichtlichen Verfolgung im Sinne von Art. l des Garantiegesetzes) fallen. Im Bereich der beiden Verfolgungsprivilegien sind diese Massnahmen ohne parlamentarische Ermächtigung ausgeschlossen. Die Ermächtigung soll

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nur in schweren Fällen erteilt werden. Die Ermittlungsmassnahmen würden vereitelt, wenn vorher die Ermächtigungsfrage im Plenum der Räte diskutiert und entschieden würde. Darum muss dieser Entscheid einem viel kleineren, für Geheimhaltung Gewähr bietenden parlamentarischen Organ übertragen werden.

In der Kommission wurden für diese Aufgabe zunächst die Büros oder Geschäftsprüfungskommissionen in Aussicht genommen. Es wurde angeregt, einen besondern Immunitätsausschuss beider Räte zu bilden. Man erwog auch die Bestellung eines nicht rein parlamentarischen Organs, bestehend z. B. aus den Präsidenten von Nationalrat, Ständerat, Bundesrat und Bundesgericht.

Weil aber nach geltendem Recht die Aufhebung der Immunität allein dem National- und dem Ständerat zusteht, entschloss sich die Kommission für einen rein parlamentarischen Ausschuss, bestehend aus den Präsidenten und den Vizepräsidenten der beiden Räte: eine sehr kleine Kommission, die von hohem Vertrauen getragen ist. Der Einfluss des einzelnen Ausschussmitgliedes wird dadurch begrenzt, dass für die Aufhebung der Immunität wenigstens drei der vier Stimmen nötig sind.

Die Ermächtigung, die der neue Ausschuss erteilen kann, ermöglicht nur die Post-, Telegrafen- und Telefonkontrolle. Für den weitern Gang der Strafverfolgung oder andere die Immunität berührende Massnahmen bleibt die Ermächtigung des Rates bzw. der beiden Räte notwendig.

Die Einführung des neuen Organs und des neuen Verfahrens bewirkt, dass die Immunität von den Behörden und Dienststellen der Strafverfolgung um so sorgfältiger beachtet werden muss.

Im Zweifel ist Immunität anzunehmen. Fragt es sich z. B., ob eine Straftat sich auf die amtliche Stellung und Tätigkeit oder auf den privaten Beruf eines Ratsmitgliedes bezieht, so ist nicht massgebend, ob der amtliche Charakter überwiegt oder nicht. Sobald nicht jede Beziehung zum Amt eindeutig ausgeschlossen werden kann, besteht die Immunität und ist das Ermächtigungsverfahren einzuschlagen.

4. Verfassungsmässigkeit Der Vorschlag der Kommission hält sich dicht an das bestehende Recht; er beschränkt sich in der Hauptsache darauf, dessen allgemein für die Strafverfolgung aufgestellte Regeln auf den Sonderfall der Ermittlungsmassnahmen (PTT-Kontrolle) abzuwandeln. Insoweit ist die Verfassungsmässigkeit genau gleich gegeben wie bei den
Gesetzen, deren Ergänzung oder Änderung vorgeschlagen wird.

Die Immunität wird freilich in einem Punkt ausgeweitet. Sie erfasst nach dem Vorschlag auch die Abhörung des Telefonanschlusses eines Ratsmitgliedes, die nicht für ein Verfahren gegen dieses Mitglied, sondern in einem Verfahren gegen Dritte angeordnet wird. Die Verfassungsmässigkeit dieser Bestimmung ist aber nicht zweifelhaft; sie liegt im Kompetenzbereich des Bundes für PTT-Fragen (BV Art. 36) und dient dem Schutz des von der Bundesverfassung gewährleisteten PTT-Geheimnisses.

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Eine verfassungsrechtlich nicht belanglose Neuerung stellt die Delegation einer Entscheidungsbefugnis vom Plenum der Räte an eine Kommission dar, nämlich an den aus beiden Präsidenten und Vizepräsidenten bestehenden Ausschuss. Eine solche Delegation wird grundsätzlich als unzulässig betrachtet, sowohl von der Lehre (vgl. J. F. Aubert, Traité de droit constitutionnel suisse, Nr. 1423, S. 512 ff; P. Cron, Die Geschäftsordnung der Schweiz. Bundesversammlung, S. 135; C. Burckhardt, Die parlamentarischen Kommissionen der Schweiz. Bundesversammlung, S. 195) als auch in der Praxis (vgl. W. Burckhardt, Schweiz. Bundesrecht Nr. 2083 ; Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 1954, Nr. 17, bes. S. 74).

Trotzdem widerspricht aber die Delegation der Entscheidung im vorliegenden Falle nach der Auffassung der Kommission weder dem Wortlaut noch dem Sinn der Verfassung. Zunächst ist festzuhalten, dass die Delegation der Entscheidung hier unausweichlich ist, denn der Entscheid durch das Plenum würde die angestrebte Ermittlungsmassnahme vereiteln. Ferner ist zu unterscheiden, ob die an eine Kommission zu delegierende Befugnis des Plenums diesem von der Verfassung selbst auferlegt wurde, wie die Gesetzgebung, die Aufstellung des Voranschlags und die übrigen in Artikel 85 der Bundesverfassung genannten Aufgaben, die nicht zur selbständigen Erledigung an eine Kommission delegiert werden können, oder ob es sich um Akte handelt, die nicht unmittelbar von der Verfassung vorgesehen, sondern erst durch Gesetz eingeführt wurden. Bei solchen durch das Gesetz geschaffenen Akten, wie hier einer vorliegt, muss das Gesetz auch eine gewisse Freiheit in der Ordnung der Kompetenz haben und wenigstens dann eine Kommission als zuständig erklären können, wenn etwas anderes sachlich nicht möglich ist.

5. Erläuterung der Textvorschläge Allgemeines Keine Änderung wird für das Garantiegesetz vorgeschlagen, welches das Verfolgungsprivileg I (für die Sessionsdauer in bezug auf Straftaten ohne Beziehung zum Amt) regelt. Wenn die Post- und Telefonabhörung im Bereich dieses Privilegs einmal aktuell werden sollte, wäre in analoger Anwendung von Artikel 14bls des Verantwortlichkeitsgesetzes wohl ebenfalls der aus den Präsidenten und Vizepräsidenten beider Räte bestehende Ausschuss für den Entscheid über die Ermächtigung zuständig.

Verantwortlichkeitsgesetz Artikel 14bis

Absatz 1: Es ist in erster Linie Sache der Strafverfolgungsbehörde, um die Ermächtigung für eine Telefonabhörung gegen ein Ratsmitglied zu ersuchen. Aber die PTT-Betriebe haben sich vor der Ausführung einer solchen Kontrolle zu vergewissern, ob die Ermächtigung, wenn erforderlich, vorliegt. Dies gehört zur for-

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mellen, nicht zu der gemäss BGE 79 IV 179 den PTT-Betrieben verwehrten materiellen Prüfung des Gesuches. Besteht zwischen der Strafverfolgungsbehörde und den PTT-Betrieben keine Einigkeit über die Notwendigkeit der Ermächtigung, so ist die Frage durch den parlamentarischen Ausschuss zu entscheiden.

Keine Ermächtigung ist erforderlich, wenn ein unter Telefonkontrolle stehender Dritter mit einem Ratsmitglied telefoniert und ein solches Gespräch für die Strafuntersuchung verwertet wird.

Nicht einfach ist die Lage, wenn der Anschluss eines Ratsmitgliedes zur Überwachung eines Dritten abgehört werden soll, was unter bestimmten Fällen (vgl. BGE 79 TV 179 Erw. 4, bes. S. 186) möglich ist. Eine solche ausschliesslich gegen den Dritten gerichtete Massnahme berührt nach bisherigem Recht die Immunität nicht, weil Immunität nur besteht hinsichtlich der gegen Rats- und Behördenmitglieder oder Magistratspersonen selbst gerichteten Strafverfolgungen.

Dieser Rechtszustand ist aber höchst unbefriedigend, weil ein Ratsmitglied, gegen das kein Strafvorwurf erhoben wird, vor Telefonabhòrungen usw.

weniger geschützt ist und leichter einer derartigen Massnahme unterworfen werden kann als ein Mitglied, auf dem ein Tatverdacht lastet. Die Erwägung, dass der Nichtverdächtigte des Immunitätsschutzes eben nicht bedürfe, hilft, abgesehen von ihrem sophistischen Charakter, nicht über die Inkonsequenz hinweg. Aus diesem Grunde schlägt die Kommission vor, dass PTT-Kontrollen gegenüber einem Ratsmitglied, die der Ermittlung oder Verfolgung eines Dritten dienen, in jedem Falle (d. h. auch wenn das Ratsmitglied als Täter oder an der Straftat Beteiligter ausser Betracht fällt) eine Ermächtigung durch den Ausschuss voraussetzen. Die Ermächtigung ist nur dann nicht nötig, wenn die Beziehung zwischen dem Ratsmitglied und dem zu verfolgenden Dritten das parlamentarische Mandat mit Sicherheit nicht berührt.

Absatz 2: Im Ausschuss wird den Vorsitz, da das Gesetz nichts anordnet, wie in der Vereinigten Bundesversammlung und in dem Sitzungen der vereinigten Büros der Räte der Nationalratspräsident zu führen haben. Das für die Ermächtigung jedenfalls notwendige Quorum (3 von 4 Stimmen) bedingt, dass der Vorsitzende - mit einfacher Stimme - stets mitstimmt; es gibt keinen Stichentscheid. Der Ausschuss ist verhandlungsfähig, wenn wenigstens
drei Mitglieder mitwirken.

Absatz 3: Einlässliche Richtlinien dafür, wann die Ermächtigung erteilt und wann sie verweigert werden soll, können nicht aufgestellt werden. Es handelt sich um einen Ermessensentscheid, der in pflichtgemässer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls gefällt werden muss. Dass eine Strafverfolgung an sich am

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Platze wäre, das heisst ein Strafsachverhalt wahrscheinlich ist, genügt nicht für die Erteilung der Ermächtigung. Vielmehr muss das allgemeine Interesse an der Durchführung des Strafverfahrens grösser sein als das Interesse an der ungestörten Ausübung des Amtes. Die Bewertung solcher Interessen ist nur bedingt objektivierbar.

Dem Ausschuss ist es nicht verwehrt, auch zu prüfen, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen der Massnahme gemäss dem Telegrafen- und Telefonverkehrsgesetz und dem Postverkehrsgesetz erfüllt sind. Sollte dies nicht der Fall sein, so wäre die Ermächtigung ohne weiteres zu verweigern.

Absatz 4: Die Geheimhaltungspflicht der Beteiligten gegenüber jedermann wird durch die Natur der in Frage stehenden Massnahmen erfordert. Sie bleibt bezüglich der Verhandlungen im Ausschuss auch bestehen, wenn die Tatsache der Abhörung durch den spätem Verlauf der Strafverfolgung bekannt wird.

PTT-Gesetzgebung:

Der zweite Satz, der in Artikel 7 Absatz l des Telegrafen- und Telefonverkehrsgesetzes und mit gleichen Wortlaut in Artikel 6 Absatz 3 des Postverkehrsgesetzes eingeführt wird, ist eine blosse Verweisung auf Artikel 14Ms des Verantwortlichkeitsgesetzes. Sie ist angezeigt, damit Strafverfolgungsbehörden und PTT-Betriebe der Immunitätsfrage die gebotene Aufmerksamkeit schenken.

6. Weitere Fragen der Telefonabhörung In der Kommission sind einige Fragen zutage getreten, die im Textvorschlag keine Spur hinterlassen haben. Sollte die parlamentarische Immunität nicht durch ein Zeugnisverweigerungsrecht der Ratsmitglieder ergänzt werden ? Sollten die Sanktionen des Garantiegesetzes (Art. 6) für Verletzung der Immunität durch die an der Strafverfolgung beteiligten Beamten nicht auch zum Schutz der im Verantwortlichkeitsgesetz statuierten Immunität übernommen werden ?

Man stiess auch auf Probleme der Telefonabhörung, die nicht mit der parlamentarischen Immunität zusammenhängen, und hatte den Eindruck, dass das PTT-Geheimnis und seine Ausnahmen eher lückenhaft geregelt sind. Die Ausnahmen sind trotz der Einschränkung auf die Verfolgung von Verbrechen immer noch zahlreich (weil unser Strafrecht verhältnismässig viele Tatbestände als Verbrechen qualifiziert) und sollten wohl stärker eingeschränkt werden.

Sollten nicht die Garantien gegen nicht unbedingt nötige PTT-Kontrollen verbessert werden, insbesondere für die einem besondern Berufsgeheimnis unterstehenden Personen wie Ärzte und Anwälte, und allenfalls auch für die ändern Bürger? Denkbar wäre z. B., dass alle von den Strafverfolgungsbehörden gestellten Abhörgesuche von einer neutralen Aufsichtsinstanz formell und materiell überprüft werden müssten, bevor ihnen entsprochen wird, usw.

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Aus Zeitgründen und weil die Kommission ihr Mandat (Vorberatung der Initiativen Gerwig) nicht ausweiten wollte, sah sie von der nähern Prüfung all dieser Fragen ab, und sie enthält sich auch jeglicher Empfehlung, ausser im folgenden Punkt: Die PTT-Kontrolle als Zwangs eingriff in ein verfassungsmässig gewährleistetes Individualrecht bedarf einer klaren und bestimmten gesetzlichen Grundlage. Nun regeln aber das Telegrafen- und Telefonverkehrsgesetz und das Postverkehrsgesetz nur, in welchem Rahmen die PTT-Betriebe ermächtigt und verpflichtet sind, den Gesuchen um Vornahme der Überwachungsmassnahmen zu entsprechen. Aus welchen Gründen und unter welchen nähern Voraussetzungen die Strafverfolgungsbehörden zu einem dieser Überwachungsmittel greifen dürfen, dies zu regeln ist nicht Absicht der PTT-Gesetzgebung, sondern die Aufgabe der einschlägigen Strafprozessordnungen.

Also kann die für Telefonabhörungen usw. notwendige gesetzliche Grundlage nicht in den Gesetzen über den PTT-Verkehr erblickt werden, namentlich nicht für die von den kantonalen Behörden verlangten Überwachungsmassnahmen, die sich auf kantonales Verfahrensrecht stützen müssen. Nun ist aber der Kommission von ihrem Experten für Strafverfahrensrecht mitgeteilt worden, dass die Strafprozessordnungen mancher Kantone keine Bestimmung über die Telefonabhörung enthalten. Für die von Bundesbehörden anbegehrten Telefonabhörungen, die in den einschlägigen Verfahrensvorschriften des Bundes (Art. 66 des Bundesstrafprozessgesetzes und Art. 81 der Militärstrafgerichtsordnung) nicht erwähnt sind, kann man zur Not, aber gewiss nicht zweifelsfrei, eine Gesetzesgrundlage konstruieren aus der Verbindung der eben genannten Bestimmungen mit Artikel 7 des Telegrafen- und Telefonverkehrsgesetzes.

Der Stand der Gesetzgebung ist für diesen Punkt sowohl im Bund als auch in manchen Kantonen unbefriedigend und entspricht den Erfordernissen des Rechtsstaates nicht. Die Kommission lädt darum den Bundesrat ein, einerseits die Kantone aufzufordern, innert angemessener Frist in ihren Strafprozessordnungen die erforderliche Gesetzesgrundlage für die von den PTT-Betrieben auszuführenden Überwachungsmassnahmen, insbesondere für Telefonabhörung, zu schaffen und anderseits die gebotene Ergänzung von Artikel 66 des Bundesstrafprozessgesetzes und Artikel 81 der
Militärstrafgerichtsordnung in die Wege zu leiten.

7. Anträge 71. Telefonabhörung Die Kommission beantragt Annahme ihres Initiativvorschlages und im Einvernehmen mit dem Initianten Abschreibung der Initiative Gerwig (10619) betreffend Ergänzung der Bundesgesetze betreffend den Telegrafen- und Telefonverkehr und den Postverkehr (Telefonabhörung).

382 72. Amts- und Dienstgeheimnis

Die Initiative von Herrn Nationalrat Gerwig (10618) vom 18. Juni 1970 betreffend Ergänzung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzbuches (Amts- und Dienstgeheimnis) lautet wie folgt : «Es hat sich in den letzten Jahren verschiedentlich gezeigt, dass Beamte des Bundes in einen Interessenkonflikt zwischen ihrer Pflicht zur Verschwiegenheit und ihrem Recht auf freie Meinungsäusserung geraten können. Es ist im richtig verstandenen Interesse des Staates, dass allfällige Missstände in der Verwaltung zur Kenntnis des Parlamentes gelangen können, ohne dass Beamte Gefahr laufen müssen, sich wegen Verletzung des Amts- oder Dienstgeheimnisses nach Artikel 320 des Strafgesetzbuches und nach Artikel 77 des Militärstrafgesetzbuches strafbar zu machen.

Ich schlage daher vor, es sei 1. das schweizerische Strafgesetzbuch in Ziffer 2 von Artikel 320, lautend: ««Der Täter ist nicht straf bar, wenn er das Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde geoffenbart hat»» durch folgenden Zusatz zu ergänzen: ««... oder gegenüber einem Mitglied des Nationalrates oder des Ständerates geoffenbart hat.»» 2. das Militärstrafgesetzbuch durch eine neue Ziffer 3 von Artikel 77 wie folgt zu ergänzen: « «Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis gegenüber einem Mitglied des Nationalrates oder des Ständerates geoffenbart hat.»» Angesichts der vom Initianten gemeldeten Rückzugsabsicht hat die Kommission auf die inhaltliche Prüfung der Initiative verzichtet. Es sei lediglich erwähnt, dass die Vorschläge des Initianten nicht nur das Strafrecht betreffen, sondern auch die Bestimmungen des Geschäftsverkehrsgesetzes über die Auskunftspflicht der Beamten und die Pflicht zur Aktenherausgabe gegenüber parlamentarischen Kommissionen berühren. Sie würden sich wohl ebenfalls nicht in ihrer absoluten Form verwirklichen lassen.

Im Einvernehmen mit dem Initianten, der beabsichtigt, das Problem später in einer neuen Initiative als allgemeine Anregung wieder aufzugreifen, beantragt die Kommission, die Initiative abzuschreiben.

Bern, den 2. August 1971 Im Namen der Kommission Der Präsident: H. R. Meyer (Luzern)

383

B. Text der Initiative der Kommission

Bundesgesetz über die Änderung von Bestimmungen betreffend das Post-, Telefon- und Telegrafengeheimnis und die Immunität Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf die Initiative einer Kommission des Nationalrates, nach Einsicht in den Bericht dieser Kommission vom 2. August 1971x > und in den Bericht des Bundesrates vom 1971, beschliesst:

Das Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. März 1958 2 > wird wie folgt ergänzt : Art. W>ls (neu) 1 Eine Ermächtigung ist auch erforderlich, wenn das Post-, Telefon- und Telegrafengeheimnis'gemäss Artikel 7 des Telegrafen- und Telefonverkehrsgesetzes oder Artikel 6 des Postverkehrsgesetzes aufgehoben werden soll gegenüber einer der in Artikel 14 genannten Personen zur Verfolgung oder Verhinderung einer strafbaren Handlung, die mit ihrem Amt zusammenhängt. Die Ermächtigung ist stets erforderlich, wenn mit Massnahmen gegen eine dieser Personen ein Dritter überwacht werden soll, mit dem sie auf Grund ihres Amtes in Beziehung steht.

2 Über Erteilung oder Verweigerung der Ermächtigung entscheidet in diesen Fällen eine Kommission, die aus den Präsidenten und den Vizepräsidenten beider Räte besteht. Wenn nicht mindestens drei Kommissionsmitglieder zustimmen, ist die Ermächtigung verweigert.

3 Die Ermächtigung wird erteilt, wenn das Interesse an der ungestörten Ausübung des Amtes vor überwiegenden anderen Interessen zurückzutreten hat.

4 Die Verhandlungen und Beschlüsse der Kommission sind geheim.

*> BEI 1971 II 369

"> AS 1958 1413 (SR 170.32)

384

II

Das Telegrafen- und Telefonverkehrsgesetz vom 14. Oktober 19221* wird wie folgt geändert : Art. 7 Abs. l 1 Die Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe sind auf schriftliches Gesuch der zuständigen eidgenössischen Justiz- oder Polizeibehörden oder der zuständigen kantonalen Justizbehörden zur Auslieferung von dienstlichen Aufzeichnungen über den Telefonverkehr oder von Telegrammen sowie zur Auskunfterteilung über den Telefon- oder Telegrammverkehr bestimmter Personen verpflichtet, wenn es sich um eine Strafuntersuchung wegen eines Verbrechens oder um seine Verhinderung handelt. Für Mitglieder des Nationalrates und des Ständerates und für die von der Bundesversammlung gewähltenBehördemitglieder und Magistratspersonen bleibt Artikel 14bls des Verantwortlichkeitsgesetzes2* vorbehalten.

III

Das Postverkehrsgesetz vom 2. Oktober 19243) wird wie folgt geändert: Art. 6 Abs. 3 3

Die Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe sind auf schriftliches Gesuch der zuständigen eidgenössischen Justiz- oder Polizeibehörden oder der zuständigen kantonalen Justizbehörden zur Auslieferung von Postsendungen, angewiesenen Beträgen und Guthaben von Rechnungsinhabern sowie zur Auskunfterteilung über den Postverkehr bestimmter Personen verpflichtet, wenn es sich um eine Strafuntersuchung wegen eines Verbrechens oder um seine Verhinderung handelt. Für Mitglieder des Nationalrates und des Ständerates und für die von der Bundesversammlung gewählten Behördemitglieder und Magistratspersonen bleibt Artikel 14b)s des Verantwortlichkeitsgesetzes2) vorbehalten.

IV Dieses Gesetz unterliegt dem fakultativen Referendum.

Es wird vom Bundesrat sobald als möglich in Kraft gesetzt.

1940

*> BS 7 867, AS 1969 1117 (SR 784.10) > AS 1958 1413 (SR 170.32) "> BS 7 754, AS 1969 1117 (SR 783.0) a

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Initiative betreffend Telefonabhörung und Immunität (Vom 2. August 1971)

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