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Stellungnahme des Bundesrates an die Bundesversammlung zur Initiative von Herrn Nationalrat Caroni betreffend Mieterschutz (Vom 15. September 1971)

Herr Präsident, Hochgeehrte Herren, Herr Nationalrat Caroni hat am 2. Juni 1971 eine Initiative im Sinne von Artikel 93 Absatz l der Bundesverfassung eingereicht. Die vorberatende Kommission des Nationalrates hat der Initiative zugestimmt und sie mit ihrem Bericht gemäss Artikel 21septies des Geschäftsverkehrsgesetzes dem Bundesrat zur Stellungnahme überwiesen.

Der Initiative liegt die Auffassung zugrunde, dass Kündigungen wegen Veräusserung der Mietliegenschaft (Art. 259 OR) oder wegen Todes des Mieters (Art. 270 OR) von den am 19. Dezember 1970 in Kraft getretenen obligationenrechtlichen Bestimmungen über Kündigungsbeschränkungen im Mietrecht nicht erfasst würden. Da sich ein Ausschluss dieser Kündigungen vom Mieterschutz aber nicht rechtfertigen lasse, sei das Obligationenrecht entsprechend zu ergänzen.

Bei Mietverträgen, die auf unbestimmte Dauer abgeschlossen sind, setzt die Befugnis des Richters zur Erstreckung des Mietverhältnisses eine «nach Artikel 267 gültige Kündigung» voraus. Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Schutzbestimmungen auf jene Mietverträge beschränkt wissen, die durch Kündigung im Sinne von Artikel 267 OR aufgelöst werden ; die übrigen Fälle der Vertragsauflösung sollten ausgeklammert bleiben.

Unter der Herrschaft des Mietnotrechts hat das Bundesgericht erklärt, es wäre willkürlich, bei einer Kündigung nach Artikel 270 OR die Anwendung der Schutzbestimmungen zu verweigern, da nach Sinn und Zweck des Mieterschutzes kein Grund bestehe, diese Kündigung anders zu behandeln als jene nach Artikel 267 OR (BGE 801 312). Man könnte sich fragen, ob auf Grund dieser Praxis nicht davon ausgegangen werden dürfte, für den Einbezug von Artikel 270 OR in den Kündigungsschutz dränge sich auch heute keine Sondernorm auf.

Eine ausdrückliche Klarstellung im Gesetz weist freilich Vorzüge auf, denen 1971 - 800

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sich der Bundesrat nicht verschliesst. Er kann sich daher mit der vorgeschlagenen Lösung einverstanden erklären.

Den Fall des Artikels 259 OR als von den Kündigungsbeschränkungen erfasst anzusehen, wäre dagegen nicht unbedenklich. Abgesehen davon, dass man schon im Mietnotrecht davon ausging, die Unterstellung dieses Falles unter den Kündigungsschutz bedürfe einer ausdrücklichen Vorschrift, ist die Rechtslage anders als bei Artikel 270 OR : Veräussert der Vermieter die Mietliegenschaft oder wird sie ihm in einem Betreibungs- oder Konkursverfahren entzogen, so tritt der Erwerber nicht automatisch in das Mietverhältnis ein.

Will dieser indessen den Vertrag nicht fortsetzen, so muss er ihn kündigen, wodurch er aber nicht zum Vermieter im Sinne der Artikel 267 a ff. OR wird.

Es ist vornehmlich eine politische Frage, ob die seit dem 19. Dezember 1970 in Kraft stehenden Kündigungsbeschränkungen auch auf den Fall des Artikels 259 OR ausgedehnt werden sollen. Der Bundesrat betrachtet eine solche Ausdehnung als begrüssenswerte Verstärkung des Mieterschutzes; er stimmt daher der Initiative auch insofern zu. Dass hier die Schutzbestimmungen nur «sinngemäss» angewendet werden können, ist bereits im Kommissionsbericht festgestellt worden.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, den Ausdruck unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, 15. September 1971 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident : Gnägi Der Bundeskanzler: Huber 2018

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Stellungnahme des Bundesrates an die Bundesversammlung zur Initiative von Herrn Nationalrat Caroni betreffend Mieterschutz (Vom 15. September 1971)

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01.10.1971

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