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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die 54. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz und

Botschaft betreffend die Genehmigung des Übereinkommens Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit (Vom 20. Oktober 1971)

Herr Präsident, Hochgeehrte Herren, Gemäss den Bestimmungen der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) erstatten wir Ihnen Bericht über die 54. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz. Gleichzeitig stellen wir Antrag auf Genehmigung und Ermächtigung zur Ratifikation des von der Internationalen Arbeitskonferenz im Jahre 1951 angenommenen Übereinkommens Nr. 100.

Übersicht Im ersten Abschnitt (I) wird in üblicher Weise über die Tagungsgeschäfte orientiert. Der zweite Abschnitt (II) bezieht sich auf das Übereinkommen Nr. 132 über den bezahlten Jahresurlaub (Ferien). Der dritte Abschnitt (III) ist dem Übereinkommen Nr. 131 und der Empfehlung Nr. 135 betreffend das Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen, besonders unter Berücksichtigung der Entwicklungsländer, gewidmet. Der vierte Abschnitt (IV) behandelt die Empfehlung Nr. 136 betreffend Sonderprogramme für die Beschäftigung und Ausbildung Jugendlicher zu Entwicklungszwecken. Im fünften Abschnitt (V) kommen wir auf das in den bundesrätlichen Berichten über die 34., 38. und 39. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz behandelte Übereinkommen Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit zurück und stellen Ihnen einen neuen Antrag.

1531 L Tagesordnung, Verhandlungen und Beschlüsse der Konferenz 1. Die 54. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz fand vom 3. bis 25. Juni 1970 im Palais des Nations in Genf statt.

Die Tagesordnung lautete wie folgt : 1. Bericht des Generaldirektors ; 2. Programm- und Budgetvorschläge und anderefinanzielleFragen ; 3. Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen; 4. Bezahlter Urlaub (2. Beratung) ; 5. Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen und damit zusammenhängende Probleme, besonders unter Berücksichtigung der Entwicklungsländer (2. Beratung); 6. Sonderprogramme für die Beschäftigung und Ausbildung Jugendlicher zu Entwicklungszwecken (2. Beratung); 7. Gewerkschaftliche Rechte und ihre Beziehungen zu den bürgerlichen Freiheiten; 8. Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb.

2. Die schweizerische Delegation war gemäss den Regeln der IAO dreigliedrig zusammengesetzt. Sie bestand aus den Regierungsvertretern Botschafter Dr. Albert Grübel, Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit, und Minister Dr. Cristoforo Motta, stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung, sowie René Grever, Adjunkt des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit, als stellvertretendem Delegierten. Es gehörten ihr ferner Rudolf Huber-Rübel, Präsident des Verwaltungsrates der Maschinenfabrik Oerlikon, als Arbeitgeberdelegierter, und Guido Nobel, Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes , als Arbeitnehmerdelegierter an. Einige technische Berater ergänzten die Delegation.

3.111 der 121 Mitgliedstaaten waren an der 54. Tagung vertreten.

V. Manickavasagam, Arbeitsminister von Malaysia, wurde zum Vorsitzenden der Konferenz gewählt.

4. Im Verlaufe einer besonderen Sitzung ergriff V. V. Giri, Präsident der Republik Indien, das Wort. Er betonte die Wichtigkeit der Rolle, die die IAO im Kampfe gegen die Armut zu spielen habe und erklärte, es müssten wirksame Massnahmen zur Schaffung ausreichender Beschäftigungsmöglichkeiten zwecks Hebung des Lebensstandards der Weltbevölkerung ergriffen werden.

5. Die Traktanden Bericht des Generaldirektors, Budget sowie Mitteilungen und Berichte über die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen stehen jedes Jahr auf der Tagesordnung.

Mehr als 200 Redner ergriffen als Vertreter der Regierungen, der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der gouvernementalen und nichtgouvernementalen

1532 internationalen Organisationen das Wort zur allgemeinen Diskussion des Berichtes über «Armutund Mindestlebensstandard».

In seiner Antwort an die verschiedenen Redner erklärte der neue Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes (IAA), Wilfred Jenks, die IAO habe auf dem Gebiete der Beschàftigungspolitik durch ihr Weltbeschäftigungsprogramm einen schöpferischen Beitrag geleistet; jetzt müsse sie einen gleichwertigen Beitrag auch auf ändern wichtigen Gebieten erbringen, namentlich dort, wo sich die Sozialpolitik und die entscheidenden Probleme der Weltwirtschaftspolitik berühren. Ferner müsse sie ihre Tätigkeit auf regionaler und industrieller Ebene intensivieren, ihre Zusammenarbeit mit ändern internationalen Institutionen entwikkeln sowie ihre Dezentralisierungsbestrebungen fortführen.

6. Die Konferenz hat im Voranschlag einen zusätzlichen Posten von ungefähr l 430 000 Dollar genehmigt zwecks Gewährung einer Subvention an das Internationale Zentrum für berufliche und fachliche Fortbildung in Turin sowie für Rückerstattungen an das Vorschusskonto (Punkt 2 der Tagesordnung). Diese Erhöhung wurde für die Schweiz dadurch kompensiert, dass ihr Kostenanteil, der ursprünglich auf 1,24 Prozent aller Ausgaben der Organisation festgesetzt war, ab 1971 auf l ,18 Prozent gesenkt wurde. Der Beitrag, der 1970 369 960 Dollar betrug, beläuft sich für 1971 auf 368 931 Dollar.

7. Zu Punkt 3 der Tagesordnung betreffend die Anwendung der Übereinkommen und Empfehlungen ist für das Berichtsjahr nichts zu bemerken. Zu den Sachfragen (Punkte 4-8 der Tagesordnung) fasste die Konferenz die folgenden Beschlüsse: 8. Nach der zweiten Beratung über Punkt 4 der Tagesordnung - die erste fand 1969 statt - nahm die Konferenz ein Übereinkommen über den bezahlten Jahresurlaub (Ferien) an, dessen Text im Anhang I wiedergegeben ist. Wir kommen im Abschnitt II auf diesen Punkt zurück.

9. Eine zweite Beratung war ferner dem Problem der Festsetzung von Mindestlohnen (Punkt 5 der Tagesordnung) gewidmet. Sie führte zur Annahme eines Übereinkommens und einer Empfehlung. Auch diese Texte, auf die wir im Abschnitt III zurückkommen werden, sind im Anhang I aufgeführt.

10. Ebenfalls eine zweite Beratung fand statt über Sonderprogramme für die Beschäftigung und Ausbildung Jugendlicher zu Entwicklungszwecken (Punkt 6 der Tagesordnung). Sie
führte zur Annahme eines Übereinkommens, das im Anhang I wiedergegeben ist und auf das wir im Abschnitt IV zurückkommen werden.

11. Als Schlussfolgerung aus den Diskussionen zu Punkt 7 der Tagesordnung stimmte die Konferenz einer Resolution zu über die Tätigkeit der IAO auf dem Gebiete der gewerkschaftlichen Rechte und deren Beziehungen zu den bürgerlichen Freiheiten. Diese Resolution befürwortet neue internationale Normen zur Erweiterung der gewerkschaftlichen Rechte unter Berücksichtigung der bürgerlichen Freiheiten, die zu ihrer Ausübung unerlässlich sind.

12. Zu Punkt 8 der Tagesordnung erarbeitete die Konferenz den Vorentwurf zu einer Empfehlung über Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb, Die zweite Beratung wird 1971 stattfinden.

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13. Ausserhalb der Tagesordnung f asste die Konferenz eine Reihe von Resolutionen, die folgende Fragen betreffen : die Beieinigung der Tabelle I (Liste der Berufskrankheiten) des Übereinkommens Nr. 121 von 1964 über die Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten; die Tätigkeit der IAO auf dem Gebiete der Arbeiterbildung; die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer; die Teilnahme der IAO an der Internationalen Konferenz der Vereinten Nationen von 1972 über die Umwelt des Menschen; die Revision des vom IAA zuhanden der Regierungen und der Privatindustrie veröffentlichten Musterreglements über die Sicherheit in industriellen Betrieben ; die Redefreiheit der nichtgouvernementa]en Delegierten in den Sitzungen der IAO.

14. Die Konferenz beschloss im Sinne der stattgefundenen Diskussionen in der Strukturkommission, alle offenen Strukturfragen zur neuerlichen Prüfung an den Verwaltungsrat zurückzuweisen. Vermutlich wird bei Anlass der 56. Tagung wiederum eine Sonderkommission zum weiteren Studium dieser Fragen eingesetzt werden.

15. Schliesslich nahm die Konferenz Kenntnis vom sechsten Sonderbericht des Generaldirektors über die Anwendung der Erklärung über die Apartheidpolitik der Südafrikanischen Republik.

u. Übereinkommen (Nr. 132) über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung vom Jahre 1970) 1. Ziel und Inhalt des Übereinkommens Die Konferenz nahm ein neues Übereinkommen über den bezahlten Urlaub an1). Gemäss Artikel 2 Absatz l gilt dieses Übereinkommen für alle Arbeitnehmer mit Ausnahme der Seeleute. Gemäss Artikel 15 können jedoch die Mitgliedstaaten, die das Übereinkommen nicht als Ganzes ratifizieren wollen, die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen getrennt übernehmen, einerseits für Wirtschaftszweige ausserhalb der Landwirtschaft, oder für die Landwirtschaft anderseits. Des weiteren erlaubt Artikel 2 Absatz 2, dass bestimmte Arbeitnehmergruppen von der Anwendung des Übereinkommens ausgenommen werden, wenn aus der Durchführung oder hinsichtlich verfassungsrechtlicher oder gesetzgeberischer Fragen besondere Probleme von erheblicher Bedeutung entstehen.

Artikel 3 Absatz 3 enthält den Kernpunkt des Übereinkommens. Er bestimmt, dass die bezahlten Ferien «auf keinen Fall weniger als drei Arbeitswochen für ein Dienstjahr» betragen dürfen.

Gemäss Artikel 7 muss den Arbeitnehmern für die ganze
Feriendauer mindestens der normale oder durchschnittliche Lohn, einschliesslich Naturallohn gewährt werden. Nach Artikel 13 können besondere Regelungen getroffen werden für den Fall, dass der Arbeitnehmer während der Ferien eine Erwerbstätigkeit ü In der Schweiz sprechen wir in diesem Zusammenhang nicht von «Urlaub», sondern von Ferien. Unter Urlaub werden bei uns in der Regel die Absenzen infolge persönlicher oder familiärer Ereignisse verstanden.

1534 ausübt, die mit dem Ferienzweck unvereinbar ist. Im übrigen sind gemäss Artikel 14 wirksame Massnahmen zu treffen, um die ordnungsgemässe Anwendung und Durchsetzung der Vorschriften über die bezahlten Ferien zu gewährleisten.

Die übrigen Bestimmungen des Übereinkommens betreffen die Begriffsumschreibung, die praktische Anwendung sowie den Schutz des Anspruchs auf Ferien. So schreibt das Übereinkommen vor (Art. 4 Abs. 1), dass einer Person, die nicht Anspruch auf die vollen Ferien hat, eine Feriendauer im Verhältnis zu ihrer Dienstzeit gewährt werden müsse. Artikel 5 Absatz 2 begrenzt des weitern die minimale Dauer des Arbeitsverhältnisses für die Entstehung eines Anspruchs auf bezahlte Ferien auf sechs Monate. Ferner bestimmt das Übereinkommen, dass die Feiertage nicht an die Feriendauer anzurechnen sind (Art. 6). Es stellt Richtlinien hinsichtlich des Bezuges, der Aufteilung und des Aufschubs der Ferien auf (Art. 8, 9 und 10). Es schützt ferner den Ferienanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 11). Schliesslich empfiehlt es ein Verbot der Abgeltung des Ferienanspruches durch Geldleistungen (Art. 12).

Das Übereinkommen bezweckt die Neuordnung beziehungsweise den Ersatz des Übereinkommens Nr. 52 von 1936 über den bezahlten Urlaub (Ferien) und des Übereinkommens Nr. 101 von 1952 über den bezahlten Urlaub in der Landwirtschaft. Beide Übereinkommen wurden von der Schweiz nicht ratifiziert ; das letztgenannte steht zur Ratifikation noch offen. Die Bedeutung der vorgenommenen Änderungen kann man ermessen, wenn man die Bestimmungen des neuen Übereinkommens mit denjenigen der beiden früheren vergleicht: das Übereinkommen Nr. 101 legt kein Minimum fest, während das Übereinkommen Nr. 52 nur sechs Arbeitstage nach einem Jahr ununterbrochenen Dienstes vorschreibt; sogar die Empfehlung Nr. 98 über den bezahlten Urlaub von 1954 sieht nur eine Feriendauer von zwei Arbeitswochen vor.

2. Stellungnahme zum Übereinkommen Ein Vergleich des Übereinkommens mit unserer Gesetzgebung ergibt folgende Differenzen : a. Artikel 3 Absatz 3 des Übereinkommens schreibt eine Mindestdauer der Ferien von drei Arbeitswochen vor. Bei uns hat dagegen ein erwachsener Arbeitnehmer gestützt auf Artikel 341Ms des Obligationenrechts (eingeführt durch Art. 64 des Arbeitsgesetzes) Anspruch auf jährliche bezahlte Ferien
von mindestens zwei Wochen. Drei Wochen stehen nur den jugendlichen Arbeitnehmern bis zum vollendeten 19. Altersjahr sowie den Lehrlingen bis zum vollendeten 20. Altersjahr zu (Abs. 1). Die Kantone können freilich die Mindestdauer bis auf drei Wochen erhöhen (Abs. 2). Bis 1. Januar 1971 hatten zwölf Kantone die Feriendauer auf drei Wochen verlängert, und zwar grundsätzlich für alle Arbeitnehmer mit privatrechtlichem Arbeitsvertrag. Es handelt sich um die Kantone Bern, Freiburg, Genf, Glarus, Luzern, Neuenburg, Schaffhausen, Tessin, Wallis, Waadt, Zug und Zürich. Diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen.

1535 Des weiteren bestimmt Artikel 341Ws Absatz 7 des Obligationenrechts, dass durch Gesamtarbeitsvertrag oder Normalarbeitsvertrag eine von den Bestimmungen der Absätze l und 2 abweichende Regelung getroffen werden kann, durch Gesamtarbeitsvertrag jedoch nur unter der Voraussetzung, dass eine für den Arbeitnehmer im ganzen mindestens gleichwertige Regelung getroffen wird. Dazu ist zu bemerken, dass gemäss Artikel 329 e Absatz l des Bundesgesetzes über die Revision des Zehnten Titels und des Zehnten Titels bls des Obligationenrechts (Der Arbeitsvertrag) die Gleichwertigkeit ebenfalls gegeben sein muss, wenn die abweichende Regelung durch Normalarbeitsvertrag getroffen wird. Nach der gegenwärtigen Regelung kann m einem Gesamtarbeitsvertrag die gesetzliche Mindestdauer unterschritten werden, wenn anderseits zugunsten von Arbeitnehmern mit einer bestimmten Anzahl Dienstjahren oder von einem gewissen Alter an längere als die gesetzlichen Ferien zugestanden werden. So könnten zum Beispiel für die Altersklassen von 19-28 Jahren l % Wochen, für jene von 29-40 Jahren 2 Wochen und für jene von mehr als 40 Jahren 2 % Wochen Ferien vereinbart werden, oder es konnte in gleicher Weise unterschieden werden für Arbeitnehmer mit 5, 10 und mehr Dienstjahren. Eine analoge Abstufung könnte auch in jenen Kantonen vorgenommen werden, die die Mindestferien auf drei Wochen verlängert haben.

Diese Möglichkeit von abweichenden Vereinbarungen steht im Widerspruch zum Übereinkommen, das keine Ausnahmen vorsieht und infolgedessen keine Verkürzungen des Mindestferienanspruches von drei Wochen zulässt.

b. Artikel 14 des Übereinkommens schreibt vor, dass über eine angemessene Aufsicht oder durch andere Mittel wirksame Massnahmen getroffen werden müssen, um die ordnungsgemässe Anwendung und Durchsetzung der Bestimmungen zu gewährleisten. Das bedeutet, dass diese Vorschriften mittels Verwaltungsmassnahmen durchzusetzen wären. Unsere Bestimmungen über die Ferien beruhen auf Privatrecht. Deren Durchsetzung liegt, obwohl es sich um zwingendes Recht handelt, im Ermessen der Vertragsparteien, die im Streitfall den Zivilrichter anrufen können. Eine staatliche Aufsicht über die Gewährung der Mindestferien besteht nicht. Auch die ehemals öffentlichrechtlichen kantonalen Ferienvorschriften, welche längere Ferien als Artikel 341bis Absatz
l des Obligationenrechts vorsehen, bleiben auf Grund von Artikel 73 Absatz 2 des Arbeitsgesetzes lediglich als zivilrechtliche Bestimmungen weiterhin in Kraft. Demnach ist es weder dem Bund noch den Kantonen gestattet, den gesetzlichen Mindestferienanspruch mittels Verwaltungsmassnahmen durchzusetzen.

c. In der Praxis sind wir von der im Übereinkommen Nr. 132 vorgesehenen Mindestferienregelung nicht weit entfernt. Nahezu die Hälfte der Kantone hat - wie bereits erwähnt wurde - die Feriendauer auf drei Wochen verlängert, einige allerdings in Abhängigkeit vom Alter oder von den Dienstjahren. Ebenso sehen die meisten Gesamtarbeitsverträge längere Ferien vor. Der überwiegende Teil unserer Arbeitnehmer steht somit bereits im Genuss von

1536 drei Ferienwochen. Das Übereinkommen Nr. 132 ist daher in der Praxis unseres Landes weitgehend erfüllt. Im übrigen kann damit gerechnet werden, dass mit der Zeit weitere Kantone von der Befugnis zur Einführung der dritten Ferienwoche Gebrauch machen werden.

Obwohl unsere Ferienordnung dem Übereinkommen Nr. 132 annähernd entspricht, können wir die Genehmigung dieses Übereinkommens zurzeit nicht empfehlen. Es besteht die grundsätzliche Schwierigkeit, dass wir keine Rechtsgrundlage für die in Artikel 14 des Übereinkommens verlangten Massnahmen zur Durchsetzung des Mindestferienanspruches besitzen. Zu diesem Zweck müssten neue öffentlichrechtliche Vorschriften erlassen werden.

Die eidgenössischen Räte haben sich jedoch schon bei der Beratung des Entwurfs des Arbeitsgesetzes für die Regelung der Ferienfrage auf privatrechtlicher Basis entschieden, nachdem sowohl die Expertenkommission für das Arbeitsgesetz als auch diejenige für das neue Dienstvertragsrecht sowie die seinerzeitige eidgenössische Fabrikkommission diese Lösung befürwortet hatten.

Ausschlaggebend dafür war vor allem, dass man allen Arbeitnehmern einen gesetzlichen Ferienanspruch verschaffen wollte und nicht nur den dem Arbeitsgesetz unterstehenden Arbeitnehmern. Ein weiterer Grund lag darin, dass bei einer privatrechtlichen Ordnung der Ferienfrage die Gesanjtarbeitsverträge und die Normalarbeitsverträge berücksichtigt werden konnten. Im übrigen betrachtete man es damals als einen Vorteil, dass auf diese Weise nicht nach Lösungen gesucht werden musste, wie der Ferienbezug behördlich hätte kontrolliert werden sollen. Aus diesen Überlegungen wurde die Ferienregelung in das Obligationenrecht eingebaut.

Die eidgenössischen Räte hatten bei der Behandlung der Vorlage über den Arbeitsvertrag erneut Gelegenheit, sich zur Form und Systematik der Ferienregelung zu äussern. Es war dabei unbestritten, dass die Ferien im Obligationenrecht geregelt werden sollen. Bei dieser Sachlage dürfte die im Übereinkommen Nr. 132 vorausgesetzte öffentlichrechtliche Ordnung wenigstens zurzeit für unser Land nicht in Betracht fallen. Eine neue Prüfung der Frage, ob dieses Übereinkommen genehmigt werden soll, wird sich dann aufdrängen, wenn die Ferienordnung in der Schweiz sich noch mehr, als es bereits geschehen ist, diesen internationalen Normen angenähert hat.
HL Übereinkommen (Nr. 131) und Empfehlung (Nr. 135) über die Festsetzung von Mindestlöhnen, besonders unter Berücksichtigung der Entwicklungsländer 1. Ziel und Inhalt des Übereinkommens und der Empfehlung Das Übereinkommen und die Empfehlung bezwecken, innerhalb der weltweiten Bestrebungen zur Überwindung der Armut, durch Festlegung von Mindestlöhnen das Existenzminimum aller Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen sicherzustellen.

1537 Das Übereinkommen verpflichtet die ratifizierenden Mitgliedstaaten, ein Mindestlohnsystem einzuführen, das alle Gruppen von Arbeitnehmern erfasst, deren Arbeitsbedingungen eine solche Erfassung als angebracht erscheinen lassen (Art. l Ziff. 1). Die zu erfassenden Gruppen von Arbeitnehmern sind im Einvernehmen oder nach Rücksprache mit den massgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zu bestimmen (Art. l Ziff. 2). Die von den Mindestlohnvorschriften nicht erfassten Arbeitnehmergruppen sind unter Angabe der Gründe für ihre Nichterfassung in den Berichten an das IAA besonders anzuführen (Art. l Ziff. 3). Die Mindestlöhne haben Gesetzeskraft.

Bei Nichteinhaltung der Mindestlohnvorschriften sind strafrechtliche oder sonstige Zwangsmassnahmen vorzusehen (Art. 2 Ziff. 1). Bei der Bestimmung der Mindestlöhne sollen nach der Empfehlung vor allem folgende Kriterien berücksichtigt werden: a. die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen; b. die allgemeine Höhe der Löhne im betreffenden Land; c. die Lebenshaltungskosten und ihre Veränderungen; d. die Sozialleistungen; e. der vergleichbare Stand der Lebenshaltung anderer sozialer Gruppen ; / sowie wirtschaftliche Gegebenheiten, einschliesslich der Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung, der Produktivität und des Interesses daran, einen hohen Beschäftigungsgrad zu erreichen und zu erhalten.

Für die Ermittlung der Arbeitnehmergruppen und Mindestlöhne sind nach dem Übereinkommen Verfahren und umfassende Beratungen mit den massgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden oder, falls keine Verbände bestehen, mit den Vertretern der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorzusehen (Art. 4). Zur wirksamen Durchführung der Bestimmungen sind ausserdem geeignete Massnahmen, z. B. durch Errichtung eines durch Strafoder Zwangsmassnahmen verstärkten Aufsichtssystems, festzulegen (Art. 5).

2. Stellungnahme zum Übereinkommen und zur Empfehlung Die Internationale Arbeitskonferenz hat bereits zwei Übereinkommen und zwei Empfehlungen über Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen angenommen, nämlich das Übereinkommen Nr. 26 über die Einrichtung von Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen, die Empfehlung Nr. 30 betreffend die Anwendung der Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen, das Übereinkommen
Nr. 99 über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft und die Empfehlung Nr. 89 betreffend die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft. Ferner hat die Arbeitskonferenz das Übereinkommen Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit angenommen.

Von diesen Übereinkommen ratifizierte die Schweiz einzig das Übereinkommen Nr. 26 über die Einrichtung von Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen. Der Bundesrat hatte damals darauf hingewiesen, dass in der Schweiz nur

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eine auf die Heimarbeit beschränkte Mindestlohngesetzgebung durchführbar sei.

Die IAO gab dann auch die Erklärung ab, dass eine sich nur auf die Heimarbeit beziehende Gesetzgebung dem Übereinkommen gerecht werde,- so dass die Schweiz das Übereinkommen Nr. 26 ratifizieren konnte.

Im Gegensatz zum erwähnten Übereinkommen Nr. 26 lässt sich der Geltungsbereich des neuen Übereinkommens Nr. 131 nicht auf die Mindestlöhne in der Heimarbeit beschränken. Dieses Übereinkommen verpflichtet die ratifizierenden Staaten grundsätzlich, für alle Arbeitnehmerkategorien Mindestlohnvorschriften aufzustellen und die Ausnahmen zu begründen.

An und für sich würde die Aufstellung von Mindestlohnvorschriften, wie dies im Übereinkommen Nr. 131 vorgesehen ist, nicht im Widerspruch zu unserer Rechtsordnung stehen; wäre dies der Fall, so müssten auch Artikel 12 des Heim>arbeitsgesetzes, der die Festsetzung von Mindestlöhnen durch Verordnung vorsieht, und die Allgemeinverbindlicherklärung von Mindest! ohnbestimmungen in Gesamtarbeitsverträgen unzulässig sein. Jedoch wäre mit einer umfassenden gesetzlichen Regelung der Mindestlöhne unsere gegenwärtige, sich zur Hauptsache auf Gesamtarbeitsverträge stützende Ordnung der Mindestlöhne ernsthaft in Frage gestellt. Bekanntlich gehören die Mindestlöhne zu den wichtigsten Gegenständen gesamtarbeitsvertraglicher Verständigung. Wenn schon anlässlich der parlamentarischen Beratungen des Ferienartikels von gewerkschaftlicher Seite mit Bedauern festgestellt wurde, « dass damit (d. h. mit dem Ferienartikel) die Position des Vertrages in einer wichtigen Frage ungebührlich geschwächt wird» (Sten. Bull. NR 1963 S. 351), so gilt dies erst recht für eine umfassende Regelung der Mindestlöhne. Im übrigen beweisen die internationalen statistischen Lohnvergleiche und die grosse Zahl der bei uns beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer, dass die Löhne in unserem Land einen hohen Stand erreicht haben und sich im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen dürfen. Es besteht daher, auch von dieser Seite her betrachtet, kein Bedürfnis nach einer allgemeinen Festlegung der Mindestlöhne.

Aus diesen Erwägungen möchten wir davon absehen, der Bundesversammlung die Genehmigung des Übereinkommens vorzuschlagen.

IV. Empfehlung (Nr. 136) betreffend Sonderprogramme für die Beschäftigung und Ausbildung
Jugendlicher zu Entwicklungszwecken 1. Ziel und Inhalt der Empfehlung Die Empfehlung betreffend Sonderprogramme für die Beschäftigung und Ausbildung Jugendlicher zu Entwicklungszwecken behandelt eine Form der Beschäftigung, die von den allgemeinen Vorschriften nicht erfasst wird. Eine immer grössere Zahl von Entwicklungsländern pflegt Jugendliche ohne irgendwelche Ausbildung einzusetzen, einerseits um der unter Jugendlichen weitverbreiteten Arbeitslosigkeit zu steuern und anderseits infolge Mangels an Arbeitskräften zur Ausführung der für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes notwendigen

1539 Arbeiten. In gewissen Fällen werden Zwangsaushebungen vorgenommen.

Manchmal werden solche Arbeitslager auch dazu benützt, den jugendlichen Arbeitnehmern staatsbürgerlichen Unterricht zu erteilen. In verschiedenen Ländern sind ferner Jugendliche, die den Vorzug einer gründlichen beruflichen Ausbildung gemessen - wie etwa als Arzt, aber auch als Krankenpfleger oder Lehrer verpflichtet, während eines gewissen Zeitraumes eine vom Staat bestimmte Tätigkeit auszuüben, meist in rückständigen Gegenden des Landes.

Sowohl die Arbeitslager als auch die Leistung von Zivildiensten, welche als Sonderprogramme bezeichnet werden, können für den Staat ein nützliches und notwendiges Hilfsmittel zur Verstärkung der Entwicklungsbestrebungen darstellen. Sie können den Jugendlichen eine Beschäftigungsmöglichkeit und den Zugang zu einem Beruf eroffnen, sie können aber anderseits auch die Gefahr in sich schliessen, dass die Jugendlichen als billige und schutzlose Arbeitskräfte ausgebeutet werden, dass sie unter zwangsarbeitsähnlichen Bedingungen eingezogen und ohne Ausbildung eingegliedert werden. Die Empfehlung bezweckt einerseits die Festsetzung der Bedingungen, die zum Schütze der jugendlichen Arbeitnehmer gegen Missbräuche erfüllt sein sollten, wobei die Sonderprogramme auch tatsächlich kurzfristig wirksam sein müssten. Langfristig gesehen bezweckt sie anderseits, den Jugendlichen die zur Anpassung an den Rhythmus einer sich wandelnden Gesellschaft und für ihre aktive Beteiligung an der Entwicklung ihres Landes notwendigen Fertigkeiten zu vermitteln (Präambel).

So sollen es die Sonderprogramme den Jugendlichen ermöglichen, an Tätigkeiten zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihres Landes teilzunehmen und eine Bildung, Fähigkeiten und Erfahrungen zu erwerben, die ihnen ihre spätere wirtschaftliche Tätigkeit auf dauernder Grundlage erleichtern und ihre Eingliederung in die Gesellschaft fördern (Abs. l (1)).

Diese Programme sollten im Rahmen der innerstaatlichen Entwicklungspläne organisiert werden und bestehende Arbeitsnormen in keiner Weise beeinträchtigen (Abs. 3) ; vor allem aber sollte die Teilnahme an Sonderprogrammen freiwillig sein; Ausnahmen können nur durch gesetzgeberische Massnahmen und nur dann zugelassen werden, wenn die Bestimmungen der bestehenden internationalen Arbeitsübereinkommen über
die Zwangsarbeit und die Beschäftigungspolitik in allen Fällen eingehalten werden (Abs. 7 (1)).

Es ist dabei zu unterscheiden zwischen Programmen, die sich an ausbildungsmässig oder in anderer Weise benachteiligte oder an arbeitslose Jugendliche richten, und Programmen, die ausgebildete oder technisch qualifizierte Jugendliche betreffen, und nur zum Dienste an der Allgemeinheit durchgeführt werden.

Die Sonderprogramme für die wenig ausgebildeten oder die arbeitslosen Jugendlichen müssen ein Minimum an Allgemeinbildung sowie eine praktische Grundausbildung und entsprechende theoretische Kenntnisse vermitteln (Abs. 18-20). Gegebenenfalls sollte den Teilnehmern neben angemessener Unterkunft und Verpflegung auch ein Barentgelt gewährt werden; allgemein sollten sich die Arbeitsbedingungen nicht zu sehr von jenen für reguläre Arbeit-

1540 nehmer unterscheiden (Abs. 22). Grosse Aufmerksamkeit wird auch der Auswahl und Ausbildung des Personals zu widmen sein, das auf der Höhe seiner Aufgaben sein muss (Abs. 23 bis 25), sowie der Unterstützung der Teilnehmer im Hinblick auf ihr zukünftiges Berufsleben, wobei die endgültige wirtschaftliche Eingliederung in jeder Beziehung erleichtert werden soll (Abs. 27 bis 32).

Die für diese Sonderprogramme verantwortlichen Stellen sollten auch Vertreter von Arbeitnehmer-, Arbeitgeber- und Jugendorganisationen umfassen, und je nach Bedarf sollten ausserdem die zuständigen Behörden beigezogen werden. Die aktive Beteiligung örtlicher Stellen sollte angestrebt werden.

Des weitern sollten die Verantwortlichen besonders darauf achten, auf welche Weise in direktem Zusammenhang mit den Programmen eigene Einkommensquellen geschaffen werden könnten; von den Teilnehmern oder ihren Familienangehörigen sollte jedoch kein finanzieller Beitrag verlangt werden (Abs. 39 bis 46).

Unter dem Abschnitt über internationale Zusammenarbeit werden schliesslich noch die Sonderprogramme erwähnt, bei denen Jugendliche aus einem Land an Tätigkeiten zur Entwicklung eines ändern Landes teilnehmen und auf die die Empfehlung ebenfalls anwendbar ist (Abs. 47).

2. Stellungnahme zur Empfehlung Die Empfehlung bezieht sich vor allem auf Entwicklungsländer. Sie betiifft uns jedoch hinsichtlich zweier wichtiger Punkte, nämlich der internationalen Zusammenarbeit sowie der Organisation von obligatorischen schulbegleitenden und ausserschulischen Ausbildungskursen.

Was die internationale Zusammenarbeit betrifft, so ist der Freiwilligendienst des Delegierten für technische Zusammenarbeit bestrebt, eine den einschlägigen Bestimmungen der Empfehlung entsprechende Praxis zu verfolgen.

Zur Erzielung einer sinnvollen Tätigkeit auf diesem Gebiet sollte die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und dem Gastland so eng wie möglich gestaltet werden.

Im Rahmen der technischen Zusammenarbeit würde die allfällige Mitwirkung der Schweiz an der Organisation solcher Sonderprogramme die Erfüllung gewisser Bedingungen voraussetzen. Die Teilnehmer müssten die Möglichkeit haben, eine angemessene berufliche und allgemeine Bildung zu erlangen, die den Bedürfnissen des betreffenden Landes entspräche. Des weitern müsste den Teilnehmern nach Abschluss des
Programms die Möglichkeit zur dauernden Ausübung einer wirtschaftlich nützlichen Tätigkeit offenstehen.

Für die Entwicklungsländer ist die Empfehlung zweifellos von Bedeutung, da sie langfristig die Bedingungen zur Wirksamkeit der Sonderprogramme festlegt und die zu beachtenden Garantien umschreibt.

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V. Übereinkommen Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit In der Frühjahrssession 1970 hat Herr Nationalrat Leuenberger den Bundesrat mit einem Postulat eingeladen, den eidgenössischen Räten die Genehmigung des Übereinkommens Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit zu empfehlen. Der Bundesrat hat dieses Postulat in der Sommersession 1971 angenommen und erklärt, dass ein Antrag auf Genehmigung des Übereinkommens unterbreitet werde.

Die eidgenössischen Räte haben uns ferner am 30. November 1970 ersucht, zum Initiativbegehren des Kantons Genf vom 6. November 1970 betreffend die Genehmigung des Übereinkommens Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit Bericht zu erstatten.

Wir kommen deshalb im folgenden nochmals auf das in der 34. Tagung von der Internationalen Arbeitskonferenz (1951) angenommene Übereinkommen Nr. 100 zurück, dessen Wortlaut und die dazugehörige Empfehlung Nr. 90 im Anhang II wiedergegeben sind.

1. Ziel und Inhalt des Übereinkommens Nr. 100 Das Übereinkommen Nr. 100 besteht - abgesehen von den reinen Formalbestimmungen - lediglich aus vier Artikeln. In Artikel l werden die Begriffe Entgelt und Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit umschrieben. In Artikel 2 werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit anzuwenden, soweit dies auf Grund der innerstaatlichen Gesetzgebung möglich ist.

Wenn das innerstaatliche Recht die Möglichkeit zur direkten Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts nicht einräumt, so sind die Mitgliedstaaten gehalten, die Anwendung des Übereinkommens durch Empfehlungen zu fördern. Soweit es der Anwendung des Übereinkommens dienlich ist, haben die Behörden oder die Vertragsparteien gemäss Artikel 3 Massnahmen zu treffen, welche eine objektive Arbeits- und Leistungsbewertung ermöglichen. Führen die auf solchen Massnahmen beruhenden Bewertungen zu Unterschieden in den Lohnsätzen, so liegt kein Verstoss gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts gemäss dem Übereinkommen Nr. 100 vor. In Artikel 4 wird den Mitgliedstaaten
noch vorgeschrieben, mit den beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden bei der Durchführung des Übereinkommens zusammenzuarbeiten.

2. Stellungnahme zum Übereinkommen sowie zum Postulat Leuenberger (Nr. 10546) und zum Initiativbegehren des Kantons Genf (Nr. 10731) a. Im Bericht vom 12. Dezember 1952 hatten wir den eidgenössischen Räten beantragt, von der Genehmigung abzusehen. Wir gingen von der Über-

1542 legung aus, dass der Begriff gleichwertige Arbeit schwer anzuwenden sei und dass der Bund nur beschränkte Möglichkeiten habe, im privaten Bereich auf die Verwirklichung des Grundsatzes gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit einzuwirken, zumal die Festsetzung des Lohnes in erster Linie Sache der Sozialpartner ist. Nationalrat und Ständerat stimmten damals dieser Auffassung zu.

In der Folge wurde auf Grund eines Postulates beider Räte eine Kommission eingesetzt mit dem Auftrag, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Übereinkommens Nr. 100 zu prüfen. Die Kommission kam zum Schluss, dass die Fälle ungleicher Entlöhnung für gleichwertige Arbeit von Männern und Frauen vermutlich nicht so zahlreich seien, weshalb die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 100 im gesamten gesehen die schweizerische Wirtschaft nicht allzu schwer belasten würde.

Im Jahre 1958 hat die Internationale Arbeitskonferenz ein Übereinkommen beschlossen, das mit dem Übereinkommen Nr. 100 in engem Zusammenhang steht. Es handelt sich um das Übereinkommen Nr. 111, das grundlegenden Menschenrechten Geltung verschaffen will. Es verbietet - unter bestimmten Vorbehalten - jede Diskriminierung in Beschäftigung oder Beruf auf Grund der Rasse, des Geschlechts, der Religion, der politischen Meinung, der nationalen Abstammung oder der sozialen Herkunft.

Der Bundesrat vertrat den Standpunkt, dass die Schweiz dieses Übereinkommen Nr. 111 zusammen mit dem Übereinkommen Nr. 100 ratifizieren sollte. Der Nationalrat stimmte diesem Antrag zu. Der Ständerat genehmigte lediglich das Übereinkommen Nr. 111, lehnte dagegen die Genehmigung des Übereinkommens Nr. 100 ab. Dementsprechend hat der Bundesrat das Übereinkommen Nr. 111 ratifiziert, während die Frage der Ratifikation des Übereinkommens Nr. 100 offen blieb.

In seiner neuen Stellungnahme zum Übereinkommen Nr. 100 (BB11960 I 39 ff.) stellte der Bundesrat fest, dass nach Artikel 2 die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit wohl für alle Arbeitnehmer zu fördern oder sicherzustellen sei, dass aber die Wahl der hierbei anzuwendenden Mittel den einzelnen Staaten überlassen werde. Das Übereinkommen Nr. 100 stellt ausdrücklich auf die Mittel ab, die den bestehenden Verfahren zur Festsetzung der Entgeltssätze entsprechen
(Ziff. 1). Vom schweizerischen Grundsatz, wonach die Löhne nicht vom Staat geregelt werden, brauchte deshalb nicht abgewichen zu werden, und besondere gesetzliche Vorschriften wären nicht notwendig.

Unser Land könnte sich auf folgende Vorkehren beschränken: Zunächst liesse sich der Grundsatz der Gleichheit des Entgelts in der Bundesverwaltung verwirklichen, was keine Schwierigkeiten bereiten würde. Der Grundsatz der Gleichheit des Entgelts ist in der Bundesverwaltung anerkannt.

Er sollte aber inskünftig noch folgerichtiger in die Praxis umgesetzt werden.

Ferner wäre der Grundsatz der Gleichheit des Entgelts auch bei den Mindestlohnfestsetzungen für die Heimarbeit, soweit solche gestützt auf das Heimarbeitsgesetz notwendig werden sollten, durch den Bundesrat zur Geltung zu bringen.

1543 In bezug auf die Kantone und die private Wirtschaft wäre den Verpflichtungen des Übereinkommens in der Weise Genüge zu leisten, dass die zuständigen Bundesbehòrden die Durchführung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit empfehlen.

Da in der Schweiz, unter Vorbehalt der Mindestlohnfestsetzungen für die Heimarbeit, der Grundsatz der freien Lohnbildung gilt, wären von selten der Staates für die Anwendung des Übereinkommens Nr. 100 keine weiteren Massnahmen, insbesondere keine neuen gesetzlichen Vorschriften erforderlich.

Diese Auslegung entspricht dem Text des Übereinkommens, das die bestehenden Verfahren zur Festsetzung der Entgeltssätze vorbehält. Hinsichtlich der Verpflichtung in Artikel 3, wonach Massnahmen für eine objektive Bewertung der Beschäftigung auf Grund der dabei erforderlichen Arbeitsleistung (Ziff. 1) zu treffen sind, ist darauf hinzuweisen, dass sich das Betriebswissenschaftliche Institut der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (BWI) mit Fragen der Arbeits- und Leistungsbewertung befasst und der privaten Wirtschaft beratend zur Verfügung steht. Überdies befassen sich auch andere Hochschulen mit Fragen der Arbeits- und Leistungsbewertung in enger Zusammenarbeit mit diesem Institut. Es müssten also keine besonderen Stellen geschaffen werden, da die bestehenden Organisationen den vom Übereinkommen gestellten Anforderungen vollauf genügen.

b. Nachdem Herr Nationalrat Leuenberger in der Märzsession 1970 die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 100 postuliert hatte, wurden die Kantone sowie die Spitzenverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit eingeladen, sich zur Frage der Ratifikation zu äussern. Die Arbeitgeberverbände stimmten für Ablehnung, wogegen die Arbeitnehmerverbände und die Mehrheit der Kantone (18 von 20 Kantonen, die sich geäussert hatten) sich für die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 100 aussprachen. Von den besonders interessierten Organisationen sind vor allem die Frauenorganisationen und der Schweizerische Gemeindeverband für die Ratifikation eingetreten; anderseits vertrat der Schweizerische Städteverband die Auffassung, eine Ratifikation sei überflüssig, weil der Grundsatz der Gleichheit des Entgelts für mannliche und weibliche
Arbeitskräfte schon im ratifizierten Übereinkommen Nr. 111 enthalten sei. Das Eidgenössische Personalamt, die SBB und die PTT teilten mit, es stehe ihrerseits einer Ratifikation nichts mehr im Wege, nachdem die Gleichstellung des Entgelts für männliche und weibliche Arbeitnehmer für gleichwertige Arbeit in der Verwaltung schon weitgehend verwirklicht worden sei.

Aus den Vernehmlassungen geht hervor, dass sich die Verhältnisse seit dem ablehnenden Beschluss des Ständerates vom 16. Juni 1961 deutlich zugunsten der weiblichen Arbeitnehmer ·weiterentwickelt haben. Bei den öffentlichen Dienstverhältnissen sind die Unterschiede des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitnehmer für gleichwertige Arbeit, von wenigen Ausnahmen abgesehen, beseitigt worden. Dies gilt namentlich für die Bundesverwaltung und

1544 Bundesbetriebe. Da die meisten für arbeitsrechtliche Fragen zuständigen kantonalen Departemente sich in ihren Vernehmlassungen zugunsten der Ratifikation geäussert haben, darf angenommen werden, dass in den betreffenden Kantonen keine ins Gewicht fallenden Unterschiede hinsichtlich des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitnehmer für gleichwertige Arbeit mehr bestehen.

Die allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge machen keine Unterschiede hinsichtlich der Mindestlöhne männlicher und weiblicher Arbeitnehmer für gleichwertige Arbeit. Es gehört bereits zur festen Praxis des Bundesrates, dass er, gestützt auf das Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, Anträge auf Allgemeinverbindlicherklärung von Vertragsbestimmungen, welche für männliche und weibliche Arbeitnehmer für gleichwertige Arbeit verschiedene Mindestlohnansätze vorsehen, ablehnt.

Hinsichtlich der Lohnentwicklung kann darauf hingewiesen werden, dass sich der Unterschied zwischen den Männer- und Frauenlöhnen seit 1961 im Gesamtdurchschnitt um 2,8 Prozent verringert hat. Im Jahre 1961 bezogen die Männer durchschnittlich um 36,3 Prozent höhere Löhne als die Frauen; heute beträgt die Differenz noch 33,5 Prozent. Dieser Unterschied beruht im wesentlichen nicht auf einer ungleichen Entlöhnung von Männern und Frauen für gleichwertige Arbeit. Die durchschnittliche Lohndifferenz hat ihren Grund vielmehr in der Verschiedenartigkeit der von Männern und Frauen verrichteten Arbeit, wobei auch das erheblich tiefere durchschnittliche Lebens- und Dienstalter der weiblichen Arbeitnehmer mit ins Gewicht fällt. Mit Rücksicht darauf wird die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 100 nicht zu Lohnerhöhungen im Ausmass des obenerwähnten durchschnittlichen Lohnunterschiedes führen. Die Ratifikation dürfte aller Voraussicht nach nur zu unbedeutenden Lohnkorrekturen Anlass geben.

Aus diesen Überlegungen kommen wir zum Schluss, dass das Übereinkommen Nr. 100 ratifiziert und damit dem Postulat Leuenberger entsprochen werden kann.

c. Am 30. Januar 1970 wurde im Grossen Rat des Kantons Genf eine Motion eingereicht, mit welcher verlangt wurde, dass Männer und Frauen bei gleicher Arbeit gleich entlöhnt werden sollen. Der Staatsrat des Kantons Genf wurde ersucht, den Inhalt dieser Motion als kantonales Initiativbegehren
an die Bundesbehörden weiterzuleiten. Der Staatsrat hat diese Motion angenommen und am 6. November 1970 dem Präsidenten der Vereinigten Bundesversammlung als Initiativbegehren eingereicht. Die eidgenössischen Räte haben uns dieses Initiativbegehren am 30. November 1970 zum Bericht überwiesen.

Das Initiativbegehren deckt sich inhaltlich mit dem Postulat Leuenberger.

Mit unseren vorstehenden Ausführungen kommen wir deshalb gleichzeitig dem Ersuchen um Berichterstattung zum Initiativbegehren nach.

Wir empfehlen Ihnen, von den vorstehenden Ausführungen über die 54. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz in zustimmendem Sinne

1545 Kenntnis zu nehmen und beantragen, dem beigelegten Beschlussentwurf betreffend die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit zuzustimmen. Damit werden sowohl das Postulat Leuenberger (Nr. 10546) als auch das Initiativbegehren des Kantons Genf (Nr. 10731) erfüllt.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 20. Oktober 1971 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident : Gnägi Der Bundeskanzler: Huber

Bundesblatt. 123.Jahrg. Bd.Il

93

1546

(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend das internationale Übereinkommen (Nr. 100) über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf die Artikel 8 und 85 Ziffer 5 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 20. Oktober 197l1', beschliesst: Einziger Artikel Das Übereinkommen Nr. 100 vom 29. Juni 1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, das an der 34. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz angenommen wurde, wird genehmigt.

2 Der Bundesrat ist ermächtigt, es zu ratifizieren.

1

2025

*> BB11971II1530

1547

Anhang I

Übereinkommen Nr. 132 über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung vom Jahre 1970)

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 3. Juni 1970 zu ihrer vierundfünfzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den bezahlten Urlaub, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 24. Juni 1970, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über den bezahlten Urlaub (Neufassung), 1970, bezeichnet wird.

Artikel l Die Bestimmungen dieses Übereinkommens sind durch die innerstaatliche Gesetzgebung durchzuführen, soweit ihre Durchführung nicht durch Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche, gerichtliche Entscheidungen, amtliche Verfahren zur Lohnfestsetzung oder auf irgendeine andere, den innerstaatlichen Gepflogenheiten entsprechende Art und Weise erfolgt, die unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse jedes Landes geeignet erscheint.

Artikel 2 1. Dieses Übereinkommen gilt für alle Arbeitnehmer mit Ausnahme der Seeleute.

2. Soweit notwendig, können von der zuständigen Stelle oder durch geeignete Verfahren in jedem Land nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, soweit solche bestehen, Massnahmen getroffen werden, um begrenzte Arbeitnehmergruppen von der Anwendung dieses Übereinkommens auszuschliessen, wenn im Hinblick auf die Art ihrer Beschäftigung im Zusammenhang mit der Durchführung oder mit verfassungsrechtlichen oder gesetzgeberischen Fragen besondere Probleme von erheblicher Bedeutung entstehen.

1548 3. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat in seinem ersten Bericht, den es gemäss Artikel 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation über die Durchführung des Übereinkommens vorzulegen hat, die Gruppen anzugeben, die gegebenenfalls auf Grund von Absatz 2 dieses Artikels von der Anwendung ausgeschlossen worden sind, unter Angabe der Gründe für deren Ausschluss, und in den folgenden Berichten den Stand seiner Gesetzgebung und Praxis in bezug auf die ausgeschlossenen Gruppen anzugeben und mitzuteilen, in welchem Umfang dem Übereinkommen in bezug auf diese Gruppen entsprochen wurde oder entsprochen werden soll.

Artikels 1. Jede Person, für die dieses Übereinkommen gilt, hat Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub von einer bestimmten Mindestdauer.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat in einer seiner Ratifikationsurkunde beigefügten Erklärung die Dauer des Urlaubs anzugeben.

3. Der Urlaub darf auf keinen Fall weniger als drei Arbeitswochen für ein Dienstjahr betragen.

4. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann in der Folge den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes durch eine weitere Erklärung davon in Kenntnis setzen, dass es einen längeren Urlaub festlegt, als es im Zeitpunkt der Ratifikation angegeben hat.

Artikel 4 1. Eine Person, deren Dienstzeit während eines bestimmten Jahres kürzer war als die im vorangehenden Artikel für den vollen Anspruch vorgeschriebene Dienstzeit, hat für dieses Jahr Anspruch auf bezahlten Urlaub im Verhältnis zur Dauer ihrer Dienstzeit während dieses Jahres.

2. Der Ausdruck «Jahr» in Absatz l dieses Artikels bedeutet Kalenderjahr oder jeden anderen gleich langen Zeitabschnitt, der von der zuständigen Stelle oder durch geeignete Verfahren in dem betreffenden Land bestimmt wird.

Artikel 5 1. Für den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub kann eine Mindestdienstzeit verlangt werden.

2. Die Dauer jeder solchen Mindestdienstzeit ist in dem betreffenden Land von der zuständigen Stelle oder durch geeignete Verfahren zu bestimmen, darf aber sechs Monate nicht überschreiten.

3. Die Art und Weise, wie die Dienstzeit für die Bemessung des Urlaubsanpruchs zu berechnen ist, ist von der zuständigen Stelle oder durch geeignete Verihren in jedem Land zu bestimmen.

4. Unter Bedingungen, die von der zuständigen Stelle oder durch geeignete rfahren in jedem Land zu bestimmen sind, sind Arbeitsversäumnisse aus

1549 Gründen, die unabhängig vom Willen des beteiligten Arbeitnehmers bestehen, wie z. B. Krankheit, Unfall oder Mutterschaft, als Dienstzeit anzurechnen.

Artikel 6 1. Öffentliche und übliche Feiertage, gleichviel ob sie in die Zeit des Jahresurlaubs fallen oder nicht, sind in den in Artikel 3 Absatz 3 vorgeschriebenen Mindestjahresurlaub nicht einzurechnen.

2. Unter Bedingungen, die von der zuständigen Stelle oder durch geeignete Verfahren in jedem Land zu bestimmen sind, dürfen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit oder Unfall in den in Artikel 3 Absatz 3 vorgeschriebenen Mindestjahresurlaub nicht eingerechnet werden.

Artikel?

1. Jede Person, die den in diesem Übereinkommen vorgesehenen Urlaub nimmt, hat für die ganze Urlaubsdauer mindestens ihr normales oder durchschnittliches Entgelt zu erhalten (einschliesslich des Gegenwertes in bar für jeden Teil dieses Entgelts, der aus Sachleistungen besteht, sofern es sich nicht um Dauerleistungen handelt, die ohne Rücksicht darauf weitergewährt werden, ob sich die betreffende Person auf Urlaub befindet oder nicht) ; dieses Entgelt ist in jedem Land auf eine von der zuständigen Stelle oder durch geeignete Verfahren zu bestimmende Weise zu berechnen.

2. Die nach Absatz l dieses Artikels zustehenden Betrage sind dem betreffenden Arbeitnehmer vor Urlaubsantritt auszuzahlen, sofern m einer für ihn und seinen Arbeitgeber geltenden Vereinbarung nichts anderes vorgesehen ist.

Artikels 1. Die Teilung des bezahlten Jahresurlaubs kann von der zuständigen Stelle oder durch geeignete Verfahren in jedem Land zugelassen werden.

2. Sofern in einer für den Arbeitgeber und den beteiligten Arbeitnehmer geltenden Vereinbarung nichts anderes vorgesehen ist und der beteiligte Arbeitnehmer auf Grund seiner Dienstzeit Anspruch auf eine solche Zeitspanne hat, hat einer der Teile mindestens zwei ununterbrochene Arbeitswochen zu umfassen.

Artikel 9 1. Der in Artikel 8 Absatz 2 dieses Übereinkommens erwähnte ununterbrochene Teil des bezahlten Jahresurlaubs ist spätestens ein Jahr und der übrige Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens achtzehn Monate nach Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen.

2. Jeder Teil des Jahresurlaubs, der eine vorgeschriebene Mindestdauer übersteigt, kann mit der Zustimmung des beteiligten Arbeitnehmers über die in Absatz l dieses Artikels angegebene Frist hinaus und bis zu einem festgesetzten späteren Termin aufgeschoben werden.

1550 3. Die Mindestdauer und der Termin, die in Absatz 2 dieses Artikels erwähnt werden, sind von der zuständigen Stelle nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände oder durch Kollektivverhandlungen oder auf irgendeine andere, den innerstaatlichen Gepflogenheiten entsprechende Art und Weise zu bestimmen, die unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse jedes Landes geeignet erscheint.

Artikel 10 1. Wird die Zeit, zu der der Urlaub zu nehmen ist, nicht durch Vorschriften durch Gesamtarbeitsvertrag, Schiedsspruch oder auf eine andere, den innerstaatlichen Gepflogenheiten entsprechende Art und Weise bestimmt, so ist sie vom Arbeitgeber nach Anhörung des beteiligten Arbeitnehmers oder seiner Vertreter festzusetzen.

2. Bei der Festsetzung der Zeit, zu der der Urlaub zu nehmen ist, sind die Erfordernisse der Arbeit und die Gelegenheiten, die dem Arbeitnehmer zum Ausruhen und zur Erholung zur Verfügung stehen, zu berücksichtigen.

Artikel 11 Ein Arbeitnehmer, der eine Mindestdienstzeit zurückgelegt hat, wie sie nach Artikel 5 Absatz l dieses Übereinkommens verlangt werden kann, hat bei der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf einen bezahlten Urlaub im Verhältnis zu der Dienstzeit, für die er keinen solchen Urlaub erhalten hat, oder auf eine Urlaubsabgeltung oder ein gleichwertiges Urlaubsguthaben.

Artikel 12 Jede Vereinbarung über die Abdingung des Anspruchs auf den in Artikel 3 Absatz 3 dieses Übereinkommens vorgeschriebenen bezahlten Mindestjahresurlaub oder über den Verzicht auf diesen Urlaub gegen Entschädigung oder auf irgendeine andere Art hat je nach den Verhältnissen des betreffenden Landes als nichtig zu gelten oder ist zu verbieten.

Artikel 13 Von der zuständigen Stelle oder durch geeignete Verfahren in jedem Land können besondere Regelungen für Fälle festgelegt werden, in denen der Arbeitnehmer während des Urlaubs eine Erwerbstätigkeit ausübt, die mit dem Urlaubszweck unvereinbar ist.

Artikel 14 Es sind mit der Art der Durchführung dieses Übereinkommens im Einklang stehende wirksame Massnahmen zu treffen, um die ordnungsgemässe Anwendung und Durchsetzung der Vorschriften oder Bestimmungen über den bezahlten Urlaub durch eine angemessene Aufsicht oder durch sonstige Mittel zu gewährleisten.

1551 Artikel 15 1. Jedes Mitglied kann die Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen getrennt übernehmen für a) Arbeitnehmer in Wirtschaftszweigen ausserhalb der Landwirtschaft; b) Arbeitnehmer in der Landwirtschaft.

2. Jedes Mitglied hat in seiner Ratifikationsurkunde anzugeben, ob es die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen für die in Absatz l Buchstabe a) dieses Artikels angeführten Personen, für die in Absatz l Buchstabe b) dieses Artikels angeführten Personen oder für beide Personengruppen übernimmt.

3. Jedes Mitglied, das bei der Ratifikation die Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen entweder nur für die in Absatz l Buchstabe a) dieses Artikels angeführten Personen oder nur für die in Absatz l Buchstabe b) dieses Artikels angeführten Personen übernommen hat, kann in der Folge dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes mitteilen, dass es die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen für alle Personengruppen übernimmt, für die dieses Übereinkommen gilt.

Artikel 16 Dieses Übereinkommen ändert das Übereinkommen über den bezahlten Urlaub, 1936, und das Übereinkommen über den bezahlten Urlaub (Landwirtschaft), 1952, nach Massgabe der folgenden Bestimmungen: a) die Übernahme der Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen für Arbeitnehmer in Wirtschaftszweigen ausserhalb der Landwirtschaft durch ein Mitglied, das das Übereinkommen über den bezahlten Urlaub, 1936, ratifiziert hat, schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung jenes Übereinkommens in sich; b) die Übernahme der Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen für Arbeitnehmer in der Landwirtschaft durch ein Mitglied, das das Übereinkommen über den bezahlten Urlaub (Landwirtschaft), 1952, ratifiziert hat, schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung jenes Übereinkommens in sich; c) das Inkrafttreten dieses Übereinkommens schliesst weitere Ratifikationen des Übereinkommens über den bezahlten Urlaub (Landwirtschaft), 1952, nicht aus.

Artikel 17 Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 18 l. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

1552 2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

Artikel 19 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 20 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

Artikel 21 Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.

Artikel 22 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

1553 Artikel 23 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen : a) Die Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 19, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 24 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

Übereinkommen Nr. 131 über die Festsetzung von Mindestlöhnen, besonders unter Berücksichtigung der Entwicklungsländer Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 3. Juni 1970 zu ihrer vierundfünfzigsten Tagung zusammengetreten ist, nimmt Kenntnis von den Bestimmungen des Übereinkommens über Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen, 1928, und des Übereinkommens über die Gleichheit des Entgelts, 1951, die von vielen Staaten ratifiziert worden sind, sowie des Übereinkommens über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen (Landwirtschaft), 1951 ; stellt fest, dass diese Übereinkommen eine wertvolle Rolle im Hinblick auf den Schutz benachteiligter Gruppen von Lohnempfängern gespielt haben ; ist der Ansicht, dass es an der Zeit ist, eine weitere Urkunde anzunehmen, die diese Übereinkommen ergänzt und den Lohnempfängern Schutz gegen unangemessen niedrige Löhne gewährt und die, obgleich allgemein anwendbar, die Bedürfnisse der Entwicklungsländer besonders berücksichtigt ;

1554 hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen und damit zusammenhängende Probleme, unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungsländer, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 22. Juni 1970, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Festsetzung von Mindestlöhnen, 1970, bezeichnet wird.

Artikel l 1. Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, ein Mindestlohnsystem einzuführen, das alle Gruppen von Lohnempfängern erfasst, deren Beschäftigungsbedingungen eine solche Erfassung als angebracht erscheinen lassen.

2. Die zuständige Stelle in jedem Land hat im Einvernehmen oder nach umfassender Beratung mit den massgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, soweit solche bestehen, die zu erfassenden Gruppen von Lohnempfängern zu bestimmen.

3. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat in seinem ersten Bericht, den es nach Artikel 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation über die Durchführung des Übereinkommens vorzulegen hat, die Gruppen von Lohnempfängern anzugeben, die auf Grund dieses Artikels nicht erfasst worden sind; dabei hat es die Gründe für ihre Nichterfassung anzuführen und in seinen späteren Berichten den Stand seiner Gesetzgebung und Praxis hinsichtlich der nicht erfassten Gruppen anzugeben und mitzuteilen, in welchem Umfang dem Übereinkommen in bezug auf diese Gruppen entsprochen wurde oder entsprochen werden soll.

Artikel 2 1. Mindestlöhne haben Gesetzeskraft und dürfen nicht unterschritten werden ; ihre Nichteinhaltung hat angemessene strafrechtliche oder sonstige Zwangsmassnahmen gegen die beteiligte Person oder die beteiligten Personen zur Folge.

2. Unter Vorbehalt der Bestimmungen von Absatz l dieses Artikels ist die Freiheit der Kollektiwerhandlungen in vollem Masse zu wahren.

Artikel 3 Bei der Bestimmung der Höhe der Mindestlöhne sind, soweit dies im Hinblick auf die innerstaatlichen Gepflogenheiten und Verhältnisse möglich und angebracht ist, unter anderem zu beachten: a) die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen unter Berücksichtigung der allgemeinen Höhe der Löhne in dem betreffenden

1555 Land, der Lebenshaltungskosten, der Leistungen der Sozialen Sicherheit und des vergleichbaren Standes der Lebenshaltung anderer sozialer Gruppen; b) wirtschaftliche Gegebenheiten, einschliesslich der Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung, der Produktivität und des Interesses daran, einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen und aufrechtzuerhalten.

Artikel 4 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat den innerstaatlichen Verhältnissen und Erfordernissen angepasste Verfahren einzuführen und beizubehalten, die es ermöglichen, für die gemäss Artikel l erfassten Gruppen von Lohnempfängern Mindestlöhne festzusetzen und von Zeit zu Zeit anzupassen.

2. Im Zusammenhang mit der Einführung, Anwendung und Abänderung solcher Verfahren sind umfassende Beratungen mit den massgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden oder, falls keine solchen Verbände bestehen, mit Vertretern der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorzusehen.

3. Sofern es auf Grund der Art der Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen zweckmässig ist, ist bei ihrer Anwendung auch die unmittelbare Beteiligung folgender Personen vorzusehen: a) Vertreter der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände oder, falls keine solchen Verbände bestehen, Vertreter der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf der Grundlage der Gleichberechtigung; b) Personen, deren Befähigung zur Vertretung der allgemeinen Interessen des Landes anerkannt ist und die nach umfassender Beratung mit den massgebenden beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden bestellt worden sind, soweit solche Verbände bestehen und eine solche Beratung der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis entspricht.

Artikel 5 Um die wirksame Durchführung aller Bestimmungen über die Mindestlöhne zu gewährleisten, sind geeignete Massnahmen zu treffen, zum Beispiel durch die Errichtung eines angemessenen, durch andere erforderliche Massnahmen verstärkten Aufsichtssystems.

Artikel 6 Dieses Übereinkommen gilt nicht als Neufassung irgendeines bestehenden Übereinkommens.

Artikel 7 Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

1556 Artikel 8 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

Artikel 9 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 10 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

Artikel 11 Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen und Kündigungen.

Artikel 12 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner

1557 gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 13 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen : a) Die Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Übereinkommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 9, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 14 Der franzosische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

Empfehlung Nr. 135 betreffend die Festsetzung von Mindestlöhnen, besonders unter Berücksichtigung der Entwicklungsländer Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 3. Juni 1970 zu ihrer vierundfünfzigsten Tagung zusammengetreten ist, nimmt Kenntnis von den Bestimmungen der Empfehlung betreffend Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen, 1928, der Empfehlung betreffend die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen (Landwirtschaft), 1951, und der Empfehlung betreffend die Gleichheit des Entgelts, 1951, die wertvolle Richtlinien für die mit der Festsetzung von Mindestlöhnen betrauten Organe enthalten; ist der Ansicht, dass durch die Erfahrungen der letzten Jahre die Bedeutung einiger weiterer Erwägungen im Zusammenhang mit der Festsetzung von Mindestlöhnen unterstrichen wurde, einschliesslich der Annahme von Kri-

1558

terien, die die Mmdestlohnsysteme sowohl zu einem wirksamen Instrument des sozialen Schutzes als auch zu einem Element der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungspolitik werden lassen; ist der Ansicht, dass durch die Festsetzung von Mindestlöhnen die Führung und Fortentwicklung freier Kollektiwerhandlungen als Mittel zur Festsetzung von Löhnen, die über den Mindestlöhnen liegen, in keiner Weise beeinträchtigt werden sollte; hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen und damit zusammenhängende Probleme, unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungsländer, eine Frage, die den fünften Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 22. Juni 1970, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die Festsetzung von Mindestlöhnen, 1970, bezeichnet wird.

I. Zweck der Festsetzung von Mindestlöhnen 1. Die Festsetzung von Mindestlöhnen sollte eines der Elemente einer Politik bilden, die dazu bestimmt ist, die Armut zu überwinden und die Befriedigung der Bedürfnisse aller Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen sicherzustellen.

2. Der grundlegende Zweck der Festsetzung von Mindestlöhnen sollte darin bestehen, den Lohnempfängern den erforderlichen sozialen Schutz hinsichtlich der mindestzulässigen Lohnhöhe zu gewähren.

u. Kriterien für die Bestimmung der Mindestlohnhöhe 3. Bei der Bestimmung der Höhe der Mindestlöhne sollten u. a. folgende Kriterien berücksichtigt werden : a) die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen; b) die allgemeine Höhe der Löhne in dem betreffenden Land; c) die Lebenshaltungskosten und ihre Veränderungen; d) die Leistungen der Sozialen Sicherheit; e) der vergleichbare Stand der Lebenshaltung anderer sozialer Gruppen; f) wirtschaftliche Gegebenheiten, einschliesslich der Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung, der Produktivität und des Interesses daran, einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen und aufrechtzuerhalten.

HI. Geltungsbereich des Systems zur Festsetzung von Mindestlöhnen 4. Die Zahl und die Gruppen der Lohnempfänger, die auf Grund von Artikel l des Übereinkommens über die Festsetzung von Mindestlohnen, 1970, nicht erfasst sind, sollten auf ein Mindestmass beschränkt werden.

1559

5. (1) Das Mindestlohnsystem kann auf die auf Grund von Artikel l des Übereinkommens erfassten Lohnempfänger angewendet werden, indem entweder ein einheitlicher, allgemein anwendbarer Mindestlohn oder eine Reihe von Mindestlöhnen für einzelne Gruppen von Arbeitnehmern festgesetzt wird.

(2) Ein System, das auf einem einheitlichen Mindestlohn beruht, a) muss mit der Festsetzung unterschiedlicher Mindestlohnsàtze für verschiedene Gebiete oder Zonen zur Berücksichtigung unterschiedlicher Lebenshaltungskosten nicht unvereinbar sein; b) sollte die Wirkung früherer oder künftiger Entscheidungen, durch die für einzelne Arbeitnehmergruppen über dem allgemeinen Mindestsatz liegende Mindestlöhne festgesetzt werden, nicht beeinträchtigen.

IV. Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen 6. Die in Artikel 4 des Übereinkommens vorgesehenen Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen können verschiedene Formen annehmen; Mindestlöhne können z. B. festgesetzt werden durch: a) Gesetz; b) Entscheidungen der zuständigen Stelle, mit oder ohne ausdrückliche Bestimmung über die Berücksichtigung von Empfehlungen anderer Stellen; c) Entscheidungen von Lohnkommissionen oder Lohnausschüssen ; d) Arbeitsgerichte oder andere Gerichte für arbeitsrechtliche Streitigkeiten; oder e) Allgemeinverbindlicherklärung der Bestimmungen von Gesamtarbeitsverträgen.

7. Die in Artikel 4 Absatz 2 des Übereinkommens vorgesehene Beratung sollte sich insbesondere auf die folgenden Angelegenheiten erstrecken : a) die Auswahl und Anwendung der Kriterien für die Bestimmung der Mindestlöhne; b) den festzusetzenden Mindestlohnsatz oder die festzusetzenden Mindestlohnsätze; c) die von Zeit zu Zeit vorzunehmende Anpassung des Mindestlohnsatzes oder der Mindestlohnsätze; d) bei der Durchführung der Mindestlohngesetzgebung aufgetretene Schwierigkeiten ; e) die Sammlung von Unterlagen und die Durchführung von Untersuchungen zur Unterrichtung der Stellen, die mit der Festsetzung der Mindestlöhne betraut sind.

8. In Ländern, in denen Organe eingesetzt wurden, die die zuständige Stelle in Mindestlohnfragen beraten oder denen die Regierung die Entscheidungsbefugnis in solchen Fragen übertragen hat, sollten die Personen, die gemäss Artikel 4 Absatz 3 des Übereinkommens an der Anwendung der Verfah-

1560 ren zur Festsetzung von Mindestlöhnen zu beteiligen sind, Mitglieder dieser Organe sein.

9. Bei den Personen, die die allgemeinen Interessen des Landes vertreten und deren Beteiligung an der Anwendung der Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in Artikel 4 Absatz 3 b) des Übereinkommens vorgesehen ist, sollte es sich um entsprechend befähigte unabhängige Personen handeln; gegebenenfalls könnten dies Beamte sein, die für die Arbeitsbeziehungen, die Wirtschafts- und Sozialplanung oder die Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialpolitik zuständig sind.

10. Soweit die innerstaatlichen Verhältnisse dies gestatten, sollten ausreichende Mittel für die Sammlung statistischer und sonstiger Daten bereitgestellt werden, die für analytische Untersuchungen der bedeutsamen wirtschaftlichen Gegebenheiten, insbesondere der in Absatz 3 dieser Empfehlung erwähnten, und ihrer voraussichtlichen Entwicklung benötigt werden.

V. Anpassung der Mindestlöhne 11. Die Mindestlöhne sollten von Zeit zu Zeit angepasst werden, um Veränderungen der Lebenshaltungskosten und anderer wirtschaftlicher Verhältnisse Rechnung zu tragen.

12. Zu diesem Zweck könnte eine Überprüfung der Mindestlohnsätze in Beziehung zu den Lebenshaltungskosten und anderen wirtschaftlichen Gegebenheiten vorgenommen werden, und zwar entweder in regelmässigen Zeitabständen oder jeweils dann, wenn eine solche Überprüfung im Lichte von Änderungen in einem Index der Lebenshaltungskosten als angebracht erscheint.

13. (1) Zur Erleichterung der Durchführung von Absatz 11 dieser Empfehlung sollten in regelmässigen Zeitabständen Untersuchungen über die wirtschaftliche Lage des Landes, einschliesslich der Entwicklungstendenzen des Einkommens je Einwohner, der Produktivität, der Beschäftigung, der Arbeitslosigkeit und der Unterbeschäftigung, durchgeführt werden, soweit die innerstaatlichen Mittel dies gestatten.

(2) Die Häufigkeit solcher Untersuchungen sollte im Lichte der innerstaatlichen Verhältnisse bestimmt werden.

VI. Durchführung 14. Die in Artikel 5 des Übereinkommens vorgesehenen Massnahmen zur Gewährleistung der wirksamen Durchführung aller Bestimmungen betreffend die Mindestlöhne sollten folgendes umfassen : a) Vorkehrungen für die Bekanntmachung der Mindestlohnbestimmungen in den Sprachen oder Dialekten, die die schutzbedürftigen Arbeitnehmer verstehen, und nötigenfalls in einer den Bedürfnissen von Analphabeten angepassten Form;

1561 b) die Beschäftigung einer ausreichenden Zahl von Aufsichtsbeamten mit geeigneter Ausbildung, die mit den zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Befugnissen und Mitteln ausgestattet sind; c) angemessene Zwangsmassnahmen bei Verletzung der Mindestlohnbestimmungen ; d) die Vereinfachung der gesetzlichen Bestimmungen und Verfahren sowie andere geeignete Mittel, um es den Arbeitnehmern zu ermöglichen, die ihnen auf Grund der Mindestlohnbestimmungen zustehenden Rechte wirksam auszuüben, einschliesslich des Rechts, die Nachzahlung der ihnen noch zustehenden Beträge zu erwirken; e) die Mitwirkung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbànde an den Bemühungen, die Arbeitnehmer gegen Missbräuche zu schützen; f) einen angemessenen Schutz der Arbeitnehmer gegen Benachteiligung.

Empfehlung Nr. 136 betreffend Sonderprogramme für die Beschäftigung und Ausbildung Jugendlicher zu Entwicklungszwecken Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 3. Juni 1970 zu ihrer vierundfünfzigsten Tagung zusammengetreten ist, erinnert an die Bestimmungen der bestehenden internationalen Arbeitsübereinkommen und Empfehlungen über die Ausbildung und Beschäftigung Jugendlicher, insbesondere an die Empfehlung betreffend die Arbeitslosigkeit (Jugendliche), 1935, die Empfehlung betreffend die berufliche Ausbildung, 1962, und das Übereinkommen und die Empfehlung über die Beschäftigungspolitik, 1964; ist der Ansicht, dass Sonderprogramme für die Beschäftigung Jugendlicher und Ausbildungsprogramme, die dazu bestimmt sind, Jugendlichen die zur Anpassung an den Rhythmus einer sich wandelnden Gesellschaft und für ihre aktive Beteiligung an der Entwicklung ihres Landes notwendigen Fertigkeiten zu vermitteln, eine Methode zur Lösung der Probleme im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Jugendlichen darstellen, welche die in den bestehenden Urkunden behandelten Methoden ergänzt; stellt fest, dass die Probleme, die mit dieser Methode gelöst werden sollen, erst in den letzten Jahren in grösserem Umfang in Erscheinung getreten sind; hält es für wichtig, eine Urkunde anzunehmen, in der die Ziele, Methoden und Garantien solcher Sonderprogramme in einer Weise festgelegt werden, dass Bundesblatt. 123.Jahrg. Bd.II

94

1562 sie mit den früher angenommenen internationalen Arbeitsnormen, die sich auf die Dienstbedingungen in solchen Programmen beziehen können, völlig im Einklang stehen, insbesondere mit denjenigen des Übereinkommens über Zwangsarbeit, 1930, und des Übereinkommens über die Abschaffung der Zwangsarbeit, 1957; hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Sonderprogramme für die Beschäftigung und Ausbildung Jugendlicher zu Entwicklungszwecken, eine Frage, die den sechsten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 23. Juni 1970, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend Sonderprogramme für Jugendliche, 1970, bezeichnet wird.

L Art der Sonderprogramme 1. (1) Diese Empfehlung gilt für Sonderprogramme, die es Jugendlichen ermöglichen sollen, an Tätigkeiten zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihres Landes teilzunehmen und eine Bildung, Fertigkeiten und Erfahrungen zu erwerben, die ihnen ihre spätere wirtschaftliche Tätigkeit auf dauernder Grundlage erleichtern und ihre Eingliederung in die Gesellschaft fördern.

(2) Diese Programme werden im folgenden als «Sonderprogramme» bezeichnet.

2. Als Sonderprogramme im Sinne dieser Empfehlung können gelten : a) Programme, die Bedürfnisse in bezug auf die Beschäftigung und Ausbildung Jugendlicher erfüllen, denen durch die bestehenden innerstaatlichen Bildungs- oder Berufsausbildungsprogramme oder durch die normalen Möglichkeiten des Arbeitsmarktes noch nicht entsprochen wird; b) Programme, die Jugendliche, insbesondere arbeitslose Jugendliche, mit einer Bildung oder fachlichen Befähigungen, deren die Gemeinschaft für die Entwicklung, insbesondere auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet sowie auf dem Gebiet des Bildungs- oder des Gesundheitswesens, bedarf, in die Lage versetzen, ihre Befähigungen im Dienste der Gemeinschaft zu gebrauchen.

H. Allgemeine Grundsätze 3. (1) Die Sonderprogramme sollten im Rahmen der innerstaatlichen Entwicklungspläne organisiert werden, soweit solche bestehen, und insbesondere vollständig mit den Planen und Programmen zur Erschliessung der Arbeitskraftreserven und zur Erreichung der produktiven Vollbeschäftigung sowie mit den ordentlichen Bildungs- und Ausbildungsprogrammen für Jugendliche koordiniert werden.

1563

(2) Die Sonderprogramme sollten einen vorübergehenden Charakter zur Befriedigung unmittelbarer und dringender wirtschaftlicher und sozialer Bedürfnisse haben. Sie sollten sich nicht mit anderen Massnahmen der Wirtschaftspolitik oder mit der Entwicklung ordentlicher Bildungs- oder Berufsausbildungsprogramme überschneiden oder diese beeinträchtigen und nicht als Ersatz für solche Massnahmen und für die ordentlichen Programme betrachtet werden.

(3) Die Sonderprogramme sollten nicht so durchgeführt werden, dass dadurch die Arbeitsnormen herabgesetzt werden könnten; auch sollten die Dienstleistungen der Teilnehmer nicht zum Nutzen privater Personen oder Unternehmen verwendet werden.

(4) Die Sonderprogramme sollten den Teilnehmern erforderlichenfalls wenigstens ein Mindestmass an Bildung vermitteln.

4. Zu den wesentlichen Elementen jedes Sonderprogramms sollten die Wahrung der menschlichen Würde, die Entfaltung der Persönlichkeit und die Entwicklung des personlichen und sozialen Verantwortungsbewusstseins gehören.

5. Die Sonderprogramme sollten ohne Diskriminierung auf Grund der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, des Glaubensbekenntnisses, der politischen Meinung, der nationalen Abstammung oder der sozialen Herkunft durchgeführt werden; sie sollten zur Förderung der Gleichheit der Gelegenheiten und der Gleichbehandlung verwendet werden.

6. Die Ziele und Zwecke jedes Sonderprogramms und die Teilnehmerkategorien sollten von der zustandigen Stelle klar bestimmt und im Lichte der Erfahrung in regelmässigen Zeitabständen überprüft werden.

7. (1) Die Teilnahme an den Sonderprogrammen sollte freiwillig sein; Ausnahmen können nur durch gesetzgeberische Massnahmen und nur dann zugelassen werden, wenn die Bestimmungen der bestehenden internationalen Arbeitsübereinkommen über die Zwangsarbeit und die Beschäftigungspolitik voll eingehalten werden.

(2) Zu den Programmen, bei denen solche Ausnahmen zugelassen werden können, könnten die folgenden gehören : a) Bildungs- und Ausbildungsprogramme, bei denen eine pflichtmässige Teilnahme arbeitsloser Jugendlicher während einer bestimmten Zeitspanne nach Überschreiten des normalen Schulentlassungsalters vorgesehen ist; b) Programme für Jugendliche, die sich für eine bestimmte Zeit zu einer Dienstleistung verpflichtet haben, als Vorbedingung dafür, dass sie eine
Bildung oder fachliche Befähigungen erwerben können, die für die Gemeinschaft im Hinblick auf die Entwicklung von besonderem Wert sind.

(3) Werden solche Ausnahmen zugelassen, so sollte den Teilnehmern in grösstmöglichem Masse die freie Wahl zwischen verschiedenen verfügbaren Arten der Betätigung und verschiedenen Landesteilen gelassen werden, und

1564 ihre Befähigungen und Eignungen sollten bei der Zuweisung ihrer Aufgaben entsprechend berücksichtigt werden.

8. Die Dienstbedingungen der Teilnehmer an den Sonderprogrammen sollten von der zuständigen Stelle klar festgelegt werden; sie sollten mit den Rechtsvorschriften über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung übereinstimmen und mit den anderen Rechtsvorschriften im Einklang stehen, die für die ordentliche Ausbildung oder die normale Beschäftigung von Jugendlichen gelten.

9. Die Teilnehmer sollten weiterhin die Möglichkeit haben, Jugend- oder Gewerkschaftsverbänden ihrer Wahl anzugehören und an deren Tätigkeiten teilzunehmen.

10. Es sollten formelle Verfahren bestehen, die es den Teilnehmern ermöglichen, gegen die ihre Anwerbung, ihre Aufnahme oder die Dienstbedingungen betreffenden Entscheidungen Einspruch zu erheben, sowie vereinfachte Verfahren zur Behandlung geringfügiger Beschwerden.

III. Programme, die Bedürfnisse in bezug auf die Beschäftigung und Ausbildung Jugendlicher erfüllen, denen durch die bestehenden innerstaatlichen Bildungs- oder Berufsausbildungsprogramme oder durch die normalen Möglichkeiten des Arbeitsmarktes noch nicht entsprochen wird A. Zwecke 11. Je nach den innerstaatlichen Erfordernissen und Umständen sollten Sonderprogramme, für die dieser Abschnitt der Empfehlung gilt, einem oder mehreren der folgenden besonderen Zwecke dienen : a) Jugendlichen, die in bezug auf Bildung oder in anderer Hinsicht benachteiligt sind, eine Bildung, Fertigkeiten und Arbeitsgewohnheiten zu vermitteln, die für eine nützliche und bezahlte wirtschaftliche Tätigkeit und für ihre Eingliederung in die Gesellschaft notwendig sind; b) die Jugendlichen an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes, einschliesslich der Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Gebiete, teilnehmen zu lassen; c) Jugendlichen, die sonst arbeitslos wären, eine nützliche Beschäftigung im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu verschaffen.

B. Teilnahme 12. Bei der Auswahl von Jugendlichen für die Teilnahme an Sonderprogrammen sollte folgendes berücksichtigt werden : a) das Alter, die Bildung, die Ausbildung und gegebenenfalls die Arbeitserfahrung der Anwärter; je nach der Art des Programms sollte dabei Rück-

1565 sieht genommen werden auf das Ziel, benachteiligten Jugendlichen vermehrte Gelegenheiten zu bieten, sowie auf ihre Fähigkeit, aus dem Programm Nutzen zu ziehen und einen Beitrag zu seiner Durchführung zu leisten; b) ihre geistige und körperliche Eignung für die Aufgaben, die sie während und nach ihrer Teilnahme an dem Programm zu erfüllen haben; c) das Ausmass, in dem die im Rahmen des Programms zu erwerbende Erfahrung voraussichtlich die zukünftigen Gelegenheiten der betreffenden Jugendlichen vermehren und sie befähigen wird, zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beizutragen.

13. Die zuständige Stelle sollte Altersgrenzen für die Teilnahme festsetzen, die der im Rahmen verschiedener Arten von Sonderprogrammen vermittelten Ausbildung und der auszuführenden Arbeit entsprechen. Diese Altersgrenzen sollten die internationalen Arbeitsnormen betreffend das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung berücksichtigen.

14. Die Sonderprogramme sollten einer möglichst grossen Anzahl von Jugendlichen die Aufnahme einer normalen wirtschaftlichen Tätigkeit oder den Übergang zu ordentlichen Bildungs- oder Berufsausbildungsprogrammen ermöglichen; die Teilnahmedauer sollte dementsprechend begrenzt sein.

15. In jedem Sonderprogramm sollte durch geeignete Massnahmen dafür gesorgt werden, dass jeder Teilnehmer vor seiner Aufnahme alle Dienstbedingungen (einschliesslich etwaiger Verhaltensregeln), die im Rahmen des Programms auszuführenden Arbeiten, die erforderliche Ausbildung und seine Rechte während und bei Beendigung seiner Dienstzeit vollkommen versteht.

C. Inhalt der Sonderprogramme 16. Der Inhalt der Sonderprogramme sollte dem Alter, dem Geschlecht, dem Bildungs- und Ausbildungsgrad und den Fähigkeiten der Teilnehmer angepasst sein und kann demnach, auch innerhalb eines Programms, unterschiedlich sein.

17. Alle Sonderprogramme sollten eine kurze Einführungszeit zu dem Zweck umfassen, a) die Teilnehmer in Fragen zu unterrichten, die für alle von Interesse sind, wie insbesondere die allgemeinen Regeln der Sicherheit und Hygiene und die Einzelheiten der für die Tätigkeiten im Rahmen des Programms geltenden Vorschriften; b) die Teilnehmer mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen im Rahmen des Programms vertraut zu machen und ihr Interesse anzuregen; c) die Eignungen der Teilnehmer festzustellen,
um sie bei derjenigen Tätigkeit einzusetzen, die diesen Eignungen am besten entspricht.

18. Den an den Sonderprogrammen teilnehmenden Personen sollte ein ergänzender Unterricht erteilt werden, u. a. über staatsbürgerliche, Wirtschaft-

1566 liehe und soziale Fragen, der auf ihre Bedürfnisse sowie die Bedürfnisse und Wunschziele ihres Landes bezogen ist; ferner sollten sie über die Rolle und die Funktionen der auf der Grundlage der Freiwilligkeit errichteten Organisationen zur Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber unterrichtet werden.

19. Die Sonderprogramme, die ausschliesslich oder teilweise dazu bestimmt sind, Jugendlichen mit begrenzten Gelegenheiten die für eine nützliche wirtschaftliche Tätigkeit notwendigen Fertigkeiten zu vermitteln, sollten a) vor allem darauf abzielen, die Teilnehmer für Berufe vorzubereiten, in denen sie voraussichtlich Möglichkeiten für eine nützliche Tätigkeit finden werden, dabei aber ihren Wünschen bezüglich ihrer Berufswahl soweit als möglich Rechnung tragen; b) den Teilnehmern eine gute praktische Grundausbildung und die entsprechenden theoretischen Kenntnisse vermitteln; c) die Rolle berücksichtigen, die die Teilnehmer gegebenenfalls spielen könnten, indem sie einen anregenden Einfluss auf andere Personen ausüben, und ihnen die für eine solche Rolle erforderlichen Befähigungen vermitteln; d) folgendes erleichtern und nach Möglichkeit gewährleisten : i) den Übergang zu den ordentlichen Bildungs- oder Berufsausbildungsprogrammen oder zu anderen Sonderprogrammen für weitere Bildung und Ausbildung, insbesondere für jene Teilnehmer, die besondere Begabung zeigen; ii) den Übergang zu einer normalen wirtschaftlichen Tätigkeit, insbesondere durch Massnahmen, die gewährleisten sollen, dass die von den Teilnehmern erworbenen Befähigungen bei dieser Tätigkeit anerkannt werden.

20. Die Sonderprogramme, die ausschliesslich oder teilweise dazu bestimmt sind, Jugendliche an Vorhaben der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung teilnehmen zu lassen, sollten a) den Teilnehmern eine Ausbildung vermitteln, die ihnen zumindest die für die auszuübende Arbeit erforderliche Befähigung verleiht, sowie eine Ausbildung in bezug auf die einschlägigen Massnahmen der Hygiene und Sicherheit; b) auf die Entwicklung guter Arbeitsgewohnheiten abzielen; c) die Teilnehmer soweit wie möglich bei Tätigkeiten beschäftigen, für die sie sich als geeignet erweisen und für die sie einige Befähigungen besitzen.

21. Als Kriterien für die Auswahl von Arbeitsvorhaben im Rahmen der in Absatz 20 erwähnten
Sonderprogramme sollten u. a. gelten: a) der Beitrag, den sie zur Ausweitung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Landes oder Gebietes und insbesondere der zukünftigen Gelegenheiten der Teilnehmer leisten könnten;

1567 b) der Wert der Ausbildung, insbesondere mit Rücksicht auf die Berufe, in denen die Teilnehmer später voraussichtlich Gelegenheiten für eine nützliche Tätigkeit finden werden; c) ihr Wert als Investition für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und die Wirtschaftlichkeit der Vorhaben, insbesondere das Verhältnis zwischen Kostenaufwand und Ergebnissen ; d) die Notwendigkeit besonderer Aktionsmittel, was insbesondere bedeutet, dass die Arbeit der Teilnehmer für diejenige der normal beschäftigten Arbeitskräfte kein unlauterer Wettbewerb ist.

D. Dienstbedingungen 22. Die Dienstbedingungen sollten mindestens den folgenden Normen entsprechen : a) die Dauer der Dienstzeit sollte normalerweise zwei Jahre nicht übersteigen; b) bestimmte Gründe, z. B. solche medizinischer Natur oder persönliche oder im Familienkreis auftretende Schwierigkeiten, sollten als ausreichende Gründe für das Ausscheiden eines Teilnehmers vor Ablauf der normalen Dienstzeit anerkannt werden; c) die Zahl der täglich und wöchentlich für die Arbeit und die Ausbildung aufgewendeten Stunden sollte so begrenzt werden, dass den Teilnehmern genügend Zeit für Bildungszwecke und zum Ausruhen sowie für Freizeitbetätigung bleibt; d) neben angemessener Unterkunft, Verpflegung und Kleidung je nach der Art des betreffenden Sonderprogramms sollten die Teilnehmer ein Barentgelt erhalten; ferner sollte ihnen die Möglichkeit und ein Anreiz zum Sparen geboten werden; e) beträgt die Dauer der Dienstzeit in einem Sonderprogramm ein Jahr oder mehr, so sollte den Teilnehmern ein Jahresurlaub gewährt werden, wenn möglich mit kostenloser Heim- und Rückreise; f) die Teilnehmer sollten soweit wie möglich durch die Bestimmungen der Sozialen Sicherheit erfasst sein, die für in normalen Arbeitsverhältnissen stehende Personen gelten; auf jeden Fall sollten Vorkehrungen für eine unentgeltliche ärztliche Betreuung der Teilnehmer und für eine Entschädigung bei Invalidität oder Tod infolge von Unfall oder Krankheit während der Teilnahme an dem Sonderprogramm getroffen werden.

E. Auswahl und Ausbildung des Stammpersonals 23. Innerhalb jedes Sonderprogramms sollte dafür gesorgt werden, dass die Teilnehmer von ausgebildetem Stammpersonal beaufsichtigt werden, dem fachliche und pädagogische Beratung zur Verfügung steht.

1568 24. (1) Bei der Auswahl der Mitglieder des Stammpersonals sollte nicht nur besonderer Wert darauf gelegt werden, dass sie hinreichende Befähigungen und Erfahrung in der auszuführenden Arbeit, sondern auch Verständnis für die Belange der Jugend, Führungseigenschaften und Anpassungsfähigkeit besitzen. Zumindest einige Mitglieder des Stammpersonals sollten Erfahrung in einer normalen Beschäftigung ausserhalb von Sonderprogrammen erworben haben.

(2) Alle verfügbaren Möglichkeiten für die Anwerbung des Stammpersonals sollten in Betracht gezogen werden, einschliesslich der Möglichkeit, jene Teilnehmer, die Führungseigenschaften bewiesen haben, dazu anzuspornen, sich selbst für den Übertritt ins Stammpersonal vorzubereiten.

25. Die Ausbildung der Führungskräfte und anderer Fachkräfte sollte zusätzlich zum Unterricht in den jeweils erforderlichen beruflichen Spezialkenntnissen mindestens folgendes umfassen : a) Ausbildung in Lehrmethoden mit besonderer Berücksichtigung der bei der Ausbildung von Jugendlichen zur Anwendung gelangenden Methoden; b) grundlegenden Unterricht auf dem Gebiet der menschlichen Beziehungen, besonders unter Berücksichtigung der Motivation und der Einstellung zur Arbeit; c) Ausbildung in der Organisation der Arbeit, einschliesslich der Zuweisung von Arbeitsaufgaben entsprechend den Fähigkeiten und dem Ausbildungsgrad der Teilnehmer.

26. Die Ausbildung des Verwaltungspersonals sollte zusätzlich zum Unterricht in den jeweils erforderlichen beruflichen Spezialkenntnissen mindestens folgendes umfassen : a) Unterricht, der den beteiligten Personen das Verständnis für die Ziele des Sonderprogramms und die Kenntnis der einschlägigen Arbeits- und Jugendschutzgesetzgebung sowie der für das Programm im einzelnen geltenden Vorschriften vermitteln soll; b) Unterricht, der eine ausreichende Kenntnis der technischen Gesichtspunkte der im Rahmen des Programms durchgeführten Arbeiten vermitteln soll; c) Unterricht in Fragen der menschlichen Beziehungen, der geeignet ist, die Herstellung guter Beziehungen mit den Führungskräften und anderen Fachkräften und den Teilnehmern zu erleichtern.

F. Unterstützung der Teilnehmer im Hinblick auf ihr zukünftiges Berufsleben 27. Während ihrer Dienstleistung im Rahmen eines Sonderprogramms sollten den Teilnehmern Auskünfte und Ratschläge erteilt werden, um ihnen die Entscheidung über ihr zukünftiges Berufsleben zu erleichtern.

1569 28. Den Teilnehmern, die besondere Begabung zeigen, sollte in jeder geeigneten Weise geholfen werden, nach Beendigung ihrer Dienstzeit ihre Bildung und Ausbildung ausserhalb des Sonderprogramms fortzusetzen.

29. Es sollten unverzüglich besondere Bemühungen unternommen werden, um die Teilnehmer nach Beendigung ihrer Dienstzeit rasch in eine normale wirtschaftliche Tätigkeit einzugliedern; dies sollte zusätzlich zu den normalen Bemühungen der Arbeitsmarktverwaltung und aller anderen geeigneten Stellen geschehen.

30. Die Entlassung von Teilnehmern aus dem Dienst sollte nach Möglichkeit zeitlich und zahlenmassig auf die Fähigkeit der Wirtschaft abgestimmt werden, neuen Arbeitskräften Erwerbsmöglichkeiten zu bieten. In ausserordentlichen Programmen, die eine pflichtmässige Teilnahme vorsehen, sollte jedoch das Recht des einzelnen, nach der ursprünglich festgesetzten Dienstzeit aus dem Programm auszuscheiden, gewährleistet werden.

31. Die Unterstützung, die den ehemaligen Teilnehmern, die für eigene Rechnung oder als Mitglieder einer Gruppe eine Tätigkeit aufnehmen, möglichst durch schon bestehende Einrichtungen gewährt werden sollte, könnte folgendes umfassen: a) die Erleichterung des Zugangs zu Kredit- und Sparinstituten und Vermarktungsemrichtungen ; b) die Aufrechterhaltung des Kontaktes, um ihnen jede Förderung und die notwendigen fachlichen Ratschläge in Fragen der Betriebsfdhrung zuteil werden zu lassen; c) in bezug auf Genossenschaften eine finanzielle Hilfe und Verwaltungshilfe, wie sie in der Empfehlung betreffend die Genossenschaften (Entwicklungsländer), 1966, vorgesehen ist.

32. Nach Massgabe der vorhandenen Mittel sollten die Teilnehmer nach zufriedenstellendem Abschluss ihrer Dienstzeit entweder eine Barzahlung oder eine Sachleistung, z. B. einen Satz Werkzeuge, zur Erleichterung der Aufnahme einer normalen wirtschaftlichen Tätigkeit erhalten.

IV. Programme, die Jugendliche mit einer Bildung oder fachlichen Befähigungen, deren die Gemeinschaft für die Entwicklung bedarf, in die Lage versetzen, diese Befähigungen im Dienste der Gemeinschaft zu gebrauchen 33. Die Sonderprogramme, für die dieser Abschnitt der Empfehlung gilt, sollten das Interesse der Jugendlichen an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihres Landes anregen und das Bewusstsein der Verantwortung gegenüber
der Gemeinschaft entwickeln.

34. Die Teilnehmer sollten in Tätigkeitsbereichen eingesetzt werden, für die sie besonders befähigt sind, oder in eng benachbarten Bereichen.

1570 35. Nötigenfalls sollten die Befähigungen der Teilnehmer durch eine Ausbildung in den Fertigkeiten und Methoden vervollständigt werden, die sie zur Ausführung der ihnen gestellten Aufgaben benötigen.

36. Es sollte dafür gesorgt werden, dass die Teilnehmer eine fachkundige Beratung betreffend die bei der Ausführung ihrer Aufgaben auftretenden Probleme leicht erlangen können.

37. Die Dienstbedingungen sollten zumindest den folgenden Normen entsprechen : a) die Dauer der Dienstzeit sollte normalerweise zwei Jahre nicht übersteigen; b) bestimmte Gründe, z. B. solche medizinischer Natur oder persönliche oder im Familienkreis auftretende Schwierigkeiten, sollten als ausreichende Gründe für das Ausscheiden eines Teilnehmers vor Ablauf der normalen Dienstzeit anerkannt werden; c) die Arbeits- und Ausbildungszeitpläne sollten das Bedürfnis der Teilnehmer nach Erholung und Freizeit berücksichtigen; d) neben angemessener Unterkunft und Verpflegung je nach der Art des betreffenden Sonderprogramms sollten die Teilnehmer ein entsprechendes Entgelt erhalten ; e) beträgt die Dauer der Dienstzeit in einem Sonderprogramm ein Jahr oder mehr, so sollte den Teilnehmern ein Jahresurlaub gewährt werden, wenn möglich mit kostenloser Heim- und Rückreise; f) die Teilnehmer sollten durch die jeweils geeigneten Bestimmungen der Sozialen Sicherheit erfasst sein, die für in normalen Arbeitsverhältnissen stehende Personen gelten; auf jeden Fall sollten Vorkehrungen für eine unentgeltliche ärztliche Betreuung der Teilnehmer und für eine Entschädigung bei Invalidität oder Tod infolge von Unfall oder Krankheit während der Teilnahme an dem Sonderprogramm getroffen werden.

38. Es sollten Massnahmen getroffen werden, um den Übergang der Teilnehmer nach Abschluss ihrer Dienstzeit zu einer normalen Beschäftigung in ihrem Beruf zu erleichtern.

V. Verwaltungsfragen 39. Die Leitung und Koordinierung der Sonderprogramme auf gesamtstaatlicher Ebene sollte über eine oder mehrere geeignete Stellen erfolgen, die von der zuständigen Stelle errichtet werden.

40. Diese Stellen sollten soweit wie möglich neben den von der Regierung ernannten Mitgliedern auch Vertreter von Arbeitnehmer-, Arbeitgeber- und Jugendverbänden umfassen, um deren aktive Beteiligung an der Planung, Durchführung, Koordinierung, Beaufsichtigung und Bewertung der Sonderprogramme zu gewährleisten.

1571 41. Bei der Ausführung ihrer Aufgaben sollten die Stellen erforderlichenfalls freiwillige Organisationen sowie Dienststellen anhören, die für Sachgebiete wie Arbeit, Bildungswesen, Wirtschaftsfragen, Landwirtschaft, Industrie und soziale Angelegenheiten zuständig sind.

42. Die Stellen sollten mit den Dienststellen, die für die ordentlichen Bildungs- und Ausbildungsprogramme verantwortlich sind, ständig in Fühlung bleiben, um eine Koordinierung im Hinblick auf die allmähliche Abschaffung der Sonderprogramme, die so rasch wie möglich erfolgen sollte, zu gewährleisten.

43. Die aktive Beteiligung örtlicher Stellen sollte bei der Auswahl und Durchführung von Vorhaben im Rahmen der Sonderprogramme angestrebt werden.

44. Bei der Aufstellung von Sonderprogrammen sollte sich die zuständige Stelle um die Bereitstellung ausreichender finanzieller und materieller Mittel sowie des erforderlichen sachkundigen Personals bemühen, um ihre vollständige Durchführung zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang sollte besonders darauf geachtet werden, auf welche Weise sich die Programme eigene Einkommensquellen schaffen könnten. Von den Teilnehmern oder ihren Familienangehörigen sollte kein finanzieller Beitrag verlangt werden.

45. Es sollte Vorsorge für eine regelmässige Aufsicht über die Sonderprogramme und für deren Rechnungsprüfung getroffen werden.

46. Die Organisation auf örtlicher Ebene sollte so beschaffen sein, dass die Teilnehmer nach und nach zur Beteiligung an der Verwaltung ihres eigenen Programms ausgebildet und angespornt werden.

VI. Internationale Zusammenarbeit 47. Im Falle von Sonderprogrammen, bei denen Jugendliche aus einem Land an Tätigkeiten zur Entwicklung eines anderen Landes teilnehmen, sollten die zuständigen Stellen und sonstigen beteiligten Organe die entsprechenden Bestimmungen dieser Empfehlung soweit wie möglich in Fragen innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches anwenden und miteinander zusammenarbeiten, um die Anwendung dieser Bestimmungen auf Sachgebieten zu gewährleisten, die gemeinsame Massnahmen erfordern, sowie um Schwierigkeiten zu beseitigen, die im Zusammenhang mit dieser Anwendung auftreten könnten.

1572 Anhang II

Übereinkommen Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit1'

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1951 zu ihrer vierunddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, eine Frage, die den siebenten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 29. Juni 1951, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts, 1951, bezeichnet wird.

Artikel l Für dieses Übereinkommen gelten folgende Begriffsbestimmungen : a) Der Ausdruck «Entgelt» umfasst den üblichen Lohn, den Grund- oder Mindestlohn oder das übliche Gehalt, das Grund- oder Mindestgehalt sowie alle zusätzlichen Vergütungen, die der Arbeitgeber auf Grund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zu zahlen hat.

b) Der Ausdruck «Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit» bezieht sich auf Entgeltsätze, die ohne Rücksicht auf den Unterschied des Geschlechts festgesetzt sind.

Artikel 2 l. Jedes Mitglied hat mit den Mitteln, die den bestehenden Verfahren zur Festsetzung der Entgeltsätze entsprechen, die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwer*> Dieses Übereinkommen ist am 23. Mai 1953 in Kraft getreten.

1573 tige Arbeit auf alle Arbeitnehmer zu fördern und, soweit es mit diesen Verfahren vereinbar ist, sicherzustellen.

2. Dieser Grundsatz kann verwirklicht werden durch a) die innerstaatliche Gesetzgebung, b) gesetzlich geschaffene oder anerkannte Einrichtungen zur Lohnfestsetzung, c) Gesamtarbeitsverträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder d) eine Verbindung dieser verschiedenen Mittel.

Artikel 3 1. Wird die Anwendung dieses Übereinkommens dadurch erleichtert, so sind Massnahmen zu treffen, die einer objektiven Bewertung der Beschäftigungen auf Grund der dabei erforderlichen Arbeitsleistung dienlich sind.

2. Die bei dieser Bewertung anzuwendenden Methoden können entweder von den für die Festsetzung der Entgeltsätze zuständigen Stellen oder, wenn die Entgeltsätze auf Grund von Gesamtarbeitsverträgen festgesetzt werden, von den Vertragsparteien bestimmt werden.

3. Unterschiede zwischen den Entgeltsätzen, die ohne Rücksicht auf das Geschlecht des Arbeitnehmers derart objektiv festgestellten Unterschieden der Arbeitsleistung entsprechen, sind nicht als Verstoss gegen den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit anzusehen.

Artikel 4 Jedes Mitglied hat in geeigneter Weise mit den beteiligten Arbeitgeberund Arbeitnehmerverbänden bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens zusammenzuarbeiten.

Artikel 5 Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 6 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist.

2. Es tritt in Kraft zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind.

3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft.

1574 Artikel 7 1. In den dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes nach Artikel 35 Absatz 2 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation übermittelten Erklärungen hat das beteiligte Mitglied die Gebiete bekanntzugeben, a) für die es die Verpflichtung zur unveränderten Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens übernimmt, b) für die es die Verpflichtung zur Durchführung der Bestimmungen des Übereinkommens mit Abweichungen übernimmt, unter Angabe der Einzelheiten dieser Abweichungen, c) in denen das Übereinkommen nicht durchgeführt werden kann, und in diesem Fall die Gründe dafür, d) für die es sich die Entscheidung bis zu einer weiteren Prüfung der Lage in bezug auf die betreffenden Gebiete vorbehält.

2. Die Verpflichtungen nach Absatz l a) und b) dieses Artikels gelten als Bestandteil der Ratifikation und haben die Wirkung einer solchen.

3. Jedes Mitglied kann die in der ursprünglichen Erklärung nach Absatz l b), c) und d) dieses Artikels mitgeteilten Vorbehalte jederzeit durch eine spätere Erklärung ganz oder teilweise zurückziehen.

4. Jedes Mitglied kann dem Generaldirektor zu jedem Zeitpunkt, in dem das Übereinkommen nach Artikel 9 gekündigt werden kann, eine Erklärung übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt in bestimmten Gebieten bestehende Lage angegeben wird.

Artikel 8 1. In den dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes nach Artikel 35 Absätze 4 und 5 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation übermittelten Erklärungen ist anzugeben, ob das Übereinkommen in dem betreffenden Gebiet mit oder ohne Abweichungen durchgeführt wird; besagt die Erklärung, dass die Durchführung des Übereinkommens mit Abweichungen erfolgt, so sind die Einzelheiten dieser Abweichungen anzugeben.

2. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können jederzeit durch eine spätere Erklärung auf das Recht der Inanspruchnahme jeder in einer früheren Erklärung mitgeteilten Abweichung ganz oder teilweise verzichten.

3. Das beteiligte Mitglied, die beteiligten Mitglieder oder die beteiligte internationale Behörde können dem Generaldirektor zu jedem Zeitpunkt, in dem dieses Übereinkommen nach Artikel 9 gekündigt werden kann, eine Erklärung
übermitteln, durch die der Inhalt jeder früheren Erklärung in sonstiger Weise abgeändert und die in dem betreffenden Zeitpunkt bestehende Lage in bezug auf die Durchführung dieses Übereinkommens angegeben wird.

1575 Artikel 9 1. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tag, an dem es zum erstenmal in Kraft getreten ist, durch Anzeige an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen. Die Kündigung wird von diesem eingetragen. Ihre Wirkung tritt erst ein Jahr nach der Eintragung ein.

2. Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat und innerhalb eines Jahres nach Ablauf des im vorigen Absatz genannten Zeitraumes von zehn Jahren von dem in diesem Artikel vorgesehenen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht, bleibt für einen weiteren Zeitraum von zehn Jahren gebunden. In der Folge kann es dieses Übereinkommen jeweils nach Ablauf eines Zeitraumes von zehn Jahren nach Massgabe dieses Artikels kündigen.

Artikel 10 1. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2. Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn er ihnen von der Eintragung der zweiten Ratifikation, die ihm mitgeteilt wird, Kenntnis gibt, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, in dem dieses Übereinkommen in Kraft tritt.

Artikel 11 Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zwecks Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen vollständige Auskünfte über alle von ihm nach Massgabe der vorausgehenden Artikel eingetragenen Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen.

Artikel 12 Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat, sooft er es für nötig erachtet, der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und zu prüfen, ob die Frage seiner gänzlichen oder teilweisen Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 13 1. Nimmt die Konferenz ein neues Übereinkommen an, welches das vorliegende Übereinkommen ganz oder teilweise abändert, und sieht das neue Übereinkommen nichts anderes vor, so gelten folgende Bestimmungen : a) Die Ratifikation des neugefassten Übereinkommens durch ein Mitglied schliesst ohne weiteres die sofortige Kündigung des vorliegenden Überein-

l

1576 kommens in sich ohne Rücksicht auf Artikel 9, vorausgesetzt, dass das neugefasste Übereinkommen in Kraft getreten ist.

b) Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neugefassten Übereinkommens an kann das vorliegende Übereinkommen von den Mitgliedern nicht mehr ratifiziert werden.

2. Indessen bleibt das vorliegende Übereinkommen nach Form und Inhalt jedenfalls in Kraft für die Mitglieder, die dieses, aber nicht das neugefasste Übereinkommen ratifiziert haben.

Artikel 14 Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

Empfehlung Nr. 90 betreffend die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 6. Juni 1951 zu ihrer vierunddreissigsten Tagung zusammengetreten ist, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, eine Frage, die den siebenten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung zur Ergänzung des Übereinkommens über die Gleichheit des Entgelts, 1951, erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 29. Juni 1951, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die Gleichheit des Entgelts, 1951, bezeichnet wird.

Die Konferenz geht davon aus, dass das Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts, 1951, bestimmte allgemeine Grundsätze betreffend die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit aufstellt.

Sie zieht in Betracht, dass das genannte Übereinkommen bestimmt, die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit sei durch Mittel zu fördern oder sicherzustellen, die den bestehenden Verfahren zur Festsetzung der Entgeltsätze in den beteiligten Ländern entsprechen.

1577 Sie hält es für angezeigt, bestimmte Verfahren für die stufenweise Anwendung der durch das Übereinkommen aufgestellten Grundsätze anzugeben.

Sie vertritt die Auffassung, es sei ausserdem wünschenswert, dass alle Mitglieder bei der Anwendung dieser Grundsätze die in bestimmten Ländern als zufriedenstellend erachteten Anwendungsmethoden berücksichtigen.

Die Konferenz empfiehlt deshalb den Mitgliedern, die nachstehenden Bestimmungen unter Berücksichtigung des Artikels 2 des genannten Übereinkommens anzuwenden und dem Internationalen Arbeitsamt entsprechend den Beschlüssen des Verwaltungsrates über die Massnahmen zu berichten, die sie zur Durchführung dieserBestimmungen getroffen haben.

1. Nach Anhörung der beteiligten Arbeitnehmerverbände oder, falls solche nicht bestehen, nach Anhörung der beteiligten Arbeitnehmer sollten geeignete Massnahmen getroffen werden, um a) die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit auf alle Personen sicherzustellen, die in den Dienstzweigen und Stellen der öffentlichen Zentralverwaltung beschäftigt sind, b) die Anwendung dieses Grundsatzes auf Personen zu fördern, die in den Dienstzweigen und Stellen der Verwaltung von Gliedstaaten oder Provinzen eines Bundesstaates oder einer örtlichen Verwaltung beschäftigt sind, sofern diese für die Festsetzung der Entgeltsätze zuständig sind.

2. Nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sollten geeignete Massnahmen getroffen werden, um so bald wie möglich die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit in allen nicht in Absatz l erwähnten Tätigkeiten sicherzustellen, in denen die Entgeltsätze einer öffentlichen Regelung oder Überwachung unterliegen, insbesondere a) bei Festsetzung von Mindestlohnsätzen oder sonstigen Lohnsätzen in Wirtschaftszweigen oder Diensten, in denen diese Sätze durch eine Behörde festgesetzt werden, b) in Wirtschaftszweigen und in Betrieben, die in öffentlichem Eigentum stehen oder öffentlich überwacht werden, und c) wo dies zweckmässig erscheint, bei Arbeiten, die auf Grund von Aufträgen einer Behörde ausgeführt werden.

3. (1) Falls es die bestehenden Verfahren zur Festsetzung der Entgeltsätze gestatten, sollte die allgemeine
Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit durch gesetzliche Bestimmungen sichergestellt werden.

(2) Die zuständige Stelle sollte die erforderlichen und geeigneten Massnahmen treffen, damit Arbeitgeber und Arbeitnehmer über diese gesetzlichen Bestimmungen vollkommen unterrichtet und nötigenfalls in bezug auf deren Anwendung beraten werden.

Bundesblatt. 123.Jahrg. Bd.II

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1578 4. Stellt es sich nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, falls solche bestehen, als unmöglich heraus, den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit hinsichtlich der unter die Absätze l, 2 oder 3 fallenden Beschäftigungen sofort anzuwenden, so sollten so bald wie möglich geeignete Bestimmungen zur stufenweisen Anwendung dieses Grundsatzes getroffen oder veranlasst werden, insbesondere durch Massnahmen wie a) Verminderung der Unterschiede zwischen den Entgeltsätzen männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, b) falls ein System von Entgeltzulagen besteht, Gewährung gleicher Zulagen für männliche und weibliche Arbeitskräfte, die gleichwertige Arbeit verrichten.

5. Sofern die Festsetzung von Entgeltsätzen nach dem Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit dadurch erleichtert wird, sollte jedes Mitglied im Einvernehmen mit den beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden Methoden einführen oder deren Einführung begünstigen, die eine objektive Bewertung der bei den verschiedenen Beschäftigungen zu leistenden Arbeit, entweder durch eine Analyse der betreffenden Arbeit oder durch andere Mittel, zum Zweck einer Einteilung der Beschäftigungen ohne Rücksicht auf das Geschlecht erlauben; die genannten Methoden sollten nach den Bestimmungen des Artikels 2 des Übereinkommens angewendet werden.

6. Um die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit zu erleichtern, sollte nötigenfalls in zweckdienlicher Weise eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der weiblichen Arbeitskräfte angestrebt werden, insbesondere durch a) Gewährung gleicher oder gleichwertiger Möglichkeiten für Arbeitnehmer beider Geschlechter auf den Gebieten der Berufsberatung, der Arbeitsberatung, der beruflichen Ausbildung und der Arbeitsvermittlung, b) geeignete Massnahmen, welche die Frauen veranlassen sollen, von den Möglichkeiten auf den Gebieten der Berufsberatung, der Arbeitsberatung, der beruflichen Ausbildung und der Arbeitsvermittlung Gebrauch zu machen, c) Schaffung von Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen, die den Bedürfnissen der weiblichen Arbeitskräfte, insbesondere solcher mit
Familienlasten, entsprechen, und Finanzierung dieser Einrichtungen aus allgemeinen öffentlichen Mitteln oder aus Fonds der Sozialen Sicherheit oder aus Betriebs- oder Industriefonds, die für Wohlfahrtszwecke bestimmt sind und deren Mittel durch Zahlungen zugunsten der Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf das Geschlecht aufgebracht werden, d) Förderung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei der Zulassung zu den verschiedenen Berufen und Stellungen, vorbehaltlich der

1579 internationalen Regelungen und der innerstaatlichen Gesetzgebung zum Schütze der Gesundheit und der Wohlfahrt der Frauen.

7. Es sollte mit allen Mitteln angestrebt werden, m der öffentlichen Meinung das Verständnis für die Gründe zu fördern, die zugunsten der Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts mannlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleich« ertige Arbeit sprechen.

8. Es sollten alle zwecks Förderung der Anwendung dieses Grundsatzes wünschenswerten Untersuchungen vorgenommen werden.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die 54. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz und Botschaft betreffend die Genehmigung des Übereinkommens Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für...

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