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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Bekämpfung der Verkehrsunfälle (Vom 8. September 1971)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Am 21. Juni 1962 haben Sie uns ein von Herrn Nationalrat Bürgi eingereichtes Postulat (Nr. 49/8324) überwiesen, welches folgenden Wortlaut hat: Das ständige Ansteigen der Unfälle im Strassenverkehr erfordert wirksame Massnahmen von Seiten der zuständigen Behörden. Solche Massnahmen erheischen aber eine grundliche Vorbereitung auf allen mit dem Strassenverkehr zusammenhängenden Gebieten, wenn sie nicht ungenügend sein sollen.

Der Bundesrat wird deshalb eingeladen, für die Bekämpfung der Verkehrsunfälle eine Expertenkommission einzusetzen, die aus Juristen, Polizeifachleuten, Verkehrstechnikern, Ärzten, Psychologen, Fachleuten aus Verkehrsverbänden usw. bestehen würde.

Diese hätte raschmöglichst Bericht zu erstatten und Anträge über Sofortmassnahmen und langfristige Vorkehrungen auszuarbeiten, die sich gestützt auf ein gründliches Studium aller Probleme aufdrängen.

Das Postulat Bürgi verlangte keinen besonderen Bericht des Bundesrates an das Parlament. Nachdem wir aber Ende 1969 allen Mitgliedern der eidgenössischen Räte den Bericht der nachstehend erwähnten Studiengruppe zugehen Hessen, erachten wir es als zweckmässig, dem Parlament auch unsere Stellungnahme dazu bekanntzugeben.

A. Bericht der Studiengruppe Zur Abklärung der zahlreichen und verschiedenartigen organisatorischen, technischen, medizinischen, psychologischen und rechtlichen Probleme hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement eine Studiengruppe eingesetzt, die Ende 1969 ihren Bericht ablieferte. Er wurde im gleichen Jahr unter dem Titel «Die Bekämpfung der Strassenverkehrsunfälle in der Schweiz» veröffentlicht und den Mitgliedern der eidgenössischen Räte zugestellt. Der ausführliche und gründliche Bericht nimmt zu fast allen aktuellen Problemen der Unfallverhütung Stellung, schildert die heutigen Gegebenheiten und gibt Empfehlungen für die künftige Förderung der Verkehrssicherheit. Er darf als Grundlage und Aus-

1191 gangspunkt aller weiteren Bestrebungen zur Unfallbekämpfung in der Schweiz gewertet werden und hat auch bereits Anlass zu Massnahmen des Bundes gegeben.

Dies erlaubt es, uns im folgenden auf eine Stellungnahme zu diesem Bericht zu beschränken. Wir werden darlegen, welche der von der Studiengruppe vorgeschlagenen Massnahmen auf Bundesebene durchgeführt werden sollten. Sie haben so die Möglichkeit, sich zum Bericht der Studiengruppe und zu unserer Stellungnahme zu äussern und die Verwirklichung bestimmter Vorschläge zu befürworten.

B. Stellungnahme zu den wichtigsten Empfehlungen der Studiengruppe Die Arbeit der Studiengruppe hat bereits vor der offiziellen Übergabe des Berichtes zur direkten oder indirekten Förderung der Unfallbekämpfung beigetragen. So wurden Grundlagen zur künftigen psychologischen Untersuchung der Führertauglichkeit ausgearbeitet; die obligatorischen periodischen Nachprüfungen der Motorfahrzeuge erfolgen unter Berücksichtigung verschiedener Empfehlungen, und es wurde die Verfügung über die Richtgeschwindigkeiten auf Autobahnen herausgegeben. In unserer Stellungnahme legen wir besonderes Gewicht auf organisatorische und rechtliche Massnahmen, durch die der Bund in die Lage versetzt wird, die Unfallbekämpfuing wirksamer zu unterstützen, und die eine unmittelbare Verbesserung der Verkehrssicherheit bewirken sollen. Wir erlauben uns, im einzelnen auf den Bericht der Studiengruppe zu verweisen.

1. Schaffung einer zentralen Dokumentationsstelle (22, 27ff., 33,124,128)1)

Die interessierten schweizerischen Stellen und die Fachleute müssen sich auf einen leistungsfähigen spezialisierten Dokumentationsdienst stutzen können, um so mehr, als in der Schweiz die systematische Unfallforschung oder die wissenschaftliche Untersuchung einzelner Unfälle noch wenig betrieben wird und man weitgehend auf ausländische Ergebnisse und Unterlagen angewiesen ist. Im Bericht der Studiengruppe wird die Errichtung einer zentralen Dokumentationsstelle empfohlen, in der die für die Unfallforschung und Unfallbekämpfung und die damit zusammenhängenden allgemeinen Fragen des Strassenverkehrswesens erheblichen Unterlagen gesammelt oder nachgewiesen werden sollen. Wir stimmen dem Vorschlag zu.

Die Aufgabe einer spezialisierten Dokumentationsstelle wird nicht nur darin bestehen, eintreffendes Material zu bearbeiten und Bestände in schweizerischen Bibliotheken nachzuweisen ; vielmehr muss eine solche Stelle in direkter oder doch in ständiger indirekter Verbindung mit den internationalen Organisationen stehen, die sich mit Fragen der Unfallbekämpfung, aber auch mit dem Strassenverkehrswesen überhaupt - mit dessen Entwicklung der Sicherheitsgedanke untrennbar verbunden ist - befassen. Solche Organisatio*> Die Zahlen beziehen sich auf die Seiten des Berichtes.

1192 nen sind z. B. die Europäische Verkehrsmiaisterkonferenz (CEMT), die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Wirtschaftskommission für Europa und der Vereinten Nationen (ECE), der Europarat, ferner verschiedene Symposien und Jahrestagungen internationaler Gesellschaften.

Da die Beschickung dieser Konferenzen und Tagungen in erster Linie, teüweise ausschliesslich, in die Kompetenz des Bundes fällt, dessen Dienststellen auch die entsprechenden Vorarbeiten zu leisten und die sich aus solchen Tagungen ergebenden Schlussfolgerungen zu ziehen haben, da mit ändern Worten der Bund ohnehin gehalten ist, sich in allen Sachfragen des Strassenverkehrswesens ausreichend zu dokumentieren, erscheint es zweckmässig, die in der Eidgenössischen Polizeiabteilung bestehende Dokumentensammlung so zu erweitern und auszubauen, dass sie interessierten Stellen von Kantonen, Gemeinden, Verbänden, Massenmedien usw. ebenfalls zur Verfügung gestellt werden kann.

Die Schaffung einer ausreichenden Dokumentationsstelle ist auch deshalb zu empfehlen, weil die Polizeiabteilung die Vorarbeiten für die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Strassenverkehrs durchzuführen hat und mit der Bearbeitung der Unfallverhütungsmassnahmen betraut ist.

Die personelle Ausrüstung eines solchen Dokumentationsdienstes dürfte sich in einem kleinen Rahmen halten. Gedacht wird an einen Leiter, einen wissenschaftlichen Mitarbeiter und eine Schreibkraft.

2. Ernennung einer ständigen Expertenkommission zur Weiterführung der Arbeiten auf dem Gebiet der Unfallbekämpfung (128) Die Erarbeitung zweckmässiger Methoden und Mittel zur Unfallbekämpfung ist nicht eine einmalige, befristete Arbeit. Die von den Experten der Studiengruppe für die Bekämpfung der Verkehrsunfälle vorgelegten Empfehlungen können daher nicht als endgültig angesehen werden, vielmehr ist der Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und den Wandlungen, denen der Strassenverkehr unterliegt, ständig Rechnung zu tragen. Die Arbeit der Studiengruppe soll deshalb in Zukunft weitergeführt werden. Es ist notwendig, dass aus Vertretern der massgeblichen Fachgebiete und Organisationen eine ähnliche Kommission gebildet wird, welche die Probleme der Unfallverhütung ständig überdenkt und gegebenenfalls neue oder modifizierte Vorschläge zur Unfallbekämpfung
entwickelt.

Erwünscht ist dabei eine ständige Verbindung mit der seit 1959 bestehenden, vom Bundesrat gestützt auf Artikel 106 Absatz 4 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG) bestellten und vom Direktor der Eidgenössischen Polizeiabteilung präsidierten Ständigen Strassenverkehrskommission. Es wäre deshalb zweckmässig, ein Sekretariat der neu zu bildenden Expertengruppe ebenfalls bei der Polizeiabteilung zu errichten.

1193 3. Koordination der Unfallbekämpfungsmassnahmen durch die Schweizerische Konferenz für Sicherheit im Strassenverkehr (20, 24, 25, 26, 33,126)

Während die in Aussicht genommene, im vorstehenden Abschnitt erwähnte ständige Expertenkommission die theoretisch-wissenschaftlichen Richtlinien und Massnahmen der künftigen Unfallbekämpfung auszuarbeiten hat, soll ein weiteres Organ mit der Umsetzung dieser Richtlinien und Massnahmen in die Praxis betraut werden. Der Bundesrat erachtet es als gegeben, diese Aufgabe der schweizerischen Konferenz für Sicherheit im Strassenverkehr (SKS) zu übertragen, wie es die Studiengruppe empfiehlt. Die Eidgenössische Polizeiabteilung ist mit zwei weiteren Bundesstellen (Automobilabteilung der PTT und Abteilung für Transportdienst und Reparaturtruppen des EMD) in der SKS vertreten, so dass die Voraussetzungen für eine aktive Mitarbeit des Bundes hinsichtlich der Unfallbekämpfung gegeben sind.

Der Tätigkeitsbereich der SKS würde durch die Übernahme der Koordinationsaufgaben und die Ingangsetzung und Durchführung der praktischen Massnahmen wesentlich erweitert. Es stellt sich die Frage, ob dafür die bisherige Organisation mit der Aufteilung der Sekretariatsgeschäfte auf den Schweizerischen Strassenverkehrsverband (Administratives Sekretariat) und die Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung (Technisches Sekretariat) noch zweckmässig sei oder ob die SKS über ein eigenes Sekretariat verfügen sollte.

4. Schaffung eines Zentralregisters für Widerhandlungen im Strassenverkehr

(107, 113) Die Studiengruppe deutet in ihrem Bericht an, dass gerechte, nämlich der Persönlichkeit angepasste Sanktionen von Verkehrswiderhandlungen nur bei einer möglichst lückenlosen Erfassung des früheren Verhaltens der betreffenden Person gewährleistet seien. In der Schweiz können heute Urteile über begangene Verkehrsdelikte gefällt oder Verwaltungsmassnahmen (z. B. Führerausweisentzug) getroffen werden, ohne dass alle früheren Straftaten eines Täters oder die gegen ihn verfügten Massnahmen berücksichtigt werden. Dies widerspricht dem Sinn der Strafe oder Massnahme als Erziehungsmittel. Die Studiengruppe fordert die Einrichtung eines Zentralregisters für Widerhandlungen im Strassenverkehr. Es könnte in Zukunft einlässlich Auskunft geben über frühere Verurteilungen und verwaltungsrechtliche Massnahmen im Zusammenhang mit Verkehrswiderhandlungen. Ein solches Register hätte darüber hinaus eine nicht zu unterschätzende vorbeugende Wirkung.

Zentrale oder dezentralisierte Strafregister, in denen entweder Strafmassnahmen im Bereich des Verkehrs oder auch weitere gerichtliche Verurteilungen eingetragen werden, bestehen seit längerer oder kürzerer Zeit in verschiedenen westeuropäischen Staaten und in den USA.

Die Konferenz der Europäischen Verkehrsminister (CEMT) hat es unternommen, die Anschauungen in bezug auf die Registrierung von Verkehrsdelik-

1194 ten in Westeuropa zu erfassen und zuhanden der Regierungen einheitliche Empfehlungen auszuarbeiten (Entschliessung vom 5. Oktober 1961). In diesen Empfehlungen wird festgestellt, - dass der Führerausweisentzug eine sehr wirkungsvolle Massnahme darstellt, deren blosse Androhung schon wirkt; - dass die zuständige Behörde, um diese Massnahme in Abwägung der Gründe durchzuführen, über die notwendigen Informationen verfügen muss; - dass sie einen gültigen Massstab für die Beurteilung erhält, sofern sie sich anhand eines Registers über frühere Delikte und Verurteilungen informieren kann; - dass ein solches Register sich schon durch sein Vorhandensein auf das Verhalten der Verkehrsteilnehmer günstig auswirkt; - dass das Register als Dokumentationsquelle dem Gesetzgeber, den Gerichten, den Verwaltungsbehörden, aber auch für wissenschaftliche und statistische Erhebungen von Nutzen ist.

Der Bundesrat schliesst sich grundsätzlich der Meinung an, dass ein zentrales Register zu schaffen ist, mit dessen Hilfe der Verkehrsleumund eines Täters besser erfasst werden kann. Auch die grosse Mehrheit der Kantone befürwortet ein solches Register. Die Vorarbeiten sind bereits im Gange.

5. Geschwindigkeitsmassnahmen (91 ff., 111 f.)

Geschwindigkeitsbeschränkungen ausserorts Die Auswertung der Unfallerhebungen durch das Eidgenössische Statistische Amt macht seit Jahren immer wieder deutlich, dass ein grosser Teil der Unfälle auf die den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen nicht angepasste Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge zurückzuführen ist. Es ist deshalb verständlich, dass in der Öffentlichkeit immer wieder die Frage aufgeworfen wird, ob vermehrte oder auch generelle Geschwindigkeitsmassnahmen nicht ein geeignetes Mittel zur Förderung der Verkehrssicherheit darstellen. Auch im Parlament ist das Problem der Geschwindigkeitsbegrenzung mehrfach zur Sprache gekommen. Das Parlament hatte sich bei Erlass des SVG ausdrücklich gegen eine allgemeine Ausserorts-Höchstgeschwindigkeit gewandt. Noch 1964 wurde eine Motion Max Weber auf Einführung einer Höchstgeschwindigkeit ausserorts abgelehnt. Hingegen wurde das Postulat Weber vom 20. Dezember 1967 vom Nationalrat erheblich erklärt. Es hat folgenden Wortlaut : Die Verkehrsunfälle auf den Strassen und namentlich die Zahl der tödlich verunfallten Personen sind erschreckend gross. Ein namhafter Teil der Unfälle ist auf übersetzte Geschwindigkeit der Automobile zurückzuführen.

Der Bundesrat wird ersucht, die Frage zu prüfen und den eidgenössischen Räten Bericht zu erstatten, ob nicht das Bundesgesetz über den Strassenverkehr in dem Sinne zu revidieren sei, dass auch ausserorts eine Geschwindigkeitsbeschränkung ermöglicht wird.

Der Bundesrat hat sich schon früher wiederholt über die Bedeutung und Auswirkung von Geschwindigkeitsmassnahmen unterrichten lassen. Es hat

1195 sich dabei gezeigt, dass eine generelle Beschränkung nicht ohne beträchtliche Nachteile wäre. Dazu ist im einzelnen folgendes auszuführen : Jede Strasse hat eine bestimmte Ausbaugeschwindigkeit, worunter man die Höchstgeschwindigkeit versteht, mit der sie bei normalen Verhältnissen (hinsichtlich Beleuchtung, Witterung, Verkehrsdichte) überall noch sicher befahren werden kann. Nicht nur variieren die Ausbaugeschwindigkeiten stark je nach Strassenart, sondern Anlage und Ausbau ein und derselben Strasse können auf einzelnen Strecken wechseln (Strassenbreite, Kurvenradien, Überholsichtweite, Knotenpunkte). Eine generelle Höchstgeschwindigkeitsgrenze könnte somit nicht allen strassenbaulichen Gegebenheiten gerecht werden.

Abgesehen vom Ausbau einer Strasse hängt die verkehrstechnisch zulässige Höchstgeschwindigkeit von weiteren Faktoren ab, beispielsweise dem Beleuchtungsgrad, der Witterung, der Verkehrsdichte oder dem Zustand der Fahrbahnoberfläche. Da diese Gegebenheiten ständig wechseln, können zwischen einer allfälligen Geschwindigkeitsbegrenzung und der herrschenden Verkehrslage Diskrepanzen entstehen.

Beim Erlass des SVG wollte man - entsprechend den Forderungen der Verkehrstechnik und Verkehrspsychologie - einen starren Schematismus hinsichtlich der Geschwindigkeitsgrenzen möglichst vermeiden. Durch Artikel 32 sollten die Kantone aber ermächtigt werden, für bestimmte Strecken und gestützt auf eine verkehrstechnische Untersuchung auch ausserorts Höchstgeschwindigkeiten zu verfügen.

Die Studiengruppe ist zu keinen hievon abweichenden Ergebnissen gelangt. Auch sie lehnt generelle Geschwindigkeitsbegrenzungen ab, befürwortet indessen auf bestimmten Strecken vermehrte signalisierte Begrenzungen; ferner sollten vermehrt zeitlich beschränkte Massnahmen angewandt werden; die heute geltenden Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Fahrzeugarten sollten darüber hinaus neu überprüft werden.

Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf verwiesen, dass bei der heutigen Rechtslage für die Einführung einer generellen Höchstgeschwindigkeit ausserorts keine Gesetzesrevision erforderlich wäre. Der Bundesrat ist nach Artikel 32 Absatz 5 SVG ermächtigt, eine Höchstgeschwindigkeit ausserorts in genereller Weise zu verfügen. Eine Gesetzesrevision wäre nur in Aussicht zu nehmen, wenn man ein für allemal im Gesetz
die Höchstgeschwindigkeit auf einen bestimmten Wert fixieren wollte, was jedoch unzweckmässig wäre. Der Bundesrat hat im übrigen wiederholt betont, dass er einer generellen Geschwindigkeitsbeschränkung nicht unbedingt negativ gegenüberstehe.

Die Stellung von Organisationen und Verbänden in der Schweiz Zum Problem bestimmter Geschwindigkeitsbeschränkungen ausserorts wurde bei den zuständigen Stellen der Kantone noch keine Umfrage gemacht.

Anderseits ist bis anhin von keinem Kanton der Antrag für die Einführung allgemeiner Geschwindigkeitsbeschränkungen gestellt worden. Die verantwortlichen Stellen verhalten sich eher abwartend. Hingegen haben gewisse Organi-

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sationen und Verbände ihre Ansichten dargelegt. So ist beispielsweise die Interkantonale Kommission für den Strassenverkehr zur Auffassung gelangt, dass im Hinblick auf die nicht abreissende Kette schwerster Verkehrsunfälle die Versuche mit Richtgeschwindigkeiten auf Autobahnen auch auf das übrige Strassennetz auszudehnen sind und dass für besonders unfallträchtige Strassenstrecken Geschwindigkeitsbeschränkungen verfügt werden müssen.

Die Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) erachtete in ihrer 1968 herausgegebenen Broschüre «Geschwindigkeitsbeschränkungen ausserorts» die sogenannte übersetzte Geschwindigkeit als wesentlichen Unfallfaktor. Um sich über dieses Problem ein noch genaueres und den gegenwärtigen Zustand treffendes Bild zu machen, führte sie eine neue wissenschaftliche Untersuchung durch. Ein entsprechender Bericht (Geschwindigkeitsbeschränkung ausserorts) konnte am 12. August 1971 vorgelegt werden. Er weist darauf hin, dass limitierte Geschwindigkeiten zur Verminderung der Geschwindigkeitsdifferenzen und damit zur Senkung der Unfallraten beitrügen. Wörtlich wird erklärt, dass zur Herabsetzung der Zahl der Unfälle und inbsesondere der verunfallten Personen eine Geschwindigkeitsbeschränkung erforderlich sei. Die BfU schlägt vor, dass je nach Ausbau der Strassen Begrenzungen auf 90 und 110 km/h angeordnet werden sollten, während die Höchstgeschwindigkeit auf den Autobahnen auf 130 km/h festzulegen wäre.

Der TCS hat sich wiederholt gegen die Einführung genereller Geschwindigkeitsbeschränkungen in der Schweiz ausgesprochen, da sie den Verkehrsfluss hemmen würden. Anderseits sei die Wirksamkeit allgemeiner Geschwindigkeitsbeschränkungen bisher noch nicht objektiv bewiesen worden. Der TCS ist aber gegenüber differenzierten, den örtlichen Verhältnissen angepassten Geschwindigkeitsgrenzen positiv eingestellt. Er ist auch mit der Beibehaltung der Richtgeschwindigkeiten auf Autobahnen einverstanden. Hingegen spricht er sich gegen die Ausdehnung dieser Richtgeschwindigkeiten auf Hauptstrassen aus.

Auch der ACS ist bereit, die differenzierten, den örtlichen Gegebenheiten angepassten Geschwindigkeitsbeschränkungen zu unterstützen, stellt sich aber allfälligen allgemeinen Geschwindigkeitsbeschränkungen entgegen, da die Studien in der Schweiz und im Ausland es nicht gestatteten,
aus den generellen Beschränkungen positive Schlüsse zu ziehen.

Massnahmen und Erfahrungen in anderen Ländern Frankreich unternimmt seit 1970 einen Grossversuch, indem rund 14000 km der meistbefahrenen Routes nationales (keine Autobahnen) mit einer Begrenzung auf 110 km/h belegt werden. Dieses Experiment soll noch verfeinert werden, indem die Begrenzungen vermehrt den jeweiligen Strassenund Verkehrsverhältnissen angepasst werden. Dabei wird vorgesehen, die Routes nationales in 10 km lange Abschnitte aufzuteilen, die in bestimmte Geschwindigkeitskategorien eingereiht werden, deren obere Grenze 100, 110 oder 120 km/h beträgt.

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In Schweden sind versuchsweise Geschwindigkeitsbeschränkungen eingeführt worden, gemäss denen auf gewöhnlichen Strassen bis 70 km/h, auf Autobahnen bis 110 km/h gefahren werden darf. Vorher waren ausgedehnte Versuche mit verschiedenen Limiten gemacht worden, bei denen es sich erwies, dass eine merkliche Verminderung der Unfälle erst bei verhältnismässig einschneidenden Beschränkungen eintrat.

In Luxemburg ist es seit Ende 1970 dem Autofahrer untersagt, an Wochenenden ausserorts schneller als 90 km/h zu fahren. Die Geschwindigkeitsbeschränkung gilt dabei auch für Autobahnen. Diese Vorschrift bleibt vorerst für eine begrenzte Zeit in Kraft, würde aber möglicherweise gesetzlich verankert, wenn sie eindeutige positive Resultate zeitigen sollte.

In Belgien wird die Geschwindigkeit auf allen gewöhnlichen Strassen mit Gegenverkehr auf 90 km/h beschränkt. Auf dem - nicht sehr dichten - Autobahnnetz gilt eine obere Grenze von 120 km/h.

In Finnland waren 1968 kurzfristige Versuche mit generellen Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 90 km/h sowie auf 110 km/h vorgenommen worden. Es erwies sich - ähnlich wie in Schweden -, dass die stärkere Begrenzung einen positiven Erfolg hatte; allerdings wurde in den Schlussfolgerungen betont, dass die Versuche zu kurz gewesen seien, um zu klaren und folgerichtigen Ergebnissen führen zu können.

In den USA sind die Geschwindigkeitsmassnahmen nicht so einheitlich, wie oft angenommen wird. Vier Staaten kennen für den Personenwagenverkehr ausserorts zur Tageszeit keine zahlenmässig festgelegte Geschwindigkeitsgrenze. 28 Staaten wenden absolute Geschwindigkeitsgrenzen an, während 18 Staaten Geschwindigkeitsempfehlungen (entsprechend unseren Richtgeschwindigkeiten) kennen. Dies scheint zu zeigen, dass die Meinungen über die Massnahmen auch in den USA auseinandergehen.

Es war bis heute leider nichl möglich, die Auswirkungen genereller Geschwindigkeitsbeschränkungen auf das Unfallgeschehen genau abzuklären. In Frankreich glaubt man, dass die Zahl der Unfälle auf den entsprechenden Strassen um etwa 10 Prozent zurückgegangen sei; anderseits soll die Zahl der Unfälle innerorts angestiegen sein. Ein innerer Zusammenhang wäre möglich, aber nicht beweisbar. - In Luxemburg soll die Wochenend-Beschränkung eine Reduktion der Zahl der Verkehrstoten um 25 Prozent bewirkt haben. Es wird
aber betont, dass eine intensive polizeiliche Kontrolle unerlässlich sei. - In Schweden sollen die Unfälle mit Verletzten um 25 Prozent, solche mit blossem Sachschaden um 19 Prozent zurückgegangen sein; dies bei einer oberen Grenze von 90 km/h auf gewöhnlichen Strassen. (Die Beschränkung auf 70 km/h ist erst nach diesen Ergebnissen verfügt worden.)

Stellungnahmen internationaler Organisationen Wie schon 1968 bekanntgegeben wurde, lehnt der Internationale Strassenverkehrsverband (IRF) jede systematische und ständige Geschwindigkeitsbegrenzung ausserorts ab, da er der Ansicht ist, dass die Wirksamkeit dieser

1198 Massnahme in bezug auf die Häufigkeit der Verkehrsunfälle nicht bewiesen werden konnte.

Auch die Organisation mondiale du tourisme et de l'automobile (OTA) erachtet allgemeine, absolute Höchstgeschwindigkeiten für gewisse Strassenkategorien oder sogar für das gesamte Strassennetz als untaugliches Mittel, die Verkehrssicherheit entscheidend zu heben. Indessen werden örtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen an gefährlichen Stellen befürwortet.

Im Gegensatz dazu würde die Arbeitsgruppe für Verkehrssicherheit der Europäischen Wirtschaftskommission unter bestimmten Vorbehalten eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung begrüssen : Die Festlegung einer generellen Höchstgeschwindigkeitsgrenze zeitige gute Resultate, wenn sich die Massnahme über gewisse Abschnitte stark befahrener und gefährlicher Strassen erstrecke.

Im Bericht der OECD über die Ergebnisse von Geschwindigkeitsbeschränkungen in verschiedenen Ländern (1967) wird ausgeführt, dass ein grosser Anteil von Automobilisten sich zwar über die Limiten hinwegsetze, dass die Einführung von Geschwindigkeitsbeschränkungen aber doch eine Eliminierung der sehr hohen Geschwindigkeiten zur Folge habe und das Unfallgeschehen günstig zu beeinflussen scheine.

An der Minister-Tagung der Europäischen Verkehrsministerkonferenz (CEMT) vom J6. Juni in Madrid wurde festgestellt, dass im Augenblick keine endgültigen Anträge unterbreitet werden könnten, da über den Einfluss von Geschwindigkeitsbeschränkungen noch keine wissenschaftlich fundierten Ergebnisse vorlägen. Es zeigte sich im Verlauf der Diskussion aber eine deutliche Tendenz zum Erlass von allgemeinen, wenn immer möglich einheitlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen ausserorts.

Stellungnahme des Bundesrates a. Ausserortsstrassen (ohne Autobahnen) In Abwägung der Gründe für die Anordnung von generellen Höchstgeschwindigkeiten ausserorts und der dagegen erhobenen Einwände kommt der Bundesrat zum Schluss, dass es angezeigt sei, generelle Geschwindigkeitsbeschränkungen mindestens versuchsweise einzuführen. Er geht davon aus, dass keine erfolgversprechende Massnahme zur Verminderung der Verkehrsunfälle und zur Vermeidung von Opfern und Schäden unterlassen werden dürfe und dass gegenüber diesem Ziele, insbesondere der Rettung jedes einzelnen Menschenlebens, allfällige Einwendungen zurückzutreten haben.
Es liegt nahe, bei der Festsetzung der Limiten von der neuesten Untersuchung der BfU, die sich hauptsächlich mit den Verhältnissen des landeseigenen Verkehrs befasst hat, auszugehen. Dabei erscheint eine Differenzierung zwischen Beschränkungen von90undllO km/h a Her dings aus folgenden Gründen unzweckmässig : erstens müssten die oberen Grenzen für die einzelnen Strassen in zeit-

1199 raubender Weise von Fall zu Fall bestimmt werden, und zweitens würden durchgehende, kostspielige Signalisierungen notwendig, die sich schon deswegen nicht rechtfertigen, weil es sich vorderhand um einen Versuch handelt. Die BfU schlägt aus diesem Grunde denn auch vor, die Geschwindigkeitsbeschränkungen lediglich bei den vortrittsberechtigten Hauptstrassen anzuwenden, was wiederum als unkonsequent erscheint, da gerade die in der Regel weniger gut ausgebauten übrigen Strassen von den Geschwindigkeitslimiten nicht ausgenommen werden sollten.

Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass für die normalen Ausserortsstrassen generell eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h zu verfügen ist. Die Verfügung würde eine besondere Signalisierung entbehrlich machen. Selbstverständlich wären gefährliche Stellen weiterhin mit tieferen, signalisierten Höchstgeschwindigkeiten zu belegen.

Eine allgemeine Beschränkung auf 100 km/h vermag aber auch den Grundsätzen der BfU zu entsprechen. Die BfU geht bei der Festsetzung der Limiten (in Übereinstimmung mit Ar t. 83 Abs. l der Verordnung über die Strassensignalisation) vom Grundsatz aus, dass die zulässige Geschwindigkeit nicht unter den Wert gesenkt werden sollte, der von 85 % der Fahrer von Personenwagen eingehalten wurde, da auf diese Weise das Optimum zwischen Wirkung und Beachtung erreicht wird. Abweichungen von maximal 10 km/h sind aber nach Ansicht der BfU noch zulässig. Die von der BfU vorgeschlagenen Höchstgeschwindigkeiten von 90 und 110 km/h könnten demnach auf 100 km/h auf- bzw. abgerundet werden, ohne dass damit wesentliche Nachteile in Kauf zu nehmen sind. Es darf mit anderen Worten - angenommen werden, dass die Mehrheit der Fahrer eine solche Limite als vernünftig anerkennen wird und der Beachtungsgrad der Erwartung entspricht. Abweichungen auf für höhere Geschwindigkeiten ausgebauten Strecken (vierspurige kantonale Hauptstrassen) und insbesondere weitergehende Beschränkungen auf gefährlichen und unfallreichen Strassenstrecken sollen örtlich angeordnet und signalisiert werden. Es liegt auf der Hand, dass eine verstärkte Überwachung des Strassenverkehrs auch auf Ausserortsstrassen durch die Polizei erforderlich sein wird.

Der Bundesrat wird sich über die Frage der Modalitäten zur Einführung einer generellen Höchstgeschwindigkeit noch mit den Kantonen und den interessierten Organisationen besprechen.

b. Autobahnen

Die Autobahnen sind Schnellverkehrsstrassen. Sie sind sehr gut ausgebaut und deshalb besonders sicher. Die Unfallhäufigkeit auf Autobahnen ist relativ niedrig. Nach den Unterlagen ser BfU beträgt sie nur 6 % aller Unfälle ausserorts. Auch die Unfallschwere (Zahl der Verletzten pro Unfall) ist relativ gering.

Eine generelle Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen müsste anderseits gemäss der 85 %-Klausel ziemlich hoch sein, d. h. auf 130 km/h festgesetzt werden. In Anbetracht dieser Umstände scheint es gerechtfertigt, die Autobahnen von der generellen Geschwindigkeitsbegrenzung auszunehmen. Hingegen sind die

1200 Richtgeschwindigkeiten beizubehalten und auf den Autobahnen allgemein einzuführen. Ferner sind die unfallträchtigen Stellen mit signalisierten Höchstgeschwindigkeiten zu belegen.

6. Provisorischer Fährerausweis und Geschwindigkeitsbeschränkung für Anfänger (79 f.)

In der Öffentlichkeit und im Parlament ist wiederholt die Anregung gemacht worden, die Neufahrer besonderen Bestimmungen und Kontrollen zu unterwerfen, da es statistisch erwiesen ist, dass Motorfahrzeuglenker in der ersten Zeit nach Erlangung des Führerausweises eine erhöhte Unfallgefahr darstellen. Insbesondere ist angeregt worden, den Fahrern nach bestandener Führerprüfung vorerst einen provisorischen Führerausweis abzugeben.

In der Tat besteht in der mangelnden Erfahrung und Routine des Neufahrers ein deutliches Risiko. Die Unfallgefahr hängt nach den statistischen Erhebungen stark mit der mangelnden Fahrpraxis zusammen. Sie ist (unabhängig vom Lebensalter) am grössten im Jahr nach dem Erwerb des Ausweises. Bezüglich des Lebensalters lasst sich feststellen, dass die Gruppe der 20-30jährigen Fahrer die grösste Unfallhäufigkeit aufweist.

Gemäss Postulat Glasson vom 24. Juni 1970 sollten die Neufahrer deshalb einer Geschwindigkeitsbeschränkung unterworfen werden. Danach sollte die erlaubte Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge, deren Lenker ihren Führerausweis seit weniger als einem Jahr besitzen, auf den Autobahnen 110 km/h und auf den übrigen Strassen 90 km/h betragen. An den Fahrzeugen solcher Lenker könnte wie für Lernfahrer ein besonderes Kennzeichen angebracht werden.

Bereits im Postulat Buri vom 26. September 1966 wurde vorgeschlagen, dem Neufahrer einen provisorischen Fahrausweis abzugeben, der einer verschärften Entzugspraxis zu unterwerfen wäre; damit sollte eine gewisse Zurückhaltung in der Fahrweise zu erreichen sein. In der Tat steht es heute dem Neufahrer frei, nach bestandener Prüfung ein beliebig starkes und schnelles Fahrzeug zu gebrauchen.

Eine entsprechende Forderung stellte der TCS mit Schreiben vom 30. April 1969 an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement. Danach sollten die Neufahrer während zweier Jahre auf gewöhnlichen Strassen höchstens mit 100 km/h und auf Autobahnen höchstens mit 120 km/h fahren dürfen. Zur Erleichterung von Kontrollen wären die Wagen der Neufahrer mit einem besonderen Kennzeichen zu versehen.

Auch ein am 14. Juni 1971 von Nationalrat Bratschi eingereichtes Postulat verlangt, dass die Einführung einer Geschwindigkeitsbeschränkung für Neufahrer geprüft werde.

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass sich als besonderes Problem die vermehrte
Einflussnahme auf die Neufahrer vor allem der jüngeren Jahrgänge stellt; es hat sich auch in ändern Ländern gezeigt, dass die jungen Fahrer stärker zum Eingehen von Risiken neigen. Aus dieser Erkenntnis heraus ist beispielsweise in Frankreich bestimmt worden, dass die Fahrzeugführer der An-

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fängerstufe während eines Jahres die Geschwindigkeit von 90 km/h nicht überschreiten dürfen und dass ihre Fahrzeuge ein Schild mit der Bezeichnung «90» tragen müssen.

In bezug auf die Frage, ob die Einführung eines provisorischen Führerausweises zweckmässig wäre, lässt sich auch einwenden, dass der normale Führerausweis gegebenenfalls ebensogut entzogen werden könnte. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass der provisorische Charakter des Führerausweises wohl einen wirksamen psychologischen und pädagogischen Einfluss hätte.

Die Frage einer Geschwindigkeitsbeschränkung für Neufahrer kann davon unabhängig behandelt werden. Sie wird im Zusammenhang mit den Problemen der Geschwindigkeitsmassnahmen allgemein zu prüfen sein.

7. Verkehrserziehung (82 f., 109 f., 133) Es liegt auf der Hand, dass sich die Verkehrserziehung, auch wenn sie sich im Prinzip auf sämtliche Strassenbenützer erstreckt, in besonderem Mass mit den Kindern und Jugendlichen befassen muss. Nicht nur sind die jüngeren Menschen noch am bildungsfähigsten, sondern sie besitzen auch noch nicht die Erfahrung und Vorsicht der Älteren, weshalb sie zu ihrem eigenen Schutz veranlasst werden müssen, sich mit den Gegebenheiten des modernen Strassenverkehrs vertraut zu machen. Dazu kommt die Tatsache, dass immer mehr Jugendliche den Führerausweis erwerben. Nun weisen aber nicht nur die Anfänger unter den Motorfahrzeuglenkern eine relativ hohe Unfallhäufigkeit auf, sondern unter den Anfängern in besonderem Masse die Jugendlichen. Diese müssen deshalb besonders intensiv für die Teilnahme am Strassenverkehr unterrichtet und erzogen werden. Im übrigen bildet heute die Schule die einzige Stätte, wo sämtliche Verkehrsteilnehmer systematisch erfasst und einem obligatorischen Unterricht zugeführt werden können. Man muss diese Chance bestmöglich ausnützen, damit die kommende Generation durch verantwortungsbewusste und disziplinierte Haltung in ihrem eigenen Interesse und im Interesse der Allgemeinheit zur Förderung der Sicherheit im Strassenverkehr beiträgt.

Dass gerade die jungen Leute eine vermehrte Unfallhäufigkeit aufweisen, bildet ein besonderes Problem. Die grössere Schadenbelastung der jungen Fahrer ist in verschiedenen Ländern statistisch belegt worden. Um auch für die Schweiz genaue Unterlagen zu erhalten, führten die schweizerischen
Versicherungsgesellschaften in den Jahren 1967 und 1968 Untersuchungen durch (die sich auf die Jahre 1965 und 1967 bezogen). Es zeigte sich dabei, dass die Schadenhäufigkeit bei gleichen Fahrleistungen bei den jungen Fahrern (insbesondere bei den 18-19jährigen) rund 3,4 mal höher war als beim Durchschnitt aller Fahrer. In der Praxis wird sich die Risikohäufigkeit der jungen Fahrer überdies dadurch erhöhen, dass sie mehr fahren als der Durchschnitt aller Lenker. Dabei liegen die ganz jungen Fahrer (18-19 Jahre) zwar wesentlich unter dem Gesamtdurchschnitt, aber schon die 20-22jährigen erreichen eine grössere Fahrleistung. Diese beginnt erst mit dem Alter von etwa 30 Jahren zu sinken.

1202 Bei dieser Sachlage liegt die Frage nahe, ob es nicht zweckmässig wäre, das Mindestalter für die Erteilung des Führerausweises heraufzusetzen. Das diesbezügliche Postulat Kurzmeyer vom 12. Oktober 1965 wurde zwar am 8. Juni 1966 vom Nationalrat abgelehnt. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die vermehrte Benutzung von Motorfahrzeugen durch Jugendliche eine Erscheinung der allgemeinen Zeitentwicklung ist und nicht durch negative Massnahmen hintangehalten, sondern mit pädagogischen Mitteln positiv gelenkt werden sollte. Man hat dabei von der Voraussetzung auszugehen, dass die soziale Reife bei den Jugendlichen nicht in dem Mass vorhanden ist wie bei den älteren Menschen. Ebenfalls muss man die grössere Dynamik des Jugendlichen als natürlichen Wesenszug berücksichtigen, was sich unmittelbar auf die Fahrweise auswirkt.

Die Unfallbekämpfung sieht sich somit vor folgendes spezifisches Problem gestellt : Die jungen Fahrer haben eine relativ hohe Unfallbeteiligung, und die Zahl der jungen Fahrer ist voraussichtlich im Zunehmen begriffen. Indessen wird auch die gesamte Verkehrsdichte weiter zunehmen, womit gerade vom jungen Lenker, welcher der Erfahrung entbehrt, relativ viel verlangt wird. Die adäquate Massnahme besteht nach Ansicht des Bundesrates in einem möglichst frühzeitigen Einsetzen der Verkehrserziehung und in ihrer Intensivierung und qualitativen Verbesserung. Die Unterrichtung und Erziehung der jungen Menschen zu einem verkehrsgerechten Verhalten ist heute als besondere Aufgabe der Schule anzusehen. Schon der angehende Fahrschüler muss eine genügende Grundlage für seine Ausbildung zum Motorfahrzeuglenker mitbringen, denn der eigentliche Fahrunterricht kann nur eine vorwiegend fahrtechnische Ausbildung bieten.

Die SKS hat aus der Notwendigkeit heraus, die Verkehrserziehung gesamtschweizerisch zu fördern und zu koordinieren, Ende 1969 einen besonderen Fächausschuss gebildet, in dem auch der Bund vertreten ist. Der Ausschuss wird sich im besonderen um die Bereitstellung der nötigen praktischen Lehr- und Hilfsmittel für die Schule bemühen. Heute liegen bereits erste Entwürfe zu Leitfäden für die Lehrer und zu Arbeitsheften für die Schüler vor. Für die einzelnen Altersstufen werden verschiedene Unterlagen ausgearbeitet; auch das Kindergartenalter findet Berücksichtigung. Für Gymnasien und
Berufsschulen werden besondere Ergänzungen geschaffen, in denen auch Quellenmaterial für die selbständige Arbeit für Gymnasiasten und Berufsschüler enthalten ist (statistische Unterlagen, Polizeirapporte, Zeitungsausschnitte, Aufsätze, Bildberichte usw.).

Die Verkehrserziehung ist aber nicht allein Angelegenheit der Schule, sondern in weitem Ausmass auch der Polizei, sei es, dass diese sich am Unterricht in den Schulen beteiligt, sei es, dass sie selbständige Aktionen für Verkehrsteilnehmer - nicht nur für Schüler - durchführt. Es geht deshalb ebenfalls darum, die Polizei vermehrt in die Lage zu versetzen, den verkehrspädagogischen Aufgaben gerecht zu werden. Man wird dabei vorzugsweise an das Schweizerische Polizeiinstitut in Neuenburg denken, wo sich Angehörige der Polizeikorps der Kantone und Städte zur gemeinsamen Aus- und Weiterbildung freiwillig zusammenfinden.

Bei diesem Institut handelt es sich um eine Stiftung, an die der Bund Beiträge gewährt.

1203 8. Übumgspisten (89,

111)

Im Studienbericht wird auf die Wünschbarkeit von Übungspisten hingewiesen, die sich möglichst in Stadtnähe befinden sollten und geeignet wären, die öffentlichen Strassen von Fahrschülern zu entlasten. Solche Pisten stellen für die fahrerische Grundausbildung ein geeignetes Hilfsmittel dar, da sich der Fahrschüler damit in Ruhe, d. h. ohne einen wesentlichen Teil seiner Aufmerksamkeit dem Verkehr widmen zu müssen, dem Fahrzeug und den fahrdynamischen Problemen zuwenden kann, Heute ist ein Fahrschüler in der Regel gezwungen, schon im Anfangstadium des Fahrunterrichtes am öffentlichen Verkehr teilzunehmen. Er muss dabei die Verkehrsabwicklung verfolgen und sich gegenüber Strassenbenützern, Signalen, Markierungen und der eigenen Fahrspur richtig verhalten, ohne dass er in den meisten Fällen in der Bedienung des Fahrzeuges selbst schon genügend Erfahrung und Geschicklichkeit hätte.

Auf einer Übungspiste hingegen könnte er bestimmte Fahrübungen (Kurvenfahren, Bremsen, Anfahren an Steigungen, Parkieren) ungestört so lange wiederholen, bis seine Fahrtechnik ihm erlaubt, sich ohne allzu grosse Behinderung anderer Strassenbenützer in den normalen Verkehr einzugliedern.

Die Möglichkeiten der Benützung solcher Pisten wären damit nicht erschöpft. Vielmehr könnten diese zur Weiterbildung von Fahrern (z. B. durch Klubs), zur Spezialschulung (von Berufs- und Militärchauffeuren) oder auch für geeignete Veranstaltungen, die der Hebung der Verkehrssicherheit dienen, verwendet werden. Es wäre ferner möglich, Kurse für Motorfahrzeuglenker und Radfahrer durchzuführen, die wiederholt Verkehrsregeln übertreten haben (Art. 25 Abs. 3 Buchst, e SVG).

Die Anlage von Übungspisten ist nicht Sache des Bundes; ihr Bau fällt den Kantonen, Gemeinden, Verbänden und interessierten Organisationen zu.

Der Bund sollte aber die Errichtung solcher Pisten möglichst fördern, beispielsweise durch Landvermittlung (in beschränktem Mass können auch Flugplätze herangezogen werden), organisatorische und planerische Mitarbeit sowie durch finanzielle Beteiligung.

9. Kurse für Erste Hilfe (119) Wiederholt wurde die Durchführung von Kursen in Erster Hilfe vorgeschlagen. Man geht dabei von der Feststellung aus, dass manche Schwerverletzte am Leben erhalten werden könnten, wenn sie unmittelbar nach dem Unfall sachkundig behandelt würden. Es ist
dabei an die zweckmässige Lagerung der Verletzten, an den Schutz vor Nässe und Kälte, aber auch an die künstliche Beatmung und vor allem an die Blutstillung zu denken. Auch der genügenden Sicherung der Unfallstelle ist dabei Beachtung zu schenken. Deshalb wird es als zweckmässig erachtet, mindestens den Motorfahrzeugführern die grundlegenden Kenntnisse für Erste-Hilfe-Massnahmen zu vermitteln.

Der Nationalrat hat uns am 24. September 1970 folgendes Postulat Bratschi überwiesen:

1204 Bei Verkehrsunfällen entscheidet oft die korrekte Leistung der Ersten Hilfe über Leben und Tod. In der Bundesrepublik Deutschland zog man aus dieser Tatsache die Konsequenzen und legte am 21. Juli 1969 durch Änderung der Strassenverkehrs-Zulassungs-Ordnung die Verpflichtung jedes Fahrzeuglenkers fest, bei der Führerprüfung den Nachweis für einen besuchten Kurs für Erste Hilfe zu erbringen. Diese Kurse könnten auch in der Schweiz wie in der Bundesrepublik Deutschland von den bestehenden Samaritervereinen und ähnlichen Organisationen sowie notfalls vom Zivilschutz durchgeführt werden.

Der Bundesrat wird eingeladen zu prüfen, wie diese notwendige Ergänzung der Führerprüfung in das Verkehrsrecht aufgenommen werden könnte.

Die Studiengruppe für die Bekämpfung der Verkehrsunfälle empfiehlt Erste-Hilfe-Kurse der Bewerber um den Führerausweis auf freiwilliger Basis.

Hingegen sollten Fahrlehrer, Polizisten und Berufschauffeure eingehend über Massnahmen der Ersten Hilfe instruiert werden.

In einer Aussprache von Vertretern der Ärzteschaft, der Gerichtsmedizin und des Samariterwesens, ferner der Unfall- und der Lebensversicherungsgesellschaften, des Zivilschutzes, des Strassenverkehrs, der Unfallverhütung, der Polizei und der Verkehrsverbände (Dezember 1968) wandte sich die Mehrheit der Fachleute gegen eine obligatorische Teilnahme der Motorfahrzeugführer an Erste-Hilfe-Kursen und befürwortete deren freiwilligen Besuch. Die Ärzteschaft ist der Auffassung, die Rettung der Verletzten hange weniger von der Ersten Hilfe als vom raschen Abtransport auf eine Unfallstation ab.

Der Bundesrat will sich im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschliessend zu diesen Fragen äussern. Er ist grundsätzlich der Ansicht, dass gewisse elementare Kenntnisse über Erste-Hilfe-Massnahmen wertvoll seien. Es wäre denkbar, dass ein entsprechender Unterricht an den Schulen durchgeführt würde. Damit würden praktisch alle Verkehrsteilnehmer erfasst, nicht nur die Lenker von Motorfahrzeugen. Das Problem wird von den Fachleuten noch eingehend abzuklären sein.

10. Die Mithilfe des Bundes (127 f., 134) In der Öffentlichkeit und in parlamentarischen Vorstössen wird häufig verlangt, der Bund solle die Förderung der Sicherheit im Strassenverkehr intensivieren. Man geht dabei von der Überlegung aus, dass die Verkehrssicherheit nicht zuletzt
eine auf höherer Ebene stehende, soziale und nationale Aufgabe bedeute, die nicht nur lokal und regional, sondern angesichts der zunehmenden Verflechtung des Verkehrs im internationalen Bereich ausser von den interessierten Organisationen und Verbänden auch unter Mitwirkung des Bundes zu lösen sei.

Die Massnahmen des Bundes zur Unfallverhütung bestanden bis anhin hauptsächlich in der gesetzgeberischen Tätigkeit. Da der Bund sich auch in internationalen Organisationen und an internationalen Tagungen und Kongressen, die sich mit der Unfallbekämpfung befassen, vertreten lässt, wird es in Zukunft vermehrt auch darum gehen, die im internationalen Rahmen gewonnenen Arbeitsergebnisse besser auszuwerten, indem diese einerseits als Grund-

1205 läge für die Gesetzgebung herangezogen und anderseits zur vermehrten regelmässigen Instruktion der Kantone und der möglicherweise kommenden kantonalen Unfallbekämpfungsstellen verwendet werden; die Unterlagen müssen ferner auch der zu ernennenden Expertenkommission (Ziff. 2) zur Verfügung gehalten werden. Diese Aufgaben sind unmittelbar mit der unter Ziffer l dieses Berichtes erwähnten Dokumentationsstelle verknüpft.

Die allfälligen weiteren Massnahmen und Mithilfen von Seiten des Bundes ergeben sich aus den Darstellungen in den vorstehenden Abschnitten. Sie sind teils organisatorischer Art (vgl. Ziff. 2 - 4), teils betreffen sie die Ausführungsgesetzgebung (Ziff. 5), wobei eine möglichst enge Zusammenarbeit mit den Kantonen anzustreben ist. Gemäss Artikel 25 Absatz 3 Buchstabe e SVG wird ferner ein besonderer sogenannter Verkehrssünderunterricht einzuführen sein, für den der Bund die Vorschriften auszuarbeiten hat.

Der Bund wird anderseits gewisse finanzielle Mithilfen in Aussicht zu nehmen haben, was in Anbetracht der Unfallsituation vom moralischen, sozialen und volkswirtschaftlichen Standpunkt aus gegeben ist. In welchem Rahmen sich die Aufwendungen des Bundes halten sollten und wo die Mittel im einzelnen einzusetzen wären, hätte jedenfalls die neu zu ernennende Expertenkommission abzuklären. Man wird beispielsweise an die Mitwirkung des Bundes bei der Anlage von Übungspisten oder eigentlichen Verkehrserziehungszentren zu denken haben, ferner an Beiträge zur Schaffung von Unterrichtsmitteln für die Verkehrserziehung an den Schulen, möglicherweise an die Unterstützung wissenschaftlicher Forschungsarbeiten.

C. Sehlussbemerknng Unsere Stellungnahme beschränkt sich bewusst auf einige vordringliche Probleme der Unfallverhütung. Im übrigen verweisen wir auf den Bericht der Studiengruppe selbst. Die Bundesbehörden werden selbstverständlich auch die zahlreichen Empfehlungen weiterverfolgen, die vorstehend nicht behandelt worden sind.

Wir glauben, dass mit der Veröffentlichung des Berichtes der Studiengruppe und mit der vorliegendeti Stellungnahme die Begehren der Postulate Götsch (Errichtung einer Forschungsstelle, Koordination in der Unfallbekämpfung, Mitwirkung des Bundes bei der Bekämpfung der Verkehrsunfälle), Weber (generelle Geschwindigkeitsbeschränkung ausserorts) und Buri (provisorischer
Führerausweis für Anfänger) behandelt worden sind und damit abgeschrieben werden können. Da im Bericht der Studiengruppe ferner die Probleme des Ausbaus der statistischen Erhebungen und die Fragen der Rettungsorganisation erläutert und die Wege zu einer Verbesserung, die weiterverfolgt werden, näher besprochen werden, können auch die Postulate Müller-Bern (Statistische Erfassung der Verkehrsunfälle) und Grass (Ärztliche Hilfe bei Verkehrsunfällen) abgeschrieben werden.

Wir sind uns aber bewusst, dass der Bericht der Studiengruppe nur die Ausgangsbasis bildet, von der aus die eigentlichen Arbeiten, soweit sie noch Biffldesblatt. 123.Jahrg. Bd.II

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1206 nicht im Gange sind, nun ohne Verzug aufgenommen werden müssen. Die ständige Zunahme und Weiterentwicklung des Verkehrs wird neue Probleme stellen und die Gefährdungen erhöhen, wenn nicht rechtzeitig alle sich darbietenden Massnahmen zur Förderung der Sicherheit ergriffen und konsequent durchgeführt werden. Die Behörden müssen sich daher als Hüter des Gemeinwohls zielstrebig für die Verwirklichung der erarbeiteten Empfehlungen einsetzen. Anderseits obliegt die Unfallbekämpfung aber nicht nur den Behörden, sondern ist jedermanns Angelegenheit. Der einzelne Verkehrsteilnehmer soll dazu seinen persönlichen Beitrag leisten.

Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen beantragen wir Ihnen, vom vorliegenden Bericht Kenntnis zu nehmen und die Postulate 9213 Götsch (Errichtung einer Forschungsstelle, Koordination in der Unfallbekämpfung, Mitwirkung des Bundes bei der Bekämpfung der Verkehrsunfälle), 9744 Weber (generelle Geschwindigkeitsbeschränkung ausserorts), 9520 Buri (provisorischer Führerausweis für Anfänger), 9875 Müller-Bern (statistische Erfassung der Verkehrsunfalle) und 9926 Grass (ärztliche Hilfe bei Verkehrsunfällen) abzuschreiben.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 8. September 1971 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident : Gnägi Der Bundeskanzler Huber

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Bekämpfung der Verkehrsunfälle (Vom 8. September 1971)

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