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Bundesgesetz über

die Beschäftigung der jugendlichen und weiblichen Personen in den Gewerben.

(Vom

31. März 1922.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 34ter der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 10. Dezember 1920, beschliesst: 1. GeltungsArt. 1. Diesem Gesetz sind unterstellt: bereich» 1. die öffentlichen und privaten industriellen und gewerblichen Betriebe, auf die das Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 18. Juni 1914 und 27. Juni 1919 keine Anwendung findet; 2. die öffentlichen und privaten Betriebe, die der Beförderung von Personen oder Gütern dienen, mit Ausnahme der Handbeförderung und der vom Bund betriebenen oder konzessionierten Verkehrsanstalten.

Das Gesetz gilt nicht für Betriebe, in denen nur Mitglieder einer und derselben Familie arbeiten, ferner nicht für die Landwirtschaft und den Handel, ebenso nicht für die Hotels, Gasthöfe und Wirtschaften.

Der Bundesrat grenzt die diesem Gesetz unterstellten Betriebe von den im vorangehenden Absatz davon ausgenommenen Betrieben ab.

Art. 2. Kinder, welche das vierzehnte Altersjahr noch nicht 2. Mindestalter.

zurückgelegt haben, dürfen in den diesem Gesetz unterstellten Betrieben -und deren Nebenbetrieben nicht gewerbsmässig beschäftigt werden.

Art. 8. Personen, die das achtzehnte Altersjahr noch nicht 3. Nachtarbeit.

zurückgelegt haben, dürfen in den diesem Gesetz unterstellten Bea.

Verbot.

trieben und deren Nebenbetrieben während der Nacht nicht beschäftigt werden.

Überdies dürfen weibliche Personen ohne Unterschied des Alters während der Nacht in den in Art. l, Ziffer l erwähnten Betrieben und deren Nebenbetrieben nicht beschäftigt werden.

636 Unter «Nacht» ist ein Zeitraum von wenigstens elf aufeinanderfolgenden Stunden zu verstehen, welcher die Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens in sich schliesst.

·&. Ausnahmen.

Art. 4. Das Verbot der Nachtarbeit kann ausser Kraft treten : 1. für Personen im Alter von sechzehn bis achtzehn Jahren und für weibliche Personen über achtzehn Jahre im Fall einer nicht vorherzusehenden, sich nicht periodisch wiederholenden Betriebsunterbrechung, die auf höhere Gewalt zurückzuführen ist; 2. für weibliche Personen über achtzehn Jahre ausserdem in Fällen, wo es sich um die Verarbeitung von Eohstoffen oder um die Bearbeitung von Gegenständen handelt, die einem sehr raschen Verderben ausgesetzt sind, wenn es zur Verhütung eines sonst unvermeidlichen Verlustes an diesen Rohstoffen oder Gegenständen erforderlich ist.

Art. 5. In den dem Binfluss der Jahreszeiten unterworfenen c. Einschränkung. Betrieben, sowie in allen Fällen, in denen ausserordentliche Umstände es erheischen, kann für die weiblichen Personen über achtzehn Jahre der Zeitraum, in dem die Nachtarbeit verboten ist, an sechzig Tagen im Jahr auf zehn Stunden herabgesetzt werden.

Art. 6. Der Bundesrat kann weitere Ausnahmen gestatten, d. Weitere Ausnahmen. die im öffentlichen Interesse geboten oder in internationalen Übereinkommen vorgesehen sind.

Art. 7. In den diesem Gesetz unterstellten Betrieben ist ein 4. Verzeichnis der Verzeichnis der darin beschäftigten Personen unter achtzehn Jahren Jugendlichen. mit Angabe ihres Geburtsdatums zu führen.

Der Bundesrat kann auch die Vorlage eines Altersausweises oder andere Kontrollmassnahmen vorschreiben.

Art. 8. Der. Bundesrat bezeichnet diejenigen gesundheitsschäd5. Unzulässige Arbeit.

lichen gewerblichen Arbeiten, bei denen jugendliche Personen unter achtzehn Jahren und weibliche Personen über achtzehn Jahre nicht oder nur unter besondern Bedingungen beschäftigt werden dürfen.

Art. 9. Der Bundesrat erlässt die zum Vollzug dieses Gesetzes 6. Vollzugs bestimerforderlichen Vorschriften.

mungen.

Die Durchführung des Gesetzes und der Vollziehungsbestimmungen liegt den Kantonen ob.

Die Kantonsregierungen bezeichnen die kantonalen Vollzugsorgane.

Der Bundesrat hat die Oberaufsicht. Er kann von den Kantonen periodische Berichte über den Vollzug verlangen.

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Art. 10. Strafrechtlich verantwortlich für Zuwiderhandlungen 7. Strafbestirngegen die Bestimmungen dieses Gesetzes und gegen die zu seinem mungcn.

Vollzug erlassenen Vorschriften ist der Betriebsinhaber oder die a. StrafrechtPerson, der er die Leitung des Betriebes übertragen hat.

lich verantEine Stellvertretung entlastet den Betriebsinhaber von seiner wortliche Verantwortung nur dann, wenn er den Betrieb nicht selbst leiten Personen.

konnte und wenn der Stellvertreter sich zur Erfüllung einer solchen Aufgabe eignete.

Art. 11. Die Zuwiderhandlungen werden mit Busse von fünf b. Strafen.

bis fünfhundert Franken bestraft.

Im Wiederholungsfall kann mit der Busse Gefängnis bis zu drei Monaten verbunden werden.

Art. 12. Die Zuwiderhandlungen verjähren in einem Jahr nach c. Verjälirung.

der Begehung.

Die rechtskräftig gewordenen Strafen verjähren in fünf Jahren.

Art. 13. Die Untersuchung und Beurteilung der Zuwiderhand- d. Gerichtsstand.

lungen ist Sache der kantonalen Gerichts- oder Verwaltungsbehörden.

Die Kantone haben jedoch, wenn eine Verwaltungsbehörde eine Busse von über fünfzig Franken oder eine Gefängnisstrafe ausgesprochen hat, dem Bestraften die Möglichkeit zu bieten, gerichtliche Beurteilung zu verlangen.

Art. 14. Die endgültigen Entscheide der kantonalen Gerichts- e. Mitteilung der und Verwaltungsbehörden sind einer vom Bundesrate bezeichneten Entscheide.

Amtsstelle unentgeltlich einzusenden.

KassatiousDer Bundesrat kann gegen diese Entscheide gemäss Art. 161 ff. beschwerde.

des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 die Kassationsbeschwerde erheben.

Art. 15. Die diesem Gesetz widersprechenden Bestimmungen 8. SchlussbpBtimmungeii.

kantonaler Gesetze und Verordnungen sind aufgehoben.

Die Grundsätze dieses Gesetzes können durch Verordnung des a. Aufhebung des kantoBundesrates auf die vom Bunde betriebenen oder konzessionierten nalen Rechts.

Transportanstalten anwendbar erklärt werden.

Anwendung auf die Transportanstaltca.

Art. 16. Die Art. 71 und 72 des Bundesgesetzes betreffend die 1). Abänderung Arbeit in den Fabriken vom 18. Juni 1914 und 27. Juni 1919 des Fabrikgesetzes.

werden abgeändert wie folgt:

Art. 71 : «Personen, die das achtzehnte Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben, dürfen zur Nacht- und zur Sonntagsarbeit nicht verwendet werden; hinsichtlich der Nachtarbeit kann der Bundesrat Ausnahmen, die im öffentlichen Interesse geboten oder in internationalen Übereinkommen vorgesehen sind, für Knaben über sechzehn Jahre gestatten.

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Personen, die das sechzehnte Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben, dürfen ausserdem nicht zu den die Dauer der normalen Tagesarbeit überschreitenden Arbeiten (Art. 48 und 64).

verwendet werden.

Der Bundesrat bezeichnet diejenigen Fabrikationszweige und Verrichtungen, bei denen Personen unter achtzehn Jahren überhaupt nicht verwendet werden dürfen.» Art. 72: «Für Personen unter achtzehn Jahren muss die Nachtruhe unter allen Umständen wenigstens elf aufeinanderfolgende Stunden betragen und die Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens in sich schliessen.

c. InkraftArt. 17. Der Bundesrat setzt den Zeitpunkt des Inkrafttreten.

tretens dieses Gesetzes fest.

Also beschlossen vom Nationalrate, B e r n , den 31. März 1922.

Der Präsident: Dr. Klöti.

Der Protokollführer : F. V. Ernst.

Also beschlossen vom Ständerate, B e r n , den 31. März 1922.

Der Präsident : Dr. J. Räber Der Protokollführer: Kaeslin.

Der schweizerische Bundesrat beschliesst: Das vorstehende Bundesgesetz ist gemäss Art. 89 der Bundesverfassung und Art. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse zu veröffentlichen.

B e r n , den 31. März 1922.

Im Auftrag des Schweiz. Bundesrates Der Bundeskanzler :

Steiger.

Datum der Veröffentlichung: 12. April 1922.

Ablauf der Referendumsfrist : 10. Juli 1922.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesgesetz über die Beschäftigung der jugendlichen und weiblichen Personen in den Gewerben. (Vom 31. März 1922.)

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12.04.1922

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