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Botschaft des

'

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des am 3. Dezember 1921 unterzeichneten Schieds- und Vergleichsvertrages zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich.

(Vom 2. Februar

1922

Der Bundesrat hatte am 11. Dezember 1919*) der Bundesversammlung in einem Berichte die Grundsätze dargelegt, die in Zukunft für den Abschluss von Schiedsverträgen massgebend sein sollten. Die eidgenössischen Räte haben, unter Wahrung ihrer Befugnis, im einzelnen Falle über die Genehmigung eines Vertrages zu entscheiden, den Ausführungen des Bundesrates grundsätzlich zugestimmt. Da in dem erwähnten Berichte die allgemeinen Fragen der Schiedsvertragspolitik bereits einlässlich dargelegt worden sind, wird in der vorliegenden Botschaft auf diese nicht mehr eingetreten.

Mit Rücksicht auf andere dringende Geschäfte und namentlich in Gewärtigung der Ordnung, welche die Gerichtsbarkeit im Völkerbund anlässlich der Errichtung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes finden sollte, wurde mit der Einleitung von Vertragsverhandlungen zunächst zugewartet. Die Erste Völkerbundsversammlung im Jahre 1920 ordnete die Gerichtsbarkeit im Statut des Gerichtshofes in der Weise, dass sie, abgesehen von besondern Vertragsbestimmungen, eine obligatorische nur insoweit ist, als die Staaten in einem speziellen Protokolle diese Gerichtsbarkeit, ' wie sie in Art. 36 des Statutes umschrieben ist, unter dem Vorbehalte der Gegenseitigkeit annehmen. Die Schweiz ist diesem Protokolle auf Grund der Botschaft vom ») Bundesblatt 1919, Bd. V, S. 925.

180 1. März und des Bundesbeschlusses vom 16. April 1921 beigetreten Es haben bis jetzt ausser der Schweiz die folgenden Staaten dieses Protokoll unterzeichnet : Albanien, Brasilien, Bulgarien, China, Costa-Rica, Dänemark, Finnland, Haiti, Liberia, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Panama, Portugal, Salvador, Schweden, Uruguay.

Nachdem die Schweiz gegenüber allen Staaten des Völkerbundes, zunächst auf fünf Jahre, sich verpflichtet hatte, die Zuständigkeit .des Ständigen Internationalen Gerichtshofes für .alle Rechtsstreitigkeiten unter dem blossen Vorbehalte der. Gegenseitigkeit anzunehmen, war es gegeben, auch gegenüber den dem Völkerbunde nicht angehörenden Staaten eine gleiche Bereitwilligkeit zu bekunden. Diese Haltung war umsomehr geboten, als der Bundesrat schon in seinem eingangs erwähnten Berichte vom 11. Dezember 1919 hierüber folgendes ausgeführt hatte: ,,Der Bundesrat hat in seiner Botschaft vom 4. August 1919 darauf hingewiesen, dass die Bestimmungen des Artikels 17 *) des Völkerbundsvertrages als mangelhaft erscheinen. Es ist deshalb unsere Pflicht, diese Mängel zu beheben, soweit es an uns liegt, und unsere Beziehungen zu Nicht-Gliedstaaten in möglichst umfassender und gerechter Weise für den Fall von Streitigkeiten zu ordnena.

Der Abschluss solcher Abkommen hat aber noch eine allgemeine politische Bedeutung. Die Universalität des Völkerbundes ist ein Postulat, auf das die Schweiz grössten Wert legt. Da seine Verwirklichung, die nicht von uns abhängt, noch nicht erfplgt ist, muss die Schweiz versuchen, eine ähnliche Friedensordnung im Verhältnisse zu den dem Völkerbunde nicht angehörenden Staaten zu begründen, wie sie der Völkerbund in den Beziehungen zu den meisten Staaten für die Schweiz darstellt.

Der Bundesrat begrüsst es mit Genugtuung, dass seine Absichten günstige Aufnahme finden und dass insbesondere die Wünsche der deutschen Regierung sich mit den seinigen begegneten. Anlässlich des Besuches des früheren deutschen Reichsministers des Äussern Dr. Simons in Bern, im April 1921, fand ein Meinungsaustausch statt, in dem sich bereits eine Übereinstimmung in allen grundsätzlichen Fragen ergab. Im Sommer 1921 fanden in Berlin Verhandlungen zwischen dem schweizerischen und dem deutschen Bevollmächtigten statt, in denen der *)' Artikel 17 betrifft das Verhältnis des Völkerbundes zu Streitig-: keiten, an denen Nicht-MitgHedstaaten beteiligt sind.

181 heutige Vertrag in der Hauptsache festgelegt wurde.- Als schweizerischer Bevollmächtigter war vom Bundesrat Herr Professor Dr. Max Huber bezeichnet worden, während die deutsche Regierung Herrn Wirkl. Legationsrat Dr. Friedrich Gaus, Justitiar des Deutschen Auswärtigen Amtes, zu ihrem Unterhändler ernannt hatte. Nachdem in einer zweiten Verhandlung noch einige Einzelpunkte bereinigt worden waren, wurde der Vertrag in Bern am 3. Dezember 1921 unterzeichnet. Dem Vertrag ist ein vom Unterzeichnungstage datiertes Schlussprotokoll beigefügt, in dem einzelne Auslegungen der Vertragsartikel enthalten sind. Es soll gleiche Rechtskraft wie der Vertrag selbst haben und in die Ratifikation einbezogen werden.

Der schweizerisch-deutsche Schieds- und Vergleichsvertrag beruht auf den von der Bundesversammlung gutgeheissenen Grundsätzen des bundesrätlichen Berichtes vom 11. Dezember 1919.

Nur in einem Punkte weicht er von diesem ab : Das Vergleichsverfahren findet nicht in allen Fällen, nämlich nicht in den einem Schiedsgerichte zu unterbreitenden Fällen statt, sondern nur da, wo aus irgendeinem Grunde die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes nicht gegeben ist. Der Vertrag trifft damit eine ähnliche' Ordnung, wie sie für die Schweiz im Verhältnisse zu den Mitgliedern des Völkerbundes gilt, die dem Protokoll über obligatorische Gerichtsbarkeit beigetfeten sind.

Der Hauptgedanke des Vertrages ist im ersten Artikel ausgesprochen. Danach sind alle Streitigkeiten, die sich zwischen den vertragschliessenden Staaten erheben und nicht in angemessener Frist auf dem Wege diplomatischer Verhandlungen beigelegt werden können, einer unparteiischen Instanz zu unterbreiten, und zwar entweder einem von Fall zu Fall zu bildenden Schiedsgericht oder dem Ständigen Vergleichsrate. Sobald eine Partei es verlangt, muss das Verfahren vor der einen oder der andern Instanz seinen Gang nehmen.

Die Abgrenzung der Zuständigkeiten von Schiedsgericht und Vergleichsrat ist folgenderenassen geordnet: Das Schiedsgericht ist zuständig für alle Rechtsstreitigkeiten, soweit nicht besondere Ausnahmen statuiert sind (Art. 2--4). Überall da, wo das Schiedsgericht nicht befugt ist, zu entscheiden, tritt der Vergleichsrat in die Lücke (Art. 13).

Der Zuständigkeitsbereich des S c h i e d s g e r i c h t s ist in fast wörtlicher Übereinstimmung mit Art. 13 des Völkerbundspaktes und Art. 36 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes umschrieben. Die vier Arten von Streitigkeiten (Bestand, Aus-

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legung und Anwendung von Staatsverträgen; irgendeine Frage des internationalen Rechts ; Verletzungen internationaler Verpflichtungen; Umfang und Art geschuldeter Wiedergutmachung) umfassen tatsächlich alle Arten von Rechtsstreitigkeiten und überhaupt die : meisten Streitigkeiten, die zwischen Staaten denkbar sind. Das Schwergewicht des Vertrages ist damit in die Schiedsgerichtsbarkeit gelegt, und es sichert der Vertrag deshalb für die meisten Fälle eine endgültige und verbindliche Entscheidung.

Rechtsstreitigkeiten können dem Schiedsgerichte nur unter folgenden Voraussetzungen vorläufig oder endgültig entzogen werden : a. Soweit besondere Verträge -- und es kommen hier namentlich Kollektivverträge in Betracht -- in. einer für die Parteien bindenden Weise ein spezielles Verfahren der Streitschlichtung vorsehen, ist dieses anzuwenden (Art. l, Abs. 2).

6. Sofern die Streitigkeit eine Frage betrifft, die in die Zuständigkeit richterlicher Behörden fällt, kann das Gericht -- den Fall der Rechtsverweigerung ausgenommen -- erst dann angerufen werden, wenn eine letztinstanzliche nationale Entscheidung ergangen ist (Art. 3).

c. Sofern eine Partei die Einrede erhebt, dass die streitige Angelegenheit entweder ihre Unabhängigkeit oder die Unversehrtheit ihres Gebietes oder andere höchste Lebensinteressen betreffe oder, abgesehen hiervon, vorwiegend politischer Natur sei und sich deshalb für eine Beurteilung ausschliesslich nach Rechtsgrundsätzen nicht eigne, so ist zunächst über diese Einrede vom Schiedsgericht zu entscheiden. Erst wenn es die Einrede als unbegründet zurückgewiesen hat, kann es über, die Hauptsache entscheiden (Art. 4).

Dadurch, dass Einreden dieser,Art zulässig sind, unterscheidet sich der schweizerisch-deutsche Vertrag von dem Protokolle betreffend die obligatorische Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, die eine bedingungslose ist. In dem mehrfach erwähnten Berichte vom 11. Dezember 1919 ist auseinandergesetzt, weshalb im allgemeinen nach Ansicht des Bundesrates die genannten.Kompetenzeinreden sich rechtfertigen, während in der Botschaft vom 1. März 1921 betreffend die Errichtung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes die besondern Gründe dargelegt sind, aus denen von diesen Vorbehalten bei der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes Umgang genommen
werden konnte und musste. Da auch von deutscher Seite gewünscht wurde, für die vorwiegend politischen Streitigkeiten keine unbedingte Verpflichtung zur Annahme des Schiedsver-

183 fahrens zu begründen, so konnte man sich leicht auf den jetzigen Artikel 4 einigen. Es muss aber betont werden, dass trotz der Beibehaltung der Klausel der Unabhängigkeit usw. der vorliegende Vertrag ganz wesentlich abweicht von den meisten bisherigen Schiedsverträgen und ' namentlich auch von allen bisher v.on der Schweiz abgeschlossenen Verträgen dieser Art. Einmal -sind die Vorbehalte der Ehre und des Interesses dritter Staaten nicht mehr erwähnt, und der Umstand, dass von ,,höchsten" Lebensinteressen die Rede ist, weist darauf hin, dass die Begriffe Un..abhängigkeit, Unversehrtheit und Lebensinteressen restriktiv, d. h.

nach ihrem wirklichen und wörtlichen Sinne auszulegen sind.

Sodann-- und dies ist praktisch das Entscheidende -- ist es nicht, wie dies bisher die Regel war, die Partei, die perem'torisch über die Rechtsbeständigkeit der von ihr erhobenen Einrede entscheidet, sondern das Schiedsgericht. Es bedarf sogar -- in Abweichung von der Kegel des einfachen Mehrs -- einer Vierfünftelmehrheit, wenn das Gericht die Einrede des vorwiegend (politischen Charakters eines Streitfalles schützen soll, sofern die Partei nicht geltend macht, dass ihre höchsten Lebensinteressen betroffen seien. Die zum wirksamen Schutze der obligatorischen ·Gerichtsbarkeit im Berichte von 1919 geforderten Garantien sind in diesem Vertrage vollständig gewahrt. Im Schlussprotokoll ist überdies noch festgelegt, dass der Vertrag im Zweifel zugunsten -der Zuständigkeit des Schiedsgerichtes auszulegen sei, womit eine Wegleitung für die Entscheidung von Kompetenzfragen gegeben ist.

Den Parteien bleibt es unbenommen, im gegenseitigen Einverständnisse von der grundsätzlichen Zuständigkeitsordnung abzuweichen und eine Rechtsstreitigkeit vorläufig oder endgültig dem Vergleichsrate zu unterbreiten (Art. 13 und Art. 4, Abs. 4) ·oder dem Schiedsgerichte die Befugnis einzuräumen, statt nach Rechtsgrundsätzen, nach billigem Ermessen die Lösung eines Streitfalles festzusetzen (Art. 5, Abs. 3).

Art. 5 bezeichnet das vom Schiedsgericht anzuwendende Recht in einer an Art. 38 des Statutes des Ständigen Internationalen Gerichtshofes sich eng anlehnenden Form. In Anbetracht der Lückenhaftigkeit des internationalen Rechtes ist die rechtsschöpferische Tätigkeit des Gerichtes in möglichster Übereinstimmung mit dem klassischen Art. l
des Schweizerischen .Zivilgesetzbuches geregelt. Damit ist der Schiedsgerichtsbarkeit «ine ihrer höchsten und für die Rechtsentwicklung wichtigsten Aufgaben zugewiesen.

Die Zusammensetzung des Schiedsgerichtes erfolgt in der Regel im wesentlichen nach den in den bisherigen Verträgen

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angenommenen Grundsätzen, d. h. von Fall zu Fall von einigenAusnahmen abgesehen (Art. 6, Abs. 4, Art. 11, Abs. l, Art 12> -- und im Rahmen des durch die I. und II. Haager Friedenskonferenz errichteten Ständigen Schiedshofes, da nur an diesem Gerichte beide vertragschliessenden Staaten beteiligt sind. Eine wichtige Neuerung bringt der Vertrag in folgender Beziehung.

Während bisher mit Ausnahme des gemeinsam berufenen Obmannes jede Partei die Hälfte der zwei oder vier übrigen- Schiedsrichter bezeichnete, wird jetzt die Mehrheit, d. h. drei mit Einschluss des Obmannes, gemeinsam bestellt. Bei dem bisherigen!

System konnte nur der Obmann als der Vertrauensmann beider Parteien gelten, und es lag deshalb oft genug die eigentliche Entscheidung bei ihm · allein. Das ist aber bei einem Gerichte, das durch seine kollegiale Zusammensetzung besondere Garantien gegen individuelle Und einseitige Auffassungen bieten soll, ein Fehler.

Der Umstand, dass in dem schweizerisch-deutschen Schiedsgericht, drei Richter gemeinsam berufen werden, hat zur Folge, dass dervon der einen Partei bezeichnete Richter nur überstimmt werden kann, wenn zwei der gemeinsam berufenen Richter sich auf den Standpunkt der andern Partei stellen. Mit Rücksicht darauf durfte auch ohne Bedenken dem Gerichte die Entscheidung darüber,' ob die Einrede der Lebensinteressen gerechtfertigt sei, überlassen werden.

Der Gefahr, dass die gemeinsame Berufung der drei Schieds- ' richter am Fehlen der Übereinstimmung der Parteien scheitern oder doch durch sie verzögert werden könnte, wird in der Weisebegegnet, dass die Willenseinigung der Parteien durch den Be-- schluss des Verständigungsrates ersetzt werden kann (Art. 8).

\ Aus dem gleichen Grunde kann auch die in Übereinstim-: mung mit der bisherigen Übung geforderte Aufstellung einerSchiedsordnung zur Regelung aller Einzelheiten (Art. 7) keine Bedenken erwecken. Auch hier sichert, wenn nötig, der Vergleichsrat das Zustandekommen aller Voraussetzungen für das Zusammentreten des Gerichtes (Art. 8). Der Ausdruck ,,SchiedsOrdnung" tritt an die Stelle des bisher gebrauchten mehrdeutigen.

Ausdruckes ,,-Kompromiss".

Das Revisionsverfahren ist in Übereinstimmung mit Art. 61' des Statuts des Ständigen Internationalen'Gerichtshofes geordnet.

D a s ' V e r g l e i c h s v e r f a h r e n bezweckt, den
Parteien unverbindliche Vorschläge zur Lösung einer Streitigkeit zu machen in Fällen, die nicht durch Schiedsspruch ihre Erledigung finden.

Dieses Verfahren kann unter allen Umständen, auch in höchst,

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politischen Konflikten, Platz greifen, einmal weil der Vergleich an keine Rechtsnormen gebunden ist, sondern gänzlich auf Erwägungen der Billigkeit und Opportunität abstellen kann, und sodann, weil die Parteien ihre Handlungsfreiheit behalten. .; ' Ganz ähnlich wie im Völkerbundspakt ist im schweizeris'chdöutschen Vertrag eine Frist von sechs Monaten für das Vergleichsverfahren vorgesehen und, nach Erstattung des Berichtes des Vergleichsrates, wird den Parteien eine weitere bis auf drei Monate gehende Frist gesetzt (Art. 15). Bis dahin haben sie sich jeder gewaltsamen Selbsthilfe zu enthalten. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass in dieser Zeit jeder Konflikt durch die Dazwischenkunft einer unparteiischen Instanz beigelegt oder doch wenigstens seines allfällig gefährlichen Charakters entkleidet werden kann. Dieser Überzeugung geben die Vertragschliessenden in der Präambel des Abkommens Ausdruck.

Hätte man den Vorschlägen dés Vergleichsrates nicht nureine moralische Autorität, sondern rechtlich verpflichtende Kraft verleihen wollen, so wären Schiedsgerichts- und Vergleichsverfahren tatsächlich eins geworden. Damit aber hätten auch gegen das Vergleichsverfahren die Bedenken geltend gemacht werden müssen, die wegen der Unvollkommenheit und Lückenhaftigkeit des Völkerrechts gegen eine restlose Schiedsgerichtsbarkeit erhoben werden.

Zur Durchführung des Vergleichsverfahrens wird ein Ständiger Vergleichsrat bestellt. Seine Zusammensetzung erfolgt in ähnlicher Weise wie diejenige des Schiedsgerichtes; auch hier werden drei von fünf Mitgliedern gemeinsam von den Parteien berufen. Dadurch wird vermieden, dass der Rat sich leicht in zwei gleiche Gruppen teilt und die Entscheidung alsdann tatsächlich ganz dem Vorsitzenden zukommt. Für die Autorität des rechtlich unverbindlichen Vergleichsvorschlages ist es wichtig, dass er einstimmig oder doch mit starker Mehrheit beschlossen werde.

Der Rat ist ein ständiger, d. h. seine Mitglieder werden auf unbestimmte Zeit berufen ; die Ernennung bzw. die Zustimmung zu einer Berufung kann jedoch, sobald ein Verfahren hängig ist, nicht mehr zurückgenommen werden (Art. 14). Die Ständigkeit des Rates bietet den Vorteil, dass er jederzeit und in kürzester Frist auf einseitiges Verlangen einer Partei zusammentreten kann.

Die Notwendigkeit von Verhandlungen über seine Zusammensetzung in Augenblicken eines Konfliktes fällt damit weg. Wie oben angeführt, ist diese Instanz auch dazu berufen, die allfällig

186 mangelnde Willenseinigung der Parteien über das Schiedsgericht und die Schiedsordnung zu ersetzen (Art. 8). Das reibungslose und lückenlose Funktionieren des Vertrages dürfte dadurch gewährleistet sein. Der Ständige Vergleichsrat und das Schiedsgericht, beide errichtet nach den Grundsätzen der Gleichheit und Unparteilichkeit, sind der Ausdruck des Willens der beiden Staaten, unter sich eine möglichst vollkommene Rechts- und Friedensordnung zu begründen.

Ein Hauptbedenken gegen die obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit bestellt darin, dass ein Schiedsspruch einer Partei Verpflichtungen auferlegen könnte, deren Erfüllung ihr wegen des Prin'zips der Gewaltehtrennung verfassungsrechtlich unmöglich wäre oder doch ganz ausserordentlichen Schwierigkeiten begegnen würde. In Art. 10 wird nun festgestellt, dass eine von den staatlichen Behörden getroffene Entscheidung oder Verfügung nur rückgängig gemacht werden muss, wenn dies durch eine Verwaltungsmassnahme geschehen kann. Andernfalls soll das Gericht -eine gleichwertige Genugtuung für die Gegenpartei bestimmen.

Der gleiche Grundsatz gilt nach Artikel 18 für vorsorgliche Massnahmen, die vom Schiedsgericht angeordnet oder vom Ständigen Vergleichsrate vorgeschlagen werden.

Der Umstand, dass eine Streitigkeit in das Gebiet der Justiz fällt, schliesst die Durchführung des Schiedsgerichtsverfahrens keineswegs aus (Art. 3) -- das internationale Recht ist von allen ·Organen des Staates in gleicher "Weise zu respektieren --, aber ·der Schiedsspruch zieht nicht die Aufhebung eines rechtskräftigen Urteils nach sich; Ein völkerrechtswidriges Urteil kann den Staat zu einer Wiedergutmachung verpflichten, aber die Selbständigkeit der nationalen Justiz wird durch den Schiedsvertrag nicht berührt Und der Instanzenzug für die private Prozesspartei nicht erweitert.

Jede Streitigkeit vor dem Schiedsgericht ist eine Angelegenheit zwischen den beiden Staaten, und zwar auch dann, wenn sie ihre Grundlage in einer von den Gerichten des einen Staates ·entschiedenen Streitsache eines Privaten hat.

,Zu erwähnen ist noch das Verhältnis des Vertrages zu dritten Staaten (Ziffer 3 des Schlussprotokolls). Es ist selbstverständlich, dass die Entscheidungen des schweizerisch-deutschen Schiedsgerichtes nur für die Parteien Recht schaffen können.

Der -'Umstand aber, dass an einer Streitigkeit dritte Staaten interessiert sind, schliesst -- im Gegensatz zu vielen früheren Schiedsverträgen -- die Pflicht zur Einlassung auf das Schieds-

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Gerichtsverfahren nicht aus. Da es jedoch, um weitere Streitigkeiten über die materiell gleiche Rechtsfrage zu vermeiden, in ·der Regel zweekmässig sein wird, die dritten Interessenten zur Teilnahme am Verfahren zu veranlassen, so ist in Ziffer 3 des Schlussprotokolls vorgesehen, dass die Parteien diese Dritten zum Anschlüsse bewegen sollen. Kann dieser Anschluss nicht in angemessener Frist erreicht werden, so nimmt das Verfahren unter «den, Vertragschliessenden seinen Gang. Die Frage, ob eine angemessene Frist für die Verhandlungen mit den. dritten Staaten eingeräumt worden ist, entscheidet das Schiedsgericht, gleich wie b.ei. Art. l, als Vorfrage über seine Kompetenz.

Eine Reihe von Bestimmungen bezweckt, den Gang des Schiedsgerichts- oder Vergleichsverfahrens zu fördern sowie den Vollzug der Schiedssprüche zu sichern1 oder die Annahme der 'Vergleichsvorschläge zu erleichtern (Art. 10, Abs. l, Art. 16, Abs. l, Art. 18). Als subsidiäres Recht gilt die Haager-Konvention vom 18. Oktober 1907 zur friedlichen Erledigung internationaler Streitigkeiten. Mangels irgendeiner vertraglichen Norm regeln das Schiedsgericht und der Vergleichsrat ihr Verfahren selber (Art. 19). · Im Zusammenhange mit dem Verhältnis zu dritten Staaten steht das Verhältnis zwischen dem vorliegenden Vertrag und dem Völkerbundspakt. Der letztere bestimmt in Art. 20, dass ·die 'Mitglieder des Völkerbundes keine mit dem Pakte unvereinr bare Abkommen schliessen werden. In'Art. 21 des Paktes werden ·die Schiedsgerichtsverträge, weil Abkommen zur Sicherung des Friedens, als mit keiner Bestimmung des Paktes unvereinbar erklärt. Es ist also ohne weiteres klar, dass die Schweiz durch den Abschluss dieses Vertrages in keiner Weise gegen bereits ·übernommene Verpflichtungen verstösst; sie handelt im Gegenteil ·durchaus im Geiste des Völkerbundes, wie sie diesen aufgefasst wissen will. Da aber der Völkerbundsvertrag Bestimmungen «nthält, wonach unter Umständen auch Streitigkeiten zwischen Mitgliedern des Völkerbundes und andern Staaten zu einer Angelegenheit des Völkerbundes werden und damit indirekt alle seine Mitglieder berühren können, hat der Bundesrat Wert darauf gelegt, dass im Scblussprotokoll eine Erklärung aufgenommen wurde, ·die eine Kollision zwischen den Pflichten aus dem Schieds- und Vergleiehsvertrag und denjenigen aus dem
Völkerbundspakt ausachliesst. Diese Erklärung bezieht sich nur auf Streitigkeiten zwischen dem Deutschen Reich und einem dritten Staate, denn die Anstände, die zwischen der Schweiz und dem Deutschen

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Reich entstehen könnten, sollen ihre Lösung durch den gegenwärtigen Vertrag finden. Obwohl es sich um fernliegende und» unwahrscheinliche Möglichkeiten handelt, haben wir darauf ge-r halten, unsere Stellung nach allen Seiten klar und loyal zu bestimmen.

.

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In staatsrechtlicher Beziehung bietet der Vertrag keine Besonderheiten. Es fällt seine Genehmigung in die abschliessende Kompetenz der Bundesversammlung, da 'er weder mit dem Völkerbunde zusammenhängt, noch wegen seiner Geltungsdauer unter die Bestimmungen von Art. 89 der Bundesverfassung fallt. Die Vorschriften des Art. 20 über Kündigung und Erneuerung des Vertrages entsprechen den im Berichte vom 11. Dezember 1919 aufgestellten Postulaten.

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Der Bundesrat glaubt, durch den Abschluss des Schiédsgêrichtsr und Vergleichsvertrages mit dem; Deutschen Reich im Sinne seines mehrfach erwähnten Berichtes von 1919 und der bei dessen Beratung in den eidgenössischen Räten vertretenen Auffassungen gehandelt zu haben. Er ist aber auch überzeugt, dass dieser Vertrag mit dem grossen Nachbarstaate vom Schweizervolk begrüsst werde, als Ausdruck des festen Willens der Schweiz, mit allen Staaten freundschaftliche, auf gegenseitiger Achtung und gegenseitigem Vertrauen beruhende Beziehungen zu pflegen.

Wir beantragen Ihnen dem gern äss, dem vorliegenden Schiedeund Vergleichsvertrag mit dem Deutschen Reich -vom 3. Dezember 1921 samt dem Schlussprotokoll vom gleichen Datum Ihre Genehmigung erteilen zu wollen.

B e r n , den 2. Februar 1922.

1

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Dr. Haab.

Der Bundeskanzler: Steiger.

189 Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Genehmigung des am 3. Dezember 1921 unterzeichneten Schieds- und Vergleichsvertrages zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich.

1

Di e B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft,

nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 2. Februar 1922, beschliesst:

I. Der am 3. Dezember 1921 unterzeichnete Schieds- und Vergleichsvertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich, sowie das Schlussprotokoll vom gleichen Datum werden genehmigt.

II. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses -beauftragt.

190 Beüä<)$..

Die schweizerische Eidgenossenschaft und

das Deutsche Reich gewillt, gegenseitig ihre Unabhängigkeit und die Unversehrtheit ihres Gebietes unverbrüchlich zu achten, gewillt, die seit Jahrhunderten zwischen dem Schweizervolk und dem deutschen Volke unverletzt erhaltenen friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und zu fördern, gewillt, dem Grundsatze richterlicher Entscheidung zwischenstaatlicher Streitigkeiten in dem Verhältnis beider Staaten weitesteGeltung zu verschaffen, überzeugt, dass in Streitfällen, die ihrem Wesen nach sich zur Entscheidung durch Richterspruch nicht eignen, der Rat unparteiischer Vertrauensmänner in jedem Falle .Gewähr für einefriedliche Beilegung der Streitigkeit bietet, sind übereingekommen, einen allgemeinen Schiedsgerichtsund Vergleichsvertrag abzuschliessen.

Zu diesem Zwecke haben zu Bevollmächtigten ernannt

Der Schweizerische Bundesrat: Herrn Professor Dr. Max Huber^1 Der Präsident des Deutschen Reiches :

< ·' ·

den Justitiar im Auswärtigen Amte Herrn "Wirklichen Legationsrat Dr. Friedrich Gaus, die, nachdem sie ihre Vollmachten geprüft und in guter und' gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind : Artikel 1.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, alle Streitigkeiten irgendwelcher Art, die zwischen ihnen entstehen und nicht in angemessener Frist auf diplomatischem Wege geschlichtet werden können, nach Massgabe des gegenwärtigen Vertrages entweder einem Schiedsgerichtsverfahren oder einem Vergleichsverfahren zu unterwerfen.

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Streitigkeiten, für deren Schlichtung die vertragschliessendeE Teile durch andere zwischen ihnen bestehende Abmachungen an ein besonderes Verfahren gebunden sind, werden nach Massgabe der Bestimmungen dieser Abmachungen behandelt.

Artikel 2.

Dem Schiedsgerichtsverfahren werden auf Verlangen einer Partei, unter Vorbehalt der Bestimmungen der Artikel 3 und 4, diejenigen Streitigkeiten unterworfen, die betreffen erstens: Bestand, Auslegung und Anwendung eines zwischen, den beiden Parteien geschlossenen Staatsvertrages; zweitens: irgend eine Frage des internationalen Rechtes; drittens: das Bestehen einer Tatsache, die, wenn sie erwiesen wird, die Verletzung einer zwischenstaatlichen Verpflichtung bedeutet; viertens : Umfang und Art der Wiedergutmachung im Falle einer solchen Verletzung.

Bestehen zwischen den Parteien Meinungsverschiedenheiten darüber, ob eine Streitigkeit zu den vorstehend bezeichneten Arten gehört, so wird über diese Vorfrage im Schiedsgerichtsverfahren, entschieden.

Artikel 3.

Bei Fragen, die gemäss den Landesgesetzen der Partei, gegendie ein Begehren geltend gemacht wird, von richterlichen Behörden, mit Einschluss der Verwaltungsgerichte, zu entscheiden: sind, kann diese Partei verlangen, dass die Streitigkeit dem Schiedsgerichtsverfahren erst unterworfen werde, nachdem in dem Gerichtsverfahren eine endgültige Entscheidung gefallt worden ist, und dass die Anrufung des Schiedsgerichts spätestens sechs Monate nach dieser Entscheidung erfolge. Dies gut nicht, wenn es sich um einen Fall von Rechtsverweigerung handelt und die gesetzlich vorgesehenen Beschwerdestellen angerufen worden sind.

Entsteht zwischen den Parteien eine Meinungsverschiedenheit über die Anwendung der vorstehenden Bestimmung, so wird darüber im Schiedsgerichtsverfahren entschieden.

Artikel 4.

Erhebt eine Partei, bei einer Streitigkeit der im Artikel 2 bezeichneten Arten die Einrede, dass es sich um .eine Angelegen-

192 ieit handle, die ihre Unabhängigkeit, die Unversehrtheit ihres 'Gebietes oder andere höchste Lebensinteressen betreffe^ so kommt für.. die Streitigkeit, falls die andere Partei diese Behauptung als zutreffend anerkennt, nicht das Schiedsgerichts-, sondern das Vergleichsverfahren zur Anwendung. Wird dagegen die Behauptung von der andern Partei nicht als zutreffend anerkannt, so ist darüber im Schiedsgerichtsverfahren zu entscheiden.

In gleicher Weise wird verfahren, wenn bei einer Streitig'keit der im Artikel 2 bezeichneten Arten eine Partei, ohne sich auf ihre Unabhängigheit, die Unversehrtheit ihres Gebietes oder .andere höchste Lebensinteressen zu berufen, die Einrede erhebt, ·dass die Angelegenheit von überwiegend politischer Bedeutung sei und sich deshalb für eine Entscheidung nach ausschliesslich rechtlichen Grundsätzen nicht eigne. Jedoch kann diese Einrede, in Abweichung von der Bestimmung des Artikel 9, vom Schiedsgericht nur einstimmig oder gegen eine einzige abweichende .Stimme als begründet anerkannt werden.

Anerkennt das Schiedsgericht die bezeichneten Einreden als begründet, so überweist es die Streitigkeit dem Vergleichsverfahren; sonst entscheidet es selbst darüber.

Eine Partei, die eine der erwähnten Einreden der Gegen.partèi nicht als zutreffend anerkennt, kann sich gleichwohl ohne vorherige Herbeiführung einer schiedsgerichtlichen Entscheidung über die Einrede mit der Durchführung des Vergleichsverfahrens .einverstanden erklären. Sie kann dabei jedoch den Vorbehalt machen, dass, wenn der Vergleichsvorschlag nicht von beiden Parteien angenommen wird, das Schiedsgericht zur Entscheidung über die Einrede und gegebenenfalls auch über die Streitigkeit :Selbst angerufen werden kann.

Artikel 5.

' Das Schiedsgericht legt seinen Entscheidungen zugrunde erstens: die zwischen den Parteien geltenden Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Art und die sich daraus ergebenden Rechtssätze -, zweitens : das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung; drittens : die allgemeinen von den Kulturstaaten anerkannten Rechtsgrundsätze, Soweit im einzelnen Falle die vorstehend erwähnten Rechtsgrundlagen Lücken aufweisen, entscheidet das Schiedsgericht nach

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'den Rechtsgrundsätzen, die nach seiner Ansicht die Regel des internationalen Rechtes sein sollten. Es folgt dabei bewährter Lehre und Rechtsprechung.

Mit Zustimmung beider Parteien kann das Schiedsgericht seine Entscheidung, anstatt sie auf Rechtsgrundsätze zu stützen, nach billigem Ermessen treffen.

Artikel 6.

Sofern nicht die Parteien im einzelnen Falle eine entgegenstehende Vereinbarung treffen, wird das Schiedsgericht in folgender Weise bestellt.

Die Richter werden auf der Grundlage des Verzeichnisses der Mitglieder des durch -das Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 geschaffenen Ständigen Schiedshofs im Haag gewählt.

Jede Partei ernennt einen Schiedsrichter nach freier Wahl.

Gemeinsam berufen die Parteien drei weitere Richter und aus ·deren Mitte den Obmann. Sofern einer der gemeinsam berufenen Richter nach seiner Wahl die Staatsangehörigkeit einer der beiden Parteien erwirbt, auf deren Gebiete seinen Wohnsitz nimmt oder in deren Dienste tritt, kann jede Partei verlangen, dass er ersetzt werde. Streitigkeiten darüber, ob diese Voraussetzungen zutreffen, werden von den übrigen vier Richtern entschieden, wobei der ältere der gemeinsam berufenen Richter den Vorsitz führt und bei Stimmengleichheit eine doppelte Stimme hat.

Die Wahl der Richter erfolgt von neuem für jeden einzelnen Streitfall. Die vertragschliessenden Teile behalten sich jedoch vor, im gemeinsamen Einverständnis die Wahlen in der Weise vorzunehmen, dass für gewisse Arten von Streitfällen während eines bestimmten Zeitraumes dieselben Richter dem Schiedsgericht angehören.

Mitglieder des Schiedsgerichtes, die aus irgendeinem Grunde ausscheiden, werden in der gleichen Weise ersetzt, wie sie berufen worden sind.

Artikel 7.

Die vertragschliessenden Teile werden in Ausführung des gegenwärtigen Vertrages in jedem Einzelfall eine besondere Schiedsordnung festsetzen. Darin werden der Streitgegenstand, die etwaigen besondern Befugnisse des Gerichtes, dessen Zusammensetzung und Sitz, die Höhe des von jeder Partei uls Bundesblatt. 74. Jahrg. Bd. I.

14

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Kostenvorschuss zu hinterlegenden Betrages, die hinsichtlich der Form und der Fristen des Verfahrens zu beobachtenden Regeln, sowie die sonst notwendigen Einzelheiten bestimmt.

Meinungsverschiedenheiten über die Bestimmungen der Schiedsordnung werden, vorbehaltlich des Artikel 8, vom Schiedsgericht entschieden.

Artikel 8.

Kommt zwischen den Parteien nicht binnen sechs Monaten, nachdem die eine der andern das Begehren nach schiedsgerichtlicher Austragung einer Streitigkeit mitgeteilt hat, die Schiedsordnung zu Stande, so kann jede Partei den im Artikel 14 vorgesehenen Ständigen Vergleichsrat zwecks Feststellung der Schiedsordnung anrufen. Dieser hat binnen zwei Monaten nach seiner Anrufung die Schiedsordnung festzusetzen, wobei der Streitgegenstand aus den Anträgen der Parteien ermittelt wird.

Es ist ebenso zu verfahren, wenn eine Partei den von ihr zu ernennenden Richter nicht bezeichnet hat, oder wenn die Parteien in der Bezeichnung der gemeinsam zu berufenden Richter oder des Obmanns nicht einig sind.

Der Ständige Vergleichsrat ist ferner befugt, bis zur Bestellung des Schiedsgerichtes über jede andere Streitigkeit zu entscheiden, die sich auf die Schiedsordnung bezieht.

Artikel 9.

Das Schiedsgericht trifft seine Entscheidungen mit Stimmenmehrheit.

Artikel 10.

Der Schiedsspruch wird Angaben über die Art seiner Ausführung, insbesondere über die dabei zu beobachtenden Fristen, enthalten.

Wird in einem Schiedssprüche festgestellt, dass eine von einem Gericht oder einer andern Behörde einer Partei getroffene Entscheidung oder Verfügung ganz oder teilweise mit dem Völkerrecht in Widerspruch steht, können aber nach dem Verfassungsrechte dieser Partei die Folgen der Entscheidung oder Verfügung durch Verwaltungsmassnahmen nicht oder nicht vollständig beseitigt werden, so ist der verletzten Partei in dem Schiedsspruch auf andere Weise eine angemessene Genugtuung zuzuerkennen.

195 Artikel 11.

Unter Vorbehalt anderweitiger Abrede in der Schiedsordnung kann jede Partei bei dem Schiedsgerichte, das den Spruch erlassen hat, die Revision dieses Spruches beantragen. Der Antrag kann nur mit der Ermittelung einer Tatsache begründet werden, die einen entscheidenden Einfluss auf den Spruch auszuüben geeignet gewesen wäre und bei Schluss der Verhandlung dem Schiedsgerichte selbst und der Partei, welche die Revision beantragt hat, ohne ihr Verschulden unbekannt war.

Mitglieder des Schiedsgerichtes, die aus irgend einem Grunde für das Revisionsverfahren ausscheiden, werden in der gleichen Weise ersetzt, wie sie berufen worden sind.

Die Frist, innerhalb deren der im Absatz l vorgesehene Antrag gestellt werden kann, ist im Schiedssprüche zu bestimmen, sofern dies nicht in der Schiedsordnung geschehen ist.

[Artikel 12.

Alle Streitigkeiten, die zwischen den Parteien über Auslegung und Ausführung des Schiedsspruches entstehen sollten, unterliegen, vorbehaltlich anderweitiger Abrede, der Beurteilung des Schiedsgerichtes, das den Spruch gefällt hat. Dabei findet die Bestimmung des Artikel 11, Abs. 2,entsprechende Anwendung.

Artikel 13.

Alle Streitigkeiten, die nicht nach den vorhergehenden Artikeln dieses Vertrages dem Schiedsgerichtsverfahren unterworfen werden, si.nd auf Verlangen einer Partei im Vergleichsverfahren zu behandeln.

Behauptet die andere Partei, dass der im Vergleichsverfahren anhängig gemachte Streitfall vom Schiedsgerichte zu entscheiden sei, so entscheidet dieses zunächst über diese Vorfrage.

Die Regierungen der vertragschliessenden Teile können im gemeinsamen Einverständnis eine Streitigkeit, für die nach dem gegenwärtigen Vertrage das Schiedsgericht angerufen werden kann, endgültig oder unter Vorbehalt der spätem Anrufung des Schiedsgerichtes im Vergleichsverfahren behandeln lassen.

Artikel 14.

Für das Vergleichsverfahren wird ein Ständiger Vergleichsrat gebildet.

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Der Ständige Vergleichsrat besteht aus fünf Mitgliedern.

·Die vertragschliessenden Teile ernennen, jeder für sich, nach freier Wahl je ein Mitglied und berufen die drei übrigen Mitglieder im gemeinsamen Einverständnis. Diese drei Mitglieder sollen nicht Angehörige der vertragschliessenden Staaten sein, noch sollen sie auf deren Gebiet ihren Wohnsitz haben oder in deren Dienste stehen. Aus ihrer Mitte wird der Vorsitzende durch die vertragschliesseoden Teile gemeinsam bezeichnet.

Jedem vertragschliessenden Teile steht das Recht zu, jederzeit, sofern nicht ein Verfahren im Gange oder von einer Partei beantragt worden ist, das von ihm ernannte Mitglied abzuberufen, und dessen Nachfolger zu bestimmen. Unter den gleichen Voraussetzungen steht es jedem der vertragschliessenden Teile auch frei, die Zustimmung zur Berufung jedes der drei gemeinsam berufenen Mitglieder zurückzuziehen. In diesem Falle muss unverzüglich zur gemeinsamen Berufung eines neuen Mitgliedes geschritten werden.

Während der tatsächlichen Dauer des Verfahrens erhalten die Mitglieder eine Entschädigung, deren Höhe von den Parteien zu vereinbaren ist. Die Kosten des Ständigen Vergleichsrates werden von den beiden Parteien zu gleichen Teilen getragen.

Der Ständige Vergleichsrat wird im Laufe von sechs Monaten nach Austausch der Ratifikationsurkunden dieses Vertrages gebildet. Ausscheidende Mitglieder werden gemäss dem für die erstmalige Wahl massgebenden Verfahren so rasch als möglich ersetzt.

Der Ständige Vergleichsrat bestimmt seinen Sitz. Er kann ihn nach freiem Ermessen verlegen.

Der Ständige Vergleichsrat bildet nötigenfalls eine Kanzlei.

Soweit er in die Kanzlei Angehörige der Parteien beruft, hat er dabei die Parteien gleichmässig zu berücksichtigen.

Wenn die Berufung der gemeinsam zu berufenden Mitglieder nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Austausche der Ratifikationsurkunden oder, im Falle der Ergänzung des Ständigen Vergleichsrates, nicht innerhalb von drei Monaten nach Ausscheiden eines Mitgliedes stattgefunden hat, so finden die Bestimmungen des Artikel 45, Abs. 4 bis 6 des Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom · 18. Oktober 1907 auf die Wahl der Mitglieder sinngemäss Anwendung.

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Artikel 15.

Dem Ständigen Vergleichsrat liegt ob, einen Bericht zu erstatten, der den Sachverhalt feststellt und Vorschläge für die Be> legung der Streitigkeit enthält.

Der Bericht ist innerhalb von sechs Monaten nach dem Tage zu erstatten, an dem die Streitigkeit dem Ständigen Vergleichsrat unterbreitet wurde, es sei denn, dass die Parteien diese Frist im gemeinsamen Einverständnis verkürzen oder verlängern. Der Bericht soll in drei Ausfertigungen verfasst werden, von denen je eine jeder Partei ausgehändigt, die dritte vom Ständigen Vergleichsrat aufbewahrt 'wird.

Der Bericht hat weder in Bezug auf die Tatsachen noch in Bezug auf die rechtlichen Ausführungen die Bedeutung einer' end-, gültig bindenden Entscheidung. Jedoch hat sich jede Partei innerhalb einer im Berichte festzusetzenden Frist darüber zu erklären, ob und inwieweit sie die Feststellungen des Berichtes anerkennt und dessen Vorschläge annimmt. Diese Frist darf die Zeit von drei Monaten nicht überschreiten.

Artikel 16.

Der Ständige Vergleichsrat tritt in Wirksamkeit, sobald er von einer Partei angerufen wird. Diese richtet ihr Begehren gleichzeitig an den Vorsitzenden des Ständigen Vergleichsrates und an die andere Partei.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, in allen Fällen und in jeder Hinsicht die Arbeiten des Ständigen Vergleichsrates zu fördern und ihm insbesondere durch die zuständigen Behörden jede Rechtshilfe zu gewähren. Der Ständige Vergleichsrat ist berechtigt, im Gebiete der vertragschliessenden Teile nach Massgabe der dort den Gerichten zustehenden Befugnisse Zeugen und Sachverständige vorzuladen und zu vernehmen und Augenschein einzunehmen. Er kann die Beweise entweder, in vollständiger Besetzung oder durch eines oder mehrere der gemeinsam berufenen Mitglieder erheben.

Artikel 17.

Der Ständige Vergleichsrat trifft seine Entschliessungen mit einfacher Stimmenmehrheit. Er ist beschlussfähig, wenn alle Mitglieder ordnungsmässig geladen und mindestens die gemeinsam berufenen Mitglieder anwesend sind.

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Artikel 18.

Der im Schiedsgerichtsverfahren gefällte Spruch ist von den Parteien nach Treu und Glauben zu erfüllen.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, während der Dauer des Schiedsgerichts- oder Vergleichsverfahrens nach Möglichkeit jede Massnahme zu vermeiden, die auf die Erfüllung des Schiedsspruches oder die Annahme der Vorschläge des Ständigen Vergleichsrates nachteilig zurückwirken könnte. Bei einem Vergleichsverfahren haben sie sich bis zu dem Zeitpunkte, den der Ständige Vergleichsrat für die Annahmeerklärung der Parteien festsetzt, jeder gewaltsamen Selbsthilfe zu enthalten.

Das Schiedsgericht kann auf Verlangen einer Partei vorsorgliche Massnahmen anordnen, soweit diese von den Parteien auf dem Verwaltungswege durchgeführt werden können ; ebenso kann der Ständige Vergleichsrat zum gleichen Zwecke Vorschläge machen.

Artikel 19.

Unter Vorbehalt entgegenstehender Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages oder der Schiedsordnung ist für das Schiedsgerichts- und Vergleichsverfahren das Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 massgebend.

Soweit der gegenwärtige Vertrag auf die Bestimmungen des Haager Abkommens verweist, finden sie im Verhältnis zwischen den vertragschliessenden Teilen selbst dann Anwendung, wenn diese oder einer von ihnen von dem Abkommen zurückgetreten sein sollten.

Sofern weder der gegenwärtige Vertrag noch die Schiedsordnung noch die sonst zwischen den vertragschliessenden Teilen bestehenden Übereinkünfte die Fristen und andere Einzelheiten des Schiedsgerichts- oder Vergleichsverfahrens festlegen, ist das Schiedsgericht oder der Ständige Vergleichsrat selbst befugt, die erforderlichen Bestimmungen zu treffen.

Artikel 20.

Der gegenwärtige Vertrag soll sobald als möglich ratifiziert werden. Die Ratifikationsurkunden sollen in Bern ausgetauscht werden.

Der Vertrag tritt einen Monat nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.

199 Der Vertrag gilt für die Dauer von zehn Jahren. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieses Zeitraums gekündigt, so bleibt er für weitere zwei Jahre in Kraft. Das Gleiche gilt, wenn der Vertrag nicht mit der bezeichneten Frist gekündigt wird, filr die spätere Zeit.

Ein Schiedsgerichtsverfahren oder ein Vergleichsverfahren, das bei Ablauf des gegenwärtigen Vertrages schwebt, nimmt seinen Lauf nach den Bestimmungen dieses Vertrages oder eines andern Abkommens, das von den vertragschliessenden Teilen an dessen Stelle vereinbart wird.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet.

Ausgefertigt in doppelter Urschrift in Bern am 3. Dezember 1921 (dritten Dezember eintausendneunhunderteinundzwanzig).

sig. Max Huber, sig. Gaus.

Schlussprotokoll zu dem

schweizerisch-deutschen Schieds- und Vergleichsvertrag.

1) Die vertragschliessenden Teile gehen von der Ansicht .nus, dass die einzelnen Bestimmungen des Vertrages im Zweifel zu Gunsten der Anwendung des Grundsatzes der schiedsgerichtlichen Erledigung von Streitigkeiten auszulegen sind. Insbesondere erklären die vertragschliessenden Teile, dass gewöhnliche Grenzstreitigkeiten nicht als Angelegenheiten anzusehen sind, die im Sinne von Art. 4 des Vertrages die Unversehrtheit des Gebietes betreffen.

2) Die vertragschliessenden Teile erklären, dass der Vertrag auch dann Anwendung findet, wenn eine Streitigkeit in Ereignissen ihren Ursprung hat, die zeitlich vor seinem Abschlüsse liegen. Etwaige mit Ereignissen des Weltkrieges in unmittelbarem Zusammenhang stehende Streitigkeiten werden jedoch mit Rücksicht auf ihre allgemeine politische Bedeutung hiervon ausgeschlossen.

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3) Die Tatsache, dass an einer Streitigkeit dritte Staaten beteiligt sind, schliesst die Anwendung des Vertrages nicht aus.

Die vertragschliessenden Teile werden gegebenenfalls dahin wirken, die dritten Staaten zum Anschluss an das Schiedsgerichtsoder Vergleichsverfahren zu veranlassen. Für diesen Fall bleibt es den beiderseitigen Regierungen vorbehalten, im gemeinsamen Einverständnis eine besondere Zusammensetzung des Schiedsgerichts oder des Ständigen Vergleichsrates vorzusehen. Kann eine Verständigung mit den dritten Staaten über deren Anschluss nicht binnen angemessener Frist herbeigeführt werden, so nimmt das Verfahren zwischen den vertragschliessenden Teilen den im Vertrage vorgesehenen Verlauf.

4) Die vertragschliessenden Teile erklären, dass Streitigkeiten zwischen Deutschland und einem dritten Staat, an denen die Schweiz in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Völkerbundes beteiligt werden könnte, nicht als Streitigkeiten zwischen den vertragschliessenden Teilen im Sinne des Vertrages angesehen, werden können.

B e r n , den S.Dezember 1921.

sig. Max Huber, sig. Gaus.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des am 3. Dezember 1921 unterzeichneten Schieds- und Vergleichsvertrages zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich. (Vom 2. Februar 1922.)

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