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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Konzession einer elektrischen Schmalspurbahn von Mesocco über San Bernardino und Hinterrhein nach Thusis (Bernhardinbahn).

(Vom 19. Juni 1922.)

I.

1. Das Projekt einer Fortsetzung der Misoxerbahn (Bellinzona-Mesocco) durch Erstellung eines schmalspurigen Schienenweges von Mesocco über den Bernhardin ins Hinterrheintal nach Andeer hat die Bundesbehörden schon im Jahre 1908 beschäftigt. Mit Eingabe vom 28. April 1908 hatte sich ein aus den Herren J. Tonella, Direktor der Bellinzona-Mesocco-Bahn, Aurelio Ciocco, beide in Misox, A. Konrad, Kreispräsident in Andeer, und Dr. A. Meuli, in Chur, bestehendes Initiativkomitee um die Konzession einer elektrischen Schmalspurbahn von Misox nach San Bernardino--Hinterrhein--Andeer beworben. Nachdem das Gesuch von der Graubündner Regierung befürwortet worden war und im Februar 1909 die üblichen konferenziellen Verhandlungen mit den Konzessionspetenten und der Kantonsregierung stattgefunden hatten, war beabsichtigt, den eidgenössischen Räten noch auf die Märzsession 1909 die Botschaft mit Beschlussesentwurf für die Erteilung der Konzession zugehen zu lassen.

Da erhob sich gegen das Projekt von verschiedenen Seiten Widerstand. Der Ausschuss für eine Greinabahn ersuchte durch seinen Präsidenten, Herrn Ständerat H. Scherrer, St. Gallen, um Verschiebung der Angelegenheit, bis die Frage der Trasse der künftigen Ostalpenbahn abgeklärt sei. Auch die Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen hielt dafür, dass das Projekt ein gewisses Präjudiz für die Ostalpenbahnfrage bilde, indem es den Bau einer Splügenbahn zur Voraussetzung habe, da es sonst Thusis, nicht Andeer zum Ausgangspunkte nehmen würde. Jeden-

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falls sei auch beabsichtigt, durch Aufstellung dieses Projektes gegen eine Ostalpenbahn d u r c h den Bernhardin Stellung zu nehmen. Die Generaldirektion empfahl daher ebenfalls, die Konzessionsangelegenheit bis nach erfolgter Abklärung der Frage einer Ostalpenbahn zurückzulegen, wenn sie im übrigen auch mit dem Eisenbahndepartement dafür hielt, dass die projektierte Schmalspurbahn über den Bernhardin eine Lokal- bzw. Regionalbahn sein werde, die kaum je einen namhaften Transitverkehr werde vermitteln können und dass infolgedessen ihre Konzessionierung kein Konkurrenzverhältnis zu einer zukünftigen Ostalpenbahn schaffe. Der Bundesrat trug diesen Bedenken auf Antrag seines Eisenbahndepartements Rechnung und beschloss am 22. März 1909, das Konzessionsgesuch vorläufig, d. h. bis nach Abklärung der Frage der Trasse einer zukünftigen Ostalpenbahn zurückzulegen. Im Jahre 1913 ergänzte das Initiativkomitee sein Konzessionsgesuch durch Einbeziehung der Strecke Andeer-- Thusis und ersuchte um Wiederaufnahme der Behandlung und Erledigung desselben. Zwei Jahre später trat auch der Verkehrsverein Splügen - Bernhardin in einer Eingabe dafür ein, dass die Erteilung der Konzession nicht weiter hinausgeschoben werden möge. Diese Ansuchen wurden unter Berufung auf den erwähnten Bundesratsbeschluss abschlägig beschieden. Dabei blieb es, und weitere Anläufe wurden die Kriegszeit hindurch nicht mehr unternommen.

Im Jahre 1919 kam die Angelegenheit neuerdings in Fluss.

Das Initiativkomitee, in dem an Stelle des Herrn Tonella der neue Direktor der Misoxerbahn, Herr Daniele A. Marca, getreten war, reichte eine mit Rücksicht auf die veränderten Verhältnisse umgearbeitete und gleichzeitig durch Einbeziehung der Strecke Andeer--Thusis erweiterte Vorlage ein. Angesichts der infolge des Krieges eingetretenen tiefgreifenden Umgestaltung der Dinge stellte sich vor allem die Frage, ob die Erwägungen, die zu dem Bundesratsbeschlusse vom 22. März 1909 geführt hatten, noch gültig seien. Wir glaubten diese Frage verneinen zu sollen, da wir, in Übereinstimmung mit der Generaldirektion der schweizerischen Bundesbahnen, die sich erneut zu der Frage üusserte, dafür hielten, dass an die Verwirklichung eines der verschiedenen Ostalpenbahnprojekte auf lange Zeit hinaus kaum mehr ernstlich werde gedacht werden können und überdies eine
schmalspurige Verbindungslinie zwischen den beiden graubündnerischen Talschaften des Misox und des Hinterrheins den Bau einer grossen Transitlinie durch die Ostalpen nicht verunmöglichen werde, wenn die Verhältnisse diesen Bau einmal erheischen

641 sollten. Da auch die Regierung von Graubüuden die Konzessionserteilung neuerdings befürwortete, schien uns das Zurückkommen auf den mehrgenannten Verschiebungsbeschluss und damit die Weiterbehandlung des Konzessionsgesuches gegeben.

2. Der allgemeine Bericht der Konzessionsvorlage misst der projektierten Linie grosse volkswirtschaftliche Bedeutung bei.

In einem kurzen geschichtlichen Abriss wird dargetan, wie die stetige Verfolgung des Zieles der bündnerischen Volkswirtschaftspolitik, die Verkehrswege in den Tälern und über die Pässe den jeweiligen Anforderungen der Zeit anzupassen, vom Ende der 80er Jahre hinweg binnen eines Vierteljahrhunderts die heutigen Schmalspurbahnlinien Graubündens zu schaffen vermocht habe, die sämtliche bündnerische Talschaften unter sich und mit dem übrigen schweizerischen Eisenbahnnetz zu verbinden bestimmt seien. Ein noch fehlendes Bindeglied in der bereits vorhandenen Kette bilde die projektierte Bernhardinbahn, welche die grösste der ennetbirgischen Talschaften Bündens an das Netz der Rhätischen Bahn und damit an den ganzen Kanton anschliessen solle.

Wenn der Bewohner der Mesolcina heute in seinen Heimatkanton reisen wolle, erfolge dies immer noch am raschesten und bequemsten via Gotthard durch die Kantone Tessin, Uri, Schwyz, Zug, Zürich und St. Gallen hindurch, welche Route im Winter oft überhaupt die einzige Verbindung der Mesolcina mit ihrem Kanton sei. Von der über 6000 Seelen zählenden Bevölkerung dieser Talschaft, deren Haupterwerbsquelle die Landwirtschaft bilde, sei ein Teil jeweils darauf angewiesen, im Ausland dem Verdienst nachzugehen, da der Boden nicht alle zu ernähren vermöge. Die Bahn würde neue Verdienstquellen im Tale eröffnen und den landwirtschaftlichen Erzeugnissen ein neues und lohnendes Absatzgebiet diesseits der Berge erschliessen. Insbesondere würde der grosse Holzreichtum der Mesolcina und des Calancatales bedeutend besser zur Geltung gelangen als bisher. In neuerer Zeit seien Ansätze zu einer entwicklungsfähigen Steinindustrie (Granit, Lavez) festzustellen, die durch Öffnung eines Zuganges nach Norden eine Belebung erführe. Einen grossen Einfluss würde die Bahn namentlich auf die Entwicklung der Fremdenindustrie in der obern Mesolcina, im Rheinwald und Schamsertal ausüben.

Insbesondere gehe der Kurort San Bernardino mit dem Bau
der Bahn einer grossen Zukunft als erstklassiger Fremdenkurort entgegen, die bis dahin nur durch das Fehlen günstiger Verbindungen vom Süden und Norden her hintangehalten worden sei. Eine ähnliche Förderung hätten Splügen und Andeer, die beiden haupt-

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sächlichsten Fremdenorte der Hinterrheintäler zu erwarten. Die Vorteile der Bahn würden aber auch der übrigen Bevölkerung dieser Talschaften in ähnlicher Weise wie der Mesolcina zugute kommen.

Die projektierte Linie wäre sodann namentlich für die Verkehrsbeziehungen zwischen den beiden Kantonen Tessin und Graubünden und einem Teil der Ostschweiz von grösster Wichtigkeit, da sie das noch fehlende Zwischenstück zwischen dem im Ausbau begriffenen tessinischen Regionalbahnnetz und dem Netz der Rhätischen Bahn darstelle und damit die hochentwickelten Fremdenindustriezentren des südlichen Tessins in direkte Verbindung mit denjenigen Graubündens zu bringen berufen sei. Mit der Eröffnung der Centovallibahn (Locamo - Domodossola) und dem Bau der konzessionierten Zwischenstrecke Locamo - Bellinzona ergäbe sich dann eine zusammenhängende südliche Transversalverbindung zwischen dem Simplon und dem Netz der Rhätischen Bahn. Da die Route von Chur durch das romantische Domleschg nach Thusis, von da durch die weltberühmte Viamala ins liebliche Schamsertal, dann durch die wilde Roffna nach dem hochalpinen Rheinwald und hinüber ins Misox durch Alpweiden, Kastanienwälder und Weinberge hinab zu den oberitalienischen Seen (Luganersee und Lago Maggiore) zu den schönsten und genussreichsten unseres Landes gehöre, könne damit gerechnet werden, dass sie auf die Touristenwelt eine starke Anziehung ausüben und dadurch neuen Verkehr auf schweizerischem Gebiet schaffen werde. -- Neben dem Personenverkehr werde sich auch ein nicht unerheblicher Güterverkehr einstellen.

Der Bericht weist dann besonders noch hin auf die Wichtigkeit der Bahn im Zusammenhang mit dem bevorstehenden; Ausbau der Wasserkräfte im Gebiet des Hinterrheins, die zu den reichsten und ausbauwürdigsten des Kantons Graubünden gehören.

Nach dem technischen Berichte würde die projektierte Lini& am Endpunkt der Misoxerbahn in Mesocco 769 Meter hoch ü. M.

beginnen und talaufwärts bis oberhalb des Ortes San Bernardino steigen, wo in einer Höhe von 1740 m der Durchstich des Monte di San Bernardino vorgesehen ist, und nach Verlassen des 5150 m langen Scheiteltunnels bei Hinterrhein in die Landschaft Rheinwald gelangen. Von hier soll die Bahnlinie dem Laufe des Hinterrheins folgen und alle in der Talsohle liegenden Ortschaften bis zu ihrem Endpunkt in Thusis berühren.

An Stelle des Scheiteltunnels sieht eine Projekt variante die Oberschienung des Bernhardin vor. Diese Variante ist nun aber fallen gelassen worden.

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Die Hauptangaben technischer Natur sind folgende: Länge der Bahn : 60,000 m, (69,000 m bei Überschienung des Berges) ; Spurweite : l m ; Maximalsteigung : 60 °/oo ; Höhenkoten: Misox = 769,oo m, Kulminationspunkt im Scheiteltunnel = 1752,oo, Thusis = 700,so m ü. M. (Kulminationspunkt der Variante = 2065,oo ü. M.) ; Minimalradius : Wenn tunlich, nicht kleiner als 80 m ; Zwischenstationen: 9 (Variante 10); Haltestellen: 3; Güterverkehr : Vorgesehen ; Betriebssystem : Elektrizität ; Energiebezug von bestehenden oder in Entstehung begriffenen Kraftwerken.

Die Bahn soll als Adhäsionsbahn nach den Normalien der Rhätischen Bahn und der Misoxerbahn gebaut werden.

Der Kostenvoranschlag der ersten Vorlage (1908) hatte noch mit einer Gesamtbaukostensumme von Fr. 15,000,000 (Variante Fr. 12,800,000) oder per km Fr. 310,000 (Fr. 220,000) gerechnet. Die umgearbeitete Vorlage von 1919 sieht vor: Total Baukosten : Fr. 36,000,000 (Variante Fr. 34,500,000) per km Fr. 600,000 (Variante Fr. 500,000), die sich wie folgt zusammensetzen : I. Allgemeine Unkosten Fr. 3,000,000 II. Bahnanlage und feste Einrichtungen . . ,, 26,900,000 EI. Rollmaterial ,, 4,300,000 IV. Mobiliar und Gerätschaften ,, 600,000 V. Unvorhergesehenes und zur Aufrundung . ,, 1,200,000 Total

Fr. 36,000,000

Die Rentabilitätsberechnung gelangt zu jährlichen Gesamteinnahmen aus dem Personen-, Gepäck-, Tier- und Güterverkehr und Verschiedenem von total Fr. 2,565,000 oder per Bahnkilometer zirka Fr. 42,600 und zu Betriebsausgaben von insgesamt Fr. 1,020,000 oder per Bahnkilometer Fr. 17,000 und damit zu einem Betriebsüberschuss von Fr. 1,545,000 oder per Bahnkilometer Fr. 25,000.

Was die Finanzierung betrifft, ist vorgesehen, das Anlagekapital von Fr. 36,000,000 höchstens zur Hälfte durch Ausgabe von Obligationen und im übrigen durch Aktien zu beschaffen.

Dabei wird erwartet, dass der Bund mit Rücksicht auf die hohen

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Baukosten der Bahn, ihre Bedeutung für die Landesverteidigung und die zu erzielenden Ersparnisse im Postverkehr mindestens für S Millionen Franken Aktien zweiten Ranges übernehmen werde. Dazu ist hiernach Stellung zu nehmen.

3. Gegen die Erteilung einer Konzession für Bau und Betrieb einer schmalspurigen Bernhardinbahn sprachen auch nach dem Hinfall des unter Ziff. l erörterten Nichteintretensgrundes gewisse Bedenken. In erster Linie der Umstand, dass eine solche Bahn die Gotthardlinie namentlich im Personen- und Gepäckverkehr voraussichtlich in nicht unbedeutendem Masse konkurrenzieren würde, indem anzunehmen ist, dass nach ihrer Erstellung der gesamte Reisendenverkehr zwischen den Kantonen Tessin und Graubünden, der in Anbetracht der Wechselwirkungen der tessinischen und bündnerischen Kurorte und Fremdenzentren einen ansehnlichen Umfang erreichen dürfte, auf die neue Linie übergehen wird. Ferner dürfte ein Teil des Personenverkehrs der übrigen Ostschweiz nach und vom Tessin sich dem Bernhardin zuwenden. Indessen erblickt die Bundesbahnverwaltung in dem ·M erwartenden Verkehrsentzug nicht eine derartige Schädigung ihrer Interessen, dass sie sich aus diesem Grunde zur Erhebung von Widerspruch gegen die Konzessionserteilung veranlasst gesehen hätte.

Sodann konnte sich fragen, ob nicht die Rücksichtnahme auf eine frühere oder spätere Verwirklichung eines der Ostalpenbahnprojekte eine Abweisung des Konzessionsgesuches empfehle, da möglicherweise der Bau einer schmalspurigen Bernhardinbahn dazu beitragen würde, das Zustandekommen einer Hauptbahn durch die Ostalpen noch mehr in die Ferne zu rücken. Nun ist aber die Wahrscheinlichkeit der Erstellung einer Ostalpenbahn infolge der Verschiebung der politischen und der Verkehrsverhältnisse ohnehin derart gering geworden, dass die Konzessionierung einer schmalspurigen Bernhardinbahn nicht wohl mehr in ein Abhängigkeitsverhältnis zu der Ostalpenbahnfrage gebracht werden kann, ganz abgesehen davon, dass es sich beim vorliegenden Projekt um eine schmalspurige Nebenbahn von mehr lokalem bzw. regionalem Charakter handelt, die den Bau einer grossen Transitlinie, wie schon oben unter Ziffer l bemerkt wurde, doch nicht verunmöglichen könnte, wenn die Verhältnisse die Erstellung einer solchen Linie noch je einmal gestatten sollten.

Fraglicher könnte sein, ob
namentlich nach Einführung einer Postautomobilverbindung zwischen Thusis und Mesocco, die allerdings auf die Sommermonate beschränkt ist, ein hinreichendes volkswirtschaftliches Bedürfnis vorliege, das die Investierung so

645 bedeutender Mittel in dieser Bahn rechtfertige, falls die Finanzierung überhaupt möglich sein sollte, wobei zu bemerken ist, dass die veranschlagten Baukosten von Fr. 36,000,000 erheblich zu niedrig beziffert worden sein dürften. Auch halten wir mit der Bundesverwaltung die Rentabilitätsberechnung des Gesuches für wesentlich zu optimistisch; es erscheint sehr wenig wahrscheinlich, dass das Anlagekapital würde verzinst werden können.

Indessen kann dem Projekt, das als eine natürliche Ergänzung des bündnerischen Schmalspurbahnnetzes erscheint und den beteiligten Talschaften sowie den durch sie näher verbundenen Landesteilen Tessin und Graubünden Vorteile bringen würde, eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden. Übrigens ist nach der bisherigen Eisenbahnkonzessionspraxis der Bundesversammlung der Umstand, dass die Finanzierungsmöglichkeit oder ·die Rentabilität der zu bauenden Bahn zweifelhaft scheinen, an sich nicht als Grund zur Verweigerung der Konzession betrachtet worden. Wir sind deshalb der Ansicht, dass die Konzession erteilt werden sollte; ein neuer Baukosten Voranschlag als Grundlage des Finanzausweises wird in einem spätem Stadium zu verlangen sein.

Dagegen halten wir für notwendig, uns dagegen zu wenden, dass die Finanzierung des Unternehmens mit der finanziellen Hilfe des Bundes durchzuführen beabsichtigt wird, wie oben bereits erwähnt wurde. Für eine derartige Beteiligung, geschehe sie nun durch Leistung einer Subvention à fonds perdu oder durch Übernahme von Aktien oder sonstwie, würde die gesetzliche Grundlage fehlen. Namentlich ist, beiläufig bemerkt, klar, dass als solche Grundlage nicht etwa das Bundesgesetz vom 22. August 1878 betreffend Gewährung von Subsidien für Alpenbahnem angerufen werden könnte. Aber auch zu einer Unterstützung des beabsichtigten Werkes auf Grund von Art. 23 der Bundesverfassung läge kein hinreichender Anlass vor, und was insbesondere den Hinweis des Gesuches auf die zu erzielenden Ersparnisse im Postverkehr angeht, trifft derselbe heute nicht mehr zu, seitdem der allerdings mit Defiziten arbeitende Pferdepostbetrieb durch das viel wirtschaftlichere Postautomobil ersetzt worden ist, dessen Verwendung schon im ersten Betriebsjahre auf den Strecken Thusis - Splügen und Splügen-Misox Betriebsüberschüsse ergeben hat. Der Erwartung einer
Bundesbeteiligung soll deshalb schon hier entgegengetreten werden, damit nicht später aus der Tatsache der Konzessionsverleihung eine gewisse, wenn auch nur moralische Verpflichtung des Bundes zur finanziellen Mitwirkung abgeleitet werden kann. Auch haben WÌHT Bundeablatt. 74. Jahrg. Bd U.

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646 im Entwurf des Konzessionsbeschlusses, als Ziffer II desselben, eine entsprechende Erklärung aufgenommen.

4. An den am 21. Dezember 1921 stattgefundenen konferenziellen Verhandlungen, an denen sowohl die Konzessionspetenten wie die Kantonsregierung von Graubünden vertreten waren, wurde über den Konzessionsentwurf in allen wesentlichen Punkten eine Einigung erzielt. Wir gestatten uns, auf das bei den Akten liegende Protokoll zu verweisen. Der Entwurf erfuhr nachträglich vom Eisenbahndepartement im Benehmen mit dem Militärdepartement noch einige Erweiterungen, denen sowohl das Initiativkomitee wie die Kantonsregierung zustimmten. So wurde u. a. die Konzession ausdrücklich auf die Trassevariante mit Scheiteltunnel durch den Bernhardin festgelegt und weiter vorgesehen, die Bahn müsse so gebaut werden, dass das Rollmaterial der Rhätischen Bahn auf der ganzen Linie Thusis-Misox im durchgehenden Verkehr verwendbar ist. Ansprüche auf Beitragsleistungen an die Baukosten können daraus gegen den Bund selbstverständlich nicht begründet und von uns nicht anerkannt werden, wie wir ausdrücklich feststellen möchten. Im übrigen verweisen wir auf die beigefügten bezüglichen Aktenstücke.

Gestützt auf diese Ausführungen empfehlen wir Ihnen die Annahme des nachstehenden Beschlussesentwurfes und benützen auch diesen Anlass, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

Bern, den 19. Juni 1922.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Dr. Haab.

Der Bundeskanzler :

Steiger.

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(Entwurf.)

Bundesfoeschluss betreffend

Konzession einer elektrischen Schmalspurbahn von Mesocco über San Bernardino und Hinterrhein nach Thusis :(Bernhardinbahn).

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht 1. zweier Eingaben des Initiativkomitees für eine elektrische Schmalspurbahn von Mesocco über San Bernardino und Hinterrhein nach Thusis, vom 28. April 1908 und 1. Mai 1920, 2. einer Botschaft des Bundesrates vom 19. Juni 1922, beschliesst: I. Einem durch die Herren Dr. A. M e u l i, in Chur, Aurelio C i o c c o , Daniele A. M a r c a , Direktor, beide in Mesocco, und A. Ko n r ad, Kreispräsident in Andeer, vertretenen Initiativkomitee wird zuhanden einer zu bildenden Aktiengesellschaft die Konzession für den Bau und Betrieb einer elektrischen Schmalspurbahn von Mesocco über San Bernardino und Hinterrhein.

(Scheiteltunnelprojekt) nach Thusis unter den in den nachfolgenden Artikeln enthaltenen Bedingungen erteilt.

Art. 1. Es sollen die jeweiligen Bundesgesetze sowie alle übrigen Vorschriften der Bundesbehörden über den Bau und Betrieb der schweizerischen Eisenbahnen jederzeit genaue Beachtung finden.

Art. 2. Die Bahn wird als Nebenbahn im Sinne des Bun-> desgesetzes vom 21. Dezember 1899 erklärt.

Art. 3. Die Konzession wird auf die Dauer von 80 Jahren, vom Inkrafttreten des gegenwärtigen Beschlusses an gerechnet, erteilt.

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Art. 4. Der Sitz der Gesellschaft ist in Chur.

Art. 5. Die Mehrheit der Direktion, des Verwaltungsrates und eines allfälligen Ausschusses desselben soll aus Schweizerbürgera, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, bestehen.

Der Bahnbetrieb ist durch schweizerisches Personal zu besorgen.

Art. 6. Binnen fünf Jahren, vom Inkrafttreten des gegenwärtigen Beschlusses an gerechnet, sind dem Bundesrat die vorschriftsmässigen technischen und finanziellen Vorlagen nebst den Statuten der Gesellschaft zur Genehmigung einzureichen.

Binnen zwölf Monaten nach der Plangenehmigung ist mit den Erdarbeiten zu beginnen.

Binnen drei Jahren, vom Beginn der Erdarbeiten an gerechnet, ist die Bahn zu vollenden und dem Betrieb zu übergeben.

Art. 7. Mit der Erstellung der Bahn und der zum Betrieb erforderlichen Einrichtungen darf erst begonnen werden, nachdem der Bundesrat die von der Gesellschaft vorgelegten Entwürfe genehmigt hat. Der Bundesrat ist berechtigt, nachträglich Änderungen der von ihm genehmigten Entwürfe zu verlangen, wenn er es für notwendig erachtet.

Die Bahnverwaltung hat dafür zu sorgen, dass die Tunnelarbeiten am Sonntag, mit Ausnahme der Arbeiten vor Ort und der damit zusammenhängenden Transporte, sowie allfällig unaufschiebbarer Arbeiten, eingestellt werden.

Die vom Bundesrat aus militärischen Rücksichten vor oder nach Vollendung des Baues verlangten Erweiterungs- und Ergänzungsbauten, sowie Zerstörungsvorkehren, hat die Bahnverwaltung auf ihre Kosten auszuführen.

Art. 8. Die Bahn wird mit Spurweite von l m erstellt .und elektrisch betrieben.

Die Anlage ist so zu erstellen, dass das Rollmaterial der Rhätischen Bahn auf der ganzen Linie Thusis-Mesocco im durchgehenden Verkehr verwendet werden kann.

Art. 9. Gegenstände von wissenschaftlicher Bedeutung, die durch die Bauarbeiten zutage gefördert werden, wie Versteinerungen, Münzen usw., sind Eigentum des Kantons Graubünden und an dessen Regierung unentgeltlich abzuliefern.

Art. 10. Den eidgenössischen Beamten, denen, die Beaufsichtigung des Bahnbaues und Bahnbetriebes obliegt, ist für die Erfüllung ihrer Aufgabe zu jeder Zeit freie Einsicht in alle Teile der Bahn, der Stationen und des Materials zu gewähren, sowie

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das zur Vornahme der Untersuchung nötige Personal und Material zur Verfügung zu stellen.

Art. 11. Der Bundesrat kann verlangen, dass Beamte oder Angestellte der Gesellschaft, die in der Ausübung ihres Dienstes zu begründeten Klagen Anlass geben und gegen die nicht von der Gesellschaft selbst eingeschritten wird, zur Ordnung gewiesen, bestraft oder nötigenfalls entlassen werden. Das gleiche gilt gegenüber Mitgliedern der Verwaltung, denen vorübergehend oder dauernd Dienstverrichtungen eines Beamten oder Angestellten übertragen sind.

Art. 12. Die Gesellschaft übernimmt die Beförderung von Personen, Gepäck, Gütern und Tieren.

Art. 13. Es sollen täglich mindestens 3 Personenzüge in beiden Richtungen, von einem Bndpunkt der Bahn zum andern und mit Anhalten auf allen Stationen geführt werden.

Art. 14. Die Anzahl der zu führenden Wagenklassen wird vom Bundesrate festgesetzt.

Die Gesellschaft hat dafür zu sorgen, dass die Personenzüge eine dem zu erwartenden Verkehr entsprechende Anzahl Sitzplätze enthalten.

Auf Verlangen des Bundesrates sind auch mit Güterzügen Personen zu befördern.

Art. 15. Für die Beförderung von Personen können Taxen bis auf den Betrag folgender Ansätze bezogen werden : in der zweiten Wagenklasse 50 Rappen, in der dritten Wagenklasse 25 Rappen für den Kilometer der Bahnlänge. Bruchteile eines Kilometers dürfen, sofern sie mindestens einen Meter betragen, für einen ganzen Kilometer gerechnet werden.

Für Hin- und Rückfahrten sind die Personentaxen mindestens 20 °/o niedriger anzusetzen als für doppelte einmalige Fahrten.

Kinder unter vier Jahren sind taxfrei zu befördern, sofern für sie kein besonderer Sitzplatz beansprucht wird. Für Kinder zwischen dem vierten und dem zurückgelegten zwölften Altersjahr darf in beiden Wagenklassen die Hälfte der Taxe erhoben werden.

Die Gesellschaft ist verpflichtet, zu Bedingungen, die im Einvernehmen mit dem Bundesrat aufzustellen sind, Abonnementsbillete zu ermässigter Taxe auszugeben.

Jeder Reisende ist berechtigt, 10 Kilogramm Handgepäck taxfrei zu befördern, sofern es ohne Belästigung der Mitreisenden im Personenwagen untergebracht werden kann.

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Art. 16. Personen, deren Mittellosigkeit durch eine Bescheinigung der zuständigen Behörden bezeugt wird, sind zum halben Preise zu befördern.

Für Polizeitransporte, die von eidgenössischen oder kantonalen Behörden angeordnet werden, setat der Bundesrat die nähern Bedingungen fest.

Art. 17. Für die Beförderung von Gepäck, Gütern, lebenden Tieren, Traglasten, Expressgut und Leichen gelten die jeweiligen Vorschriften und Tarife der schweizerischen Bundesbahnen.

Für eine einzelne Sendung dürfen mindestens 40 Rappen erhoben werden.

Der Gesellschaft wird gestattet, die für die Berechnung der Beförderungspreise massgebenden Entfernungen in der Weise festzusetzen, dass den wirklichen Entfernungen ein Zuschlag von 200 °/o zugerechnet wird. Dabei sich ergebende Bruchteile eines Kilometers dürfen, sofern sie mindestens einen Meter betragen, für einen ganzen Kilometer gerechnet werden.

Art. 18. Beim Eintritt von Notständen, insbesondere bei ungewöhnlicher Teuerung der Lebens- und Futtermittel, sind für Getreide, Mehl, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Heu, Stroh usw. zeitweise niedrigere Beförderungspreise einzuführen, die vom Bundesrate festgesetzt werden.

Art. 19. Auf den Stationen, wo das Bedürfnis besteht, ist ein Rollfuhrdienst für das Verbringen der Güter von der Wohnung des Absenders zum Bahnhof und vom Bahnhof zur Wohnung des Empfängers einzurichten.

Art. 20. Für die Einzelheiten des Transportdienstes sind Réglemente und Tarife aufzustellen.

Art. 21. Sämtliche Réglemente und Tarife sind mindestens drei Monate, ehe die Eisenbahn dem Verkehr übergeben wird, dem Bundesrat zur Genehmigung vorzulegen.

Art. 22. Die nach den Art. 15 und 17 zulässigen Taxen und Entfernungszuschläge sind verhältnismässig herabzusetzen, wenn der auf das Aktienkapital entfallende Jahresgewinn in 6 aufeinanderfolgenden Jahren im Durchschnitt und für jedes einzelne der drei letzten Jahre 6 °/o übersteigt, sofern nicht die Gesellschaft den Bedürfnissen der Bevölkerung durch Gewährung anderer Preiserleichterungen oder durch Einführung von Verkehrsverbesserungen genügend Rechnung trögt. Kann hierüber eine Verständigung zwischen dem Bundesrat und der Gesellschaft nicht erzielt werden, so entscheidet die Bundesversammlung.

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Wenn der Jahresgewinn in drei aufeinanderfolgenden Jahren 2% des Aktienkapitals nicht erreicht, erlangt die Gesellschaft «in Anrecht auf angemessene Erhöhung der in den Art. 15 und 17 vorgesehenen Taxen und Entfernungszuschläge. Über das Älass der Erhöhung entscheidet die Bundesversammlung.

Art. 23. Die Bahngesellschaft ist verpflichtet: a. für Äufnung eines Reservefonds, dessen Mittel zur Bestreitung ausserordentlicher Ausgaben infolge von Naturereignissen, Unfällen und Krisen, sowie zur Deckung allfälliger Fehlbeträge dienen sollen, zu sorgen durch jährliche Rücklage von mindestens 5°/o des Jahresgewinnes, bis 10% des Aktienkapitals erreicht sind; b. für das Personal eine Krankenkasse einzurichten oder es bei einer Krankenkasse zu versichern ; c. für das Personal eine Dienstalterskasse oder Pensionskasse zu gründen, wenn der Jahresgewinn in drei aufeinanderfolgenden Jahren 4°/o des Aktienkapitals übersteigt; d. die Reisenden bei einer Anstalt oder bei einem Eisenbahnverband gegen diejenigen Unfälle zu versichern, für die sie gemäss den geltenden gesetzlichen Bestimmungen haftpflichtig ist.

Art. 24. Für die Ausübung des Rückkaufsrechtes des Bundes oder, wenn er davon keinen Gebrauch machen sollte, des Kantons Graubünden gelten folgende Bestimmungen: a. Der Rückkauf kann frühestens 30 Jahre nach Eröffnung des Betriebes und von da an je auf 1. Januar eines Jahres erfolgen. Vom Entschluss des Rückkaufes ist der Gesellschaft drei Jahre vor dem Eintritt desselben Kenntnis zu geben.

b. Durch den Rückkauf wird der Rückkäufer Eigentümer der Bahn mit ihrem Betriebsmaterial und aller übriger Zugehör.

Immerhin bleiben die Drittmannsrechte hinsichtlich des Pensions- und Unterstützungsfonds vorbehalten. Zu welchem Zeitpunkte auch der Rückkauf erfolgen mag, ist die Bahn samt Zugehör in vollkommen befriedigendem Zustande abzutreten. Sollte dieser Verpflichtung kein Genüge getan werden und sollte auch die Verwendung des Erneuerungsfonds dazu nicht ausreichen, so ist ein verhältnismässiger Betrag von der Rückkaufssummc in Abzug zu bringen.

c. Die Entschädigung für den Rückkauf beträgt, sofern letzterer bis 1. Januar 1960 rechtskräftig wird, den 25fachen Wert

652 des durchschnittlichen Reinertrages derjenigen zehn Kalenderjahre, die dem Zeitpunkt, in welchem der Rückkauf der Gesellschaft angekündigt wird, unmittelbar vorangehen; -- sofern der Rückkauf zwischen dem 1. Januar 1960 und I.Januar 1975 erfolgt, den 221/«facb.en Wert; -- wenn der Rückkauf zwischen dem 1. Januar 1975 und dem Ablauf der Konzession sich vollzieht, den 20fachen Wert desoben beschriebenen Reinertrages ; -- unter Abzug des Erneuerungsfonds.

Bei Ermittlung des Reinertrages darf lediglich die durch diesen Akt konzessionierte Eisenbahnunternehmung mit Ausschluss aller andern etwa damit verbundenen Geschäftszweige in Betracht und Berechnung gezogen werden.

d. Der Reinertrag wird gebildet aus dem gesamten Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben, zu welch letztern auch diejenigen Summen zu rechnen sind, welche auf Abschreibungsrechnung getragen oder dem Erneuerungsfonds einverleibt wurden.

e. Im Falle des Rückkaufes im Zeitpunkt des Ablaufes der Konzession ist nach der Wahl des Rückkäufers entweder der Betrag der erstmaligen Anlagekosten für den Bau und Betrieb oder eine durch bundesgerichtliche Abschätzung zu bestimmende Summe als Entschädigung zu bezahlen.

f. Streitigkeiten, die über den Rückkauf und damit zusammenhängende Fragen entstehen, unterliegen der Entscheidung des Bundesgerichts.

Art. 25. Hat der Kanton Graubünden den Rückkauf der Bahn bewerkstelligt, so ist der Bund nichtsdestoweniger befugt, sein Rückkaufsrecht, wie es in Art. 24 vorgesehen ist, jederzeit auszuüben, und der Kanton hat unter den gleichen Rechten und Pflichten die Bahn dem Bunde abzutreten, wie letzterer dies von der Gesellschaft zu fordern berechtigt gewesen wäre.

II. Eine Verpflichtung des Bundes zur finanziellen Beteiligung am Bau der projektierten Bahn wird ausdrücklich abgelehnt» III. Der Bundesrat ist mit dem Vollzuge der Vorschriften dieses Beschlusses, der am 1. Juli 1922 in Kraft tritt, beauftragt.

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