1039 # S T #

1 6 4 1

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren betreffend die Reform der Bundesverwaltung inklusive Bundesbahnen.

(Vom 8. August 1922.)

Herr Dr. Schwendener, Rechtsanwalt in Zürich, hat im Namen eines ,,Initiativkomitees für Bundesverwaltungsreform" der Bundeskanzlei zuhanden des Bundesrates am 11. August 1921, am 9. Februar 1922 und am 10. April 1922 und nachträglich noch am 16. Mai 1922 eine Anzahl Unterschriftenbogen, enthaltend ein ,,Volksbegehren betreffend die Reform der Bundesverwaltung inkl.

Bundesbahnen", eingereicht.

Dieses Volksbegehren hat folgenden Wortlaut: ,,Gestützt auf Art. 121, Abs. 4 und 5, der Bundesverfassung verlangen die unterzeichneten stimmberechtigten Schweizerbürger die Aufnahme eines neuen Artikels in die Bundesverfassung des Inhalts, dass die gesamte Bundesverwaltung, inbegriffen die Bundesbahnen, nach dem Grundsatz der grösstmöglichen Einfachheit und Sparsamkeit organisiert und nach ökonomisch-kaufmännischen Gesichtspunkten geleitet werden muss.

Der Verfassungsartikel soll den sofortigen Erlass eines Bundesgesetzes vorschreiben, welches in der Bundes Verwaltung inkl.

Bundesbahnen jede Bureaukratie und Doppelspurigkeit, insbesondere auch die Bestimmungen über die Organisation der Bundesbahnverwaltung im Rückkaufsgesetz vom 15. Oktober 1897 aufhebt, sparsamsten Betrieb gewährleistet und die Verantwortlichkeit der an der Leitung beteiligten Personen festlegt.

,,Les soussignés, citoyens suisses, jouissant de leurs droits civiques et politiques, se basant sur l'art. 121, al. 4 et 5, de la

1040 Constitution fédérale, demandent l'introduction dans la Constitution d'un nouvel article, aux termes duquel l'Administration fédérale entière, chemins de fer fédéraux y compris, doit être organisée d'après le principe de la plus grande simplicité et la plus stricte économie, et ses diverses branches doivent être dirigées dans un esprit commercial.

Cet article doit exiger la promulgation immédiate d'une loi fédérale qui extirpe de l'Administration fédérale, y compris les chemins de fer fédéraux, toute bureaucratie et toute complication dans les services, en général, en particulier abroge los dispositions relatives à l'organisation de l'administration des chemins de fer fédéraux, contenues dans la loi concernant l'acquisition et l'exploitation des chemins de fer, du 15 octobre 1897, garantit l'exploitation la plus économe, et pose le principe de la responsabilité des personnes participant à la direction."

Eine Übersetzung des Volksbegehrens in die italienische Sprache scheint nicht besorgt worden zu sein, es liegen wenigstens keine Unterschriftenbogen in italienischer Sprache vor.

Nach Angabe des Herrn Dr. Seh wendener wurden eingereicht : am 11. August 1921 31,934 Unterschriften ,, 9. Februar 1922 15,058 ,, ,, 10. April 1922 4,533 ,, ,, 16. Mai 1922 (nachträgliche Sendung) 267 ,, Total

51,792 Unterschriften

Die Unterschriften sind in unserm Auftrage vom eidgenössischen statistischen Bureau nachgezählt und geprüft worden. Die genaue Zählung hat ergeben, dass nicht 51,792, sondern nur 51,618 Unterschriften eingegangen sind, eine Differenz, die von Additions- und Übertragungsfehlern in der Zusammenstellung herrühren wird. Bei der Prüfung der Gültigkeit der Unterschriften hat das eidgenössische statistische Bureau vorerst festgestellt, wie gross die Zahl derjenigen Unterschriften ist, die als ungültig zu betrachten sind, weil sie von gleicher Hand herrühren oder ungenügende Beglaubigungen aufweisen oder andere Mängel an sich tragen. Es hat sich herausgestellt, dass aus diesen Gründen 586 Unterschriften als ungültig erklärt werden müssen, so dass noch 51,032 Unterschriften verbleiben, was sich aus folgender Zusammenstellung ergibt:

1041 T

Kantone

H a'S' °!flnlf Bangten " e« Unle r.

scSn

Zürich 14,723 Bern 8,041 Luzern 319 Uri -- Schwyz ·'.

62 Unterwaiden ob dem Wald . . .

-- Unterwaiden nid dem Wald . .

-- Glarus 2,202 Zug 9 Freiburg .

108 Solothurn 2,595 Basel-Stadt .

1,042 Basel-Land 364 Schaffhausen 144 Appenzell A.-Rh.

2,176 Appenzell I.-Rh 144 St. Gallen 11,370 Graubiinden 676 Aargau 3,749 Thurgau 1,962 Tessin 78 Waadt 910 Wallis -- Neuenburg 16 Genf 928 Zusammen 51,618

s hrlflen

«

14,611 7 962 319 -- 61 -- -- 2,195 9 108 2,505 1,038 356 144 2,170 144 11,367 672 3,680 1,850 64 891 -- 16 870 51,032

U

"3Ultige ,jan,er?

sohri en

«

112 79 -- -- l -- -- 7 -- -- 90 4 8 -- 6 -- 3 4 69 112 14 19 -- -- 58 586

Wenn keine andern Fehler in der Durchführung der Sammlung und der Beglaubigung der Unterschriften vorgekommen wären, so müsste festgestellt werden, dass die vom Gesetze verlangte Mindestzahl von 50,000 gültigen Unterschriften beigebracht sei. Das eidgenössische statistische Bureau macht aber mit vollem Rechte darauf aufmerksam, dass im vorliegenden Falle die vom Gesetze an das Zustandekommen eines Volksbegehrens geknüpften Bedingungen nicht erfüllt sind.

Es fallen in Betracht die Vorschriften des Bundesgesetzes über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Revision der Bundesverfassung vom 27. Januar 1892.

In Art. 5 dieses Bundesgesetzes wird verlangt, dass der Bundes-

1042 rat die Zahl der gültigen Unterschriften ermittle, sobald ein Revisionsbegehren einlangt. Es fragt sich nun, was unter einem Revisionsbegehren zu verstehen sei. Daraufgibt Art. 2 Aufschluss, der folgendennassen lautet : ,,Will von diesem Recite (des Verlangens der Revision der Bundesverfassung auf dem Wege des Volksbegehrens) Gebrauch gemacht werden, so ist ari den Bundesrat zuhanden der Bundesversammlung eine schriftliche, von mindestens fünfzigtausend stimmberechtigten Schweizerbürgern unterzeichnete Eingabe zu richten, in welcher der Gegenstand des Begehrens bestimmt bezeichnet wird."

Eine die Revision der Bundesverfassung verlangende Eingabe an den Bundesrat wird also erst dann ein Revisionsbegehren im Sinne des Gesetzes, wenn sie von mindestens fünfzigtausend stimmberechtigten Schweizerbürgern unterzeichnet ist. Solange keine solche Eingabe vorliegt, kann von einem Revisionsbegehren im Sinne des Gesetzes nicht die Rede sein. Eine andere Gesetzesauslegung müsste dazu führen, jedes Begehren, das von einem einzelnen Schweizerbürger zum Zwecke der Durchführung einer Verfassungsrevision gestellt wird, als Revisioasbegehren zu betrachten, was der Absicht des Gesetzgebers und dem klaren Wortlaute der Vorschrift direkt widersprechen würde. Im vorliegenden Falle sind nach den Angaben der Initianten am 11. August 1921 nur 31,934 Unterschriften und am 9. Februar 1922 nur 15,058 Unterschriften der Bundeskanzlei zuhanden des Bundesrates eingereicht worden, so dass auch am 9. Februar 1922 die vom Gesetze verlangte Zahl von 50,000 Unterschriften noch nicht erreicht war. Diese ist erst mit der Einreichung von 4533 Unterschriften am 10. April 1922 überschritten worden. Es muss daher festgestellt werden, dass vor dem 10. April 1922 von einem Revisionsbegehren im Sinne des Gesetzes nicht gesprochen werden kann.

Das Bundesgesetz vom 27. Januar 1892 geht von der Absicht aus, die Unterschriftensammlung in kurzer Zeit zum Abschluss zu bringen ; deshalb ist in Art. 5 folgende Vorschrift aufgenommen: ,,Ausser Betracht fallen (bei der Ermittlung der Zahl der gültigen Unterschriften) : 1. Diejenigen Unterschriften, welche nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten, vom Tage des Einganges des Revisionsbegehrens zurückgerechnet, durch die zuständige Amtsstelle {.Art. 4, Ziffer 3) bescheinigt worden sind," Es dürfen demnach bei der Ermittlung der Zahl der gültigen Unterschriften die sämtlichen Unterschriften, welche nicht in den

1043 dem Tage des Einganges des Revisionsbegehrens vorangehenden sechs Monaten durch die zuständige Amtsstelle bescheinigt, d. h.

beglaubigt worden, sind, nicht mitgezählt werden.

Eine Beschränkung der für die Gültigkeit der Unterschriften in Betracht fallenden Zeitdauer findet sich in anderer Form bereits im Bundesgesetz vom 5. Dezember 1867 betreffend die Begehren für Revision der Bundesverfassung. In Art. 3 dieses Gesetzes stand folgende Vorschrift: ,,Ein nach Art. 2 gestelltes Revisionsbegehren verbleibt während der Dauer eines Jahres in Gültigkeit.

Demgemäss kommen bei der Ermittlung der nach Art. l erforderlichen Anzahl Unterschriften die Stimmen in Berechnung, welche in dem Zeiträume der unmittelbar vorausgegangenen zwölf Monate abgegeben worden sind."

Bei Anlass der Revision dieses Bundesgesetzes hat der Bundesrat in seiner Botschaft vom 22. Juli 1891 folgenden Vorschlag gemacht : ,,Art. 5. Bevor ein Revisionsbegehren zur Sammlung von Unterschriften in Zirkulation gesetzt wird, ist ein Exemplar desselben der schweizerischen Bundeskanzlei einzugeben, welche den Tag dieser Eingabe im Bundesblatt veröffentlicht.

Innerhalb der Frist von zwölf Monaten, von diesem Tage an gerechnet, hat, wenn nicht auf dieselbe verzichtet wird, die Einreichung des Revisionsbegehrens an den Bundesrat stattzufinden ; nach Ablauf dieser Frist sind sämtliche Unterschriften hinfällig.'1 Die eidgenössischen Räte haben diesem Vorschlag nach verschiedenen Richtungen hin nicht zugestimmt. Zunächst wurde statt des Beginns das Ende der Frist festgesetzt, als welches der Tag gilt, an dem das Revisionsbegehren beim Bundesrat eingeht.

Die Frist muss von diesem Tag an zurückgerechnet und so deren Beginn festgestellt werden. Dadurch ist auch die Frage, in welchem Zeitpunkte ein Begehren um Revision der Bundesverfassung als Revisionsbegehren im Sinne des Gesetzes aufzufassen ist, in anderem Sinne gelöst worden, als der Bundesrat vorgeschlagen hatte.

Ferner wurde die Frist von zwölf auf sechs Monate verkürzt und schliesslich wurde für die Gültigkeit der Unterschriften die Beglaubigung innert der Frist von sechs Monaten massgebehd erklärt.

Werden die hiervor dargelegten Gesetzesvorschriften auf den vorliegenden Fall angewendet, so muss festgestellt werden, dass als Tag des Einganges des Revisionsbegehrens der 10. April 1922 anzusehen ist und dass somit bei der Ermittlung des Resultates

1044 der gültigen Unterschriften nur diejenigen in Betracht fallen dürfen, die innerhalb der Frist von sechs Monaten, vom 10. April 1922 zurückgerechnet, also zwischen dem 11. Oktober 1921 und dem 10. April 1922, beglaubigt worden sind. Herr Dr. Schwendener ist durch die Bundeskanzlei auf diese Tatsache aufmerksam gemacht worden. Er hat darauf erklärt, das Gesetz kenne keine solchen Bestimmungen, es sei deshalb unerfindlich, wie die Bundeskanzlei dazu komme, derartige ,,Zumutungen" aufzustellen.

Zufolge der Feststellung des eidgenössischen statistischen Bureaus ergibt nun die Zählung der auf 10. April 1922 in Betracht fallenden Unterschriften folgendes Resultat: Gernäüs Bundesgesetz ,, GUItige vom 27. Januar 1892, Art. 5 ».anione Unterschriften Ziffer 1, fallen aussei Betracht

Zürich Bern Luzern Uri Sohwyz Obwalden Nidwaiden Glarus Zug Freiburg Solothurn Basel-Stadt Basel-Land Schaffhausen Appenzell A.-Rh Appenzell I.-Rh St. Gallen Graubünden . . . . . .

Aargau Thurgau Tessin Waadt Wallis Neuenburg Genf Zusammen

14,611 7,962 319 -- 61 -- -- 2,195 9 108 2,505 1,038 356 144 2,170 144 11,367 672 3,680 1,850 64 891 -- 16 870

7,118 7,775 319 -- -- -- -- 2,140 9 -- 2,473 120 356 11 2,170 144 11,249 605 2,697 1,850 64 55 -- 16 58

51,032

39,229

in Betracht

7,493 187 -- 61 -- -- 55 -- 108 32 918 -- 133 -- -- 118 67 983 -- -- 836 -- -- 812 11,803

1045

Gemäss den gesetzlichen Vorschriften fallen daher für die vorliegende Initiative nur 11,803 Unterschriften in Betracht.

Es ist Übrigens festzustellen, dass während der ganzen Zeit der Unterschriftensammlung an keinem Tage die Zahl von fünfzigtausend Unterschriften vorlag, die von diesem Tage zurückgerechnet innerhalb der Frist von sechs Monaten beglaubigt worden sind. Stellt man z. B. auf den Tag der Einreichung der ersten Unterschriftensendung, den 11. August 1921, ab, so lagen damals 33,965 gültige Unterschriften vor ; am 9. Februar 1922 -- Tag der zweiten Sendung -- waren es 13,729.

Da sonach die gesetzlichen Vorschriften durch die Urheber des Volksbegehrens nicht beobachtet worden sind, so ist das Revisionsbegehren betreffend die Reform der Bundes verwaltung inklusive Bundesbahnen nicht zustande gekommen.

Indem wir uns beehren, Ihnen die Genehmigung des nachfolgenden Entwurfes eines Bundesbeschlusses zu beantragen, benützen wir den Anlass, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 8. August 1922 Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Dr. Haab.

Der Vizekanzler:

Kaeslin.

1046 (Entwurf.)

Bundesbeschluss über

das Volksbegehren betreffend die Reform der Bundesverwaltung inklusive Bundesbahnen, Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht eines Berichtes des Bundesrates vom 8. August

1922, gestützt auf das Bundesgesetz vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend die Revision der Bundesverfassung, beschliesst: Das Volksbegehren betreffend die Reform der Bundesverwaltung wird als nicht zustandegekommen erklärt.

»S
Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren betreffend die Reform der Bundesverwaltung inklusive Bundesbahnen. (Vom 8. August 1922.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1922

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

33

Cahier Numero Geschäftsnummer

1641

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

16.08.1922

Date Data Seite

1039-1046

Page Pagina Ref. No

10 028 428

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.