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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Revision von Art. 41 des Fabrikgesetzes.

(Vom 19. Mai 1922.)

I.

Am 27. Juni 1919 nahm die Bundesversammlung eine Novelle zu dem noch nicht einmal in Kraft gesetzten Fabrikgesetz vom 18. Juni 1914 an, wodurch an Stelle des zehnstündigen Arbeitstages, wie er im Gesetze von 1914 vorgesehen war, die Achtundvierzigstundenwoche eingeführt wurde. Keine andere Tatsache führt wohl die Entwicklung der Dinge und der Ansichten, wie sie sich in fünf Kriegsjahren vollzogen hat, so deutlich vor Augen, wie diese damals allseitig empfohlene und von niemandem bekämpfte Neuerung. Die Arbeiter der ganzen Welt haben nach Schluss des Krieges die endliche Realisierung eines Wunsches verlangt und durchgesetzt, der seit fünfzig Jahren auf ihrem Banner geschrieben stand. Am Schlüsse des Krieges herrschte in der Welt ein gewisser wirtschaftlicher Optimismus, der trotz sich ankündigender vielfacher Schwierigkeiten doch im grossen und ganzen auch von der Arbeitgeberschaft geteilt wurde, denn nur so erklärt es sich, dass diese mit der Verkürzung der Arbeitszeit auf 48 Stunden einverstanden war, obschon niemand daran zweifeln konnte, dass die Folgen der Verkürzung der Arbeitszeit durch eine intensivere Arbeit nicht voll ausgeglichen werden könnten.

Für den Entschluss, die verkürzte Arbeitszeit, wie es geschah, zunächst praktisch einzuführen und sie nachher gesetzlich zu fixieren, war auch die Meinung massgebend, dass die ganze Welt ein Prinzip durchführen werde, das ja sogar im Abschnitt über das Arbeitsamt im Friedensvertrag niedergelegt worden war.

Die Verhältnisse haben sich, wie os so oft geht, anders als erwartet war entwickelt. Die erhoffte Prosperität der Industrie, die eigentlich im grossen und ganzen seit ihrem Entstehen bis damals sich nur auf aufsteigender Linie bewegt hatte, wurde jäh

210 unterbrochen. Die Nachfrage nahm ab, die Verarmung der Welt, die zurückzuführen ist auf die Zerstörungen im Kriege und auf die gewaltigen Ausgaben in der Nachkriegszeit, zeitigte ihre Folgen. Es wäre unnütz, an dieser Stelle ein Bild der Lage geben zu wollen, die jedermann, der sehen will, heute erkennen kann. Die Krise hat die ganze Welt erfasst, nur ihre Erscheinungsformen sind in den verschiedenen Ländern anders geartete, aber überall häufen sich Wirkungen und Rückwirkungen in erschrekkender Weise, und jedes Land leidet unter dem Unglück des andern. Es ist nicht zu verwundern, wenn daraus eine gewisse Enttäuschung und eine Ernüchterung erwachsen ist, die sich nicht nur in der Arbeitgeberschaft, sondern auch bis hinein in die Arbeiterschaft geltend macht. Die neue Zeit hat nicht die Befriedigung gebracht, die man von ihr hoffte, sondern neue, bisher unbekannte Schwierigkeiten. Es ist naheliegend, utid es geschieht ja so oft im wirtschaftlichen und politischen Leben, dass aus dem Zusammentreffen zweier Tatsachen ohne weiteres auch ein ursächlicher Zusammenhang abgeleitet wird. Deshalb war man auch rasch bereit, die industrielle Krise, die .wir durchleben, manchenorts fast ausschliesslich der Entwicklung der Arbeiterschutzgesetzgebung, insbesondere der Verkürzung der Arbeitszeit, zuzuschreiben.

In dieser Allgemeinheit ist das Urteil nicht zutreffend. Anderseits kann wohl nicht bestritten werden, dass die Einführung der Achtundvierzigstundenwoche die Produktion verteuert und namentlich in den Ländern ungünstig beeinflusst, die diese Neuerung strikte durchführen. In andern Ländern sind Achtundvierzigstundenwoche und Achtstundentag ein Grundsatz geblieben, der aber in der Wirklichkeit durch ein ganzes System von Ausnahmen durchbrochen wird und sich daher in seinen Folgen nicht auswirkt.

Gerade diese Verhältnisse haben bei uns eine lebhafte Bewegung gegen die verkürzte Arbeitszeit hervorgerufen. Man machte geltend, dass die Wirkung der überhaupt schädlichen Neuerung wegen der Ungleichheit, die zwischen den verschiedenen Landern bestehe, um so schädlicher geworden sei. Diese Ansicht kam in einer ganzen Reihe von Eingaben der Arbeitgeberverbände zum Ausdruck und hat ihren Niederschlag auch im Parlament in den Motionen Abt und Konsorten, sowie Walther und Konsorten gefunden, die folgenden Wortlaut haben: Motion Abt : ,,Der Bundesrat wird eingeladen, aum Zwecke der V«rbi]!igung der Produktion und der Wiedererlangung der Konkurrenz-

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fàhigkeit unserer Industrieprodukte im Auslande den eidgenössischen Räten beförderlich eine Vorlage zu unterbreiten, durch welche die Bundesgesetze betreffend die Arbeitszeit in den Fabriken vom 27. Juni 1919 und betreffend die Arbeitszeit beim Betriebe der Bisenbahnen und anderer Verkehrsanstalten vom 6. März 1920 in dem Sinne abgeändert werden, dass, solange in unserem Lande eine Unterstützung der Arbeitslosen aus öffentlichen Mitteln nötig ist, die allgemeine Arbeitszeit auf 9 Stunden und für Saisonbetriebe und für besondere vom Bundesrat zu bewilligende Fälle auf 10 Stunden täglich erhöht wird."

Motion Walther: ,.)Der Bundesrat wird eingeladen : 1. Die Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen betreffend ·die Arbeitszeit den Bedingungen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krisis im Sinne der Hebung der nationalen Produktion und Konkurrenzfähigkeit anzupassen.

2. Die Frage zu prüfen und beförderlichst Bericht und Antrag einzubringen, ob nicht eine durch die Verhältnisse sich aufdrängende Revision der gesetzlichen Bestimmungen nach dem Grundsätze der differenzierten Arbeitszeit in Aussicht zu n ehmen sei."1 Wir würden es für unrichtig halten, eine sozialpolitisch wichtige, gesetzlich festgelegte Neuerung in einer Zeit wieder abzuschaffen, in der sich die Dinge so sehr in Fluss befinden. Anderseits konnten wir uns der Überzeugung nicht verschliessen, dass speziell für die Krisenzeit der Produktion Erleichterung und Elastizität verschafft werden müssen, um ihr das Durchhalten zu erleichtern. Von dieser Erwägung, die im folgenden weiter ausgeführt wird, geleitet, glauben wir, den Grundsatz der Achtundvierzigstundenwoche nicht antasten und damit an eine Revision von Artikel 40 des Fabrikgesetzes nicht herantreten zu sollen.

Dagegen scheint es uns angemessen, dem in Art. 41 bereits niedergelegten Gedanken weitern Ausbau zu geben. Dies hätte so zu geschehen, dass die Arbeitszeit während der allgemeinen wirtschaftlichen Krise sich automatisch verlängert. Wie die Dinge dann nach Wiederkehr normaler Zustände gestaltet werden sollen, wird seinerzeit in Kenntnis aller Verhältnisse abgewogen werden mUssen. Dabei wird die Entwicklung im Auslande von massgebender Bedeutung sein.

II.

Die im Art. 41 vorgesehene Abweichung vom System der 48Stundenwoche besteht darin, dass nach lit. a eine «abgeänderte

212 Normalarbeitswoche» von höchstens 52 Stunden bewilligt werden kann, wenn und solange zwingende Gründe es rechtfertigen; lit. b enthält eine Übergangsbestimmung und ist seit dem 1. Juli 1920 gegenstandslos geworden. Schon in unserer Botschaft vom 29. April 1919 betreffend die Arbeitszeit in den Fabriken wiesen wir in der Erörterung zu Art. 41, lit. a, auf die herrschende Unbeständigkeit und Unsicherheit der Produktionsverhältnisse hin, und die Lage war schon zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes derart, dass Bewilligungen für die Anwendung der 52-Stundenwoche erteilt werden mussten. Das geschah in vermehrtem Mass in der Folgezeit, da sie sich für die Industrien und Gewerbe immer schwieriger gestaltete. Namentlich einzelne Export- und Saisonbranchen sind es, die auf die Verlängerung der wöchentlichen Arbeitsdauer Anspruch machen (z. B. die Stickerei, das Baugewerbe). Wenn Kollektivbewilligungen nicht bestehen, sind manche Fabrikinhaber darauf angewiesen, um Einzelbewilligungen einzukommen, deren Zahl, nebenbei bemerkt, immerhin nicht so gross ist, wie in Kreisen der Interessenten angenommen wird (mit Beginn Mai 1922 waren solche Bewilligungen für 216 Fabriken in Kraft). Die Erfahrungen in den 2% Jahren seit dem Inkrafttreten des jetzigen Gesetzes lassen sich dahin zusammenfassen, dass die bedingte Befugnis, die Normalarbeitswoche bis auf 52 Stunden zu verlängern, sich als eine notwendige Einrichtung erwies. Allerdings haben die Organisationen der Arbeiter sich gegen die Anwendung dieses Systems in der Regel ablehnend verhalten, wohl hauptsächlich aus dem Grunde, weil sie eine Gefährdung des Grundsatzes der 48-Stundenwoche befürchteten und weil nach ihrer Auffassung die Gesuche über den Rahmen von Art. 41 hinausgingen.

Mit der intensiven Verschärfung der wirtschaftlichen Krise gestalteten sich nun die Verhältnisse so, dass nicht nur ein ausnahmsloses Festhalten an der 48-Stundenwoche durch Verweigerung von Bewilligungen nach Art. 41 ausser Betracht fallen rnuss, sondern grössere Bewegungsfreiheit für die Industrie zur Notwendigkeit geworden.ist. Es kommt vor allem darauf an, die Gestehungskosten zu vermindern, weil das Ausland billiger liefert und damit einerseits den Absatz unserer Exportindustrien hemmt, anderseits den für uBsern Inlandb'edarf arbeitenden Betrieben die Kunden entzieht.
Diese Vorzugsstellung beruht auf bekannten Ursachen, unter denen die Valutaverhältnisse zu nennen sind, aber auch die Tatsache, dass in verschiedenen Ländern die 48-Stundenwoche von Gesetzes wegen noch nicht oder nar teilweise besteht, oder dass die Gesetzgebung hinsichtlich der Zulassung von Abweichungen weitherziger ist, als die schweizerische. Zu weiterer Orientierung hierüber verweisen wir auf die Beilage I, die über die Verhältnisse betreffend die Arbeitszeit

213; in einigen Staaten Auskunft gibt, während die Beilage II Mitteilungen über den Stand der Eatifikationen des Übereinkommens-Entwurfesvon Washington betreffend die Festsetzung der Arbeitszeit auf acht Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich enthält. Die Verbilligung der Produktion muss aber, soweit ausländische Konkurrenz, nicht einwirkt, auch gefördert werden im Interesse der Konsumenten überhaupt und behufs Beschaffung von Arbeit.

Das nächstliegende Mittel zur Erreichung dieser Ziele,.die technische und administrative Verbesserung der Betriebe durch dieUnternehmer, ist nach den in den letzten Monaten uns zugekommenen Berichten von Arbeitgeberorganisationen in weitem Umfange durchgeführt worden, so dass in dieser Hinsicht nicht viel mehr erreicht werden dürfte. Ein weiterer Faktor ist die Verlängerung der Arbeitszeit über die normalen 48 Wochenstunden hinaus. Die Verlängerung bietet zunächst den Vorteil, dass die allgemeinen Betriebsunkosten meist nicht im gleichen Verhältnis zunehmen wie die Dauer der Arbeit,, dass also zugunsten des Preisabbaues eine Ersparnis gemacht wird.

Sodann kommt die Beziehung zwischen der Verlängerung der Arbeitszeit und dem Abbau des Lohnes in Betracht. Die Sanierung unserer Volkswirtschaft erfordert nicht nur einen Preisabbau, sondern auch, einen gewissen Lohnabbau. Findet dieser statt und wird er durch eine Vermehrung der Arbeitsstunden ausgeglichen, so ist damit nicht nur ein Mittel für die Verminderung der Gestehungskosten gegeben, sondern auch dem Arbeiter insoweit gedient, als er keinen Verdienstausfall erleidet. Zwingen die Existenzbedingungen einen Betrieb zu weitergehender Eeduktion der Lohnsätze, so kann der Arbeiter zufolge längerer Beschäftigung wenigstens einen Teil des Verlustes; einbringen.

Ein weiteres Bedürfnis, namentlich für Exportindustrien, ergibt sich aus der Tatsache, dass es wegen der Unsicherheit der Verhältnisse immer mehr zur Gewohnheit geworden ist, Bestellungen nur zu vergeben, wenn äusserst knappe Lieferungsfristen zugestanden werden. Deren Einhaltung ist meist nur möglich, wenn länger als normal gearbeitet wird. Der Fabrikinhaber bedarf dieses Mittels,, damit ihm die Übernahme der erwünschten Beschäftigung ermöglicht ist, aber auch deshalb, um sich vor dem Schaden zu bewahren, der ihm bei Nichteinhalten der Frist durch Annullierung
der Bestellungoder durch Abzüge am vereinbarten Preis droht.

Im allgemeinen ist noch auf die schwere Schädigung der Volkswirtschaft hinzuweisen, die entsteht, wenn die schweizerische Industrie, falls sie nicht in die Lage versetzt wird, in den gegenwärtigen Zeiten den Anforderungen zu entsprechen, ihre Kundschaft, namentlich die ausländische, dauernd verliert, oder wenn, wie es schon in

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manchen Fällen geschehen ist, ein Teil der inländischen Produktion ins Ausland verlegt wird.

In den uns vorliegenden Eingaben von Arbeiterorganisationen wird namentlich betont, dass die Verlängerung der Arbeitszeit nicht gerechtfertigt sei, weil eine sehr grosse Zahl von Arbeitern unter der Arbeitslosigkeit, leide und weil vor allem die Beschäftigung von Arbeitslosen angestrebt werden müsse. Dieser Gesichtspunkt hat jedoch nur beschränkte Geltung. Er trifft in den vielen Fällen nicht mehr zu, wo es Betrieben nur dann gelingt, sich überhaupt Arbeit zu verschaffen, wenn sie zufolge Mitwirkung des Faktors der verlängerten Arbeitszeit billiger oder schneller liefern. In diesen Fällen wird der Arbeitslosigkeit geradezu entgegengewirkt durch die Beschaffung von Arbeitsmöglichkeit, und Erfahrungen bei der Anwendung von Art. 41 zeigen, dass die Verlängerung der Normalarbeitswoche die Neueinstellung Arbeitsloser ermöglicht.

Ferner wird in den genannten Eingaben die Ansicht vertreten, dass bei verkürzter Arbeitszeit die .Intensität der Arbeit steige.

Dieses gegen die Verlängerung der Arbeitszeit gerichtete Argument war wohl im allgemeinen richtig, als es sich um den Übergang vom 11- zum 10-Stundentag handelte. Aber wir haben schon in unserer Botschaft vom 6. Mai 1910 betreffend die Revision des Fabrikgesetzes ausgeführt, dass es mit zunehmender Verkürzung der Arbeitszeit schwieriger werde, den Ausfall in der Produktion durch intensivere Arbeitsleistung einzubringen. Dies gilt namentlich dann, wenn die Hauptarbeit durch Maschinen, nicht durch menschliche Arbeitskraft, geleistet wird und die Leistungsfähigkeit der Maschinen nicht mehr gesteigert werden kann. Für die jetzigen Verhältnisse ist anzunehmen, dass wenigstens irn Durchschnitt in 52 Wochenstunden mehr produziert werden kann als in 48. Eine genaue Ermittlung des Verhältnisses wäre nur möglich durch umfassende fachmännische Erhebungen in den Betrieben, eine Arbeit, die ebenso schwierig wie zeitraubend sein würde.

Die Verlängerung der Normalarbeitswoche wird auch bekämpft mit dem Hinweis, dass die kantonalen Behörden auf Grund von Art. 48 und 49 des Fabrikgesetzes die Überschreitung der normalen täglichen Arbeitsdauer bewilligen können. Aber die betreffenden Bewilligungen müssen laut Art. 27 von einem Lohnzuschlag von 25 % begleitet; sein, und wenn
dieses Plus in den äusserst gespannten Kalkulationen de.1 Preise keinen Kaum findet, ist mit dem System der Überzeitarbeit nicht geholfen. Ausserdem ist die Zahl der Tage im Jahre, für die eine Bewilligung von Überzeitarbeit erteilt werden darf, gemäss Art. 49 eine beschränkte.

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III.

Was den Art. 41, lit. a, betrifft, der eine Verlängerung der 48-Stundenwoche gestattet, so ist festzustellen, dass er in seiner bisherigen Fassung im Hinblick auf das vorhandene Bedürfnis unzureichend ist. Unser Volkswirtschaf tsdepartement hat daher schon seit einiger Zeit die Prüfung der Frage an die Hand genommen hat, in welcher Weise die Gewährung von Ausnahmen auf breiterer Grundlage zu ermöglichen sei. Der Entwurf zu einem in diesem Sinne revidierten Artikel wurde vom Departement den Zentralverbänden der Fabrikinhaber, sowie der Arbeiter und Angestellten zur Vernehmlassung, "ferner der eidgenössischen Fabrikkommission zur Begutachtung übermittelt. Die Stellungnahme bei den Verbänden wie in der Kommission (Sitzung vom 25. April 1922) erfolgte in der Weise, dass die Vertretungen der Arbeitgeber sich für die Revision aussprachen, während die Äusserungen der Vertretungen der Arbeiter und Angestellten im gegenteiligen Sinne lauteten. Bei dieser Zwiespältigkeit müssen wir erklären, dass angesichts der dringenden Notwendigkeit, den unter dem Fabrikgesetze stehenden Betrieben gewisse günstigere Produktionsbedingungen zu verschaffen, die Gründe der ablehnenden Seite nicht entscheidend sein dürfen.

Das Bedürfnis nach einer Erweiterung von Art. 41 besteht zunächst darin, in Zeiten einer schweren Wirtschaftskrise die Einführung der verlängerten Normalarbeitswoehe allgemein und ohne Verzug zu ermöglichen. Im bisherigen Art. 41 ist einerseits mit Bezug auf die Abänderung der Normalarbeitswoche nur von «einzelnen Industrien» -- die Verordnung gestattet die Abweichung ausserdem für «einzelne Fabrikinhaber» -- die Rede, anderseits hängt die Anwendung dieser Bestimmungen in der Praxis stets von der Bewilligung der Bundesbehörde ab. Die Vorschriften sind in beiden Richtungen zu eng. Nicht bloss einzelne Industrien und einzelne Fabrikinhabei1 kommen in Frage, sondern, je nach den obwaltenden Verhältnissen, ein grösserer Kreis von Produzenten. Und was das Bewilligungssystem betrifft, so hat es sich gezeigt, dass es in vielen Fällen die Erreichung des beabsichtigten Zweckes illusorisch macht. Dies ist z. B. der Fall, wenn der günstige Augenblick zur Erlangung von Bestellungen verpasst wird, weil die verlängerte Arbeitswoche als Basis der betreffenden Kalkulation noch nicht gesichert ist, oder wenn die kurzen
Lieferfristen nicht eingehalten werden können, weil die längere Arbeitszeit nicht rechtzeitig bewilligt werden konnte. Wir haben uns wegen solcher schwerer Nachteile veranlasst gesehen, durch vinsern Beschluss vom 3. April 1922 (Gesetzessammlung S. 821) einstweilen das Bewilligungsverfahren wenigstens zu vereinfachen,

216 indem wir die Art. 186 und 137 der Verordnung vom 8. Oktober 19191 dahin abänderten, dass die zeitraubende Befragung der beruflichen Verbände der Fabrikinhaber und der Arbeiter, sowie der Fabrikkommission unterbleiben kann. Dieser Beschluss wurde uns, beiläufig bemerkt, erleichtert durch die Erfahrung, dass man im allgemeinen zum voraus wusste, welche Stellung die Vertretungen der Interessenten einnehmen werden, denn in der Eegel ergriffen die Verbände der Arbeitgeber Partei für ihre Berufsangehörigen,, widersetzten sich die Verbände der Arbeiter grundsätzlich der Erteilung von Bewilligungen, und stimmten in der Fabrikkommission die Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeiter geschlossen gegeneinander.

Bei einer allgemeinen wirtschaftlichen Notlage, in der die rascheste Anpassung der Betriebe an die jeweilige Konjunktur und damit auch die Vermehrung der Arbeitsgelegenheiten ermöglicht sein muss, ist jedoch die bezeichnete Vereinfachung des Verfahrens unzureichend.

Wir schlagen nun vor, im neuen Art. 41, Absatz l, zu bestimmen, dass in Zeiten einer allgemeinen schweren Wirtschaftskrise und für alle dem Fabrikgesetz unterstellten Betriebe die verlängerte Arbeitszeit ohne weiteres eintritt. Es ist also eine Bewilligung nicht mehr notwendig; dagegen hat der Bundesrat darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für den Eintritt der generellen Änderung vorhanden sind, das heisst, ob das Land unter dem Druck der allgemeinen schweren Wirtschaftskrise steht.

Bejaht er die Frage, so tritt automatisch an die Stelle der Achtundvierzigstundenwoche die Vierundfünfzigstundenwoche. Wir halten dafür, dass die Verlängerung der Arbeitszeit um durchschnittlich eine Stunde für den Arbeitstag angemessen sei. Es wird dadurch die Arbeitszeit um */g verlängert. Da die Bestimmungen unseres Gesetzes über die Überzeitbewilligung strenge und die Handhabung des Fabrikgesetzes in unserm Lande eine gewissenhafte ist, so hat es sich empfohlen, in der Bemessung der. Arbeitszeit etwas über die bisher in Art. 41 gezogenen Grenzen hinauszugehen.

Aber auch für Zeiten, in denen von einer allgemeinen schweren Wirtschaftskrise nicht gesprochen werden kann, muss, wie bisher (Art. 41, lit. a), die Möglichkeit, die Normalarbeitswoche aus andern Gründen zu verlängern, geboten sein, wenn dies für ganze Industrien oder einzelne
Fabrikinhaber zufolge der Gestaltung der für sie rnassgebenden Verhältnisse ein dringendes Bedürfnis ist. Was hierunter zu verstehen sei; lässt sich schlechterdings nicht sum voraus definieren.

Im bisherigen Art. 41 war als besonders wichtiger Grund für die Zulassung der abgeänderten Normalarbeitswoche die Gefährdung der Konkurrenzfähigkeit durch die in andern Ländern bestehende

217 Arbeitsdauer genannt. Man hat seither erfahren, dass nicht nur diese Arbeitsdauer, sondern auch andere Verhältnisse, um nur die Valuta zu nennen, eine grosse Eolle spielen. Wir möchten verhüten, dass eine zu enge Fassung der in Frage kommenden Vorschrift neuerdings «in Hindernis für die Berücksichtigung wichtiger wirtschaftlicher Bedürfnisse bilde, und beantragen daher, in Art. 41, Absatz 2, festzusetzen, dass die längere Arbeitsdauer zugelassen werden könne, wenn und solange wichtige Gründe es rechtfertigen. Auf diesem Gebiet musS jedoch, um eine nicht gerechtfertigte Überschreitimg der 48-Stundenwoche zu vermeiden und um die Kontrolle zu erleichtern, das Bewilligungssystem beibehalten werden. Es wird sich für ganze Industrien um Kollektivbewilligungen, für einzelne Fabrikinhaber um Einzelbewilligungen handeln, in beiden Fällen mit der diesen entsprechenden Befristung.

Was das Höchstmass der Verlängerung der 48-Stundenwoche betrifft, so war es im bisherigen Art. 41 auf 4 Stunden normiert.

Mit der 52-Stundenwoche ist indes nicht immer auszukommen.

Wir verweisen nochmals auf die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten eines wirksamen Preisabbaues, einer ausgleichenden Anpassung der Löhne an veränderte Verhältnisse, sowie auf die in den Beilagen gebotene Darstellung betreffend die Vorgänge im Auslande. Die Zulassung der 54-Stundenwoche dürfte unter den gegebenen Verhältnissen das richtige sein, namentlich in Anbetracht dessen, dass mit ihr nicht ein Normalzustand geschaffen, sondern ein Mittel für die Berücksichtigung besonders schwieriger Verhältnisse geboten werden will. Bin aus industriellen Kreisen gestelltes weitergehendes Begehren können wir nicht befürworten.

Die Gesundung der Zustände wird allerdings durch Erleichterungen hinsichtlich der Arbeitszeit allein nicht erreicht, aber wirksam gefördert. Es darf daher nicht gezögert werden, Massnahmen in diesem Sinne zu treffen. Die vorgeschlagene Revision bietet auch den Vorteil, dass Erfahrungen gesammelt werden, die findie künftige gesetzliche Gestaltung der Verhältnisse wichtig sind.

IV.

Wir sind uns bewusst, dass unser Vorschlag in Kreisen der Arbeiterschaft auf lebhaften Widerstand stossen wird. Es ist verständlich', dass diese eine Neuerung, die sie als eine der wesentlichsten Errungenschaften der letzten Zeit betrachtet, nicht gerne preisgibt. Wir verkennen die Bedeutung einer weitgehenden

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Arbeiterschutzgesetzgebung in keiner Weise, und die Schweiz wird in der Zukunft wie in der Vergangenheit ihrer Pflichten auf diesem Gebiete eingedenk sein. Allein wir müssen doch daran erinnern, dass unser Land sich gegenwärtig in einer Krise von bisher unbekannter und ungeahnter Heftigkeit befindet. Heute gilt es tatsächlich, die Existenz unserer Produktion und die des Landes zu retten. In einer Periode, in der die Wirtschaftspolitik vor allem aus Produktionsmöglichkeiten erschliessen muss, in deidie Beschaffung der Arbeit die grösste Sorge des Staates ist, müssen Erwägungen wie die, ob die Arbeitszeit etwas länger oder kürzer bemessen werde, zurücktreten. Heute dürfen nicht dogmatische und doktrinäre Anschauungen, nicht Theorien uns leiten, sondern nur der Wille, unserer wirtschaftlichen Schwierigkeiten Herr zu werden und durchzuhalten. Es gab Perioden, in denen die materiellen Folgen der Forderungen der Arbeiterschaft auf das exportierte Produkt abgewälzt oder von den Unternehmern getragen werden konnten. Diese Zeiten sind heute vorbei. Wo überhaupt noch eine Produktion möglich ist, sind die Berechnungen so zugespitzt und die Produktionsbedingungen Verhältnismassig so ungünstig, dass eine jede Erleichterung, die möglich ist, gesucht werden muss. Was besonders die Produktion für das Inland betrifft, so ist auch deren Verbilligung sehr wünschenswert, weil sie sich wieder in einer Herabsetzung der Kosten der Lebenshaltung äussert. Wir brauchen bloss daran zu erinnern, welchen Effekt für die ganze Bevölkerung, speziell auch für die Arbeiterschaft, die verkürzte Arbeitszeit und die gesteigerten Löhne der Bauarbeiter haben. Die Steigerung der Baukosten hat nicht nur eine gewaltige Erhöhung der Mieten für Neubauten im Gefolge, sondern muss natürlich auch durch die indirekte Werterhöhung bestehender Bauten und durch die Erhöhung der Reparaturkosten in den Mietzinsen ihre allgemeine Auswirkung finden. Es scheint daher in der heutigen Krise und Teuerung, zu der gerade auch die Mietzinse wesentlich beitragen, durchaus angemessen, durch eine Verlängerung der Arbeitszeit die Bauund Unterhaltskosten in bescheidener Weise zu reduzieren.

Kommt das Fabrikgesetz auch für grosse Kategorien der Bauarbeiter nicht zur Anwendung, so gilt es doch auch für viele Betriebe, die mit Bauunternehmungen, verbunden sind,
und die indirekte Wirkung einer Verlängerung der Arbeitszeit in den Fabrikbetrieben ist nicht zu unterschätzen.

Es wäre ein grosser Irrtum, zu glauben, dass das Land die Krise überwinden kann, ohne dass alle Kreise ihre Opfer bringen.

Wir sind 'überzeugt davon, dass auch die Arbeiterschaft von

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dieser Idee durchdrungen ist. Diese Überlegung sollte sie dazu führen, in der gegenwärtigen Notlage des Landes nicht auf einem starren Grundsatze, der das Heil nicht bringen kann, zu beharren und Hand zu bieten, mit den andern Teilen des Volkes den gewaltigen Schwierigkeiten, die sich heute vor uns auftürmen, zu begegnen.

Mit einigen Worten möchten wir noch auf eine Einwendung zurückkommen, die zweifellos erhoben wird. In Kreisen der Arbeiterschaft macht man geltend, dass die Verlängerung der Arbeitszeit die Zahl der Arbeitslosen vermehre. Dieser Vorwurf scheint auf den ersten Blick bestechend. Allein es ist nicht zu vergessen, dass die zu verrichtende Arbeit keine feste Grosse ist, die je nach der Teilung durch 48 oder 54 mehr oder weniger Arbeitern Beschäftigung bietet. Die Arbeitsgelegenheit ist vielmehr eine variable, aus dem ganzen Komplex der wirtschaftlichen Verhältnisse herauswachsende Grosse. Ein nicht zu verachtender Faktor speziell für die Arbeit in der sogenannten Inlaudsproduktion im weitesten Sinne des Wortes -- wir meinen damit die Arbeit, die in irgendeiner Form für das inländische Bedürfnis verrichtet wird -- ist der Preis. Wenn dieser durch die Verlängerung der Arbeitszeit reduziert wird, so wird automatisch die Nachfrage steigen. Dadurch wird je nach Umständen die Wirkung einer Arbeitsverlängerung mehr als ausgeglichen.

Dazu tritt aber das Gefühl, dass in einer Zeit, in der unsere Industrie und das Gewerbe tatsächlich um ihre Existenz ringen, mehr Freiheit in der Gestaltung der Produktionsbedingungen auch von moralischem Einflüsse ist. Gerade wenn eine Besserung käme und mehr Arbeitsgelegenheit geboten würde, gerade dann kann eine etwas verlängerte Arbeitszeit den Prozess der Erholung, an dem niemand intensiver interessiert ist als die Arbeiterschaft selbst, beschleunigen und. erleichtern.

Wir meinen also, es sollte heute, wo alle Kräfte der Nation zusammenwirken müssen, um die Krise zu überwinden, nichts unterlassen werden, was die Produktion freier und fruchtbarer gestalten, und ohne zwingende Gründe nichts getan werden, was sie einschränkt. Denn nur die Produktion schafft Werte, und solche braucht es im Interesse aller, wenn sich das Land wieder nach und nach aus der verhängnisvollen Lage herausarbeiten soll, in der es sich heute befindet.

Es liegt uns ferne, eine Massregel gegen die Interessen der Arbeiterschaft treffen zu wollen. Wir haben das Bewusstsein, mit unserm Antrag nicht nur den Willen zur Versöhnung

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zu bekunden, sondern einen Vorschlag zu machen, der tatsächlich auch der Arbeiterschaft Vorteile bringen wird. Nicht die Befolgung vorgefasster irrtümlicher Anschauungen über den vermeintlichen Gegensatz zwischen Arbeiterschaft und Unternehmer wird der erstem Vorteile und die Hebung ihres Standes bringen, sondern bloss die Erkenntnis der Solidarität, die beide umfasst.

Diese darf, das fügen wir bei, auch von der Arbeitgeberschaft nicht missachtet werden, die auch ihrerseits in schlimmen Zeiten sich ihrer Pflichten bewusst bleiben muss. Waren Arbeitskonflikte und mangelnder Verständigungswille schon in normalen Zeiten verderblich, so müssten sie in unserer heutigen Lage direkt verhängnisvoll werden.

Von diesen Erwägungen geleitet, beantragen wir Ihnen die Annahme der beigefügten Vorlage.

Bern, den 19. Mai 1922.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Dr. Haab.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

2 Beilagen.

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(Entwurf.)

Bundesgesetz betreffend

Abänderung von Art. 41 des Fabrikgesetzes vom 18. Juni 1914/27. Juni 1919.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bandesrates vom 19. Mai 1922, beschliesst: Art. 1. Die Bestimmungen von Art. 41 des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 18. Juni 1914/27. Juni 1919 werden aufgehoben und durch folgende neue Bestimmungen ersetzt : Art. 41. In Zeiten einer -allgemeinen schweren Wirtschaftskrise darf die Arbeit im einschichtigen Betriebe für den einzelnen Arbeiter wöchentlich bis auf vierundfünfzig Stunden ausgedehnt werden. Der Bundesrat entscheidet darüber, ob die Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung vorhanden sei.

In Zeiten, in denen diese Voraussetzung nicht zutrifft, kann der Bundesrat ganzen Industrien oder einzelnen Fabriken eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitsdauer bis auf vierundfünfzig Stunden gestatten, wenn und solange wichtige Gründe es rechtfertigen.

Art. 2. Der Bundesrat wird beauftragt, den Beginn der Wirksamkeit dieses Gesetzes zu bestimmen.

-*-se-

Buudcsblatt. 74. Jahrg. Bd. II.

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222 Beilage I.

Die Arbeitszeit in einigen ausländischen Staaten, nach den Angaben des eidgenössischen Arbeitsamtes.

D e u t s c h l a n d . Im Aufruf des Eates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk vom 12. November 1918 wurde erklärt, dass spätestens am 1. Mai 1919 der achtstündige Maximalarbeitstag in Kraft treten werde.

Diese Ankündigung wurde dann in der Anordnung über die Begelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 28. November 1918 im Detail bekanntgegeben.

Am 17. Dezember 1918 wurde die letzterwähnte Anordnung in bezug auf die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern ergänzt und den Mobiknachungskommissären die Befugnis eingeräumt, weitergehende Ausnahmen von den Beschäftigungsbeschränkungen zu erteilen, wenn dies zur. Durchführung der geordneten Demobilmachung, zur Verhinderung der Arbeitslosigkeit, oder zur Sicherstellung der Volksernährung dringend notwendig wird.

Die praktische Einführung der 48-Stundenwoche geschah in der Eegel in der Weise, dass in den einzelnen Industrien Tarifverträge abgeschlossen wurden, in denen die Festsetzung der Arbeitszeit und die Vereinbarungen über mögliche Verlängerungen derselben die Biauptrolle spielten.

Durch die Einführung des Betriebsrätegesetzes vom 24. Februar 1920 ist sodann den Betriebs- und Arbeiterräten die Kompetenz erteilt worden, bei Festsetzung der Arbeitszeit, insbesondere bei Verlängerungen und Verkürzungen der regelmässigen Arbeitszeit, mitzusprechen. Da gleichzeitig die Wahl der Betriebs- und Arbeiterräte für sämtliche dem Gesetz unterstehenden Betriebe, die mindestens 20 Arbeitnehmer beschäftigen, obligatorisch erklärt wurde, ist anzunehmen, dass diese Eäte die Einhaltung der 48-Stundenwoche scharf überwachen. Im Anfang hat man denn auch wenig über die Nichtdurchführung gehört; im Gegenteil, die Forderungen gingen in einzelnen Industrien noch weiter, indem eine Eeduktion der Arbeitszeit auf 44 Stunden verlangt wurde, speziell für die Arbeit in den Kohlengruben. Mit der Zeit aber scheint man zu einer largeren Handhabung der Vorschriften gekommen zu sein.

Man hatte also in Deutschland kein eigentliches Arbeitszeitgesetz, weshalb die Eegierung am 81. August 1921 den Entwurf eines Gesetzes

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über die Arbeitszeit der gewerblichen Arbeiter vorlegte. Dieser Entwurf steht gegenwärtig noch zur Diskussion. Das Gesetz soll gelten für die in Gewerbebetrieben einschliesslich des Handels- und des Bergbaus beschäftigten Arbeiter, Werkmeister und Techniker.'

Der Artikel 5 bestimmt, dass die tägliche Arbeitszeit ausschliesslich der Pausen die Dauer von 8 Stunden nicht überschreiten darf bzw. dass die Gesamtzahl der Arbeitsstunden an den 6 Werktagen einer Woche nicht mehr als 48 Stunden betragen darf.

Es folgen nun weitgehende Ausnahmebestimmungen. Gernäss Art. 6 darf in Betrieben, in denen die Arbeit an Sonn- und Festtagen nicht unterbrochen werden kann und abwechselnd Tag- und Nachtschichten erfordern, so gearbeitet werden, dass im Durchschnitt dreier Wochen 56 Stunden wöchentlich nicht überschritten werden.

Die Wechselschicht (Doppelschicht) soll 16 Stunden nicht überschreiten.

Art. 18 sagt, dass auf dem Verordnungswege für Gesamtbetriebe die Überschreitung der Dauer der Arbeitszeit um höchstens zwei Stunden täglich in folgenden Fällen zugelassen werden kann: 1. bei Arbeiten zur Bewachung der Betriebsanlagen, zur Beinigung und Instandstellung, durch die der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebes bedingt ist, 2. bei Arbeiten, von denen die Wiederaufnahme oder Aufrechterhaltung des vollen Betriebes abhängig ist, 8. bei der Beaufsichtigung der vorstehend unter l und 2 aufgeführten Arbeiten.

Art. 20 gibt den Gewerbeaufsichtsbeamten das Becht, bei aussergewöhnlicher Häufung der Arbeit sowie in Gewerben, in denen regelmässig zu gewissen Zeiten des Jahres ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis eintritt, oder deren Betriebe ihrer Natur nach auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt sind, und die in besonderm Masse von der Witterung abhängig sind oder in einem Zusammenhang mit, der Landwirtschaft stehen, für 60 Tage im Jahr die Dauer der Arbeitszeit um täglich 2 Stunden zu verlängern. Vor Erteilung dieser Verlängerung ist die Meinung der Betriebsvertretung einzuholen. In dringenden Fällen kann aber die Genehmigung für 14 Tage ohne weiteres erteilt werden.

Eine höhere Verwaltungsbehörde kann Ausnahmen für mehr als 60 Tage für einzelne Gewerbezweige erteilen. Vorher ist die Äusserung des .Bezirkswirtschaftsrates oder der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände einzuholen. Für die so bewilligte Überzeit muss 25 % Zuschlag bezahlt werden.

Ausserdem ist der Arbeitsminister nach Art. 21 ermächtigt :

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1. unter aussergewohnlichen Verhältnissen, insbesondere zur Erzeugung von Brennstoffen, eine Verlängerung der Arbeitszeit über 9 Stunden täglich, jedoch nicht über 48 Stunden wöchentlich, zu gestatten, 2. für gewisse Gewerbszweige oder Gruppen von Arbeitern, bei denen regelmässig und in erheblichem Umfang blosse Arbeitsbereitschaft vorliegt, abweichende Regelungen zu treffen, 8. für Gewerbszweige, in denen die Verrichtung von Nachtarbeit zur Verhütung des Verderbens von Eohstoffen oder des Misslingens von Arbeitserzeugnissen dringend erforderlich ist, Ausnahmen zuzulassen, 4. auch andere erleichternde Ausnahmen von den Vorschriften des Art. 5 für die nächsten 8 Jahre zuzulassen, wenn diese Ausnahmen aus Gründen des allgemeinen Wohles dringend erforderlich sind.

Österreich hat am 19. Dezember 1918 ein Gesetz über die Einführung des Sstündigen Arbeitstages in fabrikrnässig betriebenen Gewerbeunternehmungen erlassen Die wesentlichsten hier interessierenden Bestimmungen sind: Art. 1. Es darf in fabrikrnässig betriebenen Gewerbeunternehmungen die Arbeitszeit ohne Einrechnung der Arbeitspausen nicht mehr als höchstens 8 Stunden binnen 24 Stunden betragen.

Art. 8. Eine Verlängerung der Arbeitszeit ist gestattet, wenn eine nicht vorzusehende und nicht periodisch wiederkehrende Betriebsunterbrechung zur Behebung der Betriebsstörung dies erheischt.

Art. 4. Zur Befriedigung eines erhöhten Arbeitsbedürfnisses kann von der Gewerbebehörde für höchstens 8 Wochen eine Arbeitszeit bis zu 10 Stunden täglich bewilligt werden. Dies gilt insbesondere für die Saisonindustrie.

Art. 5. Die in Art. l festgesetzte Arbeitszeit gilt nicht, wenn durch Kollektivvertrag mit der Arbeiterorganisation die 48-Stundenwoche eingeführt wurde.

Art. 6. Für bestimmte Gruppen können vom Staatsamt für soziale Fürsorge nach Anhörung des gleichmässig aus Vertretern der Arbeiter und der Arbeitgeher zusammengesetzten Beiräte« Ausnahmen festgesetzt werden.

Art. 7. Für Hilfsarbeiten, die dem eigentlichen Erzeugungsprozess vorangehen oder nachfolgen, müssen die ausserhalb des Eahmens der in Art. l festgesetzten Arbeitszeit geleisteten Überstunden mit 50 % Zuschlag auf den Normallöhnen bezahlt werden.

225 Am 17. Dezember 1919 erging ein neues Gesetz über den Sstündigen Arbeitstag. Dieses setzt in Art. l die gleiche Arbeitszeit fest wie der Brlass von 1918. Ebenso sind die gleichen Erleichterungen darin enthalten.

Eine Vollzugsanweisung vom 28. Juli 1920 setzt fest, für welche Betriebe Ausnahmen gewährt werden können. Die wichtigsten Bestimmungen folgen nachstehend.

I. Abschnitt : Bestimmungen für alle Betriebe, dieden Vorschriften des Gesetzes unterliegen.

§ 1. Art. l des Gesetzes findet keine Anwendung, wenn die dort enthaltenen Bestimmungen durch Kollektivverträge oder durch Einzelverträge geregelt sind.

(2) Die Bestimmungen des obigen Absatzes gelten nicht, wenn wenigstens 2/a der Beschäftigten des Betriebes Jugendliche unter 16 Jahren oder Personen weiblichen Geschlechts sind.

(8) Die Vorschriften des § l, Abs. l, finden keine Anwendung auf die Arbeitszeit der Torhüter, Portiere und Feuer- und Nachtwächter, auch nicht auf die zur Beaufsichtigung der Gebäude und Betriebsanlagen verwendeten Personen. Überschreitet deren Arbeitszeit 8 Stunden innerhalb 24 Stunden, so ist die Mehrarbeit als Überzeit zu vergüten.

(4) Im Fuhrwerksgewerbe und in allen verwandten Betrieben ist eine Überzeit von 16 Stunden per 2 Wochen ohne behördliche Bewilligung zulässig.

(5) In ununterbrochenen Betrieben kann zur Herbeiführung des Schichtenwechsels die Arbeitszeit derart geregelt werden, ' dass sie innerhalb dreier Arbeitswochen 168 Stunden nicht übersteigt.

II. Abschnitt: Besondere Bestimmungen.

§ 2. Arbeitszeit in der Papierindustrie mit kontinuierlichem Betrieb: 12 Stunden innerhalb 24 Stunden.

§ 3.. Sauerstoff- und Industriegasfabrikation mit kontinuierlichem Betrieb: 12 Stunden innerhalb 24.

§ 4. Ziegel- und keramische Industrie mit kontinuierlichem Betrieb: 12 Stunden innerhalb 24.

§ 6. Spiritus-, Presshefe- und Malzfabrikation: Maximalarbeitsschicht 12 Stunden bei 96 Stunden pro 2 Wochen.

§ 7. Bierbrauereien : 96 Stunden innerhalb 2 Wochen.

226

§9. Eisenhüttenindustrie mit kontinuierlichem Betrieb; Verteilung der 48 Wochenstunden auf 3 Wochen.

§11. Getreidemühlen: Verteilung der 48 Stunden je nach Grosse des Betriebes auf 2 oder 3 Wochen.

§ 11. Baugewerbe: die Arbeitszeit kann so geregelt werden, dass an höchstens 180 Tagen innerhalb eines Jahres 10 Stunden pro Tag gearbeitet wird.

Durch Kollektivvertrag kann die wöchentliche Arbeitszeit während der Bausaison bis auf 58 Stunden verlängert werden.

Der durch Betriebs- oder Verkehrsstörungen, durch Materialmangel, durch Witterungseinfluss oder durch Arbeitsruhe an Feiertagen eintretende · Arbeitsausfall kann innerhalb derselben Woche eingebracht werden.

Für Vorbereitungs- und Abschlussarbeiten ausserhalb der allgemeinen Arbeitszeit ist täglich eine Überstunde zulässig. Zu diesen Arbeiten dürfen bei weniger als 60 Arbeitern 1/i, bei mehr als 60 Arbeitern auf der Baustelle ljf, der Arbeiter verwendet werden.

§ 17. Gewerbe auf dem flachen Lande: normal 48 Stunden, während der Anbau- und Erntezeit 60 Stunden per Woche; Arbeitszeit von mehr als 54 Stunden wird als Überzeit bezahlt.

Eine weitere Vollzugsanweisung vom 9. November 1920 bestimmt, in der Papierindustrie könne der Schichtenwechsel an Sonntagen derart erfolgen, dass 2 Schichten von je 12 Stunden eingelegt werden.

Für die Zuckerindustrie wird während der Dauer der Kampagne die Arbeitszeit auf 12 Stunden innerhalb 24 Stunden verlängert. Für Kleinbäcker, Steinbrüche und Zementfabriken kann im Fall eines erhöhten Arbeitsbedürfnisses eine Verlängerung der Arbeitszeit bis zu 10 Stunden auch an mehr als 60 Tagen innerhalb eines Kalenderjahres bewilligt werden. Die Zahl dieser Überstunden darf jedoch nicht mehr als 10 in einer Woche betragen. Durch Kollektivvertrag kann die wöchentliche Arbeitszeit bis auf 58 Stunden verlängert werden.

Belgien besitzt ein Gesetz zur Einführung des 8-Stundentages und der 48-Stundenwoche vom 14. Juni 1921, das am 1. Oktober 1921 in Kraft getreten ist und sich aut die Industrie und das Gewerbe erstreckt.

« Die Dauer der tatsächlichen Arbeit darf geraäss Art. 2 dieses Gesetzes 8 Stunden im Tag und 48 Stunden in der Woche nicht übersteigen. Wird der freie Samstagnachmittag eingeführt, kann an den übrigen Tagen mehr als 8 Stunden gearbeitet werden,

227

bis zum Maximum von 48 Stunden pro Woche. Diese Arbeitszeit kann für die Arbeiten, die ihrer Natur nach einen ununterbrochenen Fortgang erfordern, überschritten werden. Die Dauer darf 56 Stunden in der Woche, auf einen Zeitraum von 3 Wochen berechnet, nicht übersteigen. Arbeitern, die durchschnittlich 56 Stunden pro Woche beschäftigt werden, sind Ausgleichsurlaube zu gewähren, die wenigstens 26 volle Tage pro Jahr betragen müssen.

Dem König steht die Befugnis zu, allen Gewerben, in denen die in Art. 2 festgesetzte Arbeitszeit sich als undurchführbar erwiesen hat, nach Fühlungnahme mit den Unternehmern und den Arbeitern eine andere Regelung der Arbeitszeit zu gestatten.

Die Erlaubnis, über die im Art. 2 vorgesehenen Grenzen hinaus arbeiten zu lassen, kann für eine begrenzte Zeit auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und den Arbeiterverbänden erteilt werden, um dem Arbeitgeber zu gestatten, bei aussergewöhnlicher Häufung von Aufträgen infolge unvorhergesehener Verhältnisse den Anforderungen des Betriebes nachzukommen. Sie kann für höchstens 3 Monate im Laufe eines Jahres erteilt werden; die Verlängerung darf höchstens 2 Stunden im Tag betragen.

Der König kann überdies gemäss Art. 12 die Anwendung der im Gesetz festgesetzten oder vorgesehenen Arbeitsbestimmungen aufheben: im Kriegsfall oder bei Ereignissen, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen, wenn nach Ansicht des oberen Arbeitsrates und des oberen Gewerbe- und Handelsrates das Landesinteresse erheischt, dass durch Vermehrung der Ausfuhr die zur Einfuhr von Gegenständen des Lebensbedarfes erforderlichen Tauschmittel beschafft werden.

Obschon also zahlreiche Ausnahmebestimmungen die Verlängerung der Arbeitszeit erlauben, ist das Gesetz sofort nach Inkrafttreten angefochten worden. Man befürchtet, dass das Gesetz eine grosse Schädigung der belgischen Industrie bewirke ; sie werde hauptsächlich gegen die deutsche Konkurrenz nicht aufkommen können. Bereits Anfang November 1921 wurde von verschiedenen Seiten seine Suspendierung verlangt.

Auf eine Anfrage des Arbeitsministers an den Conseil supérieur de l'Industrie et du Commerce, wie dieses Organ sich zu dem Arbeitszeitgesetz verhalte, wurde nach einer Sitzung vom 25. Januar 1922 dem Minister geantwortet, die belgische Industrie

228

leide ausserordentlich, wenn das 8-Stundentaggesetz strikte eingehalten werden müsse, und die Instanzen, die dazu berechtigt seien,, nicht eine sehr weitgehende Anwendung der Ausnahmebestimmungen verfügen werden.

Da einige Artikel des Gesetzes nicht klar genug umschreiben, wieweit ihr Geltungsbereich gehe, hat der Arbeitsminister den Conseil supérieur d'hygiène ersucht, seine Auffassung bekannzugeben unter anderem darüber, welche Industrien und Gewerbe, die vorgesehene Vergünstigung der Ausrechnung der 48-Wochenarbeitsstunden auf eine längere Periode geniessen.

Der Conseil supérieur hat auf diese Frage hin für folgende Industrien den Vorschlag gemacht, dass für sie ein ganzes Jahr als Einheit für die Ausrechnung in Frage kommen sollte: Saisonindustrien, die nicht das ganze Jahr arbeiten können, z. B. Zuckerfabriken, Konfitüren- und Limonadenfabriken, Gemüsekonserven- und Fischkonservenfabriken, Industrien, die .das ganze Jahr arbeiten, aber vom Wetter abhängig sind, z. B. das ganze Baugewerbe, Industrien, die das ganze Jahr arbeiten, aber aus bestimmten Gründen Hochkonjunkturzeiten haben, z. B. die Bekleidungsindustrie, die Schokoladefabriken, die Konfiserien, die Automobil- und Velofabriken, die Fabriken für Jagdwaflen etc., Industrien, die das ganze Jahr arbeiten, aber infolge ihrer Lage als Saisonindustrien angesprochen werden müssen, die Industrien in den Fremdenzentren, wie Wäschereien, Bäckereien und Konditoreien. Die aufgeführten Industrien sollen nur als Richtlinien dienen, verwandte Industrien sollen ebenfalls den Vorzug der längeren Verteilung erhalten.

Auch in verschiedenen andern Beziehungen gab der Conseil supérieur d'hygiène dem'Gesetz eine Ausnahme von der 48-Stundenwoche in weitem Umfange gestattende Interpretation.

Infolge dieser Stellungnahme, die vom Arbeitsminister zu der seinigen gemacht wurde, fanden in der belgischen Kammer in den Sitzungen vom 28. Februar, 7., 14. und 15. März Debatten statt über die Aufhebung des Gesetzes. Der Arbeitsminister gab zu, viele Klagen erhalten zu haben, die feststellen, dass das Gesetz zur bestehenden Krisis mit beitrage. Manche Industrien hätten es allerdings noch nicht durchführen können, andere aber hätten unter seinem Einfluss eine wesentliche Produktionseinbusse erlitten. Sie beklagen sich, dass das Gesetz zu formell sei und sich nicht an die verschiedenen Situationen anpassen lasse. Man verlange,

229

dass z. B. die Möglichkeit des Ersatzes von verlorenen Feiertagen gestattet werde, wie dies in Frankreich der Fall sei, ferner dass ebenfalls, wie im französischen Gesetz vorgesehen, eine grössere Anzahl Überstunden zur freien Verfügung zugesagt werde. Alle diese Fragen müssten ernsthaft geprüft werden ; ohne am Prinzip des Gesetzes zu rütteln, müsse doch seine Einführung erleichtert werden.

. Es sei noch erwähnt, dass am 29. März die Handelskammer von Bruxelles in bezug auf das Arbeitszeitgesetz die folgende Stellungnahme proklamiert: Sie mache erneut auf die .schweren Gefahren aufmerksam, denen die ökonomische Situation des Landes durch 'das Gesetz ausgesetzt sei. Sie konstatiere, dass in Belgien eine Verschlimmerung der Situation eingetreten sei durch die strikte Durchführung des Gesetzes, während andere Staaten die Sstündige Arbeitszeit nicht anwenden oder bedeutende Erleichterungen schaffen oder selbst darauf ausgehen, für die Zukunft volle Handelsfreiheit in bezug auf diese Vorschriften zu erhalten. Sie verlange erneut, dass dieses Gesetz unter Anwendung des Art. 12 suspendiert werde.

Frankreich hat ein Gesetz über den 8-Stundentag vom 23. April 1919, das folgende hauptsächliche Bestimmungen enthält: Art. 6. Arbeitsdauer. In allen Industrie- und Handelsbetrieben irgend welcher Art darf die wirkliche Arbeitsdauer 8 Stunden im Tag oder 48 Stunden in der Woche oder ein auf Grundlage eines andern Zeitraumes als der Woche festgesetztes entsprechendes Ausmass nicht übersteigen.

Art. 7. Für die Durchführung sind durch die öffentliche Verwaltung nach Befragung der interessierten Arbeitgeber- und Arbeiterorganisationen für die einzelnen Industrien Verordnungen zu erlassen, die für das ganze Land oder für Bezirke Gültigkeit haben.

Es bestehen heute noch in manchen Bezirken und Industrien keine Verordnungen nach dem Gesetz vom 23. April 1919. So arbeiten z. B. die Uhrenindustrie, die Nahrungsmittel- und die Porzellanindustrie heute noch 10 Stunden.

Verschiedene der bis jetzt erlassenen Verordnungen haben überdies nicht für die Industrie des ganzen Landes Geltung, sondern nur für einen bestimmten Bezirk, und es sind speziell die Stadt Paris und das Seine-Departement, wo die meisten Verordnungen eingeführt wurden. Bei diesen Erlassen zeigt sich, dass für die Verteilung der

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vorgeschriebenen Zahl von 48 Stunden gewisse Möglichkeiten offen gelassen sind. So finden sich je nach Berufsart und Bezirk Abmachungen, die eine Verteilung auf 10 Tage, 3 Wochen, einen Monat, ein Semester oder sogar ein Jahr zulassen. Ferner ist die Möglichkeit gegeben, dass wegen öffentlicher Feiertage, wegen Unfalls, äusserer Störungen und Witterangsunbill ausgefallene Arbeitstage nachgeholt werden können; die Eeinigungsarbeiten sind nicht in die Arbeitszeit einbezogen, und für die Überstunden ist kein bestimmter Lohnzuschlag festgelegt.

Obschon diese Verhältnisse für den Arbeitgeber günstige sind, hat doch in Frankreich die Opposition gegen das Gesetz schon sehr früh eingesetzt.

Am 31. Januar 1920 hat die Handelskammer der Bretagne eine Eesolution gefasst, in der sie erklärte, dass die Verluste, die Frankreich durch die Einführung des 8-Stundentages erleide, schon unberechenbare Proportionen angenommen haben. Wenn nicht durch Verlängerung der Arbeitszeit eine Änderung eintrete, werde die französische Industrie ruiniert und der Markt gänzlich den ausländischen Fabrikanten geöffnet. Am schädlichsten wirke der 8-Stundentag bei den Eisenbahnen, welche die Kohlenversorgung nicht mehr durchführen können. Es sei deshalb eine Aufforderung an die Eisenbahnen zu richten, wieder länger zu arbeiten.

Eine ähnliche Eesolution fasste die Handelskammer von Lilie am 14. Februar 1920.

Im Laufe des Jahres 1921 traten die Wirkungen des 8-Stundentaggesetzes immer deutlicher hervor, so dass am 8. November 1921 der Abgeordnete Paul Messier der Kammer einen Abänderungsvorschlag unterbreitete, dahingehend, das Gesetz solle nicht mehr allgemein in Anwendung kommen, sondern es sei zu gestatten, die Arbeitszeit je nach der Art der Industrie zu verlängern.

Einen weitern Schritt nach dieser Eichtung hin tat der Abgeordnete Marquis de Dion am 7. Februar 1922, indem er der Kammer einen Abänderungsvorschlag einreichte; er verlangte, das Gesetz vom 23. April 1919 sei, soweit nicht Frauen und Kinder in Betracht kommen, auf 5 Jahre zu suspendieren. Nach Ablauf dieser Frist könne es je nach der wirtschaftlichen und finanziellen Lage wieder Gültigkeit haben, jedoch sei für den Abbau der Arbeitszeit auf 48 Stunden in der Woche eine weitere Periode von 5 Jahren vorzusehen.

Der Verband der Maschinen- und Metallindustriellen, der metallurgischen und elektrischen Industriellen und des Hüttenwesens hat in einer Eingabe an den Arbeitsminister vom 9 März 1922 verlangt,

231 es sei seinen Industrien für mindestens 7 Jahre eine Überzeit von 800 Stunden per Jahr" einzuräumen. Dem Fabrikanten sollte es überlassen bleiben, zu bestimmen, wann er Überzeit arbeiten wolle.

Er müsse schon in seiner Kalkulation mit Überzeit rechnen können, ohne dass er vorher auf einem langen Instanzenweg dafür einkommen müsse. Er könne keine Aufträge entgegennehmen und kein Arbeitsprogramm festsetzen, wenn er nicht wisse, mit welcher Arbeitszeit er rechnen dürfe Die aufgeführte Stundenzahl bedeute effektive Arbeitszeit, und Präsenzzeit sei nicht darin eingeschlossen. Eine Änderung der Vorschriften des Gesetzes von Jahr 1919, das die Dauer der Arbeitszeit auf einen Schlag um 20 % reduziert habe, sei unbedingt notwendig, wenn die dem Verband angeschlossenen Industrien weiter bestehen sollen.

Grossbritannien. Es besteht kein Gesetz über den 8-Stundentag oder die 48-Stundenwoche. Durch die Tätigkeit der Gewerkschaften wurde aber in den meisten Industrien die Arbeitszeit seit Beendigung des Krieges wesentlich reduziert. Die Verträge wurden in der Eegel zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden der einzelnen Industrien abgeschlossen. Die Eegierung hat nur in einzelnen Fällen an der Kegelung teilgenommen.

Zu Beginn des Jahres 1919 wurde in den Hauptindustrien ungefähr wie folgt gearbeitet: Bergwerke 8-Stundentag, Metall-und Maschinenindustrie 47-Stundenwoche, Textilindustrie 48--55-Stundenwoche Buchdruckerei 52--54» Schuhfabriken 51--54» Bekleidungsindustrie 48--54» Bäcker 48 Stunden per Woche Baugewerbe 48 » » » Im Verlaufe des Jahres 1921 sind die Forderungen nach längerer Arbeitszeit immer häufiger geworden, und weil die Verträge mit den Gewerkschaften die Festsetzung von Überzeit für längere oder kürzere Dauer nur von dem Einverständnis beider Parteien abhängig machen, soll heute ziemlich viel Überzeit gearbeitet werden.

Im Oktober 1921 verhandelten die Arbeitgeber der Woll- und Textilindustrie mit ihren Gewerkschaften um Bewilligung von Überzeit. Obschon formell keine Einigung zustande gekommen war, sollen heute nur noch die Frauen und Kinder die 48-Stundenwoche haben, wogegen die Männer in einzelnen Betrieben bis 55 Stunden per Woche arbeiten. Dieser provisorische Zustand wurde durch

232

Vereinbarung in der Weise geregelt, dass vom 21. Januar 1922 an die Firmen, welche Überzeit arbeiten wollen, ihre Gesuche an eine zu diesem Zweck bestellte ausserordentliche Kommission richten und begründen müssen. Diese Kommission entscheidet dann, ob Überzeit gearbeitet werden soll oder nicht.

Italien hat die Frage der 48-Stundenwoche nicht gesetzlich geregelt. Es wurden aber auf Grund gegenseitiger Vereinbarungen verschiedene Gesamtarbeitsverträge in einzelnen Industrien abgeschlossen, die meistens auf der Basis der 48-Stundenwoche stehen.

N i e d e r l a n d e . Im Arbeitszeitgesetz vom 1. November 1919 und im Erlass vom 23. September 1920 wurde für die Arbeit in Fabriken und Werkstätten der 8-Stundentag bzw. die 45-Stundenwoche (mit Schluss der Arbeit um l Uhr nachmittags am Samstag) vorgesehen. Immerhin wurde durch einen neuen Erlass ' vom 27. September 1920 das Inkrafttreten dieser Regelung um ein Jahr bzw. um zwei Jahre je nach der Art der einzelnen Industrien hinausgeschoben ; während der gewährten Frist darf eine wöchentliche Arbeitsdauer von 48 bis 55 Stunden angewendet werden.

Obwohl das Gesetz tatsächlich noch nicht in Kraft getreten ist, haben sechs Arbeitgeberverbände, die so ziemlich die ganze holländische Industrie umfassen, im März 1922 an den Arbeitsminister eine Eingabe gerichtet, in der sie verlangen, das Gesetz sei namentlich so zu revidieren, dass die 48-Stundenwoche gesichert sei und die Erlangung von Überzeitarbeit erleichtert werde.

In einer zweiten Eingabe haben, die gleichen Verbände erklärt, es sei zur Hebung der Krise notwendig, dass die einzelnen Industrien ohne vorausgehende Anfrage 10 Stunden per Tag und 56 Stunden per Woche arbeiten können. Sie verlangen eine sofortige und eingehende Änderung des Gesetzes, das die Kosten der Lebenshaltung wesentlich erhöht habe und für das Land schwere finanzielle und moralische Nachteile nach sich ziehe.

Am 14. März 1922 hat der Arbeitsminister der Kammer daraufhin einen Abänderungsantrag zum Gesetze vom November 1919 eingereicht. Er schlägt namentlich folgende Abänderungen vor: An Stelle des 8-Stundentages und der 45-Stundenwoche soll der S^-Stundentag und die 48-Stundenwoche treten ; ausgefallene Stunden sollen eingeholt werden dürfen, jedoch soll die Arbeit 2500 Stunden per Jahr, also im Durchschnitt 48 Stunden pro

233

Woche, nicht überschreiten; die Einführung von Oberzeitarbeit soll wesentlich erleichtert werden durch Vereinfachung der Bewilligungsvorschriften.

Der Arbeitsminister sagt zur Begründung seiner Abänderungsvorschläge, dass die Niederlande, wenn sie weiter mit den übrigen Ländern konkurrieren wollen, nicht länger bei der 45Stundenwoche verbleiben dürfen. Um aus der Krise herauszukommen, müssten die Produktionskosten reduziert werden, was nur durch Verlängerung der Arbeitszeit geschehen könne.

B e r n , 6. Mai 1922.

234 Beilage n.

Stand der Ratifikationen des Entwurfs eines Übereinkommens betreffend die Festsetzung der Arbeitszeit in gewerblichen Betrieben auf 8 Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich, angenommen von der Internationalen Arbeitskonferenz von Washington (1919), I.

Nachfolgende Staaten haben dem Generalsekretariat des Völkerbundes die Ratifikation des Übereinkommens betreffend die Arbeitszeit notifiziert: Bulgarien: 10. Februar 1922.

Griechenland: 1. November 1920.

Indien: ohne Angabe des Datums.

Rumänien : 81. Mai 1921.

Tschechoslowakei: 30. April 1921.

Bemerkungen betreffend: Indien: Art. 10 des Übereinkommens lässt den Grundsatz der 60-Stundenwoche zu; Griechenland: Art. 12 des Übereinkommens bestimmt für gewisse Industrien das Inkrafttreten des Übereinkommens auf den 1. Juli 1928 und für bestimmte andere Industrien auf 1. Juli 1924; Rumänien: Art. 13 des Übereinkommens gestattet, das Datum des Inkrafttretens seiner Bestimmungen auf den 1. Juli 1924 zu verschieben.

n.

Für die übrigen Staaten liegen folgende Nachrichten vor: Deutschland: Der vorläufige'Reichswirtschaftsrat hat sich für die Ratifikation ausgesprochen. Der Reichsrat und der Reichstag haben hierüber noch keine Beratung gepflogen.

Aus den vom internationalen Arbeitsamt veröffentlichten Berichten geht hervor, dass sich ein gewisser Widerstand aus Gründen der Konkurrenz auf dem Weltmarkt gegen die sofortige Ratifikation durch Deutschland geltend macht.

Österreich: Das Übereinkommen ist dem Nationalist seit 27. Januar 1921 zur Ratifikation unterbreitet.

235

Belgien: Ein Gesetzentwurf für die Batifikation ist im Laufe des Jahres 1921 der Bepräsentantenkammer vorgelegt worden.

Dieser Entwurf ist von der Kammer noch nicht beraten worden, aber der auf ihrem Bureau niedergelegte Bericht beantragt Ablehnung der Batifikation, solange nicht die grossen Industriestaaten, die Konkurrenten Belgiens auf den internationalen Märkten, selbst die Batifikation vorgenommen haben.

Canada: Die Batifikation des Übereinkommens liegt in der Befugnis der Provinzen; einzig Britisch-Kolumbien hat ein Gesetz betreffend die Anwendung der Konvention veröffentlicht.

Dänemark: Die Begierung überreichte der Deputiertenkammer am 21. Januar 1921 einen Gesetzentwurf, der jene zur Batifikation des Übereinkommens ermächtigt. Ein Gesetzentwurf betreffend die Anwendung des Übereinkommens ist der Kommission für Arbeitszeit überwiesen worden, die noch keinen Bericht erstattet hat.

Spanien: Ein dem Senat am 7. April 1921 vorgelegter Gesetzentwurf bezweckt die Batifikation, wurde aber noch nicht geprüft.

Pinnland: Die Begierung hat im Laufe des Jahres- 1921 die Batifikation beantragt. Nach den in der Presse erschienenen Berichten hätte das Parlament den Antrag abgelehnt, hauptsächlich in der Erwägung, däss die grossen Industriestaaten die Batifikation des Übereinkommens verschoben hätten.

Frankreich: Die Begierung hat der Deputiertenkammer einen Gesetzentwurf betreffend die Batifikation zugestellt, dessen Beratung noch aussteht.

Grossbritannien: Die Begierung beantragte, die Batifikation nicht vorzunehmen, und das Unterhaus gab seine Zustimmung zu diesem Vorschlag mit 164 Stimmen gegen 58.

Italien: Die Begierung hat die Batifikation vorgeschlagen.

Die Kommission der Kammer hat die Suspendierung der Beratung dieses Vorschlages beantragt, indem sie geltend macht, dass verschiedene Staaten, die an dieses Übereinkommen hätten gebunden werden sollen, es nicht angenommen haben. Die Prüfung des Übereinkommens ist bis zum Zeitpunkt, wo die Kammer den Entwurf des nationalen Gesetzes in Beratung zieht, vertagt worden.

Japan: Nach einer Mitteilung des schweizerischen Gesandten in Tokio würde das' Ministerium die Verwerfung der Konvention ins Auge fassen, da die wirtschaftliche Krise die Anwendung eines Übereinkommens über die verkürzte Arbeitszeit ausser Frage setze.

236

Norwegen: Das Übereinkommen ist mit .den andern Entwürfen von Washington einer Kommission unterbreitet worden, die eine vollständige Revision der Gesetzgebung betreffend den Arbeiterschutz vornehmen soll.

Niederlande: Die Regierung ist nicht der Ansicht, dass die Ratifikation wünschbar sei, solange die Niederlande nicht die Gewähr haben, dass die ihrer Industrie Konkurrenz verursachenden Länder das Übereinkommen ratifizieren. Sie hält es nicht für möglich, zurzeit eine solche Garantie zu erhalten.

Polen: Ein Gesetzentwurf, der die Ratifikation beantragt, ist in erster Lesung vom Parlament am 4. Oktober 1921 beraten und den Kommissionen für die auswärtigen Angelegenheiten und den Arbeiterschutz überwiesen worden.

Portugal: Die Regierung hat bis jetzt die Ratifikation nicht beantragt und hat hierüber, soweit bekannt, noch keinen Beschluss gefasst.

Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen: Keine Beschlussfassung.

Schweden: Die Regierung hat Nichtratifikation des Übereinkommens beschlossen, einesteils wegen der zwischen ihm und dem nationalen Gesetze bestehenden Unvereinbarkeit, andern teils wegen der Bindung der Parteien durch das Übereinkommen auf die Dauer von 11 Jahren.

Schweiz: Beschluss der Bundesversammlung betreffend die Nichtratifikation des Übereinkommens (Bundesbeschluss vom 8. Februar 1922).

Bern, den 28. April 1922.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Revision von Art. 41 des Fabrikgesetzes. (Vom 19. Mai 1922.)

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