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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zu einer Vorläufigen Vereinbarung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche betreffend die in der Schweiz zu erfüllenden Frankenverpflichtungen deutscher Lebensversicherungsgesellschaften.

(Vom 4. Oktober 1922.)

Wir haben die Ehre, Ihnen eine Vorläufige Vereinbarung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche zu unterbreiten, die getroffen werden soll im Hinblick auf ein zwischen ihnen abzuschliessendes Abkommen zum Zwecke einer gemeinsamen Hilfe für die Erfüllung der Prankenverpflichtungen deutscher Lebensversicherungsgesellschaften in der Schweiz.

Allgemeine Bemerkungen.

Der fortschreitende Zerfall des deutschen Wechselkurses hat die Mehrzahl der in der Schweiz arbeitenden deutschen Lebensversicherungsgesellschaften in eine schwere finanzielle Notlage versetzt. Ihre von den ausländischen Währungsverpflichtungen belasteten Bilanzen weisen eine enorme Überschuldung auf und den Versicherten drohen grosse Verluste. Das gilt auch für die schweizerischen Versicherten dieser Gesellschaften.

Da die Gesellschaften nicht über die Mittel verfügen, um sich aus eigener Kraft aus ihrer Lage zu befreien, so wurde eine gemeinsame Hilfe der Schweiz und des Deutschen Reiches in Aussicht genommen, um den Gesellschaften die Erfüllung der Verpflichtungen gegenüber ihren Versicherten zu ermöglichen.

Zur Durchführung dieser Hilfsaktion soll ein Abkommen zwischen

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den beiden Staaten geschlossen werden. Dieses Abkommen mit der Botschaft wird Ihnen in den nächstfolgenden Tagen zugehen.

Wir beziehen uns zur Begründung der vorliegenden Vereinbarung auf diese Vorlage und fügen als Erläuterung zu den einzelnen Artikeln der Vereinbarung noch folgendes bei :

Art. 1.

1. Infolge der Einstellung der Prämienzahlung durch die Versicherten und der Erschöpfung der Bankkredite verfugen die meisten Gesellschaften über keine Mittel mehr, um die fälligen Versicherungssummen zu bezahlen. Aber auch dort, wo noch etwelche Frankenmittel vorhanden sind, werden diese doch binnen kürzester Frist durch die laufenden Verpflichtungen aufgebraucht werden.

Auch ist es den Gesellschaften nicht möglich, zur Begleichung ihrer schweizerischen Verpflichtungen noch weitere Markbeträge aufzubringen. Die Gesellschaften befinden sich tatsächlich im Zustande der Zahlungsunfähigkeit. Die Folge davon ist, dass sia sich der Betreibung ausgesetzt sehen, die auch gegenüber mehreren Gesellschaften von schweizerischen Anspruchsberechtigten schon angehoben worden ist.

Nach Art. 7 des Bundesgesetzes über die Kautionen der Versicherungsgesellschaften vom 4. Februar 1919 (Kautionsgesetz) können die Anspruchsberechtigten aus in der Schweiz zu erfüllenden Versicherungen die Gesellschaften gemäss Art. 41 des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes auf Verwertung der. Kaution betreiben. Weist sich die Gesellschaft nicht binnen vierzehn Tagen, nachdem das Betreibungsamt vom Pfändungsbegehren Mitteilung gemacht hat, über die Befriedigung des betreibenden Gläubigers aus, so sind dem Betreibungsamte die zur Deckung der betriebenen Forderung notwendigen Werte herauszugeben.

Die Pflicht zur Herausgabe von Kautionswerten besteht jedoch nicht, wenn die Gesellschaft sich in einer Vermögenslage befindet, die als eine Gefährdung der Gesamtheit der Interessen der schweizerischen Versicherten erscheinen muss. Die Kaution soll dann nicht mehr zur Befriedigung einzelner Versicherter Verwendung finden dürfen, sondern bis zur Abklärung über die Möglichkeit einer Sanierung unangetastet bleiben oder gegebenenfalls gemäss Art. 9 oder 10 des Kautionsgesetzes verwendet werden.

Dieser Fall liegt in bezug auf die deutschen Lebensversicherungsgesellschaften vor. Aus der Kaution dürfen keine Werte herausgegeben werden, weil hierin eine Bevorzugung einzelner Versicherter auf Kosten der übrigen läge und weil durch die

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Ausschöpfung der Kautionen die geplante Hilfsaktion durchkreuzt würde. Eine Betreibung auf Verwertung der Kaution wäre daher erfolglos. Die Konkurseröffnung über die Gesellschaft in der Schweiz ist anderseits nicht möglich, da die objektiven Voraussetzungen hierfür fehlen. Ob der Versicherte neben der Betreibung nach Art. 7 des Kautionsgesetzes die Gesellschaft auch noch auf Pfändung betreiben könne, ist bestritten und zurzeit Gegenstand eines Rechtsverfahrens. Sollte sie als zulässig bezeichnet werden, so wäre sie doch in den meisten Fällen materiell erfolglos. Der Versicherte kann aber in Deutschland die Konkurseröffnung über die Gesellschaft verlangen. Nach den Vorschriften des deutschen Versicherungsaufsichtsgesetzes kann der Konkurs über eine inländische Gesellschaft nur auf Verfügen der Aufsichtsbehörde erklärt werden. Ob diese dem Begehren Folge geben oder ob sie zunächst den Entscheid über das Sanierungsverfahren abwarten würde, wissen wir nicht. Immerhin besteht die Gefahr, dass durch den Antrag auf Konkurseröffnung dem Abkommen wenigstens in bezug auf diese Gesellschaft der Boden entzogen würde.

(Vgl. Art. 3, Abs. 2, der Vereinbarung.)

Es müssen somit Massnahmen getroffen werden, die geeignet sind, dieser Gefahr vorzubeugen. Die vertragschliessenden Teile sind daher übereingekommen, dass den unter das Abkommen fallenden deutschen Lebensversicherungsgesellschaften für ihre fälligen Verpflichtungen in der Schweiz Stundung gewährt werden solle. Die Stundung soll sich beziehen sowohl auf die auf Franken lautenden Versicherungsleistungen wie auch auf die in das Abkommen einbezogenen aus Aufwendungen für die schweizerischen Versicherten entstandenen Bankforderungen.

Um indessen den Anspruchsberechtigten bei der Fälligkeit der Versicherung doch eine, wenn auch in manchen Fällen bescheidene Summe zukommen zu lassen, wird vorgesehen, dass ihnen drei Vierteile des wirklich vorhandenen Deckungskapitals ihrer Versicherung herausgegeben werden sollen. Damit erhalten die Versicherten den Betrag, der ihnen nach Massgabe der Kautionshinterlagen nach heutiger Berechnung als Konkursquote ausbezahlt werden könnte unter Abzug eines Vierteiles, der als Beitrag an die Konkurskosten und als Marge für einen bei der konkursmässigen Verwertung der Kautionswerte sich allenfalls ergebenden Mindererlös gedacht ist.
2. Angesichts der finanziellen Lage der Gesellschaften kann den Versicherten nicht zugemutet werden, an sie noch weiterhin Prämien zu bezahlen, solange nicht das 'Abkommen in Kraft

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getreten ist. Schon im Anschlüsse an das vom Bundesrate am 14. März 1922 erlassene Verbot des Rückkaufs- und der Beleihung von Policen haben die Gesellschaften, dem Drang der Verhältnisse folgend, die geschäftsplanmässige Erklärung abgegeben : 1. dass bis zum Abschlüsse, der zwischen der Deutschen und der Schweizerischen Regierung geführten Verhandlungen gegen diejenigen Versicherten, welche die Prämien nicht bezahlen, aus der Nichtzahlung der Prämie Rechtsnachteile nicht geltend gemacht, sondern dass ihnen diese Prämien gegen 5 % Zinsen bis dahin gestundet werden ; 2. dass die von dem Verbot getroffenen Rückkaufsbegehren als nicht gestellt angesehen werden.

Diese Stundung der Prämien soll auch weiterhin aufrechterhalten und durch die vorliegende Vereinbarung für die ganze Dauer derselben festgelegt werden. Ein Rechtsnachteil soll den Versicherten aus der Nichtzahlung der Prämien somit nicht erwachsen, wohl aber sind die gestundeten Prämien zu 5 % zu verzinsen, sofern der Vertrag nicht etwa höhere Zinsen vorsieht.

Zinsen von Policendarlehen dagegen sind nicht gestundet und sind daher auch weiterhin zu bezahlen, doch dürfen sie entsprechend den von der Aufsichtsbehörde getroffenen Massnahmen nur für die Zwecke des schweizerischen Versicherungsbestandes Verwendung finden.

Da die Prämie dem Versicherten nur gestundet, nicht aber erlassen ist, so muss er sie nach Aufhebung der Stundung mit dem in der Vereinbarung oder im Vertrage festgesetzten Zinse nachträglich entrichten. Er wird also in diesem Zeitpunkte die Prämie im doppelten oder mehrfachen Betrage und mit einem Zinszuschlage zu bezahlen haben, was manchen Versicherten schwerer fallen trird, als wenn sie die übungsgemäss zur Prämienzahlung bereitgestellten Mittel sofort zu diesem Zwecke verwenden können. Um den Versicherten Gelegenheit zu geben, sich ihrer Prämienzahlungspflicht zu der vertraglich vorgesehenen Zeit zu entledigen, soll bei der Schweizerischen Nationalbank ein Sperrkonto errichtet werden, bei dem die Versicherten ihre Prämie mit befreiender Wirkung einzahlen können.

Die in das Sperrkonto einbezahlten Beträge sind vorerst nicht als ein Bestandteil der Kaution zu betrachten, wohl aber sind sie wie diese dem Zugriff dritter Gläubiger entzogen. Kommt das Abkommen zustande, so werden die Gelder des Sperrkontos in die Deckungskapitalien der schweizerischen Versicherungen übergeführt und bilden nunmehr einen Bestandteil der nach Art. 7

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des Hauptabkommens herabgesetzten Versicherungen. Sollte dagegen die Kaution nach Art. 10 des Kautionsgesetzes liquidiert werden müssen, so werden die in das Sperrkonto einbezahlten Prämien den Versicherten ohne Zinsen wieder zur Verfügung gestellt.

Damit werden diese Versicherten im Falle des Konkurses der Gesellschaft den Versicherten, die von der Prämienstundung Gebrauch machten, in bezug auf die Verrechnungsmöglichkeit ihrer Prämien (Art. 213 SchKG) gleichgestellt. Um zu vermeiden, dass die oben erwähnten, bei der Fälligkeit von Versicherungen zu bezahlenden drei Vierteile des vorhandenen Deckungskapitals der in festen Kapitalsanlagen bestehenden Kaution entnommen werden müssen, können hierzu vorschussweise die Gelder des Sperrkontos verwendet werden. Sollte das Abkommen nicht zustande kommen, so müssen diese Beträge dem Sperrkonto aus der Kaution wieder zurückvergütet werden.

Art. 2.

Wenn die Eidgenossenschaft den deutschen Lebensversicherungsgesellschaften für die Erfüllung ihrer schweizerischen Frankenverpflichtungen Stundung gewährt, so muss anderseits das Deutsche Reich dafür sorgen, dass die Stellung der schweizerischen Versicherten und des Bundes nicht dadurch verschlechtert werde, dass die Gesellschaften in der Zwischenzeit Bestandteile ihres freien Vermögens zugunsten ihrer deutschen Gläubiger festlegen. In Art. 2 der Vereinbarung wird daher bestimmt, dass die Gesellschaften zu verhindern seien : a. ihre Grundstücke, die nach dem Abkommen mit Sicherungshypotheken belastet werden sollen, weiter zu belasten; b. aus ihren freien Reserven Beträge an die Prämienreserve überzuführen ; c. Überschüsse auf Grund neu aufzustellender Bilanzen zu verteilen.

Ein direktes Verbot solcher Vorkehren an die Gesellschaften wurde nicht aufgestellt, da es sich dabei um ein Verhalten nicht der andern Vertragspartei, sondern eines Dritten handelt, und da für die Verletzung des Verbotes nicht wohl Strafbestimmungen aufgestellt werden können. Dagegen hat das Reich die Rechtspflicht übernommen, dahin zu wirken, dass die Vereinbarung von den Gesellschaften beachtet werde. Es ist klar, dass ein Zuwiderhandeln gegen diese Abmachung durch die Gesellschaften auch das Abkommen in Frage stellen müsste. Es sei übrigens bemerkt, dass dieser Teil der Vereinbarung nicht etwa durch besondere

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Beobachtungen bei den Gesellschaften veranlasst wurde, sondern dass es sich um eine Vorsichtsmassnahme handelt.

Art. 3.

Da die vorliegende Vereinbarung dazu bestimmt. ist, Verhältnisse während der Übergangszeit zu ordnen, bis über das Zustandekommen des Abkommens die Entscheidung getroffen ist, so soll die Vereinbarung auch nur bis zu diesem Zeitpunkte in Kraft bleiben. Um die Stundungen nicht allzusehr auszudehnen, wird überdies bestimmt, dass sich die Dauer der Vereinbarung nicht über den 30. April 1923 · erstrecken soll.

Wird über eine Gesellschaft vor dem Inkrafttreten des Abkommens der Konkurs eröffnet, so fallen die Voraussetzungen dieser Vereinbarung dahin. Die vertragschliessenden Teile behalten sich daher das Recht vor, in diesem Falle von der Vereinbarung sofort zurückzutreten, und zwar nicht nur hinsichtlich der konkursiten Gesellschaft, sondern in bezug auf alle unter das Abkommen fallenden Gesellschaften. Das Rücktrittsrecht soll auch bestehen, wenn aus andern Gründen die Vermögenslage einer Gesellschaft wesentlich beeinträchtigt wird. Damit wäre dann allerdings auch das Abkommen erledigt, und es bliebe wohl nichts übrig, als über alle Gesellschaften in Deutschland den Konkurs zu beantragen.

Gestützt auf diese Darlegungen empfehlen wir Ihnen die Annahme der eingangs erwähnten vorläufigen Vereinbarung und benützen den Anlass, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 4. Oktober 1922.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r äsid eu t:

Dr. Haab.

Der Bundeskanzler: Steiger.

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(Entwurf.)

Bundesbescliluss betreffend

die Ratifikation der am 29. September 1922 in Bern unterzeichneten Vorläufigen Vereinbarung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche betreffend die in der Schweiz zu erfüllenden Frankenverpflichtungen deutscher Lebensversicherungsgesellschaften.

Die Bundesversammlung' der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 4. Oktober

1922, in Anwendung von Art. 85, Ziff. 5, der Bundesverfassung, b e s c h l i esst: 1. Der zwischen dem schweizerischen Bundesrate und der Regierung des Deutschen Reiches am 29. September 1922 abgeschlossenen Vorläufigen Vereinbarung betreffend die in der Schweiz zu erfüllenden Frankenverpflichtungen deutscher Lebensversicherungsgesellschaften wird hiermit die Genehmigung erteilt.

2. Der Bundesrat wird mit der Ratifikation und, nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunden, mit der Vollziehung der Vorläufigen Vereinbarung betraut.

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1922

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1658

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11.10.1922

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