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Bundesblatt 100. Jahrgang.

Bern, den 2. Dezember 1948.

Band III.

Erscheint wöchentlich. Preis üü franken im Jahr, 18 Franken im Halbjahr, zuzngluh Nachnahme- und PostbestellnnitsgeWhr.

EinriickiingsgebUhr : 50 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an Sttimrifti & de in Kern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Verfahren gegen nationalsozialistische Schweizer wegen Angriffs auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Vom 80. November 1948) Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Im Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die antidemokratische Tätigkeit von Schweizern und Ansiändern im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen 1939--1945 (Motion Boerlin), erster Teil, vorn 28. Dezember 1945 (BB1.1946,1, l ff.), haben wir uns vorbehalten, den Gesamtbericht zu ergänzen, da in jenem Zeitpunkt noch eine ausgedehnte eidgenössische Untersuchung im Gange war. Immerhin konnten wir schon damals einen summarischen Bericht des eidgenössischen Untersuchungsrichters mitveröffentlichen (a. a. 0. 84--103). Seitdem hat der Bundesrat in den Berichten über seine Geschäftsführung im Jahre 1946 und 1947 den jeweiligen Stand der Bundesstrafverfahren mitgeteilt (für 1946 S. 229/230; für 1947 S. 197/198).

Heute stehen in sämtlichen Fällen die Urteile des Bundesstrafgerichtes mit den Entscheidungsgründen zur Verfügung.

Bei Behandlung des Geschäftsberichtes für 1947, Abschnitt Bundesanwaltschaft, im Nationalrat hat Herr Nationalrat Schmid, Oberentfelden, im Juni 1948 den Wunsch geäussert und begründet, der Bundesrat möge über die Ergebnisse der Bundesstrafverfahren in einlässlicher Dokumentation Aufschluss geben, da die landesverräterischen Umtriebe, der Aufbau einer fünften Kolonne und der Einfluss Deutschlands auf diese Aktionen zum Wichtigsten gehören, das die vergangenen Jahre kennzeichnet, als Bestrebungen zur Untergrabung der Freiheit und Unabhängigkeit unseres Landes von aussen. Die Erinnerung an die Untersuchungen und an die Verfahren vor dem Bundesgericht aus schwerer Zeit sei in der Öffentlichkeit festzuhalten. Der Vorsteher Bundesblatt.

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des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepariements nahm den Wunsch entgegen: denn es ist für das Schweizervolk von grösster Wichtigkeit, sich in den Landesverratssachen die Zusammenhänge klarzumachen und aus der Veröffentlichung namentlich zu lernen, dass es gilt, die Gefährlichkeit von Vorgängen frühzeitig zu erkennen, solange diese noch in der sogenannten «harmlosen» Entwicklung sind.

Der Bundesrat teilt diese Auffassung.

Ebenfalls in der Juni-Session 1948 begründete Herr Nationalrat Bringolf, Schaffhausen, eine Interpellation, worin er um Auskunft über die Einvernahme des Dr. Klaus Hu egei ersuchte. Auch er sprach den Wunsch nach einem gedruckten Ergänzungsbericht aus. Das Schweizer Volk, das in seiner erdrückenden Mehrheit das Land in diesen schweren Zeiten geschützt und dafür Opfer gebracht habe, dürfe beanspruchen, über diese Vorgänge amtlich unterrichtet zu werden. Die Antwort auf die Interpellation enthielt bereits eine kurze Zusammenfassung der Aussagen Huegels. Im vorliegenden Bericht sind sie nun anhand der Feststellungen des Bundesstrafgerichtes eingehender gewürdigt.

Was die Besprechungen Huegels mit Schweizerkreisen in Pressefragen anbetrifft, so werden diese in einem besondern Bericht behandelt werden, da sie mit Landesverrat nichts zu tun haben.

1. Für den heutigen Bericht sind grundlegend die Feststellungen in den Urteilen des Bundesstrafgerichtes von 1946 bis 1948, die Untersuchungsakten mit dem Schlussbericht des eidgenössischen Untersuchungsrichters vom 21. Juni 1946 und seinen Nachtragsberichten, die Anklageschriften der Bundesanwaltschaft und die Akten der Bundespolizei. Es bestehen folgende Urteile (zeitliche [Reihenfolge) : 1.

2.

8.

4.

5.

6.

vom vom vom vom vom vom

20. Dezember 1946 gegen Barwirsch; 4. Juni 1947 gegen Frei und 36 Mitangeklagte; 1,4. November 1947 gegen Oltramare und 2 Mitangeklagte; 20. Dezember 1947 gegen Eiedweg und 18 Mitangeklagte; 7. Mai 1948 gegen Burri und 40 Mitangeklagte; 3. Juli 1948 gegen Keller.

2. Die Bundesanwaltschaft hat in diesen sechs Verfahren insgesamt gegen 102 Angeklagte Anklage erhohen. Verurteilt sind: zu Zuchthausstrafen, von der Höchststrafe von zwanzig Jahren bis zur Mindeststrafe von einem Jahr 58 Verurteilte, zu Gefängnisstrafen von zwei Jahren bis zu einem Jahr, unbedingt 20 Verurteilte, zu Gefängnisstrafen von einem Jahr bis zu sechs Monaten, bedingt .

21 Verurteilte, gänzlich freigesprochen 3. Angeklagte

999 Die Zuchthausstrafen von zwanzig bis zu sechs Jahren betreffen folgende 24 Verurteilte, von denen derzeit 12 ihre Strafen verbüssen, während 12 in Abwesenheit verurteilt wurden und ausser Landes sind: 20 Jahre Barwirsoh Josef, 16. Februar 1900, von Schmitten (Graubunden), Dr. jur., Rechteanwalt, Davos-Dorf: im Strafvollzug.

Burri Franz, 26. Oktober 1901, ausgebürgert, früher von Entlehnen (Luzern) Journalist, Wien: im Strafvollzug.

75 Jahre Benz Paul, 10. Oktober 1920, ausgebürgert, früher von Zürich, Bankangestellter, unbekannten Aufenthalts; in Abwesenheit verurteilt.

16 Jahre Biedweg Franz, 10. April 1907, ausgebürgert, früher von Luzern und Menznau, Dr. med., interniert in Deutschland; in Abwesenheit verurteilt.

S chäppi Benno, 24. November 1911, ausgebürgert, früher von Horgen (Zürich), Journalist, Stuttgart (Deutschland); im Strafvollzug.

15 Jahre Frei Hans, 25. September 1899. ausgebürgert, früher von Nesslau (Sankt Gallen), Versicherungsagent, Stuttgart; in Abwesenheit verurteilt.

12 Jahre K a u f m a n n Friedrich, 30. Mai 1899. von Basel, Chauffeur-Mechaniker, Stuttgart: ina Strafvollzug.

Keller Max, 22. August 1897, von Aarau, Sarmenstorf und Olsberg, Dr. rer, pol., Ingenieur, Berlin; im Strafvollzug.

M a n g e Eduard, 14. April 1893, ausgebürgert, früher von St. Gallen, Basel und Ottoberg (Thurgau), Bauingenieur und Unternehmer, Wien; in Abwesenheit verurteilt.

11 Jahre Zander Alfred, 2. April 1905, ausgebürgert, früher von Bülach (Zürich), Dr. phil., Schriftsteller, Sennheim (Deutschland); in Abwesenheit vorurteilt.

10 Jahre Lenz Willi, 10. Dezember 1908, ausgebürgert, früher von Üsslingen (Thurgau), Restaurateur, Hotelier, Husum (Deutschland); in Abwesenheit verurteilt.

Lienhard Otto, 16. März 1889, ausgebürgert, früher von Herisau (Appenzell A.-Rh.), Fabrikbesitzer, Ludwigsburg (Deutschland); in Abwesenheit verurteilt.

Wirth Werner, 15. Oktober 1886, von St. Gallen, gewesener Pfarrer, Eadolfzell (Deutschland); im Strafvollzug.

1000 8 Jahre .

Achermann Georg, 25. April 1907, von Sursee (Luzern), Journalist,, vermutlich Como (Italien) ; in Abwesenheit verurteilt; Bodmer Eobert, 10. März 1911, früher von Zürich, jetzt deutscher Reichsangehöriger, landwirtschaftlicher Beamter, Trieste; in Abwesenheit verurteilt.

Büeler Heinrich, 12. Dezember 1901, ausgebürgert, früher von Winterthur, Dr. jur., Rechtsanwalt, Berlin; im Strafvollzug.

Meyer Karl, 28. September 1898, von Schaffhausen, Merishausen, Reallehrer, Schaffhausen; im Strafvollzug.

Nagele Josef, 24. Januar 1915, von Triesenberg (Liechtenstein), Schneidermeister, Triesenberg; in Abwesenheit verurteilt.

Schmid Otto, 29. September 1907, von Kirchberg (St. Gallen), Chauffeur und Mechaniker, Stuttgart; im Strafvollzug.

7 Jahre Flury Emil, 9. November 1915, von Kleinlützel (Solothurn), Drogist, Kassel (Deutschland); in Abwesenheit verurteilt.

6 Jahre ten Brink Charles, 5. Dezember 1896, von Schaffhausen, Dr. rer. pol., Fabrikant und Landwirt, Rielasingen (Deutschland); im Strafvollzug.

Diggelmann Hermann, 19. Januar 1914, von Mönchaltorf (Zürich), Hilfsarbeiter, Stuttgart; im Strafvollzug.

: Wechlin Heinrich, 22. August 1897, ausgebürgert, früher von Zürich, Dr. phil., Redaktor, Bad Godesberg bei .Köln (Deutschland); in Abwesenheit verurteilt.

Weilenmann Friedrich, S.November 1917, von Zürich, Dr. phil., München (Deutschland); im Strafvollzug.

Von den 34 zu Zuchthausstrafen unter 6 Jahren Verurteilten werden genannt : o Jahre .

. .

Weber Johann, 16. November 1907, von Brüttelen (Bern), Film- und Theaterregisseur, Berlin; im Strafvollzug.

4 Jahre Gloor Peter, 18. Oktober 1906, von Basel, Kunstmaler, (Deutschland); im Strafvollzug.

Ryser Ernst, 27. Februar 1915, von Heimiswil (Bern), in Österreich; in Abwesenheit verurteilt.

Schönenberger Josef, S.Februar 1919, ausgebürgert, (St. Gallen), Chauffeur, unbekannten Aufenthalts; urteilt.

Pinnow bei Schwerin Kaufmann, interniert früher von Kirchberg in Abwesenheit ver-

1001 3 Jahre Chioderà Alfred, 17. Oktober 1887, von Bagaz und Zürich, Dr.jur., Rechtsanwalt, Fabrikant, Konstein (Deutschland); im Strafvollzug.

Fonjallaz René 19. Januar 1907, von Gully, Epesses und Lutry (Waadt), Journalist, St. Moritz; im Strafvollzug.

Oltramare Georges, 17. April 1896, von Genf, Schriftsteller, Journalist, Paris; im Strafvollzug.

Stadier Theodor, 23. Juli 1889, von Mettlen (Thurgau), Industrieller, Dornach (Solothurn); im Strafvollzug.

2 Jahre Greulich Arthur, 30. Januar 1906, ausgebürgert, früher von Zürich, Schriftsteller, Ohlstadt bei Garmisch (Deutschland); in Abwesenheit verurteilt.

Oehler Hans, 18. Dezember 1888, von Aarau, Dr. phil., Publizist, Küsnacht (Zürich); zwei Drittel verbüsst, bedingt entlassen nach Artikel 38 StGB mit 3 Jahren Probezeit und Stellung unter Schutzaufsicht.

3. Die deutschen Reichsstellen, die im Eeich zur Behandlung der «Frage Schweiz» und von Schweizer Angelegenheiten als zuständig galten, werden ubersichtshalber zusammengestellt, zugleich mit den deutschen Kurzformeln.

Bereits die Urteile verwenden sie und ebenso der Bericht. In Betracht kamen besonders : Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), mit der Parteikanzlei.

Persönlicher Stab Reichsführer-SS.

Reichssicherheitshauptamt (E SHA).

Geheime Staatspolizei (Gestapo).

Sicherheitsdienst (SD), namentlich sein Leitabschnitt Stuttgart.

Alemannischer Arbeitskreis Stuttgart (AAK).

SS-Hauptamt (SSHA).

Germanische Leitstelle (GL), mit dem Eeferat Schweiz.

Auswärtiges Amt (AA), mit der Abteilung Deutschland (D III).

Propagandaministerium (Promi).

Volksdeutsche Mittelstelle (Vomi).

Volksbund für das Deutschtum im Ausland (VDA).

Die deutschen Funktionäre, die socj mit Schweizer Angelegenheiten befsst en und im Bericht genannt sind, waren meistens SS-Leute, so unter dem Reichsfuhrer-SS Himmler im SD: Heydrich, Kaltenbrunner, Schellenberg, Scheel, Steimle, Bunsen, Peter, Gutekunst, Huegel, Gröbl; und im SSHA: Berger, Eiedweg (damals Doppelburger), Spaarmann, Kopischke, Dodezalek.

Seyss-Inquart war Reichskommissar. Im AA waren die Legationsräte Bademacher und Triska, im AAK Huegel, Hess. Die Parteikanzlei unterstand Bormann. Beim Generalkonsulat Zürich war Ashton,

1002 4. Der Bericht nennt folgende nationalsozialistische Organisationen von Schweizern: Bund der Schweizer in Grossdeutschland (B S G).

Bund treuer Eidgenossen (BTE).

Eidgenössische Soziale Arbeiter-Partei (E S AP).

Germanische SS-Schweiz.

Mouvement national suisse (MNS).

Nationale Bewegung der Schweiz (NBS).

Nationalsozialistische Bewegung in der Schweiz (NSBidS).

Nationalsozialistische Schweizer Arbeiter-Organisation (NSSAO).

Nationalsozialistische Schweizerische Arbeiter Partei (N S S AP; «Volksbund»).

Nationalsozialistischer Schweizerbund (NSSB).

Schweizerische Gesellschaft der Freunde einer autoritären Demokratie (SGAD).

Von den in Ziffer 2 mit Namen genannten verurteilten Schweizern waren in der Waffen-SS: Benz, Büeler, Riedweg, Schäppi, Schönenberger, Weber; in der Germanischen SS-Schweiz: Frei, Diggehnann, Gloor, Weilenmann.

5. Der Bericht hält sich in der Darstellung nicht an die zeitliche Eeihenfolge der Urteile, sondern ist nach sachlichen Gesichtspunkten gegliedert. In der Mehrzahl der Abschnitte sind nicht einzig die Urteile verwendet, sondern es wurde in selbständiger Art der Akteninhalt überhaupt herangezogen! Überdies konnten eine ganze Eeihe deutscher amtlicher Urkunden verwertet werden, die der Bundesanwaltschaft erst vor kurzem zugegangen sind, mithin im Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung noch nicht zur Verfügung gestanden hatten.

Die Gliederung des Berichtes ergibt folgende Inhaltsübersicht: I. Pläne Hitlerdeutschlands.

II. Die nationalsozialistische Erneuerungsbewegung in der Schweiz.

III. Die Bemühungen deutscher Amtsstellen.

IV. Die Germanische Leitstelle des SS-Hauptamtes.

V. Der Bund der Schweizer in Grossdeutschland.

VI. Die Publizistik Burris. Sein Nationalsozialistischer Schweizerbund.

VII. Bestrebungen zur Wiedervereinigung der Bünde.

VIII. Die Germanische SS-Schweiz.

" IX. Die Aktion S (== Schweiz).

X. Das Oberdeutsche Arbeitsbüro.

XI. Die Stellung Kellers. -- Elektrizitätswirtschaft.

XII. Die Eechtsprechung des Bundesstrafgerichtes.

6. Die anfänglich geplante Aufnahme von Belegen in einem Anhang zu diesem Bericht musste schon raumeshalber unterbleiben. Die meisten Belege wären zudem ohne nähere Erläuterung nicht richtig zur Geltung gekommen.

Ihre Verarbeitung in den Bericht selbst erwies sich deshalb als. weit zweckmässiger, die Aussagen Huegels mitinbegriffen. Je eine Urteilsausfertigung und die bedeutenderen, im Bericht behandelten Beweisstücke, ebenso die Anklage-

1003 Schriften und die Berichte des Untersuchungsrichters hat die Bundesanwaltschaft .zusammengestellt als Beilagensammlung für die Mitglieder der eidgenössischen Rate und zur späteren Abgabe an das Bundesarchiv.

I. Pläne Hitlerdeutsehlands Die Urteile des Bundesstrafgerichtes enthalten Feststellungen grundsätzlicher Art über die Pläne Hitlerdeutschlands, allgemein und gegenüber der Schweiz. In den Haupt-Verhandlungen haben hierzu ausländische und schweizerische Zeugen, Aussagen gemacht, die nachstehend festgehalten sind. Ferner konnte die Bundesanwaltschaft dem Gericht auch schriftliche Äusserungen deutscher Reichsstellen unterbreiten. Das nationalsozialistische Deutschland erstrebte die Unterwerfung Buropas und die Schaffung eines Grossgermanischen Reiches. Die Eingliederung Österreichs und des Sudetenlandes (1988), die Errichtung des Protektorates Böhmen und Mähren, der Griff auf Danzig und die Unterwerfung Polens (1939), der Überfall auf die neutralen Staaten Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien und Luxemburg, die Niederringung Frankreichs (1940), .die Besetzung des Balkans (1941) und die Kriegführung gegen Sowjet-, russland entsprachen nicht nur strategischen Gesichtspunkten.

1. Die amtliche Druckschrift «Der Weg zum Reich», herausgegeben vom Reichsführer-S S Himmler und vom SS-Hauptamt Berlin neu verlegt noch 1941/42, spricht vom «Führungsanspruch in Europa und der Welt». Dem Abschnitt «Das Reich und die Welt» ist zu entnehmen, dass sich die Schutzstaffel (SS) der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei beauftragt fühlte, «die höhere Art deutscher Führung erneut unter Beweis, zu stellen und Europa eine neue, gerechtere Ordnung zu geben». Die SS war «Vorkämpferin und Garant des grossgermanischen Gedankens», und ausdrücklich wird erklärt: «Die Vereinigung aller Völker germanischen Blutes ist unser natürliches Ziel.» Im September 1943 sagte der Reichskommissar für Norwegen, Terboven, im Auftrag Hitlers vor,dem Führerkorps der norwegischen Nationalsozialisten, dass Norwegen nach dem Siege Deutschlands «jene Funktionen in die höhere Ebene einer europäischen Gemeinschaft abzugeben habe, die für die Sicherung Europas auf alle Zeit unabdingbar seien, weil diese Gemeinschaft allein entscheidender Träger und Garant dieser Sicherheit sein könne und sein werde». «Die Aktion», ein in Harnburg
herausgegebenes Kampfblatt für das neue Europa, führte im Oktober 1943. aus, die Proklamation Terbovens sei selbstverständlich für ganz Europa entscheidend: ein politischer Neubau, wie das neue Europa, entstehe stets aus einer · Gesamtkonzeption und die für Norwegen geltende Erklärung sei nur eine erste Realisierung der politischen Grundkonzeption des neuen Europa. Dieselbe Schrift enthielt .«Gedanken über das neue Europa», die einem vom SS-Hauptamt, herausgegebenen Leitheft vom August 1948 entnommen waren. Darin hiess es, im neuen Europa werde jede Nation ihre eigene nationalsozialistische Lebensform finden können ; die europäische Einheitsidee strebe :nach der Organisation der Volkskräfte und der Einteilung Europas nach Blut-

1004 gruppen; europäische Einheit bedeute nicht Zentralisation, sondern eine Führerschaft, die geleitet werde und sich in allen Teilen dieser Einheit vorfinde.

Wie sich, bemerkt das Bundesstrafgericht, Hitler und Himmler die von einer «geleiteten Führerschaft» errichtete «eigene nationalsozialistische Lebensform» der europäischen Völker und die «Einteilung Europas nach Blutgruppen» vorstellten, ergibt sich aus ihren Plänen uni den östlichen Siedelungsraum. Die eroberten Ostgebiete sollten für die Ansiedlung von Germanen aufnahmefähig gemacht werden. Hierzu plante die Eeichsregierung die Aussiedlung oder Vernichtung der Bevölkerung, soweit sie nicht Merkmale der nordischen Easse hatte, was insbesondere in Polen mit der Ausrottung der Juden seinen Anfang nahm. Eine gleiche Durchkämmung sollte nach dem Krieg in den besetzten Ländern und in Deutschland selbst stattfinden. Hernach hätten Deutschland und die germanischen Eandstaaten die Leute, wenn nötig mit Zwang, liefern müssen, um als in den Osten umgesiedelte «Wehrbauern» dem Grossgermanischen Eeich als Wall gegen die Slawen zu dienen.

2. Im Urteil vom 20. Dezember 1947 stellt das Bundesstrafgericht weiter fest: «Dass auch die Schweiz, ob sie wolle oder nicht, Bestand des Grossgermanischen Eeiches unter deutscher Führung werden müsse, war bei den politischen Führern Deutschlands beschlossene Sache. Ihre Ansichten darüber, welche Stellung der Schweiz in diesem Eeiche zukommen werde, gingen aber auseinander. Sowohl die Aufteilung der Schweiz zwischen Deutschland und Italien, eventuell auch Frankreich, oder ihre ungeteilte Eingliederung in das Deutsche Eeich, als auch ihr Fortbestand als Vasallenstaat wurde erwogen. Für die radikalere Lösung setzte sich namentlich die Kanzlei der NSDAP unter Bormann ein. Die Kreise um Himmler neigten eher zur milderen Auffassung.» Wie dies deutscherseits verstanden war, hat in einer Beweisaufnahme vom April 1948 der Zeuge Dr. Gerhard Hess, vormals im deutschen Sicherheitsdienst, zusammengefasst : entweder Anschluss, Einverleibung oder Aufteilung, sei es nach militärischem Angriff in einem Blitzfeldzug mit erhoffter Niederwerfung der Schweiz oder aber mehr nur durch kalte Politik Ohne Gewalt, da man auf Granit beisse, aber mit demselben Ziel der Eingliederung der Schweiz.

Diesfalls nicht «Holzhammertaktik», sondern
diplomatisch, behutsam und versöhnlich, mit wirtschaftlicher Eingliederung ins Eeich, gemeinsamer Behandlung von Gebieten der Aussenpolitik und Preisgabe der Neutralität zugunsten eines Staatenbundes oder, im Sinne Himmlers, des Grossgermanischen Eeiches. Gleich sagte vor dem Bundesstrafgericht der österreichische Zeuge Heinz von Klimburg aus, wozu er sich u. a. auf einen Vortrag des SSObergruppenführers Best vom September 1941 berief. Best erklärte offen, däss die Eingliederung der Schweiz in das Grossgermanische Eeich beschlossene Sache sei. In diesen Planungen war Deutschland die kommende Ordnungsmacht eines grossgermanischen Staatenbundes, als Vereinigung aller germanischen Völker, jedoch war das Programm laufend Änderungen unterworfen, so im Sinn einer Aufteilung der Schweiz oder ihrer gänzlichen Einverleibung.

Nach übereinstimmenden Zeugenaussagen war in der Amtssprache der SS die

lOOS Bezeichnung der Schweiz als Wartegau geläufig, es wurde bloss .vorläufig «kurzgetreten», und die Bereinigung der «Frage Schweiz» blieb als Nachkriegshandlung lediglich aufgeschoben.!Ihre Selbständigkeit hätte die Schweiz nach!

diesen Plänen auf jeden Fall verlieren müssen. Die mildeste Tendenz, von einer Minderheit vertreten und ohne Aussicht, sich durchzusetzen, lief als politische und «organische» Lösung darauf hinaus, im Grogsgermanischen Eeichunter deutscher Führung eine Staatenkonföderation zu errichten, mit den germanischen Staaten nicht als Unterworfenen, sondern als Partnern in einem «bündischen» Verhältnis, und ihnen soviel Selbständigkeit als überhaupt noch möglich zu belassen.

Die Zeugen sprachen von einer Hollandisierung der Schweiz oder verglichen mit der Slowakei, mithin mit einem Protektorat Hitlerdeutschlands.

In einem Schreiben an Himmler vom 8. September 1941 lehnte der Chef des SS-Häuptamtes, Berger, den Eeichsstatthalter und Gäuleiter Murr aus Stuttgart als Eeichskommissar für die Schweiz deshalb ab, weil mit Murr die für «positive Arisierung» bekannte Umgebung in die Schweiz einziehen und ein wirkliches Zusammenwachsen zumindest für eine Generation verhindern würde. Die Absicht der Besetzung lehnte Berger damit nicht ab, nur sprach er sich gegen eine als zweckwidrig erachtete «Arisierung» strengster Bichtung aus.

Der dem SSHA unterstehenden Germanischen Leitstelle galten die Schwei- ' zer nach einem Schreiben vom 81. Juli 1948 «nicht unbedingt» als Bestandteil des deutschen Volkes. Sie befolgte damit den Entscheid Himmlers, dass die «Volkstumspolitik gegenüber der Schweiz auf germanischer Grundlage geführt» und demgemäss der Begriff Volksdeutsche auf Schweizer Staatsangehörige nicht verwendet werden solle. Anweisungen des Auswärtigen Amtes und des Propagandaministeriums stimmten damit überein.

Nach Ausführungen, die Himmler im Januar 1944 an einer Tagung in Königsberg machte, betrachtete die Germanische Leitstelle die Schweiz als einen germanischen Staat, der ähnlich zu behandeln sei wie etwa Holland oder Norwegen, dessen späteres Aufgehen in einem Grossgermanischen Eeich zu erstreben sei. Von allen bekannt gewordenen Äusserungen deutscher Führer, soweit solche .aktenkundig sind, ist dies die deutlichste, i 3. Die Vorbereitungen Deutschlands zur Einordnung der Schweiz
in das Grossgermanische Eeich bestanden zunächst im wesentlichen in der Ausforschung der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verhältnisse des Landes und in der Fühlungnahme mit den schweizerischen Nationalsozialisten, die seinen Plänen dienstbar gemacht werden konnten.

Besonderer Art war die von Oltramare, Bonny und Fonjallaz in Paris betriebene Propaganda- und Agententätigkeit. Oltramare traf im Juni 1940 in Paris ein, begab sich in den Dienst der deutschen Botschaft und betätigte sich unter den;Namen Diodati, später Dieudoriné in der Presse, am Eadio und als Vortragsredner, ferner war er Mitarbeiter der, deutschen Polizei. Er sah sich als inskünftigen Gauleiter der romanischen Schweiz. Im September 1940 folgte ihm Bonny nach Paris, fortan ebenfalls in deutschem Sold. Vom Juni 1941 au war Fonjallaz, unter dem Decknamen Bull, in Paris Agent der

1006 deutschen Gegenspionage. Alle drei wurden zu Propagandisten Hitlerdeutschlands, wobei Oltramare und Fonjallaz fortgesetzt auch die Schweiz angriffen, was das Bundesstrafgericht des nähern feststellt. Bonny seinerseits machte im landesverräterischen «Bund der Schweizer in Grossdeutschland» mit. Im Nerven- und im Pressekrieg Hitlerdeutschlands gegen die Schweiz vertraten Oltramare und Fonjallaz die deutsche Sache, um den Widerstandswillen des Schweizer Volkes zu brechen und die Schweiz den deutschen Absichten gefügig zu machen. Das Urteil des Bundesstrafgerichtes nennt die deutsche Propaganda ein Kriegsinstrument, bestimmt zur Herbeiführung eines Zustandes, «qui eût comporté pour la Suisse le sacrifice d'une large part de sa souveraineté interne, prélude d'un abandon, entier ou partiel, de son indépendance extérieure».

II. Die nationalsozialistische Erneuerungsbewegung in der Schweiz 1. Ausgangspunkt ist der Stand der sog. Erneuerungsbewegung im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen und seinen Auswirkungen im Jahre 1940. Nach dem Zusammenbruch Frankreichs im Juni 1940 glaubte Max Leo Keller, das Deutsche Keich werde binnen kurzem auch den Krieg gegen England gewinnen und hierauf das Grossgermanische Reich errichten. Das Bundesstrafgericht stellt fest, dass Keller überzeugter Nationalsozialist war und den vorbehaltlosen Willen hatte, sich für die Schaffung einer auch die Schweiz erfassenden neuen europäischen Ordnung einzusetzen, unter Wahrung «der kulturpolitischen Eigenart des in der Schweiz lebenden Teils der germanischen Völkerfamilie». Das neue Europa stellte sich Keller vor als eine Verbindung der germanischen Staaten zu einem von Deutschland geführten Grossgermanischen Eeich. In diesem wünschte er die Schweiz nicht als Teil des Deutschen Reiches, sondern als Vasallenstaat. Einer blinden Übertragung der nationalsozialistischen Einrichtungen auf schweizerische Verhältnisse redete er indes nicht das Wort. Er wünschte und hoffte, dass das Deutsche Reich den schweizerischen Nationalsozialisten zur Übernahme der Macht in der Schweiz verhelfe und ihnen hierauf zur Herbeiführung der «organischen Lösung» die nötige Freiheit gewähre, allenfalls unter Ansetzung einer Frist von 3--5 Jahren (vgl. Urteil, S. 4/5).

Im Juni 1940 hielt Keller den Augenblick für gekommen, die schweizerischen Nationalsozialisten
zwecks Übernahme der Macht und Erfüllung der ihnen im Rahmen der «organischen Lösung» zukommenden Aufgabe in einer einheitlichen Bewegung zu sammeln. Mit einigen Gleichgesinnten, mit denen er schon im Jahre 1939 einen «Führerkreis» gebildet hatte, gab er Ende Juni 1940 den.Anstoss zur Gründung der «Nationalen Bewegung der Schweiz», (NBS), was das Bundesstrafgericht des nähern feststellt (Urteil S. 5--10).

Ferner äussert sich über die damaligen und späteren Vorgänge um die NBS die nachmals von Riedweg angeregte Denkschrift «Der Nationalsozialismus in dervSchweiz» (Urteil, S. 28--35). Keller, der diese Aufgabe übernommen

1007 hatte, liess die Denkschrift, zu der ausser ihm selbst auch Büeler, Wechlin und Maag Gedanken beitrugen, durch Maag im Januar 1942 zusammenstellen und übergab sie dem Gauleiter und Eeichsstatthalter Sauckel, in der Hoffnung, durch diesen an Hitler zu gelangen und von Beichsminister Eibbentrop empfangen zu, werden. Die NBS sollte als neue nationalsozialistische Organisation die schon vorhandenen Gruppen zusarnrnenschliessen und die einheitliche Führung sicherstellen. Keller galt in ihrer Führung als primus inter pares, dem die Aufgabe zukam, zwecks Erreichung des gesteckten Zieles mit den Behörden des Deutschen Eeiches die Fühlung aufrechtzuhalten und mit ihnen zu verkehren: «Dieser Verkehr», lautet das Urteil, «wickelte sich zunächst im wesentlichen über Dr. Georg Ashton, einen Beamten des Deutschen Generalkonsulates in Zürich, und: über den Pressebeirat der Deutschen Gesandtschaft in Bern, Dr. Fritz von Charnier, ab. Mit ersterem war Keller durch Oehler schon vor der Gründung, der NBS bekannt geworden, und mit von Charnier hatte er schon in seiner Eigenschaft als Verwaltungsrat der Zeitungs AG. verkehrt.

Bald hatte Keller die Deutsche Gesandtschaft in Bern hinter sich. Botschaftsrat Freiherr von Bibra war von ihm sehr eingenommen und äusserte sich im Sommer 1940 gegenüber Stadier, Keller gehöre an die Spitze der NBS. -- Keller trat schriftlich auch direkt in Verbindung mit Adolf Hitler. Nach dem Zusammenbruch Frankreichs bat er ihn durch einen Brief, das Deutsche Eeich möge «bewährte, gut gesinnte Schweizer und Freunde einer wirklichen Verständigung» anhören, ehe es sich gegenüber der Schweiz festlege oder gegen sie vorgehe».

Vom 18. September bis zum 11. Oktober 1940, nach dem Empfang einer Dreierdelegation der NBS beim Bundespräsidenten und nochmaligem Empfang Kellers, hielt sich Keller in Deutschland auf. Zunächst verschaffte er sich Zutritt zu Eeichsminister Hess, dem. Stellvertreter Hitlers. Auf die Frage Kellers, ob das Eeich über das Schicksal der Schweiz schon entschieden habe, antwortete Hess, es seien zwar Massnahmen erwogen worden,,aber die zukünftige Politik des Eeiches gegen die Schweiz stehe noch nicht fest. Keller bat ihn, das Eeich möchte doch seine, Kellers, Auffassung und den Eat der schweizerischen Nationalsozialisten anhören,'ehe es eine Entscheidung treffe. Hess versprach
ihm im Namen Hitlers, das tun zu wollen. Auf Grund dieses Wortes betrachtete sich Keller fortan als der Vertreter und Wortführer der schweizerischen Nationalsozialisten. In Deutschland kam Keller ferner mit Legationsrat Bademacher vom Auswärtigen Amt und mit Dr. Eiedweg zusammen, der sich damals, im Eeichssicherheitshauptamt und. Auswärtigen Amt betätigte. In jener Unterredung mit Hess, bei weichern Keller immerhin für die Interessen der Schweiz eintrat, schaltete er sich als Führer der NBS in die sogenannte Schweizer Frage ein, und gleichzeitig erwirkte er für die NBS die deutsche Anerkennung als «repräsentative» nationalsozialistische Organisation der Schweiz, was für die ganze Folgezeit von Bedeutung blieb. Als am 22. Oktober 1940 die Führer der Eidgenössischen Sozialen Arbeiter-Partei (ESAP) und des Bundes Treuer Eidgenossen (BTE)

1008 ihre Organisationen auflösten und in der NBS aufgehen Hessen, als ferner die Gruppen der Westschweiz sich im Mouvement national suisse eingliederten, um «die nationale und soziale Revolution durchzuführen», entsprach dies deutschen Absichten und Weisungen, in unmittelbarer Auswirkung der sogenannten Münchner Konferenz vom 10. Oktober 1940 (vgl. hiernach III, S. 1017 ff.) und der vorangegangenen Stärkung der NB S durch die deutschen Amtsstellen. In einer Beweisaufnahme vom April 1948 bestätigte der Zeuge Huegel die Feststellung des Bundesstrafgerichtes, «dass die NBS deutscherseits als ein Werkzeug ihrer gegen die Unabhängigkeit der Schweiz gerichteten Politik betrachtet wurde». Von Keller selbst, in seinem Schreiben an das Reichs^ Sicherheitshauptamt in Berlin vom 2. Mai 1944, stammen die Angaben : « Sowohl vor wie nach dem Verbot wurde die NBS von der zuständigen Reichsstelle als die einzige nationalsozialistische Schweizer Organisation anerkannt», und beim Empfang der landflüchtig gewordenen Fünfergruppe von NBS-Leuten im SS-Hauptamt Berlin durch dessen Chef, Berger, im November 1941 stellte Keller die Tätigkeit der NBS als Vorarbeit für die Eingliederung, der Schweiz hin. Im Rückblick auf jene Zeit schrieb Wechlin am 22. März 1942 an Riedweg: «Alle Voraussetzungen zu einer Umwälzung auf revolutionärer Basis in der Schweiz wären vorhanden gewesen.» Die Meinung bestand, bei besonders günstiger Konstellation hätte die NBS die Möglichkeit, einen «Systemwechsel» herbeizuführen.

2. Das unerwartete Verbot, der NBS mit Bundesratsbeschluss vom 19. November 1940 war für die Betroffenen ein schwerer Schlag und auch die deutschen Reichsstellen waren regelrecht bestürzt und .aufgebracht. Vieles war 1940 den schweizerischen Behörden noch unbekannt, so! die deutschen Einmischungen zur Stärkung der NBS, die von deutschen Amtsstellen einberufene sogenannte Münchner Konferenz und dass sogar ein Führerbefehl Hitlers bestanden habe, wonach in Fragen der schweizerischen Politik in erster Linie Keller zu konsultieren sei. Die Denkschrift Keller/Maag berichtet im Zusammenhang mit dem Verbot, «ein Machtkampf zwischen dem System und der NBS wäre für letztere an und für sich nicht aussichtslos gewesen, denn man war sich in den. breiten Schichten der Bevölkerung bewusst, dass es im Falle eines Bürgerkrieges zu einer
ausländischen Intervention kommen würde, deren Ergebnis nicht zweifelhaft war». Vor allem zwei Gründe hätten die NBS-Führung veranlasst, von einer bewaffneten Auseinandersetzung abzusehen, nämlich die Scheu, gegen die Armee vorzugehen, und die Überlegung, dass es nicht so sehr darauf ankomme, ob die Schweiz «schon heute oder erst morgen» nationalsozialistisch werde, als vielmehr darauf, dass ihre für das Reich wichtige Produktionskraft unzerstört erhalten bleibe. -- Die grosstuerischen Worte Kellers über einen «Machtkampf» erledigen sich von selbst. Zeugen nannten den Gedanken eines Gewaltaktes lächerlich.

8. Mitte Januar 1941 fuhr Keller nach Berlin, um zu erfahren, wie die massgebenden Stellen des Reiches die politische Situation der Schweiz nach dem Verbot der NBS beurteilten. Er hielt sich weiterhin vorab an den Kreis um

1009 Hess und Haushofer. Schon nach der ersten Fühlungnahme war er sich klar, dass die «Frage Schweiz nicht.aktuell sei» und das Beichsinteresse sich fast ausschliesslich auf die Industrielief erringen richte. Keller suchte deshalb eine, von ihm so geheissene, konstruktive Lösung mit seinem von Ostern 1941 stammenden «Vorschlag zur Begelung der deutsch-schweizerischen Wirtschaftsbeziehungen und zur Förderung des gegenseitigen Güteraustausches unter besonderer Berücksichtigung der kommenden Neugestaltung Europas». Kellers Wirtschaftsplan war eindeutig ein Teil seiner politischen Gesamtkonzeption, namentlich sollte damit der trotz Verbot angeblich als Ganzes erhalten gebliebenen NBS finanziell aufgeholfen werden. Folgt man auch darin der Denkschrift, so hatte die NBS-Führung vermocht, ihre Leute in der' ganzen Schweiz in Gruppen zusammenzuhalten. Hierzu Wurde u. a. die in Zürich unter Kellers Leitung stehende Epro AG., die sich mit dem Export schweizerischer Erzeugnisse befasste, durch eine Handels- und Importabteilung ausgebaut und durch Aufnahme von NBS-Leuten personell ergänzt, um 'sie zu beschäftigen und durch einzelne die ehemaligen NBS-Gruppen zu betreuen. (Namentlich aber kam es zur Gründung der von M'aag geleiteten «Schweizerischen Sportschule» in Kilchberg, um ein zuverlässiges schlagfertiges Kader zu schaffen.: Die Schweiz war in fünf Gebiete aufgeteilt, unter je einem Gebietsführer. Jede Stadt und grössere Ortschaft soll mit einer Ortsgruppe erfasst worden sein.

Gebietsführer und Ortskommandanten kamen jeden Samstag zur Schulung, Ausbildung und Berichterstattung nach Zürich und Kilchberg. Die Denkschrift bezeugt : «Es ist dort eine grosse Arbeit geleistet worden, der der Erfolg nicht versagt blieb. Durch Konsul Dr. Ashton vom Generalkonsulat Zürich stand die Leitung der Sportschule in Verbindung mit dem Auswärtigen Amt in Berlin und durch Dr. H. Büeler mit dem Amt VI des SS-Hauptamtes Berlini Diese Ämter haben die Sportschule auch in anerkennenswerter Weise gefördert.» Die Vorgänge um die «Sportschule», die «Fechtgemèinschâft» und den Feldkircher Schulungskurs sind Bestandteil der Urteile des Bundesstrafgerichtes vom 81. März 1944 i. S. Bundesanwaltschaft gegen Büeler und Mitangeklagte, vom 17. Juni 1944 gegen Michel und Mitangeklagte und vom 20. Dezember 1947 gegen Biedweg und Mitangeklagte;
die beiden ersten sind im Auszug veröffentlicht als Anhang zum Bericht des Bundesrates vorn 28. Dezember 1945 (a. a. 0. 127--143). Erst kürzlich (April 1948) in Erfahrung gebrachte Beweisstücke bestätigen, dass die NBS nach ihrem Verbot auf Anweisung des deutschen Sicherheitsdienstes und nach seinen internen Bichtlinien in die Illegalität übergegangen war. Des weitern wurde als «Tarnungsorganisation» ein Fechtbund gegründet, mit Aufnahmebedingungen ent: sprechend der SS und mit Einberufungen zu einem Schulungskurs. Vorläufiges Ziel dieser vom deutschen Sicherheitsdienst organisierten und von ihm so bezeichneten «illegalen SS» war ein «rassisch» auserlesenes Kader, verbunden mit der Absicht, die Teilnehmer unter der Tarnung von Sport- und Fechtveranstaltungen ins Beich einzuladen und die führenden «Kameraden» dem Beichsführer-SS Himmler vorzustellen. Den hierüber vom Chef der Sicher-

1010 heitspolizei und des Sicherheitsdienstes Heydrich an Himmler erstatteten Bericht vom 5. April 1941 verfasste Eiedweg.

4. Im Mai 1941 kehrte Keller von seinem Deutschlandaufenthalt in die Schweiz zurück. Die Denkschrift enthält folgende Darstellung seiner Bestrebungen: «Nach seiner Eückkehr in, die Schweiz im Mai 1941 versuchte Kd. Keller in die politische Situation, die während seiner Abwesenheit einem schlimmen Chaos verfallen war, wieder Ordnung und eine klare Zielsetzung zu bringen. 'Ganz systematisch bemühte er sich um die Aufstellung von Elitekaders auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft (Verwaltung, Gerichte, kulturelle Einrichtungen, Presse, Militär und der Erneuerungsbewegung selbst), damit die schweizerischen Nationalsozialisten wirklich in der Lage sind zu handeln, sobald die Zeit dazu reif ist.» War darnach, wie es weiter heisst, auch nach dem Verbot der NBS für die schweizerische Erneuerung eine «günstige Ausgangsstellung» geschaffen und befand sie sich weiterhin im «Stadium des Aufbaues», so bereitete die planmassige Aktion der Bundespolizei und der kantonalen Polizeien vom 10. Juni 1941 dieser Inlandstätigkeit das unwiderrufliche Ende. Ein Konferenzprogramm des SS-Hauptamtes vom August 1944, für den Zusammenschluss der nationalsozialistischen Schweizerbünde in Deutschland, hält eingangs fest,: «Politische Aktivität der Schweizer Erneuerungsgruppen 1941 von der Schweiz nach Deutschland verlagert.» -- Erwiesen ist ferner, dass die Originalanmeldungen der NBS bei der Germanischen Leitstelle des SS-Hauptamtes lagen.

5. Der NBS war es zwar im Oktober 1940 gelungen, die ESAP und den BTE, ferner .die Gruppen der Westschweiz «aufzufangen», aber den Plan einer nationalsozialistischen Einheitspartei in- der Schweiz vermochte sie nicht gänzlich zu verwirklichen. Abseits blieb die im Juni 1940 unter der Führung von Dr. Bobert Tobler in Zürich gegründete Eidgenössische Sammlung (ES), ebenso die im Juli 1940 unter der Leitung von Carl Meyer in Schaffhausen entstandene Nationale Gemeinschaft. Die Denkschrift Keller-Maag bezichtigt die «Konkurrenzunternehmung» der ES, sie habe die Bestrebungen der NBS zur Sammlung sabotiert, in Weiterführung des Frontismus. (Näheres über diese beiden im Jahre 1943 durch Bimdesratsbeschluss aufgelösten Gruppen bereits im Bericht des
Bundesrates vom 28. Dezember 1945, a. a. 0. 59/60, 69, 74--76).

6. Als eine «andere schwere Belastung» für die NBS bezeichnet die Denkschrift die Tätigkeit von Franz Burri und Ernst Leonhardt, die mit «ungeschickten Aktionen» vom Eeich aus in die schweizerische Politik einzugreifen versucht hätten. Leonhardt hatte seinen sogenannten Volksbund, die Nationalsozialistische Schweizerische Arbeiterpartei (NSSAP) im Dezember 1938 aufgelöst und an ihrer Stelle drei Gesellschaften gegründet, von denen namentlich die, durch Bundesratsbeschluss vom 8. November 1940 aufgelöste, Schweizerische Gesellschaft der Freunde einer Autoritären Demokratie (SGAD) nichts anderes als eine getarnte Fortsetzung des Volksbundes war. Leonhardt erklärt dies selbst in seiner gemeinsam mit Emil Eeiffer von Frankfurt a. M. zu Ostern

101L 1941 an, Hitler,. Himmler und eine Reihe deutscher Amtsstellen übergebenen Denkschrift, betitelt: «Denkschrift über die Gründe der gegenwärtigen Reichsfeindschaft der Schweiz, über die. völkisch-sozialistischen Erneuerungsbewegungen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Kritik an gegenwärtigen Bestrebungen, dieses Ziel zu erreichen, und Vorschlag für den gangbarsten Weg zu einer dauernden Gewinnung der Schweizer Bevölkerung im Sinne dieser völkischsozialistischen Erneuerung.» Leonhardt behandelt darin u. a. auch die Vorgänge in der Brneuerungsbewegung des Jahres 1940, dies in einer der NB S durchgängig ieindlichen Darstellung, und mit der eindeutigen Absicht, den deutschen Stellen seinen Arolksbund als die einzige nationalsozialistische Bewegung der Schweiz von Erfolg mundgerecht zu machen. Dass die Schweiz im Zug der Neuordnung Europas einen Bestandteil des Grossdeutschen Reiches werden müsse, ' bezeichnet die Denkschrift als Selbstverständlichkeit. An Massnahmen zu diesem Ziel schlugen Leonhardt und Reiffer, nebst anderem, eine Organisierung der nationalsozialistischen Partei in der Schweiz unter der Oberleitung Burris vor. Die beiden Unterzeichner der Denkschrift waren sich darüber im klaren, dass eine Verwirklichung ihrer Vorschläge «ohne Hilfe des Grossdeutschen Reiches unmöglich» sei, an welche: Hilfe sie ausdrücklich appellierten. .(Näheres über den Volksbund und die SGAD bereits im Bericht des Bundesrates vom 28. Dezember 1945, a. a. 0. 19, 27/28, 54--56, 61/62, 71/72.)

m. Die Bemühungen deutscher Amtsstellen 1. Schon in den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg hatten die deutschen Behörden ein wachsames Auge auf die Vorgänge in der Schweiz. Ein starkes Interesse bestand namentlich für alles, was sich Erneuerungsbewegung nannte.

Die obersten Stellen in Berlin wollten über die politische Lage in der Schweiz und in der Erneuerungsbewegung orientiert sein. Auf Grund des ermittelten Gesamtbildes wurden umfassende Lageberichte vorgelegt, u. a. über die Aktivität aller politischen Parteien, von der Erneuerungsbewegung bis zu den Kommunisten. Für die «lebensgebietsmässige Erfassung» kam totalitär alles in Betracht, nach dem Grundsatz: Es gibt nichts, was nicht interessiert! In Stuttgart war dies in den Vorkriegsjahren Aufgabe einer nach ihrem 'Leiter als «Büro Dr. Peter» bezeichneten Amtsstelle,
die im Jahre 1939 den Namen Alemannischer Arbeitskreis (AAK) annahm. Dr. Peter war bis März 1940 als Angehöriger der SS gleichzeitig Leiter des Referates VI im SicherheitsdienstLeitabschnitt Stuttgart. Für kurze Zeit wurde Nachfolger sein bisheriger Vertreter Dr. Gutekunst, dem von August 1940 bis Ende März 1943, mit nur wenigen. Unterbrechungen, Dr. Klaus Huegel, zuletzt SS-Sturmbannführer, nachfolgte. Hernach, vom April Ì943 bis Februar 1944, war Huegel «SchweizReferent» im Amt VI des :Reichssicherheits-Hauptamtes (RSHA) in Berlin und zugleich Stellvertreter des dortigen Gruppenleiters VI B Eugen Steimle.

Ausserdem behielt Huegel die Leitung des AAK Stuttgart bei. wo nunmehr bis Kriegsende Dr. Gerhard Hess die Geschäfte als sein Vertreter und späterer

1012 Nachfolger weitgehend führte. Hess war zugleich dem Eeferat VI des Sicherheitsdienstes zugeteilt. In seiner vielgestaltigen Eigenschaft hatte Huegel, wie er zu Protokoll gab, Einblick in die gesamte die Schweiz behandelnde Arbeit des Amtes VI ESHA, mit Ausnahme der eigenen Linien des Amtschefs SSBrigadeführer Schellenberg, der das Amt VI seit Herbst 1941 leitete. Der AAK erhielt seine Aufträge namentlich vom Propagandaministerium und vom Auswärtigen Amt, während das Eeferat VI des Leitabschnittes dem Amt VI ESHA unterstand.

Bereits Dr. Peter stand mit schweizerischen Nationalsozialisten in engster Verbindung, und bei seinen mit dem Jahr 1936 zunehmenden Dienstreisen, ab 1938 mindestens einmal im Monat, kam er jeweils mit den Führern der Erneuerungsbewegung zusammen. Was ihm im Augenblick dringlich schien, wurde besprochen, so z. B. 1938 die Nachfolge'in der Landesführung der Nationalen Front. Peter kannte schon vor dem Krieg sozusagen jeden, der in der Erneuerung, einen Namen hatte, und mit fast allen stand er auf Du. Nach Stuttgarter Auffassung erstrebte die Erneuerungsbewegung der Vorkriegszeit eine nationalsozialistische Schweiz, mit gewahrter Selbständigkeit, aber eindeutig auf Deutschland ausgerichtetem Kurs, jedoch noch ohne Anschlussabsichten, die damals auch deutscherseits nicht bestanden hätten. Es sei, hiess es, eine Frage geschickter Politik -- der Erneuerungsbewegung und Deutschlands in übereinstimmender Marschrichtung --, die nationalsozialistische Schweiz durch einen Systemwechsel verfassungsmässig herbeizuführen. Der Sicherheitsdienst Stuttgart freilich hielt dies, wie Huegel aussagte, ohne deutschen Druck und demgemässe Einmischung für gänzlich ausgeschlossen.

2. Mit dem zweiten Weltkrieg, nach dem Zusammenbruch Frankreichs und der zunehmenden Aktivität der schweizerischen Erneuerer im Sommer 1940, bemühten sich die deutschen Behörden mehr und mehr um die Erneuerungsbewegung, in der sie ein Mittel sahen, ihre Vorherrschaft über den Kontinent im geeigneten Zeitpunkt auch gegenüber der neutralen und auf Erhaltung ihrer Unabhängigkeit bedachten Schweiz durchzusetzen. Soweit die Vorgänge abgeklärt sind, handelte es sich vornehmlich darum, in der Schweiz die NB S zu stärken und im Eeich die nationalsozialistischen Schweizer zu sammeln, zu schulen und zum willigen Instrument
deutscher Führung zu machen.

Im Herbst 1940 befassten sich deutsche Amtsstellen, Presse und Öffentlichkeit allgemein mit dem «Problem Schweiz», nicht zuletzt aus dem Machtrausch der damaligen Kriegserfolge. Vom deutschen Standpunkt aus gesehen, erwies sich die Aktivität der schweizerischen Erneuerungsbewegung besonders in der Gründung der NBS. Huegel sagte aus, die Aktivität der führenden Leute der NB S, in ihrer Verbindungnahme mit amtlichen deutschen Stellen, hätte naturgemäss wiederum das deutsche Interesse verstärkt, so dass hier eine eigentliche Wechselwirkung bestand. In amtlichen Besprechungen wurde festgelegt, dass die Beobachtung der Erneuerungsbewegung, nachrichtendienstliche Aufgabe sei, da sich eine Eeihe von Berliner Eeichsstellen mit ihren politischen Bestrebungen befasse.

1013 8. Der Geschäftskreis des Amtes VI BSHA und des ihm unterstellten Stuttgarter Beferates VI ist heute bekannt, und besonders trifft dies in allen Einzelheiten zu für den Alemannischen Arbeitskreis, vornehmlich seit Anfang 1941. Grundlegend sind die Aussagen des Zeugen Hess, nachdem schon vorher ein SS-Mann und, hierin äusserst widerwillig, Huegel sehr beachtlich ausgesagt hatten.

a. Die Aufgabe des Amtes VI BSHA war die Beschaffung politischer und wirtschaftlicher Nachrichten aus dem Ausland. Im Laufe des Krieges gewann das Amt VI auf Grund der zunehmenden Machtstellung Himmlers und als Folge der Amtsführung Schellenbergs mehr und mehr an Bedeutung. Das Schweiz-Beferat galt jedoch als Sorgenkind des Amtes; denn es unterlag einem häufigen Beferentenwechsel, und zudem gelang es nie, in der Schweiz eine ähnliche Zahl sog. fester Positionen zu errichten wie anderwärts. Für die Tätigkeit des Amtes VI gegen die Schweiz ist festgestellt, dass bis zum Sommer 1941 mit den Leuten der Erneuerung, aus der Schweiz und in Deutschland, Nachrichtendienst betrieben wurde, wobei eines der Hauptziele die Berichterstattung über die Erneuerungsbewegung selbst 'war.

Im SD Stuttgart fand im Oktober 1940 unter der Leitung des Inspektors der Sicherheitspolizei, Dr. Scheel, eine Besprechung über das «Problem Schweiz» statt, das damals für das Beich vornehmlich als Wirtschafts- und Verkehrsproblem bezeichnet wurde. Scheel befahl die einheitliche Ausrichtung des politischen Nachrichtendienstes in seinen Dienstbereichen, mit dem Beferat VI Stuttgart als Zentralstelle, in Zusammenarbeit mit dem A AK. Im November oder Dezember 1940 folgte eine ähnliche Besprechung bei Gauleiter Murr, der sich fortan über die Schweizer Frage anhand der Lageberichte des SD und des AAK auf dem laufenden hielt.

b. Über den Geschäftskreis des Alemannischen Arbeitskreises konnte sich die Bundespolizei erstmals Aussagen im September 1945 beschaffen. Ein im Juni 1942 dem Beferat VI zugeteilter SS-Mann, der hauptsächlich Karteiarbeiten besorgt hatte, sagte laut Vernehmungsprotokoll über den AAK folgendes aus: Seine ausschliesslich gegen die Schweiz gerichtete Tätigkeit bestand darin, die Schweiz in militärischer, wirtschaftlicher, politischer, kultureller und religiöser Hinsicht auszukundschaften, sich anhand der Schweizer Presse zu orientieren,
vertraute Personen, die nach der Schweiz reisten, mit Aufträgen zu versehen und illegal nach Deutschland eingereiste Schweizer einzuvernehmen. Hinzu kamen die Meldungen der Agenten des, SD in den Aussenstellen. Der AAK führte drei verschiedene Karteien, die ' Sammelkartei, die Kantonskartei und die Parteienkartei. Diese waren derart ausgearbeitet, dass sie bei einer Besetzung der Schweiz sofort hätten transferiert werden können.

Huegel, dem diese Aussagen vorgehalten wurden, bestätigte sie vor dem Bundesstrafgericht. Darnach bestanden im AAK umfassende Sammel- und Kantonskarteien über die Parteien in der Schweiz, über Politiker, so alle Nationalräte, über namhafte Schweizer, über Freimaurer, Juden usw., bestimmt zur totalitären Ausforschung der Schweiz und zu naheliegender Verwendung.

Bundesblatt.

100. Jahrg.

Bd. III.

70

1014 Die Bedeutung dieser Angaben und das Aufhorchen des Schweizer Volkes Hessen es als augezeigt erachten, dass die Bundespolizei auch den Amtsnachfolger Dr. Gerhard Hess einvernahm, was im September 1947 geschah, worauf Hess im Dezember 1947 vor dem Bundesstrafgericht als Zeuge mit grösster Genauigkeit aussagte. Anfangs 1941 hatte Scheel verfügt, dass die Arbeit des SD Stuttgart im Hinblick auf einen etwaigen Einmarsch in die Schweiz auszubauen sei. Huegel erhielt den Befehl, das Beferat VI, einschliesslich des AAK, als Dokumentenzentrale einzurichten. Ein Archiv, das bis etwa 1936 zurückreichte, bestand bereits, ebenso eine kleinere Kartei über Eeichsfreunde und Eeichsgegner. Beides wurde planmässig erweitert mit Hilfe der Gestapo, ihres Materials und Erstellung eines geheimen Aktenplanes über die «Lebensgebiete» der Schweiz, aufgeteilt in sechs Bubriken, die der Zeuge Hess in ihrer polizeitechnischen Zusammensetzung des genauesten geschildert hat. Anfangs bestanden rund 1000 Karten, die sich mit solchen der Gestapo auf etwa 8000 und bis Kriegsende auf rund 15 000 erhöhten. Die Kartei stützte sich vorab auf schweizerische Veröffentlichungen, besonders die Schweizer Presse, ferner auf Material, das in grossem Umfang zur Hauptsache entweder von der Gestapo stammte oder beim SD einlief. Die aus der Schweizer Presse alle vier Wochen, manchmal alle acht Tage, erstellten Lageberichte gaben einen Querschnitt durch das politische Leben in der Schweiz. Sie gingen an das Propagandaministerium, wenn nötig in Durchschrift an das BSHA. Grundlage für die Kartei waren die Personalakten, am Schluss über 1800 Dossiers, und die Vertrauensleute waren angewiesen, ihre Meldungen darnach einzurichten, z. B.

Adress- und Telephonbücher, die Neue Schweizerbiographie, das Schweizerische Eagionenbuch zu beschaffen, was geschah. Karteien und Eegistratur waren so geordnet, dass für jeden Kanton und den dort bei einem Einmarsch eingesetzten Kommandanten die Dokumentation beisammen war. Zunächst wurde eine alphabetisch geordnete Zentralkartei angelegt, ferner eine zweite Kartei nach dem Wohnsitz im Kanton, weiter eine dritte innerhalb des Kantons nach sachlichen Gesichtspunkten, so dass ein einzelner bis zu fünf Karten hatte.

Die Karten über die «Beichsfeinde» trugen einen roten Eeiter, der auf dem Leitplan mit «sofort zu
verhaften» erläutert war. Karteien und Eegistratur wurden bis Kriegsende weitergeführt, verloren aber an Bedeutung mit dem für Hitlerdeutschland ungünstigen Kriegsverlauf sowie dem. Wegfall einer sofortigen Einmarschabsicht. Bei seinen Befehlen von Anfang 1941 zu den Karteiarbeiten hatte Scheel eine Frist von drei Monaten angesetzt, in welcher namentlich die Eeichsfreunde und Eeichsfeinde, die im Bund und in den Kantonen, in den Eegierungen und Parlamenten hervortretenden Politiker und die Politiker der grösseren Gemeinden zu vermerken waren.

Das -Bundesstrafgericht erklärt vom Geschäftskreis des AAK, die Amtsstelle habe durch Ausforschung der Schweiz und Fühlungnahme mit den schweizerischen Nationalsozialisten die Einordnung der Schweiz in ein von Deutschland zu errichtendes und zu führendes Grossgermanisches B eich vorbereitet.

lòia e. Mit einigen Vertrauensleuten des SD oder dos AAK befassen sich auch die Urteile des Bundesstrafgerichtes. Einmal lieferte Stadier dem Beferat VI Nachrichten. Er besuchte im Februar 1948 Huegel in Wirtschaftsangelegenheiten und gab ihm bei dieser Gelegenheit Auskunft über die politischen Verhältnisse in der Schweiz, besonders über die rechtsextremen Bewegungen, über linksgerichtete Organisationen und alle Parteien. Ferner äusserte sich Stadier über die NBS, die Meinungsverschiedenheiten im Führerkreis und über die einzelnen Erneuerer. Zu den namhaften Vertrauensmännern des Eeferates VI gehörte Schäppi, der beispielsweise bis im März 1941 getarnt als Beisevertreter von Stuttgart in die Schweiz fuhr, sich vorher die Aufgaben des SD erklären liess und über seine Wahrnehmungen berichtete. Frei war sogar in einem deutschen Kurs als Nachrichtenagent ausgebildet worden und arbeitete von 1939 bis 1942 für den deutschen Nachrichtendienst. Burri leistete dem politischen Nachrichtendienst Vorschub, indem er Kaufmann ermächtigte, für den SD tätig zu werden, was Kaufmann für das Eeferat VI als fest besoldeter Agent vorn Sommer 1943 bis Frühjahr 1945 besorgte. Ein langjähriger Vertrauensmann des SD und des AAK war ten Brink, der in Eielasingen wohnte. Ten Brink verkehrte schon mit Peter und Gutekunst, wurde mit Huegel bekannt und nahm mit Hess nachriöhtendienstliche Verbindung auf, die bis im März 1945 andauerte.

Hervorzuheben ist, dass ten Briuk die nach Eücksprache Dr. Toblers mit dem Propagandaministerium .und mit Huegel in der Zeit vom Juni 1941 bis April 1943 erlangten Unterstützungsgelder von Fr. 10 600 für die Zeitungen «Die Front» und «Der Grenzbote» gegen Quittung bezog und der Grenzpolizei Singen zuleitete, von wo sie durch Dritte in die Schweiz geschmuggelt wurden. Als Nachrichtenquelle benutzte ten Brink im wesentlichen Karl Meyer in Schaffhausen, den er im Jahre 1941 mit Huegel bekanntgemacht hatte. Von da an folgten sich die Zusammenkünfte in Büsingen, mit Berichtabgabe über schweizerische Verhältnisse, was sich besonders im Jahre 1944 in Zusammenkünften mit Hess, ferner mit Benz vom SSHA und anderen verstärkte und zuspitzte.

Damals erklärte .sich Meyer bereit, mit finanzieller Unterstützung für deutsche Dienststellen gegen die Schweiz nach bestimmten Aufträgen zu arbeiten. Die Beweis
bildenden Dokumente über diese Zusammenkünfte und Verhandlungen stammen aus dem SS-Hauptamt. Der Zeuge Hess hat die Vorgänge eindeutig bestätigt.

.

Von diesen Vertrauensleuten war Barwirsch der wichtigste. Ursprünglich Österreicher, 1931 eingebürgert, von 1929 an Eechtsanwalt in Davos, ist Barwirsch im Frühjahr 1939 durch den Wiener Eechtsanwalt Dr. Ernst Hoffmann mit Dr. Arthur Seyss-Inquart zusammengeführt worden. Dieser hatte die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Eeich in die Wege geleitet, war damals Eeichsstatthalter in Wien, wurde im Herbst 1939 stellvertretender Eeichsgouverneur des unterworfenen Polen und im Sommer 1940 Beichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete. Vom Frühjahr 1939 an blieben die drei miteinander in Verbindung. Barwirsch besuchte Seyss-Inquart mehrmals, ferner verfasste er Denkschriften und Berichte, die für ihn bestimmt

1016 waren. Eine Anzahl davon übergaben nach der Niederwerfung Deutschlands die amerikanischen Besetzungsbehörden im November 1945 der Buudespolizei.

In einem Teil dieser Schriften machte Barwirsch unwahre und entstellende Meldungen über die politische, militärische und wirtschaftliche Lage der Schweiz. Er verhöhnte die demokratische Staatsform, die Neutralität und die geistige und militärische Landesverteidigung der Schweiz. Er redete den schweizerischen Behörden und der Armee ein neutralitätswidriges Verhalten nach und behauptete, die deutschgesinnten Schweizer und die Beichsdeutschen in der Schweiz würden hier unterdrückt, das Land sei dem Eeiche feindselig gesinnt und dulde Beleidigungen des Eeichskanzlers. Durch solche Ausfälle hetzte er die deutsche Eegierung gegen die Schweiz auf. Er sprach von einer Verpflichtung des deutschen Stammes in der Schweiz zur Eückkehr in das Eeich, stellte die Schweiz als anschlussreif und anschlussbereit, hin, forderte die deutsche Eegierung zu einer Einmischung in die Angelegenheiten der Eidgenossenschaft und zur Eingliederung der Schweiz in das Grossdeutsche Eeich auf und machte für ein solches Vorgehen bestimmte Vorschläge. Barwirach wurde auch ein Vertrauensmann Kaltenbrunners, den er wiederholt aufsuchte.

Noch anfangs 1944 fand im Amtsraum Schellenbergs eine Unterredung zwischen Barwirsch, Hoffmann und Schellenberg statt. Mit diesen und anderen Unterredungen verfolgte Barwirsch den gleichen Zweck wie mit den Schriften, die er Seyss-Inquart und Kaltenbrunner zukommen liess.

Der Bundesanwaltschaft ist im April 1948 ein Brief des ESHA, Amt VI, vom 19. September 1942, zur Verfügung gestellt worden, unterschrieben von Schellenberg und gerichtet.an den persönlichen, Stab : des Eeichsführers SS.

Schellenberg verdankt darin einen Bericht über die Schweiz : «Die Ausführungen gehören bestimmt zum Lebendigsten, was Dr. Barwirsch bis jetzt geschrieben hat. Da sie immerhin schon älteren Datums sind (Januar 1941), habe ich den Anlass wahrgenommen, vom Schweiz-Beferat einen Bericht in ähnlicher Form zuhanden des Eeichsführers-SS erstellen zu lassen.» Vorher schon, am 9. Juli 1942, hatte sich das SSHA zum Bericht Barwirschs geäussert. Das von Biedweg verfasste und unterzeichnete Schreiben besägt u. a.: «Ich habe die Schrift über die Schweiz sorgfältig studiert und bin
zur Auffassung gelangt, dass sie einen der besten Berichte darstellt und grosse Sachkenntnis . bezeugt. Auch die PersonaIkenntnisse des : Verfassers sind sehr eingehend und zutreffend.

Ich kann im wesentlichen allen von ihm dargelegten Gesichtspunkten nur zustimmen.» Diese Begutachtungen durch Eiedweg und Schellenberg erweisen, dass die von Barwirsch stammenden Denkschriften und Berichte in den Eeichss'tellen der SS,.im ESHA und SSHA, bekannt waren, beachtet wurden und Zustimmung fanden, was ihre Gefährlichkeit für die Unabhängigkeit der Schweiz erneut bestätigt.

, 4. Neben die nachrichtendienstliche Bearbeitung der Schweiz durch den deutschen Sicherheitsdienst und darüber weit hinausgehend traten die Bemühungen der deutschen Amtsstellen um die schweizerische Erneuerungsbewegung. Als sich Huegel nach seiner Ämterübernahme in Stuttgart, im Herbst

1017 1940, erstmals dienstlich nach Berlin begab, wurde ihm sofort eröffnet, dass das Problem der Erneuerungsbewegung «im Vordergrund des Interesses stünde, und zwar bei allen beteiligten Beichsressorts». Auf Grund der Stuttgarter Akten hatte er für das Amt VI ESHA, das Propagandaministerium und Auswärtige Amt ausführlich zu berichten, was unter dem Titel «Die schweizerische Erneuerungsbewegung im Jahre 1940» geschah, mit Angaben über die führenden Leute, ihre Politik und vor allem die zahlenmässige Stärke. Ferner wurde ihm mitgeteilt, dass die verschiedenen Gruppen vermutlich von sich aus den Weg zu einer einigenden Aussprache nicht finden würden, weshalb diese von deutscher Seite in die Wege zu leiten sei, jedoch aus Prestigegründen möglichst unverbindlich und nicht von einer Berliner Zentrale aus.

Mittelpunkt der deutschen Bemühungen wurde mit der zweiten Jahreshälfte 1940 das SS-Hauptamt Berlin und seine erst noch im Aufbau begriffene, nachmalige Germanische Leitstelle, unter Eiedweg, damals SS-Hauptsturmführer. Eiedweg war auf Befehl Himmlers seit September 1940 für zunächst sechs Monate zum SD-Hauptamt (ESHA) abkommandiert, wo er zu seiner Instruktion informatorisch tätig war. Damit gewann Eiedweg als gegebener «Ansatzpunkt», in seiner starken Stellung Einfluss auf das Amt VI und das AA.

Eiedweg war in der «Schweizer Frage» um die Zusammenarbeit der deutschen Stellen bemüht, ;was ihm einigerrnassen gelang. In Betracht kamen das SSHauptamt, die Ämter IV (Gestapo) und VI (Auslandsnachrichtendienst) des ESHA, das Auswärtige Amt, das Propagandaministerium, der Volksbund für das Deutschtum im Ausland und die Volksdeutsche Mittelstelle.

5. Als erstes sollten die Erneuerungsgruppen in der Schweiz und im Eeich koordiniert und die bestehenden Gegensätze behoben werden, was zunächst in der sog. Münchner Konferenz vom 10. Oktober 1940 versucht wurde.

a. Die Vorgeschichte dieser Besprechung ist vielleicht nicht eindeutig ermittelt, jedoch sind die Zielsetzung und der Verlauf der von deutschen Amtsstellen einberufenen und geleiteten Konferenz in allen wesentlichen Punkten erwiesen. Unter den schweizerischen Erneuerern im Eeich trat seit langem; besonders aber 1940, Franz Burri mit Führungsansprüchen hervor. Burri, der im Sommer 1940 den Anstoss zur Gründung des ersten Bundes der Schweizer in
Grossdeutschland (BSG) gab und diesen führte, wollte seine Führerstellung sichern und suchte den Weg zu anderweitigen Erneuerern, so zu Oehler, als Gesinnungsfreund Zanders, Obmann des BTE, und namentlich zu dem in den Vordergrund gerückten, ihm entgegenstehenden Keller von der NB S. Alle sollten «unter einen Hut», nämlich unter die Führung Burris, gebracht werden.

Burri äusserte deshalb über seinen Gewährsmann, Legationsrat Triska im AA, den Wunsch, von einem Deutschlandbesuch der Genannten zur Anbahnung einer Aussprache verständigt zu werden. Das AA griff diesen Gedanken auf, und in der Folge wurde er von Huegel verwirklicht. Inzwischen war dieser bereits von den Berliner Stellen angegangen worden, die verschiedenen Erneuerer zusammenzubringen. Nach seinen Vorsprachen im Amt VI ESHA, beim Schweiz-Eeferenten Bunsen und bei Eiedweg, ferner besonders auch im

1018 AA, Abteilung Deutschland (D III), bei Legationsrat Bademacher, wurde Huegel beauftragt und mit Instruktionen versehen. Auftraggeber war, was Huegel in allen Aussagen des bestimmtesten erklärt hat, Eiedweg, der überdies Keller zur Teilnahme veranlasste. Keller seinerseits brachte von Berlin Oehler mit. Die andern. Teilnehmer bot Huegel auf, so dass am 10. Oktober 1940 in München anwesend waren: Deutscherseits Huegel als Konferenzleiter, ausserdem zwei Angehörige des A AK, ferner ein Eeferent des AA.und Ashtpn vom Deutschen Generalkonsulat Zürich. An Schweizern trafen ein: Keller, Oehler.

Schäppi, Leonhardt und Burri. Keller erschien für die NBS, Oehler desgleichen und zugleich als Freund Zanders, vom ETE. Schäppi nahm für den BTE teil.

Leonhardt vertrat seinen Volksbund bzw. die SGAD, Burri seine eigene Eichtung und den B S G.

b. Für das deutsche Konferenzziel war die in Berlin gefestigte Einstellung bestimmend, dass die NBS als Einheitspartei überhaupt nicht zur Diskussion stehen dürfe, sondern ein Zusarnmenschluss der · anderen Gruppen und ein Aufgehen in der NBS zu erfolgen habe. Zur NBS in Gegensatz standen vorab Burri und Leonhardt, beide damals eng verbunden. Die Burri/LeonhardtGruppe und die Zander-Gruppe, als die zwei entferntesten Eandgruppen, sollten in die NBS hineingebracht und auf dieselbe Linie abgestimmt werden.

Persönlich gestaltete sich der Gruppengegensatz zu einem Eingen zwischen Burri und Keller um die Führerschaft. Burri wollte Keller ausschalten und durch den ihm genehmen Zander ersetzen. Keller aber wusste sich durch den Empfang bei Eeichsminister Hess gestärkt, war der Mann Biedwegs und hatte die deutschen Stellen hinter sich. Burri wurde regelrecht überrumpelt und «abgehalftert», so dass der Führerstreit damals und hernach alle Jahre hindurch in der Schwebe blieb. Um einem endgültigen Verhandlungsabbruch vorzubeugen, verfasste der in die Abwehr gedrängte Burri während einer Pause seine «Grundlagen» zum nachmaligen Organisationsstatut, welche verlesen und von den ani Schluss noch Anwesenden durch Unterschrift bestätigt wurden.

Sie lauten: «1. Wir sind uns darüber einig, dass in der Schweiz in Zukunft nur noch eine Organisation, und zwar die «Nationale Bewegung der Schweiz», tätig sein kann: 2. Zu diesem Zwecke lösen sich die bestehenden Gruppen: a. Bund treuer
Eidgenossen (BTE), b. Volksbund -- Nationalsozialistische Schweizerische Arbeiter-Partei, c. Eidgenössische Soziale Arbeiter-Partei (E S AP) auf und gliedern sich in die «Nationale Bewegung der Schweiz» (NBS) ein, sobald das Führungsproblem zu allgemeiner Befriedigung gelöst ist.

3. Entsprechende Aussprachen sollen das Führungsproblem lösen.» c. Der nähere Konferenzverlauf ist in den Bundesstrafverfahren Gegenstand einlässlicher Befragungen gewesen, und die Urteile halten das Tatbeständliche fest. Zur Verfügung standen 'die Zeugenaussagen Huegels, ferner die Aus-

:

1019

sagen der Angeklagten Oehler, 'Schäppi, Burri und Keller. Das Urteil des Bundesstrafgerichtes i. S. Keller vom 3. Juli 1948 enthält folgende Zusammenfassung: «Dr. Huegel teilte den Anwesenden zu Beginn der Konferenz die Wünsche der deutschen Amtsstellen mit. Er führte aus, von deutscher Seite habe man kein Interesse am Streite unter den verschiedenen Erneuerungsbewegungen; man wünsche, dass sie alle in der NBS aufgingen. Auch Dr. Ashton ergriff einleitend das Wort. Nachher entspann sich eine lebhafte Diskussion, in der auch Keller das Wort ergriff. Burri, von Lèonhardt unterstützt, trat gegen die deutschen Vorschläge und die NBS auf. Er beanspruchte hartnäckig die Führung über sämtliche Erneuerer im Eeich und in der Schweiz und machte schliesslich bloss die Einschränkung, dass er nach aussen nicht notwendig als Führer in Erscheinung zu treten brauche, aber tatsächlich doch das entscheidende Wort haben wolle. An der kurzen Nachmittagssitzung, an welcher Oehler nicht mehr teilnahm, kam man grundsätzlich überein, den BTE, die NSSAP und die ESAP in die NBS einzuordnen und die Frage, wer diese führen solle, offen zu lassen. Diese Abmachung, die Burri während der Konferenz schriftlich niederlegte und von den schweizerischen Teilnehmern, Keller Inbegriffen; mitunterzeichnen liess, sollte die Grundlage für weitere Einigungsversuche sein.» '·-..'

d. In rechtlicher Beziehung war die von deutschen Amtsstellen einberufene und geleitete sog. Münchner Konferenz vom 10. Oktober, 1940 eine schwere Einmischung Hitlerdeutschlands in die Angelegenheiten der Eidgenossenschaft; weshalb die teilnehmenden Schweizer wegen Gefährdung der Unabhängigkeit auf Grund von Artikel 266, Ziffer l, des schweizerischen Strafgesetzbuches verurteilt worden sind.

e. Nach der Konferenz arbeitete Burri anhand der gutgeheissenen Grundlagen sein «Organisationsstatut» aus. Er sah die NBS als legale Sammelorganisation in- der Schweiz vor, daneben als Schutzstaffel 'der Partei eine illegale Organisation in der Schweiz, und im Reich den Bund der Schweizer in Grossdeutschland. Alle drei sollten zusammen die nach aussen verheimlichte nationalsozialistische Arbeiterpartei bilden und einer Gesamtleitung unterstehen, an deren Spitze sich Burri stellen wollte. Ihre Aktionen hätten sich nach einem Programm richten sollen, das unter anderem die
Machtergreifung im Staate vorsah. Das Statut führte jedoch zu keinen weiteren Einigungsverhandlungen und noch weniger zu einem Ergebnis, dagegen war es Anlass zu einem auffälligen Nachspiel, in das Stadier verwickelt wurde.

/. Stadier hatte im Namen Leonhardts schon Ende September 1940 versucht, Zander zur Ausreise nach Deutschland und zu Verhandlungen mit Burri zu bewegen. Im Oktober wollte Stadier verhindern, dass die Zander-Gruppe des BTE in die NBS aufgehe, doch erfuhr er zu spät davon und konnte an der am : 22. Oktober 1940 bereits erfolgten Verschmelzung des BTE und der ESAP mit der NBS, die eine unmittelbare Auswirkung der Münchner Konferenz war, nichts mehr ändern. Stadier besprach sich damals in Zürich mit Zander, warnte

1020 ihn vor Keller, und übernahm es, Leonhardt die Überführung seiner Gruppe (Volksbund bzw. SGAD) in die NBS und ein Loyalitätsabkommen vorzuschlagen, wonach Leonhardt in der Schweiz nichts mehr unternehmen, sondern sich auf die Sammlung von Schweizern in Deutschland beschränken solle, wogegen die NBS im Beich keine Mitglieder werben würde. Streitigkeiten sollte Huegel als Schiedsrichter entscheiden. Stadier suchte Leonhardt in Frankfurt a. M. auf und unterrichtete ihn. Dieser seinerseits erzählte Stadier Näheres über die Münchner Konferenz und erklärte, dass er seine Gruppe erst in die NBS überführe, wenn Burri als oberster Leiter anerkannt sei. Tags darauf erhielt Stadier eine Abschrift des Organisationsstatutes, die er am 28. Oktober 1940 über die Grenze schmuggelte und in Zürich abredegemäss an Zander übergab. Hierauf besprach sich Zander mit Keller, jedoch ohne Erfolg, und als er Stadier bat, mit Keller selbst zu sprechen, kam es zwischen diesen zu einem schweren Zusammenstoss. Das Bundesstrafgericht stellt. hierzu fest: «Keller machte Stadier heftige Vorwürfe über sein Verhalten, gab sich als der vom Deutschen Beich zur Führung der schweizerischen Nationalsozialisten anerkannte Mann aus und betonte, dass hinter ihm, Keller, und nur hinter ihm die Deutsche Gesandtschaft stehe; von ihm, Keller, habe man verlangt, dass er dem Bundespräsidenten die Forderungen der NBS vorbringe; er Sei der Mann, der von allen massgebenden deutschen Stellen empfangen worden sei; er verbitte sich, dass seine Arbeit von Stadier weiter gestört werde; er werde sich bei der Deutschen Gesandtschaft über dessen Tätigkeit und die Intervention Leonhardts beklagen und dafür sorgen, dass sie ein Ende nehme.

Auf den Einwand Stadiers, er, Stadier, handle nach seinem Gewissen, antwortete Keller : Sie werden dann schon sehen, nach was sie zu handeln haben. » Anlässlich einer weiteren Auslandsreise begab sich Stadier erneut zu Leonhardt und erstattete ihm über die Haltung Zanders und Kellers Bericht. Stadier selbst blieb in der Folge auf der Seite Leonhardts. Seine Entfernung von Keller begründete er damit, dass er diesen vollständig in den Händen deutscher Stellen gesehen habe.

Das Organisationsstatut kam den schweizerischen Behörden erst zur Kenntnis, als es im Jahre 1945 bei einer Hausdurchsuchung im besetzten Deutschland
aufgestöbert und mit einem Briefwechsel Huegel-Leonhardt zur Verfügung gestellt wurde. Die deutschen Stellen hinwiederum hatten im Jahre 1940 von den Vorgängen mit dem Statut unverzüglich Kenntnis erhalten und wähnten, dass auch die Bundesbehörden bereits auf dem laufenden seien, was aber nicht der Fall war. Die deutschen Stellen hatten befürchtet, mit der Bekanntgabe des Statutes sei «ihre ganze Arbeit» in höchstem Masse gefährdet worden.

6. Die Münchner Konferenz hatte weder den Zusammenschluss der Erneuerungsgruppen noch die Lösung der Führungsfrage erreicht. Beides verblieb das Ziel der Eeichsstellen, die sich weiterhin in die Vorgänge einschalteten.

a. Huegel hat ausgesagt, kurz nach München habe er von Biedweg und Bimsen vernommen, es bestehe ein reger Briefwechsel und ein dauerndes Hin

1021 und Her. Burri besprach sich noch im Oktober 1940 im AA mit Legationsrat Triska im Sinn seines Organisationsstatutes. Als Feststellung aus Berlin schrieb Burri an Leonhardt, Keller solle die weitere Führung der NB S übernehmen, vorausgesetzt, dass er sich mit ihm und Leonhardt einige. Ferner vermerkte Burri, er habe sich zur Zusammenarbeit mit Keller bereit erklärt, da diese dann unter der Aufsicht des AA erfolge. Ein deutliches Bild von den nur zum Teil überblickbaren Vorgängen vermittelt die Ende Oktober 1940 im Auftrag des AA erfolgte Informationsreise der Legationsräte Rademacher und Triska, begleitet von Bunsen vom ESHA, in die Schweiz. Alle drei hatten dienstlich mit den Schweizer Fragen zu tun, so Bademacher als Referent der Abteilung Deutschland für Erneuerungsbewegungen im Ausland und ihre Beziehungen zu innerdeutschen Stellen. Die Dienstreise war von Rademacher vorgeschlagen, um an Ort und Stelle den Umfang der Erneuerungsbewegung zu erkunden, besonders was den von Burri behaupteten Anhang und sodann namentlich die NB S betraf. Die Delegation wollte sich über die Machtverhältnisse Klarheit verschaffen, erfahren, was an «positiven» Kräften vorhanden sei, die Leute und ihre politischen Ansichten persönlich kennenlernen. Sie «schnüffelte» und «sondierte», dies auch über einen Anscbluss, wie Zeugenaussagen lauteten. In Bern sprach die Delegation mit dem Gesandten Köcher und mit Botschaftsrat von Bibra und im Generalkonsulat Zürich vornehmlich mit Ashton. Dieser brachte die Delegation in mehreren Unterredungen namentlich mit dem Führerkreis der NBS zusammen. Infolge der Dienstreise rückte Ashton im Januar 1941 als Mann des AA, Abteilung Deutschland, zum "Vizekonsul auf, unterstand Rademacher und erhielt Propagandagelder. Sein Sonderauftrag war, sich mit den Erneuerungsbewegungen zu befassen. -- Die Fühlungnahme mit schweizerischen Nationalsozialisten war ein weiterer Teil der damaligen deutschen Einmischungen.

b. Die Bemühungen, die Nationalsozialisten in der Schweiz in die Hand zu bekommen, gaben die deutschen Stellen auch nach dem Verbot der NBS nicht auf. Ln November 1940 war dem Generalkonsulat Zürich Dr. Wilhelm Gröbl, SS-Obersturmführer, zugeteilt worden, der sich vor dem Anschluss in Österreich illegal betätigt hatte. Die Zuteilung verfügte das widerstrebende A A auf Ansuchen des
RSHA und auf Drängen Riedwegs. Gröbl hatte verschiedene Aufträge. Nachrichtendienstlich arbeitete er für das Amt VI, ausserdem war er Mittelsmann zwischen dem AA und SSHA einerseits und den schweizerischen Nationalsozialisten anderseits. Daraus ergab sich in der ersten Jahreshälfte 1941 sein Kontakt mit dem NBS-Kreis, die Befassung mit Büeler, mit der beabsichtigten Fechtgemeinschaft, der aufkommenden Sportschule Kilchberg und dem Schulungskurs in Feldkirch sowie mit dem GestapOagehten Staiger und den «Freunden Deutschlands». Namentlich sollte Gröbl die Leute der aufgelösten NBS zusammenhalten, um bei Verwirklichung der deutschen Pläne über ein politisches Instrument zu verfügen. Dies entsprach einer Denkschrift der Schweizer Mettler und Menzi vom Amt VI RSHA, die auf den Gedanken Riedwegs fussten, mit Verfechtung des grossgermanischen

1022 Gedankens und der Schweiz als Glied dieses Beiches. Ende Mai 1941 gaben Keller und dreizehn andere eine « Solidaritätserklärung» ab, durch die sie die von Eiedweg vertretene sog. organische Lösung unterstützten. Keller überbrachte, sie Ashton zur Weiterleitung an Eiedweg. -- Die Art der Betätigung Gröbls erschien schliesslich selbst dem Eeichsminister des Auswärtigen derart unangängig, dass Eibbentrop mit Schreiben vom 12. Juni 1941 bei Himmler eine Untersuchung anbegehrte, damit «einer solchen erstaunlichen Betätigung schnellstens ein Ende bereitet wird». Ähnlich wie Gröbl verhielten sich Ashton und der. Konsulatsangestellte Lang, weshalb schliesslich alle auf Verlangen des Bundesrates das Land verlassen mussten.

Die Eiedweg stark belastenden Vorgänge um Gröbl und Ashton. sind neuestens festgehalten im Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 20. Dezember 1947 (vgl. schon hiervor Seite 1009 und bereits den Bericht des Bundesrates vom 28. Dezember 1945, a.a.O. 112, 125, 128 ff., 137 ff.). Büeler nannte es einen «ganz groben Fehler» und einen «unverzeihlichen Leichtsinn» Eiedwegs, ihm Gröbl als Verbindungsmann zu nennen, ohne zu sagen, dass er SD-Mann sei.

Dass Büeler «im Auftrage von S S-Gruppenführer Berger und SS-Obersturmbannführer Dr. Eiedweg im Frühjahr 1941 mit dem Aufbau der Allgemeinen-S S in, der Schweiz betraut wurde», belegen ein Schreiben der Germanischen Leitstelle vom 25. Mai 1943, ein Beförderungsvorschlag des SSHA.für Büeler vom 23. September 1943 und weitere Dienstakten.

c. Die Tätigkeit Gröbls,. Ashtons und anderer war Auslandsarbeit des deutschen Sicherheitsdienstes und des Auswärtigen Amtes, wo die Bereitschaft bestand, dem SD gegebenenfalls für Anforderungen auch bedenklicherer Art zur Verfügung zu stehen. Die Bemühungen der deutschen Stellen um die schweizerischen Nationalsozialisten und die Bereinigung der Führungsfrage gingen daneben auch in Berlin fortgesetzt weiter. Dort bot der Deutschlandaufenthalt Kellers von Mitte Januar bis anfangs Mai 1941 die Möglichkeit, neuerdings Keller und Burri zusammenzubringen. Beide waren eifrig tätig. Keller kam viel mit Eiedweg zusammen, hielt im Kreis von Eeichsminister Hess einen Vortrag über die Schweiz und übergab Mettler vom Amt VI ESHA hetzerische Lageberichte Dritter über die Schweiz. Burri seinerseits hatte dem AA irn November
und Dezember vier « Schweizer Berichte» und seine Eingabe «Mein Standpunkt» zugestellt, womit er nach der Einmischung des-Deutschen, Eeiches in die Angelegenheiten der Eidgenossenschaft rief. Durch deutschen Druck wollte er den schweizerischen Nationalsozialisten unter seiner Führung den Weg zur Machtergreifung, ebnen. Seine erst während der Hauptverhandlung vom April/ Mai 1948 beigebrachte Denkschrift vom 22. Januar 1941 ging an Himmler und Süchte Burri die zur Herbeiführung eines Umbruchs in der Schwejz notwendige deutsche Unterstützung in den Kreisen der SS zu verschaffen (vgl.

Seite!1040 hiernach). Besprechungen Kellers mit Eademacher, Triska, Ashton und Burri in Berlin in der zweiten Hälfte Januar 1941 sind festgestellt. Das Bundesstrafgericht sieht auch als bewiesen an, dass Keller nach dem Verbot der NB S bis iur Polizeiaktion vom 10, Juni 1941 sich in Deutschland bei

1023 verschiedenen Amtsstellen um die Anerkennung als Führer der schweizerischen Erneuerer bewarb. Kellers Beziehungen zum AA, Abteilung Deutschland, und hier besonders zu Rademacher waren eng. aber auch diejenigen Eademachers zu Burri. Beim Tauziehen unter den; verschiedenen Amtsstellen, so namentlich mit dem SSHA, seiner Germanischen Leitstelle, und Riedweg, der Burri ablehnte und ihm möglichst entgegenwirkte, war die Haltung Rademachers starken Schwankungen unterworfen: «er trug auf zwei Schultern Wasser.» In jenem Zeitpunkt galt Keller auch für Rademacher als der massgebliche Führer der Erneuerer in der Schweiz, wie mit dem von Burri mitgeteilten Ausspruch, Keller sei der Mann, der an der Spitze zu stehen habe und die Sache in der Schweiz führe. Triska sagte zu Burri, es handle sich darum, die Führung Zander oder dem genehmeren Keller zu übergeben, und riet Burri, sich mit Keller zu verständigen. Das Bundesstrafgericht stellt hierzu fest: «In der zweiten Hälfte Januar 1941 nahm Keller im AA an einer Besprechung mit Triskà, Rademacher, Ashton und Burri teil, an der unter dem Vorsitz Triskas über die Frage verhandelt wurde, wer die schweizerischen Nationalsozialisten führen solle, ob Keller oder Burri. Da sich letzterer auf Wunsch Triskas grundsätzlich einverstanden erklärte, mit Keller zusammenzuarbeiten, jedoch die Form der Zusammenarbeit mit diesem allein festlegen wollte, kam Keller nachher mit Burri zu einer persönlichen Aussprache in einem Berliner Restaurant zusammen. Dort vereinbarte er mit ihm, dass keiner von beiden in Zukunft irgendwelche Aktionen durchführen werde, ohne mit dem andern Fühlung genommen zu haben. Die gegenseitige Verständigung sollte auf dem Wege über Ashton erfolgen. Burri versprach, die Vereinbarung niederzuschreiben, Keller das Schriftstück zur Unterzeichnung nach Berlin zu senden und eine Abschrift davon beim AA zu hinterlegen.

Einige Tage nachdem das AA eine solche erhalten hatte, teilte es Burri mit, :dass die Zusammenarbeit auf der vorgeschlagenen .Grundlage nicht erfolgen könne. Damit galt der Einigungsversuch als gescheitert.» In der Folge gestalteten sich die Verhältnisse unter den Erneuerern weiterhin so, dass Burri die radikale, Keller die gemässigtere Richtung vertrat und diese von jener mit Schärfe bekämpft wurde, was bis zum deutschen Zusammenbruch von
1945 anhielt.

Dabei wurde Burri vom AA, Abteilung Deutschland, mithin durch Rademacher und Triska, unterstützt und betreut, während die Kreise; um den BSG mit dem SSHA und Riedweg Fühlung hatten und Zander angewiesen war, im Benehmen mit dem SD zu arbeiten. Einen Bericht Riedwegs vom 2. November 1942 an den persönlichen Stab des Reichsführers-S S über diese Zusammenhänge hat die Bundesanwaltschaft im Mai 1948 zu den Akten Keller gegeben.

d. Die Polizeiaktion vom 10. Juni 1941 hatte bereits viele der genannten 'Machenschaften aufgedeckt. Nach durchgeführter eidgenössischer Untersuchung kamen sie erstmals in den Bundesstrafverfahren von 1943 und 1944 zur Beurteilung. Die Polizeiaktion war bei der damaligen aussenpolitischen Lage ein · Wagnis, jedoch drängte sie sich gebieterisch auf. Bei den : deutschen Reichsstellen erzeugte sie Aufsehen und Empörung, und aus dem Lager der Erneuerung trat man mit grossen Worten für die Verhafteten ein* Es wurde notwendig,

1024 dass das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement den Vorwurf, es würden ('Gesinnungsdelikte» verfolgt, mit Entschiedenheit zurückwies. Das Departementsschreiben vom 14. Juli 1941 hält folgendes fest: «Wegen politischer Anschauungen wird niemand verfolgt und bestraft.

Etwas anderes ist es aber, wenn Ansichten, die sich mit unserer schweizerischen Staatsauffassung nicht vertragen, in die Tat umgesetzt werden und sich als staatsfeindliche Umtriebe auswirken. Hier hat der Staat die Pflicht, einzuschreiten. Die Freiheit darf nicht missbraucht werden, um unsere staatliche Unabhängigkeit zu untergraben und die Schweiz ihrer Freiheit zu berauben.

Die Schweiz wahrt und verteidigt in ihren Hechten und in ihren Anschauungen altüberliefertes, alemannisch-burgundisches Gedankengut, und man sollte ihr eigentlich dankbar dafür sein, dass sie das tut. Wer aber Änderungen an unserem heutigen staatsrechtlichen Gebilde will und wünscht -- und jeder Stimmberechtigte ist dazu befugt ·--, hat dies auf verfassungsmässigem Wege zu tun. Jeder andere Weg ist rechtswidrig. Leider ist es nun aber so, dass es schwache Menschen und Lumpen gibt, die unter dem Vorwand, neue Ideen zu verstehen, und persönlich zu teilen, auf die schiefe Ebene gelangt sind. Es ist nicht jeder Schweizer unabhängig und fest genug, um andere Staatsformen und anderes Gedankengut zu würdigen, ohne den Boden unter den Füssen zu verlieren.

Es beginnt mit Liebäugeln und endet mit Landesverrat.» Im Oktober 1946 gelangte die Bundesanwaltschaft in den Besitz zahlreicher persönlicher Akten Kellers. In stenographischen Notizen zur Polizeiaktion vermerkte Keller seine Beziehungen zu deutschen Stellen, besonders zu Ashton, die Konkurrenz zwischen diesem und Büeler und die Einmischung anderer deutscher Stellen: Ashton hat mit zu viel Leuten verkehrt, sich zu sehr eingelassen und war zudem nicht vorsichtig genug. Er hat den Leuten zuviel versprochen, die nun furchtbar enttäuscht sind. -- Nach seiner Haftentlassung suchte Keller im Juli 1941 in Bern die Deutsche Gesandtschaft1 auf, um zu hören, was vorgekehrt worden sei, und vernahm durch von Bibra, die Gesandtschaft sei diplomatisch vollkommen lahmgelegt und könne nichts vorkehren; denn «die einzige Möglichkeit, die Leute im Bundeshaus zur Vernunft zu bringen, wäre der Einmarsch, und den bekäme man
jetzt nicht!» e. Neben landesverräterischen Handlungen hatte die Polizeiaktion auch militärische Geheimnisverletzungen aufgedeckt (in Betracht kam das Protokoll einer militärischen Polizeikonferenz). Im November 1941 führte dies zur bereits erwähnten Flucht einer Fünfergruppe von NBS-Leuten nach Deutschland (vgl. hiervor S. 1008). Die näheren Begleitumstände jener Flucht sind den Bundesbehörden erst im Mai 1948 durch Beweisstücke aus den SS-Dienststellen Himmlers bekannt geworden. Am 24. November 1941 meldete der Chef des SS-Hauptamtes, Berger, dem Eeichsführer-SS, «dass fünf wesentliche Vertreter des schweizerischen Nationalsozialismus am 19. und 20. dieses Monats mit meinem Einverständnis aus der Schweiz geflohen und illegal ins Beich gelangt sind. Sie befinden sich augenblicklich unter meiner Betreuung.» Es folgen die Namen, Biieler, Keller, Wechlin, Maag und Schlatter. Der Bericht

1026 Bergers ist in jeder Beziehung beachtlieh. Er stellt ab «auf die grosse Verhaftungswelle gegen die Nationalsozialisten in der Schweiz» vom 10. Juni 1941 und die angehobenen Militärstrafverfahren, wo «lediglich nationalsozialistische Propaganda, als Sport getarnte SS-Arbeit und Kampf gegen die Demokratie» nachgewiesen sei. « In Anbetracht der zu erwartenden hohen Strafen », meldet Berger weiter, «habe ich im Benehmen mit dem Beichssicherheitshauptamt (Amt IV und VI) sowie mit dem Auswärtigen Amt mein Einverständnis gegeben, dass diese Schweizer Nationalsozialisten nach dem Eeich fliehen. Ich habe den Grenzübertritt. im Benehmen mit dem Beichssicherheitshauptamt veranlässt.» Zunächst werde den .Flüchtlingen ein Erholungsurlaub verschafft, und nachher würden sie zum Teil beim SD, zum Teil bei der Waffen-SS und im Amt VI S SUA verwendet. Himmler verfügte auf die erste Meldung hin, «noch den SS-Sturmbannführer Dr. Biedweg Stellung nehmen zu lassen». Der von Biedweg, entworfene zweite Bericht Bergers vom 14. Januar 1942 gehört zur Beihe der Dokumente, die über die Haltung deutscher Beichsstellen gegenüber der Schweiz Aufschluss geben. Das SS-Hauptamt: schlägt darin vor, «dass in Anbetracht der Auswanderung der führenden Köpfe der schweizerischen nationalsozialistischen Bewegung inoffiziell eine von Schweizern geleitete Zentralstelle eingerichtet wird, welche in enger Verbindung mit dem Amt VI des SS-Hauptamtes und dem Amt VI des Beichssicherheitshauptarntes steht».

Dieser Stelle solle als Aufgabe u.a. zukommen: «Erstellung einer Kartei der deutschfreundlichen und deutschfeindlichen Personen in der Schweiz (Ergänzung der Kartei des Amtes VI des BSHA).» Weiter enthält der Bericht die Vorschläge für die künftige Verwendung der Betreuten.

Kurz nach ihrem Eintreffen in Berlin war die Fünfergruppe, durch Vermittlung Biedwegs, im SSHA von Berger im Beisein weiterer SS-Führer empfangen worden. Der als Zeuge aussagende Schlatter empfand die gegen die Schweiz sehr aggressiv gehaltene Ansprache Bergers dahin, dass Deutschland jederzeit bereit sei, auf die Schweiz einen Druck auszuüben, und es spricht für Schlatter, dass,er aus den ersten Erfahrungen die Konsequenz zog und sich' in der Folge politisch zurückhielt. Die Notizen Kellers ergeben seine Antwort auf die Ansprache. Die Schweiz bezeichnete Keller als
untrennbaren Bestandteil des Grossdeutschen Beiches, als Teil des kommenden, unter deutscher Führung geeinten Europas. Damit brauchte Keller Ausdrücke, die wie eine Auslieferung der Schweiz an Hitlerdeutschland anmuten. ; /. Die Polizeiaktion vom 10. Juni 1941 und die Flucht der NBS-Fünfergruppe von Ende November 1941 in die Emigration hatte nachhaltige Auswirkungen. Die Beichsstellen übten fortan vermehrte Vorsicht, hielten sich in ihrer Arbeit nach der Schweiz'hin eher zurück, und die Kreise der Erneuerung waren nahezu sich selbst überlassen. Benz, vom Beferat Schweiz, schrieb in einem Aufsatz vom 13. Dezember 1944 über «Die schweizerische nationalsozialistische Bewegung»: «Seit dem 19. November 1940 gibt es in der Schweiz keine legale und seit 10. Juni 1941 keine illegale nationalsozialistische Organisation mehr». Die nationalsozialistische Entwicklung in der Schweiz sei «momen-

1Q26 tan aufs Eis gelegt». Das deutsehe Interesse wandte sich dafür vermehrt den nationalsozialistischen Schweizerbünden in Deutschland und ihrer Betreuung zu. Der Zeuge von Kh'mburg sagte aus, dass die Sammlung der Aktivisten als fünfte Kolonne und die Organisation der deutschfreundlichen Kreise im Jahre 1940 sehr gut war, später aber durch das Eingreifen der Bandespolizei und den Stimmungswechsel in der Schweiz abflaute, was den Zerfall der Organisationen bewirkt habe. Deutscherseits nahm man au, die deutschfreundlichen Kreise hätten durch die entschlossene Haltung der überwiegenden Mehrheit des Schweizer Volkes eingesehen, dass eine freiwillige Übergabe der Schweiz niemals in Frage komme, und überdies hätte eine nicht unbeträchtliche Anzahl ursprünglich Deutschfreundlicher sich zur Erkenntnis - bekehren lassen, ein Aufgehen in Deutschland liege nicht im Interesse des Schweizer Volkes.

Die nach Deutschland verzogenen oder geflohenen Erneuerer wurden, im Sinn der Vorschläge des SSHA, in Stellungen untergebracht und warteten das weitere Kriegsgeschehen ab. Ihr Verhalten gegenüber der Schweiz war ungleich. Soweit es gegen die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft verstiess, ist es Bestandteil der Urteile des Bundesstrafgerichtes.

IV. Die Germanische Leitstelle des SS-Hauptamtes 1. Die SS-Hauptämter, ihrer zwölf an der Zahl, darunter das Eeichs1 Sicherheitshauptamt und das SS-Hauptamt, waren die organisatorischen Spitzen der SS (Schutzstaffel). Über ihnen stand der Eeichsführer-SS Himmler mit seinem persönlichen Stab. Das SSHA mit SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Berger als Chef war in Ämter, später in Amtsgruppen unterteilt. Stabsführer des Amtes VI, dann der Amtsgruppe D und stellvertretender Amtschef war Eiedweg, zuletzt SS-Obersturmbannführer. Eiedweg war im SSHA vom April 1941 bis Ende Dezember 1948 und von da an im Fronteinsatz. Als Stabsführer im SSHA hatte er auf Himmler und Berger in Schweizer Fragen grossen Einfluss, er galt in Amtskreisen als «wichtige Person», «grosser Mann», und seine Stellung war bedeutend, bis seine Machtposition abbröckelte und schliesslich ganz zerfiel. Nach den Beurteilungen in den Dienstakten lagen seine Leistungen auf politischem Gebiet: «Eiedweg ist politisch stark interessiert und ein starker Verfechter des grossgermanischen Gedankens.» Eiedweg berichtet in einem Amtsschreiben vorn 20. April 1942 u. a.: «Anlässlich der Aufstellung der germanischen Verbände erging vom Führer an den Eeichsführer-SS der Befehl, die Truppenbetreuung und vor allem die nationalsozialistische und grossgermanische Erziehung dieser Einheiten in besonders intensiver Weise durchzuführen.» Dies war der Ausgangspunkt zur germanischen Arbeit im germanischen Eaum, womit das SSHA neben seiner wesentlich militärischen Betreuungsarbeit innerhalb der gesamten SS zugleich politische Führungsinstitution würde. Ein Schreiben Eiedwegs vom 2. August 1941 betont für .das Eindringen in die Offizierskreise besetzter Länder die ausserordentliche Bedeutung des politischen Gesichtspunktes. Dem

1027 entspricht die Druckschrift «Der Weg zum Beioh», die in den Erwägungen des Bundesstrafgerichtes Beachtung gefunden hat: In ihr führt das SSHA über die Aufgaben der Schutzstaffel aus, diese solle nach dem Willen des Beichsführers-SS neben den selbstverständlichen soldatischen Aufgaben besonders die Aufgabe eines Kanipftrupps für die weltanschaulichen Ziele des neuen Beiches haben. Der SS-Mann sei daher Kämpfer mit Weltanschauung und Waffe und wisse genau, dass für die dauernde Sicherung des Reiches beide Elemente :-- Idee und Waffe -- von. grundlegender Bedeutung seien. Die Schutzstaffel sei eine «geschworene Kampfgemeinschaft» in guten und schlechten Tagen zur Behauptung der Eeichsinteressen und der nationalsozialistischen Weltanschauung. Die SS galt als Orden. Himmler benutzte sie zur systematischen Yerfolgung und Vernichtung derer, die er als Eeichsfeinde betrachtete.

So wurde sie Vollstreckerin der bekannten Scheusslichkeiten, die das nationalsozialistische Deutschland innerhalb und ausserhalb der Konzentrationslager beging.

2. Im März 1941 fand in Feldkirch der von Eiedweg geleitete «Schulungskurs für Weltanschauung im B ahmen des kommenden Europas» statt. In einem von Eiedweg als Vereidigung bezeichneten Vorgang eröffnete er den anwesenden Schweizern, er habe die SS in den germanischen Eandstaaten unter sich, und Himmler habe ihn beauftragt, auch in der Schweiz eine SS zu gründen.

Sie nenne sich zur Tarnung «Schweizer Sportbund», werde mit Wissen des Führerkreises der ehemaligen NB S von dieser getrennt durchgeführt und sei illegal- tätig. Bis Ende Mai 1941 müsse er mindestens 100 Mann beisammen haben. Darauf nahm Eiedweg den Anwesenden den Handschlag und eine schriftliche Verpflichtung ab. Büeler, den er als Führer eingesetzt hatte, sollte in 'der Schweiz von einem deutschen Konsul in Pflicht .genommen werden.

3. Die Germanische Leitstelle befasste sich unter Eiedwegs Führung von Anfang an stark mit dem «schweizerischen Problem». Ein Geheimvermerk des Amtes VI ESHA vom 8. Juni 1944 berichtet in einer Bückschau hierzu: «Im Eahmen der Werbung von Schweizern im Eeich und in der Schweiz für die Waffen-SS hat sich die Germanische Leitstelle unter ihrem früheren Führer, SS-Obersturmbannführer Dr. Eiedweg, der selbst, schweizer Abstammung ist, stärker mit dem schweizerischen Problem
beschäftigt. In der Germanischen Leitstelle war bis vor kurzem eine Eeihe schweizerischer Nationalisten als SS-Führer tätig... Die Germanische Leitstelle hat in ihrer Tätigkeit als wesentlichste Aufgabe die Aufstellung .germanischer Sturmbanne (entsprechend der Allgemeinen-SS) und die Werbung von Schweizern zur Waffen-SS durchgeführt. Augenblicklich befinden sich 533 Schweizer bei .der Waffen-SS, 57 Schweizer sind bei der Waffen-SS gefallen. Soweit sich; die Germanische Leitstelle zu den politischen Problemen der Schweiz äusserte, hat sie dies in dem Sinne getan, dass sie die Schweiz als einen germanischen Staat betrachtete, der ähnlich zu behandeln sei wie etwa Holland oder Norwegen, dessen späteres Aufgehen in einem Grossgermanischen Eeich zu er-

1028 streben sei (vgl. Ausführungen des RFrSS bei der Tagung in Königsberg im ·Januar 1944).» Mit dieser Stellungnahme vertrat die Leitstelle, als die z u s t ä n d i g e SS-Dienststelle die germanische Auffassung, entgegengesetzt etwa der Ansicht Burris, der den Keichsgedanken dahin verstand, dass die «Schweizer nicht Germanen ausserdeutscher Staatsangehörigkeit sind, sondern deutsche Menschen ausserdeutscher Staatsangehörigkeit», mithin ein «Bestandteil des deutschen Volkes».

4. Die Leitstelle führte den Auftrag durch, die Schutzstaffeln und ähnlichen Organisationen der «germanischen Bandstaaten» im Sinn der grossgermanischen Idee politisch zu schulen.

o. Das Bundesstrafgericht stellt im Urteil vom 20. Dezember 1947 fest, dass Biedweg dies tat, indem er vorwiegend germanische Freiwillige der WaffenSS in besonderen Kursen als Anwärter für künftige Führerstellen ausbildete.

Er sah darin ein Mittel zur Unterwerfung der germanischen Eandstaaten, im besonderen auch der Schweiz, in welcher er durch Einsatz der ausgebildeten Schweizer die «organische Lösung» herbeiführen wollte. Im Aufsatz eines SS-Kriegsberichters werden die Freiwilligen als Garanten der germanischen Wiedergeburt bezeichnet, die nach dem Krieg in ihre Heimat zurückkehren und dort in den Schutzstaffeln die Auslese eines politischen Soldatentums bilden sollten. In der Leitstelle fanden die Freiwilligen den festen Bückhalt: «Von dieser Zentralstelle aus erfolgen nicht nur die Aufstellung der germanischen Freiwilligenverbände, ihre soziale und weltanschauliche Betreuung, sondern darüber hinaus die Planung der gesamten politischen Arbeit im germanischen Baum.» Darunter, hält das Bundesstrafgericht des weitern fest, waren die Vorbereitungen verstanden, die als nötig erschienen, um die germanischen Länder, so auch 'die Schweiz, mit Hilfe ihrer Nationalsozialisten in das Grossgermänische Beich einzugliedern.. Im Streben nach diesem Ziele traten andere deutsche Dienststellen mehr und mehr zurück und überliessen die Führung der Germanischen Leitstelle.

b. Zu den erwähnten Vorbereitungen, soweit sie sich gegen die Schweiz richteten, gehörten laut Urteil unter anderem die karteimässige Erfassung nationalsozialistischer und deutschfreundlicher Schweizer im Beiche und in der Schweiz, ihre politische Beeinflussung, ihre weltanschauliche, körperliche
und zum Teil auch militärähnliche Schulung, ihre Organisierung, Betreuung und «Steuerung». Die Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten in der Schweiz wurde auch dadurch vorbereitet, dass die Germanische Leitstelle im Februar 1943 die Liste einer provisorischen Begierung besass, der unter anderen Biedweg, Keller, Büeler, Hersche, Zander und Wechlin angehören sollten (das Bundesstrafgericht hält es jedoch nicht für bewiesen, dass die Genannten einer Aufnahme in diese Liste zugestimmt hätten). Anderseits führte die Germanische Leitstelle auch eine Kartei über Freimaurer und andere Gegner des Nationalsozialismus in der Schweiz, um sie nach der Errichtung der nationalsozialistischen Herrschaft zu unterdrücken und zu beseitigen.

i 020 .'.· c. Beachtlich sind Äusserungen Eiedwegs in Aktenstücken, die der Bundesänwaltschaft im Mai 1948, mithin erst nach dem Urteil des Bundesstrafgerichtes, zugekommen sind. In einem Schreiben vom 2. November 1942 an den persönlichen Stab des Beichsführers-SS äussert sich Biedweg, mit Nennung der Legationsräte Bademacher und Triska, kritisch und-abschätzig über die Abteilung Deutschland des A A, der «die Unterstützung von lauten Schreiern sehr am Herzen liege», welcher Kurs sich auf das krasseste von dem des SSHA abhebe; «denn wir .wollen ja im stillen daran gehen, ein soldatisches Führerkorps zu erziehen, das mehr sein will als scheinen». Für Auslese und rassische Werte habe jene Dienststelle kein grosses Verständnis. In einem früheren Schreiben, vom 9. Juli 1942, erklärt Eiedweg: «Die Auffassung über eine möglichst organische Eingliederung der Schweiz ins Eeich war durchaus auch die Auffassung der hiesigen Dienststelle. Die Schweiz ist leider immer mehr den falschen Weg gegangen, .so dass heute diese Möglichkeit bezweifelt werden muss.» In diesen Worten kündigt sich die Abkehr von einer erhofften politischen Lösung der sog. Schweizer Frage ab, was sich im späteren Verlauf, nach dem Ausscheiden Eiedwegs aus dem SSHA, verstärkt geltend machte. Die massgebende, realistische SS vertrat in ihrer Europapolitik der starken Hand und. Agression den deutschen Imperialismus, so wie dieser in den besetzten Ländern zum Ausdruck kam, dem schärfsten Kurs der NSDAP entsprach und in seinem Fanatismus .völlig unberechenbare Auswirkungen zeitigte, was für die Schweiz den Anschluss, nötigenfalls durch Annexion mit Gewalt, in bedrohliche Nähe rückte.

d. Aus der «germanischen Arbeit» der Leitstelle sind in erster Linie die Kurse für Waffen-S S-Freiwillige zu nennen, die vom November 1942 an in Berlin-Babelsberg stattfanden. Eiedweg eröffnete sie persönlich, sprach in den Kursen über die germanische SS und hielt die Schlussansprache. Die Teilnehmer, unter ihnen auch Schweizer, wurden durch Vorträge über deutsche, germanische und europäische Geschichte, Eassenkunde, Politik, das Parteiprogramm der NSDAP, Hitlers Buch «Mein Kampf», Weltanschauung, politisches Soldatentum u.a.m. mit den von der Germanischen Leitstelle verbreiteten Gedanken vertraut gemacht. Im Jahre 1943 liess Eiedweg in Hildesheim ein Kloster als
Haus «Germanien» umbauen und hielt die «politischen Führerlehrgänge» fortan dort ab. Die bis zu acht Wochen dauernden Kurse wiesen wiederum Schweizer auf. Am Schluss der Kurse in Babelsberg und Hildesheim mussten die Teilnehmer ein mündliches und ein schriftliches Examen ablegen. Wer sich besonders eignete, kam nachher in die Junkerschule der Waffen-SS in Tölz oder in den Dienst der Germanischen Leitstelle.

In den Jahren 1942 Und 1943 veranstaltete Biedweg sog. germanische Tagungen, mit Teilnehmern aus den Eandstaaten, um für den germanischen Gedanken zu werben. In Tölz nahmen die Führer und Schüler der S S-Junkerschule teil, unter den letzteren auch Schweizer. An der vierten Tagung sprach Biedweg über den europäischen Gedanken in der Waffen-SS. Er führte unter anderem aus, nach siegreicher Beendigung des Krieges werde die europäische Bundesblatt.

100. Jahrg.

Bd. IU.

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1030 Waffea-SS die sozialistische Bevolution in Europa durchführen und die politische Führung für sich beanspruchen.

e. Eiedweg traf auch Vorbereitungen, um nach der Machtübernahme die Schweizer Jugend der Hitlerjugend und der Partei zuzuführen. Anfangs August 1948 Hess er frontbewährte Schweizer aus der Waffen-SS zurückziehen, um sie in einer zweijährigen Ausbildung bei der H J zu Jugendführern zu machen und später in der Schweiz einzusetzen. Zu den ersten, die diese Laufbahn beschritten, gehörte Kyburz, der bereit war, die Schweiz dem Deutschen Eeich einzuverleiben. Mit andern Schweizern besuchte er die Eeichsjugendführerschule und wurde ihr Betreuer. Kyburz gab im Mai 1943 einen vervielfältigten «Kameradschaftsdienst der HJ-Führer» heraus mit den Hinweisen: «Ihr müsst so weit kommen, dass ihr eine demokratisch-liberalistisch verseuchte Jugend, wie es die heutige Schweizer Jugend leider darstellt, in nationalsozialistischem Sinne erziehen und führen könnt. Es genügt nicht, wenn zur gegebenen Zeit eine neue, .vielleicht deutschfreundliche Regierung an die Spitze unseres Volkes gestellt wird. Erst dann kann das Problem Schweiz als gelöst betrachtet werden, wenn die Garantie besteht, dass die junge heranwachsende Generation als Glied der Hitlerjugend in der nationalsozialistischen Weltanschauung erzogen und ausgerichtet wird. Und diese Garanten müsst ihr werden. Es soll einmal Euer Verdienst sein, in der Schweizer Jugend das Deutschbewusstsein geweckt zu haben und damit der neuen Generation den Weg ins Grossdeutsche Eeich geöffnet zu haben. Ihr müsst Euch immer und immer wieder vor Augen halten, dass es kein ,Schweizer Volk' und keine ,Schweizerische Nation' gibt. Die Schweiz ist ein Glied des Grossdeutschen Eeiches und muss den Weg zu diesem wieder zurückfinden. Und diesen Gedanken der heranwachsenden Jugend in die Herzen zu. brennen, ist Eure vornehmste Aufgabe.» Vom 28. November bis 12. Dezember 1943 fand in Seeboden bei Spittal (Kärnten) ein Schulungskurs für Jugendführer statt, mit einer Gruppe von ungefähr 40 Schweizern, alles Mitglieder der nationalsozialistischen Schweizerbunde im Eeich. Der Kurs war von einem Deutschen, unter Mithilfe von Kyburz, geleitet. Die Schulung der Schweizer verfolgte den Zweck, diese Leute zum Eintritt in Führerschulen zu bewegen, wo sie weiter ausgebildet werden
sollten, um später als Jugendführer in der Schweiz eingesetzt zu werden.

/. Eiedweg trat in der Leitstelle publizistisch und in der Propaganda vielseitig, stark beachtet und wirkungsvoll hervor, dies u. a. als «unser Autor» im sog. Nibelungenverlag Berlin. Er war Herausgeber und Mitverfasser einer Schriftenreihe «Soldat und Staatsmann». Auf Befehl Himmlers gab das SSHA die «Germanischen Leithefte» heraus, deren Mitarbeiterkreis im germanischen Eaum sich vor allem aus Angehörigen der dortigen germanischen S.S, der nationalsozialistischen Partei und Kulturbeauftragten des Eeiches zusammensetzte. Im Augustheft 1943 ist die Eede vom totalitären Europa, das organisch entsteht; dies sind Gedankengänge Eiedwegs. Ebenfalls vom SSHA erfolgte die Herausgabe einer Zeitung der «germanischen Front- und Kampfgemein-

1031 achaft», genannt «Der Aufbruch». Im Jahre 1942 war Biedweg auch Herausgeber der Hefte «Germanische Gemeinschaft». In diesen Veröffentlichungen stehen Sätze, die zeigen, dass für Biedweg Staat und Nationalität veraltete Begriffe waren, und er schrieb: «Der germanische Mensch geht über in die Gestalt dés politischen Soldaten des 20. Jahrhunderts, der ini Nationalsozialismus neu erstand.» Die Hefte sind in der Schweiz beschlagnahmt worden. Ein Gutachten nennt sie eines der gemeinsten Mittel einer äusserst gefährlichen und hemmungslosen Propaganda.

Im Dezember 1940 schrieb Eiedweg in das Kampfblatt «Die Aktion» den Artikel «Nordisch-Germanisch-Europäisch», mit dem Schlußsatz: «Europäisch-kontinental ist der Baum, nordisch-germanisch die Substanz der Eevolution des 20. Jahrhunderts, die das Gesicht kommender Jahrhunderte gestalten wird. Diese Erkenntnis ist grundlegend und zwangsläufig für alle, die wesenhaft mit dem heutigen schöpferischen Geschehen verbunden, d. h. germanischen Blutes sind. Immer klarer und deutlicher ersteht eine politische Einheit, innerhalb deren blutmässige und bodenständige Eigenart einzelner Bäume und Stämme ihre Geltung bewahren, wo aber aus der Verbundenheit aller dieser Menschen im Wesenhaften eine Gemeinschaft !des Schicksals sich gründet, die für Jahrhunderte unzertrennlich und unlösbar sein wird.» 5. In der Leitstelle bestand ein «Schweiz-Beferat», gebräuchlicher «Beferat Schweiz» genannt. Die im Bericht des SSHA vom 14. Januar 1942 in Vorschlag gebrachte Zentralstelle war damit geschaffen worden. Biedweg ersuchte am 9. Juli 1942 den persönlichen Stab des Eeichsführers-SS, dass das SSHA «in Schweizer Angelegenheiten, die an den Beichsführer gelangen, möglichst beteiligt wird, da wir hier im Amt VI auf Befehl des Chefs ein besonders sorgfältig aufgebautes Schweiz-Beferat eingerichtet haben, welches auf das engste mit dem Schweiz-Beferat des Beichssicherheitshauptamtes zusammenarbeitet».

Von Mitte April 1942 bis Mitte Oktober 1948 arbeitete Büeler in der Leitstelle, wo er zuletzt Hauptabteilungsleiter DI, 2 war und als die rechte Hand Biedwegs galt. In dieser Tätigkeit verfolgte Büeler die gleichen Ziele wie vorher in der Schweiz mit der «Sportschule» und «Fechtgemeinschaft». Er wollte mit Hilfe Deutschlands die Nationalsozialisten in der Schweiz an die Macht bringen,
damit sie die «Beichsunmittelbarkeit» der Schweiz herbeiführten. Eiedweg sah ihn als Polizeichef für die Schweiz vor. Im SSHA war zuletzt Wechlin angestellt, wo er als Pressereferent monatliche Berichte über die Schweizer Presse verfasste und durch seine Tätigkeit die von diesem Amt getroffenen Vorbereitungen zur Umgestaltung der Schweiz unterstützte. Vom Herbst 1942 bis gegen Frühjahr 1948 war Schönenberger in der Leitstelle tätig, und von 1943 bis 1945 leitete er die Aussenstelle Feldkirch. Im Frühjahr 1943 kam Benz als SS-Untersturmführer in die Leitstelle, zunächst als Untergebener Büelers, von dem er im August 1948 die Leitung des Eeferates Schweiz übernahm (Eeferat DI, 3h des SSHA). Benz baute es aus und stand ihm bis zum Zusammenbruch des Eeiches vor, mit Planungen zur Aktion «S» (Schweiz) und mit der Aufsicht

1032 über das «Oberdeutsche Arbeitsbüro». Als festbesoldeter Zivilangestellter war Gloor im Beferat Schweiz vom 1. Dezember 1943 bis Mai 1944 tätig. Im Jahre 1944 liess sich Benz tagweise durch Weilenrnann vertreten. Ein Vertrauter Biedwegs war Weber, der häufig in der Leitstelle verkehrte, von Benz ins Vertrauen gezogen wurde und sich in den .von ihm betriebenen Nachrichtendienst einspannen liess. In den Jahren 1943 bis 1945 arbeitete auch Keller mit Benz zusammen, um die nationalsozialistischen Schweizer in Deutschland im Bahmen der germanischen Arbeit der SS zusammenzufassen und auf ihren politischen Einsatz in der Schweiz vorzubereiten. Keller wusste und billigte, dass Benz damit auf die Eingliederung der Schweiz in das Grossgermanische Beich hinarbeitete.

.

6. In den ersten Monaten des Jahres 1941 entstand das sog. Panoramaheim in Stuttgart, das im Dezember 1948 nach Strassburg und um Ostern 1944 nach Bregenz verlegt wurde, wo es fortan Planettaheirn hiess. Biedweg hatte das Heim auf Befehl Himmlers errichten lassen, um die meist illegal nach Deutschland kommenden Schweizer und Liechtensteiner zu sammeln und einer weiteren Verwendung zuzuführen. Vom November 1942 bis Ende März 1944 leitete Schäppi das Heim, gefolgt vom Liechtensteiner Nagele. Im April 1942 vertrat Büeler, der sich damals Dr. Schmitt nannte, den Leiter Nikles, alias Dr. Hütten.

Die von der Germanischen Leitstelle besoldeten Heimleiter hatten ihr wöchentlich und monatlich Bericht zu erstatten.

a. Biedweg hatte von höchster militärischer Stelle Befehl, das Menschenreservoir der Volksdeutschen und germanischen Staaten zur Verstärkung der Front zu erschliessen. Er befahl deshalb, die Ankommenden womöglich für die Waffen-SS zu gewinnen. Das Panoramaheim entwickelte sich so in erster Linie als Werbezentrale für die Waffen-SS. An den Wänden hingen Plakate, auf den Tischen lagen Werbeschriften, und die Insassen wurden mündlich bearbeitet, zum Teil unter Druck oder mit dem Versprechen von guten Stellen in der Schweiz nach dem deutscheu Sieg. Von den etwa 1360 Ankommenden, die bis Januar 1945 im Heim registriert wurden, traten rund 1000 in die WaffenSS ein.

b. Während ihres Aufenthaltes im Heim wurden die Insassen im Hinblick auf die Aufgaben, die sie nach der Machtübernahme in der Schweiz erfüllen sollten, politisch geschult. Die
Germanische Leitstelle benutzte so das Heim zur Vorbereitung .einer mit deutscher Hilfe nationalsozialistisch regierten Schweiz.

c. Die Heiniinsassen wurden durch die Leiter in Zusammenarbeit mit den Stellen der Wehrmacht, der Gestapo und des SD nicht nur abwehrmässig überprüft, sondern auch im politischen und militärischen Nachrichtendienst ausgefragt, ferner kamen Geeignete als Nachrichtenagenten zum Einsatz gegen die Schweiz^ Biedweg hatte schon 1941 mit Huegel gegenseitige Zusammenarbeit vereinbart. Es bestand ein Fragenschema des SD. Die politischen Angaben, z. B. ob bestimmte Schweizer oder in der Schweiz wohnende Personen deutschfreundlich oder deutschfeindlich seien, vermerkte das B.eferat VI des SD-Leit-

1033 abschnittes oder der AAK in seiner Kartothek, während die militärischen Nachrichten an die Abwehrstelle der Wehrmacht (AST), später an das ESHÀ, weitergemeldet wurden. In geeigneten Fällen begab sich ein Beauftragter des SD oder der AST zur Befragung ins Heim oder liess sich die Abzuhörenden durch den Heimleiter zuführen. Die geschilderte Zusammenarbeit zwischen Panoramaheim einerseits und AST, Gestapo und SD anderseits fiel ini besonderen Schäppi :zur Last. Im Planettaheirn setzte sein Nachfolger Nagele diese Tätigkeit fort. Im Auftrag des SD stellte er den Heiminsassen nach einem Fragenschema mehr als 50 Fragen über politische und militärische Verhältnisse der Schweiz. Darunter befanden sich z. B. Fragen nach den politischen Parteien der Schweiz, ihrer Stärke, ihren Zielen, ihrem Verhältnis zueinander, ihren Führern, nach deutschfeindlichen Zeitungsredaktoren, nach deutschfreundlichen höheren Schweizer Offizieren, nach der Lage und der Organisation der zentralen Verteidigungszone der Schweiz, nach Lage, Bau: und Ausstattung schweizerischer Festungswerke, nach der Organisation schweizerischer Truppenteile (Flugwaffa, Fliegerabwehr, motorisierte Truppe), nach der Stärke der Armee und der aufgebotenen Truppen, nach ihrer Bewaffnung, nach dem Zustande der schweizerischen Strassen.

Das Panorarnaheim, später Planettaheim, war als S S-Werbezentrale, politische Schulungsinstitntion und nachrichtendienstlich eine für die Schweiz gefährliche und für viele Heiminsassen verhängnisvolle Aussensteile des SSHA und seiner Germanischen Leitstelle. Für Hunderte von jungen Schweizern führte das Heim unsäglich Schweres herbei, mancher wurde zum Kriegskrüppel und viele fanden den Tod an den Fronten. Für die Unterstellung unter Riedweg, der das Heim nach der Gründung inspizierte, ist bezeichnend, dass.die Berichte der Heirnleitung an die Leitstelle die persönliche Anschrift Eiedwegs trugen.

In der Bregenzer Zeit wurde das Heim vom damaligen Leiter des Referates Schweiz, Benz, jeden'Monat einmal besichtigt.

; V. Der Bund der Schweizer in Grossdeutschland Der landesverräterische Bund der Schweizer in Grossdentschland (B S G) ist Gegenstand ;des Urteils des Bundesstrafgerichts vom- 4. Juni 1947, ferner wird er behandelt in den Urteilen vom 20. Dezember 1947 und vom 7. Mai 1948. Die nachstehende, gekürzte
Zusammenfassung folgt dem Text der Urteile.

1. Die Gründung des BSG erfolgte im Sommer 1940. Burri, der den Anstoss gab, wollte damit die schweizerischen Erneuerer in Deutschland sammeln, unter seine Führung bringen und im nationalsozialistischen Geiste schulen, um sie im Einvernehmen mit-den deutschen Behörden für die Errichtung einer nationalsozialistischen Schweiz einzusetzen. Sein Ziel wähnte er durch Propaganda und mit Hilfe eines Druckes des Eeiches auf die Schweiz zu erreichen..

Burri ging im Auftrage des Auswärtigen Amtes vor, mit dem er sich über Triska in Verbindung setzte, und nahm in Stuttgart mit Dr. Gutekunst, dem.

damaligen Leiter des AA;K, Rücksprache, der ihm die finanzielle Hilfe der

1034 deutschen Behörden zusicherte. Durch Gutekunst setzte sich Burri mit dem in Ludwigsburg niedergelassenen Fabrikanten Lienhard, früher Obmainn der Landesgruppe Deutschland der Nationalen Front, später des BTE, in Verbindung. In einer Besprechung zwischen Burri, Leónhardt, Lienhard, Schäppi und Mange wurde der «Bund der Schweizer im Ausland» gegründet, der sich bald nachher «Bund der Schweizer in Grossdeutschland» nannte. Lienhard erklärte sich bereit, sich unter dem Befehl Burris nach aussen hin als Bundesleiter vorschieben zu lassen. Den ausschliesslichen Verkehr mit deutschen Amtsund Parteistellen behielt sich Burri vor. Ein Aufruf an die Auslandschweizer vom Juni 1940, den Lienhard im Auftrag des Gründungskomitees verbreitete, führte aus, die Staats- und Parteipolitik der Heimat habe Schiffbruch erlitten, die schweizerische Erneuerungsbewegung habe an den Bundesrat und die Öffentlichkeit ihre Forderung gestellt und wolle die Macht in der Schweiz übernehmen. In einem zweiten Aufruf vom Juli 1940 verbreitete Lienhard, wiederum im Auftrag, Abschriften von Briefen Burris an den Bundesrat, u. a. mit dem Anspruch der Erneuerungsbewegung auf die Leitung der Staatsgeschäfte.

Am 15. Mai 1941 hielt Lienhard mit neun anderen in Stuttgart eine «Gründungssitzung» ab und reichte folgenden Tags das Gründungsprotokoll und die Satzungen dem Amtsgericht zur Eintragung des BSG ins Vereinsregister ein.

Die Satzungen hatte Lienhard ohne Mitwirkung Burris aufgestellt. Schon diese, jedenfalls aber die weiteren Vorgänge waren der Ausdruck von Bestrebungen Lienhards, sich unter dem Einfluss Zanders von Burri unabhängig zu machen (vgl. hierzu die Abschnitte VI,S.1042, und VII, S. 1044/1045). Am 1. August 1941 hielt der BSG in Stuttgart die erste Versammlung ab. Als Bundesabzeichen, mit Wappen iuid Fahne, wählte er ein schwarzes Hakenkreuz auf; gelbbraunem Grund. Im Mai 1943 trat an Stelle einer Mitgliedkarte ein Mitgliedbuch, das Bekenntnisse zu Hitler und zum Nationalsozialisnms enthielt. Zu seinem Stellvertreter hatte Lienhard am 1. Oktober 1941 Frei ernannt, dem er die Verantwortung überliess. Arn 25. März 1944' setzte er Frei formell als Bundesleiter ein. Frei trat unter dem Decknamen Hermann Fröhlich auf. Wichtigster Mitarbeiter war Zander. Schulungsleiter des BSG. Wechlin und Chioderà hatten beratenden Einfluss,
Greulich war ein weiterer enger Vertrauter und Gefolgsmann. Keller war nicht Mitglied des BSG, stand aber mit dessen Führern in enger Verbindung, erhielt die Druckschriften und machte in der Schulungsarbeit mit. Er kannte und billigte das Ziel des BSG und war sich bewusst, dass seine Propaganda von deutschen Amtsstellen finanziell unterstützt wurde.

Ab 1. Juni 1942 hatte der BSG eine Geschäftsstelle, im wesentlichen zur Führung der Mitgliederkartei, Versendung der Druckschriften, Erledigung der Korrespondenzen und zum Verkehr mit den Unterorganisationen. Nach den Satzungen war der BSG vom Bundesleiter in Ortsbanne, Bannschaften und Kameradschaften unterzuteilen. Die Leiter dieser Unterorganisationen waren vom Bundesleiter zu bestellen und abzuberufen und hatten ihre Arbeit gemäss dessen Weisungen durchzuführen. Sie hatten die Versammlungen zu veranstalten und zu leiten, die Mitgliederbeitrage und Kampf spenden einzuziehen und jeden

1035 Monat schriftlich über den Bestand zu berichten. Mehrere Bannschaften oder Ortsbanne wurden zu Bezirksbannen und mehrere Bezirksbanne zu Landesbannen zusammengefasst. Ende Februar 1945 zählte der BSG 1808 Mitglieder.

2. Die finanziellen Mittel schöpfte der BSG aus den Monatsbeiträgen und freiwilligen Kampfspenden der ordentlichen Mitglieder, den Spenden der fördernden Mitglieder und den Leistungen deutscher Amtsstellen. Der BSG wurde fortlaufend vom AAK und vom VDA, einer von den deutschen Behörden gelenkten und zum Teil mit Staatsgeldern arbeitenden Organisation, unterstützt.

Zur Zeit, da Huegel den AAK leitete, gab diese Amtsstelle dem BSG mit Zustimmung des Promi monatlich EM. 400 bis 600. Ferner benützte der BSG einige Zeit mit Bewilligung des AA und des Promi das leerstehende Büro des AAK in Stuttgart. Vom VDA bezog Frei seinen Monatsgehalt von EM. 600, der ihm für die Leitung des BSG zukam. Die Kosten der Bundschreiben des BSG von monatlich EM. 600 bis 800 und die Kosten des Heimatbriefes von monatlich EM. 200 bis 300 bezahlte ebenfalls der VDA, desgleichen die Eeisekosten, Taggelder und Auslagen der Vortragsredner und die Kosten der Schulungskurse, des BSG. Die Kosten der vom BSG veranstalteten Sonderlehrgänge trug auf Gflind von Verhandlungen, die Frei mit Büeler führte, und auf Grund eines Antrages, den Eiedweg bei Berger stellte, das SSHA. Es nahm sie auf den Etat der Waffen-SS. Auch unterstützte die Waffen-SS durch ihr Fürsorgeamt die Angehörigen von Teilnehmern der Sonderlehrgänge in gleicher Weise, wie sie die Familien von Freiwilligen der Waffen-SS unterstützte. Büeler veranlasste ferner im Einvernehmen mit Eiedweg, dass die Germanische Leitstelle dem BSG jeden Monat 2000 bis 2500 Exemplare der vom SSHA redigierten Zeitung «Der Aufbruch» unentgeltlich zur Verfügung stellte und ;dem BSG für die Versendung an die Mitglieder' eine besondere Vergütung leistete. Anderseits benutzten Eiedweg und Büeler die Dienste des BSG zur Betreuung der Schweizer in der Waffen-SS. Die Betreuung bestand in der Sammlung von Liebesgaben und in der Schaffung von Urlauberplätzeu und spielte sich in Zusammenarbeit mit dem Panoramaheim ab. Vereinbart wurde sie zwischen Frei und Büeler, und Eiedweg genehmigte sie. Die Auslagen, die dem BSG daraus erwuchsen, ersetzte die Germanische Leitstelle, Frei
erstattete ihr alle drei Monate Bericht über die Aktion. Später verkehrte er in .dieser Sache mit Benz.

. : 3. Zur weltanschaulichen und politischen Schulung nach den Lehren des Nationalsozialismus schrieb die Bundesleitung den Kameradschaften und Bannschaften die Abhaltung von Versammlungen vor, die in den Kameradschaften jede Woche, in den Bannschaften jeden Monat stattzufinden hatten.

An den Versammlungen der Bannschaften hatte der Obmann die von Zander verfassten und von Frei bereinigten Schulungsbriefe zu verlesen. Die Versammlungen schlössen jeweilen mit der Ehrung Hitlers und dreifachem «Sieg.

Heil!» Zu Werbezwecken fanden auch öffentliche Kundgebungen statt, so im -Jahre 1943 deren 107. Die ortsansässigen Schweizer wurden dazu eingeladen.

Sowohl an Pflichtversammlungen der Bannschaften wie an öffentlichen Kundgebungen hielten Frei und die ihm ständig zur Verfügung stehenden Eedner

1036 Vortrage, in denen sie über Zweck und Ziel des BSG sprachen, gegen Juden, Freimaurer, Plutokraten und Bolschewisten hetzten, die Germanen als Führerrasse verherrlichten, Bekenntnisse zum Nationalsozialismus und zu Hitler ablegten, das Verhältnis der Schweiz zu Deutschland erörterten, die Neutralität, die Landesverteidigung und die politischen Einrichtungen der Schweiz heruntermachten, die Errichtung einer nationalsozialistischen Schweiz und deren Einfügung in die neue europäische Ordnung verlangten, die BSG-Mitglieder anfeuerten, dereinst in der Schweiz nach dem Muster der NSDAP Vorbilder zu sein, Abrechnung «mit dem System», Sühne durch Volksgerichte und die Hinrichtung der Gegner androhten, zur Mitarbeit am Werke Hitlers aufforderten, von einer «grossgermanischen Verpflichtung unserer Zeit» sprachen, die .Einreihung in die «artgleiche germanische Volksgemeinschaft» befürworteten usw.

Eine besondere, als «Mitgliederschulungskurs» bezeichnete Tagung der BSG-Mitglieder aus dem Vorarlberg fand Ende Juni 1942 unter der Leitung Islers in Dornbirn statt. (Näheres über Isler und dessen nach Antrag abgewiesenes Begnadigungsgesuch, BB1.1948, II, 596/597.)

Über den Verlauf der Versammlungen und Kundgebungen und den Inhalt der Vorträge wurde häufig in den «Eundschreiben» Bericht erstattet. Der BSG gab diese Schrift ab 25. August 1941 alle vierzehn Tage heraus, zuerst durch Klischee vervielfältigt, von Anfang 1942 an gedruckt. Die Eundschreiben enthielten ferner Aufrufe und politische Aufsätze ähnlichen Inhalts wie die Vorträge. Vom September 1944 an wurde die Aufgabe der Eundschreiben vom gedruckten «Heimatbrief an die Schweizer im Eeich» mitübernommen, den der BSG ab Ende 1942 jeden Monat erscheinen liess. Der «Heimatbrief» kritisierte unter dem Gesichtspunkt der nationalsozialistischen Weltanschauung und der Politik des Deutschen Eeiches hauptsächlich Vorgänge aus der Schweiz. Eundschreiben und Heimatbrief mussten der Gestapo und der Gaupropagandastelle zur Genehmigung vorgelegt werden. Sie wurden direkt von der Bundesleitung an sämtliche Mitglieder verschickt und von Zeit zu Zeit 2500 bis 8000 andern Schweizern in Deutschland zugestellt, deren Adressen dem BSG hauptsächlich vom VDA mitgeteilt wurden.

4. Von 1942 bis 1944 veranstaltete der BSG jährlich zwei bis drei Schulungskurse (Arbeitstagungen),
um namentlich seine Beauftragten und Bannschaftsleiter weltanschaulich und organisatorisch für ein selbständiges Arbeiten auf ihren Posten zu schulen und einander näherzubringen. Der .erste Kurs fand in der Kreisschule der NSDAP in Metzingen statt und wurde von Steimle und Huegel im Auftrage des Amtes: VI ESHA besichtigt. Die beiden folgenden wurden auf der Eeichsschulungsburg Kalkhorst abgehalten und die späteren in der Kreisschule der NSDAP in Sennheim. Alle wurden von Frei unter Mitwirkung Zanders geleitet. An einem der ersten war auch Oehler dabei. Eedner des BSG hielten Vorträge über den Gemeinschaftsgedanken im Nationalsozialismus, Alemannen und Burgunder und die französischsprechende Schweiz, Grundlage und Arbeitsmethode in einem S S-Ausbildungslager für germanische Freiwillige, den schweizerischen Parteienstaat und dessen «Überwindung» durch die schwei-

1037 zerische Volksgemeinschaft, germanische Rechtsgeschichte, politisches Soldateritum und dergleichen. Auch Deutschen, insbesondere Schiüungsrednern der Waffen-SS aus dem Lager St. Andreas bei Sennheim, wurde das Wort erteilt.

Im Schulungskurs vom August 1943 erklärte ein deutscher Eedner, die Schweiz müsse über kurz oder lang politisch umschwenken, sonst habe sie einen Gewaltakt zu gewärtigen. Tagsüber wurde auch Sport getrieben, und am Abend fanden kameradschaftliche Veranstaltungen statt. Beim feierlich soldatischen Schlussappeli erläuterten Frei und Zander den Teilnehmern den Sinn einer verschworenen Gemeinschaft und gelobten die Teilnehmer Frei durch Handschlag unverbrüchliche Treue, zur Idee und zur Gemeinschaft und Messen ein dreifaches «Sieg Heil!» auf den Führer aller Germanen, Adolf Hitler, erklingen.

5. Die Arbeit in den Schulungskursen wurde als Grundlage zur weiteren Ausbildung angesehen, die darauf abzielte, aus den Mitgliedern des BSG«politische Soldaten» zu machen. Diese Ausbildung wurde als «hervorragende Schule strengster Manneszucht» einem auserlesenen Kreise von Mitgliederû in den « Sonderlehrgängen für Weltanschauung und Leibesertüchtigung» zuteil. Die Sonderlehrgänge wurden vom 3. bis 27. Mai 1943, vom 12. September bis 20. Oktober 1943, vom 20. Februar bis 31. März 1944 und vom 2. Juli bis 12. August 1944 durchgeführt. Sie fanden im Einvernehmen und mit Hilfe der Germanischen Leitstelle im Ausbildungslager für germanische Freiwillige der WaffenSS in St. Andreas bei Sennheini statt. Mit den organisatorischen Arbeiten für den ersten Lehrgang befasste sich Büeler, nachdem sich Eiedweg einverstanden erklärt und mit dem Kommandanten des Ausbildungslagers in Verbindung gesetzt hatte. Büeler zur Seite stand Benz, der später als Eeferent für die Schweiz die Bestrebungen des BSG weiterförderte. Die Germanische Leitstelle berief die Teilnehmer der Sonderlehrgänge auf Grund einer von Frei erstellten Liste durch Marschbefehl der Waffen-SS ein, unter Beilegung des Fahrscheines.

Sie stellte auch die nötigen SS-Lehrkräfte zur Verfügung und lieferte das Material. Die Teilnehmer wurden in die Uniform der Waffen-SS, ohne Abzeichen, eingekleidet. Bewaffnet wurden sie nicht.

Der BSG betrachtete die Durchführung von Sonderlehrgängen als sein uneingeschränktes Bekenntnis zu den Grundsätzen
der SS, zu denen er Kampfwille, Treue und bedingungslosen Gehorsam zählte. Erziehung zur Disziplin und zum Gehorsam, allgemein soldatische und körperliche Ertüchtigung, weltanschauliche und politische Schulung im Sinne des Nationalsozialismus und des «germanischen Gedankens» waren die unmittelbaren Ziele der Sonderlehrgänge. Die Teilnehmer wurden unter der Leitung von SS-Kräften täglich nach den Vorschriften des deutschen Exerzierreglementes streng geschult. Sie hatten nach militärischer Art, jedoch ohne Waffe, Einzel- und Gruppenausbildung zu treiben, z. B. das Grüssen, Melden, Kriechen, Springen zum Angriff, Schwenken und Uniformen in der Eotte zu üben. Daneben hatten sie zu turnen und Leichtathletik zu treiben, zu boxen und den Wurf von Handgranaten zu üben, Märsche auszuführen und in Gemeinschaft zu singen und dergleichen. Einmal wurde mit Kleinkaliberwaffen geschossen, Der weltanschaulichen und politischen

1038 Schulung dienten Vortrage über Vererbung und Rassenlehre, grossgermanische Geschichte, Germanenkunde, Nationalsozialismus, Marxismus, Bolschewismus, Liberalismus, Katholizismus, Judentum, Freimaurerei, Eeligion, politische Tagesfragen, das Parteiprogramm der NSDAP, die Grundsätze der SS, Führertum, Kapitel aus Hitlers «Mein Kampf» und derlei. Es wurden «die Probleme der Zeit mit so realistischer Derbheit angepackt, wie sich dies nur die Waffen-SS erlauben kann». Neben deutschen Offizieren und Unteroffizieren der Waffen-SS hielten auch die führenden Redner des BSG Vorträge.

Jeder Sonderlehrgang schloss mit einer den Teilnehmern mehr oder weniger überraschend kommenden feierlichen Vereidigung auf die nationalsozialistische Weltanschauung und auf Hitler als den Führer aller Germanen. Zu diesem Zwecke wurden die Teilnehmer in einen von SS-Soldaten bewachten Saal geführt, auf dessen mit der Hakenkreuzflagge und der Fahne der erneuerten Schweiz dekorierten Bühne die Büste Hitlers aufgestellt war. Den Eid nahm Frei ab. Die Beteiligten hatten die Eidesformel nachzusprechen und die Schwurfinger zu erheben. Ein Teilnehmer, der dies nicht tat, weil er den Eindruck hatte, die Leitung habe der Schweiz die Eigenstaatlichkeit vollständig abgesprochen, wurde deswegen von einem andern nach der.Feier mit Faustschlägen ins Gesicht misshandelt.

6. Wie sich aus den Vereidigungen auf Hitler, der Zusammenarbeit mit 'deutschen Amtsstellen, namentlich mit der Germanischen Leitstelle, und den Äusserungen von Lienhard, Frei, Zander und anderen Führern des BSG in den Rundschreiben, im «Heimatbrief » und im Mitgliedbuch ergibt, sah der BSG in Hitler nicht nur seinen ideologischen Führer, sondern war auch bereit, dessen Befehlen blind zu gehorchen. Gehorcht hätte er auch dann, wenn Hitler sich entschlossen hätte, mit den Machtmitteln des Deutschen Reiches die Schweiz gegen den eindeutigen Abwehrwillen der verfassungsmässigen Behörden und der Mehrheit des Schweizer Volkes in ein nationalsozialistisches Staatswesen umzubauen und in das «Grossgermanische Reich» oder «Neue Europa» einzuordnen oder sie dem Deutschen Reiche einzuverleiben. Die Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten in der Schweiz wurde vom BSG gewünscht, und in bezug auf die Weise, wie sie vor sich gehen solle, den staatsrechtlichen Aufbau der
Schweiz nach;der Machtübernahme und ihre Stellung im «Grossgermanischen Reich» überliess der BSG den Entscheid bedingungslos Hitler.

Der BSG wäre zur Mitarbeit auch dann bereit gewesen, wenn Hitler versucht hätte, die Schweiz unter Aufhebung jeglicher Autonomie dem Reiche einzuverleiben, und gleichgültig, ob er sich zur Durchführung seines Planes bloss eines wirtschaftlichen Druckes oder, wie die deutschen Behörden es wiederholt in Erwägung zogen, der Waffen bedient hätte. Die Mitarbeit war in der Weise gedacht, dass der BSG dem Führer Hitler eine gehorsame, disziplinierte, körperlich und weltanschaulich geschulte Schar fanatischer Nationalsozialisten zur Verfügung stellen wolltej um jede Aufgabe zu erfüllen, die Hitler ihnen bei oder nach der Umgestaltung der Schweiz vorbehalten hätte.

1039

VT. Publizistik Barris. Sein Nationalsozialistischer Schweizerbund 'Franz Burri ist bereits genannt worden als Initiant zur Gründung des^ BSG, als : Anreger der Münchner Konferenz und Verfasser : des Organisationsstatutes, ferner, verschiedentlich, in seinen Führeraspirationen in einer angestrebten Gesanitorganisation der nationalsozialistischen Schweizer, dies namentlich in Eivalität zu Max Leo Keller (vgl. hiervor besonders S. 1017--1023, 1038/1084).

1. Burris agitatorische Schreibsucht war masslos, sie äusserte sich als fortgesetzter Landesverrat in schändlichster Weise. Burri leistete mit seiner Publizistik den überzeugenden Beweis gegen sich. In Betracht kommen Flugblätter, Flugschriften, offene Briefe an den Bundesrat, Pamphlete gegen den General, Propagandaschriften, Nummern der sog. «Eidgenössischen Korrespondenz» (EiKo) und solche der «Internationalen Presse-Agentur» (IPAKorrespondenz). Seine Tätigkeit erstreckt sich über die sämtlichen Jahre des Kriegsgeschehens. Alle diese Vorgänge, ebenso die vier «Schweizerberichte» und die Eingabe «Mein Standpunkt» vom November und Dezember 1940, ferner die drei Denkschriften vom 1. August 1940, 22. Januar 1941 und 15. Dezember 1943 können in diesem Bericht gesamthaft bloss genannt werden. Eine sorgfältige, alle Einzelheiten behandelnde Darstellung enthält das Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 7. Mai 1948 und vorausgehend die Anklageschrift.

Burri sah in seiner Publizistik ein Mittel, den Widerstandswillen des Schweizer Volkes zu brechen und dem Deutschen Eeich einen Vorwand zur Ausübung eines Druckes auf die Schweiz zwecks Errichtung einer nationalsozialistischen Begierung zu verschaffen. Unterstützt wurde seine Aktion durch Gelder, die ihm das Propagandaministerium über den AAK zur Verfügung stellte, auch veranlasste das Auswärtige Amt die Deutsche Gesandtschaft in Bern, einem Agenten Gelder zukommen zu lassen.

2. Von den Flugschriften der ersten Zeit und den Briefen an den Bundesrat erklärt das Bundesstrafgericht, Burri habe damit dem Deutschen Eeich einen Vorwand zum Vorgehen gegen die Schweiz liefern, das Volk aufwiegeln und die verfassurigsmässigen Behörden einschüchtern wollen, damit sie : unter dem Drucke des Eeiches einer nationalsozialistischen Eegierung Platz machten.

Zusammenfassend stellt das Bundesstrafgericht allgemein fest:
«Burri wollte den Selbstbehauptungswillen des Schweizer Volkes untergraben, das Vertrauen des Volkes in die Behörden und den Oberbefehlshaber der Armee zerstören, Behörden und Beamte durch Drohungen von der Abwehr nationalsozialistischer Umtriebe abhalten und den deutschen Behörden ein falsches Bild über die Zustände in der Schweiz und über den Neutralitätswillen der schweizerischen Behörden und des Volkes geben, alles in der Absicht, das Deutsche Eeich zur Ausübung eines Druckes auf die Schweiz zu veranlassen, um die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen und die Nationalsozialisten an die Macht zu bringen.» Von den vier «Schweizerberichten» und der Eingabe «Mein Standpunkt» besagt das Urteil, Burri habe daraufhin gearbeitet, den schweizerischen

1.440

Nationalsozialisten unter seiner Führung den Weg zur Machtergreifung durch einen vom Deutschen Beich auszuübenden Druck auf die Schweiz ebnen zu lassen, ferner habe er die Absicht, bekanntgegeben, die italienischen Ansprüche auf schweizerisches Gebiet nach der Machtergreifung teilweise zu befriedigen.

3. Von den drei Denkschriften stellte die erste vom 1. August 1940 über «Die Schweizerische Eidgenossenschaft und das neue Europa» die Entwicklung der Schweiz im Gegensatz zur schweizerischen Geschichtsauffassung dar, mit dem Schluss, dass die Schweiz volkstumsmässig und im Sinn des Programms der NSDAP zum Deutschen Beich gehöre. Über ihre Aufteilung und den Anschluss der Landesteile an die angrenzenden Großstaaten sei «gegenwärtig und vorläufig» nicht zu sprechen, und zwar wegen der italienischen Ansprüche und weil nur die Aufrechterhaltung des status quo eine ruhige Gestaltung sichere. Für später sah Burri, unter Verzicht auf den Tessin und romanische Teile Graubündens, die zu Italien zu schlagen seien, die Einverleibung der Schweiz in das Deutsche Beich vor. Als Schritt zu diesem Endziel befürwortete die Denkschrift die Zusammenfassung aller in der Schweiz und im Ausland lebenden nationalsozialistischen Schweizer in eine einheitliche Erneuerungsbewegung und die Ausübung eines wirtschaftlichen ^Druckes des Beiches auf die Schweiz zur Beseitigung der verfassungsmässigen Behörden und der demokratischen Einrichtungen. An Stelle des Parlamentes sollte eine Tagsatzung treten und an der Spitze ein autoritär regierender Landammann stehen.

Die zweite Denkschrift vom 22. Januar 1941 «Zur Lage in der Schweiz» übergab Burri an Kaltenbrunner, damals höherer SS- und Polizeiführer in Wien, zur Weiterleitimg an Himmler. Burri wollte sich damit die zur Machtergreifung in der Schweiz notwendige Unterstützung in den Kreisen der SS verschaffen. Als unmittelbaren Zweck der Denkschrift gab er an, «die Wichtigkeit und Zweckmässigkeit des illegalen Kampfes in der Schweiz darzulegen und der illegalen Kampfgruppe mit ihrem SS-Charakter die Anerkennung .durch den Beichsführer-SS zu sichern». Er teilt seinen «prinzipiellen Standpunkt» mit: «Die Schweiz rnuss wieder ein Glied des Beiches werden», befürwortet eine sog. Zwischenlösung durch Systemsänderung, ruft zum Sturz des « Systems» und zur Übergabe der Führung an die
Nationalsozialisten auf. Da sich dies von innen nicht herbeiführen lasse, sei politischer und wirtschaftlicher Druck seitens des Beiches notwendig. In weiteren Abschnitten schildert Burri die Zersplitterung der Erneuerungsbewegungen und seine Bemühungen, sie" zu vereinigen und wie die nationalsozialistischen Schweizer im Beich unter seine Führung zu bringen. Er betont die Notwendigkeit des illegalen Kampfes, welcher Vorschlag von Keller und seinen Genossen sabotiert worden sei. Es folgt die gegnerische Auseinandersetzung mit der NB S (zwei Gruppen stünden sich gegenüber), ein Bericht über die Münchner Konferenz und das Bekenntnis «Der illegale Weg» im Kampf um die Schweiz. Burri bittet das Beich um Anerkennung seiner illegalen Kampfgruppe und um ihre Förderung. -- Die Denkschrift hatte Folgen, aber nicht die von Burri erwarteten. Der persönliche Stab Himmlers leitete die Denkschrift dem Chef des BSHA Heydrich zu, der

1041 km 5. April 1941 (vgl. bereits S. 1010) seinen für Himmler bestimmten, von Biectweg verfassten Bericht erstattete: Bei den augenblicklichen politischen Umständen sei es unmöglich, die ' schweizerische Erneuerung offen vom Reich aus zu leiten. Burri und Leonhardt sollten sich auf die Sammlung der Schweizer im Eeich beschränken. Die Denkschrift decke sich im grossen und ganzen mit der Auffassung des ESHA, jedoch seien die verleumderischen Auslassungen aber die in den Schweiz arbeitenden Erneuerer abwegig. Der Bericht werfe ein sehr schlechtes Licht auf den Charakter Bnrris, und die dauernd angemeldeten Führeransprüche hätten schon seit einiger Zeit auf ein massloses Geltungsbedürfnis schliessen lassen.

Die dritte Denkschrift Burris vom 15. Dezember 1943 über «Die Schweizer im Eeich» enthielt namentlich einen Überblick über die nationalsozialistischen Schweizerorganisationen. Burri stellte sich als Gründer des BSG und des NSSB vor und betonte die Notwendigkeit des Zusammenschlusses, unter seiner Führung, mit Oberaufsicht durch die Volksdeutsche Mittelstelle. Entgegen der «germanischen Auffassung» seien die Schweizer nicht Germanen, sondern deutsche Menschen ausser deutscher Staatsangehörigkeit. Burri sprach sich nach wie vor für die Einverleibung der Schweiz ins Eeich aus.

: 4. Mit all seinen Machenschaften wollte Burri, wie er im Präsidialverhör zugab, den nationalsozialistischen'Umbruch in der Schweiz herbeiführen, hierzu «alle anderen Bewegungen kaltstellen», andere «ausstechen» und sich selbst die oberste Führung verschaffen und sichern. Ende 1940 unterbrach die Anhebuno- eines Strafverfahrens die Verbreitung der Flugschriften, Burri jedoch wünschte sie fortzusetzen. Um sich hierbei von Leonhardt unabhängig zu machen und zugleich die Berechtigung seines Führeranspruches darzutun, begann Burri im April 1941 mit der Sammlung eigener Anhänger in der Schweiz.

Die zustandegebrachte Luzerner Gruppe oder -Linie nannte Burri «Nationalsozialistische Bewegung in der Schweiz» (NSBidS), mit Achermann, der später in Wien in seinen Dienst trat, als Mittelpunkt, und beauftragte die Gruppe, seine politischen Kampfblätter anhand von Manuskripten, die er ihr durch Leute Leonhardts zukommen liess, zu vervielfältigen und den von ihm bezeichneten Empfängern in der Schweiz, insbesondere Zeitungsredaktoren,
Gesandtschaften und · führenden Persönlichkeiten mit der Post zuzustellen oder sie durch Einwerfen in irgendwelche Privatbriefkasten zu verbreiten, was geschah.

Im Herbst 1941 beauftragte Burri den in Lörrach wohnenden Kaufmann, einen semer Gebietsleiter im NSSB, zur Verbreitung der Propagandaschriften mit Nationalsozialisten in der Schweiz Verbindung aufzunehmen, was ebenfalls erfolgte, bis im Mai 1942 ein Agent verhaftet wurde. Dieser Vorfall gab dem Auswärtigen Amt Anlass, Burri die Vervielfältigung seiner Kampfschriften in Deutschland zu untersagen, weshalb Burri dies fortan durch Vermittlung Kaufmanns in der Schweiz selbst besorgen liess. Überdies siichte Burri im Sommer 1942 durch Kaufmann für die NSBidS neue Leute zu gewinnen; um die Propaganda auf die ganze Schweiz auszudehnen und im Fall eines Umbruches eine Organisation zur Verfügung zu haben, womit er bei den deutschen Behörden

1042 Eindruck machen wollte. In Wirklichkeit blieb der Plan auf dem Papier, da Kaufmann keine Leute fand.

5. Im «Nationalsozialistischen Sohweizerbund» (NSSB) und in der Propaganda in ihm und für ihn sah Burri laut Feststellung des Bundesstrafgerichtes ein weiteres Mittel seiner Politik, die dahin ging, «mit Anerkennung der Reichsbehörden alle schweizerischen Nationalsozialisten unter seine Führung zu bringen, sich und seinen Anhängern mit Hilfe des Reiches die Macht in der Schweiz zu verschaffen und die Schweiz dem Deutschen Reiche einzuverleiben. Falls auch nicht der NSSB als solcher mit Regierungs- und Verwaltungsaufgaben in der Schweiz betraut werden sollte, so wurden doch die Mitglieder weltanschaulich so geschult, dass sie hier einzeln für Polizei- und Verwaltungsposten verwendet werden konnten».

Die Gründung des NSSB war die Folge, von Zerwürfnissen im BSG. Im Frühjahr 1941 erfuhr Burri von Legationsrat Triska, der ins Reich übergesiedelte Zander habe mit Riedweg und Rademacher Fühlung genommen und bemühe sich mit Lienhard, den BSG von Burri unabhängig zu machen.

In einer Zusammenkunft vom 24. August 1941 erklärte Lienhard, im BSG niemanden über sich anzuerkennen, worauf Burri, Leonhardt, Mange und Reiffer ihrerseits erklärten, nicht mehr mitmachen zu wollen (Näheres im Abschnitt VII, S. 1044 ff.). Ein Aufruf an die Mitglieder des BSG diente ihrer Überführung in den NSSB und enthielt die Mitteilung, Burri habe mit der Leitung des neuen Bundes Mange betraut. Burri verfasste für den NSSB Statuten, liess ihn in Wien eintragen und gab ihm als Bundesabzeichen ein langschenkliges, in der Mitte durch eine Hakenkreuzmedaille überdecktes Schweizerkreua.

Dem Urteil des Bundesstrafgerichtes ist weiter zu entnehmen: «Burri behielt sich die oberste politische Leitung des NSSB vor. Gegenüber dem Reichsstatthalter in Wien übernahm er die Verantwortung für die Tätigkeit des Bundes. .Er besorgte den Verkehr mit den. Dienststellen des Reiches, insbesondere mit Legationsrat Triska im AA. Als formellen Leiter des Bundes schob er Mange vor. Er besprach mit ihm jede Woche die Angelegenheiten des Bundes.

Er befahl Mange regelmässig oder nach Bedarf, wie er seine Funktionen auszuüben habe. Er nahm ihm ein Treuegelöbnis ab. Mit Mange zusammen verwaltete er die Kasse des NSSB, die er mit den Mitgliederbeiträgen
von monatlich mindestens einer Reichsmark, mit freiwilligen Spenden der Mitglieder und Dritter und bis Ende März 1942 mit den Leistungen des AA von monatlich Fr. 1000 spies. Leonhardt, der Burri ein schriftliches Treuegelöbnis ablegte, übernahm die Funktionen eines Redners, der zur Schulung der Mitglieder an den Versammlungen der Ortsgemeinschaften Vorträge hielt. Burri setzte ferner einen Jugendleiter ein und eine Frauënschaftsleiterin und Betreuerin der zum Kriegsdienst eingerückten Mitglieder. An Achermann, gewann er später einen .Mitarbeiter für Presse und Propagandawesen.» Burri fasste die Mitglieder des NSSB, deren Zahl innerhalb eines Jahres auf etwa 1000 und später bis auf rund 2400 stieg, nach Gebieten des Reiches zusammen. Er ernannte für jedes Gebiet einen Leiter, der ihm und dem NSSB

1043 schriftlich Treue geloben, musate.; Innerhalb der Gebiete bildete er Ortsgemeinschaften, durch die er Versammlungen abhalten liess. Die Büroarbeiten des NSSB liess Burri im Einverständnis mit Gauleiter Dr. Jury durch eine Angestellte seiner Dienststelle, in den Bäumen und mit den Einrichtungen dieser Stelle besorgen. Mange, als von Burri vorgeschobener Leiter des NSSB, übte seine Funktionen nach Burris Weisungen bis zum deutscheu Zusammenbruch aus, half den Bund organisieren, warb für ihn, half die «Information» herausgeben,, verfasstë hiefür zahlreiche Artikel und war mittätig in der intensiven Propaganda für die Einverleibung der Schweiz ins Eeich. Eyser war Gehilfe Manges, Gebietsleiter und eifriger Propagandist. Lenz, zunächst im BSG Leiter des Stützpunktes Hamburg, liess sich von Burri zum Leiter des Gebietes Nordsee ernennen, behielt dieses Amt bis zum deutschen Zusammenbruch, übernahm später ausserdem die Geschäftsführung über weitere Gebiete,.und wurde im Januar 1944 Stellvertreter des Bundesleiters. Lenz war ausserordentlich tätig, galt als Draufgänger, bester Gebietsleiter, und hatte mit der Bundesleitung enge Verbindung. Bodmer, zunächst in Ostpreussen Stützpunktleiter des BSG, führte Ende August 1941 seine Leute in den NSSB. über, wurde von Burri zum Leiter des Gebietes Deutscher Osten eingesetzt und trat im März 1943 in die Waffen-SS ein. Flury, zunächst im BSG, ging zum NSSB über und wurde ein in der Propaganda besonders tätiger Gebietsleiter. --- Für alles Nähere und für die Tätigkeit der übrigen Mitverurteilten wird auf das Urteil des Bundesstrafgerichtes verwiesen.

; · Zu Werbezwecken versandte Burri eine Eeihe von Schriften, Aufrufen, Flugblättern, Pressenotizen. Die «Information» war ein gedrucktes Mitteilungsund Schulungsblatt des NSSB, das Burri jeden Monat ein- bis zweimal herausgab und sämtlichen Mitgliedern zustellen liess. Den Gebietsleitern des NSSB stellte er auch die EiKo und die IPA-Korrespondenz zu.

6. In der Hauptverhandlung hat Burri, in letzter Minute, das Bekenntnis abgelegt, dass er einsehe, sich in den Mitteln zur Verwirklichung seiner nationalsozialistischen Ziele vergriffen zu haben. Ob dies einer wirklichen Einsicht entsprang und mit dem Willen zur Umkehr verbunden war, blieb damals ungewiss. Ein seit dem Urteil verfasster Brief Burris ergibt jedoch
unmissverständlich, dass ihm in Wirklichkeit nach wie vor jede Einsicht in das Verbrecherische seines landesverräterischen Handelns gegen die Schweiz gänzlich abgeht. Burri sieht sich ausschliesslich als «Opfer eines verlorenen Krieges», und das Urteil ist ihm ein politisches, mitbestimmt durch Feindschaft und Klassengeist. Seine Freiheit habe er für den Kampf um Europa verloren» Die politische Seite seines Falles gehöre der Eeichs- und Schweizergeschichte an. -- Das letzte stimmt, aber nicht wie Burri in seiner sturen Einsichtslosigkeit, vermeint, sondern als Landesverräter gemäss den tatsächlichen Feststellungen des Bundesstrafgerichtes, den Erwägungen zur Schuld und der Begründung des Höchstmasses der schwersten Freiheitsstrafe. Burri ist stärker belastet als irgend einer der anderen Nationalsozialisten, die das; Bundesstrafgericht zu verurteilen hatte.

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VII. Bestrebungen zur Wiedervereinigung der Bünde

1. Die Spannungen innerhalb des BSG und das scliliessliohe Auseinanderfallen d«r nationalsozialistischen Schweizer im Eeich, die Abspaltung des N S SB im August 1941 vom B S G, und auch die spätere, an sich weniger bedeutende Gründung des NSSAO durch Schmid, bestimmten den Fortbestand und die Geschicke der Bünde weitgehend. Über die Spannungen ini BSG schafft Klarheit der Schriftenwechsel aus dem Jahre 1941 zwischen Lienhard und Burri, der sich seit dem Mai 1941 zusehends verschärfte. In diesem Führungsstreit trat Burri als «Gründer des BSG» gegen «Sonderbestrebungen» um den Bundesleiter Lienhard auf, der sich seinerseits zur Wehr setzte und hierbei am 26. Mai 1941 folgendes niederschrieb: «Ich bin seit 1924 in Deutschland, habe meine verantwortungsvolle Stellung im Gastlande, kämpfe für die nationalsozialistische Weltanschauung und anerkenne aus diesem Grunde nur den Schöpfer dieser Weltanschauung als meinen Führer! Aus diesem Grund allein schon scheidet für mich jede Diskussion über die Führerfrage gänzlich aus. Was mit der Schweiz geschieht, das wissen wir alle miteinander nicht. Nur so viel steht fest, dass die Zeiten vorbei sind, wo schweizerische Politiker noch Gelegenheit haben werden, das Schicksal der Schweiz zu bestimmen. Die Neuordnung Europas wird vom Führer bestimmt und deshalb wird auch er es sein, der der Schweiz ihren Platz im neuen Europa anweisen wird. Ob die Schweiz politische Selbständigkeit behalten kann oder nicht, wird nicht in Bern, sondern in Berlin entschieden. Inwieweit schweizerische Erneuerer zur Mitarbeit herangezogen werden und welche Persönlichkeiten bestimmt werden, dürfen wir auch getrost den ordnenden Kräften überlassen und brauchen uns hierüber kein Kopfzerbrechen zu machen.» Burri, der in Berlin Bücksprache genommen und sich auch mit Dr. Peter besprochen hatte, antwortete Lienhard am 8. Juli 1941 und versicherte ihn hierbei seines Vertrauens, ferner wurde Burri in Wien von Zander aufgesucht, und es hatte zeitweise den Anschein, dass eine Zusammenarbeit gesichert sei.

Im Briefwechsel zwischen Lienhard und Burri vom August 1941 nahm jedoch die Spannung wieder zu. Burri betonte erneut, dass. er das Vertrauen des Auswärtigen Amtes gemesse und massgeblich zu entscheiden habe. .Um die Streitigkeiten beizulegen, schlug er schliesslich eine Zusammenkunft vor.
Die Spannungen im BSG und die drohende Spaltung des Bundes kam den Berliner Amtsstellen sehr ungelegen, und Huegel -erhielt Auftrag, sie zu verhindern, da der Grundsatz der einheitlichen Linie, wie an der Münchner Konferenz vom 10. Oktober 1940, weiter wegleitend war. Huegel berief die Zusammenkunft auf den 24. August 1941 nach Stuttgart ein, finanziert vom A AK. Über den Verlauf stellt das Bundesstrafgericht fest: «Der Leiter des SD-Leitabschnittes Südwest, Steimle, und Dr. Huegel wohnten der Konferenz als Vermittler bei. Die schweizerischen Teilnehmer waren Lienhard, Zander, Schäppi, Burri, Mange, Leonhardt und Eeiffer. Lienhard, der den Vorsitz führte, legte die Grundsätze, nach denen er mit Burri zusammenarbeiten

·wollte, schriftlich vor. Darnach erklärte er, als Leiter des BSG niemanden über sich- anzuerkennen; Burri, Leonhardt und Zander sollten ihre Aktionen im eigenen Namen und unter eigener Verantwortung durchführen. Burri, dagegen verlangte, dass der BSG ein Bestandteil der unter seiner Führung stehenden NSBidS werde. Da Lienhard ablehnte, erklärten Burri, Leonhardt, Mange und Beiffer, nicht mehr mitmachen zu wollen. Sie verliessen das Sitzungszimmer und beschlossen, den.,Nationalsozialistischen Schweizerbund' zu gründen.» -- Die Zusammenkunft war mithin gänzlich gescheitert, und die beiden Bünde gingen fortan vollkommen getrennte Wege. Von Zander ist bezeugt, dass er sich äusserte, es sei eigentlich ganz gleich, ob der BSG auseinanderfalle oder nicht, sie seien ja doch bald unter einem Hut zusammen; gemeint war Hitler. Nach der Spaltung versuchte jeder der Bünde, dem andern den Bang abzulaufen, besonders in der Mitgliederwerbung. Es kam so weit, dass dort, wo Gruppen beider Bünde ^bestanden, sie ihre Versammlungen gegenseitig störten und ein Bund gegen den andern sogar uni polizeilichen Versammlungsschutz bat. Die für deutsche Verhältnisse geradezu «absurde» Lage bewirkte, dass Huegelim Jahre 1942 mit einem weiteren Schlichtungsversucb beauftragt wurde,, mit erneuter grösserer Aussprache unter den Nächstbeteiligten und einer Art Burgfriedensabkommen, das aber die Gegensätze und Spannungen nicht beseitigte. Im Jahre 1943 zog die Gestapo wegen der andauernden Eeibereien sogar ein Verbot der Bünde in ernstliche Erwägung, was aber die in den Bünden Führenden hintertreiben konnten.

2. Nach der Gründung des NSSB versuchte besonders die Germanische Leitstelle, die nationalsozialistischen Schweizer im Eeich wieder unter einheitliche Führung zu bringen. Da sie auf der Seite der Gegner Burris stand, die diesen als Führer ablehnten, widersetzte sich Burri ihren Plänen. Anfangs 1942 schrieb SS-Obergruppenführer Berger an Kaltenbrunner in Wien, Burri habe sich unterzuordnen, sonst lasse er ihn verhaften. Als Burri hiervon Kenntnis erhielt, erwirkte er eine Unterredung. Berger setzte ihm auseinander, dass sich die nationalsozialistischen Schweizer der Germanischen Leitstelle unterzuordnen hätten, da diese alle Fragen behandle, welche die germanischen Völker beträfen. Burri antwortete in seiner bekannten Weise,
die Schweiz sei kein germanischer, sondern ein deutscher Staat. Die Unterstellung unter das SSHauptamt lehnte er ab, versprach Berger aber, nichts zu tun, was gegen die Eeichsinteressen gehe, insbesondere die Tätigkeit Bergers zur Ergänzung der Waffen-SS nicht zu stören.

. .

: Der Bundesanwaltschaft sind im Mai 1948 Amtsschreiben deutscher Dienststellen, so der NSDAP, der Germanischen Leitstelle, der Volksdeutschen Mittelstelle zugekommen, die ergeben, dass. die Eeichsstellen in der Unterstützung der Schweizerbünde lange unsicher waren und sich verschieden ver^ hielten. Am 15. Januar 1943 erklärt die Vomi, «eine Unterstützung des NS Schweizerbundes seitens der NSDAP wird aus den bekannten besonderen Verhältnissen mit der Schweiz als nicht angebracht gehalten», anderseits seien der eigenen Arbeit des Bundes keine Schwierigkeiten zu machen: «Es Bundesblatt. 100. Jahrg. Bd. III.

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1046 muss aber sichergestellt werden, dass eine Verbindung der NSDAP zum NSSchweizerbund nicht feststellbar ist.» Die beiden Bünde suchten namentlich die Adressen der Schweizer in Deutschland zu erjagen, und der BSG war durch Zander, damals hauptamtlich Westreferent des VDA, bei diesem und bei der Vomi im Vorsprung. Der Bundesleiter des NSSB, Mange, erstrebte die Gleichbehandlung, wozu er am 6. April 1943 schrieb, «dass der NSSB die Auffassung vertritt, der Schweizer sei ein deutscher Mensch, während Dr. Zander die Schweizer als germanische Nation erklärt und dadurch die Schweizer von der deutschen Nation absplittert». Mange war es darum zu tun, dass «sich die völkische Schutzarbeit nicht nur auf die germanische Linie, sondern auch auf die wirklich deutschvölkische Gruppe erstrecken könnte». Als sich die Vomi am 8. Juni 1943 um Abklärung an die Germanische Leitstelle wandte (sie schrieb an Büeler, und dieser entwarf die Antwort), hielt die Leitstelle an der Absprache, keine Adressen abzugeben, fest, und teilte am 15. Juni 1943 mit, es seien zur Zeit Bestrebungen im Gange, um die drei nationalsozialistischen Schweizerbünde zusammenzuschliessen ; die gesonderte Tätigkeit der einzelnen Bünde liege nicht im Beichsinteresse.

3. Mit dem Deutschlandaufenthalt Kellers beginnt seine, in den Urteilen enthaltene Mittlertätigkeit, die vom Frühjahr 1942 bis Oktober 1944 in verschiedenen Etappen und Anläufen zum Ausdruck kommt. Das Bundesstrafgericht stellt fest: Im April 1942 machte Keller sich daran, die beiden Bünde auszusöhnen und die Führung über die nationalsozialistischen Schweizer im Beich zu erlangen. Er schrieb am 20. April an Mange und Lienhard, dass der Geburtstag Adolf Hitlers ihn bestimme, sie zu einer Besprechung nach Berlin einzuladen und ihnen die Einigung vorzuschlagen. Beim NSSB stiess er auf schroffe Ablehnung, wogegen der BSG sich durch Zander vertreten liess. Keller besprach sein Vorhaben mit Biedweg, Büeler. Wechlin, Zander und Menzi und legte im Mai 1942 das Ergebnis der Besprechung als Plan einer «Arbeitsgemeinschaft schweizerischer Nationalsozialisten» schriftlieh nieder. Das Schriftstück stellt einleitend fest, dass auch die Schweiz sich dem weltgeschichtlichen Veränderungsprozess nicht entziehen könne und mit oder wider Willen gezwungen sei, sich den neuen Verhältnissen anzupassen. So
wie die Dinge lägen, bestehe die Gefahr, dass die Schweiz infolge der ständigen Missleitung, Verhetzung und Vergiftung in einen immer grösser werdenden, unnatürlichen Gegensatz zum Deutschen Beich als der führenden Ordnungsrnacht gelange und in eine tödliche Verkrampfung gegenüber dem deutschen Brudervolk verfalle, aus der sie sich nicht mehr zu lösen vermöchte. Dadurch gingen für sie mit Freiheit und Ehre auch ideelle und materielle Werte zugrunde, und das Deutsche Beich hätte sich stets mit einem unerfreulichen, unruhebergenden Land auseinanderzusetzen.

Die Schwierigkeiten, wie sie z. B. in Holland, Dänemark und Norwegen herrschten, wären demgegenüber eine Kleinigkeit. Es liege deshalb im Interesse der Schweiz wie auch des Beiches, einen Ordnungsgedanken in die schweizerischen Belange zu bringen. Das sei das Ziel der Arbeitsgemeinschaft. Den Zweck

1047 dieser Organisation umschrieb Keller dahin, dass sie die schweizerischen Nationalsozialisten, und nationalsozialistischen Organisationen sammeln und sie entsprechend ihrer Eignung, Fähigkeit und Tätigkeit zu Dienstleistungen für die Heimat im Sinne des Nationalsozialismus einsetzen und zugleich eine zuverlässige Informations- und Beratungsstelle für die sich mit der Schweiz befassenden Amtsstelleu des Beiches sein solle. Die Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft sollte bestehen in der Bearbeitung bestimmter Sachgebiete wie z. B. Politik, Wirtschaft, Weltanschauung, Schulung, Betreuung (Sozialdienst, Sicherheitsdienst, Bechtsberatung usw.) und in der Herstellung der Verbindungen unter den Funktionären der einzelnen Sachbereiche und mit den Ausgenstellen. Für die SS und die Aufgaben des Arbeitseinsatzes wurde mit Bücksicht auf ihre Bedeutung und Dringlichkeit eine besondere Begelung in Aussicht genommen. Über die Arbeitsweise führte Keller aus, dass nach der vorgesetzten Stelle berichtet und gegenüber den nachgeordneten Stellen verfügt werde, dass niemand das Becht habe, sich in die Angelegenheiten des andern einzumischen, und dass Dritten, die mit der Sache nichts zu tun hätten, nichts mitgeteilt werden dürfe. Vorgesehen wurde die Schaffung von vier bis fünf Büros mit drei bis vier Arbeitskräften. Die Kosten im Betrage von jährlich BM 30 000 bis 50 000 sollten «durch freiwillige Aufwendungen aus Schweizerund Freundeskreisen» gedeckt werden.

Keller, der als Führer der Arbeitsgemeinschaft vorgesehen wurde, Wollte seine Gefolgsleute in «NS-Schweizer» und in «NS-Eidgenossèn» einteilen. Über diesen Punkt machte er auf Grund einer Besprechung mit Zander, Büeler und Wechlin stenographische Notizen. Von den NS-Schweizern schrieb er, dass sie für zivile Aufgaben bevorzugt in Betracht kämen. Den NS-Eidgenossen als eigentlichen Trägern und Vertretern der nationalsozialistischen Idee behielt er dagegen die leitenden Partei- und Staatsfunktionen vor. Er wollte sie einer militärischen Disziplin unterstellen und sie durch Eid zu unbedingter Gefolgschaft verpflichten. -- Biedweg lehnte jedoch Kellers Pläne ab, da er selbst die Absichten verwirklichte, die in der Leitstelle zum Beferat Schweiz hinführten.

4. Im Frühjahr 1943 unternahmen Biedweg und Büeler, im Einvernehmen mit Menzi vom Amte VI des BSHA, einen
neuen Vorstoss, um BSG und NSSB zu vereinigen und womöglich unter Kellers Leitung zu bringen. Sie veranlassten eine Besprechung im Büro Zanders beim VDA. Die Germanische Leitstelle Hess sich durch Büeler und dessen Untergebenen Benz vertreten. Aüsser ihnen nahmen Menzi, Frei, Zander, Wechlin, Mange und Keller an der Besprechung teil. Büeler gab den Versammelten die Auffassung der, Germanischen Leitstelle und des Amtes VI BSHA bekannt und legte den Vertretern der beiden Bünde die Verschmelzung ihrer Organisation nahe. Mange versprach, sich bei Burri dafür einzusetzen. Sie unterblieb indes.

: Einen weiteren Versuch, Burri für die Vereinigung zu gewinnen, unternahmen BièViweg und Büeler im Frühsommer 1943, als sie vernahmen, dass die Dienststelle Sauckels, des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz,

1048 10 000 Schweizer Arbeiter nach Deutschland verpflichten und sie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Arbeitsfront durch BSG und NSSB betreuen lassen wollte. Biedweg und Büeler bewogen die Dienststelle, die Mitwirkung der beiden Bünde nur unter der Bedingung vorzusehen, dass die Führer ihre Streitigkeiten begrüben und.den Weg zum Zusammenschluss vorbereiteten. Auf der Dienststelle Sauckels fand eine Besprechung zwischen ihrem Sachbearbeiter Maag sowie Büeler, Benz, Menzi, Frei und Mange statt. In der Folge unterhandelten Büeler und Benz noch einige Male mit Maag. Der Plan Sauckels konnte jedoch nicht verwirklicht werden. Zu diesen Vorgängen gehört ein Schreiben Kellers an Maag vom 12. Oktober 1943. Mit allen Kräften sei er bereit, den Zusammenschluss zu unterstützen, in steter Verfolgung des grossen Zieles. Die Zeit für Experimente sei vorbei.

Im Zusammenhang mit diesen Vorgängen erfolgte auch der Briefwechsel von 1943 zwischen der Germanischen Leitstelle und Burri, der auf seinem Hinweis beharrte, die Schweizer seien ein Bestandteil des deutschen Volkes und es nach wie vor ablehnte, den NSSB der Leitstelle zu unterstellen. Burri wollte nicht, dass ein anderer die nationalsozialistischen Schweizer im Beich führe. Der Vereinigung der Bünde, unter seiner eigenen Führung, hätte er sich : nicht widersetzt.

5. Nachdrücklich und planmässig waren die Anstrengungen der Eeichss teilen im Jahre 1944. .

a. Voraus ging die dritte Denkschrift Burris vom 15. Dezember 1943 (vgl. hiervor S. 1041). Burri berief sich darauf, dass er der Gründer sowohl des BSG als auch des späteren NSSB sei und schlug den Zusammenschluss unter seiner Führung vor. Der bereits genannte Geheimvermerk des Amtes VI B BSHA vom 3. Juni 1944 (vgl. hiervor S. 1027) nimmt seinerseits Bezug auf ein Schreiben Burris an Kaltenbrunner. Der von Gruppenleiter Steimle unterschriebene Vermerk, auch hierin eines der wesentlichsten Beweisstücke in den Bundesstrafverfahren, nennt eingangs nachstehende Organisationen: 1. NSSB (Nationalsozialistischer Schweizer Bund) unter der geistigen Führung von Franz Burri, Mitgliederzahl rund 2000; 2. BSG (Bund der Schweizer in Grossdeutschland) unter ; der geistigen Führung von Dr. Zander und Dr. Wechlin, Mitgliederzahl rund 1500; 3. NSSAO (Nationalsozialistische Schweizer Arbeiterorganisation) rund 50 Mitglieder.
Beigefügt ist, Leonhardt, «der vom NSSB vor einigen Wochen abgesprungen ist, bemüht sich, als vierte Organisation einen Bund reichstreuer Eidgenossen zu gründen».

Der Geheimvermerk nennt die unerquicklichen Verhältnisse und die heftigen Fehden unter den Bünden. Tatsache sei, dass «seit Jahren in liberalster und demokratischster Form Kampagnen geführt, Versammlungen abgehalten, Denkschriften verfasst und eine Unzahl deutscher Dienststellen laufend in Anspruch genommen werden und dies von Organisationen, die insgesamt kaum

1049 4000 Menschen umfassen». Aus diesem Grunde sei seit- einiger Zeit zwischen dem Beichssicherheitshauptamt, Amt VI, Amt IV, der Parteikanzlei, Germanischen Leitstelle, dem Beichspropagandaministerium und Auswärtigen Amt Fühlung aufgenommen worden, um diesem Treiben ein Ende zu machen.

Mit diesem Vorstoss Steimles, nach vorheriger Absprache mit Benz als dem zuständigen Schweiz-Eeferenten der Germanischen Leitstelle, hängt die Unterredung vom 26. April 1944 zwischen Steimle und Keller zusammen, deren Verlauf Keller zu seinem Schreiben an Steimle vom 2. Mai 1944 Anlass gab.

Der im Urteil wiedergegebene Wortlaut ist nicht nur für Keller in seiner beanspruchten Führerstellung auf das schwerste belastend, 'sondern zeigt des nähern auf, welchen Weg Keller, vorschlug: Die zuständige Eeichsstelle solle den Gruppen den Wunsch bekanntgeben, dass der schon seit langem geplante Zusammenschluss möglichst rasch erfolge, und diejenige Persönlichkeit als Führer der neuen Organisation von sämtlichen deutschen Stellen anerkannt werde,, die mit Kellers Zustimmung gewählt oder von ihm bestimmt worden sei. Diese Haltung der deutschen Stellen sei natürlich, könne keinen falschen Auslegungen ausgesetzt sein, und aus den Schweizerkreisen könne sich kein Einspruch erheben; denn jede Gruppe, einschliesslich Burri, habe Keller gebeten, den Zusammenschluss an die Hand zu nehmen: «Besonders wertvoll dürfte bei der angeregten Lösung auch der Umstand sein, dass auf diese Weise ebenfalls die späterhin unentbehrliche Gefolgschaft der in der Schweiz verbliebenen Kameraden gesichert und damit die tatsächliche Einheit der Schweizer Nationalsozialisten gewährleistet werden kann». Betreffs der Arbeitsteilung würden dem mit der Leitung Beauftragten alle Pflichten und Eechte im Sinne des Führerprinzips übertragen, mit einem von ihm gebildeten Eat, helfend zur Seite. Keller selbst übernähme für die erste Zeit, d. h. bis die Sache richtig angelaufen sei, eine Schiedsrichterfunktion. Zudem würde «ich (Keller) auch von dieser Seite meine Zuständigkeit für alle Belange bestätigen lassen, die ausserhalb der fest umgrenzten Zielsetzung der innerdeutschen Schweizer Organisation liegen. Darunter würden vor allem die politischen und diplomatischen Aufgaben fallen». Der Schlußsatz Kellers lautet: «Es versteht sich von selbst, dass, wenn es um
die Entscheidung geht, jeder persönliche Wunsch zurückzustehen hat, und dass ich vorbehaltlos dort und jederzeit, wo es das Interesse des Beiches und meiner Heimat erfordert, zum Einsatz bereit bin.» b. Das Amt VIB des ESHA war willens, in der Frage der Neuregelung die Hauptverantwortung zu übernehmen. Steimle wies im Geheimvermerk darauf hin, die Germanische Leitstelle erachte dies als zweckmässig, und die Bearbeitung sei bereits bisher beim ESHA gewesen, «da eine grosse Anzahl der Schweizer Nationalsozialisten während ihres früheren Aufenthaltes in der Schweiz durch das Amt VI gesteuert wurde und die Kenntnis der Schweizer Verhältnisse wesentliche Voraussetzung zur Bearbeitung des Problems darstellt».

o. Die Vorschläge Steimles gingen über den Amtschef VI, Schellenberg, an den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Kaltenbrunner, der sie jedoch

1050 am 26. Juni 1944 zurückwies : «Ist Sache des SSHA bzw. der Germanischen Leitstelle. VI hat ND zu treiben, sonst nichts.» Demgemäss trug Steimle die Sache nunmehr dem Chef des ,8SHA vor. Berger hatte schon anfangs Juli, verärgert über Burri, dessen Aufgabe es zu sein scheine, deutsche Dienststellen zu verdächtigen und gegeneinander auszuspielen, dem Amt VI BSHA vorgeschlagen, den BSG und NSSB aufzulösen und unter einheitlicher Führung neu zu formieren. Auf den Vortrag Steimles entschied Berger am 8. August 1944, dass die Zusammenlegung der drei Bünde umgehend durch das SSHA im Namen des Beichsführers SS, dessen Genehmigung er nachträglich einholen werde, durchzuführen sei.

6. Im August 1944 berieten sich Benz und Keller über den Konferenzplan, der sich in den. Gerichtsakten befindet. Der Plan umschreibt das Konferenzziel, die bisherige Lage und die Vorschläge des SSHA.

·' a. Die Konferenz selbst fand am 17. August 1944 in Berlin statt, mit Teilnehmern des SSHA, des Auswärtigen Amtes, der Parteikanzlei, des Hauptamtes für Volkstumsfragen, des Eeichssicherheitshauptamtes VI B, der Volksdeutschen Mittelstelle. Unter den Vertretern des SSHA waren die Schweizer Benz und Weilenmann. Laut Konferenzbericht, ebenfalls in den Akten, waren alle Teilnehmer mit folgender Lösung einverstanden: «1. Für die Steuerimg der Schweizer in Deutschland, soweit sie sich zum Nationalsozialismus bekennen, ist der Beichsführer zuständig. Wo aussenpolitische Belange berührt werden, wird das Auswärtige Amt eingeschaltet.

Bei Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung wird mit der Parteikanzlei, dem Eeichssicherheitshauptamt sowie anderen beteiligten Stellen Fühlung genommen.

2. Den nationalsozialistischen Schweizern wird die Auflage gemacht, sich in kürzester Frist in einer einheitlichen Organisation zusammenzuschliessen. Die Aufforderung an die Schweizer Vereine zum Zusammenscbluss ergeht in den nächsten Tagen vom SS-Hauptamt aus. Als Termin zur Einigung wird der 1. Oktober 1944 festgesetzt.

8. Der mit Einverständnis von Dr. Max Leo Keller gewählte Führer des Schweizer bundes wird-als solcher deutscherseits anerkannt und mit den zur Durchführung seiner Aufgaben nötigen Vollmachten ausgestattet.

4. Kommt seitens der Erneuerungsgruppen innerhalb der vorgeschriebenen Zeit keine Einigung zustande, wird der verantwortliche
Führer von Dr. M. L. Keller bestimmt.

5. Hauptaufgabe der neuen Vereinigung ist, die nationalsozialistischen Schweizer zum Beichsgedanken zu erziehen und den augenblicklichen Kampf des deutschen Volkes durch Werbung der besten Kräfte zur Waffen-SS zu unterstützen.

6. Diskussionen über staatsrechtliche Probleme sind in der neuen Organisation verboten.

7. Aktionen aussenpolitischer Art sind der Vereinigung verboten. .Damit wird diese neue Vereinigung eine rein innerdeutsche Angelegenheit!»

1051 l. In der Folge teilte Benz, vom Referat Schweiz der Amtsgruppe D des SSHA, den Schweizerbünden mit, dass sie sich bis am 1. Oktober 1944 zusammenzuschliessen und einen verantwortlichen Führer zu bestimmen hätten, und dass Keller als Schiedsrichter bezeichnet sei. Am 28. August 1944 schrieb; Benz an Keller, die Schweiz habe die Generalmobilmachung angeordnet, und man müsse mit der Möglichkeit rechnen, dass ihre Neutralität von einer der kriegführenden Parteien verletzt werde. Er ersuchte Keller, beim Auswärtigen Amt und der Parteikanzlei zu sondieren und wenn nötig seinen Binfluss geltend; zu machen, weil das Beispiel Eumänien wieder einmal lehre, dass man sich nie genug vorsehen könne ! Benz fuhr fort : «Die Zusammenlegung der Schweizerbünde im Reich würde notfalls beschleunigt durchgeführt, und zwar auf die Art, dass die Germanische SS (SS-Ostbaf. Kopischke) die Zusammenfassung aller Schweizer Nationalsozialisten im Reich und ihren politischen Einsatz in der Schweiz^ mit allen Vollmachten ausgestattet, durchführt.» Keller berief die Vertreter des BSG und NSSB auf den 10. September 1944 nach Bregenz zu einer Besprechung ein. Der BSG, der mit der Vereinigung einverstanden war, sandte einen Bevollmächtigten. Burri jedoch, dem die Parteikanzlei das Konferenzergebnis mitgeteilt hatte, sperrte sich sofort gegen jede Funktion Kellers. Er suchte die Aktion in die eigene Hand zu bekommen, die Einigung selbst vorzunehmen und die Führung an sich zu reissen. Burri hatte deshalb Keller zuvorzukommen versucht, und seinerseits die Vertreter des BSG, Frei und Zander, und den Leiter des NSSAO, Schmid, auf den 9./10. September 1944 zur Besprechung nach Wien eingeladen. Diese fand freilich nicht statt, da die Amtsgruppe D Burri mitteilte, sein Vorgehen sei unerwünscht, und die Zusammenfassung der Bünde habe so zu. erfolgen, wie sie es angeordnet habe. Burri entgegnete, so wie sie die Aktion begonnen habe, werde diese zu keiner aufbaufähigen Einigung führen. Der Bregenzerbesprechung Kellers blieb der NSSB fern. Als Keller ihn erneut auf den 22. September 1944 nach Berlin einlud, liess Burri die Bundesleitung und die Gebietsleiter des NSSB auf den 16. September zur Lagebesprechung nach Wien einberufen.

Er selbst nahm an der Tagung nicht,teil, erklärte aber durch Mange als seine persönliche Ansicht, der NSSB
solle seine Haltung selbst dann nicht aufgeben, wenn mit Verhaftung gedroht werde. Er entbinde die Tagungsteilnehmer von ihrem Treuegelöbnis und stelle es ihnen anheim, Beschlüsse nach eigenem Gutfinden zu fassen. Mange und die übrigen beschlossen daraufhin einmütig, einer einheitlichen Organisation aller nationalsozialistischen Schweizer im Reich nur anzugehören, wenn sie von Burri geleitet werde. Sollte eine Reichsbehörde den NSSB zwangsweise in eine nicht von Burri geleitete Organisation eingliedern Wollen, würden sie den NSSB auflösen und die Mitgliederverzeichnisse vernichten. Die Teilnehmer an der Tagung unterzeichneten zuhanden des SSHA eine Resolution. Darin erneuerten sie ihr Gelöbnis der Treue zu Hitler und bekannten sich als Schweizer deutschen Blutes zum deutschen Volkstum und zu Punkt ;1 des Programms der NSDAP über den Zusammenschluss aller Deutschen zu einem Grossdeutschland. Die Resolution sandte Mange der

1052 Amtsgruppe D. Nach der Tagung liess Burri den Stellvertreter des Bundes leiters, Lenz, und einen Gebietsleiter nach Stuttgart fahren, um mit Frei und Schmid über die Vereinigung der Bünde zu verhandeln. Frei war aber bereits nach Berlin gefahren. Dagegen gelang es den beiden, Schmid zur Auflösung des NSSAO und.zur Überführung der Mitglieder in den NSSB zu bewegen.

An der von Keller geleiteten Besprechung in Berlin vom 22. September 1944 nahm zwar der Bundesleiter des BSG teil, während der NSSB bloss einen Beobachter zu entsenden versuchte, den Keller ablehnte.

Inzwischen hatten sich auch das Auswärtige Amt und die Parteikanzlei eingemischt, indem sie die notwendige Zurückhaltung der Beichsstellen zum Ausdruck brachten. Am 13. September äusserte sich das AA dahin, dass die Schweiz die Einigungsaktion als gegen sie gerichtet auffassen könnte, und die Parteikanzlei schrieb am 19. September, wenn der Schweiz bekannt werden sollte, dass die Reichsstellen aktiven Binfluss nähmen, so gäbe dies der Schweiz den gewünschten Anläse zu Repressalien gegen die Landesgruppen der deutschen Auslandsorganisation, und zum Fördern der in Bildung begriffenen deutschen Emigranten-Organisation. Burri wurde erklärt, «als deutscher Staatsangehöriger und politischer Leiter könne er in irgendeiner Schweizer Erneuerungsbewegung im Reich keine führende Rolle einnehmen.» c. Benz von der Amtsgruppe D des SSHA hielt den Misserfolg der Bemühungen Kellers am 29. September 1944 in einem ersten Aktenvermerk fest, wobei er erwähnte, dass Burri zur Vermeidung einer zwangsweisen Zusammenlegung der beiden Bünde .in einer Besprechung mit einem Vertreter des SSHA letztmals Gelegenheit haben werde, einzulenken. Die Besprechung kam jedoch nicht zustande.

Damit betrachtete auch Keller seinen Einigungsversuch als gescheitert.

Dem SSHA erstattete er Bericht. Ein zweiter Aktenvermerk des Benz vom 26. Oktober 1944 gibt die schiedsrichterliche Entscheidung Kellers wieder.

Er hatte vorgeschlagen, unter dem Namen «Bund der Schweizer Nationalsozialisten» (BSN) eine von Frei zu führende neue Organisation zu schaffen.

Deren Aufgabe sah er in der Sammlung, weltanschaulichen Fortbildung und Betreuung der Schweizer Nationalsozialisten im Reiche. Er wollte den BSN als rein innerdeutsche Organisation behandelt wissen und ihm aussenpolitische
Diskussionen und Aktionen jeder Art untersagen. Damit nahm Keller Rücksicht auf die Beschlüsse vom 17. August 1944 und auf die Bedenken, welche das AA und die Parteikanzlei gegen die Einigung der Schweizerbünde hegten.

Benz aber und sein Vorgesetzter Spaarmann fanden diese Vorschläge Kellers als zu wenig durchgreifend. Sie fürchteten, es bleibe alles beim alten und schlugen dem Chef des SSHA vor, die beiden Bünde aufzulösen und durch die Amtsgruppe D einen neuen Schweizerbund zu bilden. Sie erklärten, die neue Organisation werde in erster Linie ein Sammelbecken für die Germanische-SS und die Waffen-SS darstellen, worin ihre Existenzberechtigung allein zu erblicken sei. Mit der Führung wollten sie ebenfalls Frei beauftragen, der sich den Weisungen der Amtsgruppe D hätte fügen sollen. Der Chef des SSHA stimmte

1053 dem zu. Tatsächlich hatte Berger Bereits am 18. Oktober 1944 dem Chef des BSHA, Kaltenbrunner, beantragt, BSG und NSSB aufzulösen, die Mitgliederkarteien sicherzustellen und Burri jede politische Betätigung in SchweizerSachen zu verbieten. Indessen gab Kaltenbrunner dem Antrag keine Folge, womit sich die Amtsgruppe D abfand. Sie verlegte das Schwergewicht fortan auf die: Sammlung und Schulung der schweizerischen Nationalsozialisten in ; der Germanischen SS-Schweiz.

Für die Schweiz -wirkten sich die: Gegensätze und der andauernde Führerstreit unter den nationalsozialistischen Schweizerbünden im Beich und das Misslingen einer Einigung während all den Kriegsjahren günstig aus. Die Zersplitterung verhinderte den Aufbau einer wirklich schlagkräftigen Einheitsorganisation und trug dazu bei, die erhebliche Gefahr der Bünde für das Land einigermassen; zu mindern. · ; · ' Vm. Die Germanische SS-Schweiz Die SS (Schutzstaffel) war eine in der Kampfzeit der NSDAP entstandene politische Schutzorganisation, die aus den zuverlässigsten Nationalsozialisten bestand und als LeibAvache Hitlers und seiner nächsten Gefolgsleute diente.

Aus ihr .entwickelte sich die Allgemeine SS, wegen ihrer schwarzen .Uniformen auch Schwarze SS genannt, und die Waffen-SS. Der Dienst in der ersteren umfasste «neben weltanschaulicher Schulung in der Hauptsache Sicherungsaufgaben sowie die vor- und nachmilitärische Aussbildung». Die Waffen-SS, grau uniformiert, war der unter, den Waffen stehende Teil der SS, der «im Frieden vom. Führer zur Lösung besonderer Aufga.ben betraut, im Krieg an der Seite des Heeres in vorderster Front steht». Der Dienst in dieser Truppe galt als Wehrdienst.

Die nachfolgenden Feststellungen übernehmen im wesentlichen den Text der Urteile des Bundesstrafgerichtes.

1. In die Waffen-SS wurden auch Freiwillige aufgenommen, welche die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besassen. Solche unter, den Angehörigen der «germanischen Bandstaaten», insbesondere auch der Schweiz zu werben, gehörte zu den Aufgaben der Germanischen Leitstelle. Aber auch Burri, Mangey Kaufmann und andere vom NSSB leisteten der Werbung fortgesetzt Vorschub, die zwei Erstgenannten besonders im Jahre 1941 mit der Aufforderung zum Eintritt in eine in Aussicht genommene, aber von den deutschen Behörden schliesslich doclrnicht aufgestellte «
Schweizerlegion» der Waffen-SS. Biedweg liess die 'Werbung von Schweizern nicht nur durch die Leiter des Panoramaheims besorgen, sondern unterstützte die Werbung auch persönlich, wo sich dazu Gelegenheit bot. Auch sah er in der .Unterstützung des BSG und in der Errichtung der Germanischen Sturmbanne u. a. ein Mittel, den Eintritt in die Waffen-SS zu fördern. Frei forderte in den Prasseerzeugnissen des BSG und in Vorträgen zum Eintritt in die Waffen-SS auf und verherrlichte den Dienst in dieser Truppe. Auch Benz liess durch das Panoramaheim und durch

1084 Unterstützung des BSG werben und betrieb die Werbung persönlich. In der Werbung für die Sturmbanne sah auch er ein Mittel, das den Eintritt in die Waffen-SS förderte. Das .trifft auch für Weilenmann zu, der in Kenntnis dieses Nebenzweckes der Germanischen SS als Schweizerreferent im Führungsstabe dieser Organisation Leute für sie zu gewinnen suchte. Er nahm an der Konferenz vom 17. August 1944 im SSHA teil, AVO die Werbung zur Waffen-SS als Ziel der Sturmbanne beibehalten wurde.

. · In der zweiten Hälfte März 1945 erliess der Leiter des Sonderstabes .Südwest der Germanischen SS, auf Veranlassung des Schweizerreferenten beim Sonderstab, Diggelmann, an! die Angehörigen des Sturmes «Winkelried» der Germanischen S S-Schweiz schriftliche Aufgebote zum Einrücken in die WaffenSS. Diggelmann verteilte sie und drohte den Aufgebotenen, die Einspruch erhoben, mit Verhaftung, Eepressalien gegen ihre Familien und dergleichen, falls sie dem Aufgebot nicht gehorchen würden. Etwa 80 Mann leisteten dem Aufgebot Folge.

2. Es bestand von Anfang an die Möglichkeit, dass die Waffen-SS der Einordnung der Schweiz in das Grossgermanische Reich dienstbar gemacht .werde. Es steht jedoch nicht fest, dass die Beteiligten im Eintritt von Schweizern in diese Truppe ein Mittel zur Erreichung dieses Zieles erblickt hatten.

Bei Benz jedoch war dies bestimmt der Fall, als er vom Februar 1944 an zur Vorbereitung der «Aktion S» die Schweizer Freiwilligen der Waffen-SS in Hallein zu besonderen Einheiten zusammenziehen liess und ihnen erklärte, sie würden einen Armstreifen mit der Bezeichnung Südmark bekommen, so "wie auch die Holländer ihre SS hätten. Auch Herr Bundesrat von Steiger werde sich dereinst demütigen müssen, wenn blutbefleckte SS-Männer vor dem Bundeshaus ankämen.

8. Nach der Unterwerfung von Dänemark, Norwegen, Holland und Belgien stellte die Germanische Leitstelle aus Angehörigen dieser Staaten eine der allgemeinen SS des Eeiches entsprechende «Germanische SS» auf. Geführt wurde sie von einer dem Deutschen SS-Obersturmbannführer Kopischke unterstellten Dienststelle im SSHA (Dienststelle D II) und von Sonderstäben, die in den einzelnen Wehrbezirken des Eeiches errichtet und von deutschen SS-Offizieren geleitet wurden.

' Ende 1942 regte Frei die Aufstellung von Schweizer Sturmbannen der Germanischen SS an. Büeler
verhandelte mit ihm und erstattete Eiedweg Bericht. Eiedweg stimmte dem Vorschlag zu. Die Gründung der Germanischen SS-Schweiz begann im Frühjahr 1943 im Wehrbezirk Südwest. Frei versammelte die Mitglieder des BSG von Stuttgart im Panoramaheim und forderte sie auf, einen Sturmbann zu bilden. Frei selber gehörte hernach der Germanischen SS an und trat an Versammlungen des BSG in Uniform auf. Auch Schäppi hielt vor Mitgliedern des BSG Ansprachen, in denen er für die Germanische SS-Schweiz warb. Der Stuttgarter Sturmbann wurde als Sturm l bezeichnet und nannte sich später mit Zustimmung Weilenmanns «Sturm Winkelried».

Seine Stärke wuchs im Laufe der Zeit bis auf etwa 70 Mann. Ihm gehörten

10S5 über ein Dutzend der Verurteilten an, unter ihnen Diggelmann. Mehrere wurden am 20. April. 1944 zusammen mit anderen SS-Männern in Stuttgart feierlich auf Hitler vereidigt. Diggelmann besorgte die Obliegenheiten eines Betreuers und übernahm im Juli 1944 die Führung des Sturmes. Er warb Mitglieder, veranstaltete Sturmabende zur: Schulung und führte weisungsgemäss mit seinen Leuten Marsch-, Gruss- und ähnliche Übungen durch. Gegenüber seinen Untergebenen war er brutal, drohte mit Verhaftung durch die Gestapo und Einweisung in ein Konzentrationslager und Hess sich Tätlichkeiten zuschulden kommen. Im Herbst 1944 wurde Diggelmann Schweizerreferent beim Sonderstab Südwest. Er versah dieses Amt neben seinen Funktionen als Führer des «Sturmes Winkelried» bis im April 1945.

Als Sturm; II wurden die der Germanischen SS beitretenden Schweizer verschiedener, weit voneinander entfernter Stützpunkte (Pforzheim, Singen usw.) zusammengefasst. Sie hielten in den Stützpunkten ähnliche der Schulung dienende Zusammenkünfte und Übungen ab wie der Sturm I. · Den Anstoss zu der im Sommer 1948 erfolgten Gründung des Sturmes III im Vorarlberg gab Schönenberger, nachdem er die Leitung der Aussenstelle Feldkirch der Germanischen Leitstelle übernommen hatte. Er meldete Büeler, dass unter den Mitgliedern des BSG im Vorarlberg Interesse für die Bildung eines Sturmes bestehe. Büeler verhandelte mit ihm, führte ihn zu Biedweg und trug diesem die Angelegenheit vor, wobei seine Aufmerksamkeit besonders der Frage:galt, ob die Gründung nicht wegen der Nähe der Schweizergrenze zu Zwischenfällen mit der Schweiz führen könnte. Zur Verhütung solcher Zwischenfälle erteilten Büeler und Eiedweg dem Schönenberger Weisungen.

Zudem liess ihn Eiedweg durch die zuständige Aussenstelle des ESHA überwachen. Schönenberger begann in Feldkirch zu werben, gründete den Sturm III unter Mitwirkung Kopischkes, des Benz und des Leiters ,des Sonderstabes Süd-West und übernahm die Führung des Sturmes. Benz besuchte ihn im Jahre 1943 zweimal, um seine Tätigkeit zu überwachen. Auch in Bregenz wurde für den Sturm geworben. Hier hielt Schäppi in einer Versammlung des BSG eine Bede, durch die er die Schweizer zum Eintritt in die Germanische ,SS aufforderte. Später stellte sich auch Nagele als Leiter des Planettaheimes in den Dienst der Werbung.

Nach der
Gründung dieser Sturmbanne fasste die Germanische SS-Schweif auch in anderen Teilen des Eeiches FUSS. So warb Gloor, der im Frühjahr 1944 das Amt eines Schweizerreferenten beim Sonderstab Spree übernahm, in diesem Wehrbezirk 60 Schweizer für die Germanische SS. Er schrieb einen Werbeartikel «Germanische SS-Sturmbanne» und liess ihn am 25. Juli 1944 im Eundschreiben Nr. 49 des BSG veröffentlichen. Gloor bemühte sich zusammen mit Karsch, von der Dienststelle des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz das Material zur Erstellung einer Kartei über die Schweizer im Eeiche zu erhalten. (Näheres über Karsch und sein nach Antrag abgewiesenes Begnadigungsgesuch BEI. 1948, II, 598--596.) Die Kartei sollte u. a. über die militärischen Fähigkeiten, den Gesundheitszustand und die politische Ein-

1056 Stellung der Verzeichneten Auskunft geben, und deren politischen Beeinflussung und Werbung für. die Germanische S S-Schweiz dienen. Sie wurde ab 1. November 1944 im Amte D II des SSHA durch Frau Karsch angefertigt und enthielt Angaben über etwa 10 000 Schweizer. Im Herbst 1944 wurde Gloor zum Sonderstab Main nach Nürnberg versetzt. Am 9. November 1944 wurden etwa 150 Angehörige der Germanischen SS des Wehrkreises Spree, darunter auch Schweizer, in einer ähnlichen Feier, wie sie in Stuttgart stattgefunden hatte, auf Hitler vereidigt. Im Spätherbst 1944 wurde auch dem Sonderstab Elbe in Dresden ein Schweizerreferent zugeteilt. Es war Weniger. Er trat sein Amt im Januar 1945 an, konnte jedoch seine Tätigkeit nicht mehr recht entfalten.

(Näheres über Weniger und sein nach Antrag abgewiesenes BegnadigungSr gesuch BEI. 1948, II, 597/98.)

4. Im Frühjahr 1944 schuf Kopischke beim Führungsstab der Germanischen SS das Amt eines Schweizerreferenten. In dieses Amt berief er Weilenmann, der es bis zum Zusammenbruch des Beiches beibehielt. Er wurde uniformiert, erhielt den Grad eines Oberscharführers und später eines Hauptscharführers.

Weilenmann half die Germanische SS-Schweiz organisieren und aufbauen, machte Vorschläge für die Ernennung der Schweizerreferenten der Sonderstäbe, stellte Bichtlinien für dje Werbung und Schulung in den Sturmbannen auf, erliess Bundschreiben, unternahm Informations- und Inspektionsreisen und hielt vor den Sturmbannen Ansprachen und Vorträge. Am 8. Januar 1945 erstattete er zuhanden des SSHA einen Bericht über die Tätigkeit der Germanischen SS-Schweiz. Darin meldete er u. a., dass sie am 1. Dezember 1944 208 Mann stark gewesen sei und sich ihr Bestand inzwischen wesentlich erhöht haben dürfte.

5. Benz, der die Germanische SS-Schweiz gerne unter die Führung von Schweizer-Waffen-SS-Offizieren gebracht hätte, schlug Kopischke vor, den Vorarlberger-Sturm zu besichtigen. Dieser war einverstanden und beauftragte Weilenmann mit der Durchführung des Treffens. Weilenmann bestimmte auf Vorschlag Schönenbergers Schruns als Ort der Veranstaltung und veranlasste Schönenberger, diese vorzubereiten. Weilenmann bot die Beferenten und zwei bis drei ihrer Leute auf und ìiess den Sturm Vorarlberg als Übungstruppe einberufen. Das Treffen fand Ende Oktober 1944 statt. Kopischke war als Inspektor
anwesend, Benz als Beobachter. Die Teilnehmer hatten vorwiegend zu exerzieren. Kopischke hielt eine Ansprache und nahm Beförderungen vor.

Vom 2.:--4. Dezember 1944 fand auf Vorschlag des Benz am gleichen Orte ein Lehrgang statt für die Beferenten und einige andere als. Führer vorgesehene Mitglieder, insgesamt etwa 20 Mann. Benz stellte den Kursbefehl mit Dienstplan auf. Die Teilnehmer hatten in Uniform zu erscheinen. Nach dem Bericht, den Benz am 8. Dezember 1944 der Amtsgruppe D erstattete, bezweckte der Lehrgang «die Beferenten und Formationsführer der Germanischen SS-Schweiz in harter soldatischer Form zu erziehen». Die Teilnehmer wurden durch vormilitärische Übungen ausgebildet. Am Lehrgang fanden zwischen Weilemnann und den Beferenten Besprechungen statt, so über die

1057 Dringlichkeit der Erstellung der Kartei. Er erklärte den Kefereiiten, sie seien bestimmt, Vorbilder zu sein, und hätten möglicherweise eines Tages in der Schweiz Funktionen als Führer zu übernehmen. Die Organisation werde dereinst durch neue Mitglieder weit über den jetzigen Rahmen hinauswachsen.

Als Nachtdienst wurde eine Gefechtsübung abgehalten. Ini Bericht vom 8. Dezember 1944 führte Benz aus, die politische Bedeutung des Lehrganges liege im Zusammenfassen der Teilnehmer zu einer festen Kampfgemeinschaft.

6. Eiedweg, Büeler und Benz sahen in den Schweizer Sturmbannen der Gennänischen-SS ein Mittel, die Schweiz nach der mit Hilfe des deutschen Eeiches herbeizuführenden Machtübernahme gemäss den Grundsätzen der SS zu verwalten und in das Grossgermanische Reich einzuordnen. Benz schrieb am 13.Dezember 1944 in seinem Aufsatze (vgl.S.1025 hiervor), mit dessen Inhalt sich Spaarmann einverstanden .erklärte, die bisherigen schweizerischen Erneuerungsbewegungen verfügten nicht über die notwendigen Voraussetzungen zur erfolgversprechenden Weiterführung ihrer Aufgabe und seien durch die begangenen ' Fehler zu sehr belastet. Deshalb sei die gesamte nationalsozialistische Entwicklung der Schweizerfrage auf eine vollkommen neue Grundlage zu stellen. Als/Ausgangspunkt zu dieser neuen Entwicklung könnten nur die Freiwilligen der Waffen-SS und die Angehörigen der Germanischen SS-Sturmbanne in Frage kommen. Tn der sauberen und klaren Luft einer in soldatischem Geist aufgebauten Gemeinschaft würden Krankheitsherde, wie sie früher üblich gewesen seien, verschwinden. Die Zusammenfassung aller nationalsozialistischen Schweizer im Rahmen der germanischen Arbeit der SS, ihre gemeinsame weltanschauliche Erziehung und die fachliche Vorbereitung auf später einmal zu übernehmende Aufgaben stelle wohl die vorteilhafteste Lösung für die weitere Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung der : Schweiz dar. Unter den «später einmal zu übernehmenden Aufgaben» der Germanischen SS-Sturmbanne war verstanden, dass deren Angehörige im Falle einer UnterWerfung der Schweiz für den Verwaltungs- und Polizeidienst eingesetzt werden sollten. Bis dahin dienten die Sturmbanne der Zusammenfassung, Schulung und Kontrolle der nationalsozialistischen Schweizer durch das SSHA.

!

Die Angehörigen der Germanischen S S-Schweiz kannten
und billigten den Zweck, den die Amtsgruppe D mit ihr verfolgte. Für einzelne ergibt sich das schon aus den Äusserungen, die sie selber taten oder von andern hörten.

So erfuhr Gloor im Frühjahr 1944 durch Benz, die Germanische SS-Schweiz · sei bestimmt, die nationalsozialistischen Schweizerbünde: auszuschalten; die Angehörigen der Sturmbanne würden bei der Besetzung der Schweiz politisch und polizeilich eingesetzt werden. Anlässlich der «Julfeier» 1944 hielt Diggelmann vor etwa 150 Personen der Germanischen SS, unter denen sich auch der Sturm Winkelried befand, eine Ansprache, in der er seine Untergebenen zur Pflichterfüllung mahnte, damit sie nach dem Einmarsch der SS in die Schweiz als SS-Offiziere in gehobener Stellung leben'könnten. Ähnlich lautete 'die bereits erwähnte Äusserung, die Weilenmann in SchrunS' vor den Referenten tat. Auch in Gesprächen von Mann zu Mann im Kreise der Germanischen

1058 SS-Schweiz wurde häufig die Auffassung laut, dass das nationalsozialistische Deutschland die Schweiz überrennen und ihnen, den SS-Schweizern* zur Macht verhelfen werde. Dass die Germanische SS-Schweiz eine von deutschen Behörden gegründete, unterhaltene und geführte, auf Hitler vereidigte Organisation war, wussten die Verurteilten. Einige von ihnen leisteten selber den Eid. Die militärähnliche Schulung war allen bekannt, und dass die Sturmbanne, denen sie angehörten oder für die sie warben, ein gegen die Schweiz gerichtetes Ziel verfolgten, sahen sie schon daraus, dass sie ausschliesslich aus Schweizern bzw. im Vorarlberg aus Schweizern und Liechtensteinern gebildet wurden.

IX. Die Aktion S (= Schweiz) Die Amtsgruppe D des SSHA, und damit die Germanische Leitstelle, erfuhr Ende 1943, Anfangs 1944, die Auswirkung organisatorischer und personeller Änderungen, welche in ihrem Verlauf eine Kursverschärfung im Sinn der Europapolitik der «starken Hand», der Aggression und des deutschen Imperialismus nach sich zog. Das Eeferat Schweiz, das Benz im Jahre 1948 von Büeler übernommen und seither ausgebaut hatte, verblieb bei Benz. Sein Vorgesetzter als Amtsgruppenleiter D wurde der Deutsche Spaannann. Chef des SSHA war weiterhin Berger. Das Bundesstrafgericht stellt im wesentlichen fest: 1. Vom Sommer 1944 an bildeten die Handlungen, mit denen Benz den Beichsbehörden und den ihnen hörigen schweizerischen Nationalsozialisten die Machtübernahme in der Schweiz vorbereitete, Teil eines Gesamtplanes zu einer «Aktion S», den er um jene Zeit im Einvernehmen mit den vorgesetzten Amtsstellen entwarf. Der Plan unterschied zwischen den Vorbereitungen, die im Eeiche zu treffen waren, und den Massnahmen, die nach der Besetzung der Schweiz im Lande getroffen worden wären.

Als Vorbereitungen im Eeiche sah er vor: «1. Genaue Beobachtung der militärischen und politischen Entwicklung.

Zusammenarbeit mit SD und Auswärtigem Amt.» -- Diesem Programmpunkte entsprach sowohl der eigene Nachrichtendienst, den Benz unter Mitwirkung von Weber, Wirth und anderen einrichtete, als auch seine Zusammenarbeit mit dem SD, für den unter anderen Meyer arbeitete.

«2. Hereinnahme der Schweizer Nationalsozialisten und ihrer Familien.

Anweisung über SD, Gestapo und Auswärtiges Amt. Bereitstellung von Aufnahmemöglichkeiten.» -- Diese Massnahme sollte der Möglichkeit eines alliierten Durchmarsches durch die Schweiz Eechnung tragen.. Benz stellte die Namen der in Sicherheit zu bringenden Schweizer Nationalsozialisten zusammen. Ein zwanzig Namen enthaltendes Teilstück dieser Liste liegt vor.

«3. Zurückziehung einer Anzahl Schweizer SS-Führer von der Front zwecks politischen Einsatzes in der Schweiz.» -- Die von der Front zurückzunehmenden Schweizer SS-Führer waren bestimmt, in der Schweiz eingesetzt zu werden, sobald sie von den Deutschen besetzt würde. Benz erstellte eine

1050 «Liste der für den politischen Einsatz in der Schweiz vorgesehenen SS-Führer».

Daneben führte Benz eine «Liste der sich beim SSHA befindlichen und für den Einsatz in der Schweiz vorgesehenen SS-Führer».

«4: Zusammenziehung aller Schweizer S S-Freiwilligen. Spätere Aufstellung einer Schweizer Einheit.» -- Benz begann diese Massnahme schon zu verwirklichen, als er veranlasste, dass im Februar 1944 ein Teil der Schweizer der Waffen-SS in Hallein zu zwei besonderen Einheiten zusammengezogen wurden. Er wollte dadurch den Einsatz der Schweizer SS-Freiwilligen für den Fall der Besetzung der Schweiz vorbereiten. Die beiden ^Einheiten wurden inzwischen an der Ostfront eingesetzt. Beabsichtigt war die Auf Stellung, eines Eegiments,' bestehend aus drei Gebirgsjäger-Kompagnien, einer AufklärungsKornpagnie und einer Panzer-Kompagnie. Am 8. September 1944 meldete Benz dem Chef des SSHA, die Zahl der zur Waffen-SS gemeldeten Schweizer und Liechtensteiner betrage 755 ; davon seien 86 gefallen oder vermisst und 52 entlassen, bei/der Truppe also 617 Mann. 'Die Zahl der Schweizer und Liechtensteiner bei der Wehrmacht gab er mit 34 an und die Zahl der SS-Führer mit 33, wovon 5 gefallen seien.

«5. Zusammenfassung der nationalsozialistischen Schweizer im Eeich und ihre Organisation durch die Sturmbanne.» Als Massnahmen, die in der Schweiz zu treffen waren, sah der Plan vor: «6. Mit BSHA zusammen Vernichtung aller Eeichsfeinde.» -- Unter dieser, Massnahme verstand Benz, dass nach der Besetzung der Schweiz die Eeichsfeinde teils erschossen, teils in Konzentrationslager eingewiesen werden sollten. Der Vorbereitung dieses Vorgehens diente unter anderem die von Wirth bearbeitete Kartei.

«7. Errichtung einer Germanischen Leitstelle Schweiz als zentrales politisches Führungsorgan.» .

«8. Errichtung eines Ersatzkommandos Schweiz der Waffen-SS und Aufstellung einer Schweizer SS-Einheit.» ·-- Ersatzkommandos der Waffen-SS bestanden in allen von, den Deutschen besetzten Ländern. Sie besorgten die Werbung und Musterung zur Waffen-SS.

«9. Sammlung aller Nationalsozialisten (nicht Konjunkturritter) und Zusammenfassung, in einer Organisation.» -- Der Vorbereitung dieser Massnahme diente,unter anderem die Verbindung, die Meyer mit den in der Schweiz gebliebenen Nationalsozialisten aufrecht hielt.

«10.. Gründung der Germanischen
SS-Schweiz ;als Sammelbecken aller guten Kräfte und politische Kampf organisation.» 2. Ausser den bereits erwähnten Listen der für den Einsätz in der Schweiz vorgesehenen SS-Führer erstellte Benz weitere Listen von Personen, mit deren Hilfe die EeichsbehOrden die Schweiz zu beherrschen gedachten. Auf einer «Liste von Eeichsdeutschen, die für einen politischen Einsatz in der Schweiz in Frage kommen», waren Dr. Georg Ashton, früherer Konsul in Zürich, .und Oberregierungsrat'von Charnier^ früherer Presseattache in Bern, verzeichnet.

lOtìO Eine «Liste von nationalsozialistischen Schweizern ini Reich, die für einen politischen Einsatz in Frage kommen», trug z. B. die Namen von Keller, Wechlin, Frei, Kyburz, Weber. Auf einer von der Hand des Benz geschriebenen Liste sind die Namen von rund vierzig Reichsdeutschen und Schweizern, die als Beamte in der Schweiz vorgesehen waren, nach Sachgebieten eingeteilt.

3. Am 27. November 1944 fand im Büro des Benz eine Besprechung über die «Aktion S» statt. Besprochen wurde die politische und polizeiliche Organisation der Schweiz für den Fall eines Umsturzes oder eines militärischen Angriffes.

Vorgesehen wurde die Errichtung von. SS-Polizeikorps in der Stärke von 50 bis 100 Mann für jede Schweizerstadt. Zürich wurde als Standort der SS-Ersatzinspektion Schweiz vorgesehen. Die polizeiliche Organisation sollte dem deutschen Konsul in Lausanne und einem bei der Deutschen Gesandtschaft in Bern tätigen Konsul übertragen werden. Ferner wurde beschlossen, sämtliche an der Ostfront eingesetzten Schweizer der Waffen-SS in das Sonderausbildungslager Hallein zu verbringen und die Sonderausbildung einem Schweizer SS-Hauptsturmführer zu übertragen.

Die Belege zur «Aktion S», die Benz besonders belastet, ergeben, dass Benz jedes Mittel recht war, auch eine militärische Unterwerfung der Schweiz, um seinen Geltungstrieb und Machthunger zu befriedigen. Seine Vorgesetzten im SSHA billigten diese Pläne des jungenhaften, unreifen Phantasten. Dass noch Ende 1944 in den Reichsstellen der SS an eine Eingliederung der Schweiz gedacht wurde, hatte seinen Grund in der damaligen Hoffnung auf den Erfolg neuer Geheimwaffen zur Wiedererlangung der Luftherrschaft.

X. Das Oberdeutsche Arbeitsbüro Anfangs März 1944 wandte sich Wirth mit Vorschlägen an den Reichsführer-SS Himmler. Der Eingang wurde ihm bestätigt, und der Chef des SSHA mit der Prüfung und Beurteilung seiner Vorschläge beauftragt. Wirth hatte eine Dienststelle in Süddeutschland zur Bearbeitung aller Schweizerangelegenheiten im Interesse Deutschlands in Vorschlag gebracht. Das Bundesstrafgericht stellt im wesentlichen fest: 1. Wirth sah voraus und billigte, dass die Schweiz durch wirtschaftlichen Druck des Deutschen Reiches oder wenn nötig durch Einsatz der SS in einen nationalsozialistischen Staat umgestaltet und in das von Hitler geführte Grossgermanische Reich eingegliedert werde. Er bot dem SSHA seine Dienste an und schickte ihm einen Plan über die Arbeit, die nach seiner Auffassung zu leisten war, um die Machtergreifung der Nationalsozialisten in der Schweiz und die Unterwerfung des Landes unter den Willen Hitlers vorzubereiten.

Der Plan sah unter anderem die Errichtung einer besonderen Dienststelle vor, welche die politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und ähnlichen Fragen prüfen sollte, mit denen sich die künftigen Machthaber vertraut machen mussten, um die Schweiz zu beherrschen und in nationalsozialistischem Sinne umzugestalten. Wirth wollte hierüber zuhanden der Regierung des Deutschen

1061 Reiches eine Denkschrift aufarbeiten. Er schlug auch die Erstellung von Listen aller «Beichsfeinde» vor, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in der Schweiz verhaftet und beseitigt werden sollten. Benz und Gloor fassten dies als Vorsehlag zur Erstellung von «Genickschusslisten» auf, wie überhaupt der Plan : Wirths sehr radikal gehalten war.

S S-Standartenführer Spaarmann lud Wirth im Auftrage von SS-Obergruppenführer Berger zur Besprechung des Planes nach Berlin ein. Wirth meldete sich dort zwischen dem 23. und 29. April 1944, wurde von Spaarmann empfangen und zur weiteren Unterhandlung an dessen Adjutanten SS-Hauptsturrnführer Dodezalek gewiesen. Der.Besprechung zwischen Wirth und Dodezalek wohnte Benz bei, der schon zur Zeit, als Büeler noch in der Germanischen Leitstelle tätig war, eine dem Plane Wirth gleichende, für den Eeichsführer der SS bestimmte Denkschrift von Waldo Eodio erhalten und. bearbeitet hatte. Dodezalek erklärte, SSHA und ESHA wollten gegenüber der Schweiß vorbereitet sein und nicht die gleichen Fehler machen wie gegenüber Holland, Belgien und anderen unterworfenen Ländern. Er und Benz stimmten dem Vorschlage Wirths bei und genehmigten die Errichtung einer von Wirth zu leitenden Dienststelle. Sie wurde in der Eolge «Oberdeutsches Arbeitsbüro» (OA) genannt.

2. Am 7. Juni 1944 entwarf Benz den Arbeitsplan für das OA. Den Zweck dieses Büros sah ;der Plan in der Vorbereitung der politischen Lösung der Schweizerfrage; auf Grund einer sorgfältigen Untersuchung der Lage sollten für alle möglichen Fälle politische Mobilmachungspläue aufgestellt werden. Der Plan zählte,die Lebensgebiete auf, deren Bearbeitung Aufschluss geben sollte über den «bisherigen Verlauf und die heutige Lage», das «anzustrebende Ziel» und die «Mittel und Wege dazu». Zu jedem Lebensgebiete nahm der Plan, zum Teil in längeren Ausführungen, besonders Stellung. Im Abschnitt über Agrar-, Easse- und Siedlungsfragen sah er z. B. die «Auflockerung durch Ostsiedlung» vor, im Abschnitt über Sozialpolitik die «Beseitigung des Unterschiedes zwischen Besitzenden und Minderbemittelten», im Abschnitt über Jugend und Studenten den «Aufbau der germanischen HJ» und die «Erziehung einer neuen Führerschicht», im Abschnitt über Kulturpolitik die «Ausrichtung der burgundischen Schweiz auf das Fränkisch-Germanische»,
im Abschnitt über Soldatentum die «Verdrängung demokratisch-spiesserischer Gewohnheiten durch Erziehung des ganzen Volkes zu soldatischem Denken ». Zu den Abschnitten über das Judenproblem, die politischen Parteien; die Hochfinanz, die Freimaurerei und die politische Kirche (Klerus) bemerkte der Plan, dass die Behandlung dieser Fragen in erster Linie in den Aufgabenbereich des ESHA falle und das OA diesem Amte Vorschläge zu machen habe. Die Vorschläge hatten sich z. B^. zu erstrecken auf die Verwendung des jüdischen Besitzes (Volkseigentum), die Liquidierung der politischen Parteien, die Interessenvertretung in den Kantonsparlamenten und im Bundesparlarnent. Das OA sollte auch den Verwaltungsumbau in personeller und fachlicher Hinsicht sowie die neue politische Führung behandeln.

Der Plan erklärte ferner, das Ergebnis der Arbeit werde in knapper Form in einer Denkschrift zusammengefasst, durch Tabellen, Karteien und Skizzen Bundesblatt. 100. Jahrg. Bd. Ili, 73

1062 ergänzt und am Tage der Aufrollung der Frage Schweiz der obersten Führung vorgelegt. Ein Lösungsvorschlag im Sinne der Denkschrift müsse der obersten Führung schon vorher vorgelegt werden. Voraussetzungen für die Durchführung der Arbeit des OA sah der Plan in der Beschaffung von Unterlagen (Fachliteratur, Karten), in der Auswertung der Arbeit anderer sich mit der Schweiz befassender Stellen, in der Heranziehung freiwilliger Mitarbeiter (Sachkenner) und in der Wahrung engen Kontaktes mit dem Lande. Als weitere Aufgaben übertrug der Plan dem OA die Erfassung und «sicherheitsdienstmässige» Überprüfung aller Personen schweizerischer oder deutscher Staatsangehörigkeit, die später beim Aufbau mit herangezogen werden sollten, sowie die Vorbereitung des Aufbaues eigener Organisationen (SS, HJ usw.).

8. Das OA wurde unter der Leitung Wirths anfangs Juli 1944 in Badplfszell eröffnet. Es unterstand dem von Benz geleiteten Referat Schweiz in der Dienststelle D I des SSHA. Wirth gelobte Benz an Eidesstatt, dass er seine dienstlichen Obliegenheiten als Angehöriger des SSHA gewissenhaft verrichten und das Dienstgeheimnis, bewahren werde. Der von Benz und Wirth unterschriebene «Verpflichtungsakt», eingesehen von Spaarmann, laut dem Wirth Zivilangestellter des SSHA wurde, ist in den Gerichtsakten.

Wirth betätigte sich im Sinne des Arbeitsplanes vom 7. Juni 1944, den er in Abschrift erhielt. Am 25. August 1944 sandte er Benz eine Liste von Themen aus den im Plane genannten Lebensgebieten und schlug ihm vor, wer für die Bearbeitung angegangen werden könnte. Soweit er Namen von Bearbeitern nicht nennen konnte, regte er an, durch Vermittlung des AA Dr. Oehler zu fragen. Später trat Wirth in ständiger Zusammenarbeit mit Benz an einige nationalsozialistische Schweizer heran und ersuchte sie um Bearbeitung eines Themas. Seine Bemühung hatte z. B. bei Karsch Erfolg, der im Oktober 1944 einen Aufsatz über den « Standpunkt des schweizerischen Schrifttums im geistigen Eingen der Zeit» ablieferte. Auch eine Arbeit über die schweizerischen Ortswehren ging über Benz bei Wirth ein. Wirth legte etwa sechzig Mappen an, in denen er das Material zu den einzelnen Sachgebieten sammelte. Er schnitt aus deutschen und schweizerischen Zeitungen, die ihm Benz zusandte, Artikel aus und legte sie in die Mappen. Auch andere Literatur
sammelte er. Auf Grund einer Liste, die er Benz übermittelte, liess ihm dieser wissenschaftliche Werke zukommen, teils durch einen Kurier von Berlin aus, teils durch Schönenberger von der Aussensteile Feldkirch. Benz schickte ihm eine Kartei über reichsfreundliche und reichsfeindliche Schweizer. Wirth führte sie weiter und gab daraus auf Weisung des Benz etwa 200 Karten über «Eeichsfeinde» an den SD nach Stuttgart ab. Er erstellte Karteien über die SS-Schweizer, die Neuschweizer, die Judenfreunde. In. einer anderen Kartei vermerkte er Namen, Sitz, Vorstand und .Mitgliederzahl der grösseren schweizerischen Vereine, Verbände, Gewerkschaften usw. Sie sollten bei der Umgestaltung der Schweiz zur Mitarbeit aufgerufen werden. Wirth revidierte auch die Schweizerkarte. Er plante die Einteilung der Schweiz in acht Kreise (Kantone), die durch je einen Kreisleiter regiert werden sollten. Während er den Posten eines Eeichsstatthalters

1063 der Schweiz einem Deutschen vorbehielt, stellte er Listen nationalsozialistischer Schweizer auf, die er als Kreisleiter vorsah oder für die wichtigsten Verwaltungsposten in Betracht zog. Auf diesen Listen waren z. B. die Namen von Eiedweg, Benz, Schäppi, Zander, Oehler, Frei. Sich selbst behielt Wirth einen Posten in der obersten Landesregierung vor.

Anfangs Februar 1945 schickte Wirth seinen Bürogehilfen nach BadischEheinfelden und zur Gestapo nach Lörrach. Er beauftragte ihn, aus der Schweiz Listen über nationalsozialistische Schweizer, Deutschfeinde, Judenschweizer.

Judenhelfer, Emigranten, Neuschweizer (Schweizer, die selber oder deren Eltern oder Grosseltern einmal Deutsche gewesen waren) und über verfolgte Nationalsozialisten zu beschaffen.

Um den 20. April 1945 herum, einige Tage vor dem Einmarsch der französischen Truppen in Badolfszell, übergab Wirth die Akten des OA zur Vernichtung den Funktionären der NSDAP. Wirths verbrecherische Tätigkeit bleibt besonders verwerflich zufolge seiner feindseligen Einstellung gegenüber der Schweiz.

XI. Stellung Kellers. -- Elektrizitatswirtschaît Das landesverräterische Handeln Kellers betrifft sein Verhalten in den Jahren 1940/41 bis zum Verlassen der Schweiz und darnach seme Betätigung in Deutschland bis 1945. Das Bundesstrafgericht stellt fest: «Die deutschen Amtsstellen erklärten Keller, man brauche ihn, er erweise der Sache einen besseren Dienst, wenn er im Eeiche bleibe, als wenn er sicli in der Schweiz einsperren lasse. In letzterem Falle bestände zudem die Gefahr, dass er in der Stunde der Entscheidung nicht erreichbar wäre. Keller entschloss sich zu bleiben und stellte sich zur Verfügung, um «in erster Linie die politischen Belange der Schweizer Nationalsozialisten im Eeich wahrzunehmen und für bestimmte Stellen beratend mitzuwirken». Er sah seine politische Aufgabe nach wie vor darin, die Machtübernahme der Nationalsozialisten in der Schweiz und die nachfolgende «organische» Eingliederung der Schweiz in das von Deutschland angestrebte grossgermanische Eeich unter deutscher Führung vorzubereiten,. Er war bestrebt, nach der Erreichung dieses Zieles von den deutschen Behörden in eine fuhrende Stellung eingesetzt zu werden. Er betrachtete sich als ihr Vertrauensmann und Berater in allem, was die Einordnung der Schweiz in das grossgermanische
Eeich betraf. Wie Bademacher sich einmal äusserte, war laut Führerbefehl in den die Schweiz betreffenden politischen Fragen in erster Linie Keller anzuhören. Die deutschen Amtsstellen erachteten es aber als untunlich, ihn zu jener Zeit «der Schweiz gegenüber irgendwie herauszustellen». -- Näheres hierüber ist zum Teil bereits berichtet (vgl. besonders die Abschnitte II, 1006 ff., III. 1017 ff-, 1024 ff., VII, 1046 ff.).

l. WTie die andern nach Deutschland verzogenen oder geflohenen Erneuerer ist auch Keller, im Sinne der Vorschläge des SSHA, in eine Stellung untergebracht worden. Sie sollte ihm «für die Durchführung der politischen Aufgabe eine gewisse finanzielle Bewegungsfreiheit» verschaffen. Der Bericht Bergers

1064 an Himmler vom 14. Januar 1942 (vgl. hiervor S. 1025) nennt Keller einen der tüchtigsten Eléktrofàchleuté der Schweiz, weshalb «vom Auswärtigen Amt eine Verwendung bei der Organisation. Todt in die Wege geleitet wurde». Ferner könnte Keller «nebenberuflich auch in der schweizerischen Zentralstelle (des Amtes VI des SSHA) und beim Amt VI des ESHA mitarbeiten».

Keller stand in späterer Zeit mit einem Brigädeführer Frenzel im Auswärtigen Amt in Verbindung. Am 18. September 1944 schrieb ihm Keller einen Brief, der einleitend über die Schweizer Zeit und anschliessend über seinen Deutschlandaufenthalt berichtet. Im November 1941 sei er dem dringenden Bùi gefolgt und im Eeich geblieben. Die Verbindungen Kellers in der Energiewirtschaft gingen kurze Zeit zu Beichsminister Todt, nach dessen Ableben zu' Beichsminister Speer. Keller schreibt von einem bloss «provisorischen Verhältnis mit der Wirtschaftsgruppe», das ihn nicht befriedigte. Von dem ihm Versprochenen sei nichts erfüllt worden. Keller waren «gewisse Dinge einfach unfässbar». Der Brief an Frenzel bezweckte die Festigung seiner Position.

Im Zusammenhang damit enthält er eindeutige Auskünfte über die Beziehungen Kellers zu deutschen Amtsstellen. Bezeichnend ist der Satz: «Was ich dem Beich wert war, kann noch festgestellt werden.» Frenzel sei bekannt, dass Keller ein «angenehmes kameradschaftliches Verhältnis zur Abteilung D III des Auswärtigen Amtes hatte: Ich fand Unterstützung bei meinen Bestrebungen sowohl durch das AA wie die SS». Mit der Auflösung von D III anfangs 1943 (der Leiter kam ins Konzentrationslager) verlor Keller jene Beziehungen, und er schreibt: «Seither wissen die Schweizer Nationalsozialisten,' darunter auch ich, nicht an wen und an was man sich halten soll. Es scheint niemand mehr da zu sein, der wirklich Verständnis für uns besitzt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass gewisse Stellen manches ungeschehen machen möchten, was vereinbart und unternommen worden war.» In Wirklichkeit war es so, dass die Beichsstellen auf Keller immer dann zurückgriffen, wenn sie ihn brauchen konnten, dass er hierbei ihr besonderes Vertrauen hatte und als voraussichtlicher Führer einer nationalsozialistischen Schweiz im Vordergrund stand. Keller selbst kämpfte um diese Führerschaft. Vom Beich wurde er im Bahmen der gegen die Schweiz
gerichteten Politik zur Lösung wichtiger Aufgaben eingesetzt, so an der Münchner Konferenz und bei den späteren Versuchen zur Einigung der Schweizer Nationalsozialisten. Beruflich rückte er im Herbst 1944 in eine hohe Stellung auf, nämlich zum leitenden Direktor der Bêimahg (= Werke Beichsmarschall Hermann Göring, innerhalb der Gustloff-Stiftung, Herstellung von Hochleistungsflugzeugen, in Weimar). -- Im Brief an Frenzel hatte sich Keller nicht nur als Fachmann vorgestellt, sondern als fanatischen und gläubigen Nationalsozialisten, dessen Glaube an, Hitler als «einen genialen Führer von wirklich einmaliger Bedeutung und Grosse und einer seltenen Herzensgüte und Treue» unerschütterlich sei.

2. Kellers «provisorisches Verhältnis» mit der Wirtschaftsgruppe für Elektrizitätsversorgung, nämlich als beratender Ingenieur, lag in der Linie seiner Aktennotiz'vom S.November 1941 über^die angestrebte Mitarbeit in

1065 der europäischen Energiewirtschaft: «Deutschland wird im kommenden neuen Europa auch auf dem Gebiete der kontinentalen Energiewirtschaft die gestaltende Kraft sein -- sein müssen. Deutschland wird die Bichtlinien geben und über die Anbaufolge der Energiequellen, wie über die Art und Weise der Zusammenarbeit die letzten Entscheidungen treffen.» Damit \var der Standort Kellers von Anfang an bestimmt. Das Bundesstrafgericht hatte die ganze Tätigkeit Kellers in der Energiewirtschaft während seines Deutschlandaufenthaltes zu beurteilen, und vorab waren seine im Auftrag deutscher Stellen erstatteten Denkschriften vom Juli 1942 und Januar 1948 zu würdigen. Diese Denkschriften reichte Keller jeweils Eeichsministern ein, so 1942 an Bibbentrop und Speer, 1943 an Göring und Speer. Jene ist betitelt: «Das Deutsche Beich und die europäische Energiewirtschaft», diese «Die schweizerische Energiewirtschaft und ihre Eingliederung in die europäische Elektrizitätsversorgung».

Ausser diesen ; Denkschriften wandte sich Keller in den Jahren 1942--1944 mit einer Reihe von Eingaben und Briefen an deutsche Stellen, so an das Auswärtige Amt, den Reichskommissar für Kohle, den Generalinspektor für Wasser und Energie, und besonders an Reichsstatthalter und Gauleiter. Sauckel, mit dem Keller in naher Verbindung blieb. Im einzelnen wird für diese Seite der Deutschlandtätigkeit auf das Urteil verwiesen, wo sie eingehend dargestellt ist. Ihre Würdigung durch das Bund esstraf goricht hatte im. Zusammenhang mit deh anderweitigen Anklagepunkten zu geschehen. Was sonstwie festgehalten war; so die Stellung Kellers zur neuen europäischen Ordnung,.zu Hitlerdeutschland als Ordnungsinacht in einein Grossgermanischen Beich, zur Lösung der sogeheissenen Schweizerfrage, die Eigenschaft als fanatischer Nationalsozialist, war wegleitend auch für die Betätigung zuhanden einer europäischen Energiewirtschaft unter deutscher Lenkung.

· ·.

3. Beachtlich war bereits die getarnt versuchte Beschaffung von energiewirtschaftlichen Unterlagen aus der Schweiz. Die Briefe liegs Keller im Februar 1942 von Zürich verschicken, mit privatem Briefkopf. Dabei s.ass er in Berlin in einem deutschen Ministerium, in einem Büro mit der: Aufschrift ;«Beforat Schweiz». Die bekanntgewordenen Schreiben an Sauckel, enthalten Hinweise auf die europäisch-deutschen
Bedürfnisse der Energiewirtschaft. Die Beichspolitik erfasste, auch die Elektrizitäts- und Wasserkräfte und besonders Beichsminister Speer wollte sie in die Hand des Reiches bringen. Als die Deutsche Gesandtschaft in Bern zu Vorschlägen Kellers kritisch.Stellung nahm, erstattete Keller Gegenbemerkungen, worin er von der reichsfeindlichen Schweiz schrieb.

Er vertrat die «europäisch-deutschen Belange», - die « deutsch-europäisch^ Betrachtungs- und Bewertungsweise», mithin deutsche Interessen. Seine Denkschrift vom 30. Januar 1943 bewertet Keller als grosse, grundlegende Arbeit. Im Vorwort steht, ähnlich wie in der Aktennotiz von 1941, Deutschland werde im kommenden Europa in der zwischenstaatlichen Energieversorgung die gestaltende Kraft, und es werde für den Ausbau und die Zusammenarbeit die Bichtlinien geben müssen. An anderer Stelle schreibt Keller, die Gestaltung des europäischen Verbundnetzes werde entscheidend bestimmt durch den

1066 Kriegsausgang und durch die kommende politische Neuordnung Buropas : «Mit ihrer Festlegung kann folglich in absehbarer Zeit gerechnet werden.» Arn 27. Juli 1942 besprach Keller mit Beichsstatthalter und Gauleiter Hof er in Innsbruck energiewirtschaftliche und politische Fragen. Er wies auf das Interesse hin, das Deutschland am Ausbau der schweizerischen Wasserkräfte habe, damit es Arbeitskräfte und Kohle einsparen könne. Das Bedenken Hofers gegen eine Investierung deutschen Kapitals zu diesem Zwecke in der Schweiz, also im Ausland, und seine Befürchtung, die Begehrlichkeit Italiens auf schweizerisches Gebiet könnte durch diesen Ausbau erhöht werden, zerstreute Keller mit dem Hinweis darauf, dass man ja lediglich vorarbeite und plane, «damit man zu gegebener Zeit bereit sei». Er erklärte, er hoffe, dass bis zur Ausführung der Pläne der Krieg vorbei oder wenigstens die Schweizerfrage gelöst sei. -- Die Besprechung mit Hofer hielt Keller in stenographischen Notizen fest.

4. Zu diesen den Angeklagten belastenden Beweisstucken kamen in der Hauptverhandlung die Zeugenaussagen, hervorragend in ihrer Klarheit und Bestimmtheit namentlich diejenigen eines Fachmannes aus der Elektrizitätswirtschaft, der in Berlin von deutscher Seite vor Keller gewarnt worden war.

Dieser sei beauftragt, die elektrizitätswirtschaftlichen Verhältnisse der Schweiz genauestens zu untersuchen und dazu ausersehen, wenn die Schweiz eingegliedert würde, die Leitung der Elektrizitàtswirtschaft zu übernehmen. Die Beweiskraft der Zeugenaussagen und der von Keller selbst stammenden Schriftstucke begründete die Auffassung, dass Keller mit seinen Schriften Vorarbeit leistete, Vorarbeit nämlich für eine deutsche Leitung der schweizerischen Wasser- und Elektrizitätswirtschaft, und dass Keller selbst nach Eingliederung der Schweiz diese Leitung übernehmen wollte und sollte.

5. Die Denkschriften, Eingaben und Briefe waren aber nicht einzig Vorarbeit für eine «kommende Neuordnung», sondern sie enthielten ein Sofortprogramm, womit die Schweiz in «sofortiger Eealisierung» zu stark vermehrter Energieausfuhr nach Deutschland verhalten werden sollte. Die sog. «Systemsschweiz», die «Systemspolitik» habe die vermehrte Ausfuhr aus schlechtem Willen und Beichsfeindschaft verhindert. In Wirklichkeit entsprach dies den Tatsachen keineswegs, was in
der Hauptverhandlung, neben dem Experten, auch ein Zeuge näher erläuterte. Mit all seinen Darlegungen, die ausschliesslich an Eeichsstellen gingen, wollte ihnen Keller die unverzügliche Inanspruchnahme, unserer Elektrizitätswirtschaft aufdrängen und aufzwängen. Er verlangte ein initiatives Handeln, leitete Aktionen ein und verwies auf politische, wehrwirtschaftliche und militärische Konsequenzen.

6. Das Bundesstrafgericht fasst seine Feststellungen und Erwägungen aber die Denkschriften, Eingaben und Briefe wie folgt zusammen: Der Entscheid darüber,, ob und wie die schweizerischen Wasserkräfte auszunützen und ob und wieviel elektrische Energie aus der Schweiz nach Deutschland auszuführen sei, ist eine innere Angelegenheit der Eidgenossenschaft. Keller hat in seinen Eingaben die freie Entschliessung der Schweiz

1067 in dieser Angelegenheit /u. beeinträchtigen versucht. Die Machtmittel des Eeiches, mit denen nach der Auffassung Kellers die Schweiz zum Nachgeben gezwungen werden sollte, machten sein Unternehmen rechtswidrig. Seine Handlungen waren im Sinne von Artikel 266, Ziffer l, StGB darauf gerichtet, die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft zu verletzen. ,Dass Keller bewusst über die schweizerische Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft unrichtige Angaben gemacht habe., ist nicht erstellt. Dennoch erscheinen seine Ausführungen nicht als wissenschaftliche Diskussion zwischen Technikern oder Volkswirtschaftern, sondern als Teil seiner gesamten gegen die Schweiz gerichteten politischen Bestrebungen. Durch seine scharfe Kritik an der Haltung der Schweiz wollte er dem Deutschen. Eeich eine Waffe liefern, um die Schweizin wirtschaftlichen Verhandlungen unter Druck zu setzen. Er war sich sogar bewusst und billigte es, dass Deutschland seine Behauptungen als Vorwand benutzen könnte, um die Schweiz gegen den Willen ihrer verfassungsmässigen Behörden und .des Volkes in ein von Deutschland geführtes grossgermanisches Keich einzugliedern. Ausserdem betrachtete er seine energiewirtschaftlichen Arbeiten als Vorarbeiten und Planungen für eine deutsche Leitung der schweizerischen Wasser- und Elektrizitätswirtschaft nach der Unterwerfung der Schweiz.

XII. Die Rechtsprechung des Bandesstrafgerichtes Gemäss Artikel 169 des Bundesstrafprozesses hatte das Bundesstrafgericht die Taten zu beurteilen, auf die sich die Anklage bezog. Die Anklageschriften der Bundesanwaltschaft bezeichneten die Angeklagten, die Verbrechen nach ihren tatsächlichen und gesetzlichen Merkmalen, die Strafbestimmungen, die Beweismittel für die Hauptverhandlung und das zuständige Gericht. Die Anklagekammer des Bundesgerichtes liess, die Anklage gegen die 102 Angeklagten ohne Ausnahme zu, nach Ergänzungen in zwei Fällen. Für das Bundesstrafgericht bestand kein Grund, die Beurteilung der abwesenden Angeklagten, insgesamt 35, aufzuschieben, was in den Urteilen ausdrücklich festgehalten ist., li (Landesverrat.) Massgebend für die Beurteilung war Artikel 266, Ziffer l, des schweizerischen Strafgesetzbuches, der strafbar erklärt, wer eine Handlung vornimmt, die darauf gerichtet ist (Abs. 1), die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft zu verletzen oder zu gefährden
(Abs. 2), insbesondere eine die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft .gefährdende Einmischung einer 'fremden Macht in die Angelegenheiten der Eidgenossenschaft herbeizuführen (Abs. 3). Gleich gelautet hatte .bereits Artikel 37bls des alten Bundesstrafrechtes, eingeführt durch das sog. Unabhängigkeitsgesetz vom 8.-Oktober 1936. Das neue Eecht war, als das im .Höchstpiass der zeitlichen Zuchthausstrafe mildere Eecht (20 statt 30 Jahre), auch insoweit anzuwenden, als die Angeklagten vor dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches, d.h. vor 1942, gehandelt, hatten.

. : a. Wie -das Bundesgericht, in Urteilen seit 1943, wiederholt ausgeführt hat, ist die Eidgenossenschaft unabhängig im Sinne dieser Bestimmungen, solange sie als selbständiger Staat, besteht und ihre innem Angelegenheiten frei von äusserer

Ü068 Einmischung ordnen kann. Ein Angriff auf die Unabhängigkeit braucht nicht auf Einverleibung der Schweiz in einen fremden Staat abzuzielen, sondern kann sich auch in einer von eiaer ausländischen Behörde, Partei oder ähnlichen Organisation kommenden Einmischung erschöpfen, die zum Ziele hat, die freie Willensbildung der Eidgenossenschaft in innern Angelegenheiten zu beeinträchtigen, z. B. die Verfassung unter dem Drucke von aussen abzuändern.

Artikel 266, Ziffer l, StGB bedroht mit Strafe nicht nur die Verletzung, sondern auch die.blosse Gefährdung der Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft.

Wie immer, wenn die Gefährdung Tatbestandsmerkmal einer strafbaren Handlung ist, wird nicht eine bloss abstrakte, sondern eine konkrete Gefährdung gemeint. Eine solche liegt nur vor, wenn der geschaffene Zustand die Verletzung wahrscheinlich, nicht jedesmal schon dann, wenn er sie objektiv möglich macht.

Nicht nötig ist aber die Wahrscheinlichkeit sofortiger Verletzung; es genügt, dass sich der Zustand, sei es mit, sei es ohne Zutun des Täters, nach dem normalen Gang der Dinge wahrscheinlich bis zu einer Verletzung weiterentwickeln würde.

b. Strafbar sind ferner Handlungen, die bloss «darauf gerichtet» sind, die Unabhängigkeit zu verletzen oder zu gefährden. Damit will das Gesetz schon Handlungen erfassen, die selber die Unabhängigkeit weder verletzen noch gefährden, aber einen Zustand vorbereiten, der eine Verletzung oder Gefährdung in sich schliesst. Freilich genügt nach der Eechtsprechung des Bundesgerichts nicht jede noch so unbedeutende Vorbereitungshandlung, ist doch die Mindeststrafe ein Jahr Gefängnis, was wie die Bezeichnung des Verbrechens als «Angriff auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft» (Eandtitel zu Art. 266 StGB) andeutet, dass der Erfolg (Gefährdung oder Verletzung) in eine gewisse Nähe gerückt sein muss. Dafür spricht auch, dass weniger bedeutende Fälle unter Umständen nach dem milderen Artikel 275 StGB bestraft werden können.

Wie nahe die Vorbereitungen dem Erfolg gekommen sein müssen, um die Anwendung des Artikels 266 StGB zu rechtfertigen, ist anhand des einzelnen Falles abzuwägen. Dabei darf beim Zusammenwirken mehrerer Täter die Tat des einzelnen nicht losgelöst von ihrem Zusammenhang mit den andern betrachtet werden. Was den Täter dem Ziel nur unbedeutend näher bringt,
kann dennnoch als Angriff auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft bestraft werden, wenn die Vorbereitungen in ihrer Gesamtheit schon so weit gediehen sind, dass sich die Anwendung von Artikel 266 StGB rechtfertigt.

C- Auf Grund dieser Erwägungen hat das Bundesstrafgericht entschieden, dass Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft waren : Die Handlungen, um die Schweiz in das Deutsche Beich einzuverleiben, allenfalls zwischen Deutschland und Italien aufzuteilen, oder sie in ein nationalsozialistisches, von Hitler geführtes Europa bzw. Grossgermanisches Beich,einzugliedern und ihr dadurch als Vasallenstaat einen von Hitler zu bestimmenden Teil ihrer Selbständigkeit zu nehmen. Dasselbe trifft auch zu, soweit dieses Ziel ohne Gewalt, politisch und «organisch» zu erreichen gesucht wurde. Bei Eiedweg wurde erkannt, dass er dies «organisch» erreichen, d. h. die Schweiz von innen heraus

1069 für den Einbau in das neue Europa reif machen wollte, indem er, von Deutschland unterstützt, den schweizerischen Nationalsozialisten, die dem Einbau günstig gesinnt und den Eeichsbehörden hörig waren, zur Macht verhelfen wollte. Bechtswidrig handelte er, weil er die Umgestaltung und Einordnung der Eidgenossenschaft nicht nach dem auf verfassungsmässigem Weg zu ermittelnden freien Willen des Schweizervolkes, sondern nach dem Willen Hitlers und auf dem von Hitler zu bestimmenden Wege herbeiführen wollte. Burri strebte darnach, den Nationalsozialisten in der Schweiz unter seiner Führung zur Macht zu verhelfen. Auch, er wollte dies nicht/durch verfassungsmässige Wahlen, sondern mit Hilfe eines vom Deutschen Eeich auf Volk und Behörden auszuübenden Druckes, was gegen die freie Willensbildung in innern Angelegenheiten ging. Ein Teil seiner Handlungen war zudem offen auf die Einverleibung der Schweiz in das Deutsche Éeich gerichtet. Die Aufteilung der Schweiz zwischen Deutschland und Italien oder ihr ungeteilter Anschluss an das Deutsche Eeich sollte gegen den Willen des "Volkes und der verfassungsmässigen Behörden durch die schweizerischen Nationalsozialisten mit Hilfe des Eeiches erzwungen werden. Burri wollte die Unabhängigkeit der Schweiz nicht nur einschränken, .sondern durch ihre Einverleibung in das Eeich vollständig beseitigen. Keller sodann hat in der Schweiz mit Hilfe des Deutschen Eeiches die Nationalsozialisten an die Macht bringen, die geltende Verfassung aufheben und das Land als Vasallenstaat in ein 'von Deutschland zu führendes Grossgermanisches Eeich einordnen wollen. Sowohl sein Streben nach dem unmittelbaren Ziel der Machtergreifung und Errichtung eines nationalsozialistischen Führerstaates, als auch das Trachten nach der Einordnung der Schweiz in das Grossgermanische Eeich ging auf Verletzung der Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft. Der Druck des Deutschen Eeiches auf Volk und Behörden zwecks Einsetzung einer nationalsozialistischen Eegierung und Errichtung eines Führerstaates hätte die verfassungsmäßige freie Willensbildung in dieser innern Angelegenheit verunmöglicht, und die Einordnung in das Grossgermanische Eeich hätte aus der Schweiz einen bloss noch beschränkt selbständigen Staat gemacht.

Auf die Verletzung der Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft hin arbeiteten in
verschiedener Hinsicht namentlich das SS-Hauptamt, die Germanische Leitstelle, die Amtsgruppe D, ebenso der Sicherheitsdienst, .der Volksbund für das Deutschtum im Ausland und andere Eeichsstellen. Aus landesverräterischen Handlungen bestand die gesamte Tätigkeit der nationalsozialistischen Schweizerbünde und der Germanischen S S-Schweiz, so wie dies in den Urteilen dargetan ist, und landesverräterisch waren alle die verschieden gearteten Einzelhandlungen, wie z. B. die Teilnahme an der Münchnerkonferenz, die Besprechungen mit Eeichsstellen, die Einreichung von Denkschriften und vieles andere.

: ,, , ; 2. (Landesverrat und.Notrecht.) Die unter Artikel 266 StGB fallenden Handlungen der Verurteilten erfüllten an sich auch Tatbestände der sog.

Demokratieschutzverordnungen, d. h. von Notreehtsbestimmungen, jedoch schützt Artikel 266 St GB > nach der eben dargelegten neueren Auslegung auch

.1070 die von aussen unbeeinflusste Vvillensbildung in inneren Angelegenheiten und damit notwendig die verfassungsmässige Ordnung in allen Fällen, wo der, Angriff auf die Unabhängigkeit in einem mit Hilfe einer fremden Macht vorbereiteten oder durchgeführten Angriff auf die verfassungsmässige. Ordnung besteht oder einen solchen in sich schliesst.

3. (Politischer Nachrichtendienst.) Politischer Nachrichtendienst im Sinne von Artikel 272, Ziffer l, StGB verübt, wer im Interesse einer fremden Behörde, Partei oder ähnlichen Organisation zum Nachteile der Schweiz oder ihrer Angehörigen oder Einwohner Nachrichtendienst über die politische Tätigkeit von Personen oder politischen Verbänden betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet (Abs. 1) oder wer für solche Dienste anwirbt oder ihnen Vorschub leistet (Abs. 2). Das Vergehen wird schon dadurch vollendet, .dass der Täter den Nachrichtendienst irgendwie vorbereitet oder fördert, d. h. ein Glied in die Kette der Handlungen setzt, die gesamthaft das Einrichten oder Betreiben eines solchen Dienstes ausmachen; Mit den Worten «Vorschub leistet» umschreibt das Gesetz alles, was sich irgendwie in jene Kette einreihen lässt, also anch Handlungen, die unter dem Gesichtspunkte des angestrebten Bnderfolges bloss Vorbereitung, Versuch, Anstiftung oder Beihilfe wären; solche Handlungen gelten hier schon als vollendetes Vergehen. Auch kommt es nicht darauf an, ob die gemeldete oder zu meldende Tatsache geheim zu halten sei, ob sie wahr sei und ob die Nachricht der Schweiz oder einem ihrer Angehörigen oder Einwohner einen Schaden zufüge. Der politische Nachrichtendienst wird um seiner selbst willen als ein Vergehen gegen die Sicherheit der Eidgenossenschaft bekämpft.

. Politischen Nachrichtendienst haben in hohem Masse eine. ganze Eeihe der Verurteilten betrieben, so mit den Vorgängen im Panorama- bzw..Plariettaheim, mit der Tarnung als Beisevertreter, mit der Tätigkeit im'Oberdeutschen Arbeitsbüro, als Vertrauensleute des Sicherheitsdienstes, usw.

4. (Geheimnisverrat ; militärischer Nachrichtendienst.) Nach, Artikel 86, Ziffer l, Absatz 2, MStG ist strafbar, wer vorsätzlich Tatsachen, Vor.kehren, Verfahren oder Gegenstände, die mit Bücksicht auf die Landesverteidigung geheimgehalten werden, einem fremden Staate, dessen Agenten oder der Öffentlichkeit bekannt oder
zugänglich macht. Ein militärisches Geheimnis, bildet jede Tatsache, welche nach dem Willen der zuständigen Dienst- oder Amtsstelle mit Bücksicht auf die Landesverteidigung dem Auslande gegenüber geheimgehalten, also nicht weiter verbreitet werden soll, als es nach, der. Natur der Sache unvermeidlich ist..Die Ausfragung der Ankömmlinge im Panorama^ bzw. im.Planettaheitn war ein Ausspähen im Sinn der Strafbestiminung. Dieser, Begriff ist weit. Er umfasst nicht nur das Beobachten mit den Augen, sondern jede Tätigkeit, durch die .sich jemand von einer mit Bücksicht auf, die Landesverteidigung geheimzuhaltenden Tatsache Kenntnis zu verschaffen versucht.

Nicht nötig ist, dass, der Täter die gewünschte Kenntnis erlangt, z.. B. auf .Fragen nach dem Standort von:Befestigungswerken brauchbare Antwort,.erhält.. ,,

1071 . Nach Artikel 274, Ziffer l, StGB ist strafbar, wer für einen fremden Staat zum Nachteile der Schweiz militärischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst .einrichtet (Abs. 1), ferner wer für solche Dienste anwirbt, oder ihnen Vorschub leistet (Abs. 2). Des vollendeten ! Vergehens macht sich' nicht nur schuldig, wer eine militärische Nachricht verschafft, sondern jeder, der den Nachrichtendienst irgendwie vorbereitet oder fördert, d. h. irgend ein Glied in die Kette der Handlungen setzt, sei es ?. B. auch bloss dadurch, dass er einen anderen zum Einzug oder zur Übermittlung militärischer Nachrichten zu gewinnen versucht oder sich selber zur Beschaffung solcher Nachrichten beauftragen lässt. Was den Inhalt der Nachrichten betrifft, verlangt Artikel: 274 StGB im Gegensatz zu Artikel 86 MStG nicht, dass die gemeldete oder zu meldende Tatsache mit Bücksicht auf die Landesverteidigung geheimgehalten werden soll. Es genügt, dass die Nachricht militärischen Zwecken zu dienen bestimmt ist und schweizerische Verhältnisse zum Gegenstand hat. Gegen Artikel 274 verstiess namentlich die Benutzung des Panoramabzw. Planettaheims als ständige Quelle militärischer Nachrichten über die Schweiz.

.

5. (Fremder Militärdienst.) Artikel 94, Absatz l, MStG bedroht mit Gefängnis den Schweizer, der ohne Erlaubnis des Bundesrates in fremden Militärdienst eintritt. Das haben eine grössere Anzahl der Verurteilten getan, indem sie sich zur Waffen-SS meldeten und einkleiden liessen. Das Vergehen war mit !

dem Eintritt vollendet.

Wer einen. Schweizer zu fremdem Militärdienst anwirbt oder der Anwerbung Vorschub leistet, macht sich nach Artikel 94, Absatz 2, MStG strafbar.

Da die Vorschrift schon das blosse Vorschubleisten erfasst, setzt sie weder voraus, dass die Tat den angestrebten Erfolg gehabt habe, d. h. 'dass Schweizer zum Eintritt in fremden Militärdienst bewogen worden seien," noch dass der fremde Staat tatsächlich werbe, d. h. bereit sei, die Dienstleistung anzunehmen, zu welcher der Täter auffordert. Ob die Anwerbung vollendet, versucht oder bloss vorbereitet wird, ist nicht entscheidend. Es verhält sich gleich wie' in!

den Fällen dés Vorschubleistens zu politischem oder militärischem Nachrichtendienst. Dass eine Anzahl Verurteilter insbesondere der Anwerbung für die Waffen-SS Vorschub geleistet
haben, ist bereits gesagt worden (so in den Abschnitten IV, 1032 und VIII, 1053 1054).

6. (Verschulden, Strafmass.) Das Bundesstrafgericht hat allgemein erkannt, das Verschulden der Angeklagten werde erhöht durch die grossen Gefahren, die der Schweiz zur Zeit des Machtrausches Hitlers und seiner Gefolgsleute gedroht haben. In so gefahrvoller Zeit war das Streben, sich die deutsche Macht und Gewaltherrschaft zunutze zu machen, um die schweizerischen Nationalsozialisten an das Ziel ihrer Politik zu.bringen, das Schweizer Volk nach dem von den deutschen Nationalsozialisten gegebenen Vorbilde zu knechten und die Schweiz dem Reiche einzuverleiben, anzuschliessen oder sie zum Vasallen des Eeiches zu machen1, sei es auch bloss durch Einordnung als Glied-

1072 staat in ein Grossgermanisches Beich, besonders verwerflich. Dasselbe gilt für die bedingungslose Unterstellung von Organisationen unter den Befehl Hitlerö, damit er die Schweiz dem Beich einverleibe oder sie nach dessen Vorbild in eineà nationalsozialistischen Staat umgestalte und die ihm missbeliebigen Teile *tóé Schweizer Volkes der Verfolgung und Ausrottung preisgebe, ferner für die Scluk-' lung zu bereitwilligen Unterdrückern und die diesen Zielen dienende Zu: sammenarbeit mit deutschen Stellen.

La; · Beim Einzelnen war die Strafe gemäss Artikel 63 StGB und 44 M St G nach dem Verschulden zuzumessen. Mitentscheidend waren Art, Umfang und Dauer der landesverräterischen Bestrebungen und der anderen Verbrechen und Vergehen, ferner der Beweggrund zur Mitwirkung und gegebenenfalls zur Umkehr. Belastend war, dass ein Angeklagter das besondere Vertrauen der deutschen Amtsstellen genoss, bei ihnen als voraussichtlicher Führer einer nationalsozialistischen Schweiz im Vordergrund stand, und dass er um diese Führerschaft gerungen hatte, gemindert wurde das Verschulden, falls ein Angeklagter für die Schweiz an Selbständigkeit soviel zu retten suchte, als ihm für eine nationalsozialistische Schweiz möglich schien, ferner falls er sich für die Interessen der Schweiz einsetzte. Gehässigkeit und Unaufrichtigkeit bei der Verfolgung des landesverräterischen Zieles rechtfertigten schwerere, Zurückhaltung und Sachlichkeit leichtere. Strafe. Wer in führender Stellung war, wurde strenger, wer untergeordnete Aufgaben erfüllte oder. die Schweizerverhältnisse ungenügend kannte, milder bestraft. Einsicht, Geständnis und Wohlverhalten seit der Tat, ebenso die seinerzeitige Einstellung der strafbaren Tätigkeit, minderten die Strafe. Ins Gewicht fielen Vorleben, Intelligenz, Charakter, Bildungsgang und soziale Stellung der Angeklagten. Gute Bildung und sozial gehobene Stellung erhöhten das Verschulden. Den Ausschlag für die Art und Höhe der Strafen gaben die persönlichen Verhältnisse, die Beweggründe der Tat, die Intensität des verbrecherischen Treibens-und seine Gefährlichkeit. Eine Zusatzstrafe erfolgte, falls die zu sühnenden Handlungen vor einer bereits bestehenden Verurteilung begangen waren und diese nicht im Abwesenheitsverfahren erfolgt war. Nicht anerkannt wurde der Strafmilderungsgrund der schweren Bedrängnis
in Fällen, wo Angeklagte zur Erhaltung ihres Auskommens in die nationalsozialistischen Schweizerbünde eingetreten sein wollten, da dies den um wirtschaftlicher Vorteile willen begangenen Landesverrat privilegieren hiesse. Kahlreiche Schweizer im In- und Auslande hatten während des Aktivdienstes ihre wirtschaftlichen Interessen denjenigen des Vaterlandes hintanstellen müssen. Ein gleiches Opfer war den Angeklagten zuzumuten. Wer den Weg des Landesverrates vorzog, verdiente nicht Nachsicht.

1073 In den- vorstehenden zwölf Abschnitten haben wir über die Ergebnisse der wichtigsten Bundesstrafverfahren wegen Angriffs auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft Bericht erstattet. Die Zusammenfassung nahm darauf, Badacht, das Wesentliche herauszuarbeiten. Auf alle Einzelheiten konnte nicht eingetreten werden, so beachtlich, auffällig und lehrreich sie auch sind.

in. Der Überblick über die gegen unser Land gerichtete Tätigkeit der Beichsstellen Hitlerdeutschlands und ihrer Helfershelfer, namentlich aus der sogenannten Erneuerungsbewegung und den nationalsozialistischen Bünden, bestätigt, in wie hohem Masse während des zweiten Weltkrieges die Unabhängigkeit, der Schweiz durch dieses landesverräterische Treiben gefährdet war. Der Überblick zeigt aber auch, welche Arbeit zum Schutze unserer Heimat, in Bund, Kantonen und Gemeinden, durch die Armee und nicht zuletzt auch durch das Bundesgericht, geleistet worden ist.

Wir sehen, iwohin die Treulosigkeit führt und wie wichtig eine wirksame geistige Abwehr i ist. Je fester und geschlossener die Haltung eines'Volkes ist, um so weniger lassen sich Verräter finden, ob diese nun mit fremden Ideologien oder gar mit Geld gewonnen werden.

Die Schweiz kennt keine gelenkte öffentliche Meinung. Jeder Schweizer ist frei, sich seine Meinung selber zu machen. Wohl aber müssen es sich die Behörden angelegen sein lassen, für die nötige Aufklärung zu sorgen. Der vorstehende, mit Eecht vom Nationalrat gewünschte, Bericht, ist eine solche Aufklärung. Mag das Schicksal dieser Landesverräter als abschreckendes Beispiel wirken und gleichzeitig ein eindringlicher Euf zur Wachsamkeit sein.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

Bern,, den 30. November 1948.

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Im Namen, des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Celio

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Der

Vizekanzler:

Ch. Oser

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Verfahren gegen nationalsozialistische Schweizer wegen Angriffs auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Vom 30. November 1948)

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1948

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02.12.1948

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