KL#ST#

5

137

Bundesblatt

74. Jahrgang.

Bern, den 1. Februar 1922.

Band I.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr.

Einrückungsgebühr : 50 Rappen die Petitzeile oder deren Kaum. -- Inserate franko an .dieBuchdruckereii Stämpfli <& de. in Bern.

# S T #

Bundesgesetz betreffend

Abänderung des Bundesstrafrechts vom 4. Februar 1853 in bezug auf Verbrechen gegen die verfassungsmässige Ordnung und die innere Sicherheit und in bezug auf die Einführung des bedingten Strafvollzugs.

(Vom 31. Januar 1922.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 11. April

1921,

in Anwendung des Art. 64bis der Bundesverfassung, beschliesst:

I.

Der dritte Titel des zweiten Abschnittes des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 4. Februar 1853 wird aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Dritter Titel. Verbrechen gegen die verfassungsmässige Ordnung und innere Sicherheit des Sundes und der Kantone.

Art. 45. Wer es unternimmt, allein oder gemeinsam mit Hochverrat.

andern, durch eine rechtswidrige Handlung, insbesondere durch Anwendung oder Androhung von Gewalt gegen Personen oder Sachen, oder durch Anstiftung zur Stillegung öffentlicher Verwaltungen oder lebenswichtiger Einrichtungen und Betriebe, a) die Verfassung des Bundes oder eines Kantons abzuändern, b) verfassungsmässige Staatsbehörden abzusetzen oder sie ausserstand zu setzen, ihr Amt auszuüben, e) öffentliche Gewalt ungesetzlich auszuüben oder durch ungesetzliche Träger ausüben zu lassen, es sei denn zur Wiederherstellung gestörter verfassungsmässiger Ordnung, Bundesblatt. 74. Jahrg. Bd. I.

10

138 wird mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.

Unternehmen im Sinne dieses Artikels umfasst Vollendung und Versuch.

Aufruhr.

Art. 46. Wer sich in einer die verfassungsmässige Ordnung gefährdenden "Weise an einer Zusammenrottung oder an einem andern Unternehmen beteiligt, die, wie er weiss oder annehmen muss, _ darauf gerichtet sind, rechtswidrig mit vereinten Kräften a) eine Behörde oder einen Beamten des Bundes, der Nationalbank oder eines Kantons an einer Amtshandlung zu hindern oder zu einer solchen zu nötigen, b) die Vollziehung eines Gesetzes zu hindern oder zu stören, c) einen Verhafteten, Gefangenen oder einen andern auf amtliche Anordnung Eingewiesenen zu befreien oder ihm zur Flucht behilflich zu sein, d) einen Beamten wegen seiner amtlichen Tätigkeit zu misshandeln, wird mit Gefängnis bestraft.

Wer das Unternehmen leitet, oder wer als Teilnehmer Gewalt an Personen oder Sachen verübt, wird mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.

Unternehmen im Sinne dieses Artikels umfasst Vollendung und Versuch.

Art. 46bis. Wer in einer die verfassungsmässige Ordnung gefährdenden Weise rechtswidrig a) eine Behörde oder einen Beamten des Bundes, der Nationalbank oder eines Kantons an einer Amtshandlung hindert oder zu einer solchen nötigt, b) die Vollziehung eines Gesetzes hindert oder stört, c) einen Verhafteten, Gefangenen, oder einen andern auf amtliche Anordnung Eingewiesenen befreit oder ihm zur Flucht behilflich ist, d) einen Beamten wegen seiner amtlichen Tätigkeit misshandelt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft.

Art. 46ter. Wer eine durch Verfassung oder Gesetz vorgeStörung und Hinderung schriebene Versammlung, Wahl oder Abstimmung in eidgenösvon eidgenössischen sischen Angelegenheiten durch Gewalt oder Drohung hindert Wahlen und oder stört, wer die Sammlung oder die Ablieferung von Unterschriften Abstimmungen.

für ein Referendums- oder Initiativbegehren in eidgenössischen Angelegenheiten durch Gewalt oder Drohung hindert oder stört, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

Widereetzung,

139 Art. 46iuater. Wer auf das Ergebnis einer gemäss der Bundesge- Vergehen bei setzgebung angeordneten Wahl oder andern Verhandlung, durch eidgenössischen Wegnahme oder Verfälschung echter oder durch Beifügung falscher Wahlen und Stimmzettel oder auf andere rechtswidrige Weise einwirkt; Abstimwer auf die an der Verhandlung teilnehmenden Bürger durch mungen.

Geschenke oder Verheissung von solchen oder durch Drohungen einen Einfluss auszuüben sucht; wer bei einer solchen Gelegenheit ein Geschenk annimmt oder sich irgendeinen Vorteil einräumen lässt; wer unbefugterweise an einer solchen Wahl oder andern Verhandlung teilnimmt, wird mit Geldbusse, mit welcher in schweren Fällen Gefängnis bis auf zwei Jahre verbunden werden kann, bestraft.

Art. 469uin'3uie8. Die Artikel 46ler und 46<»uafer kommen auch Vergehen bei zur Anwendung, wenn sich die dort bezeichneten Handlungen kantonalen und auf Wahlen, Abstimmungen und Unterschriftensammlungen, die Wahlen Abstimdurch die Gesetzgebung eines Kantons vorgesehen sind, beziehen, mungen.

sofern sie Ursache oder Folge von Unruhen sind, durch die eine bewaffnete eidgenössische Intervention veranlasst worden ist.

Art. 468exîes. Der Beamte, der von dem Vorhaben eines Verletzung Hochverrats oder eines Aufruhrs Kenntnis erhält und es unter- der Anzeigepflicht der lässt, der Behörde sofort Anzeige zu machen, wird mit Gefängnis Beamten.

bis zu einem Jahre bestraft.

Art. 47. Wer im In- oder Auslande öffentlich in Wort, Schrift Gefährdung der verfasoder Bild zu einer gewaltsamen Störung der verfassungsmässigen sungsmässigen Ordnung oder der innern Sicherheit der Eidgenossenschaft oder Ordnung und der Kantone auffordert oder solche Handlungen androht; inneren wer im In- oder Auslande eine Handlung vornimmt, die, Sicherheit.

wie er weiss oder annehmen muss, in rechtswidriger Weise die Störung der verfassungsmässigen Ordnung oder innern Sicherheit der Eidgenossenschaft oder der Kantone vorbereitet, wird mit Gefängnis bestraft.

Richtet sich die Aufforderung oder Drohung an Beamte, Angestellte oder Arbeiter des Bundes oder der Kantone, der Nationalbank oder der öffentlichen Verkehrsanstalten und lebenswichtigen Betriebe oder an deren Inhaber, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter drei Monaten.

Art. 48. Wer zum Ungehorsam gegen militärische Befehle, Aufforderung zur
Dienstverletzung, zur Dienstverweigerung oder zum Ausreissen undVerleitung zur Verletzung auffordert, oder wer einen Dienstpflichtigen zu einer solchen militärischer Widerhandlung verleitet, wird mit Gefängnis bestraft.

Dienstpflichten.

140

Geht die Aufforderung oder Verleitung auf Meuterei, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis.

Untergrabung Art. 48bis. Wer eine Vereinigung, von welcher er weiss oder der mili- annehmen muss, dass deren Zweck oder Tätigkeit auf Untertärischen Disgrabung der militärischen Disziplin gerichtet ist, gründet, ihr ziplin.

beitritt oder bei einer solchen Vereinigung sich betätigt; wer zur Bildung solcher Vereinigungen auffordert oder deren Weisungen befolgt, wird mit Gefängnis bestraft.

Art. 49. Wer vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit den allUngehorsam gegen Befehle gemeinen Befehlen oder Verordnungen zuwiderhandelt, die und Verorda) vom Bundesrat in Anwendung von Art. 102, Ziff. 9 und 10, nungen.

der Bundesverfassung, b) in Zeiten eines aktiven Dienstes von den zuständigen Stellen zur Wahrung der Neutralität oder militärischer Interessen, oder in Ausübung der ihnen vom Bundesrat übertragenen besondern Befugnisse erlassen und öffentlich bekanntgemacht sind, wird, sofern keine andere Strafbestimmung zutrifft, mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

Art. 50. Wer wissentlich an einer öffentlichen ZusammenLandfriedens bruch.

rottung teilnimmt, bei der mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten fängnis bestraft.

Gerichtsbarkeit.

begangen werden, wird mit Ge-

Art. 51. a) Die B u n d e s a s s i s e n beurteilen: 1. den Hochverrat (Art. 45), sofern er sich gegen die Eidgenossenschaft richtet ; 2. den Aufruhr (Art. 46) und die Widersetzung (Art. 46bu), sofern sie sich gegen die Bundesbehörden richten ; 3. die in Art. 45 bis 50 genannten strafbaren Handlungen, sofern sie Ursache oder Folge von Unruhen sind, durch die eine bewaffnete eidgenössische Intervention veranlaset worden ist.

b) Das B u n d e s s t r a f g e r i c h t beurteilt unter Vorbehalt der Bestimmungen der lit. a und d die in Art. 45 bis 49 genannten strafbaren Handlungen, soweit sie sich nicht ausschliesslich gegen einen Kanton oder dessen Institutionen richten. Die Untersuchung und Beurteilung kann gemäss Art. 125 des Bundesgosetzes über

141

die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893/6. Oktober 1911 den kantonalen Behörden übertragen werden.

c) Die k a n t o n a l e n B e h ö r d e n verfolgen und beurteilen, unter Vorbehalt von lit. a, Ziff. 3, die in Art. 45 bis 49 bezeichneten strafbaren Handlungen, die sich ausschliesslich gegen die Verfassung oder gegen eine Behörde oder einen Beamten eines Kantons richten oder sich ausschliesslich auf Wahlen, Abstimmungen und dergleichen beziehen, welche durch die Gesetzgebung eines Kantons vorgeschrieben werden, sowie den Landfriedensbruch (Art. 50).

d) Die M i l i t ä r g e r i c h t e beurteilen die in Art. 48, 48bis und 49 genannten strafbaren Handlungen, wenn sie von Personen ausgehen, die der Militärstrafgerichtsbarkeit unterstehen.

Ist jemand mehrerer strafbaren Handlungen beschuldigt, die verschiedener Gerichtsbarkeit unterstellt sind, so kann der Bundesrat auf Antrag des Bundesanwaltes die Vereinigung der Strafverfolgung und Beurteilung in der Hand der einen oder andern Bundesbehörde oder der kantonalen Behörde anordnen.

Art. 52. Gegenstände, die zu einem Vergehen gedient haben, Einziehung.

für die Verübung eines Vergehens bestimmt waren oder durch ein Vergehen hervorgebracht worden sind, werden eingezogen.

Der Bundesrat kann Schriftsachen, Druckschriften, Bilder und Darstellungen, die den Umsturz der bestehenden staatlichen Ordnung verherrlichen, androhen oder hierzu auffordern, auch dann einziehen lassen, wenn eine Strafverfolgung oder Verurteilung nicht eintritt.

Geschenke und andere Zuwendungen, die dazu gedient haben oder bestimmt waren, ein Vergehen zu veranlassen oder zu belohnen, verfallen dem Bunde. Sind sie nicht mehr vorhanden, so schuldet der Empfänger dem Bunde deren Wert.

U.

In den sechsten Titel des ersten Abschnittes des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 4. Februar 1853 wird folgender neuer Artikel eingefügt :

Art. 33 bis.

Der Richter kann den Vollzug einer Gefängnisstrafe von Bedingter nicht mehr als einem Jahre aufschieben. Die nähern Bedingungen Strafvollzug.

des Aufschubes werden bis zum Inkrafttreten des schweize-

142 rischen Strafgesetzbuches vom Bundesrate auf dem Verordnungswege bestimmt.

III.

Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes werden aufgehoben die mit ihm in Widerspruch stehenden Bestimmungen eidgenössischer und kantonaler Gesetze und Verordnungen.

IV.

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug dieses Gesetzes beauftragt.

Also beschlossen vom Ständerate, B e r n , den 27. Januar 1922.

Der Präsident : Dr. J. Räber Der Protokollführer: Kaeslin.

Also beschlossen vom Nationalrate, B e r n , den 31. Januar 1922.

Der Präsident: Dr. Klöti.

Der Protokollführer : F. V. Ernst

Der sch w e i z e r i s c h e B u nd es r at b e s ch l i esst: Das vorstehende Bundesgesetz ist gemäss Art. 89 der Bundesverfassung und Art. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse zu veröffentlichen.

B e r n , den 31. Januar 1922.

Im Auftrag des Schweiz. Bundesrates, Der Bundeskanzler: Steiger.

Datum der Veröffentlichung: 1. Februar 1922.

Ablauf der Referendumsfrist : 2. Mai 1922.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesgesetz betreffend Abänderung des Bundesstrafrechts vom 4. Februar 1853 in bezug auf Verbrechen gegen die verfassungsmässige Ordnung und die innere Sicherheit und in bezug auf die Einführung des bedingten Strafvollzugs. (Vom 31. Januar 1922.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1922

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

05

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

01.02.1922

Date Data Seite

137-142

Page Pagina Ref. No

10 028 215

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.