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III. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Junisession 1922).

(Vom 29. Mai 1922.)

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten, Ihnen über weitere 12 Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen.

130. Ernst Karl Teuber, geb. 1874, gew. Kanzlist der eidgenössischen Alkoholverwaltung, jetzt Reisender, Bern, 131. Christian Wüthrich, geb. 1877, gew. Kanzlist der eidgenössischen Alkoholverwaltung, zurzeit in der Heilanstalt Nüchtern (Bern), 132. Nazar Felchlin, geb. 1880, Liqueurfabrikant Schwyz, 133. Xaver Fischlin, geb. 1885, Kirschdestillateur, Arth (Schwyz), 134. Jean Meyer, geb. 1874, Liqueurfabrikant und Fabrikant von Mineralwassern, Freiburg, 135. Friedrich von Niederhäusern, geb. 1874, Kaufmann, Genf, 136. Hans Hermann Stalder, geb. 1888, Stationsvorstand, Dürrenroth (Bern), 137. Henri Dubois, geb. 1877, 138. Alfred Blatter, geb. 1870, beide Liqueurfabrikanten, Lausanne (Waadt).

(Bestechung) Wir haben bereits in den Geschäftsberichten für die Jahre 1919--1921 der Bestechungsfälle Moser, Teuber und Konsorten Erwähnung getan und mitgeteilt, dass die in Betracht kommenden Beamten der Atkoholverwaltung und eine Anzahl Liqueurfabrikanten, Teilhaber von Destillerien und Kaufleute den Strafbehörden des Kantons Bern zur Verfolgung und Beurteilung überwiesen wurden. Das erstinstanzliche Urteil des korrektioneilen Gerichts von Bern erging am 23. April 1921, der Entscheid der ersten Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern als Appellationsinstanz am 13. Februar 1922.

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In dem Strafverfahren ergingen nachstehende Verurteilungen: a. Verurteilungen von Beamten : 1. Gustav Walter M o s er, erst- und oberinstanzlich verurteilt zu vier Monaten Gefängnis und Fr. 200 Busse ; 2. Ernst Karl T e u b e r, erstinstanzlich verurteilt zu 80 Tagen Gefängnis und Fr. 100 Busse; 3. Christian W ü t h r i c h , erstinstanzlich verurteilt zu 40 Tagen Gefängnis und Fr. 50 Busse; alle wegen Bestechung und Amtspflichtverletzung in Anwendung von Art. 56, Abs. l, 53, lit. /", 18, 19, 20, 32, 33 und 8 des ßundesstrafrechts. Teuber und Wüthrich sahen von der Appellationsmöglichkeit ab. Bei Moser ist in oberer Instanz nicht die Rede von Art. 32, dagegen sind angeführt Art. 31, lit. b und c.

b. Verurteilungen von Nichtbeamten: 4. Nazar F e l c h l i n , erstinstanzlich verurteilt zu 40 Tagen Gefängnis und Fr. 10,000 Busse, oberinstanzlich zu 20 Tagen und Fr. 6000; · 5. Xaver Fi s c h i i n , erstinstanzlich verurteilt zu 40 Tagen Gefängnis und Fr. 8000 Busse, oberinstanzlich zu 20 Tagen und Fr. 5000; 6. Jean M e y e r , erstinstanzlich verurteilt zu 40 Tagen Gefängnis und Fr. 8000 Busse, oberinstanzlich zu 20 Tagen und Fr. 5000; 7. Friedrich von N i e d e r h ä u s e r n , erstinstanzlich verurteilt zu 40 Tagen Gefängnis und Fr. 10,000 Busse, oberinstanzlich zu 20 Tagen und Fr. 6000 ; 8. Hans S t a l d e r , erstinstanzlich verurteilt zu 5 Tagen Gefängnis und Fr. 50 Busse; 9. Henri D u b o i s , erstinstanzlich verurteilt zu 40 Tagen Gefängnis und Fr. 3000 Busse, oberinstanzlich zu 20 Tagen und Fr. 2000 ; 10. Alfred B l a t t e r , erstinstanzlich verurteilt zu 40 Tagen Gefängnis und Fr. 3000 Busse, oberinstanzlich zu 15 Tagen und Fr. 2000; alle verurteilt wegen Bestechung in Anwendung von Art. 56, Abs. 2, 18, 19, 31, lit. b und c, und 8 des Bundesstrafrechts.

Über den Tatbestand ergibt sich im allgemeinen : Nachdem der Verkauf von Sprit durch die Alkoholverwaltung sich zunächst auch nach 1914 in durchaus freier Weise

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gestaltete, veranlassten Einfuhrschwierigkeiten und die voraussehbare Spritknappheit im Jahre 1915 zu vorsorglichen Massnahmen.

Es kam zunächst zum Bundesratsbeschluss vom 9. Juli 1915, der die Bezugsberechtigung nach dem sogenannten Normalbedarf einschränkte. Für die grossen und regelmässigen Kunden wurde die Normalbezugsberechtigung festgelegt und in Kontingentscheine eingetragen. Als im Sommer 1916 die Alkoholvorräte zunahmen, hatte dies den Bundesratsbeschluss vom 1. August 1916 zur Folge, der allen Sprit mit Ausnahme des Feinsprits dem Verkehr freigab. Eine strengere Kontingentierung griff hinwiederum Platz mit dem Bundesratsbeschluss vom 1. Juni 1917, der die Bezugsmengen herabsetzte und die Kontingentierung für sämtliche Bezüger einführte. Weitere Einschränkungen brachten die Bundesratsbeschlüsse vom 3. Oktober 1917 und 2. Juli 1918, im Bundesratsbeschluss vom 10. Februar 1919 erreichte die Kontingentierung ihren Höhepunkt, am 7. April 1919 fiel sie endgültig dahin.

\ Die von den Beamten, Moser, Teuber und Wüthrich begangenen Unregelmässigkeiten lassen sich nach der Art des Vorgehens in drei Systeme einreihen : I. Das sog. Strohmännersystem. Es kam unter dem Bundesratsbeschluss vom 9. Juli 1915, zum Teil noch unter dem vom 1. August 1916 zur Anwendung. Weil damals nur die grössern und regelmässigen Kunden kontingentiert waren, dagegen für kleine Bezüger oder Personen, die noch nie Alkohol gekauft hatteri, der Bezug frei war, konnte der Gedanke aufkommen, Bestellungen unter Decknamen vorzunehmen. Dieses System gelangte bei einigen Bezügern zu grosser Entfaltung. Eine besondere Tätigkeit der oben genannten Beamten war damit nicht verbunden. Sie beschränkte sich auf die Erteilung des ,,guten Ratesa.

Dieses System musste aufgegeben werden, als der Bundesratsbeschluss vom I.Juni 1917 die Kontingentierung allgemein einführte.

II. Das sog. System II. Schon vor diesem Bundesratsbeschluss hatten sich die drei Beamten auf ein neues System besonnen und es zum Teil auch angewandt, das in Abweichungen vom ordentlichen Geschäftsgang bei Trinkspritbestellungen bestand.

Dabei teilten sich Moser und Teuber abwechslungsweise in die aktive Tätigkeit, die darin bestand, den von der Zentralverwaltung zuhanden des liefernden Alkoholdepots im Rahmen der Bezugsberechtigung eines Kunden aufgestellten Bestellschein der Kontrolle zu entziehen. Der Bestellschein, der dem Alkoholdepot als Grundlage zur Ausführung der Lieferung an den Kunden

459 diente, wurde derart auf dem Kontingentierungsschein des Kunden, nicht vermerkt. Damit die Hinterziehung nicht auskam, war aber weiterhin erforderlich, dass die Faktur, die das Depot der Zentralverwaltung als Beleg für die vollzogene Lieferung zustellte, «benfalls nicht auf dem Kontingentschein vermerkt wurde. In der Verpflichtung, dies zu unterlassen, bestand die Mitwirkung Wüthrichs.

III. Das sog. System III, das vereinzelt zur Anwendung kam, bestand darin, dass entweder doppelte Kontingentscheine ausgefertigt wurden. oder durch Veränderung solcher Scheine die Bezugsberechtigung erhöht wurde.

Im folgenden ist auf den Straffall und die einzelnen Bestechungsbestände soweit ausführlicher einzutreten, als es der Umstand der Einreichung von Begnadigungsgesuchen notwendig macht.

a. Nazar F e l c h l i n , der in Schwyz eine Brennerei betreibt, gehörte von Anfang an zu den kontingentierten Firmen.

Im Herbst 1916 bewarb er sich bei der Alkoholverwaltung erfolglos um eine Mehrzuteilung von Sprit. Bei diesem Anlass traf er mit Moser zusammen, der ihm dann das oben geschilderte Strohmännersystem beschrieb und hierbei durchblicken liess, dass er eine Entschädigung erwarte. In der Folge bezog Felchlin im Jahre 1916 durch Strohmänner 10,489 kg, im folgenden Jahr 4173 kg Sprit. Für den ihm erteilten Rat liess Felchlin dem Moser gelegentlich kleinere Beträge zukommen. Als zu Beginn des Jahres 1917 die Kontingentierung immer strenger wurde, reiste Felchlin neuerdings nach Bern, wo er in einer Wirtschaft den Moser traf und ihm seine Lage auseinandersetzte. Moser antwortete, er solle nur bestellen, und erklärte, für die Ausführung sorgen zu wollen. Gleichzeitig schlug Moser für jedes Kilogramm ausser Kontingent gelieferten Sprit eine Provision von 10 Rappen vor. Felchlin äusserte zuerst Bedenken, erklärte sich aber auf Beruhigung Mosers einverstanden. In der Folge kam -das System II zur Anwendung, wobei Moser die Bestellscheine der Kontrolle vorenthielt und Wüthrich die Auftragung der Fakturen auf dem Kontingentschein zu unterlassen hatte. Felchlin bezog auf diese Weise über sein Kontingent hinaus 29,538 kg Sprit und bezahlte Moser an Provisionen zirka Fr. 2900.

b. Die Firma Xaver F i s c h l i n , Kirschdestillation und Weinhandlung in 'Arth, war ebenfalls von Anfang an kontingentiert.

Fischlin, der im Sommer 1916 erstmals bei der Alkoholverwaltung vorsprach und dort Teuber kennen lernte, wurde im

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Herbst 1916 oder anfangs 1917 von Teiiber telephonisch ZK einer Besprechung nach Bern eingeladen. Die beiden trafen sich einige Tage später, wobei sich Teuber als Kontingentchef der Alkoholverwaltung ausgab und gegen eine Vergütung von 10 Rappen per Kilogramm an seine Person die Lieferung von Sprit aussei' Kontingent anerbot, indem genügend Ware vorhanden sei. Fischlin trat auf den Vorschlag ein. In der Folge kam das System II zur Anwendung. Zunächst wirkte Teuber mit Wüthrich allein, später wurde auch Moser in die Angelegenheit einbezogen. Die Provisionen, im ganzen Fr. 2500, wurden gleichmässig verteilt.

Fischlin bezog derart vom 1. März 1917 bis 31. Juli 1918 zirka 25,000 kg Sprit ausser Kontingent und ohne Wissen der Alkoholverwaltung.

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c. Jean M e y e r , Likörfabrikant in Freiburg, gehörte ebenfalls zu den bereits 1915 kontingentierten Kunden. Dem Beamten Moser war bekannt, dass Meyer von der Alkoholverwaltung mit einem Gesuch um Mehrzuteilung abgewiesen worden war. Im Herbst 1916 führte ihn eine Gelegenheitsreise nach Freiburg, wo er mit Meyer eine Zusammenkunft vereinbarte und ihn in ihrem Verlaufe auf das Strohmännersystem aufmerksam machte.

Gleichzeitig wurde die Abrede getroffen, dass Moser gegen eine Entschädigung von 10 Rappen per Kilogramm auch sonst Alkohol ausser Kontingent verschaffe. Im Unterschied zum Fall Felchlin kam hier das Strohmännersystem gleichzeitig mit dem System II zur Anwendung. Unter Decknamen bezog Meyer 3162 kg, nach dem System II 25,753 kg. Bereits im September wurde die Provision auf 20 Rappen per Kilogramm erhöht. Im ganzen erhielt Moser Fr. 3522, die er mit Touber und Wüthrich teilte.

d. Friedrich v o n N i e d e r h ä u s e r n , Cognacs et Rhums en gros in Genf, richtete Ende 1916 an die Alkoholverwaltung ein Gesuch um Mehrzuteilung. Wenige Tage darauf erhielt er von Moser die telephonische Mitteilung, das eingereichte Gesuch sei angesichts der Kontingentierung aussichtslos. Gleichzeitig fügte Moser bei, es gäbe noch ein Mittel, um zu Alkohol zu gelangen, hierfür sei aber eine Besprechung nötig. Diese fand bald darauf in Lausanne statt, wo Moser den von Niederhäusern zunächst mit dem Strohmännersystem vertraut machte. Dabei wurde per Pipe = 500--600 l eine Entschädigung von Fr. 50 ausbedungen. Durch Strohmänner erlangte von Niederhäusern 4712 kg. Später teilte Moser mit, die Strohmänner seien nun überflüssig, und brachte in der Folge das System II zur An-

461 wendung. Derart bezog von Niederhäusern 32,581 kg und zahlte an Provisionen Fr. 6366, die Moser mit Teuber und Wüthrich teilte.

e. Hans S t a i d e r , Stationsvorstand in Dürrenroth, dessen Besoldung zur Bestreitung des Lebensunterhaltes seiner Familie nicht ausreichte, betrieb zeitweilig _den Handel mit Landesprodukten. Anlässlich eines Aufenthaltes in Bern im Herbst 1917 traf er mit dem Beamten Teuber zusammen, den er das Jahr vorher in den Ferien kennen gelernt hatte. Im Verlauf des Gesprächs kam man auf den Sprithandel zu sprechen, und Stalder berichtete, dass ihm ' bekannte Wirte an Sprit Mangel litten.

Teuber antwortete, er werde deren Kontingentscheine nachprüfen, und teilte Stalder später mit, die Kontingente seien nun erhöht, Stalder könne die Differenz für sich beziehen und den Alkohol dem freien Handel zuführen. Stalder holte nun von den Wirten die Erlaubnis ein, auf ihre Kontingente für eigene Rechnung zu beziehen, was ihm angesichts seiner wirtschaftlichen Lage gestattet wurde. Mit Teuber war die Abrede getroffen worden, dass der Gewinn zwischen beiden geteilt werde. In der Folge sorgte Teuber zunächst allein, später im Verein mit Moser, für die Ausführung der Bestellungen. Auf Grund von erhöhten oder doppelten Kontingentscheinen kamen mehrere Lieferungen zustande. Stalder, Teuber und Moser zogen Gewinne von ]e zirka Fr. 500.

f. Die Kollektivgesellschaft Dubois & Blatter in Lausanne war von Anfang an kontingentiert. Anfangs 19,17 wurde Dubois bei der Alkoholverwaltung betreffend Mehrzuteilung von Sprit vorstellig, wo ihn Moser, dessen Bekanntschaft Dubois im Herbst 1916 in Lausanne gemacht hatte, an den Direktionssekretär verwies, jedoch zugleich bemerkte, Bemühungen seien erfolglos.

Dubois gab sich damit zufrieden, als ihn aber Moser gleichen Abends am Bahnhof vor der Abfahrt aufsuchte und ihm Sprit ausser Kontingent in Aussicht stellte, unter Ausbedingung einer Provision von 10 Rappen per Kilogramm, wobei alles durch die Alkoholverwaltung gehen solle, nahm Dubois an. Immerhin behielt er die Rücksprache mit Blatter vor, der dann die Offerte Mosers ebenfalls annahm. In der Folge kam das System II zur Anwendung. Zunächst betätigten sich Moser und Wüthrich, später auch Teuber. Die Provisionen, total Fr. 3452, wurden geteilt. Die Firma bezog ausser Kontingent 18,848 kg.

g. Den Beamten T e u b e r betreffend ist noch zu erwähnen, dass er im Mai 1917 unter falschem Namen mit einem Kirsch-

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Wasserfabrikanten von Arth in Verbindung trat und ihm in der Folge, nachdem er sich bei einer Zusammenkunft zu erkennen gegeben hatte. Spritofferten wiederholte gegen eine Vergütung von lo Rappen per Kilogramm. Als Teuber ausweichenden Bescheid erhielt, kam er selbst ins Wanken und trat von dem Vorhaben zurück. Der Fabrikant seinerseits machte im September 1917 in einem Reklamationsschreiben an die Alkoholverwaltung auf das lichtscheue Verhalten gewisser Beamter aufmerksam, ein Schreiben, das Teubsr unterschlug. Teuber suchte damals den Fabrikanten per Auto auf, um zu erwirken, dass ihn dieser nicht denunziere, worauf dann dessen Bestellungen sämtliche ausgeführt wurden. In einem Brief vom 26. Mai 1918 erneuerte der Fabrikant seine Denunziationen, was dann zur Einleitung des Strafverfahrens führte.

In rechtlicher Beziehung verweisen wir in ganzem Umfang auf die sehr eingehenden erst- und oberinstanzlichen Erwägungen.

Nach dem Stande der Angelegenheit hat die Begnadigungsbehörde unseres Erachtens keinen Anlass, irgendwie auf diese Rechtserörterungen zurückzukommen. Ausdrücklich heben wir hervor, dass nach den kantonalen Straf behörden der direkte Bestechungsvorsatz bei allen, also auch den Nichtbeamten, bejaht werden muss.

Der Hinweis auf die ergangenen Strafurteile ist zu wiederholen hinsichtlich der für die Bemessung der Strafen aufgestellten Grundsätze.

Den Verurteilungen gegenüber ersuchen im Begnadigungswege Felchlin, Fischlin, Dubois, Blatter, Teuber und Wüthrich um Brlass der Gefängnisstrafen, Felchlin allenfalls um Umwandlung in Busse, Mej'er und von Niederhäusern um Erlass der Gefängnisstrafen und Erlass oder doch Ermässigung der Bussen, Stalder um gänzliche Begnadigung. Angesichts der umfangreichen Eingaben ist es nicht angängig, die Gesuchsanbringen im einzelnen wiederzugeben, weshalb wir uns im allgemeinen darauf beschränken, einen Überblick über die hauptsächlich geltend gemachten Momente folgen zu lassen.

In nahezu sämtlichen Gesuchen wird daran erinnert, dass das erstinstanzliche Gericht, um das Fehlen des bedingten Straferlasses im Bundesrecht zu mildern, dem Bundesrat zuhanden der Bundesversammlung hinsichtlich der Gefängnisstrafen empfiehlt, Stalder vollständig, die übrigen zum Teil zu begnadigen.

Von den Nichtbeamten wird mit Nachdruck dargetan, dass die Vereinbarung mit den Beamten nicht gesucht wurde, sondern diese die Initiative ergriffen hätten. Die Kaufleute, deren Betriebe

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Not gelitten hätten, seien geradezu verlockt und verführt worden.

Man müsse die damaligen Verhältnisse und die Mentalität berücksichtigen, die in der Kriegszeit die Kaufmannschaft beherrscht habe. In Betracht zu ziehen sei auch, dass die Verfehlungen nahezu fünf Jahre zurücklägen und dass die Eidgenossenschaft finanziell nicht geschädigt worden sei. Das Eingehen auf die anbegehrten Vergütungen erkläre sich vielfach aus den persönlichen Verhältnissen der Beamten, so Teubers, und beruhe geradezu auf Mildtätigkeit. Mit der Bejahung des rechtswidrigen Vorsatzes durch die Gerichte habe man sich zwar abzufinden, aber all die Gründe, die dagegen sprächen, seien auch geeignet, für die Strafausmessung und die Begnadigung berücksichtigt zu werden. Der Umstand, dass das Strafverfahren sich durch das Mittel der Presse vor der breitesten Öffentlichkeit abwandelte, habe die Beteiligten .ausserordentlich hergenommen. Soweit die Herabsetzung der Bussen beantragt wird, erfolgt der Hinweis auf die infolge der spätem Aussperrung eingetretenen Verluste, die die Gewinne in der Regel übersteigen sollen.

Von den einzelnen Eingaben der Nichtbeamten bemerken wir noch, dass Felchlin sich dem Gesuche seines Anwalts mit tìinem eigenen Schreiben anschliesst. Bei Fischlin wird mitgeteilt, dass er in der kritischen Zeit infolge des Todes von Vater und Bruder durch Unglücksfall unter schweren psychischen Depressionen gelitten habe. Bei Stalder werden eingehend die misslichen Familien- und Gesundheitsverhältnisse geschildert.

Letzteres ist auch der Fall bei Teuber, der ausserdem auf die seitherige Tätigkeit in Notspitälern als Pfleger während der ·Grippeepidemie verweist und bekannt gibt, dass er nunmehr als Reisender zur Zufriedenheit seines Vorgesetzten arbeite. Die Verbüssung der Gefängnisstrafe würde ihn aus dieser Stellung erneut herausreissen. Ferner belegt Teuber durch ein Arztzeugnis kürzliche Arbeitsunfähigkeit wegen gefährlicher Magenblutungen. Der Untersuchungsrichter bescheinigt Teuber auf Wunsch, dass durch seine umfassenden Geständnisse die Untersuchung wesentlich erleichtert wurde, und empfiehlt Teuber, soviel an ihm, zur Begnadigung.

Die Ehefrau Teubers wandte sich mit einem persönlichen Schreiben an den Präsidenten der Begnadigungskommission.

Auch bei Wüthrich werden die misslichen Familienverhältnisse geltend
gemacht. Er soll Moser und Teuber gegenüber verschuldet und bloss ihr Werkzeug gewesen sein. Wüthrich, der damals dem Alkohol ergeben war, befindet sich seit dem

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27. Juli 1921 auf -freiem Entschluss für ein Jahr in der Heilstätte Nüchtern für alkoholkranke Männer. Der Vorsteher verwendet sich für ihn in warmen Worten.

Diesen Gesuchen gegenüber nehmen wir folgende Stellung ein: Was zunächst die Empfehlung der teihveisen, bei Stalder der gänzlichen Begnadigung durch das erstinstanzliche Gericht anbetrifft, so möchten wir dem beifügen, dass diese Stellungnahme heute nicht mehr unabhängig von dem Appellationsentscheid geltend gemacht werden kann. Es geht nicht an, den Entscheid der obern Instanz gleichsam zu übersehen, soweit er den Verurteilten nicht günstig ist. Die obere Instanz hat -nun nicht nur die Bussen, sondern auch die Gefängnisstrafen der Nichtbeamten, soweit sie appelliert haben, erheblich herabgesetzt. Die Erwägungen besagen deshalb auch ausdrücklich, ,,dass die Appellationsinstanz durch Herabsetzung der Strafen den im erstinstanzlichen Urteil angeführten Gründen, dio zur Anregung der Begnadigung führten, Rechnung getragen hat. Es wird deshalb davon Umgang genommen, die Angeschuldigten in bezug auf die Freiheitsstrafen zur Begnadigung zu empfehlen."1 Nach reiflicher Überlegung beantragen wir der Bundesversammlung, es bei diesem Ergebnis bewenden zu lassen. Wir lehnen es namentlich ab, neuerdings auf dia Schuldfragen zurückzukommen. Gewiss ist richtig, dass die drei Beamten Moser, Teuber und Wüthrich, jedenfalls die beiden ersten, nach den Verumständungen des Falles schlechter dastehen als die Nichtbeamten. Die so notwendige Aufrechterhaltung der Integrität der Verwaltung verlangt aber geschützt zu werden nicht bloss vor fehlbaren Beamten, sondern auch gegenüber einer Mentalität von Aussenstehenden, wie sie hier an den Tag getreten ist. Diese Integrität ist eine "Notwendigkeit im Interesse des ganzen Landes, und wer sie untergräbt, ob Beamter oder Nichtbeamter, der erschüttert damit einen der Grandpfeiler unserer staatlichen Ordnung, das Vertrauen des Volkes in seine Behörden. Ausgehend von diesen Gesichtspunkten sollte, auch bei den Nichtbeamten, sowohl von der bedingten Begnadigung wie der Umwandlung von Gefängnis in Busse abgesehen werden. Die bedingte Begnadigung lehnen wir vornehmlich ab angesichts der fortgesetzten, systemsmässigen Verfehlungen, die sich über einen längeren Zeitabschnitt erstrecken.

Hinsichtlich der Bussen halten wir dafür,
es sei nach den ergangenen sorgfältigen Strafentscheiden .für die Begnadigungsbehörde kein Grund vorhanden, neuerdings als Instanz tätig zu werden, die die Einzelheiten der Strafausmessung nachprüft.

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Wir vertreten somit den Nichtbeamten gegenüber, die mit Ausnahme Stalders alle appellierten, den Standpunkt, die kantonale Appellationsinstanz habe die heute als Kommiserationsgründe .geltend gemachten Anbringen zur Genüge berücksichtigt, so dass die vo.n ihr herabgesetzten Gefängnisstrafen und Bussen nunmehr vollzogen werden sollten.

In den Fällen Stalder, Teuber und Wüthrich, die nicht appellierten, machen wir folgendes geltend: Bei Stalder befürwortet das erstinstanzliche Gericht den gänzlichen Erlass der Gefängnisstrafe von 5 Tagen. Angesichts der misslichen Verhältnisse, denen sich Stalder gegenüber sah, ist dieser Antrag verständlich. Er beweist, wie sehr es dem Gerichte darum zu tun -war, in der Erledigung des einzelnen Falles zu ·einer Lösung beizutragen', die sowohl vom Standpunkte des Rechtes wie der Gnade zu einem befriedigenden Ergebnis führt. Wir haben uns demgemäss entschlossen, den Antrag, Stalder die 5 Tage Gefängnis gänzlich zu erlassen, auch unserseits zu stellen. Dagegen ist die Busse von Fr. 50 zu belassen.

Der Beamte Teuber ist zwar weniger belastet als Moser, seine Handlungsweise bleibt, aber in hohe'm Masse verwerflich und unentschuldbar. Wir halten deshalb dafür, es sei von vorneherein nicht Sache des Bundesrates, hier einer gänzlichen Begnadigung das Wort zu reden. Dagegen möchten wir unter den geltend gemachten Komiserationsgründen die heutige gesundheitliche und soziale Lage Teubers berücksichtigen. Ob · er straferstehungsfähig ist, überlassen wir zum nähern Entscheid dem Strafvollzugsverfahren. Wir beantragen, Ermässigung der Gefängnisstrafe bis zu 40 Tagen, in der Meinung, deren "Verbüssung könnte, allenfalls in zwei Raten, erfolgen, ohne den Mann neuerdings um seine Stelle zu bringen.

Der Beamte Wüthrich, namentlich aber der Vorsteher der Heilstätte Nüchtern, heben hervor, dass sich Wüthrich freiwillig einem Anstaltsaufenthalt von einem Jahr unterzogen habe. Es wird bezeugt, dass sein bescheidenes und auch sonst in jeder Hinsicht rechtes Benehmen, sein Fleiss, die Zuverlässigkeit und tüchtigen Arbeitsleistungen Anerkennung verdienen. Sein freiwilliger Anstaltseintritt wäre ihm nach dieser Ansicht als Art Strafersatz, als eine Umwandlung anzurechnen. Die Direktion der Heilanstalt äussert sich weiter dahin, sie werde besorgt sein, Wüthrich nach Beendigung seiner Anstaltszeit zu einer geeigneten Anstellung zu verhelfen, wobei aber nur auf Erfolg zu rechnen sei, wenn ihm,» die Gefängnisstrafe erlassen werde.

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Wir haben uns dieser Auffassung nicht von vorneherein verschlossen, sondern in Erwägung gezogen, ob Wüthrich allenfalls bedingt begnadigt werden könne unter Auferlegung einer Probezeit von 3 Jahren und Stellung unter Schutzaufsicht. Wir gelangten jedoch zu dem Ergebnis, dass diese Lösung zu sehr aus dem Rahmen dessen fallen würde, was wir im allgemeinen, sowohl den Beamten wie den Nichtbeamten gegenüber, als Mindestmass dessen betrachten, was als Sühne für die schweren Verfehlungen verlangt werden muss. Immerhin beantragen wir, Wüthrich die Anstaltszeit derart anzurechnen, dass ihm die Hälfte der Gefängnisstrafe erlassen wird, so dass er statt 40 noch 20 Tage zu verbüsseti hat.

A n t r ä g e : Bei Stalder gänzlicher Erlass der Gefängnisstrafe, bei Teuber Herabsetzung von 80 bis zu 40 Tagen, bei Wüthrich von 40 bis zu 20 Tagen, Abweisung der übrigen.

139. Gildo de Lucca, geb. 1897, Techniker, 140. Walter de Iucca, geb. 1898, Mechaniker, beide zurzeit in der Strafanstalt Witzwil (Bern).

(Fälschung von Bundesakten, Betrug, Diebstahl.)

Gildo und Walter de Lucca wurden am 27. Juni 1921 von der Assisenkammer des Kantons Bern in Anwendung von Art. 61, 33, 3, des Bundesstrafrechts in Verbindung mit kantonalrechtlichen Bestimmungen verurteilt, Gildo de Lucca zu 20 Monaten Zuchthaus, abzüglich 4 Monate Untersuchungshaft, und Verlust des Aktivbürgerrechts auf die Dauer von drei Jahren, Walter de Lucca zu 14, abzüglich 2 Monaten, Zuchthaus und Verlust des Aktivbürgerrechts auf die Dauer von zwei Jahren.

Gildo de Lucca unternahm seit 1918 bis kurz vor seiner Verhaftung im Februar 1921 auf der Linie der S. B. B. in fortgesetzter Weise Fahrten mit von ihm verfälschten Billets. Die Bahn wurde um zirka Fr. 2000 betrogen. Sein Bruder, der an verschiedenen Fahrten teilnahm, gab, soviel an ihm, eine Schädigung von zirka Fr. 500 zu. Die Delegation zur Beurteilung der in verschiedenen Kantonen begangenen Delikte gegen ' das Bundesstrafrecht erfolgte an die bernischen Strafbehörden, weil die beiden Angeschuldigten sich zudem im Kanton Bern eines Einbruchdiebstahls schuldig gemacht hatten.

Die Strafzeit von Gildo de Lucca dauert bis zum 27. Oktober, von Walter de Lucca bis zum 27. Juni nächsthin^ Beide

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ersuchen um teilweisen Erlass der Reststrafen. Der Erstere schreibt, an Lungen- und Drüsentuberkulose zu leiden. Kränklich und ohne Geld müsse er darauf sehen, für den Winter unterzukommen. In den Sommermonaten wäre es ihm leicht, im Kraftwerkbau Anstellung zu finden und derart in der Höhe gleichzeitig seine Gesundheit zu festigen. 'Walter de Lucca schreibt hinsichtlich seiner Arbeitsaussichten ähnlich. Er möchte bis zum Winter seine Verhältnisse ordnen, um nicht der Öffentlichkeit zur Last zu fallen 5 zudem gewärtige er,, den gesundheitlich angegriffenen Bruder unterstützen zu müssen.

Die Direktion der Strafanstalt Witzwil schreibt, dass die beiden hinsichtlich Betragen und Arbeit recht ordentlich befriedigt hätten, und bemerkt, es wäre ihnen bei Zuständigkeit bernischer Behörden ein Zwölftel der Strafe erlassen worden.

Da die ausgesprochenen Gesamtstrafen bundesrechtlicher Natur sind, hat die Bundesversammlung die Gesuche zu behandeln.

Wir können uns jedoch mit einem Gnadenerlass nicht befreunden und verweisen diesbezüglich auf Akten und Urteilserwägungen, wo die beiden Brüder zutreffend als Abenteurer bezeichnet werden. Der Fall de Lucca stellt einen der raffiniertesten Fälle von Billettfälschungen und Betrug zum Nachteil der S. B. B. dar, wie er uns in dieser Form noch nie beschäftigt hat.

A n t r a g : Abweisung.

141. Gottfried Schlager, geb. 1872, Hotelier, Feldberg (Baden).

(Verbotener Nachrichtendienst.)

Gottfried Schlager wurde am 20. Juli 1918 vom Bundesstrafgericht wegen verbotenen Nachrichtendienstes verurteilt zu 6 Monaten Gefängnis, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 121 Tagen, Fr. 500 Busse und 2 Jahren Landesverweisung.

Die Tätigkeit Schlagers bestand darin, Leute ausfindig zu machen, die zu Spionagezwecken ins Ausland reisen sollten.

Schlager ersucht vom Ausland aus um Erlass des Restes der Gefängnisstrafe. Er hat sich im Herbst 1918 dem Strafvollzug durch Flucht entzogen. Heute schreibt er, keine Lust mehr gehabt zu haben, noch länger ins Gefängnis zu sitzen. Auf das Geschehene könne nunmehr kein Wert mehr gelegt werden.

Ferner seien seine Verwandten ßaslerbürger, die er wieder aufsuchen möchte, auch gedenke er, seine ordentlichen Kuraufenthalte in Lugano wieder aufzunehmen.

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Wir beantragen demgegenüber Abweisung. Bundesrat und Bundesversammlung sind Gesuchen betreffend verbotenen Nachrichtendienst gegenüber andauernd zurückhaltend gewesen, und wir haben keinen Anlass, zu einem vereinzelten Gesuch nachträglich eine andare Haltung einzunehmen. Noch in der letzten Sommersession wurde ein Gesuch um Aufhebung der Landesverweisung abgewiesen, obschon Verhältnisse vorlagen, die immerhin über die Bequemlichkeitsgründe hinausgingen, die der heutige Gesuchsteller Schlager geltend macht.

A n t r a g : Abweisung.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 29. Mai 1922.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Dr. Haab.

Der Bundeskanzler : Steiger.

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