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Bundesblatt

74. Jahrgang.

Bern, den 1. März 1922.

Band I.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, M Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr".

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Erhöhung der Ansätze des schweizerischen Zolltarifs (Generaltarif) vom 10. Oktober 1902.

(Vom 24. Februar 1922.)

Artikel 4 des Bundesgesetzes betreffend den schweizerischen Zolltarif vom 10. Oktober 1902 bestimmt in Alinea l : Für Waren aus solchen Staaten, welche schweizerische Waren mit besonders hohen Zöllen belegen oder sie ungünstiger behandeln als die Waren anderer Staaten, kann der Bundesrat die Ansätze des Generaltarifs jederzeit nach seinem Ermessen erhöhen, oder, soweit das vorliegende Gesetz Zollfreiheit bestimmt, Zölle aufstellen.

Gemäss Artikel 5 des genannten Gesetzes ist der Bundesversammlung bei ihrer nächsten Zusammenkunft von solchen Massnahmen Kenntnis zu geben.

Wir beehren uns deshalb, Ihnen nachstehenden Bericht zu übermitteln.

1. Schon vor dem Kriege neigte sich die 10jährige Handelsvertragsperiode, wie sie mit den Vertragsstaaten vereinbart war, ihrem Ende entgegen, und man musste an die Vorbereitung der Zolltarifrevision gehen. Zu dem Zweck veranstaltete die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements im Jahre 1913 eine Enquete bei den Interessenten verbänden. Diese Arbeit wurde aber durch den Ausbruch des Krieges unterbrochen. Während des Krieges erfolgte dann die Kündigung der bestehenden Tarifverträge und ihre Überführung in kurzfristige Provisorien.

2. Infolge dieser unsichern Vertragsverhältnisse musste die Frage der Zolltarifrevision nach dem Friedenssehluss notwendigerweise wieder in den Vordergrund treten.

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Dazu kamen noch finanzielle Momente: Die Notwendigkeit einer stärkern Herbeiziehung der Zölle zur Deckung der Ausgaben des Bundes. Aus solchen rein fiskalischen Erwägungen unterbreiteten wir den Eäten eine Vorlage betreffend Erhöhung der nicht durch Verträge gebundenen Ansätze des Zolltarifs (Bundesbeschluss vom 28. Juni 1920). Diese neuen Ansätze traten am 15. Juli 1920 in Kraft.

Das war aber nur ein erster Schritt. In Fortsetzung des Programms wurde gegen Ende des Jahres 1920 durch Vermittlung der Organe der Landwirtschaft, der Industrie, des Gewerbes und des Handels, eine neue Enquete veranstaltet.

Unterdessen aber hatte sich die wirtschaftliche Situation immer mehr zugespitzt. Die Lage war aus zwei Gründen unhaltbar geworden : Einmal hatte die Preissteigerung auf allen Gebieten die ursprüngliche Eelation zwischen Warenwert und Zollschutz absolut verschoben, so dass der durch den schweizerischen Tarif vorgesehene bescheidene Schutz nicht mehr bestand. Gegenüber den Warenwerten, die teilweise auf ein Mehrfaches stiegen, waren die Zollsätze mit Ausnahme der verhältnismässig wenigen durch die Tarifnovelle vom 28. Juni 1920 erhöhten Positionen unverändert geblieben. Dazu wurden die verhängnisvollen Wirkungen des Valutadumpings immer deutlicher und drohten weite Kreise der schweizerischen Produktion zu gefährden. Aus diesen Gründen erschien es ausgeschlossen, angesichts der dringenden wirtschaftlichen und handelspolitischen Notwendigkeit den regelmässigen Gesetzgebungsweg für die Bevisi on des Tarifs weiter zu verfolgen.

Wir verlangten deshalb mit Botschaft vom 24. Januar 1921 von der Bundesversammlung die Vollmacht für eine vorläufige Abänderung des Zolltarifs. Man verzichtete für den Augenblick auf die Ausarbeitung eines Generaltarifs und wollte nur den bestehenden Gebrauchstarif, der das Besultat des durch die Verträge modifizierten Generaltarifs von 1902 ist, den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen anpassen. Unter diesen veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen war einerseits die Wertsteigerung der Waren und anderseits die gesteigerte Bedrohung unserer Produktion verstanden. Man glaubte voraussetzen zu dürfen, diesen neuen Gebrauchstarif ohne Schwierigkeiten bei den Vertragsstaaten durchsetzen zu können, hatten doch einige dieser Länder an ihren Tarifen ganz ähnliche Modifikationen
vorgenommen.

Die Bundesversammlung erteilte dem Bundesrat die verlangte Vollmacht und begrenzte sie zeitlich bis zum 80. Juni 1928. Man hielt es für möglich, bis dann einen neuen Generalzolltarif auf normalem Wege fertigzustellen.

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Am 15. Juli erstatteten wir der Bundesversammlung Bericht über die gestützt auf den Bundesbeschluss vom 18. Februar 1921 ergriffenen Massnahmen. Der neue Gebrauchstarif trat am 1. Juli in Kraft. Seine Einführung ging ohne Schwierigkeiten von statten.

Gegenüber Frankreich erlitt das bestehende Verhältnis keine Veränderung. Mit Italien wurde vereinbart, dass vom 1. Juli an die Schweiz ihren neuen Gebrauchszolltarif anwende gegen den neuen italienischen Generalzolltarif mit gegenseitiger Meistbegünstigung.

Auch mit Deutschland fand eine ähnliche Eegelung statt, und Spanien gewährte gegen den neuen Gebrauchszolltarif seine Minimalkolonne.

3. Nach vorläufiger Eegelung dieser Angelegenheit beschloss der Bundesrat, in Weiterverfolgung der schon früher eingeschlagenen Eichtlinien, das Volkswirtschaftsdepartement und das Zolldepartement zu beauftragen, unverzüglich mit den Vorarbeiten zu einem neuen Generaltarif zu beginnen, damit dieser innert kürzester Frist im Entwurfe vorliege.

Die beiden Departemente bereinigten unter Zuzug von Experten in erster Linie einmal den Textentwurf für einen neuen Generaltarif.

Die Vorarbeiten dazu waren schon im Jahre 1919 von der Oberzolldirektion an die Hand genommen -worden. Der Entwurf ist gegenwärtig im Druck und wird sofort nachher den Interessenten zur Einsicht zugestellt werden. Dann wird der Bundesrat eine Kommission bestellen, die auf Grund der Eingaben und persönlicher Einvernahmen den Entwurf eines neuen Generaltarifs aufstellen wird.

4. Inzwischen haben sich auf handelspolitischem Gebiet die Verhältnisse wieder verschärft. Wir haben, wie schon erwähnt, mit fast allen Staaten kurzfristige Provisorien, so dass wir mit Verhandlungen nach verschiedenen Eichtungen hin jederzeit rechnen müssen.

Nun war schon bei Anlass der Unterhandlungen zum Abschlüsse provisorischer Abkommen vom letzten Sommer von unsern Unterhändlern als ein grosser Nachteil empfunden worden, dass die Schweiz nicht einen eigentlichen Generalzolltarif besass und sich mit dem, verglichen mit den übrigen Tarifen, sehr bescheidenen Gebrauchstarif an den Verhandlungstisch setzen musste. Das Fehlen eines Generaltarifs als Kampfzolltarif oder einer erhöhten Maximalkolonne muss die Verhandlungen in verschiedener Hinsicht erschweren.

Das Ausland setzt uns Tarife entgegen, die fast auf der ganzen
Linie wesentlich höhere Zollsätze aufweisen. Wenn wir auf diesen Zollsätzen eine Eeduktion verlangen, und wir müssen das im Interesse unserer Exportindustrien tun, so verlangt man von uns Kon-

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Zessionen, die wohl auf einem Generalzolltarif, nicht aber auf einem Gebrauchstarif in genügendem Masse gemacht werden können.' Wenn schliesslieh auch die Unterhändler des fremden Staates unsere besondere Situation verstehen können und den Gebrauchstarif als das einschätzen, was er ist, nämlich als Minimaltarif, so besteht doch im betreffenden Land in der Öffentlichkeit und im Parlament, wo der Aufbau unseres Tarifes weniger bekannt ist, keine richtige Einsicht in die Lage. Man vergleicht die auf den ungleichen Tarifen allenfalls gemachten Konzessionen miteinander und findet die unsern als ungenügend. Und endlich ist bei allen Verhandlungen mit einem Unterbruch oder einem Abbruch zu rechnen. Was tritt dann ein? Der fremde Staat wendet uns gegenüber seinen General- oder Maximaltarif an, ohne eventuell vorläufig zu weitern Massnahmen zu greifen, und dokumentiert damit zugleich, dass er uns nicht mehr als meistbegünstigte Nation behandelt. Unser Gebrauchstarif aber hat keineswegs den Charakter eines General- oder Abwehrtarifs. Wir müssten einen solchen für diesen besondern Fall schaffen. Dazu besitzt der Bundesrat die Vollmachten gemäss Artikel 4 des Zollgesetzes. Das wäre aber eine speziell gegen den betreffenden Staat getroffene Massnahme, und würde entsprechend aufgenommen.

Ein schon bestehender Generaltarif, der in solchen Fällen ohne weiteres in Kraft tritt, wirkt schon durch sein blosses Bestehen auf die Verhandlungen ein und ist eventuell geeignet, eine ernstliche Differenz zu verhüten.

5. Der Bundesrat stützte sich bei Aufstellung des vorliegenden provisorischen Generaltarifs nicht auf die Spezialvollmacht, die Sie ihm durch Bundesbeschluss vom 18. Februar 1921 erteilten, sondern auf Artikel 4, erster Absatz des Bundesgesetzes betreffend den schweizerischen Zolltarif vom 10. Oktober 1902. Danach ist der Bundesrat ermächtigt, für Waren aus solchen Staaten, welche schweizerische Waren mit besonders hohen Zöllen belegen oder sie ungünstiger behandeln als die Waren anderer Staaten, die Ansätze des Generaltarifs jederzeit nach seinem Ermessen zu erhöhen, oder, soweit das Gesetz Zollfreiheit bestimmt, Zölle aufzustellen.

Diese Voraussetzungen treffen unbedingt zu. Der erhöhte Tarif tritt nur in Kraft, wenn schweizerische Waren von einer Seite mit ausserordentlich hohen Zöllen belegt werden,
oder wenn die Schweiz nicht'mehr als meistbegünstigte'Nation behandelt wird. Der Tarif erhält also durch seine Annahme durch den Bundesrat noch keine Anwendung, er ist nur aufgestellt in vorsorglicher Bereitschaft für den Fall der Notwendigkeit.

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6. Die wichtigsten Grundsätze, die für die Festsetzung der Zölle massgebend sein mussten, sind folgende: a. Der Tarif ist in keiner Weise irgendwie gegen ein besonderes Land gerichtet. Die festgesetzten Tarifsätze wahren die Interessen der Schweiz nach allen Eichtungen hin ; sollte sich also die Notwendigkeit ergeben, den Tarif irgendeinem Staate gegenüber anzuwenden, so wird er seinen Zweck erfüllen.

b. Die Artikel, die für die in erster Linie in Betracht fallenden Länder von besonderer Wichtigkeit sind, wurden speziell eingehend geprüft und dementsprechend fixiert.

c. Die Zölle wurden im allgemeinen so festgesetzt, dass sie in ihrer Differenz gegenüber den Zöllen des Gebrauchstarif es wirken.

Es ist klar, dass bei Anwendung dieses höhern Tarifes die Einfuhr aus dem betreffenden Staat gehemmt werden soll; also muss der Zoll entsprechend höher sein als der Ansatz des Gebrauchstarifes. Das hat gelegentlich nicht unbeträchtliche Zölle zur Folge, weil dabei noch auf die Valutaverhältnisse der einzelnen Länder Eücksicht genommen werden musste.

d. Die Zölle für die notwendigen Lebensmittel, ferner die Rohund Hilfsstoffe sind im allgemeinen nicht oder nicht wesentlich erhöht worden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz aber konnte gemacht werden und musste unter Umständen aus handelspolitischen Gründen gemacht werden, wenn die betreffenden Artikel aus einer Eeihe von Ländern bezogen werden können, man also nicht auf ein bestimmtes Lieferungsgebiet angewiesen ist. So weisen z. B. unverändert die Ansätze des heutigen Gebrauchstarifes oder diejenigen des Generaltarifes von 1902 folgende Positionen auf: Weizen, Eoggen, Hafer, Gerste, Kartoffeln, Salz, Kakaoschalen, Milch, gewisse Düngstoffe, Baumwolle, Flachs, Leinen, Jute, Eohseide, Wolle, Eoheisen, Kupfer, Blei, Zink, Zinn, Nickel, chemische Rohstoffe, Petrol, Kohlen, etc.

Wir betonen nochmals, dass der vorliegende Tarif eine vorsorgliche Massnahme bedeutet, von der hoffentlich kein Gebrauch gemacht werden muss. Zollkonflikte sind immer für jede Volkswirtschaft von tief einschneidender Bedeutung, und es muss deshalb das Bestreben jeder Regierung sein, auf dem Wege der Verhandlungen eine Verständigung zu suchen.

Sollte aber einmal eine solche Verständigung mit einem dritten Staate nicht möglich sein, so brauchen wir ein Instrument, das eine Wirkung ausübt und geeignet ist, eine Abwehr zu bilden und den betreffenden Staat zu veranlassen, uns Konzessionen zu machen.

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beantragen Ihnen, Sie möchten von der getroffenen Massnahme in zustimmendem Sinne Kenntnis nehmen.

Bern, den 24. Februar 1922.

Im Namen des schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Dr. Haab.

Der Bundeskanzler: Steiger.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Erhöhung der Ansätze des schweizerischen Zolltarifs (Generaltarif) vom 10. Oktober 1902. (Vom 24. Februar 1922.)

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