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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung des tessinischen Verfassungsdekrets vom 20. Januar 1922.

(Vom

23. Mai 1922.)

Der Grosse Rat des Kantons Tessin beschloss am 20. Januar 1922 ein Dekret betreffend teilweise Abänderung der Kantonsverfassung, das in dar Volksabstimmung vom 5. März 1922 mit 3798 gegen 408 Stimmen angenommen wurde und für welches nunmehr die eidgenössische Gewährleistung nachgesucht wird.

Das Dekret enthält ausschliesslich eine teilweise Abänderung des Verfassungsdekrets vom 21. Januar 1910; Die beiden Texte lauten, soweit von der Abänderung betroffen, in Übersetzung wie folgt: Dekret vom 21. Januar 19110.

Dekret vom 20. Januar 1922.

Art. 1.

Art. l des Verfassungsdekrets vom 21. Januar 1910 wird durch folgende Bestimmung ersetzt : Art. 1. Die richterliche GeArt. 1. Die richterliche Gewalt wird von den Friedens- walt wird von den Friedensrichtern, den ,,pretori", vom richtern, den ,,pretori", dem Strafgerichte und von einem Appellationsgerichte, den ,, Assise Appellationsgerichte ausgeübt. criminali, den ,, Assise correzionali, den ,,Assise pretoriali und dem Rassations- und Revisionshofe in Strafsachen ausgeübt.

Deren Befugnisse bestimmt das Gesetz.

Vorbehalten bleiben die BeVorbehalten bleiben die gestimmungen über die Gewerbe- setzlichen Bestimmungen über die Gewerbegerichte und über gerichte.

allfällige Jugendgerichte.

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Art. 4. Das Strafgericht ist aus drei Mitgliedern zusammengesetzt. Es entscheidet über Vergehen, die die Zuständigkeit der ,,pretori" übersteigen.

Das Gesetz bestimmt den Sitz und die Obliegenheiten des Strafgerichts.

. Art. 5. Das Strafgericht und die ,,pretori" werden bei Beurteilung von Straffällen durch Geschworne unterstützt, sofern das Gesetz es nicht anders bestimmt.

Art. 7. Unter Vorbehalt der Bestimmungen über die Kassation in Strafsachen und über die Sekretäre der ,,pretori" werden alle Gerichtsbehörden vom Volke gewählt, und zwar : das Appellationsgericbt und das Strafgericht durch Verhältniswahl'in einem einzigen Wahlkreise ;

Art. 2.

Die Art. 4 und 5 des genannten Dekrets werden aufgehoben.

Art. 4 wird durch folgende Bestimmung ersetzt: Art. 4. Die ,,Corte delle assise criminali" ist aus der Kriminalkammer des Appellationsgerichts und Geschwornen zusammengesetzt. Die ,,Corte delle assise correzionali" ist aus einem Mitglied der Kriminalkammer und Geschwornen zusammengesetzt.

Die ,,Assise pretoriali" sind aus dem ,,pretore" und Geschwornen zusammengesetzt.

Das Gesetz bestimmt ihre Zuständigkeit und bezeichnet die Fälle, in welchen die Mitwirkung der Geschwornen wegfallen kann.

Art. 3.

In Art. 7 des genannten Dekrets werden die Worte ,,und das Strafgericht" gestrichen.

Die Schluss- und Übergangsbestimmungen des Dekrets vom 20. Januar 1922 bestimmen, dass letzteres mit seiner Gutheissung durch das Volk und der Annahme des Ausführungsgesetzes in Kraft trete und dass mit dem Inkrafttreten die Tätigkeit des Strafgerichts aufhöre.

Die Verfassungsänderung hat eine Reform der kantonalen Gerichtsorganisation hinsichtlich der Strafrechtspflege zum Gegen-

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stand. Das bisherige ,,Tribunale penale" wird ersetzt durch Assisengerichte in drei Abstufungen, je nachdem die Geschwornen (Assessorie giurati") zusammen mit der Kriminalkammer des Appellationsgerichts, einem Mitglied derselben oder d e m entspricht) urteilen. Die auf die erste Art gebildeten Schwurgerichte werden, entsprechend ihren durch das Gesetz zu bestimmenden Kompetenzen, als kriminelle, die der zweiten Art als korrektionelle Assisenhöfe bezeichnet. Schonbisherr wurde, nach Art. 5 des Dekrets vom 21. Januar 1910, die Strafrechtspflege in der Regel unter Beiziehung von Geschwornen ausgeübt; die Organisation der Strafgerichte ist aber geändert und erweitert worden. Der Kassations- und Revisionshof in Strafsachen (,,Corte di cassazione e revisionepenale"),, in Art. 6 des Dekrets von 1910 nur fakultativ als Abteilung des Appellationsgerichts vorgesehen, wird nun zur obligatorischen Instanz. Schliesslich behält das neue Dekret, nur in eventuellem Sinne, die Einführung von Jugendgerichten (,,Tribunali deiminorenni)) vor.

Die Verfassungsrevision bewegt sich ganz auf. dem den Kantonen überlassenen Gebiet der kantonalen Gerichtsorganisation und enthält nichts dem Bundesrecht Widersprechendes. Die Gewährleistung ist deshalb zu erteilen, was wir Ihnen durch Annahme des nachfolgenden Beschlussesentwurfs zu tun beantragen.

B e r n , den 23. Mai 1922.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident: Scheurer.

Der Bundeskanzler: Steiger.

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(Entwurf.)

ßimdesbeschluss betreuend

die Gewährleistung des tessinischen Verfassungsdekrets vom 20. Januar 1922.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 23. Mai 1922 betreffend die Crewährleistung des tessinischen Verfassungsdekrets vom 20. Januar 1922, in Erwägung, dass dieses Dekret nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthält, in Anwendung des Art. 6 der Bundesverfassung, beschliesst: 1. Dem tessinischen Verfassungsdekret vom 20. Januar 1922 wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung des tessinischen Verfassungsdekrets vom 20. Januar 1922. (Vom 23. Mai 1922.)

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