JE- 49

'"

Bundesblatt

74. Jahrgang.

Bern, den 6. Dezember 1922.

Band III.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, 10 franken im Halbjahr, anzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr"..

Einrückungsgebühr : 60 Rappen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an die Buchdruckerei Stämpfli * de. in Bern.

# S T #

1680

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die finanzielle Beteiligung der Schweiz an der Wiederaufrichtung Österreichs.

(Vom 1. Dezember 1922.)

I. Einleitung.

Von den Fragen, die seit Ende des Weltkrieges den europäischen Kontinent bewegen, ist das Problem der wirtschaftlichen und finanziellen Wiederaufrichtung Österreichs wohl eines der folgenschwersten. In seinen Rückwirkungen berührt es auch unser Land aufs tiefste. Es kann für die Schweiz nicht gleichgültig und nicht belanglos sein, welches Schicksal der von den Folgen des Krieges schwer heimgesuchte Nachbarstaat erleidet.

Die Bundesversammlung hat sich denn auch im Laufe der letzten Jahre bereits zu verschiedenen Malen mit Vorschlägen befasst, die eine Hilfeleistung für Österreich zum Ziele hatten. Am 27. September 1920 haben die eidgenössischen Räte den Bundesrat ermächtigt, sich an einer internationalen, unter Führung Englands und Amerikas organisierten Kredithilfe mit einer Summe von höchstens 25 Millionen Franken zu beteiligen. Der Beschluss der Bundesversammlung erfolgte unter dem Eindruck der furchtbaren Notlage, die im Gefolge des Krieges über Österreich hereingebrochen war und · eine planmässige Versorgung mit Lebensmitteln und industriellen Rohstoffen als ein wichtiges Gebot der Stunde erscheinen liess. Diese erste Aktion, die nur der dringendsten Not des Augenblicks zu steuern bezweckte, hat innert dieses Rahmens nicht unerheblichen Erfolg gehabt. Die ärgsten Gefahren waren zeitweilig abgewendet.

Bundesblatt, 74. Jahrg. Bd. III.

54

798

Es brach sich jedoch allmählich in den meisten Ländern Europas die Erkenntnis Bahn, dass mit vereinzelten Hilfsaktionen zugunsten der notleidenden Bevölkerung die erschütterte Wirtschaft des österreichischen Staates nicht wiederhergestellt werden könne. Zur Wiederaufrichtung des schwer geprüften Landes bedurfte es tiefgreifender Massnahmen im Innern und einer allgemeinen Mitwirkung der am Bestände Österreichs interessierten Regierungen.

Das Finanzkomitee des Völkerbundes, das im Monat März des Jahres 1921 eingeladen wurde, das Problem der Wiederaufrichtung Österreichs einer Prüfung zu unterziehen, gelangte zu dem Ergebnis, dass der österreichischen Staatswirtschaft nur dann wirksam geholfen werden könne, wenn die auf ihr lastenden Hypothekenrechte zeitweilig aufgehoben würden. Dies entsprach auch der Überzeugung der Regierungen Frankreichs, Grossbritanniens, Italiens und Japans, die ungefähr gleichzeitig den Beschluss fassten, grundsätzlich auf ihre Prioritätsrechte aus Forderungen zu verzichten, die ihnen auf Grund der ersten Kreditaktion sow/ie der Bestimmungen des Friedensvertrages von Saint-Germain betreffend die Reparationen zustanden. Gemäss den Empfehlungen der Finanzkommission wurden auch die Regierungen der dreizehn andern Staaten, die Forderungen gegenüber Österreich 5iesassen, ersucht, ihrerseits auf alle Prioritätsrechte zu verssichten, um das geplante Werk der Wiedcraufrichtung Österreichs zu fördern.

In seinem Bericht vom 3. Oktober 1921 hat der Bundesrat den eidgenössischen Räten die Antwort unterbreitet, die er namens der Eidgenossenschaft am 2. September des gleiches Jahres auf diesen Vorschlag erteilt hatte. Die schweizerische Regierung verpflichtete sich unter gewissen Voraussetzungen, gemäss dem an sie gerichteten Ansuchen, für eine Dauer von zwanzig Jahren in eine Stundung von Kapital und Zinsen der Forderung einzuwilligen, die sie gegenüber Österreich aus der Hilfsaktion des Jahres 1920 besass und des ferneren auf die Geltendmachung des ihr eingeräumten Pfandrechtes zu verzichten. Dieser Verzicht rechtfertigte sich angesichts der Notwendigkeit, nichts zu unterlassen, was eine Wiederaufrichtung unseres Nachbarlandes zu erleichtern geeignet schien. Der Bundesrat knüpfte jedoch seine zustimmende Erklärung an die Bedingung, dass ein gleicher Verzicht auch von allen andern aii
der Hilfsaktion beteiligten Regierungen ausgesprochen werde.

Diesem Vorgehen des Bundesrates hat die Bundesversammlung in ihrer Session vom Dezember 1921 ihre Genehmigung erteilt.

799

D.er Erfolg, der von der zeitweiligen Befreiung des österreichischen Staates von der Hypothekenlast erhofft wurde, ist indessen nicht eingetreten. Noch gegen Ende des vorigen Jahres schien eine Anwendung des Systems Ter Meulen (dessen Einzelheiten in dem erwähnten Bericht des Bundesrates vom 3. Oktober 1921 auseinandergesetzt sind) auf die österreichische Staatswirtschaft unter der Voraussetzung der Suspendierung aller früheren Pfandrechte Gewähr für eine beträchtliche Besserung der Finanz- und Wirtschaftslage Österreichs zu bieten. Der Kredit des Staates, der immerhin über bedeutende Einnahmequellen verfügt, war damals nicht durch Zweifel über die politische Zukunft des Landes erschüttert, und die Regierung fasste Massnahmen ins Auge, um das Budgetdefizit möglichst zu beschränken. Leider zogen sich jedoch die Verhandlungen, die eine allgemeine Zurückstellung der Generalpfandrechte der Gläubigerstaaten Österreichs während eines Zeitraumes von zwanzig Jahren bezweckten, ausserordentlich lange hinaus. Der Zustimmung seitens verschiedener Mächte, wie namentlich der Vereinigten Staaten, Rumäniens und Jugoslawiens, stellten sich Schwierigkeiten entgegen. Da anderseits jede Regierung ihre Einwilligung zur Suspendierung der Pfandrechte nur unter der Voraussetzung des Einverständnisses aller andern Gläubigerstaaten erteilte, konnte eine umfassende Kreditoperation zugunsten Österreichs erst von dem Zeitpunkte der letzten Verzichtserklärung an ins Auge gefasst werden. So kam es, dass erst im Monat Juli dieses Jahres die Vorbedingungen für eine finanzielle Sanierungsaktion mit ausländischer Kredithilfe geschaffen waren.

Inzwischen hatte sich jedoch die finanzielle Lage Österreichs in unheilvoller Weise verschlimmert. Der Kurssturz der österreichischen Währung nahm katastrophale Formen an. Ende Juli 1922 betrug der Kurswert der Krone ein Fünfzehntausendstel des Goldwertes. Ein vollständiger Zusammenbruch stand zu befürchten. Die Situation konnte auch durch Vorschüsse, die von einzelnen Mächten geleistet wurden -- Grossbritannien streckte aus Staatsgeldern weitere 2 Millionen Pfund vor, Frankreich 55 Millionen Franken, die Tschechoslowakei 500 Millionen Kronen ihrer Währung, während Italien sich zu einer ratenweisen Zahlung von 70 Millionen Lire verpflichtete -- nur unwesentlich und ganz vorübergehend gebessert
werden. Die so erhaltenen Gelder konnten jedoch nicht zur Durchführung der als dringend notwendig erkannten Reformen verwendet werden; sie reichten kaum zur Deckung der stets anwachsenden laufenden Ausgaben des Staates, während anderseits die Schuldenlast Österreichs infolge dieser Vor-

800

sehüsse noch weiter anschwoll. Die Garantie der österreichischen Regierung, die noch ein Jahr zuvor fremde Finanzgruppen zu weitgehenden Anleihen veranlasst hätte, sofern das Land von der schwebenden Hypothekenlast befreit worden wäre, wurde nunmehr als unzureichend angesehen, da auch die politische Existenz des Staates als unsicher galt.

Angesichts dieser Sachlage richtete die österreichische Regierung am 7. August 1922 einen Appell an die zu einer Konferenz in London versammelten alliierten Mächte. Unter Hinweis auf die Tatsache, dass ein weiterer Bestand des österreichischen Staates einzig unter der Voraussetzung der sofortigen Gewährung auswärtiger Kredite möglich sei, wurde an die Mächte das Ansuchen gerichtet, die Garantie eines Anleihens im Betrage von 15 Millionen Pfund zu übernehmen. Der Appell schloss mit der Erklärung, dass, falls jede fremde Hilfe ausbleibe, das österreichische Parlament zur Feststellung gezwungen würde, dass keine Regierung die Leitung des Staates weiterhin zu übernehmen in der Lage sei.

Die Antwort des Obersten Rates der Alliierten wurde der österreichischen Regierung am 15. August durch Vermittlung des englischen Premierministers, Herrn Lloyd George, zuteil. Die Vertreter der alliierten Mächte erklärten in unzweideutiger Weise, dass es ihnen unmöglich sei, Hoffnungen auf unmittelbare weitere Geldleistungeu seitens ihrer Regierungen zu erwecken. Das österreichische Problem wurde in seiner Gesamtheit vom Obersten Rat dem Völkerbund zur Prüfung überwiesen. Gleichzeitig beschlossen jedoch die Alliierten, bekanntzugeben, dass sie weitere finanzielle Opfer nur für den Fall ins Auge fassen könnten, dass der Völkerbund einen vollständigen Plan der Wiederaufrichtung Österreichs ausarbeite, der hinreichende Gewähr für eine Sanierung der Staatswirtschaft biete.

So lagen die Dinge am Vorabend der Eröffnung der dritten Session der V ö l k e r b u n d s v e r s a m m l u n g . Durch die Antwort der Alliierten auf den letzten Appell der österreichischen Regierung waren die Besorgnisse hinsichtlich der unmittelbaren Zukunft Österreichs keineswegs zerstreut worden. Es wurden Zweifel laut, ob der Völkerbund die ihm in elfter Stunde übertragene Aufgabe, deren Schwierigkeiten klar zutage traten, zu übernehmen geneigt und durchzuführen imstande sei.

Der Bundesrat, der am 1. September die Instruktionen der schweizerischen Delegation zur Dritten Völkerbundsversammlung festsetzte} war der Überzeugung, dass eine schleunige und gründ-

8Ü1

liehe Erörterung des österreichischen Problems, dessen eminente Wichtigkeit auch für die Schweiz offensichtlich ist, vor dem Forum des Völkerbundes anzustreben sei. Er gab den Delegierten den Auftrag, sich dafür einzusetzen, dass der Fragenkomplex der Wiederaufrichtung Österreichs im Verlaufe der Tagung vom September 1922 behandelt werde.

Zunächst und in erster Linie war jedoch der Rat des Völkerbundes berufen, sich mit dem Gesuch der Londoner Konferenz zu befassen. Am 31. August, wenige Tage vor Beginn der Session der Versammlung, trat er in Genf zusammen. Nach kurzer Besprechung der Lage beauftragte er das F i n a n z k o m i t e e des Völkerbundes, das als ständige beratende Instanz der politischen Organe des Bundes amtet, mit der Ausarbeitung eines Berichtes über die finanzielle Seite des österreichischen Problems.

Dieses ursprünglich sechsgliedrige Komitee ergänzte sich in der Folge zum Studium der österreichischen Frage durch zwei weitere Mitglieder aus Angehörigen der an der Zukunft Österreichs besonders interessierten Nachbarstaaten. Als schweizerisches Mitglied wurde, auf Vorschlag des Bundesrates, Herr Alfred S a r a s i n, Präsident der schweizerischen Bankiervereinigung in Basel, bezeichnet. Auf die sehr eingehenden Arbeiten des Komitees, das im Laufe seiner mehrwöchentlichen Beratungen ein vollständiges Programm der Sanierung der Staatsfinanzen Österreichs sowie der notwendigen inneren Reformen entwarf, wird im folgenden näher einzugehen sein.

Am 6. September hielt der Völkerbundsrat eine neue Sitzung zur Prüfung der österreichischen Frage ab. An dieser Sitzung nahm der Bundeskanzler der österreichischen Republik, Monsignor Seipel, der sich kurz zuvor nach Prag, Berlin und Verona begeben hatte, um mit den Regierungen der Tschechoslowakei, Deutschlands und Italiens über die Möglichkeit einer Rettung seiner Heimat zu unterhandeln, persönlich teil. In seinen Erklärungen, die einen tiefen Eindruck hinterliessen, begründete er die Notwendigkeit einer Hilfsaktion des Völkerbundes auch mit der politischen Gefahr, die aus einem Zusammenbruch Österreichs für den Frieden entstehen könne. Der österreichische Bundeskanzler gab ferner bekannt, dass seine Regierung unter der Voraussetzung wirksamer Hilfe einem System der Kontrolle, das mit der Souveränität seines Landes nicht unvereinbar wäre, zuzustimmen gewillt sei.

In der Folge setzte der Rat das Verfahren für die Vorbereitung eines Projektes der Wiederaufrichtung Österreichs fest.

802

Es wurde ein Fünferkomitee bestellt, in dem die drei europäischen Grossmächte des Völkerbundsrates, Grossbritannien, Frankreich und Italien sowie die Tschechoslowakei vertreten waren. Österreich nahm an den Verhandlungen des Völkerbundsrates im Plenum und im Ausschusse von Rechts wegen als gleichberechtigtes Mitglied teil, gemass dem Wortlaut des Artikels 4 des Völkerbunds Vertrages, der den nicht im Rate vertretenen Mitgliedern des Völkerbundes ausdrücklich das Recht zubilligt, Vertreter zur Beratung der sie besonders interessierenden Angelegenheiten zu entsenden. Der so gebildete Fünferausschuss führte in Verbindung mit dem bereits erwähnten Finanzkomitee und unter gelegentlicher Zurateziehung eines juristischen Komitees innerhalb eines Zeitraumes von kaum vier Wochen die weitläufigen Verhandlungen durch, deren Ergebnis in den Genfer Protokollen betreffend die Wiederaufrichtung Österreichs niedergelegt werden sollte.

Inzwischen befasste sich auch das Plenum der V e r s a m m l u n g des Völkerbundes mit der Hilfeleistung für Österreich.

Zwar verzichtete die allgemeine Versammlung aller Mitgliedstaaten darauf, einen unmittelbaren Anteil an der Ausarbeitung der Einzelheiten des Wiederaufrichtungsplanes zu nehmen. Diese Aufgabe wurde, wie bereits erwähnt, dem Völkerbundsrat überlassen, der als geeignetere Instanz zur raschen Durchführung von politischen Verhandlungen erschien. Immerhin wurde in den Beratungen fortlaufend der Kontakt mit den Vertretern der an der Entwicklung der österreichischen Frage interessierten Regierungen, die der Session der Versammlung beiwohnten, gewahrt. Die Tatsache, dass die Völkerbundsversammlung gleichzeitig tagte, war von ausserordcntlicher Bedeutung. Einerseits war dadurch die allgemeine Aufmerksamkeit der Völkerbundsmitglieder auf das geplante Hilfswerk gelenkt und eine günstige Gelegenheit zu direkten Verhandlungen mit den Staaten geboten, deren finanzielle Beteiligung erwartet werden konnte. Anderseits gingen vom Plenum der Versammlung mehrfach Impulse aus, die auf die Behandlung des zur Erörterung stehenden Problems in fruchtbarer Weise zurückwirkten.

In der Sitzung der Versammlung vom 7. September wies bei Beratung des Geschäftsberichtes des Rates der Chef der schweizerischen Delegation gemass den erhaltenen Instruktionen auf die Dringlichkeit allseitiger Prüfung der österreichischen Frage durch den Völkerbund hin. Er betonte namentlich, dass eine erste Grundbedingung für jeden Versuch der Wieder-

aufrichtung Österreichs eine Stärkung des inneren Vertrauens und des Lebenswillens der Bevölkerung sein müsse. Diese Erklärungen veranlassten in der Folge ähnliche Äusserungen anderer Delegationen. Der Völkerbundsrat hatte ursprünglich die Hoffnung, nach Beendigung der Arbeiten des Fünferaussehusses und des Finanzkomitees noch vor Ende der Session der Versammlung den Abschluss der grundlegenden Abmachungen über die Wiederaufrichtung Österreichs notifizieren zu können. Diese Erwartung ging nicht in Erfüllung, da unter den Mächten des Rates selbst eine vollständige Einigung über die Einzelheiten ihrer Beteiligung innert dieser Frist nicht erzielt werden konnte. Da anderseits die Versammlung noch vor ihrer Vertagung über den Stand der geleisteten Arbeit aufgeklärt zu werden wünschte, nahm sie in ihrer Schlusssitzung vom Nachmittag des 30. Septembers eingehende mündliche Mitteilungen des englischen Vertreters im Rate und Präsidenten des Fünferausschusses für die österreichische Frage, Lord ßalfour, entgegen.

Am 4. Oktober konnten sodann in öffentlicher Sitzung des Rates die Protokolle, die aus den Beratungen des Fünferausschusses und des Finanzkomitees hervorgegangen waren, Ton den an der Hilfsaktion in erster Linie beteiligten Mächten unterzeichnet werden. Zusammen mit ihren Beilagen und Zusatzbestimmungen enthalten diese Protokolle die Umrisse eines Planes der finanziellen und wirtschaftlichen Wiederaufrichtung Österreichs.

II. Die Grnudzüge der Genfer Abmachungen zur Wiederaufrichtung Österreichs.

Der Kern des Wiederaufrichtungsprojektes liegt in den drei Protokollen vom 4. Oktober 1922, in denen die politischen, finanziellen und administrativen Garantien der Reform-- und Hilfsaktion festgelegt sind. Das in diesen Protokollen entwickelte System stützt sich jedoch in namhaftem Umfange auf den Bericht des Finanzkomitees des Völkerbundes über die österreichische Frage, dessen Wortlaut übrigens in der Beilage I wiedergegeben ist. Es erscheint daher als gegeben, zunächst einen Blick auf die Hauptpunkte dieses Berichtes zu werfen.

Das Komitee ging davon aus, dass es bei gutem Willen und unter der Voraussetzung einschneidender Reformmassnahmen möglich sein müsste, bereits in zwei Jahren das Budgetgleicli-

804

gewicht im Staatshaushalte wiederherzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste zunächst eine Reorganisation der Staatsbetriebe nach kaufmännischen' Gesichtspunkten sowie eine bedeutende Verminderung der Zahl der Staatsbeamten erfolgen. Es wurde berechnet, dass diese Massnahmen zusammen eine Verminderung des jährlichen Defizits um 300 Millionen Goldkronen bewirken könnten.

Das Normalbudget des österreichischen Staates nach Durch führung der Reformen wurde auf 237 Millionen Goldkronen veranschlagt. Das Totaldefizit während der zweijährigen Übergangszeit, das durch auswärtige Kredite zu decken wäre, schätzte das Komitee auf 520 Millionen oder -- einschliesslich des Betrages von 130 Millionen, der zur Rückzahlung der im Jahre 1922 erhaltenen Vorschüsse erforderlich wäre -- auf 650 Millionen Goldkronen. Als Pfänder, die als Unterlage für fremde Kredite seitens des österreichischen Staates gewährt werden könnten, kämen nach Auffassung des Finanzkomitees die Einnahmen aus Wäldern und Domänen, dem Salzmonopol, den Zöllen sowie aus dem Tabakmonopol und, gegebenenfalls, aus der Grundsteuer in Betracht. Die Einkünfte aus den Zöllen und dem Tabakmonopol allein wurden auf 80 Millionen Goldkronen veranschlagt, während anderseits das Finanzkomitee die jährliche Aussetzung einer Summe von 70 Millionen für Verzinsung und Amortisation des neuen Anleihens im Höchstbetrage von 650 Millionen Goldkronen für hinreichend erachtet. Nach Auffassung des Finanzkomitees wären somit die für die Übergangszeit erforderlichen Kredits durch die zur Verfügung stehenden Pfänder reichlich gedeckt.

Unter der Voraussetzung, dass energische Massnahmen zur Wiederherstellung des Budgetgleichgewichtes ergriffen würden und dass auch die Wirtschaftslage des Landes eine Besserung erfahre, erachtete das Finanzkomitee die Schaffung einer österreichischen Zentralnotenbank für einen wichtigen Teil des Wiederaufrichtungsprogramms. Das Komitee äusserte die Ansicht, dass ein Grundkapital von 30 Millionen Goldfranken (an Stelle der von österreichischer Seite in Aussicht genommenen 100 Millionen) für diese Bank genügen würde.

Besondere Aufmerksamkeit wandte das Finanzkomitee der Prüfung der Frage zu, unter welchen Bedingungen während der zweijährigen Übergangsperiode das Defizit von 520, bzw. 650 Millionen Goldkronen durch fremde Anleihen gedeckt werden könnte. Bei Untersuchung der Mittel und Wege, um den gänzlich erschütterten Kredit des österreichischen Staates wieder zu

805 heben, betrat das Finanzkomitee den Boden der politischen und administrativen Garantien, die in den drei Genfer Protokollen zu einem System ausgebaut sind. Auf die Einzelheiten dieses Kontroll- und Garantiesystems wird daher bei Erörterung des Inhalts dieser Protokolle näher einzugehen sein.

In seinem Bericht beschränkte sich das Komitee, wie es selbst hervorhebt, auf Erwägungen rein finanziellen Charakters.

Es wies jedoch darauf hin, dass auch das Grundproblem der w i r t s c h a f t l i c h e n Lage Österreichs volle Aufmerksamkeiverdiene und dass darnach getrachtet werden müsse, die Handelst bilahz des schwergeprüften Landes ins Gleichgewicht zu bringen.

Das Finanz-Komitee verhehlte nicht seine Überzeugung, dass die Periode des Übergangs und der Reformen notwendigerweise Härten mit sich bringen werde. Es betonte, dass man eben wählen müsse zwischen einer Periode des Wiederaufbaues, in der es allerdings gelte, sehr- zahlreiche neue Schwierigkeiten zu überwinden, und einem Zusammenbruch, der zu chaotischen Zuständen führen könne. Der Bericht der Finanzexperten schloss mit der Erklärung, dass heute die einzige Hoffbung auf die Rettung Österreichs darin liege, dass eine Autorität anerkannt und unterstützt werde, die selbst einschneidende Reformmassnahmen durchzuführen entschlossen sei.

Wie bereits erwähnt, bildeten die Schlussfolgerungen des Finanzkomitees eine wesentliche Unterlage der drei Protokolle, welche die Basis des Wiederaufrichtungs-Werkes darstellen. Das Finanzkomitee hatte u. a. der Auflassung Ausdruck gegeben,' dass ein wesentliches Element für die Stabilisierung des erschütterten Staatskredites die Wiederherstellung des Vertrauens in die politische Zukunft des österreichischen Staates sei. Diese Äusserung entsprach der allgemeinen Überzeugung der Völkerbundsmitglieder, dass es in erster Linie gelte, die souveräne Existenz Österreichs sicherzustellen. Das P r o t o k o l l Nr. l*) über die Wiederaufrichtung Österreichs, das am 4. Oktober von den Vertretern Österreichs einerseits, Grossbritanniens, Frankreichs, Italiens und der Tschechoslowakei anderseits unterzeichnet wurde, sucht dieses Ziel zu erreichen. Durch dieses Protokoll verpflichten sich die an der Hilfsaktion hauptsächlich beteiligten Mächte feierlich, die politische Unabhängigkeit, territoriale Unversehrtheit und
Souveränität Österreichs zu achten und keine Sondervorteile wirtschaftlicher oder finanzieller Art zu erstreben, die mittelbar oder unmittelbar dieser Unabhängigkeit Abbruch tun könnten. Sie er*) Beilage II.

806

klären ferner, sich gegebenenfalls an den Völkerbund wenden zu wollen, um die allgemeine Beobachtung dieser Grundsatz« durchzusetzen. Anderseits übernimmt die österreichische Bundesrepublik die Verpflichtung, ihre Unabhängigkeit nicht von sich aus zu veräussern. Es wird liier ausdrücklich an den Wortlaut des Artikels 88 des Friedensvertrages von Saint-Germain angeknüpft, demzufolge Österreich seine Unabhängigkeit nur mit Zustimmung des Völkerbundsrates aufgeben kann. Auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit des österreichischen Staates soll, nach dem Genfer Protokoll, gewahrt bleiben.

Dieses erste Protokoll steht allen Staaten, nicht bloss den an der Hilfsaktion beteiligten und dem Völkerbund angehörenden Mächten, zur Unterschrift ofi'en.

Das Protokoll Nr. II, das von den gleichen Regierungen unterzeichnet wurde wie das erste, regelt einerseits die Modalitüten der Hilfe fremder Staaten bei Beschaffung der für die Wiederaufrichtung Österreichs notwendigen Anleihen und stellt sodann die Grundzjige eines Systems der Kontrolle auf. Die an der Hilfsaktion teilnehmenden Staaten brauchen nicht direkt bestimmte Anleihensbeträge der österreichischen Regierung zur Verfügung zu stellen ; es ist vielmehr entprechend den Plänen des Finanzkomitees vorgesehen, dass jeder interessierte Staat nur eine subsidiäre G a r a n t i e für einen bestimmten Teil des Anleihens übernimmt, das die österreichische Regierung von privatem Kapital aufnehmen kann. Die fremden Regierungen brauchen nicht direkt krediterteilend, sondern bloss kreditstützend aufzutreten. Auf Grund der Garantie aller an der Aktion beteiligten Staaten kann die österreichische Regierung Titel irn Werte von 050 Millionen Goldkronen ausgeben. Dieser Betrag wurde gemäss den oben erwähnten Berechnungen des Finanzkomitees festgesetzt, indem zu den 520 Millionen, welche das Budget-Defizit des österreichischen Staates in den nächsten zwei Jahren decken sollen, die 130 Millionen hinzugezählt wurden, die Österreich aus speziellen Anleihensabkommen mit Grossbritannien, Frankreich, der Tschechoslowakei und Italien erhält und in kurzer Frist zurückzahlen muss. Jede der vier in erster Linie beteiligten Regierungen übernimmt eine Garantie von 20 % der für die Wiederaufrichtung Österreichs als notwendig angesehenen 520 Millionen Goldkronen. Insgesamt erstreckt sich
somit die Garantie dieser vier Regierungen allein auf 80 °/0 des erforderlichen Betrages*). Die Garantie der übrigen *) Bezogen auf den Gesamtbetrag von 650 Millionen deckt die Garantie der vier Regierungen 84%, da durch eine dem Protokoll Nr. 2 angefügte Spezialabmachuug diese Regierungen allein die Garantie für den Restbetrag Ton 130 Millionen übernehmen.

807

20 °/o *) soll von den andern Staaten übernommen werden, die sich zur Teilnahme an der Hilfsaktion entschliessen.

Zur Wahrung der Interessen der an der Aktion mitwirkenden Staaten soll ein K o n t r o l l - K o m i t e e eingesetzt werden, in dem die einzelnen Regierungen durch je ein Mitglied vertreten sein sollen. Jeder Vertreter besitzt soviel Stimmen als seine Regierung Prozente der Garantie übernommen hat. Mit Resolution vom 4. Oktober 1922 hat der Völkerbundsrat den Beschluss gefasst, dass der Vorsitz dieses Komitees von dem italienischen Vertreter bekleidet werden solle.**) Das Kontrollkomitee soll periodisch und' zwar, in der Regel, am Sitze des Völkerbundes in Genf zusammentreten. Es hat die Aufgabe eine allgemeine Überwachung über die vorzunehmenden Anleihensoperationen sowie über durchgeführte Reformmassnahmen auszuüben und ist berechtigt, alle wünschbare Aufklärung über die Einzelheiten des fortschreitenden Wiederaufrichtungswerkes zu verlangen.

Im Gegensatz zu den beiden ersten Protokollen stellt das P r o t o k o l l Nr. III nicht einen zweiseitigen Vertrag, sondern eine einseitige Erklärung der österreichischen Regierung dar. Es trägt daher die alleinige Unterschrift des österreichischen Bundeskanzlers. Dieses Dokument bringt die Verpflichtungen administrativer und innerpolitischer Natur zum Ausdruck, welche die österreichische Regierung im Intefesse der Sanierung des Staatshaushaltes auf sich nehmen rnuss. Es stellt zunächst fest, dass innert kürzester Frist in Verbindung mit Vertretern des Völkerbundes ein umfassendes und eingehendes Programm der Reformen ausgearbeitet werden soll, das dem Parlament zur Genehmigung vorzulegen ist. Die österreichische Regierung soll ferner dem Parlament beantragen, ihr während der zweijährigen Übergangsperiode weitgehende Vollmachten zur Ergreifung aller Massnahmen zu erteilen, die zur Wiederherstellung des Budget-Gleichgewichts führen können.

Die Durchführung dieser Reformmassnahmen soll in Verbindung und unter Aufsicht eines G e n e r a l k o m m i s s ä r s erfolgen, der vom Völkerbundsrate ernannt wird und demselben gegenüber auch verantwortlich sein soll. Der Generalkommissär, der in Wien residieren soll, hat monatlich dem Rate über den Fortgang der Sanierungsaktion zu berichten. Er vermittelt im übrigen auch den Verkehr mit dem Kontrollkomitee, dessen Sitzungen *) Auf die Gesamtsumme bezogen, 16 °/o.

*) Beilage V.

808 er in der Regel beizuwohnen hat. Die Funktionen des Generalkommissärs sollen solange dauern, bis der Völkerbundsrat die Wiederkehr normaler Verhältnisse in Österreich feststellen kann.

Das dritte Protokoll von Genf enthält ferner eine Bezeichung der Pfänder, die als Unterlagen für die zu gewährenden Kredite dienen sollen. Entsprechend den Vorschlägen des Finanzkomitees sind dies die Einkünfte aus den Zöllen und dem Tabakmonopol, an die sich gegebenenfalls weitere Sicherheiten anreihen.

Gemäss den von ihr eingegangenen Verpflichtungen hat die österreichische Regierung dem Parlamente bereits innert der vorgesehenen Frist einen ausführlichen Entwurf eines Wiederaufbaugesetzes zugehen lassen, dessen Einzelheiten in Fühlungnahme mit einer Delegation des Völkerbundsrates festgestellt wurden.

Die Massnahmen, die das Werk der Wiederaufrichtung einleiten sollen, sind somit zur Stunde bereits im Gange.

III.

Die Teilnahme der Schweiz am Werke der WiederaufrichtuBg.

Wir haben bisher die geschichtliche Entwicklung und die allgemeinen Grundlagen der Kreditaktion für Österreich auseinandergesetzt. Es handelt sich nun darum, zu untersuchen, ob die Schweiz daran teilnehmen soll und, falls dies der Fall ist, in welcher Form und mit welchen Mitteln.

Der Bundesrat, der die Frage von ihrem Anfangsstadium am mit der grössten Aufmerksamkeit verfolgt hat, steht nicht an, der Bundesversammlung die Teilnahme an der Lösung zu empfehlen.

Wir werden weiter unten die Einwände zu prüfen haben, die gegen eine Teilnahme unseres Landes an der Hilfsaktion für Österreich erhoben werden könnten. Zunächst möchten wir indessen mit einigen Worten die Überlegungen und 'die Grundsätze auseinandersetzen, von denen wir uns in unserer Stellungnahme haben leiten lassen. Für jeden Klarsehenden ist die Tatsache unbestreitbar, dass Österreich ohne von aussen kommende Hilfeleistung nicht in der Lage ist, sich wieder zu erheben. Zweifelhaft bleibt jedoch, wie wir weiter unten sehen werden, ob selbst eine solche Hilfe, die gewissermassen in e x t r e m i s gewährt wird, diesen Zweck wird erreichen können. Aber eine Tatsache ist sicher und offensichtlich: o h n e H i l f e von a u s s e n ist es Ö s t e r r e i c h u n m ö g l i c h , der K a t a s t r o p h e zu entgehen .

809

Die Katastrophe würde für Österreich die Auflösung, Unordnung, Hungersnot, den Bruch aller politischen und sozialen Bande, «lit einem Wort, die Anarchie bedeuten. In einem Europa, das heute und noch auf lange Jahre hinaus an den Folgen des grossen Krieges mit seinen entsetzlichen Verwüstungen und tiefen Erschütterungen zu tragen hat, bildet die Anarchie, wenn sie in einem Staate ausgebrochen ist, eine Gefährdung für alle übrigen, ganz besonders aber für seine Nachbarstaaten.

Um der Ausbreitung der Anarchie über die Grenzen hinaus vorzubeugen, wären die Nachbarstaaten Österreichs genötigt, Sehutzund Vorsichtsmassregeln zu treffen. Von diesen Massregeln bis zur Besetzung der Aufruhrherdes ist nur ein kurzer Weg, der unter Umständen schnell zurückgelegt ist. Es braucht nicht hervorgehoben zu werden, dass unser Land sich zu einem Eingreifen nur in dem äussersten Falle entschliessen könnte, wo eine Handlung dieser Art das einzige Mittel zum Schütze und zur Behauptung seiner territorialen Unversehrtheit bilden würde. Die Annahme ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass andere Nachbarstaaten Österreichs sich veranlasst sehen könnten, in dieser Hinsicht nicht dieselbe Zurückhaltung zu üben. Wenn auch nicht mit Bestimmtheit behauptet werden kann, dass die Besetzung Österreichs zur Aufteilung und demzufolge zu dessen endgültigem Verschwinden von der europäischen Karte führen würde, so wäre es doch unvorsichtig, diese Annahme nicht als eine mögliche oder gar wahrscheinliche Folge ins Auge zu fassen.

Das Verschwinden Österreichs würde aber für ein Land wie das unsrige ein sehr fühlbarer Nachteil sein. Vor dem Kriege war die Schweiz von vier grossen Staaten umgeben, die sich das Gleichgewicht hielten. Der Krieg hat diese Lage umgestaltet.

Das Gleichgewicht ist gestört. Wir brauchen hierauf nicht näher einzugehen. Es genügt, darauf hinzuweisen, dass das Verschwinden Österreichs infolge von dessen gänzlicher oder teilweiser Einverleibung in einen andern Staat nicht nur die Lage unserer Landesverteidigung, sondern auch unsere wirtschaftlichen Verhältnisse schwer beeinträchtigen würde. Die gesamte internationale Eisenbahnpolitik würde zu unsern Ungunsten von Grund auf verändert werden; Das alles sind Wahrheiten, die keiner nähern Begründung bedürfen. Daher glauben wir, der Notwendigkeit enthoben zu sein,
sie eingehender zu entwickeln. Es handelt sich um heikle Angelegenheiten, die es gilt, behutsam zu behandeln. Unser Volk bat übrigens bereits instinktiv gefühlt, dass die österreichische Frage die Schweiz in hervorragendem Masse angeht. Wenn dem

810 so ist, so müssen wir anerkennen, dass die vom Völkerbund ia die Wege geleitete Wiederaufrichtung Österreichs den höchsten Interessen schweizerischer Politik entspricht. Unsere Politik bewegt sich auf der gleichen Ebene und verfolgt die gleichen Zwecke.

Es darf keine Anstrengung unterbleiben, damit Österreich in den.

Stand gesetzt werde, am Leben zu bleiben und als souveräner,, unabhängiger Staat fortzubestehen.

Diese Feststellung genügt indessen nicht. Wenn das vom; Völkerbund unternommene Hilfswerk gut und y.weckmässig ist, so müssen wir es nach Massgabe unserer Kräfte und unserer Mittel unterstützen. Wir dürfen die Wahrnehmung von Interessen, die auch die unsrigen sind, nicht ausschliesslich Dritten überlassen.

Man hält uns in erster Linie entgegen, unsere Beteiligung sei unnötig, weil das Hilfswerk bereits gesichert sei, selbst für den Fall, dass wir nicht daran teilnehmen. Ferner wird eingewendet, die Ergebnisse der Hilfsaktion seien zweifelhaft, weil Osterreich ein anormales Staatswesen sei, dem alle Voraussetzungen für ein gedeihliches Leben abgehen. Endlich wird darauf hingewiesen, die Schweiz als neutraler Staat, dem für die Folgen des Krieges keinerlei Verantwortlichkeit zukomme, habe sich heute von jeder Massnahme fernzuhalten, die darauf hinauslaufe, den Sieg der Einen und die Niederlage der Andern zu sanktionieren. Man betont, die Schweiz dürfe trotz ihren gegenteiligen Interessen sich nicht an einer Politik beteiligen, die in letzter Linie im Widerspruch mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker ·AH stehen scheine; auch macht man die Schwierigkeiten unserer eigenen finanziellen Lage geltend, die zur Vorsicht mahne. Gleichzeitig wird hervorgehoben, dass die Schweiz durch ihre frühere Hilfeleistung bereits ihren Teil an Opfern auf sich genommen habe. Aus all dem -- so schliesst man -- ergebe sich, dass disStellungnahme, die sich am ehesten empfehle und mit den Überlieferungen unseres Landes am meisten im Einklang stehe, diejenige einer mehr oder weniger wohlwollenden Enthaltung sei.

Alle diese Einwände halten einer ernstlichen Prüfung nicht stand. Auch wenn zuzugeben ist, dass die Hilfsaktion zustande kommt, selbst für den Fall, dass die Schweiz sich fernhält, so besteht doch die Tatsache, dass die Schweiz dadurch in nicht wieder gut zu machender Weise darauf verzichtet hätte,
irgend ein Interesse geltend zu machen für den vielleicht in weiter Ferne liegenden Augenblick, wo die Hilfsaktion sich leider als unwirksam erwiesen hätte und das Schicksal Österreichs aufs neue zurErörterung stände. Es ist immer gefährlich, seine Interessen be-

811

droht zu sehen, ohne für deren Verteidigung irgend einen positiven Rechtstitel geltend machen zu können.

Der endgültigen Wiederherstellung Österreichs stellen sich freilich ungeheure Schwierigkeiten in den Weg. Die drei Hauptübel, an denen Österreich leidet, sind das unverhältnismässig grosse Beamtenheer, die Vernichtung seiner Währung und das Fehlen jeglichen Gleichgewichts in den Ausgaben und Einnahmen des Budgets. Das österreichische Volk ist von seinem Unglücke zermürbt; es leidet auch darunter, dass Wien, ehemals die ruhmreiche Hauptstadt eines grossen Reiches, eine Bevölkerung aufweist, deren Zahl in keinem Verhältnis steht zum Reste der österreichischen Bevölkerung. Österreich kann nur gerettet werden, wenn das österreichische Volk und seine Regierung die Rettung ernstlich wollen und alle ihre Kräfte mit einer unermüdlichen, von Patriotismus und Freiheitswillen genährten Energie in den Dienst dieses Werkes stellen. Aus diesem Grunde legen wir den Massnahmen, die die österreichische Regierung für die Rettung ihres Staates ergreifen wird, ebensoviel, wenn nicht mehr Bedeutung bei, als der Hilfe und dem Gelde aus dem Auslande.

Allein diese Hilfe und dieses Geld sind zurzeit unentbehrlich. Sie bilden eine Vorbedingung für alles übrige. Andere Staaten haben das grosse Unternehmen der österreichischen Wiederherstellung auf sich genommen. Sie haben sich dazu verpflichtet, obwohl sie nicht alle so direkte Interessen daran haben wie wir. Sie Hessen sich leiten vom Vertrauen auf zuständige Sachkenner und auf das Gutachten des Finanzkomitees des Völkerbundes, nachdem die Frage in gründlichem Studium abgeklärt worden war. Es wäre etwas übertrieben, wenn man den Andern gegenüber einen Pessimismus an den Tag legte, der.

selbst wenn er berechtigt wäre, nur die Wirkung haben könnte, den guten Willen zur Erreichung dieses Zieles zu lahmen. Die Ungewissheit über den Ausgang ist kein zureichender Grund, um ein grosses Werk aufzugeben, wenn von seinem Zustande-, kommen das Schicksal eines ganzen Volkes abhängt.

Auch wenn die Hilfsaktion nicht alle auf sie gesetzten Hoffnungen verwirklichen sollte, so würde doch die Tatsache, dass Zeit gewonnen und dio mit der Lösung der österreichischen Frage verknüpften Schwierigkeiten auf einen spätem, im ganzen ruhigem Zeitraum verschoben werden konnten, für sich allein
schon die Teilnahme unseres Landes an den Versuchen zur Wiederaufrichtung Österreichs rechtfertigen.

Es würde müssig sein, die Ursachen der vorliegenden Verhältnisse und die Verantwortlichkeiten zu erörtern. Eine solche

812 Erörterung wäre heikel und unfruchtbar. Tatsachen sind Tatsachen, und es ist eine schlechte Politik, sich vor ihnen verschliessen zu wollen. Die Schweiz hat den Vertrag von SaintGermain nicht unterzeichnet, aber deswegen zeitigt dieser Vertrag nicht weniger seine Wirkungen. Indem die Schweiz an der Kreditaktion für Österreich teilnimmt, sanktioniert sie keineswegs die Ergebnisse des Krieges. Vielmehr sucht sie nach Massgabe ihrer Kräfte gewisse ihr drohende Gefahren zu beschwören.

Wir unserseits denken nicht daran, uns an einer politischen Angelegenheit zu beteiligen, um ein Volk an der Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes zu verhindern. Wenn aber ein Volk -- wie dies für Österreich zutrifft -- erklärt, dass es nicht auf seine Freiheit verzichten, dass es souverän und frei bleiben, dass es keinen Teil seines Hoheitsgebietes an andere abtreten werde, so wird uns nichts daran hindern, festzustellen, dass diese Politik mit der unsrigen übereinstimmt und dass wir sie als eine weitsichtige Politik begrüssen, der wir gerne unsere Unterstützung leihen.

Diese Unterstützung könnte schon damit begründet und erklärt werden, dass Österreich mit uns dem Völkerbund angehört und dass das fragliche Hilfswerk im Zeichen und unter der hohen Oberaufsicht des Völkerbundes vorgenommen werden soll.

Wir lassen absichtlich dieses an und für sich sehr starke Argument beiseite. Andere Regierungen werden es ihren Parlamenten gegenüber anrufen. Es steht nämlich fest, dass ausser den vier Mächten, die die Protokolle von Genf schon unterzeichnet haben, weitere Staaten dem grossen Werke internationaler Solidarität ihre Mitwirkung leihen werden. Dies gilt namentlich für Belgien und Spanien. Unserer Ansicht nach sind die direkten Gründe, die der Schweiz eine Beteiligung am Hilfswerke nahe legen, so zahlreich, dass daneben keine andern Gründe angerufen zu werden brauchen.

Wir verhehlen uns keineswegs, dass unsere finanzielle Lage von Tag zu Tag ernster wird. Der Bundesrat ist fest entschlossen, mit den öffentlichen Mitteln auf das sparsamste umzugehen. Das Geld, das ein Land für seine künftige Sicherheit ausgibt, ist jedoch immer gut angelegt. Wir haben die Millionen nicht gezählt, als es sich während der Mobilisation um den Schutz unseres Hoheitsgebietes handelte. Wir dürfen -- selbst für dea Fall, dass dies mit einem beträchtlichen Risiko verbunden sein sollte -- heute nicht zögern, zwanzig Millionen Goldkronen vorzuschiessen oder zu garantieren, da es sich darum handelt,

813 ein Werk zu vollbringen, das, wenn es, wie wir hoffen, gelingt, ·ein befreundetes Volk wieder glücklichen Tagen entgegenführt und gleichzeitig unsere künftigen Geschlechter vor ernsten Gefahren bewahrt.

Wir haben bisher eine kurze Darstellung der grundsätzlichen Erwägungen gegeben, die zu Gunsten einer Teilnahme der Schweiz am Werke der Wiederaufrichtung sprechen.

Es handelt sich nunmehr im Folgenden darum, die Grenzen der Teilnahme festzusetzen, sowie ihre Mittel und Formen des Näheren jzu bestimmen.

Wir schlagen der Bundesversammlung vor, den Bundesrat zu ermächtigen, sich am Werke der Wiederaufrichtung bis zu einem Gesamtbetrage von 20 Millionen Goldkronen zu beteiligen.

Dieso Mitwirkung schliesst in den Augen des Bundesrates jedoch weder die Notwendigkeit noch die Verpflichtung in sich, die Protokolle von Genf zu unterzeichnen.

Das erste Protokoll hat, wie wir bereits gesehen haben, einen ausgesprochen politischen Charakter. Die vier Mächte, die es aufgesetzt haben, erklären darin feierlich, die politische Unabhängigkeit, die territoriale Unversehrtheit und die Souveränität Österreichs achten zu wollen. Es braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden, dass die Schweiz in dieser Hinsicht von ·den gleichen Grundsätzen ausgeht und dass Österreich von seiton der Schweiz niemals den geringsten Eingriff in seine Unabhängigkeit, in seine territoriale Unversehrtheit und in seine Souveränität zu befürchten haben wird.

Im gleichen Protokoll verpflichtet sich Österreich gemäss dem ^Wortlaut des Art. 88 des Vertrages von Saint-Germain, sich ·weder direkt noch indirekt seiner Unabhängigkeit zu entäussern.

Diese Verpflichtung, die Österreich den Staaten gegenüber, die das Protokoll unterzeichnet haben, in rechtsverbindlicher Weise übernimmt, kann uns -- wie wir schon festgestellt haben -- nur willkommen sein. Sie stimmt -- wir wiederholen es -- durchaus mit den Wünschen überein, die wir hinsichtlich der von unserem östlichen Nachbar zu beobachtenden politischen Richtlinien hegen.

Aber wir tragen im Hinblick auf unsere herkömmliche Po.litik Bedenken, eine derartige Verpflichtung von Seiten Österreichs für uns selbst in Anspruch zu nehmen.

Österreich verpflichtet sich bereits gegenüber den andern Staaten. Es handelt sich für uns um eine res inter alios acta, Bnndesblatt. 74. Jahrg. Bd III.

56

814

von der wir indirekt Nutzen ziehen. Das soll und kann unsgenügen.

Das zweite Protokoll regelt unter anderem die Kontrolle,, die Österreich den Garantiestaaten eingeräumt h a t , ^ d . h. den Staaten, die bereit sind, das internationale Anleihen, von dem daselbst die Rede ist, zu gewährleisten.

Wir sind auch hier der Auffassung, dass die Schweiz sich der Unterzeichnung enthalten kann. Wir ziehen vor, an den Kontrollmassnahmen, die die Garantiestaaten Österreich gegenüber ergreifen werden, nicht direkt teilzunehmen. Die Überwachung, die der Völkerbund ausüben wird, flösst uns volles Vertrauen ein und erscheint uns genügend. Wir vermögen die Notwendigkeit einer direkten Teilnahme an der Tätigkeit des Komitees der Garantiestaaten nicht zu erkennen. Es werden uns stets Mittel und Wege zur Verfügung stehen, uns über die Lage hinreichend zu unterrichten, um über die Wahrnehmung unserer Interessen wachen zu können.

Es ist gegenwärtig noch nicht möglich, endgültig die genaue Form unseres Beitrages zur finanziellen Hilfeleistung anzugeben.

Das wesentliche ist, dass dieser Anteil auf die Summe von 20 Millionen Goldkronen beschränkt bleibt.

Es lassen sich verschiedene Arten der Verwirklichung dieses Planes vorstellen. Die einfachste Form wäre diejenige, die in der direkten Vorschussleistung der Summe von 20 Millionen Goldkronen bestehen würde, zu Verzinsungs- und Tilgungsbedingungen, die durch die österreichische Regierung und durch uns noch näher festzustellen wären. Vorausgesetzt wäre hierbei, dass dieser Vorschuss durch die gleichen Pfänder gedeckt würde, die einem internationalen Anleihen zugestanden würden. 'Auch verstünde es sich von selbst, dass der Vorschuss der österreichischen Regierung zu den gleichen Bedingungen zur Verfügung gestellt würde wie die übrigen Summen, die zur Verwirklichung der finanziellen Sanierung Österreichs bestimmt sind.

Eine zweite Form bestände in der Zeichnung eines Teilsdes internationalen Anleihens. Es würde in diesem Falle jedoch abgemacht werden, dass dieser vom Bunde gezeichnete Teil der Titel nicht auf die Gewährleistung Anspruch haben würde, die die Garantiestaaten für den andern Teil des Anleihens übernehmen.

Es ist natürlich keineswegs ausgeschlossen, auch noch andereFormen zu finden.

815 Wir möchten die Bundesversammlung ersuchen, sich in dieser Frage auf uns zu verlassen und uns zu ermächtigen, je nach den Umständen die eine oder die andere derjenigen Methoden zu wählen, die für die Verwirklichung unserer Hilfe in Betracht kommen. Aus diesem Grunde schlagen wir Ihnen einen Bundesbeschluss vor, in dem die seitens der Eidgenossenschaft Österreich zu gewährende Hilfe lediglich nach ihrem Höchstbetrage festgelegt ist, wogegen die näheren Ausführungsbestimmungen zunächst offen bleiben und jeweils den Umständen angepasst werden sollen. Ein Punkt hat hier in politischer Hinsicht eine wesentliche Bedeutung : Der Bundesrat wird die vorerwähnten Protokolle nicht unterzeichnen. Hierin ist -- wir legen 'Gewicht darauf, dies zu betonen -- keineswegs ein Zeichen der Gleichgültigkeit oder geringerer Sj'mpathie gegenüber dem in Genf zustande gekommenen Werke zu erblicken. Ganz im Gegenteil bringen wir der Genfer Hilfsaktion unsere volle Sympathie entgegen. Sie gehört zu den Werken, die dem Völkerbunde am meisten zur Ehre gereichen ; ohne dieses Unternehmen würde die Hilfe der Schweiz ihrerseits der nötigen politischen Grundlage entbehren. Unsere Stellungnahme ergibt sich aus der Notwendigkeit, unsere Absicht, Österreich zu Hilfe zu kommen, mit dem Bestreben .in Einklang zu bringen, uns entsprechend der herkömmlichen Linie der von uns befolgten Neutralitäts- und Friedenspolitik nicht in die innern Angelegenheiten eines andern Staates einzumischen.

Unsere Beteiligung ist im Verhältnis zu unserer Kleinheit und dem zu erreichenden allgemeinen Ergebnis ebenso wirksam wie die der andern Staaten. Sie ist sichergestellt. Sie unterscheidet sich von denjenigen der andern dadurch, dass wir sie gewähren, ohne als Gegenleistung zu unserem Vorteil politische Rechte auf Österreich geltend zu machen. Damit fallen auch die Bedenken hinweg, die diejenigen hegten, die bei uns ein ungünstiges Urteil über die Beschränkungen fällten, die sich Österreich notwendigerweise zeitweilig in der Ausübung seiner finanziellen Souveränität auferlegen musste.

Unter diesen Umständen meinen wir, dass der Ihnen zur Gutheissung vorgelegte Bundesbeschluss kein Beschluss allgemein verbindlicher Natur sei, der nach der Bundesverfassung dem fakultativen Referendum unterworfen sein musste; sieht er doch lediglich eine einfache finanzielle Transaktion vor. Er setzt ebensowenig den Abschluss und damit die Ratifikation eines internationalen Vertrages voraus. Zweifellos werden wir später Ver-

816 anlassung haben, die Modalitäten festzulegen, die für die zwischen uns und der österreichischen Regierung abzuschliessende finanzielle Transaktion massgebend sein werden. Hiedurch werden sich notwendigerweise gewisse Rechtsverhältnisse zwischen den beiden Staaten herausbilden; aber jeder von ihnen wird lediglich als Vertreter des betreffenden Fiskus handeln. Wir glauben nicht, dass diese Beziehungen Gegenstand eines internationalen Vertrages im strengen Sinne des Wortes bilden könnten.

Der Entwurf zu diesem Bundesbeschluss ist auf alle Fälle dringlicher Natur. Sämtliche Regierungen, die die Absicht haben, ihren Parlamenten die Teilnahme an der Kreditaktion für Österreich vorzuschlagen, sind vom Völkerbundsrat dringend ersucht worden, die endgültige Ratifikation vor dem Beginn des kommenden Jahres herbeizuführen. Aus diesem Grunde müssen wir Sie auch ganz ergebenst ersuchen, den von uns vorgelegten Beschlussentwurf in beiden Räten noch während der Dezembersession zur Beratung zu bringen.

Wir hoffen, dass Sie diesem dringenden Wunsche des Bundesrates umso eher entsprechen werden, als er bereits während der letzten Session der eidgenössischen Räte Gelegenheit hatte, die parlamentarischen Fraktionschefs und durch ihre berufene Vermittlung die parlamentarischen Fraktionen selbst über die in Rede stehende wichtige Frage zu unterrichten.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, geehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 1. Dezember 1922.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,

Der Bund espräsident:

Dr. Haab.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

817 (Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die finanzielle Beteiligung der Schweiz an der Wiederaufrichtung Österreichs.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Kenntnisnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 1., Dezember 1922, b e sch l i esst: Art. 1. Der ßundesrat wird ermächtigt, sich an dem vom Völkerbund unternommenen Werke der Wiederaufrichtung Österreichs finanziell zu beteiligen. Die Beteiligung der Eidgenossenschaft wird auf einen Betrag von 20 Millionen Goldkronen beschränkt. Sie kann durch direkten Vorschuss von Geldsummen oder in irgendeiner andern Form, die dem Bundesrate zweckmässig erscheinen wird, erfolgen.

Art. 2. Der vorliegende Beschluss tritt, weil nicht allgemein verbindlicher Natur, sofort in Kraft.

Der Bundesrat wird mit dem Vollzuge dieses Beschlusses beauftragt.

818 Beilage I.

Antwort 'des Finanzkomitees auf die Fragen, die ihm vom Österreich-Komitee des Eates vorgelegt wurden.

Das Finanzkomitee beehrt sieh, nachdem es im Einverständnis mit den österreichischen Delegierten die ihm vom ÖsterreichKomitee des Rates vorgelegten Fragen untersucht hat, die folgenden Antworten zu überreichen, die die Ansicht aller seiner Mitglieder darstellen.

Frage l ') Das Finanzkomitee wird gebeten, im Einverständnis mit den österreichischen Delegierten zu untersuchen, welche Massnahmen notwendig und praktisch wären, um das Gleichgewicht des Budgets zu sichern, sowie sein Gutachten über die Frist zu erstatten, innerhalb deren diese Massnahmen zu dem gewünschten Ergebnis führen könnten.

An t w or t : Es ist schwer, auf diese Frage eine genaue Antwort zu geben, denn der Zeitraum, von dem die Rede ist, hängt wesentlich von der Haltung der österreichischen Regierung bei der Durchführung der vorgeschlagenen radikalen Reformen und von der Frage ab, ob sie den Willen und die notwendige Autorität dazu haben wird. Nimmt man an, dass diese beiden unerlässliohen Voraussetzungen erfüllt sind, so ist das Komitee der Ansicht, dass es möglieh wäre, das budgetmässige Gleichgewicht in 0wei fahren zu erreichen ; auf dieser Grundlage stellt es denn auch die folgenden Empfehlungen auf.

Die hauptsächlich notwendigen Massnahmen zur Erzielung des gewünschten Ergebnisses sind folgende : a) Reform der staatlichen industriellen Unternehmungen.

Die staatlichen industriellen Unternehmungen müssen entweder gänzlich aufgegeben werden, wenn sie nutzlos sind, oder ') Die Antworten auf die Fragen l, 2, 3 und 4 geben nur eine Zusammenfassung der Schlussfolgerungen des Komitees und nicht die genauen Berichte, auf denen sie beruhen. Diese Antworten tragen das Datum des 15. Septembers 1922.

819 vom Staate nach kaufmännischen Grundsätzen, d. h. so geleitet werden, dass sie einen Ertrag geben, oder in gewissen dazu geeigneten Fällen an Privatunternehmer übergeben werden. Die Beseitigung des Defizits aus diesem Kapitel würde eine jährliche Ersparnis ermöglichen, die sich auf 170 Millionen Goldkronen belaufen kann.

Das charakteristischste Beispiel ist das der Eisenbahnen, die gegenwärtig ein Defizit von 124 Millionen Goldkronen aufweisen.

Die Ursachen des Defizits sind : zum Teil die zu hohe Zahl der Beamten, die herabgesetzt werden müsste, und zum Teil die Anwendung von zu niedrigen Tarifen. Während die Gehälter automatisch nach dem Index für die Kosten der Lebenshaltung; steigen, sind die Tarife nur um etwa ein Fünftel dessen erhöht worden, um was sie nach den gleichen Grundsätzen hätten gesteigert werden müssen. Nach den Bestimmungen des Friedensvertrages von SaintGermain gelten diese wenig erhöhten Tarife auch für den Durchgangsverkehr und bedeuten infolgedessen einen Vorteil für das Ausland. Das Komitee ist der Ansicht, dass dieses Defizit, vor Ablauf von zwei Jahren verschwinden müsste, und dass die Eisenbahnen infolge der Bedeutung des Durchgangsverkehrs künftig zu einer Einnahmequelle werden sollten.

b) Herabsetzung der Zahl der Beamten.

Wien, die Hauptstadt eines Landes von sechs Millionen Einwohnern, zählt heute mehr Beamte als zu der Zeit, wo es die Hauptstadt eines Reiches von mehr als fünfzig Millionen Seelen war. Das Komitee ist der Ansicht, dass es angebracht wäre, in dieser Richtung eine ernsthafte Herabsetzung der Ausgaben, die sich während der Übergangsperiode wenigstens auf «in Drittel belaufen sollte, vorzunehmen.

Ferner sollte die den Lokalbehörden bewilligte Unterstützung, ·die diesen ermöglichen soll, ihren eigenen Beamten mit dem Index der Lebenshaltung steigende Gehälter zu zahlen, aufgehoben werden.

Diese Reformen würden die Erzielung einer jährlichen Ersparnis von 130 Millionen Goldkronen gestatten.

Frage 2.

Das Finanzkomitee wird gebeten, zu untersuchen, wie hoch, in Gold berechnet, der Betrag des Defizits ist, mit dem es während der Übergangsperiode als unvermeidlich glaubt rechnen zu müssen.

»20

Antwort: Das Komitee schätzt das gesamte Defizit, das für die> Übergangsperiode von zwei Jahren zu erwarten ist, auf 520 Millionen Goldkronen, nicht Inbegriffen die Summe, die zur Rückzahlung gewisser in diesem Jahre gegebener Vorschüsse nötig ist, wodurch der Gesamtbetrag auf 650 Millionen Goldkronen steigt.

Um die Durchführung der Reformen zu ermöglichen, muss dieses Defizit mit Hilfe von Krediten gedeckt werden.

Diese Schätzung beruht auf dem unten aufgestellten ,,NormalBudget11, das den vorher in Aussicht genommenen Reformen.

Rechnung trägt: Ausgaben : Normal-Budget

Millionen Goldkronen

Öffentliche Schuld Pensionen Verwaltungsausgaben Heer Soziale Fürsorge

52 42 100 20 23 237 Es sollte nach Ablauf von zwei Jahren möglich sein, diese 237 Millionen Goldkronen durch Steuern zn decken. Diese Ziffer entspricht nämlich nur 40 Goldkronen auf den Kopf des Einwohners und könnte später erhöht werden ; aber die Schwierigkeiten, die sich derzeit für die Steuerveranlagung ergeben, die während einer Periode der Geldentwertung immer niedrig ist, und die Schwierigkeiten anderer Art, die eine Stabilisierung der Währung sofort nach sich ziehen wird, machen es wenig wahrscheinlich, dass man eher im Stande sein sollte, diese Ziffer zu erreichen.

Frage 3.

Welche Garantien kann Österreich für private Kredite anbieten, und welches ist der schätzungsweise Wert dieser Pfänder ?

Antwort: Die geeignetsten Garantien sollten, wenn die notwendigen Reformen in der Verwaltung durchgeführt sein werden, folgenden jährlichen Ertrag liefern: in Millionen Goldkrone»

Wälder und Domänen Salz Zölle Tabak

l l 40 40

821

Die ersten drei dieser Garantien dienen nach den derzeitigen Plänen der österreichischen Regierung als Pfand für die neue Notenbank. Immerhin kann man nach vorsichtigen Schätzungen annehmen, dass aus dem Ertrag der Zölle 28 Millionen als Pfand zweiten Ranges verfügbar bleiben würden, ausser den 40 Millionen aus dem Tabakmonopol, die eine Garantie ersten Ranges darstellen.

Überdies ist das Komitee der Ansicht (vergleiche die Antwort auf die Frage 4), dass der Entwurf zur Schaffung der neuen Notenbank ohne jede Gefahr so abgeändert werden kann, dass er den gesamten Ertrag der Zölle als Garantie ersten Ranges für die während der Übergangsperiode notwendigen Kredite ireilasst.

Ferner sollte die Grundsteuer im Bedarfsfalle mit den notwendigen Reformen als ergänzende Garantie ersten Ranges verwendet werden können.

Der Zinsen- und Tilgungsdienst für den Höchstbetrag von 650 Millionen Goldkronen würde 70 Millionen Goldkronen nicht überschreiten.

Nach der einstimmigen Meinung des Komitees decken die Garantien also die für die Übergangsperiode erforderlichen Kredite reichlich," allerdings unter der wesentlichen Bedingung, dass die anempfohlenen Reformen durchgeführt werden (dass die notwendigen Massnahmec getroffen werden, um der Regierung die genügende Autorität zu geben und der öffentlichen Meinung die Überzeugung beizubringen, dass sie tatsächlich durchgeführt werden), und dass die Ordnung nach aussen wie im Innern aufrechterhalten wird.

Frage 4.

Das Finanzkomitee wird gebeten, seine Ansicht über den Plan der Schaffung einer österreichischen Notenbank abzugeben.

A nt w or t : Das Komitee ist der Ansicht, dass der Plan der Schaffung einer Notenbank einen nützlichen und sogar unerlässlichen Teil der für den Wiederaufbau Österreichs notwendigen Massnahmen darstellt.

Gleichwohl ist das Komitee der Ansicht, dass: a. das in Aussicht genommene Kapital von 100,000,000 Goldfranken durchaus übertrieben sei : 30,000,000 müssten hinreichend sein;

822 b. die Staatsgarantie für das Kapital der Bank und für einen angemessenen Zinssatz unter Verwendung der Einkünfte aus den Zöllen als erste Hypothek eine Massnahme sei, die aufgegeben werden sollte. Diese Abänderung wäre möglich, wenn man die anderen für die Wiederherstellung der Finanzen Österreichs vorgesehenen Massnahmen annähme; c. das Kapital der Bank durch private Zeichnungen aufgebracht werden müsse. Wenn es nötig ist, öffentliche Mittel dafür in Anspruch zu nehmen, so soll der Anteil des Staates sobald als möglich an Privatleute abgetreten werden; d. die derzeitige Bestimmung, wonach die Ernennung der Direktoren und der beigeordneten Direktoren, die in der Generalversammlung gewählt werden, von der Bundesregierung bestätigt werden muss, soll verschwinden.

Das Komitee wünscht besonders nachdrücklich die Tatsache zu betonen, dass die Notenbank nur dann zur Wiederherstellung der Kreditorganisation Österreichs wird beitragen können, wenn parallel damit die nötigen energischen Reformen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts im Budget zur Durchführung gelangen (und wenn die für die Übergangsperiode unerlässlichea Kredite erlangt sind) ; selbst in diesem Falle kann die Bank nur dann endgültig erfolgreich sein, wenn die wirtschaftliche Lage nach und nach gebessert wird.

Frage 51).

Unter welchen Bedingungen kann man die Mittel zur Deckung des Defizits während der Übergangsperiode beschaffen?

Antwort: I. Das Finanzkomitee ist der Ansicht, dass das mittels Anleihen zu deckende Defizit sich im Laufe der beiden ersten Jahre auf ungefähr 520 Millionen Goldkronen beläuft, wozu noch eine Summe zur Deckung gewisser im Jahre 1922 gegebener Vorschüsse kommt, was die Gesamtsumme auf 650 Millionen Goldkronen bringt. Es handelt sich dabei um ein budgetmässiges Defizit, das zunächst einmal in österreichischer Währung und nicht in ausländischer Währung gedeckt werden muss. Man kann also hoffen, dass, wenn der innere Kredit Österreichs wieder hergestellt sein wird, ein beträchtlicher Teil des Defizits auf dem ') Die Antworten 5 und 6 datieren vom 18. September 1922,

823 Wege innerer Anleihen wird gedeckt werden können. Aber der Kredit Österreichs besteht zur Stunde überhaupt nicht ; die Zuflucht zu Anleihen, ebensowohl zu inneren wie zu auswärtigen, ist, ihm also versperrt, solange die folgenden finanziellen Bedingungen nicht erfüllt sein werden : 1. Die österreichische Regierung muss unmittelbar (ohne die Entscheidung des Völkerbundes abzuwarten) alle in ihrer Macht stehenden Massnahmen ergreifen, um eine Vorgrösserung des Defizits zu verhindern (diese Massnahmen umfassen z. B. eine Erhöhung der Tarife der Eisenbahnen, der Post, des Telegraphen und des Telephons, eine Steigerung der Verkaufspreise für die Produkte der Monopolvervvallungen, Tabak, Salz usw.).

2. Ein Kontrollsystem muss geschaffen und in Kraft gesetzt werden ; die österreichische Regierung muss auch den Beweis erbringen, dass sie in vollem Umfange bereit ist, die wirksame Tätigkeit dieser Einrichtung zu ermöglichen.

3. Die Einnahmen aus den Zöllen und das Tabakmonopol müssen unter Vorbehalt der in ihrer Verwaltung einzuführenden notwendigen Verbesserungen als Unterpfand für die Anleihen besteilt werden.

Die Wiederherstellung des österreichischen Kredits hängt ferner von der Annahme verschiedener anderer Massnahmen ab, die das Österreich-Komitee des Rates bereits erörtert hat. Zürn Beispiel: die Garantie der territorialen und wirtschaftlichen Unverletzlichkeit Österreichs unter der Aufsicht des Völkerbundes ; die Verbesserung der internationalen wirtschaftlichen Beziehungen "Österreichs und die seines inneren wirtschaftlichen Lebens; die Errichtung einer gut organisierten Gendarmerie im ganzen Umfange seines Gebietes ; die Schaffung der geplanten Notenbank und das Aufhören jeder neuen Ausgabe von Papiergeld.

Sobald alle diese Massnahmen getroffen sind und ihre Wirksamkeit bewiesen ist, kann man vernünftigerweise annehmen, -dass der Stand des eigenen Kredits Österreichs ihm die Aufnahme von Anleihen im Innern und im Auslande gestatten wird.

Indessen wäre die Hoffnung, dass diese Reformen mit Nutzen in Kraft treten können, vergeblich, wenn die österreichische Regierung und das österreichische Volk nicht vom Beginn ihrer Durchführung an mit einiger Gewissheit die Verwirklichung des Endzieles, das sie sich gesetzt haben, in Aussicht nehmen könnten, nämlich die Wiederherstellung, des wirtschaftlichen und finanziellen Gleichgewichts. Ferner muss man das Defizit sofort decken,

824 und wenn nicht die notwendige auswärtige Grundlage für die Beschaffung der zur Deckung dieses Defizits auf dem Anleihewege bestimmten Schatzmittel gefunden wird, werden die notwendigen Pfänder nicht vor Ablauf mehrerer Monate . bereitgestellt sein.

Das Finanzkomitee sieht sich also zu der Schlussfolgerung gezwungen, dass kein Programm für die Wiederaufrichtung Österreichs von Erfolg gekrönt sein kann, falls nicht einige Mächte sich bereit erklären, die notwendigen Anleihen zur Deckung des veranschlagten Defizits zu garantieren.

Es steht fest, dass diese Garantien in den meisten Fällen nur mit Zustimmung der Parlamente der Garantiestaaten gegeben werden können, aber wenn jetzt schon wenigstens die Zusagen für die Garantien, die einer parlamentarischen Genehmigung bedürfen, erlangt werden könnten, so würden diese Zusagen die auswärtige Grundlage für die Wiederherstellung des Kredits abgeben, der zur Durchführung der Reformen nötig ist. Die Garantien müssen dem höchsten Gesamtdefizit entsprechen, denn es wäre schwierig und zugleich gefährlich, sich in ein allgemeines Reformprogramm zu stürzen, ohne von Anfang an die Sicherheit zu haben, dass die hinlänglichen Mittel zur Verfügung stehen. Damit soll nicht notwendigerweise gesagt sein, dass die Garantien für die gesamte Summe wirksam werden müssten, und es kann sehr wohl der Fall sein, dass die Garantien gegebenenfalls keinerlei Barzahlung seitens der garantierenden Mächte nachziehen. Wenn das Reformprogramm Erfolg hat, ist aller Grund zu der Hoffnung vorhanden, dass es möglich sein wird, einen gewissen Teil des Maximaldefizits durch das Mittel der inneren Einnahmequellen oder jedenfalls unter Vermeidung der Zufluchtnahme zu den auswärtigen Garantien zu decken und dass die Einkünfte des österreichischen Staates zur Sicherung des Zinsen- und Tilgungsdienstes der garantierten Anleihen ausreichen werden, ohne dass es nötig wäre, an die garantierenden Mächte zu gelangen. Nichtsdestoweniger aber bleibt es wahr, dass Garantien, die dem Gesamtbetrage des Defizits entsprechen, eine vorgängige wesentliche Bedingung für den Erfolg darstellen.

Je grösser die Zahl der garantierenden Mächte ist, desto breiter wird die Grundlage für das Vertrauen sein.

II. Gehen wir jetzt zur Skizzierung der praktischen Massnahmen über, die zur Deckung des Defizits bestimmt sind, indem wir von der Annahme ausgehen, dass die oben angegebenen Reformen begonnen, und dass die Garantieversprechen für die

825 Gesamtheit des Defizits von den verschiedenen Mächten erlangt worden seien.

Dieser Zeitraum des Überganges kann in vier Perioden eingeteilt werden : Erste Periode. :

Vom Versprechen der Garantien bis m
Während dieser ersten Periode ist es wesentlich, dass die österreichische Regierung alle möglichen Massnahmen trifft, um das Defizit zu verringern, aber es wird im Laufe dieser Periode sonst keine Änderung in der gegenwärtigen Lage möglich sein.

r

/jweiie Periode : Vom, Beginn der Kontrolle liw zur Matiftkaüon der Garantien durch die verschiedenen Parlamente, d. h. bis 31. Dezember 1932.

Man nimmt an, dass die neue Notenbank ihre Pforten in einigen Wochen öffnen und dass das Kontrollsystem unter Auspizien des Völkerbundes in Tätigkeit treten wird. Wir halten eine Summe von 120 bis 160 Millionen Goldkronen für notwendig, um das Defizit im Laufe dieser zweiten Periode zu decken.

Wir glauben, dass es möglich soin wird, in dem Masse, in dem diese Summe durch die der österreichischen Regierung im Augenblick des Beginnes der Kontrolle zur Verfügung stehende Reserve nicht gedeckt sein sollte, sich die ergänzende Deckung auf folgende Weise zu beschaffen : von dem noch nicht ausgegebenen Teil der französischen, italienischen und tschechoslowakischen Kredite bleibt eine Gesamtsumme verfügbar, die man am Tage dieses Berichts auf etwa 45 Millionen Goldkronen schätzt. Wenn die den Kredit gewährenden Regierungen einverstanden sind, könnte diese Summe als teilweise Garantie für Schatzanweisungen auf drei oder sechs Monate (ausgestellt in Goldkronen oder in einer ausländischen Währung) verwendet werden, die in Österreich von der österreichischen Regierung ausgegeben und von den österreichischen Banken angekauft werden sollen. Diese Anweisungen könnten ausserdem durch eine erste Hypothek auf die Zölle und auf das Tabakmonopol garantiert werden. Vielleicht könnte das Gold, das der ehemaligen österreichisch-ungarischen Bank gehört, ebenfalls vorübergehend als Garantie für diese Schatzanweisungen dienen, statt in der neuen Notenbank deponiert zu werden. Die Frage, welches die bessere Art ist, dieses Gold nutzbar zu machen, könnte durck ·ein Abkommen zwischen der Regierung und den Banken gelöst werden, da diese ja hervorragend an der Notenbank interessiert

826 sind. Man könnte von dea österreichischen Banken vernünftigerweise fordern, dass sie diese Bedingungen im Sinne einer Mitarbeit an dem Erfolg der Reformen annehmen.

Dritte Periode : Von der Ratifikation der Garantien bis zur Ausgabe einer langfristigen Anleihe.

Sobald die Garantien der Regierungen vorhanden sind, wird es möglich werden, österreichische Schatzanweisungen in Goldkronen oder in ausländischer Währung vorbehaltlich des Rechtes der Rückzahlung aus dem Ertrag der geplanten Anleihe auszugeben ; diese Anweisungen können entweder wie die der zweiten Periode oder durch die Garantie der Mächte sichergestellt werden. Die Art der Inanspruchnahme der Garantien kann besser gelegentlich der vierten Periode erörtert werden. Von Bedeutung ist, dass die von den Parlamenten der Garantiemächte zu treffenden Massaahmen nicht über den 31. Dezember 1922 hinaus aufgeschoben werden.

Vierte Periode : Von der Ausgabe der Anleihe bis -z-wm JËnde IÌCT Übergangsperiode, 31. Dezember 1924.

Wenn eine der garantierenden Regierungen es vorzieht, so kann sie natürlich der österreichischen Regierung direkt Geld aus ihren eigenen Mitteln leihen. Wir nehmen indessen an, dass die Mehrzahl der Regierungen es vorziehen wird, ihre Hilfe auf die Gewährung einer Garantie zu beschränken. Diese Garantien könnten in einer der drei folgenden Formen gewährt werden : a. Jede der Garantiemächte könnte gemeinschaftlich und solidarisch die Haftung für die bis zum Höchstbetrage von 650 Millionen Goldkronen auszugebenden österreichischen Anleihen übernehmen. Eine solche Garantie würde die Unterbringung dieser Anleihen zu den günstigsten Bedingungen ermöglichen, aber wir sind der Ansicht, dass es politisch unmöglich ist, eine solche gemeinschaftliche und solidarische Garantie zu gewähren.

b. Jede Regierung könnte eine von Österreich auszugebende Anleihe garantieren, der als Unterpfand die unter Hypothek gestellten österreichischen Besitztümer und dazu ihre eigene Garantie dienen würden, und zwar bis zu einem bestimmten Höehstbetrage, der einen entsprechenden Teil des notwendigen Gesamtbetrages darstellen müsste : zum Beispiel, wenn man annimmt, dass zehn Mächte eine solche Garantie zu gleichen Teilen bewilligen, so würde es zehn österreichische Anleihe-

827

typen geben, die sämtlich durch den gleichen österreichischen Besitz garantiert sind, indessen jeder eine besondere Garantie seitens der verschiedenen Mächte aufweist. Dieser Plan würdeden Markt für die österreichischen Anleihen beträchtlich einschränken und den Zeitpunkt bedeutend hinausschieben, für welchen man eine genügende Erstarkung des österreichischen Kredites erhoffen darf, um eine österreichische Anleihe ohne auswärtige Garantie unterbringen zu können.

c. *) Die Garantiemäehte könnten sich darauf einigen, einen bestimmten Anteil einer einzigen österreichischen Anleihe zu garantieren, die in einem oder mehreren Abschnitten, je nach Bedarf, ausgegeben wird : z. B., wenn man abermals annimmt, dass zehn Mächte da sind, die ihre Garantie zu gleichen Teilen geben, so wäre jeder Abschnitt bis zum Höchstbetrage von zehn vom Hundert durch jede Macht garantiert ; der unter Hypothek gestellte Besitz -würde diesen Anleiheabschnitt ganz garantieren, aber jede der Garantiemächte wäre nur bis zum Höchstbetrage von zehn Prozent haftbar.

Das Finanzkomitee gibt dieser letzterwähnten Lösung den Vorzug, bemerkt aber, dass die genauen Einzelheiten betreffend die verschiedenen Garantien besser in Übereinstimmung mit der Emissionsfirma oder der Gruppe von Emissionsfirmen geregelt werden kann, die berufen sein werden, die Unterbringung einer langfristigen Anleihe durchzuführen. Eine rasche Entscheidung wird jedenfalls über die Form notwendig sein, in welcher die Garantien für die Ausgabe der im Laufe der dritten Periode in Aussicht genommenen Schatzanweisungen gelten sollen.

Es ist nicht notwendig, diese technischen Einzelheiten im Augenblick weiter zu entwickeln. Indem wir darauf hinweisen, bezwecken wir lediglich die Art der Garantien, die von den einzelnen Regierungen verlangt werden müssen, allgemein zu bezeichnen und die Tatsache zu betonen, dass die Ermächtigungsgesetze für diese Garantien genügend Spielraum für verschiedene Möglichkeiten offen lassen müssen. Wir sind indessen überzeugt, dass es, wenn diese Garantien einmal bewilligt sind, keine unüberwindlichen Hindernisse mehr gibt, die notwendigen Anleihen zur rechten Zeit entweder in Österreich oder auf den Finanzmärkten ausserhalb Österreichs unterzubringen, immer unter der *) Diese dritte Möglichkeit c) ißt vom Österreich-Komitee des Rates angenommen worden.

828

wohlverstandenen Voraussetzung, dass die österreichische Regierung und das österreichische Volk in der Zwischenzeit gezeigt haben, dass sie die in Aussicht genommene Hilfe verdienen, indem sie mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln an der wirksamen Durchführung des Reformplanes und an der gedeihlichen Tätigkeit des vom Völkerbunde eingerichteten Kontrollsystems mitarbeiten.

Frage 6.

Das Finanzkomitee wird gebeten, sein Gutachten über die wesentlichen Voraussetzungen für die Kontrolle abzugeben, die einzurichten wäre, um die Empfehlungen des Komitees zum Zwecke der Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts und des Kredits Österreichs wirksam zu gestalten.

A nt w or t : Der Zweck der Kontrolle besteht darin, die österreichische Regierung bei der Ausführung eines Programms von durchgreifenden Reformen, von deren Verwirklichung die Möglichkeit der Aufnahme von Anleihen abhängig ist, KU unterstützen und mit ihr zusammenzuarbeiten.

Dieses Programm müsste vorher von der österreichischen Regierung angenommen, vom Rate des Völkerbundes oder seinem Österreich-Komitee gebilligt und vom österreichischen Parlament beschlossen werden. Es wird aber fUr erforderlich gehalten, dass dieser Beschluss nicht bloss als eine allgemein grundsätzliche Genehmigung gilt, durch welche die österreichische Regierung nicht der Notwendigkeit enthoben wird, die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften zu der Reihe von wirtschaftlichen und steuerlichen Reorganisationsmassnahmen einzuholen, die zur Durchführung dieses Planes getroffen werden müssen. Es müsste vielmehr wohl verstanden sein, dass die Anfangsgenehmigung der Regierung Vollmacht gibt, im Einvernehmen mit der Kontrolle Beschlüsse jeder Art zu fassen, die dem genehmigten Programm gemäss und zu seiner Durchführung erforderlich sind.

Das vom Völkerbunde gebilligte Programm würde Übrigens die verfassungsmässige Grundlage der Kontrollbehörde und die Quelle ihrer Autorität darstellen. Die Kontrollbehörde dürfte seine Ausführung fordern, aber es stünde nicht in ihrer Macht, Massnahmen, die über die Grenzen dieses Programms hinausgehen oder im Widerspruch zu ihm wären, zu verlangen.

Um der Kontrollbehörde die Erfüllung ihrer Aufgabe zu ermöglichen, soll sie das Recht haben zu bestimmen, welche Auf-

829 Stellungen, Ausweise oder periodischen Berichte ihr vorgelegt werden müssen, ferner alle Verwaltungen um Erteilung aller von ihr für nützlich gehaltenen Auskünfte zu ersuchen und alle Nachprüfungen von Buchungen oder Feststellungen an Ort und Stelle, die sie für zweckrnässig erachtet, vorzunehmen oder vornehmen zu lassen. Die Notenbank als Staatskassier soll die Zentralstelle für alle Abrechnungen über Einnahmen und Ausgaben sein und der Kontrollbehörde periodische Aufstellungen zum Nachweis über Einnahmen, Ausgaben und die verschiedenen Kreditsaldi des österreichischen Staates liefern.

Keine Anleiheoperation, welcher Art sie auch sei, soll ohne vorgängige Genehmigung der Kontrollbehörde vorgenommen werden können.

Der Ertrag der als Pfänder für die verschiedenen Anleihen verwendeten Einnahmequellen - und der Ertrag aller Anleihen sollen bei der Notenbank auf Spezialkonten zentralisiert werden.

Keine Abhebung zu Lasten dieser Konten soll ohne vorgängige Genehmigung der Kontrollbehörde bewirkt werden.

Frage 7 0 Das Finanzkomitea wird gebeten, einen eingehenden Bericht über die Art der in. Österreich einzurichtenden Kontrolle auszuarbeiten.

Antwort : In Beantwortung dieses Wunsches beehrt sich das Finanzkomitee, die folgenden Bemerkungen, die es einstimmig gutgeheissen hat, zur Kenntnis des Österreich-Komitees des Rates zu bringen.

Die Organisation einer auf Österreich anwendbaren Kontrolle stellt neue Probleme, bei deren Lösung man sich nur mit Vorsicht auf frühere Fälle berufen darf.

Die Aufgabe der Kontrollbehörde, so wie sie das ÖsterreichKomitee auf Vorschlag des Finanzkomitees bereits umschrieben hat, beruht auf einem Programm, das von zwei Seiten zu genehmigen ist : vom Rate des Völkerbundes und vom österreichischen Parlament.

') Vom 26. September 1922.

Bundesblatt. 74. Jahrg. Bd. III.

66

830

Gegenüber der österreichischen Regierung, die mit den Vollmachten für die Anwendung dieses Programms versehen ist, hat die Kontrollbehörde den Auftrag, seine Durchführung zu fordern.

Daraus geht hervor : 1) dass die Ernennung und die Abberufung der Kontrollbeamten dem Rate des Völkerbundes vorbehalten bleiben muss, unter dessen Autorität das Programm durchgeführt werden soll ; 2j dass der Rat gegenüber dieser Durchführung nicht teilnahmlos bleiben kann, und dass ihm periodische Berichte über die Fortschritte der Reformen erstattet werden müssen.

Soll der Rat nun aber seine Aufgabe darauf beschränken?

Es scheint, dass der Rat, wenn bei der Ausführung dieses Programms Unzulänglichkeiten oder Missbräuche festgestellt werden sollten, die oberste Behörde für ihre Beurteilung bleiben muss.

Es ist indessen von Bedeutung, dass die Verantwortlichkeit der Vertreter der Kontrollbehörde ungeteilt bleibt, und dass man nicht durch unaufhörliche oder ungerechtfertigte Gesuche den Rat in die Finanzverwaltung Österreichs hineinzuziehen versucht.

Diese Unzuträglichkeiten wird man nur vermeiden, wenn man klar und bestimmt die Fälle festlegt, in denen man an die Entscheidung des Rates appellieren will, und ebenso klar bestimmt, wem dieses Berufungsrecht zustehen soll.

Zu den Berufungsberechtigten muss man in erster Linie die österreichische Regierung zulassen. Aber man muss auch an die Rechte der garantierenden Regierungen denken. Denn diese können in der Tat gegenüber den Fortschritten der Gesundungspolitik nicht gleichgültig bleiben : wird diese das Risiko ihrer Garantie ausschalten oder erhöhen? Dabei soll indessen wohl verstanden sein, dass nur solche Misstände, welche die zweckmässige Durchführung des Programms zu gefährden drohen, Anlass zu einer Berufung geben sollen.

Wie soll nun anderseits den garantierenden Regierungen die Überwachung ihrer Interessen, die an die zweckmässige Durchführung des Kontrollprogramms gebunden sind, ermöglicht werden?

Zunächst scheint es, dass man nicht daran denken könnte, die Ausübung der Kontrolle Vertretern der garantierenden Regierungen anzuvertrauen. Denn die Kontrolle soll allein unter der Autorität des Rates des Völkerbundes ausgeübt werden. Damit der Rat seine höchste Autorität und seine Aufgabe als Schiedsrichter frei aufrecht erhalten kann, darf man im Interesse Österreichs selbst nicht dem Gedanken Raum geben, die Aufgabe der Kontrolle, die im Namen des Rates ausgeübt werden soll, und

831 die Vertretung der beteiligten Regierungen, denen ein Berufungsrecht zuerkannt wird, miteinander zu vermischen, aber man kann es gelten lassen, dass die Vertreter der garantierenden Regierungen, zu einem Komitee vereinigt, das Recht haben sollen, die Durchführung des Programms zu verfolgen und die zu ihrer Aufklärung erforderlichen Auskünfte zu erhalten.

Wie sollen alsdann die Beziehungen zwischen diesem Komitee und der Kontrollbehörde geregelt werden.?

Wenn der Rat die oberste Autorität bleiben soll, wäre es ohne Zweifel unzweckmässig, dass dieses Komitee ständig neben dem Kontrollorgan tagt. Wir schlagen also vor, dass dieses Komitee periodische Sitzungen, z. B. alle drei oder sechs Monate, und zwar vorzugsweise am Sitze des Völkerbundes abhält. In einer Konferenz mit den Vertretern der Kontrollbehörde würde dieses Komitee in der Lage sein, sie um alle Auskünfte und Erklärungen zu ersuchen, aber es wäre nicht ermächtigt, ihnen Anweisungen zu erteilen. Im Falle, dass ernste Schwierigkeiten auftauchen oder ein Konflikt anlässlich ernster Misstände ent- .

stehen sollte, wäre der Rat zu einem Schiedsspruch berufen.

Sodann stellt sich die Frage, ob die Aufgäbe der Kontrolle einem einzigen Vertreter oder einem Kollegium übertragen werden soll.

Um die Kosten der Kontrolle auf das geringstmögliche Mass herabzusetzen und die unerlässliche Einheitlichkeit zu gewährleisten, wäre ein einziger Kontrollbeamter bei weitem vorzuziehen ; er könnte sich übrigens der Mitarbeit einiger auf Grund ihrer sachlichen Zuständigkeit ausgewählten Sachverständigen versichern.

Die Kosten der Kontrolle sollten durch eine Entscheidung des Völkerbundsrates festgestellt und dem österreichischen Budget zur Last gelegt werden.

Die Kontrolle sollte durch Beschluss des Völkerbundsrates ihr Ende finden, sobald dieser festgestellt hat, dass die finanzielle Stabilität Österreichs durch die Durchführung der Reformen gewährleistet ist, unbeschadet der Sonderkontrolle über die für den Anleihedienst verwendeten Pfänder.

Allgemeiner Bericht über die Lage Österreichs.

Das Finanzkomitee hat sich bei seiner Untersuchung über die zur Wiederherstellung der österreichischen Finanzen zu ergreifenden Massnahmen notwendigerweise auf das Gebiet finanzieller Erwägungen beschränkt. Es erkennt indessen an, dass ausserhalb dieser Erwägungen das Grundproblem der wirtschaftlichen Lage Österreichs zu studieren bleibt. Selbst wenn Österreich im Laufe

832

einer gewissen Zeit dahin gelangt, eine gesunde finanzielle Lage zu erreichen, wird es sie nur dann aufrecht erhalten und für die Bedürfnisse seiner gegenwärtigen Bevölkerung sorgen können, wenn es seine Produktion derart steigert und anpasst, dass auch seine Handelsbilanz ins Gleichgewicht kommt (wobei selbstverständlich auch seiner beträchtlichen ,,unsichtbaren Ausfuhr1' Rechnung zu tragen ist).

Diese Bilanz ist derzeit sehr ungünstig ; teilweise ist dieses Ergebnis auf die Inflation und auf das fehlende Gleichgewicht der Währung zurückzuführen, aber es ist sicherlich nicht ausschliesslich durch diese Erscheinungen hervorgerufen. Es ist also von der grössten Bedeutung, dass alle Massnahmen, deren Ergreifung möglich ist, angewendet werden : Verbesserung der internationalen wirtschaftlichen Beziehungen, Schaffung von Verhältnissen, die geeignet sind, die Bedeutung Wiens als Stapelplatz zu erhöhen, ' Steigerung der Finanzoperationen und der Transitgeschäfte ; Annahme von Massregeln zur Heranziehung von Privatkapitalien zum Zwecke der Entwicklung der produktiven Hilfsquellen des Landes.

Diese Fragen liegen indessen ausserhalb der Zuständigkeit des Finanzkomitees. Wenn eine geeignete Finanzpolitik angenommen und durchgeführt wird, so wird die wirtschaftliche Lage Österreichs durch Steigerung der Produktion und Verwendung eines grossen Teiles der Bevölkerung zu wirtschaftlichen Arbeiten ins Gleichgewicht kommen, andernfalls wird die wirtschaftliche Notwendigkeit die Bevölkerung zur Auswanderung zwingen oder sie ins Elend bringen. Nimmt man einmal das Schlimmste an, so wäre dieses Ergebnis noch einer allgemeinen Umwälzung und der Verarmung der grossen Masse der städtischen Bevölkerung vorzuziehen, die sich aus dem Fortbestehen der derzeitigen finanziellen Desorganisation ergeben müssen; denn diese Desorganisation vernichtet jede Grundlage, auf der noch ein Fortschritt zur wirtschaftlichen Anpassung möglich wäre.

Das Finanzkomitee hält es für seine Pflicht, seine Schlussfolgerungen in der Form einer sehr ernsten Warnung vorzubringen.

Österreich hat seit drei Jahren zum grossen Teil von öffentlichen und privaten Anleihen gelebt, die gewollt oder ungewollt zu Geschenken geworden sind; es hat von der privaten Wohltätigkeit gelebt und von den Verlusten, die ausländische Spekulanten an der Krone erlitten
haben. Derartige Hilfsmittel können aber in keinem Falle weiterhin bestehen noch in der bisherigen Weise verwendet werden. Österreich hat viel mehr verbraucht als es produziert hat. Die beträchtlichen Summen, die ihm vorgestreckt

833 worden sind, und die zur Wiederherstellung seiner Finanzen und zu seinem wirtschaftlichen Wiederaufbau hätten verwendet werden sollen, haben dazu gedient, die Bedürfnisse des täglichen Verbrauchs zu decken. Alle neuen Vorschüsse werden zur Durchführung von Reformen nutzbar gemacht werden müssen ; in sehr kurzer Zeit wird Österreich nicht mehr verbrauchen dürfen als es im Stande sein wird zu produzieren. Die Zeit der Reformen selbst wird, auch wenn neue Kredite erlangt sein werden, notwendigerweise sehr schmerzlich sein ; und je weiter man ihren Beginn hinausschiebt, um so härter wird sie sein.

Nimmt man den besten Fall an, so werden die Daseinsbedingungen in Österreich im Laufe des nächsten Jahres, wenn es seine Lage mühselig wieder herstellen wird härter sein als im letzten Jahre, wo es die zu dieser Wiederherstellung bestimmten Anleihen für den laufenden Verbrauch verwandte ohne Reformen vorzunehmen.

Es handelt sich aber nicht darum, zwischen der Fortdauer der Daseinsbedingungen des vergangenen Jahres und ihrer Verbesserung zu wählen ; man muss vielmehr wählen zwischen einer Zeit von Schwierigkeiten, die vielleicht grösser als alle bisherigen seit 1919 sein werden, die aber eine wirkliche Verbesserung für die Zukunft anbahnen (das ist die günstigste Annahme), und dem Untergang in einem Chaos des Elends und der Not, wie es in der heutigen Welt ausserhalb Russlands ohne Beispiel dasteht.

Es gibt keine Hoffnung für Österreich, wofern es nicht bereit ist, eine Autorität gelten zu lassen und zu unterstützen, deren Pflicht darin besteht, Reformen zu erzwingen, die eine härtere Lage nach sich ziehen als es die gegenwärtige ist, denn einzig und allein auf diese Weise kann Österreich einem noch schrecklicheren Schicksal entgehen.

Das Finanzkomitee zum Studium der obenbehandelten Fragen war folgendermassen zusammengesetzt: Präsident : Janssen · Mitglieder : Arai Avenol Sir Basil BlacTceü Fass (als Stellvertreter für Sir Basii Blackettì Dr. Pospisil Sir Henry Strackosch Zeitweilige Mitglieder: Maggiorino Ferrari» A. Sarasin

834 Beilage II.

Protokoll Nr. I, Erklärung.

Die Regierung Seiner britischen Majestät, die Regierung der französischen Republik, die Regierung Seiner Majestät des Königs von Italien und die Regierung der Tschechoslowakischen Republik, einerseits, Im Augenblick, in dem sie es unternehmen, Österreich in seinem Werke der wirtschaftlichen und finanziellen Wiederherstellung zu helfen, Ausschliesslich im Interesse Österreichs und des allgemeinen Friedens handelnd sowie in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen, die sie bereits übernommen haben, als sie einwilligten, Mitglieder des Völkerbundes zu werden, erklären feierlich : Dass sie die politische Unabhängigkeit, die territoriale Unversehrtheit und die Souveränität Österreichs achten werden; Dass sie keinen besonderen oder ausschliesslichen Vorteil wirtschaftlicher Art suchen werden, der diese Unabhängigkeit unmittelbar oder mittelbar zu gefährden geeignet wäre; Dass sie sich jeder Handlung enthalten werden, die dem Geiste der Konventionen zuwider sein könnte, die gemeinschaftlich zum wirtschaftlichen und finanziellen Wiederaufbau Österreichs vereinbart werden sollen, oder die den Garantien abträglich sein könnte, welche die Mächte zur Wahrung der Interessen der Gläubiger und der Garantiestaaten vereinbart haben; Und dass sie sich gegebenenfalls, um die Achtung dieser Grundsätze seitens aller Nationen zu gewährleisten, in Gemässheit der Bestimmungen des Völkerbundsvertrages, sei es einzeln, sei es gemeinsam, an den Völkerbundsrat wenden werden, damit er die zu ergreifenden Massnahmen erwäge und dass sie sich den Entscheidungen des genannten Rates fügen werden.

Die Regierung der Bundesrepublik Österreich, anderseits, Verpflichtet sich nach dem Wortlaut des Artikels 88 des Vertrages von Saint-Germain, ihre Unabhängigkeit nicht aufzugeben ; sie wird sich jeder Verhandlung und jeder wirtschaftlichen oder finanziellen Verpflichtung enthalten, die diese Unabhängigkeit unmittelbar oder mittelbar zu gefährden geeignet wäre.

835 Diese Verpflichtung steht nicht im Widerspruch damit, dass Österreich vorbehaltlich der Bestimmungen des Vertrages von Saint-Germain seine Freiheit auf dem Gebiete der Zolltarife und der Handels- oder Finanzabkommen sowie im allgemeinen für alles bewahrt, was sein Wirtschaftswesen oder seine Handelsbeziehungen betrifft, wobei indessen verstanden ist, dass sie seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit nicht durch Gewährung einer Sonderbehandlung oder ausschliesslicher Vorteile Eintrag tun kann, die diese Unabhängigkeit zu bedrohen geeignet sind.

Das gegenwärtige Protokoll bleibt zur Unterzeichnung für alle Staaten offen, die ihm beitreten wollen.

Zu Urkund dessen haben die Unterfertigten, zu diesem Zwecke gehörig bevollmächtigt, die gegenwärtige Erklärung unterzeichnet (Protokoll I).

Ausgefertigt zu Genf am vierten Oktober eintausendneunhundertundzweiundzwanzig in einem einzigen Exemplar, das im Sekretariat des Völkerbundes niedergelegt bleibt und von ihm sofort registriert werden wird.

(Gezeichnet) Balfour G. Hanota/ux Imperiali (Krcmâ?

\Pospisil

(Gezeichnet) Seipel

Bettage III.

Protokoll Nr. II, Um Österreich in seinem Werke der wirtschaftlichen und finanziellen Wiederherstellung zu helfen, haben die britische, die französische, die italienische, die tschechoslowakische und die österreichische Regierung einstimmig die folgenden Verfügungen getroffen : Artikel l.

Die österreichische Regierung soll unter der Garantie, die sich aus der gegenwärtigen Konvention ergibt, die notwendige Menge von Wertpapieren schaffen dürfen, um eine Bar-

836

summe zu erzielen, die im Höchstbetrage 650 Millionen Goldkronen entspricht. Das Kapital und die Zinsen der so ausgegebenen Titel werden von allen Steuern, Gebühren oder Auflagen zugunsten des österreichischen Staates befreit.

Artikel 2.

Die Rosten der Emission, der Verhandlungen, der Auslieferung werden zu dem im vorhergehenden Artikel festgesetzten Anleihekapital hinzugefügt.

Artikel 3.

Die Verzinsung und die Amortisierung der Anleihe wird mittels einer Annuität gesichert, die aus den Einkünften geleistet wird, die nach den im Protokoll Nr. III enthaltenen Bestimmungen als Garantie dieser Anleihe dienen.

Artikel 4.

Der Ertrag dieser Anleihe soll nur unter der Aufsicht des Generalkommissärs verwendet werden können, der vom Rate des Völkerbundes und gemäss den von der österreichischen Regierung übernommenen und im Protokoll Nr. III enthaltenen Verpflichtungen ernannt wird.

Artikel 5.

Die britische, die französische, die italienische und die tschechoslowakische Regierung verpflichten sich, ohne Nachteil für die anderen Regierungen, die der gegenwärtigen Konvention beitreten sollten, ihre Parlamente unverzüglich um die Ermächtigung zu ersuchen -- vorbehaltlich der Genehmigung des Protokolls Nr. III durch das österreichische Parlament und der Annahme des in Artikel 3 jenes Protokolls vorgesehenen Gesetze durch dieses Parlament -- den Annuitätendienst dieser Anleihe bis zu einem Höchstbetrag von 84 Prozent zu garantieren, der nach besonderen Vereinbarungen zwischen den Beteiligten aufzuteilen ist.

Artikel 6.

Jede der vier Regierungen soll berechtigt sein, einen Vertreter für das Kontrollkomitee zu ernennen, dessen Befugnisse durch die folgenden Bestimmungen festgelegt werden. Jeder dieser Vertreter soll über zwanzig Stimmen verfügen. Die Regierungen, welche die Garantie für den durch die Garantie der britischen, französischen, italienischen und tschechoslowakischen Regierung nicht gedeckten Rest der Annuität übernehmen, sollen

837

ebenfalls berechtigt sein, entweder jede einen Vertreter zu ernennen, oder sich über die Ernennung von gemeinsamen Vertretern zu verständigen. Die Vertreter sollen für jedes Prozent der von ihrer Regierung übernommenen Garantie je eine Stimme haben.

Artikel 7.

Die Art und Weise der Anwendung der Garantie, die Anleihebedingungen, Emissionspreis, Zinsfuss, Amortisierung, Kosten der Emission, der Verhandlungen und der Auslieferung müssen dem Kontrollkomitee der Garantiestaaten zur Genehmigung unterbreitet werden. Die Höhe der Annuität, die zur Verzinsung und Amortisierung der Anleihe notwendig ist, soll ebenfalls der Genehmigung des Kontrollkomitees bedürfen. Jeder Anleiheplan der österreichischen Regierung, ausserhalb der Bedingungen des im Protokoll Nr. III erwähnten Programms, muss dem Kontrollkomitee zur vorherigen Genehmigung vorgelegt werden.

Artikel 8.

Das Kontrollkomitee wird die Bedingungen festsetzen, unter denen die Zahlungen der Regierungen erfolgen sollen, wenn die Garantie wirksam werden sollte sowie auch die Art und Weise der entsprechenden Rückzahlung.

Artikel 9.

In den Grenzen der Emissionsverträge soll die österreichische Regierung das Recht haben, mit Zustimmung des Kontrollkomitees eine Konversion der Anleine vorzunehmen, sie soll auf Ersuchen des Kontrollkomitees verpflichtet sein, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.

Artikel 10.

Das Kontrollkomitee soll das Recht haben, die Aufstellung von Ausweisen und periodischen Rechnungen oder alle sonstigen Auskünfte dringlicher Art über die Verwaltung der als Pfand für die Garantie dienenden Einnahmen zu fordern ; es soll dem Generalkommissär die Änderungen in der Verwaltung und dio Verbesserungen, die ihre Ertragsfähigkeit zu steigern geeignet wären, bezeichnen können. Die Änderungen der Tarife bei diesen Einnahmequellen, die deren Gesamt-Mindestertrag, in Gold berechnet, so wie er vor der Ausgabe der Anleihen behufs Deckung der notwendigen Annuitäten festgesetzt werden wird, zu verringern geeignet wären, müssen dem Kontrollkomitee zur vorherigen Genehmigung vorgelegt werden. Das gleiche gilt von

838

0

den Entwürfen für Konzessions- oder Pachtverträge, die diese Einnahmen berühren.

Artikel 11.

Für den Fall, dass der Ertrag der verpfändeten Einkünfte unzureichend sein und die Gefahr drohen sollte, dass die Garantie der Mächte in Anspruch genommen werden müsste, soll das Kontrollkomitee die Verpfändung anderer hinreichender Einkünfte fordern dürfen, um den Annuitätendienst zu decken.

Jeder Vertragsentwurf, der den Bestand des österreichischen Staatsbesitzes wesentlich zu verändern geeignet ist, soll dem Komitee drei Wochen, ehe er endgültig wird, mitgeteilt werden.

Artikel 12.

Das Kontrollkomitee tritt in bestimmten Zwischenräumen zu den von ihm selbst festgesetzten Zeiten zusammen, und zwar vorzugsweise am Sitze des Völkerbundes. Es kann nur mit dem Generalkommissär verkehren ; dieser soll den Tagungen des Kontrollkomitees beiwohnen oder sich vertreten lassen. Die Beschlüsse des Komitees werden mit einfacher Mehrheit der vertretenen Stimmen gefasst, doch soll für die Beschlüsse nach den Artikeln 7 und 8 eine Zweidrittelmehrheit der vertretenen Stimmen erforderlich sein.

Das Kontrollkomitee soll auf einen von wenigstens zehn Stimmen unterstützten Antrag zu einer ausserordentlichen Tagung einberufen werden.

Artikel 13.

Das Kontrollkomitee und jedes seiner Mitglieder kann alle Auskünfte und Aufklärungen über die Ausarbeitung des Programms für die finanziellen Reformen und über seine Durchführung fordern. Das Komitee kann dem Generalkommissär alle Bemerkungen mitteilen und ihm alle Vorstellungen machen, die als notwendig zur Wahrung der Interessen der garantierenden Regierungen erachtet werden.

Artikel 14.

Im Falle eines Missbrauches kann das Kontrollkomitee und jeder garantierende Staat eine Berufung beim Rate des Völkerbundes einlegen, der sich unverzüglich darüber äussern soll.

Artikel 15.

Im Falle einer strittigen Auslegung dieses Protokolls werden die Parteien das Gutachten des Rates des Völkerbundes annehmen.

839 Zu Urkund dessen haben die Unterfertigten, zu diesem Zwecke gehörig bevollmächtigt, das gegenwärtige Protokoll unterzeichnet.

Ausgefertigt zu Genf am vierten Oktober eintausendneunhundertzweiundzwanzig in einem einzigen Exemplar, das im Sekretariat des Völkerbundes niedergelegt bleibt und von ihm sofort registriert werden wird.

(Gezeichnet) Balfour G. Hanotaux Imperiali / Krcma?

\ Pospisil

(Gezeichnet) Seipel

Anhänge zu Protokoll Nr. n.

Einleitung.

1. Die von den Signatarstaaten des Protokolls Nr. II geleistete Garantie soll sich auf eine österreichische Anleihe von 650 Millionen Goldkronen erstrecken, deren Titel sämtlich denselben Charakter tragen und dieselbe Sicherheit bieten sollen, da das Finanzkomitee berechnet hat, dass das österreichische Defizit von 520 auf 650 Millionen Goldkronen erhöht werden muss, um den Vorschüssen Rechnung zu tragen, die von einigen Regierungen im Laufe dieses Jahres gewährt worden sind, und die zur Rückzahlung fällig sind, sei es aus dem Ergebnis der vom Völkerbunde organisierten Anleihe, sei es in Wertpapieren, die mit denselben Pfändern und denselben Vorteilen ausgestattet sind.

2. Um jedoch zu vermeiden, dass die Zahlungen, die aus der Garantie für den Teil der österreichischen Anleihe folgen, der zur Ruckzahlung bereits geleisteter Vorschüsse verwendet werden soll, auf Staaten zurückfallen, die an dieser Rückzahlung nicht interessiert sind, und dass die Opfer, die von diesen Staaten möglicherweise zu verlangen sein werden, nicht das Mass der Garantie für eine Anleihe von 520 Millionen Goldkronen überschreiten, haben die Regierungen, die solche Rückzahlungen von der österreichischen Regierung zu erwarten haben (britische, französische, italienische und tschechoslowakische Regierung), Beatimmungen getroffen, die den Gegenstand des Anhanges B bilden.

840

A n h a n g A.

Die französische, italienische und tschechoslowakische Regierung verpflichten sich, als Garantie für die Ausgabe von Schatzanweisungen oder ähnlichen Schatzoperationen, die durch die Bruttoeinnahmen aus Zöllen und Tabak garantiert und in dem Bericht des Finanzkomitees für die Zeit bis zur Genehmigung der Garantieermächtigung seitens der verschiedenen Parlamente vorgesehen sind, die Restsummen der im Jahre 1922 der österreichischen Regierung zugesagten Vorschüsse zn verwenden, deren Betrag festgesetzt war : Frankreich . .

55 Millionen Franken, Italien . . . .

7 0 Millionen Lire Tschechoslowakei 500 Millionen tschechoslowakische Kronen.

Unter Restsummen sind nicht nur die auf die obigen Gesamtbeträge noch nicht gezahlten Summen zu verstehen, sondern auch diejenigen, die bezahlt worden sind und auf Grund ihrer gegenwärtigen Verpfändung mit Einverständnis der österreichischen Regierung für eine andere Verwendung freigegeben werden könnten. Sobald dieses Einverständnis vorliegt, sollen die Restsummen, so wie sie hier definiert sind, unverzüglich der österreichischen Regierung zur Verfügung gestellt werden, um unter Aufsicht des Generalkommissärs oder der vorläufigen Delegation des Rates zu den oben in Aussicht genommenen Schatzoperationen verwendet zu werden.

Sobald die Garantieermächtigungen von den verschiedenen Parlamenten in der Mindesthöhe von 80 % angenommen sind, werde« die so als Garantie dienenden Restsummen der Vorschüsse freigegeben und den fraglichen Regierungen zurückgezahlt werden.

Ausgefertigt in Genf am vierten Oktober eintausendneunhundertundzweiundzwanzig.

(Gezeichnet) Balfour G-. flanotaiix

(Gezeichnet) Imperiali f TLrt-me?

\ Pospisil

A n h a n g B.

Die Verteilung der Garantie unter die vier Regierungen Grossbritanniens, Frankreichs, Italiens und der Tschechoslowakei, wie sie in Artikel 5 des Protokolls Nr. II und in Paragraph 2 der Einleitung vorgesehen ist, soll nach folgenden Bestimmungen erfolgen : 1. Die Garantie der Annuitäten, soweit sie der Summe von 130 Millionen entsprechen die zur Rückzahlung der in Paragraph l der Einleitung erwähnten Vorschüsse notwendig ist, wird zu je einem

84t

Drittel unter die drei Regierungen Grossbritanniens, Frankreichs und der Tschechoslowakei verteilt.

2. Die zur Rückzahlung des tschechoslowakischen Kredits notwendige Summe beläuft sich auf ungefähr 80 Millionen Goldkronen und die tschechoslowakische Regierung verpflichtet sich, den Betrag der Rückzahlung, auf die sie auf dem Ertrag der Anleihe ein Anrecht hat, auf 60 Millionen Goldkronen zu beschränken.

Sie wird als Bezahlung für diesen Teil von 60 Millionen Anleihetitel annehmen, die über den Betrag der tatsächlichen Zeichnungen hinaus ausgegeben werden. Für den Rest dieses Guthabens wird sie sich als Deckung mit auf tschechoslowakische Kronen lautenden Anweisungen begnügen, die mit den gleichen Rechten und Pfändern ausgestattet sind, wie die Titel der Anleihe; dabei ist aber verstanden, dass diese Anweisungen nicht an der Garantie der anderen Regierungen teilhaben, und dass sie über die Ziffer von 650 Millionen hinaus ausgegeben werden können.

Die britische Regierung und die französische Regierung, die nach dem Wortlaut ihrer Verträge ein Recht auf die vollständige Rückzahlung ihrer Vorschüsse aus dem Ertrag der ersten Anleihe besitzen, erklären sich mit einem Schlüssel für die Rückzahlung einverstanden, der allmählich ansteigt und den grössten Teil der Rückzahlung auf die letzten Abschnitte der Anleihe überträgt.

Italien soll ein Recht auf Rückzahlung entsprechend einem Zahlungsschlüssel haben, der demjenigen gleich ist, der für die englische Forderung desjenigen Teiles des englischen Vorschusses angenommen ist, der nach Verwendung gemäss dem Wortlaut des Anhanges A nicht eingezogen worden ist. Im Falle der Inanspruchnahme der Garantie soll Italien, was die Garantie von 130 Millionen anbetrifft, nur die auf den Teil der Anleiheannuität entfallende Belastung tragen, die dem Betrag der ihm zustehenden Rückzahlungen entspricht.

Soweit Italien auf diese Weise einen Teil der Garantie für die 130 Millionen übernehmen sollte, wird der Garantieanteil Frankreichs, der Tschechoslowakei und Grossbritanniens um ebensoviel herabgesetzt werden.

Ausgefertigt in Genf am 4. Oktober eintausendneunhundertundzweiundzwanzig.

(Gezeichnet)

Balfour G. Hanotausc Imperiali \ Krcmaf( Pospisil

842

Erläuternde Note.

Aus der Vergleichung des Artikels 5 des Protokolls Nr. II (der die vereinbarungsgemäss unter die vier Regierungen zu verteilende Garantie auf eine Höchstziffei von 84 °/o festsetzt), der Einleitung und des Anhanges B ergibt sich: Dass jede der vier Regierungen sich verpflichtet, je 20 % der Annuität, entsprechend dem zur Deckung des Defizits von 520 Millionen auf dem Anleihewege aufgenommenen Kapitals, zu garantieren ; dass die Verteilung der Garantie für den überschüssigen Betrag der Annuität, entsprechend der Differenz von 130 Millionen zwischen dem Gesamtbetrage von 650 Millionen und dieser Summe von 520 Millionen, gemäss dem Anhang B geregelt werden solU G e n f , den 4. Oktober 1922.

(Gezeichnet) Balfour G. Hanotaux Imperiali l Krlma?

\ Pospisil

Seilaffe

1F.

Protokoll Nr. III.

Der Unterzeichnete, im Namen der österreichischen Regierung zu diesem Zweck gehörig bevollmächtigt, erklärt, die folgenden Verpflichtungen anzunehmen : 1. Die österreichische Regierung wird das Parlament um die Ratifizierung der von ihr unterzeichneten politischen Erklärung, die den Gegenstand des Protokolls Nr. I bildet, ersuchen.

2. Die österreichische Regierung wird binnen einem Monat in Gemeinschaft entweder mit dem Generalkommissär, desse» Befugnisse den Gegenstand des untenstehenden Paragraphen 4 bilden, oder mit einer vorläufigen Delegation des Rates des Völkerbundes, die zu diesem Zwecke ernannt werden kann, ein Reformund Sanierungsprogramm aufstellen, das schrittweise durchgeführt werden und bestimmt sein soll, Österreich die Wiederherstellung

843

eines dauernden Gleichgewichts in seinem Budget binnen zwei Jahren zu ermöglichen, und dessen Grundlinien in dem Bericht des Finanzkomitees festgestellt worden sind. Dieses Programm soll Österreich in den Stand setzen, durch Steigerung der Einnahmen und Herabsetzung der Ausgaben seinen Verpflichtungen zu genügen; es soll jede Zuflucht zu Anleihen, ausser unter den dort festzusetzenden Bedingungen, ausschliessen ; es soll nach dem Wortlaut der künftigen Satzungen der zu errichtenden Notenbank jede neue Inflation der Währung untersagen.

Es soll ferner Österreich die Möglichkeit geben, seine finanzielle Stabilität durch ein Programm von Massnahmen, die auf eine allgemeine Wirtschaftsreform hinzielen, zu gewährleisten. Der Bericht des Wirtschaftskomitees, der diese Seite des Problems behandelt, wird dem Generalkomissär in gebührender Weise mitgeteilt werden.

Es versteht sich, dass die österreichische Regierung, falls das erste Programm in der Durchführung als unzulänglich erscheinen sollte, um binnen zwei Jahren das dauernde Gleichgewicht des Budgets zu erreichen, in gemeinsamer Beratung mit dem Generalkommissär entsprechende Änderungen zum Zwecke der Erzielung des gewünschten Ergebnisses anbringen müsste. Die österreichische Regierung soll das Parlament um Genehmigung des oben erwähnten Planes ersuchen.

3. Die österreichische Regierung wird dem Parlament alsbald einen Gesetzentwurf vorlegen, der für die Dauer von zwei Jahren jeder Regierung, die in dieser Zeit die Geschäfte führen sollte, Vollmacht gibt, in den Grenzen dieses Programms alle Massnahmen zu ergreifen, die ihrer Ansicht nach notwendig sind, um am Ende dieses Zeitraumes die Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts zu gewährleisten, ohne dass es später erforderlich wäre, abermals die Genehmigung des Parlaments nachzusuchen.

4. Österreich erklärt sich mit der Ernennung eines Generalkommissärs durch den Rat des Völkerbundes einverstanden, der dem Rat verantwortlich sein und von ihm soll abberufen werden können. Seine Amtspflichten sind in grossen Linien in dem Bericht des Finanzkomitees festgelegt.

Seine Aufgabe besteht darin, zur Durchführung des Reformprogramins aufzufordern und seine Durchführung zu überwachen.

Der Generalkommissär wird seinen Sitz in Wien haben. Er kann sich mit dem notwendigen technischen Personal umgeben. Die Kosten des Generalkommissärs und seines Dienstes werden vom Rat genehmigt und fallen zu Lasten der österreichischen Regierung.

844

Der Generalkommissär wird dem Rat allmonatlich einen Bericht über den Fortschritt der Reformen und die erzielten Ergebnisse erstatten. Dieser Bericht wird den Mitgliedern des Kontrollkomitees unverzüglich mitgeteilt werden.

Die österreichische Regierung erklärt sich damit einverstanden, nur mit Ermächtigung des Generalkommissärs über die aus den Anleihen stammenden Mittel zu verfügen und zur Eskomptierung des Ergebnisses der Anleihen zu schreiten, wobei die Bedingungen, die vom Generalkommissär für die Erteilung dieser Ermächtigung festgesetzt werden sollen, keinen anderen Zweck haben dürfen, als die schrittweise Durchführung des Reformprogramms zu gewährleisten und eine Entwertung der für den Anleihedienst verwendeten Pfänder zu vermeiden.

Wenn die österreichische Regierung der Ansicht ist, dass der Generalkommissär seine Autorität missbraucht hat, kann sie beim Rat des Völkerbundes eine Berufung einreichen.

Die Amtsbefugnisse des Generalkommissärs erlöschen durch Beschluss des Rates des Völkerbundes, sobald dieser festgestellt hat, dass die finanzielle Stabilität Österreichs gesichert ist, unbeschadet der Sonderkontrolle über die für den Anleihedienst verwendeten Pfänder.

5. Die österreichische Regierung wird als Pfänder für die garantierte Anleihe die Bruttoeinnahmen der Zölle und des Tabakmonopols verwenden und, falls der Generalkommissär es für erforderlich hält, in Übereinstimmung mit ihm andere geeignete Pfänder. Sie wird keine Massnahme ergreifen, die nach Ansicht des Generalkommissärs geeignet wäre, den Wert dieser Pfänder derart herabzusetzen, dass die Sicherheit der Gläubiger und der Garantiestaaten bedroht werden könnte. Die österreichische Regierung soll im besonderen ohne Genehmigung des Generalkommissärs an den Tarifen der als Garantie verpfändeten Einkünfte keine Veränderungen vornehmen können, die geeignet wären, deren Gesamtmindestertrag, in Gold berechnet, so wie er vor der Ausgabe der Anleihen zur Deckung der notwendigen Annuitäten festgesetzt werden wird, zu verringern.

Der Ertrag der als Pfänder dienenden Bruttoeinnahmen wird nach Mass.gabe des Einganges im Hinblick auf die Sicherung des Annuitätendienstes der Anleihen auf ein Spezialkonto eingezahlt werden. Der Generalkommissär allein wird die Verfügung über dieses Konto haben. Der Generalkommissär soll das Recht haben, Änderungen und Verbesserungen, welche die Produktivität der als Garantie verpfändeten Einnahmen zu erhöhen geeignet sind,

845 .zu fordern. Für den Fall, dass die Geschäftsführung der österreichischen Regierung trotz solcher Vorstellungen seiner Ansteht nach den Wert dieser Pfönder ernstlich zu gefährden droht, soll er verlangen dürfen, dass diese Geschäftsführung einer besonderen Verwaltung übertragen wird, sei es durch Einführung einer Selbstverwaltung, sei es durch Erteilung einer Konzession oder durch- Verpachtung.

6. a) Die österreichische Regierung verpflichtet sich, keine Konzessionen zu vergeben, die nach Ansicht des Generalkommissärs die Durchführung des Reformprogramms zu gefährden geeignet wären.

b) Die österreichische Regierung wird auf jedes Recht der Ausgabe von Papiergeld verzichten und über keine Anleihe verhandeln, noch eine solche abschliessen, ausser wenn sie dem oben festgelegten Programm entspricht und der Generalkommissär seine Ermächtigung erteilt hat. Falls die österreichische Regierung die Notwendigkeit für gegeben halten sollte, ausserhalb der Bedingungen des in diesem Protokoll erwähnten Programms Anleihen in Aussicht zu nehmen, so muss sie diese Pläne dem Generalkommissäv und dem Kontrollkomilee zur vorherigen Genehmigung vorlegen.

o) Die österreichische Regierung wird das Parlament um ·die in Übereinstimmung mit dem Bericht des Finanzkomitees für erforderlich gehaltenen Änderungen an den Satzungen der Notenbank und gegebenenfalls an dem Gesetz vom 24. Juli 1922 (Gesetzblatt Nr. 490) ersuchen. Die Satzungen der Notenbank müssen ihr gegenüber der Regierung volle Selbständigkeit gewährleisten. Sie soll das Amt des Staatskassiers ausüben, die Einnahmeund Ausgabe-Operationen zentralisieren und periodische Ausweise zu den Zeitpunkten und in der Form veröffentlichen, wie es iti Übereinstimmung mit dem Generalkommissär festgesetzt werden wird.

d) Die österreichische Regierung wird alle Massnahmen ergreifen und durchführen, die zur vollen Verwirklichung des Sanierungsprogramms erforderlich sind, einschliesslich der Reformen der Verwaltung und der notwendigen Änderungen in der Gesetzgebung.

7. Die österreichische Regierung wird alle Massnahmen zur Sicherung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ergreifen.

8. Alle oben festgesetzten Verpflichtungen betreffend die Befugnisse des Generalkommissärs oder die Reformen finanzieller Bundeeblatt. 74. Jahrg. Bd. III.

57

#46 oder verwaltungmässiger Art, soweit .sie sich auf die Zeit nach dem 1. Januar 1923 beziehen, gelten bedingt und sollen erst endgültig werden, wenn die britische, französische, italienische und tschechoslowakische Regierung ihr Garantieversprechen durch die Genehmigung ihrer Parlamente bestätigt haben.

Die österreichische Regierung verpflichtet sich indessen endgültig: a) Schon jetzt alle in ihrer Macht stehenden Massnahmen zu ergreifen, um das Defizit zu verringern ; diese Massnahmeu umfassen im besonderen eine Erhöhung der Tarife von Eisenbahn, Post und Telegraph sowie der Verkaufspreise der Monopolerzeugnisse ; b) dem österreichischen Parlament sofort den in § 3 erwähnten Gesetzentwurf vorzulegen, der für die Dauer von zwei Jahren der gegenwärtigen Regierung und jeder ihr folgenden Regierung Vollmacht gibt, alle Massnahmen zu ergreifen, die ihrer Ansicht nach erforderlich sind, um für das Ende dieses Zeitraumes die Wiederherstellung des Budgetgleichgewichtes zu gewährleisten : c) sofort ein Reformprogramm auszuarbeiten, die notwendigen gesetzgeberischen Massnahmen zu veranlassen und die ersten Ausführungsbestimmungen, die in diesem Programm vorgesehen sind, bis zum 1. Januar 1923 in Anwendung zu bringen.

9. Im Falle einer strittigen Auslegung dieses Protokolls werden die Parteien das Gutachten des Rates des Völkerbundes annehmen.

Das gegenwärtige Protokoll wird den Signatarstaaten des Protokolls Nr. II, unterzeichnet in Genf am 4. Oktober 1922, mitgeteilt werden.

Zu Urkund dessen hat der Unterfertigte, zu diesem Zwecke gehörig bevollmächtigt, das gegenwärtige Protokoll unterzeichnet.

Ausgefertigt zu Genf am 4. Oktober eintausendneunhundertundzweiundzwanzig in einem einzigen Exemplar, das im Sekretariat des Völkerbundes niedergelegt bleibt und von ihm sofort registriert werden wird.

(Gezeichnet) Seipel

847

Beilage V.

Eesolution (angenommen vom Rate des Völkerbundes am 4. Oktober 1922).

Der Rat hat vom Präsidenten der Konferenz der alliierten Hauptmächte, die in London am 15. August 1922 stattfand, ein Gesuch erhalten, sich mit der Lage Österreichs zu beschäftigen.

Der Rat hat die Regierungen Österreichs und der Tschechoslowakei aufgefordert, an seinen Verhandlungen teilzunehmen.

Ein Komitee, bestehend aus den Delegierten Grossbritanniens, Frankreichs, Italiens, der Tschechoslowakei und Österreichs, ist gebeten worden, die dem Rate vorzulegenden Resolutionen auszuarbeiten 5 dieser hat die entsprechenden Vorschläge soeben erhalten.

Gremäss diesen Vorschlägen billigt der Rat unter Hinzufügung der untenstehenden Bestimmungen den ihm vorgelegten Plan : die Protokolle Nr. I, II samt Anhängen, und III.

Er ist damit einverstanden, die Pflichten und die Verantwortlichkeit zu übernehmen, die sich daraus ergeben, und empfiehlt den Beitritt zu den Protokollen Nr. I und II jedem Staate, der den Wunsch hat, an der Wiederaufrichtung Österreichs durch Teilnahme an dem fraglichen Plane mitzuhelfen.

Der Rat fordert das Komitee für Österreich auf, weiterhin die Entwicklung der Lage zu verfolgen, um ihm einen Bericht zu erstatten, so oft es die Lage erfordern sollte.

Das Komitee wird gebeten, unverzüglich den in den Protokollen Nr. II und III erwähnten Generalkommissär im Hinblick auf die Ratifizierung durch den Rat zu bezeichnen; und es ist dabei verstanden, dass dieser Generalkommissär keiner der vier an der Anleihe' teilnehmenden Hauptmächte, noch einem der Nachbarländer Österreichs angehören darf.

Auf Vorschlag der Garantiemächte, die Unterzeichner des Protokolls Nr. II sind, beschliesst der Rat, dass die Präsidentschaft in dem Kontrollkomitee der Garantiemächte, solange das in den Protokollen Nr. II und III beschriebene Kontrollsystem besteht*), dem italienischen Mitglied des Komitees und die Vizepräsidentschaft dem tschechoslowakischen Mitgliede zustehen soll.

Der französische Wortlaut der Protokolle und Anhänge soll massgebend sein.

*) Hinsichtlich dieser letzten Resolution ist wohl verstanden, dass die Worte, ,,so lange das Kontrollsystem besteht" sich nicht auf die Soliderkontrolle beziehen, die im.Paragraphen 4 (letzte Zeile) des Protokolls Nr. III in Aussicht genommen ist.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die finanzielle Beteiligung der Schweiz an der Wiederaufrichtung Österreichs. (Vom 1. Dezember 1922.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1922

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

49

Cahier Numero Geschäftsnummer

1680

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

06.12.1922

Date Data Seite

797-847

Page Pagina Ref. No

10 028 544

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.