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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung der Abänderung von Art. 23, 25, 26, 27, 30, 34, 39, 74, 75, 76 und 77 der Verfassung des Kantons Unterwaiden ob dem Wald vom 5. März 1922.

(Vom 23. Mai 1922.)

Die Verfassung des Kantons Unterwaiden ob dem Wald vom 27. April 1902 wurde an der Landsgemeinde vom 25. April 1909 durch einen Art. 11 ergänzt, der zwölfhundert stimmfähigen Bürgern wie auch dem Kantonsrat die Befugnis verlieh, eine geheime Abstimmung des Volkes in den Gemeinden herbeizuführen über Totalrevision der Kantonsverfassung, sowie über partielle Revisionen, die ausschliesslich die Regelung der Volksrechte oder die Organisation der Behördeu berühren. Infolge einer solchen Initiative hat das Obwaldnervolk in der Abstimmung vom 5. März 1922 eine teilweise Verfassungsrevision beschlossen, für welche die Gewährleistung des Bundes nachgesucht wird.

Die von der Revision erfassten Artikel lauten im bisherigen und im neuen Wortlaut folgendermassen : Bisheriger Text:

Art. 23.

Die Abstimmungen an der Landsgemeinde geschehen durch das Handmehr. Wird eine andere Abstimmungsart notwendig, so setzt der Landammann oder wenn die Landsgemeinde mit dessen Vorschlage nicht einverstanden ist, diese dieselbe fest. Bei Wahlen wird die absolute Mehrheit der Stimmenden erfordert.

Neuer Text: Abs. l unverändert.

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Neuer Abs. 2: ,,Die Entscheidung über kantonale Gesetzes- und Steuervorlagen soll immer durch geheime Urnenabstimmung in den Gemeinden stattfinden und zwar binnen Monatsfrist nach der ordentlichen Landsgemeinde. " Art. 25.

Die Landsgemeinde ist die gesetzgebende Behörde und als solche steht ihr zu : a. Der Entscheid über Vornahme der Verfassuugsrevision nach Massgabe der Artikel 75--77, sowie über Annahme und Verwerfung von Gesetzen. Immerhin kann die Landsgemeinde den Erlass eines Gesetzes auch dem Kantonsrate übertragen.

Als Gesetze werden alle Erlasse angesehen, welche die Rechte und Pflichten der Privaten, der öffentlichen Genossenschaften, der Gemeinden und des Staates, sowie die organischen Einrichtungen des Staates, des Gerichts- und Verwaltungswesens allgemein und bleibend ^bestimmen.

abis. Der Entscheid über die kraft des fakultativen Referendums oder der Initiative ihr unterbreiteten Vorlagen oder Anträge.

6. Die jährliche Entgegennahme eines kurzen Berichtes über den Staatshaushalt.

,,Der Landsgemeinde stehen folgende Befugnisse zu: a. Die Beratung der kantonalen Verfassungs-, Gesetzes- und Steuervorlagen und bezüglichen Bürgeranträge.

Als Gesetze werden alle Erlasse angesehen, welche die Rechte und Pflichten der Privaten, der öffentlichen Genossenschaften, der Gemeinden und des Staates, sowie die organischen Einrichtungen des Staates, des Gerichts- und Verwaltungswesens allgemein und bleibend bestimmen.

6. Der Entscheid über die kraft des fakultativen Referendums oder der Initiative ihr unterbreiteten Vorlagen oder Anträge, soweit sie nicht die Verfassung, Gesetzgebung und Steuern betreffen.

c. Die jährliche Entgegennahme eines kurzen Berichtes über den Staatshaushalt.

. d. Die Beschlussfassung über einmalige Ausgaben, welche Fr. 20,000 und über wieder-

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e. Die Bewilligung einer Staatssteuer.

d. Die Beschlussfaüsiung über einmalige Ausgaben, welche Fr. 15,000 und über wiederkehrende Ausgaben, sofern sie je für einen bestimmten Zweck Fr. 3000 übersteigen.

e. Die Erteilung des Kantonsbürgerrechtes.

f. Die Festsetzung des Salzpreises.

Art. 26.

Jeder Stimmfähige hat das Recht, jeweilen bis 1. Januar dem Landammannamt Anträge, welche ihrer Natur nach in den Bereich der Landsgemeinde gehören, sowie solchs betreffend den Erlass, die Abänderung oder Aufhebung von Verordnungen (Art. 31, Abs. 2), soweit diese ihrem Inhalte nach nicht .vom Bundesrecht gefordert sind, zuhanden der Landsgemeinde einzureichen. Die Eingabe musa schriftlich abgefasst, mit Erwägungsgründen begleitet und vom Antragsteller unterzeichnet sein. Diese Bestimmung findet indessen keine Anwendung mit Bezug auf Verordnungen, welche die Verwaltung solcher wirtschaftlicher Staatsunternehmungen regeln, die nach kaufmännischen Grundsätzen zu verwalten sind.

Sofern eine solche Eingabe keine Verletzung der Bundesoder Kantonsverfassung oder von Privatrechten in sich schliesst,

kehrende Ausgaben, sofern sie je Fr. 5000 für einen bestimmten Zweck übersteigen.

e. Die Erteilung des Kantonsbürgerrechtes.

f. Die Festsetzung des Salzpreises.tt

Abs. l und 2 unverändert.

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sich auch nicht gegen die von den übrigen Behörden in Gemässheit ihrer Befugnisse erlassenen Beschlüsse und Urteile richtet, so ist die Vorlage der nächsten Landsgemeinde zu unterbreiten. Der Kantonsrat hat dieselbe mit seinem Gutachten zu begleiten. Lautet dasselbe auf Verwerfung, so kann der Antragsteller seine Eingabe zurückziehen, wodurch dieselbe erledigt ist. Beharrt er dagegen auf der Vorlage, so hat er an der Landsgemeinde persönlich für dieselbe einzustehen. Erscheint der Initiant nicht an der Landsgemeinde, so gilt dies als Verzicht auf den Initiativvorschlag. An der Landsgemeinde fällt einzig in Abstimmung die unveränderte Annahme des Initiativantrages oder des kantonsrätlichen Gegenantrages oder die Verwerfung beider Anträge.

Neuer Abs. 3: ,,Ferner hat jeder Stimmfähige das Recht, Anträge betreffend den Erlass, die Abänderung oder die Aufhebung kantonaler Gesetze und Steuerbeschlüsse zuhanden . der geheimen Urnenabstimmung bis 1. Januar dem Landammann einzureichen."

Art. 27.

Die Landsgemeinde kann nur über solche Gegenstände beschliessen, wegen welcher sie einberufen worden ist.

Die Verhandlungsgegenstände der Landsgemeinde sind jeweilen spätestens vierzehn Tage vor

356 deren Abhaltung im Amtsblatte zu veröffentlichen. Vorlagen aber, die unter Art, 77 der Verl'assung fallen, müssen spätestens fünf Wochen vor der Landsgemeinde im Amtsblatt veröffentlicht werden.

Leister Satz r/estrichen.

Art. 30.

Der Kantonsrat stellt die Vorlagen fest, welche von ihm oder vom Regierungsrate der Landsgemeinde vorgelegt werden wollen. Ebenso begutachtet er die Eingaben, welche von einzelnen Stimmberechtigten nach Massgabe von Art. 2(5 zuhanden der Landsgemeinde eingereicht werden.

Er stellt auch diejenigen Gesetze fest, zu deren Erlasse er von der Laudsgemeinde bevollmächtigt worden ist, Sofern indessen innert zwei Monaten nach amtlicher Veröffentlichung eines solchen Gesetzes 400 stimmfähige Bürger beim Kantonsrate daa Begehren stellen, dass das Gesetz der Landsgemeinde vorgelegt werde, so muss dasselbe der nächsten ordentlichen Landsgemeinde zur Annahme oder Verwerfung unterstellt werden. In diesem Falle ist bis zum Entscheide der Landsgemeinde = der Vollzug des Gesetzes einzustellen.

,,Der Kantonsrat stellt die Vorlagen fest, welche von ihm oder vom Regierungsrat der geheimen Urnenabstimmung des Volkes oder der Landsgemeinde vorgelegt werden wollen. Ebenso begutachtet er die Eingaben, welche von einzelnen Stimmberechtigten nach Massgabe von Art. 26 zuhanden der Urnenabstimmung oder der Landsgemeinde eingereicht werden. tc

Abs. 2 und 3 fallen weg.

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Art. 34.

Der Regierungsrat besteht aus sieben Mitgliedern. Derselbe ist die Vollziehung«- und Verwaltungsbehörde des Kantons. In seinen Geschäftskreis fällt vorzüglich folgendes: a. DerVollzug der Gesetze, Verordnungen und Beschlüsse der Landsgemeinde und des Kantonsrates,- der richterlichen Straf urteile, der Zivilurteile der Gerichte und Schiedsgerichte im Weigerungsfalle und der Beschlüsse der ihm untergeordneten Behörden, wenn der Vollzug nicht unmittelbar von letzteren ausgeht.

Zu dem Zwecke stellt er von sich aus jene Erlasse fest, welche sich als blosse Ausführungsbestimmungen zur Vollziehung von Gesetzen und Verordnungen darstellen.

Art. 39.

Der Landammann präsidiert den Regierungsrat und die Landsgemeinde, er nimmt die vom Regierungsrat zu erledigenden oder vorzuberatenden Geschäfte entgegen ; er unterzeichnet die von diesen Behörden ausgehenden Akten und bewahrt die Standesinsignien auf; er überwacht den Vollzug der vom Regierungsrat gefassten Beschlüsse.

,,a. DerVollzugderGesetze,Verordnungen und Beschlüsse des stimmberechtigten Volkes und des Kantonsrates,der richterlichen Strafurteile,der Zivilurteile derGerichte und Schiedsgerichte im Weigerungsfalle und der Beschlüsse der dem Regierungsrat untergeordneten Behörden, wenn der Vollzug nicht unmittelbar von letzteren ausgeht. Zu dem Zwecke stellt er von sich aus jene Erlasse fest, welche sich als blosse AusführungsbestimmuQgen zur Vollziehung von Gesetzen und Verordnungen darstellen."

,,Der Landammann präsidiert den Regierungsrat und die Landsgemeinde, er nimmt die vom Regierungsrat zu erledigenden oder vorzuberatenden Geschäfte entgegen; er unterzeichnet die von diesen Behörden und vom stimmberechtigten Volk ausgehenden Akten und' bewahrt die Standesinsignien auf; er überwacht den Vollzug der vom Regierungsrat gefassten Beschlüsse."

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Art. 74.

Wenn fünfhundert stimm,,Wenn fünfhundert stimmfähige Kantonseicwohner das fähige Kantonseinwohner das Verlangen einer Totalrevision Verlangen einerGesamtänderung der Verfassung bei dem Kantons- der Verfassung an den Kantonsrate stellen, muss letzterer das- rat richten, muss letzterer dieses selbe der nächsten ordentlichen Begehren spätestens binnen MoLandsgemeinde zur Abstimmung natsfrist nach der nächsten Landsvorlegen. Der Kantorisirat kann gemeinde der geheimen Urnenauch von sich aus der Lands- abstimmung des Volkes in den gemeinde Totalrevision bean- Gemeinden unterbreiten. Der tragen, wenn die absolute Mehr- Kantonsrat kann auch von sich heit seiner anwesenden Mit- aus dem Volk eine Gesamtändeglieder dafür stimmt.

rung der Verfassung beantragen, wenn die absolute · Mehrheit seiner anwesenden Mitglieder dafür stimmt."

Art. 75.

Wird von der Landsgemeinde Totalrevision beschlossen, so hat letztere gleichzeitig zu entscheiden, ob diese Revision durch den Kantonsrat oder durch einen Verfassungsrat zu geschehen habe.

Beschliesstdie Landsgemeinde Vornahme der Revision durch einen Verfassungsrat, so haben an einem nächsten, aul'die Landsgemeinde folgenden Sonntage die Einwohnergemeinden dann so viel Mitglieder in denselben zu wählen, als auf sie Mitglieder des Kantonsrates entfallen.

Erfolgt die Verwerfung des Verfassungsentwurfes, so entscheidet die Landsgerneinde zugleich, ob die Revision fallen zu lassen oder ob und durch welche Behörde sie fortzusetzen sei.

,,Gleichzeitig hat das Volk darüber zu entscheiden, ob die Gesamtänderung durch den Kantonsrat oder durch einen Verfassungsrat zu geschehen habe.

Beschliesst das Volk die Vornahme der Gesamtänderung durch einen Verfassungsrat, so haben binnen Monatsfrist die Einwohnergemeinden so viele Mitglieder in den Verfassungsrat zu wählen, als auf sie Mitglieder des Kantonsrates entfallen.

Das stimmberechtigte Volk entscheidet spätestens einen Monat nach der nächsten Landsgemeinde über die Annahme oder Ablehnung des Verfassungsentwurfes.a

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Art. 76.

Wenn fünfhundert stimmfähige Kantonseinwohner die Abänderung einzelner Artikel der Kantonsverfassung (Partialrevision verlangen wollen, so haben sie die betreffenden Artikel genau zu bezeichnen und den neuen Wortlaut derselben festzustellen.

Der Kantonsrat prüft alsdann das Verlangen und unterbreitet dasselbe mit seinem zustimmenden oder ablehnenden Gutachten oder mit seinem Gegenantrag ohne weiteres der nächsten ordentlichen Landsgemeinde.

Dem Kantonsrat steht nicht minder von sich aus zu, der Landsgemeinde Anträge auf Abänderung einzelner Artikel der Kantonsverfassuug zu unterbreiten.

Auch hat er in diesem Falle die zu revidierenden Artikel ge-

,,Wenn fünfhundert stimmfähige Kantonseinwohner die Abänderung einzelner Artikel der Kantonsverfassung (Partialrèvision) verlangen wollen, so haben sie die betreffenden Artikel genau zu bezeichnen und den neuen Wortlaut derselben festzustellen.

Der Kantonsrat prüft alsdann das Verlangen und unterbreitet dasselbe mit seinem zustimmenden oder ablehnenden Gutachten oder mit seinem Gegenantrag ohne weitereä'der geheimen Urnenabstimmung des Volkes in den Gemeinden.

Diese findet spätestens einen Monat nach der nächsten ordentlichen Landsgemeinde statt.

Wenn jedoch der Kantonsrat dem Bürgerantrag eine eigene Vorlage entgegenstellt, so ent: scheidet das Volk in geheimer Urnenabstimmung zuerst über die Frage, welche von beiden Vorlagen allfällig bevorzugt wird, sodann am zweitfolgenden Sonntag über die Frage, ob die bevorzugte Vorlage endgültig angenommen oder abgelehnt wird.

Dem Kantonsrat steht nicht minder von sich aus zu, der geheimen Urnenabstimmung des Volkes in den Gemeinden Anträge auf Abänderung einzelner Artikel der Kantonsverfassung zu unterbreiten.

Auch hat er in diesem Fall die zu revidierenden Artikel ge-

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nau zu bezeichnen und deren neuen Wortlaut festzustellen.

Eine Aufrage an die Landsgemeinde, ob überhaupt revidiert werden wolle, findet io Fällen der Partialrevision nicht statt, sondern es entscheidet die Landsgemeinde jeweilen sofort über Annahme oder Verwerfung der ihr unterbreiteten, formulierten Anträge.

Art. 77.

Zwölfhundert Stimmfähigen steht das Recht zu, spätestens drei Wochen vor der Landsgemeinde beim Landammannamt zu verlangen, dass dem Volke zum Entscheide in geheimer Abstimmung in den Gemeinden die Frage vorgelegt wird:.

a. über eine allfällige Totalrevision der Kantoosverfassung ; &. über allfällige Wahl eines Verfassungsrates ; c. über Annahme oder Verwerfung des Entwurfes; d. über Anträge auf Vornahme partieller Verfasaungsrevisionen, sofern diese Änderungen ausschliesslich die Regelung der Volksrechte oder die Organisation der Behörden bezwecken.

Der Kantonsrat kann auch von sich aus in diesen Fällen geheime Abstimmung in den Gemeinden anordnen.

Im Falle geheime Abstimmung in den Gemeinden stattzufinden

nau zu bezeichnen und deren neuen Wortlaut festzustellen.

Eine Anfrage an das Volk, ob überhaupt revidiert werden soll, findet in Fällen der Partialrevision nicht statt."1

Aufgehoben.

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hat, bestimmt der Regierungsrat den Tag der Abstimmung; er erlässt auch eine auf diese Abstimmungen bezügliche Verordnung.

Die Vergleichung der beiden Texte lässt erkennen, dass die Verfassungsrevision vom 5. März 1922 sehr bedeutsame Umge·staltungen in der Ausübung der politischen Rechte des ObwaldnerTolkes gebracht hat. Für die Entscheidung über Gesetzesvorlagen und Verfassungsrevisionen ist an Stelle der Landsgemeind a die Urnenabstimmung in den Gemeinden getreten, und ferner ist das Recht der Initiative erweitert worden. Die abgeänderten Bestimmungen scheiden sich in drei Gruppen, die gesondert zu betrachten sind.

1. Durch die E i n f ü h r u n g der U r n e n a b s t i m m u n g ü b e r G e s e t z e s - und S t e u e r v o r l a g e n - i s t der Halbkanton Obwalden im wesentlichen von der unmittelbaren zu repräsentativen Demokratie übergegangen. Bisher war nach Art. 25 der Verfassung die Landsgemeinde gesetzgebende Behörde. Sie konnte allerdings auch dem Kantonsrat den Erlass eines Gesetzes übertragen, das alsdann nach Art. 30, Abs. 3, dem fakultativen Referendum unterstand; es musste auf Begehren von 400 stimmfähigen Bürgern der nächsten Landsgemeinde zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden. Die Urnenabstimmung in den Gemeinden kannte die Verfassung bisher, seit der Revision vom 25. April 1909, nur für Verfassungsrevisionen, wo sie von 1200 Bürgern verlangt oder vom Kantonsrat von sich aus angeordnet werden konnte (Art. 77).

Die gegenwärtige Revision hat der Landsgemeinde den Entscheid über Gesetzes- und Steuervorlagen entzogen. Diese Gegenstände werden an der Landsgemeinde beraten, die Entscheidung aber findet, binnen Monatsfrist nach der Landsgemeinde, durch geheime Urnenabstimmung in den Gemeinden statt (Art. 25, lit. a, Art. 23, neuer Abs. 2). Die Landsgemeinde kann deshalb auch nicht mehr, wie bisher im Eingang des Art. 25, als gesetzgebende Behörde bezeichnet werden. Der Kantonsrat stellt die Vorlagen fest, die von ihm oder dem Regierungsrat sei es der Landsgemeinde, sei es nun der Urnenabstimmung des Volkes, je nach dem Gegenstand, unterbreitet werden sollen (Art. 30). Von einer Delegation der Gesetzgebungskompetenz durch die Landsgemeinde an den Kantonsrat (bisher Art. 25, lit. a, und Art. 30, Abs. 2)

362 kann nicht mehr die Rede sein, und damit wird auch der bisherige Abs. 3 des Art.. 30 (Referendum gegen die vom Kantonsrat erlassenen Gesetze) gegenstandslos. Die Revision der Art. 34, lit. a, und 39 beschränkt sich auf die durch die Neuordnung erforderten Änderungen des Textes.

Hinsichtlich der Schaffung von Gesetzesrecht weist nun Obwalden die Staatsform der repräsentativen Demokratie mit obligatorischem Referendum auf, wobei der Landsgemeinde immerhin noch die Funktion der beratenden Instanz gewahrt bleibt. Bundesrechtlich steht dieser Ordnung nichts entgegen. Art. 6, lit. &, der Bundesverfassung verlangt nur, dass die kantonalen Verfassungen die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen (repräsentativen oder demokratischen) Formen sichern.

Diese Voraussetzung der Gewährleistung erfüllen auch die eben besprochenen Artikel der revidierten Verfassung. Wir erinnern daran, dass die Bundesversammlung bei der Partialrevision der Obwaldner Verfassung vom 27. April 1906, im Gegensatz zum Antrag des Bundesrates (Bundesbl. 1906, III, 838), einer Bestimmung, die den dritten Absatz des" Art. 30 aufheben sollte, die Gewährleistung versagte (Gesetzsammlung XXII, 329). Da aber die gegenwärtige Revision den Art. 30, Abs. 3, schlechthin gegenstandslos macht,, bildet dessen Wegfall heute kein Hindernis für die Gewährleistung mehr.

2. Eine Erweiterung hat das in Art..26 geordnete I n i t i a t i v r e c h t erfahren. Bisher konnte jeder Stimmfähige dem Landammann zuhanden der Landsgemeinde Anträge einreichen, ,,welche ihrer Natur nach in den Bereich der Landsgemeinde gehören, sowie solche betreffend den Erlass, die Abänderung oder Aufhebung von Verordnungen, soweit diese nicht vom Bundesrecht gefordert sind". Der neu beigefügte Absatz 3 gewährt dieses Recht ausdrücklich ar.ch für Anträge betreffend den Erlass, die Abänderung oder die Aufhebung von Gesetzen und Steuerbeschlüssen. Es mag weit gehen, dergestalt jedem einzelnen stimmberechtigten Bürger die Gesetzesinitiative zuzuerkennen, zumal da keine Garantie dafür besteht, dass nicht ein durchaus notwendiges Gesetz oder ein Steuerbeschluss in dieser Weise durch Initiative aus dem Volke beseitigt werden kann, ohne dass zugleich ein neuer Erlass an seine Stelle tritt, und da auch keine Befristung für die Aufhebung eines Gesetzes auf diesem Wege
vorgesehen ist. Immerhin ist eine so weite Ausgestaltung der Gesetzesinitiative butidesrechtlich nicht zu beanstanden, und sie findet sich in der Ta:; ' in allen Landsgemeindekantonen mit Aus-

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nähme von Appenzell A.-Rh., in modifizierter Form übrigens auch in Zürich (Art. 29, Abs. 2, der Kantonsverfassung). Wir wollten nur darauf hinweisen, dass sie unter Umständen die Gefahr einer bedenklichen Lücke in der kantonalen Gesetzgebung im Gefolge haben kann.

3. Auch über V e r f a s s u n g s r e v i s i o n e n ist nach der neuen Fassung der Art. 74, 75 und 76 immer in geheimer Urnenabstimmung in den Gemeinden zu entscheiden. Es wird zwischen Partial- und Totalrevision unterschieden. In beiden Fällen kann die Initiative dazu von 500 Stimmberechtigten oder vom Kantonsrat ausgehen. Das Begehren um Totalrevision ist, anstatt wie bisher der Landsgemoinde, der Urnenabstimmung des Volkes vorzulegen (Art. 74), das zugleich mit der Entscheidung der Frage, ob eine Totalrevision stattzufinden hahe, sich für den Fall der Bejahung auch darüber zu äussern hat, ob der Entwurf der neuen Verfassung vom Kantonsrat oder von einem besonders zu wählenden Verfassungsrat auszuarbeiten sei (Art. 75). Wird der Entwurf in der Urnenabstimmung dßs Volkes abgelehnt, so ist damit die Revision gescheitert, während nach dem bisherigen Art. 75, Abs. 3, die Landsgemeinde weiter zu entscheiden hatte, ob die Revision fallen zu lassen oder ob und durch welche Behörde sie fortzusetzen sei.

Die Initiative für Partialrevision kennt- die Obwaldner Verfassung nur in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs, nicht auch der allgemeinen Anregung (Art. 76). Geht die Initiative vom Volk aus, so kann ihr der Kantonsrat eine eigene Vorlage gegenüberstellen. In diesem Falle sind nun zwei Urnenabstimmungen notwendig : eine eventuelle über die Frage, welche Vorlage für den Fall des Zustandekommens der Revision bevorzugt wird, und die definitive über.Annahme oder Ablehnung dieser Vorlage. Die beiden Abstimmungen, die sich in der Landsgemeinde unmittelbar folgen konnten, müssen nun zeitlich getrennt werden, da die zweite erst nach Ermittlung des Ergebnisses der ersten vorgenommen werden kann (Art. 76, Abs. 3).

Der bisherige Art. 77, der einzig für Verfassungsrevisionen die Möglichkeit einer durch Initiative von 1200 Stimmberechtigten oder durch den Kantonsrat zu veranlassenden Urnenabstimmung vorsah, ist infolge der Revision der Art. 74--76 überflüssig geworden, damit auch der auf jenen verweisende .letzte Satz des Art. 27.

Die Neuordnung der Vorschriften über die Revision der Verfassung enthält wiederum nichts Bundesrechtswidriges ; insbesondere

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erfüllt sie so gut wie die bisherige Ausgestaltung, nur in veränderter Form, die Forderung des Art. 6 der Bundesverfassung, dass jede Kantonsverfassung auf Verlangen der absoluten Mehrheit der Bürger muss revidiert werden können.

Da demnach der Gewährleistung der revidierten Obwaldnerverfassung nichts entgegensteht, beantragen wir Ihnen, sie in der Form des beiliegenden Beschlussesentwurfes zu erteilen.

B e r n , den 23. Mai 1922.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident: Scheurer.

Der Bundeskanzler: Steiger.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Gewährleistung der Abänderung von Art. 23, 25, 26, 27, 30, 34, 39, 74, 75, 76 und 77 der Verfassung des Kantons Unterwaiden ob dem Wald vom 5. März 1922.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Kenntnisnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 23. Mai 1922 über die Gewährleistung der vom Ob waldner Volk in der Abstimmung vom 5. März 1922 beschlossenen teilweisen .Revision der Kantonsverfassung vom 27. April 1902, in Erwägung, dass diese Verfassungsänderung nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthält, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, b e s e h li esst : 1. Der durch die Volksabstimmung vom 5. März 1922 beschlossenen Abänderung der Art. 23, 25, 26, 27, 30, 34, 39, 74, 75, 76 und 77 der Verfassung des Kantons Unterwaldeu ob dem Wald vom 27. April 1902 wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Bundesblatt. 74. Jahrg. Bd. II.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung der Abänderung von Art. 23, 25, 26, 27, 30, 34, 39, 74, 75, 76 und 77 der Verfassung des Kantons Unterwalden ob dem Wald vom 5. März 1922. (Vom 23. Mai 1922.)

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Bundesblatt

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Foglio federale

Jahr

1922

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

22

Cahier Numero Geschäftsnummer

1602

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

31.05.1922

Date Data Seite

352-365

Page Pagina Ref. No

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