No 14 # S T #

Bundesblatt

74. Jahrgang.

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527

1575

Bern, den 5. April 1922.

Band I.

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung der Abänderung der Art. 6, Ziff. 4, 10, 11, 26, Ziff. 9, 45, 46, 47, 56 und 57 der Verfassung des Kantons Bern.

(Vom 31. März 1922.)

In der Volksabstimmung vom 4. Dezember 1921 nahm das Bernervolk zwei Vorlagen betreffend Revision der Staatsverfassung vom 4. Juni 1893 an, für die der Regierungsrat des Kantons Bern die eidgenössische Gewährleistung nachsucht.

1. Die erste dieser Vorlagen hat durch Abänderung des Art. 6, Ziffer 4 und des Art. 26, Ziffer 9, der Verfassung die Zuständigkeit des Grossen Rates und des Regierungsrates zur Beschlussfassung über Staatsausgaben erhöht. Die beiden Bestimmungen lauten in ihrer alten und neuen Fassung folgendermassen : Fassung vom 4. Juni 1893 : Fassung vom 4. Dezember 1921 : Ari. 6. Der Volksabstimmung Art. 6. Der Volksabstimmung unterliegen : unterliegen : 4. Diejenigen Beschlüsse des Grossen Rates, welche für den gleichen Gegenstand eine Gesamtausgabe von mehr als fünfhunderttausend Franken zur Folge haben.

Art. 26. Dem Grossen Rat, als der höchsten Staatsbehörde, sind folgende Verrichtungen übertragen : Bundesblatt

74. Jahrg. Bd. I.

4. Diejenigen Beschlüsse des Grossen Rates, welche für den gleichen Gegenstand eine Gesamtausgabe von mehr als einer Million Franken zur Folge haben.

Art. 26. Dem Grossen Rat, als der höchsten Staatsbehörde, sind folgende Verrichtungen übertragen : 37

528 9. Die Beschlussfassung über 9. Die Beschlussfassung über Ausgaben, welche für den Ausgaben, welche für dea gleichen Gegenstand zehntau- gleichen Gegenstand dreissigsend Franken übersteigen, bis tausend Franken übersteigen,, zu dem in Art. 6, Ziffer 4, be- bis zu dem in Art. 6, Ziff. 4,.

stimmten Betrage.

bestimmten Betrage.

Nach der neuen Ordnung kann der Regierungsrat, dem gemäss Art. 36 der Verfassung die gesamte Regierungsverwaltung innerhalb der Schranken der Verfassung und Gesetze zusteht, Ausgaben für einen Gegenstand bis zu dreissigtausend (bisher zehntausend) Franken beschliessen ; von dieser Grenze bis zu einer Million (bisher ejner halben Million) Franken ist der Grosse Rat zuständig, und für noch höhere Ausgaben muss das Volk befragl werden.

2. Die zweite Vorlage hat eine Vereinfachung der ßezirksverwaltung zum Gegenstand, die in Ergänzungen der Art. 10,, 11, 45, 46, 47, 56 und 57, sowie in der Einschaltung einer Übergangsbestimmung am Schlüsse des dritten, von den Staatsbehörden handelnden Titels der Verfassung zum Ausdruck kommt.

Wir stellen den alten und den neuen Text einander gegenüber :.

Fassung vom 4. Juni 1893 :

Fassung vom 4. Dezember 1921 :

Art. 10. Die administrative und die richterliche Gewalt ist in allen Stufen der Staatsverwaltung getrennt.

Vorbehalten bleibt Art. 49.

Art. 10. Die administrative und die richterliche Gewalt ist in allen Stufen der Staatsverwaltung getrennt.

Vorbehalten bleiben Art. 45,, Abs. 2, und Art. 49.

Art. 11. In der gleichen Person dürfen nicht vereinigt sein :: 1. Eine Stelle der administrativen und der richterlichen.

Gewalt; vorbehalten bleibt die Besetzung eines Verwaltungsgerichtes gemäss Art. 40, Abs. 2 -r 2. zwei Stellen der administrativen oder der richterlichen, Gewalt, die m einander im Verhältnisse der Über- und Unterordnung stehen.

Vorbehalten bleibt Art. 45.

Abs. 2.

Art. 11. In der gleichen Person dürfen nicht vereinigt sein : 1. Eine Stelle der administrativen und der richterlichen Gewalt; vorbehalten bleibt die Besetzung eines Verwaltungsgerichtes gemäss Art. 40, Abs. 2 ; 2. zwei Stellen der administrativen oder der richterlichen Gewalt, die zu einander im Verhältnisse der Über- und Unterordnung stehen.

529 Das Gesetz bestimmt die übrigen Fälle, in welchen die Vereinigung mehrerer Stellen in derselben Person nicht zulässig ist.

Art. 45. Für jeden Amtsbezirk wird ein Regierungsstatthalter eingesetzt.

Für den Bezirk Bern kann das Regierungsstatthalteramt durch Dekret des Grossen Rates besonders organisiert werden.

Die Amtsdauer des Regierungsstatthalters ist vier Jahre.

Ersatzwahlen, welche in der Zwischenzeit notwendig werden, finden für den Rest der laufenden Amtsdauer statt.

Art. 46. Der Regierungsstatthalter wird von den stimmberechtigten Bürgern des Amtsbezirkes gewählt.

Art. 47. Er besorgt unter der Leitung des Regierungsrates die Geschäfte der Vollziehung und Verwaltung sowie die Polizei in seinem Amtsbezirke.

Das Gesetz wird seine Amtsverrichtungen näher bestimmen.

Art. 56. In den Amtsbezirken wird die Gerichtsbarkeit durch die Gerichtspräsidenten und die Amtsgerichte ausgeübt.

Das Gesetz bestimmt diie übrigen Fälle, in welchem die Vereinigung mehrerer Stellen in derselben Person nicht zulässig ist.

Art. 45. Für jeden Amtsbezirk wird ordentlicherweise ein Regierungsstatthalter eingesetzt.

Der Grosse Rat kann durch Dekret für einzelne Amtsbezirke die Amtsverrichtungen des Regierungsstatthalters dem Gerichtspräsidenten übertragen.

Für den Bezirk Bern kann das Regierungsstatthalteramt durch Dekret des Grossen Rates besonders organisiert werden.

Die Amtsdauer des Regierungsstatthalters ist vier Jahre.

Ersatzwahlen, welche in der Zwischenzeit notwendigwerdea, finden für den Rest der laufenden Amtsdauer statt.

Art. 46. Der Regierungsstatthalter wird von den stimmberechtigten Bürgern des Amtsbezirkes gewählt.

Vorbehalten bleibt Art. 45, Abs. 2.

Art. 47. Er besorgt unter der Leitung des Regierungsrates die Geschäfte der Vollziehung und Verwaltung sowie die Polizei in seinem Amtsbezirke.

Das Gesetz wird seine Amtsverrichtungen näher bestimmen.

Vorbehalten bleibt Art. 45, Abs. 2.

Art. 56. In den Amtsbezirken wird die Gerichtsbarkeit durch die Gerichtspräsidenten und die Amtsgerichte ausgeübt.

530

Art. 57. Der Präsident, sowie die Mitglieder und die ordentlichen Ersatzmänner des Amtsgerichtes werden von den stimmberechtigten Bürgern des-Amtsbezirkes gewählt.

Die Amtsdauer ist vier Jahre.

Ersatzwahlen, welche in der Zwischenzeit notwendig werden, finden für den Rest der laufenden Amtsdauer statt.

Durch Dekret kann der Grosse Rat die Amtsverrichtungen der Gerichtspräsidenten mehrerer Amtsbezirke demselben Beamten übertragen.

Art. 57. Der Präsident, sowie die Mitglieder und die ordentlichen Ersatzmänner des Amtsgerichtes werden von den stimmberechtigten Bürgern des Amtsbezirkes gewählt.

Ist gemäss Art. 56, Abs. 2, für mehrere Amtsbezirke nur ein Gerichtspräsident eingesetzt, so erfolgt dessen Wahl durch die stimmberechtigten Bürger der betreffenden Amtsbezirke.

Die Amtsdauer ist vier Jahre.

Ersatzwahlen, welche in der Zwischenzeit notwendig werden, finden für den Rest der laufenden Amtsdauer statt.

Übergangsbestimmungen.

Am Schluss von Titel III.

Die gegenwärtig im Amt stehendenBezirksbeamten, deren Stellen infolge Ausführung der in den Art. 45, Abs. 2, und 56, Abs. 2, enthaltenen Bestimmungen aufgehoben werden, können bis zum Ablauf ihrer Amtsperiode im Amt bleiben und sind noch für eine fernere Periode wählbar.

Die Vereinfachung der Verwaltung wird erreicht durch die Einführung der Möglichkeit, die Zahl der Bezirksbeamten zu vermindern, und zwar in zweifacher Richtung. Eifamal erlaubt die neue Fassung des Art. 45 eine Abweichung von der Regel, dass für jeden Amtsbezirk ein Regierungsstatthalter eingesetzt wird, in

531 dem Sinne, dass der Grosse Rat durch Dekret für einzelne -Amtsbezirke die Amtsverrichtungen des Regierungsstatthalters (eines Verwaltungsbeamten) dem Gerichtspräsidenten übertragen kann.

Darin liegt zugleich ein Einbruch in das in den Art. 10 und 11 der Verfassung niedergelegte Prinzip der Trennung der administrativen und der richterlichen Gewalt. Die Neuerung hat deshalb die Aufnahme eines entsprechenden Vorbehaltes in Art. 10 und 11, wie auch in Art. 46 und 47 notwendig gemacht. (Sodann wird durch die den Art. 56 und 57 beigefügten Zusätze die Einsetzung eines einzigen Gerichtspräsidenten für mehrere Amtsbezirke vorgesehen, der in diesem Falle durch die stimmberechtigten Bürger der Amtsbezirke zu wählen ist, in welchen er das Amt führt. Die Übergangsbestimmung setzt fest, wie lange die Inhaber von Stellen, die der neuen Ordnung gemäss aufgehoben werden, noch im Amte verbleiben können.

3. Keine dieser Änderungen der bernischen Staatsverfassu.ng widerspricht dem Bundesrecht. Die Festsetzung der Zuständigkeit für die Beschliessung von Staatsausgaben sowohl wie die Organisation der Staatsverwaltung sind Ausflüsse der kantonalen Souveränität, die insoweit vom Bundesrecht nicht berührt wird ; insbesondere befasst sich letzteres nicht mit der Frage der Gewaltentrennung auf kantonalem Gebiet. Den vorliegenden Änderungen der bernischen Verfassung ist- somit die Gewährleistung des Bundes zu. erteilen.

Wir beantragen Ihnen die Annahme des beiliegenden Beschlussesentwurfs und benützen den Anlass, Sie unserer vorzüglichen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 31. März 1922.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Dr. Haab.

Der Bundeskanzler :

Steiger.

532

(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Gewährleistung der Abänderung der Art. 6, Ziff. 4, 10, 11, 26, Ziff. 9, 45, 46, 47, 56 und 57 der Verfassung des Kantons Bern.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Kenntnisnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 31. März 1922 über die Gewährleistung der Abänderung der Art. 6, Ziff. 4, 10, 11, 26, Ziff. 9, 45, 46, 47, 56 und 57 der Verfassung des Kantons Bern, in Erwägung, dass die abgeänderten Verfassungsbestimmungen nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten, in Anwendung des Art. 6 der Bundesverfassung, beschliesst: 1. Der in der Volksabstimmung vom 4. Dezember 1921 angenommenen Abänderung der Art. 6, Ziff. 4, 10, 11, 26, Ziff. 9, 45, 46, 47, 56 und 57 der Verfassung des Kantons Bern vom 4. Juni 1893 wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung der Abänderung der Art. 6, Ziff. 4, 10, 11, 26, Ziff. 9, 45, 46, 47, 56 und 57 der Verfassung des Kantons Bern. (Vom 31. März 1922.)

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