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IL Bericht des

Bundesrates an die Kommission des Ständerates für die Behandlung des Entwurfes des Bundesgesetzes über die Altersund Hinterlassenenversicherung.

(Vom 9. Februar 1981.)

Hochgeehrter Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Bei der Beratung des Gesetzesentwurfes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung im Ständerate sind die grundsätzlichen Fragen aufgeworfen worden, ob nicht, ohne Aufgabe des Prinzips der Volksversicherung, wenigstens die bereits versicherten Beamten, Angestellten und Arbeiter der öffentlichen Verwaltungen von jener ausgenommen werden könnten, und ob es nicht zweekmässig wäre, der heute in einzelnen Kreisen erörterten sogenannten Bedarfsversicherung näherzutreten.

In der Einzelberatung hatte zwar ein Antrag auf Ausschluss des Staatspersonals aus der Versicherung keinen Erfolg; ein Antrag auf Einführung der Bedarfsversicherung ist überhaupt nicht gestellt worden. Vom Wunsche geleitet, in diesen bedeutungsvollen Fragen zu einer vollständigen Abklärung und zu einer allseitigen Einigung zu gelangen, erklärte sich jedoch der Chef des Volkswirtschaftsdepartementes bereit, sie trotzdem nochmals einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen, damit der Bundesrat Ihrer Kommission vor der Friihjanrssession des Ständerates, in welcher die Beratung des Gesetzesentwurfes fortgeführt werden soll, endgültige Anträge unterbreiten könne.

Das Departement hat Wert darauf gelegt, die aufgeworfenen Fragen mit den zentralen Wirtschaftsverbänden und den grossen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen zu besprechen, die an der Vorbereitung des Ge-

241 setzgebungswerkes intensiv mitgewirkt haben und mit denen es auch, in der Folge in Kontakt gebheben ist. Ea erschien dies um so gegebener, als der Meinungsäusserung dieser Verbände, in denen ein grosser Teil unseres Volkes organisiert ist und welche die verschiedensten wirtschaftlichen Interessen vertreten, wohl eine entscheidende Bedeutung beigemessen werden darf.

Im nachfolgenden beehren wir uns, Ihnen die Ergebnisse der vorgenommenen Prüfung zur Kenntnis zu bringen. Über einige während der ständerätliehen Beratung zur Diskussion gestellte Punkte von mehr sekundärer Bedeutung wird Ihnen noch ein besonderer Bericht des Volkswirtschaftsdepartementes zugehen.

I.

Weglassung des öffentlichen Personals aus der Volksversicherung.

1. Die Frage, ob bereits versicherte Personen, insbesondere die öffentlichen Funktionäre, in die allgemeine Volksversicherung einzubeziehen seien oder ob sie nicht vielmehr ausgeschlossen werden sollten, ist schon mehrfach geprüft und erörtert worden. Besonders eingehend ist es in unserer den Gesetzesentwurf begleitenden Botschaft vom 29. August 1929 geschehen, in welcher im Zusammenhang mit der Begründung der Notwendigkeit, eine allgemeine Volksversicherung zu schaffen, alle die verschiedenen Erwägungen politischer, wirtschaftlicher, finanzieller und organisatorischer Natur dargelegt sind, welche eine lückenlose Durchführung der Versicherung fordern. Wir können deshalb hier der Einfachheit halber und um "Wiederholungen zu vermeiden, auf jene Darlegungen (Bundesbl. 1929, Bd. II, S. 188 ff.) verweisen. Dies dürfen wir wohl umso eher tun, als heute, offenbar in Würdigung jener grundsätzlichen Gesichtspunkte, nicht mehr die Weglassung aller bereits versicherten Personen, sondern nur noch diejenige der Funktionäre des Bundes und eventuell der Kantone in Frage steht.

Es wird geltend gemacht, dass auf diese Personen die Gründe, die für den Einbezug der bereits versicherten privaten Arbeitnehmer angeführt werden und mit dem man sich schliesslich abfinden könne, nicht zutreffen. Der Staat, welcher für die neue Volksversicherung erhebliche Opfer zu bringen habe, sorge bereits in genügender, ja sogar oft in reichlicher Weise für:seine Diener und deren Hinterlassene im Alters- und Todesfall, und man werde es deshalb nicht verstehen, dass durch Einbezug in die allgemeine Versicherung diesen Personen, ohne dass es sozial notwendig sei, noch weitere staatliche Mittel zufHessen. Zudem handle es sich um einen relativ leicht abgrenzbaren Personenbestand, der meist unter besondern, von denen der privaten Arbeitnehmer abweichenden Anstellungsbedingungen tätig sei. Der öffentliche Beamte wechsle auch viel weniger häufig als der Angestellte im Privatbetrieb .seinen Arbeitgeber, womit die Fälle des Übertritts von einer öffentlichen Pensionskasse zur Volks versicherung und umgekehrt relativ selten und so auch die bei der Weg-

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lasBung privater Arbeitnehmer zu befürchtenden administrativen Unzukömmlichkeiten und die insbesondere mit der Kontrolle verbundenen unfruchtbaren Verwaltungsausgaben im wesentlichen ausgeschlossen seien. Aus allen diesen Gründen sei auch nicht zu befürchten, dass der Ausschluss der Beamten etwa denjenigen weiterer Kreise unselbständig erwerbender Personen nach sich ziehen werde.

Diesen Gedankengängen scheint auf den ersten Blick eine gewisse Berechtigung1 nicht abgesprochen werden zu können. Sieht man jedoch näher zu, so erkennt man, dass sie zum Teil von. irrtümlichen Voraussetzungen ausgehen, während zum andern Teil ihre Verwirklichung Konsequenzen hätte, die man ohne tiefern Einblick in die Struktur des Versicherungswerkes allzu leicht zu unterschätzen geneigt ist, die aber zu grossen Bedenken Anlass geben müssen.

2. Gewiss stellen die Pensionskassen, die der Bund für sein Personal und dasjenige der Bundesbahnen errichtet hat, Institutionen von hohem sozialen Werte dar, und ihre Leistungen dürfen als durchaus angemessene und genügende bezeichnet werden. Aus dieser Feststellung darf indessen nicht abgeleitet werden, dass den in Präge stehenden Beamtenkreisen die Gelegeaaiheit nicht geboten werden dürfe, die ihnen oder ihrer Familie zukommenden Baûsionen durch die Leistungen der allen Volkskreisen offen stehenden Voütsversicherung in bescheidener Weise zu erhöhen, zumal als dies ja fast ausschliesslich durch das Mittel eigener Beiträge geschieht. Diese Auffassung erscheint um so zutreffender, als speziell beim Tode jüngerer Beamter, die nach wenigen Dienstjahren sterben, ausnahmsweise aber auch bei Altersrücktritten, Fälle vorkommen, in denen die Erhöhung der zur Ausrichtung gelangenden Pensionen, soweit sie durch die Leistungen der Volksversicherung eintritt, als durchaus gerechtfertigt erscheint. Entgegen einer vielfach vertretenen irrigen Auffassung werden den Bezügern von Pensionen des Bundes in der Volksversicherung keine Zuschüsse des Staates, weder des Bundes noch der Kantone, zufliessen. Von diesen Sozialzuschüssen sind ja bekanntlich nach dem Gesetze alle diejenigen Personen ausgeschlossen, welche aus Vermögen, Erwerbseinkommen und Pensionen ihren Lebensunterhalt in auskömmlicher Weise bestreiten können. Unter diese Personenkategorie fallen, einzelne Ausnahmen vorbehalten, die
pensionsberechtigten Hinterlassenen der Bundesbeamten und speziell diejenigen, die aus der bestehenden Pensionskasse eine Altersrente beziehen. Die Einschränkung für diese Kreise geht aber noch weiter ; während der Übergangsperiode werden sie überhaupt vom Bezüge jeglicher Versicherungsleistungen ausgeschlossen. Erst im definitiven Zustand, der nach Ablauf der Übergangsperiode, d. h. nach 15 Jahren beginnt, beziehen sie ebenfalls die eigentlichen, aus den Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber gebildeten Versicherungsleistungen (vgl. Art, 20, Art. 25, Abs. 2, und Art. 28olB des Gesetzes).

Diese Leistungen der kantonalen Kassen werden aber, wie die unter Ziffer 5 nachfolgenden Ausführungen über das Verhältnis der Arbeitgeber- und der

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persönlichen Beiträge der Versicherten zeigen, nur zum geringsten Teil, nämlich zu bloss etwas mehr als x/4 aus den vom Bunde bezahlten Arbeitgeberbeiträgen gebildet, während nahezu % den andern Versicherten, seien es unselbständig, seien es selbständig Erwerbende, zugute kommen. Es ist ohne weiteres zuzugeben, dass die Einbeziehung der Bundesbeamten der Bundeskasse und den Bundesbahnen eine jährliche Belastung von je etwa 450,000 Franken bringt, die auch bei Anwendung von Art, 35Ms nur zum Teil eingebracht werden kann. Diese Aufwendung, die, wie gezeigt, der Volkaversicherung in ihrer Gesamtheit, also allen Versicherten, zugute kommt, ist aber im Verhältnis zu den übrigen Ausgaben des Bundes und der Bundesbahnen nicht so gross, dass sich eine Sonderbehandlung des Bundes und der Bundesbetriebe rechtfertigen würde.

Der Bund darf sich den Pflichten der übrigen Arbeitgeber, unter denen sich neben den privaten Unternehmern auch die Kantone und die Gemeinden befinden, nicht entziehen.

8. Das Versicherungsgesetz, wie wir es vorgeschlagen haben, ist auf dem Gedanken umfassender Solidarität aufgebaut. Als ein Werk der Volksgemeinschaft im besten Sinne des Wortes ist es daxu bestimmt, unter finanzieller Beteiligung des Staates mit Hilfe von Beiträgen der ganzen im erwerbstätigen Alter stehenden Bevölkerung, das Los unserer Greise, unserer Witwen und Waisen zu verbessern. An einem solchen Werke sollen auch die öffentlichen Funktionäre mitwirken und teilhaben. Auch sie gehören der Volksgemeinschaft an und dürfen von der Betätigung des Gemeinschaftsgeistes nicht ausgenommen sem. Unser Land kennt keinen besondern Beamtenstand, und es wäre verfehlt, durch die Herausnahme der Beamten der ständischen Absonderung und der Ausbildung eines unsern Anschauungen fremden Standesbewusstseins Vorschub zu leisten.

Die Besorgung der öffentlichen Aufgaben ist nicht nur zwischen Bund und Kantonen, sondern auch zwischen diesen letztern und den Gemeinden geteilt. Sodann hat die moderne Entwicklung das Gemeinwesen zur Übernahme einer Eeihe von wirtschaftlichen Aufgaben gedrängt, die früher ausschliesslich von Privaten besorgt wurden. Nur die Tätigkeit eines relativ geringen Teiles der Beamtenschaft gilt heute noch der Besorgung der sich aus der Staatshoheit ergebenden Aufgaben, während der Grossteil der Öffentlichen Bediensteten
in wirtschaftlichen Betrieben, wie Verkehrsanstalten, der Gas-, Elektrizitäts- und Wasserversorgung beschäftigt ist und somit eine Tätigkeit ausübt, die nicht nur derjenigen privater Arbeitnehmer sehr nahesteht, sondern auch in Anlehnung an die für die Privatwirtschaft geltenden Grundsätze reglementiert ist.

Aus diesen Verhältnissen ergeben sich aber sofort für die Umschreibung des auszunehmenden Personenbestandes und seine Abgrenzung gegenüber der privaten in die Versicherung einbezogenen Arbeitnehmerschaft eine ganze Beihe besonderer Schwierigkeiten. Man dürfte sich wohl von vornherein nicht auf die Beamten des Bundes und seiner Betriebe beschränken, und es

244 ist denn aneli im Ständerate zum mindesten die Anwendung der Ausnahme auf die kantonalen Beamten gefordert worden. Warum sollte man aber hier Halt machen, und welche innere Begründung würde gestatten die Ausdehnungauf die Gemeindebeamten abzulehnen ? Besonders in Kantonen mit kleinerm Territorium kann es vorkommen, dass der Kanton selber eine ganze Eeihe von Aufgaben besorgt, welche anderwärts den Gemeinden überlassen sind.

Häufig sind Gemeindefunktionäre bei der Ausführung eines vom Kanton der Gemeinde erteilten Auftrages tätig. Ist derart schon-die Abgrenzung der Gemeindebeamten von den kantonalen Beamten ihrer Tätigkeit nach mit Schwierigkeiten verbunden, indem die Verhältnisse hier übereinandergreifen^ so wird eine getrennte Behandlung hinsichtlich der Versicherung noch durch: die Tatsache erschwert, dass öfters Beamte des Kantons und der Gemeinden in den gleichen gemeinsamen Pensionskassen versichert sind. So sei z. B.

auf die Pensionskassen für Lehrer hingewiesen, welchen oft neben Lehrkräften an Gemeindeschulen solche kantonaler Schulen angehören. Es würde in weiten Kreisen nicht verstanden, wenn Leute, die im Dienste des Kantons stehen, von der Volksversicherung ausgenommen wären, während andere Personen in sie einbezogen blieben, weil zufällig rechtlich eine Gemeinde ihr Arbeitgeber ist, während sie, wenigstens mittelbar, auch für den Kanton arbeiten oder mit den kantonalen Beamten und Angestellten der gleichen, von Kanton und Gemeinden gemeinsam geführten und finanzierten Pensionskasse angehören.

Mit der Ausdehnung des Ausschlusses auf die Gerneindefunktionäre,.

der sich als notwendige Folge desjenigen des Staatspersonals ergäbe, würde aber die- Abhröckelung am Bestände der Versicherung erst recht einsetzen.

Gerade im Gebiete der Gemeindeverwaltung stehen mehr noch als im Staat» die wirtschaftlichen Aufgaben im Vordergrunde. Hier sind die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Tätigkeit besonders unscharf und können von Ort au Ort wechseln. Während einzelne Gemeinden diese Aufgaben selber besorgen, werden sie in andern privaten Unternehmungen übertragen. Die Verhältnisse sind zudem stetem Wandel unterworfen und die Entwicklung ist in fortwährendem Flusse begriffen. Was heute noch Gegenstand der Privatwirtschaft ist, kann morgen von. der Gemeinde in Begi& besorgt sein.
Zu besondern Schwierigkeiten würde sodann die Behandlung der zahlreichen gemeinwirtschaftlichen Betriebe Anlass geben, die vom Staat oder den Gemeinden mit besonderer Bechtspersönlichkeit, häufig auf privatrechtlicher Grundlage, ausgestattet, unter ihrem massgebenden Einfluss verwaltet werden.

Wie wäre es endlich mit den konzessionierten Unternehmungen zu halten, die, wenn sie auch der Privatwirtschaft angehören, doch gegenüber dem Staate off entlich-rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen haben ? Es sei nur an die vom Bunde konzessionierten Transportanstalten erinnert, welche u. a. auf Grund

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der Konzession sogar zur Errichtung einer der Bundesaufsicht unterstehenden Pensionskasse für ihr Personal verpflichtet sind. So würde sich eine ganze Reihe von Zweifelsfällen einstellen, die meist nicht in befriedigender Weise gelöst werden könnten. Warum sollte beispielweise, wenn die Bundesbahnen aus der Versicherung herausgenommen werden, nicht die gleiche Stellung den Privatbahnen eingeräumt werden ? Wie wären die Beamten der Nationalbank, der verschiedenen Kantonalbanken, sowie diejenigen der konzessionierten Versicherungsgesellschaften zu behandeln ? Sollte man die Kantonalbanken dem Bankgewerbe, zu dem sie wirtschaftlich gehören, hinzuzählen und ihr Personal in der Versicherung belassen oder sollte man es den Beamten des Kantons gleichstellen, wenn man diese aus der Versicherung herausnähme. Diese Beispiele mögen zeigen, wie schwer eine Trennung der im öffentlichen Dienste stehenden Personenbestände von den andern Arbeitnehmern angesichts der Verschlungenheit unseres Wirtschaftslebens fällt und wie sie bei Nebeneinanderbestehen von öffentlichen, halböffentlichen und privaten Betrieben im gleichen Wirtschaftszweige zur Aufrichtung künstlicher Grenzen führt, die im Grunde genommen der Natur der Dinge vielfach zuwider sind und kaum das Verständnis der breiten Massen finden dürften.

So würde mit der Weglassung der Beamten des Bundes und der Kantonfr aus der Volksversicherung ein Präjudiz geschaffen, dessen Eückwirkungon nicht abzusehen wären. Eine Weglassung bereits versicherter Funktionäre der Gemeinden und gar etwa der Angestellten gemischtwirtschaftlicher oder privater Betriebe müsste aber ganz besonders, auch nach erfolgter gesetzlicher Festlegung, infolge Zunahme der Pensionskassen, zu einer fortdauernden, weitern Verminderung des Versichertenbestandes der Volksversicherung führen. Deren Basis würde infolgedessen immer schmaler und die Aufstellung geeigneter und richtiger Grundlagen auf dem Boden des von uns gewählten und von den eidgenössischen Bäten grundsätzlich gutgeheissenen VersicherungsSystems ausserordentlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich.

4. Die im Gesetze vorgesehenen Leistungen der kantonalen Versicherungskassen sind aus den Beiträgen der Versicherten, der Arbeitgeber, sowie aus den Erträgnissen der Beserven aufzubringen, welche während der Übergangszeit von 15 Jahren,
in der nur beschränkte Leistungen zur Ausrichtung gelangen, bei den Kassen angelegt werden. Die Beiträge der Versicherten und die Arbeitgeberbeiträge'stellen Durchschnittssätze dar. Sie sind unter der Annahme de» ausnahmslosen Einschlusses aller im beitragspflichtigen Alter stehenden Personen in die Versicherungsgemeinschaft und unter Zugrundelegung eines bestimmten der voraussichtlichen Entwicklung entsprechenden Verhältnisseszwischen der Zahl der unselbständig Erwerbenden, für welche der Arbeitgeberbeitrag entrichtet wird, und derjenigen der selbständig Erwerbenden berechnet. Die Einnahme an Beiträgen der Versicherten ist auf jährlich Fr. 40--42 Millionen, diejenige an Arbeitgeberbeiträgen auf Er, 15--17 Millionen im Jahre veranschlagt. Daraus ergibt sich, dass jede Herausnahme von einigermassen relevanten Personenbeständen aus der Versicherung zu

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einer Veränderung der Grundlagen fuhrt, die auf die ganze '.Rechnung einen mehr oder weniger weitgehenden Einfluss ausüben wird.

Dieser Einfluss wird dann besonders fühlbar, wenn der ausgenommene Personenkreis ausschliesslich oder zur Hauptsache aus unselbständig Erwerbenden besteht, welche nicht nur ihren persönlichen Beitrag von Fr. 18 für die Männer und Fr. 12 für die Frauen zahlen, sondern für welche seitens ihres Dienstherrn auch der Arbeitgeberbeitrag von Fr. 15, auf die Arbeitskraft und das Jahr gerechnet, entrichtet wird. Dadurch wird insbesondere das Verhältnis zwischen der Zahl der Unselbständigen und derjenigen der Selbständigen, von der die Berechnungen ausgegangen sind, in empfindlicher Weise gestört. Der Ausschluss der rund 60,000 Beamten des Bundes und der Bundesbahnen allein würde der Versicherung bloss an Arbeitgeberbeiträgen eine Summe von ca.

l Million Fr. im Jahre entziehen. Dieser Betrag macht im Verhältnis zur Gesamtsumme an Arbeitgeberbeiträgen von Fr. 15--17 Millionen ca. 6% aus, während der-durch die Herausnahme dieser Personen verursachte Ausfall an persönlichen Beiträgen von absolut etwa Fr. 1,100,000 im Verhältnis zu den Fr. 40--42 Millionen jährlichen Einnahmen an solchen bloss etwas mehr als 2% ·erreicht. Das Zahlenbeispiel weist aufs deutlichste auf die Bedeutung der Arbeitgeberbeiträge für die genügende Finanzierung der Versicherung hin, sowie auf die Nachteile, welche bei der Herausnahme von vorwiegend aus unselbständig Erwerbenden bestehenden Personenkategorien entstehen.

Das Gesetz unterscheidet zwischen den Versicherungsleistungen der kantonalen Kassen, welche, wie oben angedeutet, aus den Beiträgen, Arbeitgeberbeiträgen und den Erträgnissen ihrer Bücklagen bestritten werden, und den sogenannten Sozialzuschüssen, deren Finanzierung durch Zuwendungen des Bundes und der Kantone aus allgemeinen Mitteln erfolgt. Während nach Ablauf der 15jährigen Übergangsperiode jede alte Person und jede "Witwe sowie jede Waise unter 18 Jahren die Grundleistungen der kantonalen Kasse erhalten, sind Personen, welche aus eigenen Mitteln (Vermögen, Erwerbseinkommen, Pensionen) ihren Lebensunterhalt in auskömmlicher Weise bestreiten können, von den Soziakuschüssen auszuschliessen. In der "Übergangsperiode selber sind Personen, welche unter diese Bestimmung fallen, auch vom Bezüge
der Leistungen der kantonalen Kassen ausgeschlossen.

Die pensionierten Beamten des Bundes und der Bundesbahnen sowie die "Witwen und Waisen verstorbener Funktionäre werden, wie bereits betont, in der Hauptsache zu dieser Personenkategorie gehören. Die Beiträge der aktiven Beamten und die auf sie entfallenden Arbeitgeberbeiträge fliessen somit in der "Übergangsperiode fast in vollem Umfange und ohne dass ihnen nennenswerte Ausgaben an Versicherungsleistungen gegenüberständen, den kantonalen Versicherungskassen zu, in denen sie an der Äufnung der zur spätem Tragung der Vollbelastung notwendigen Reserven mitwirken. " Dem Ausschluss dieser Personen aus der Versicherung würde somit wegen der erwähnten besondern Verhältnisse wahrend der "Übergangszeit keinerlei

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Ersparnis von irgendwelcher Bedeutung gegenüberstehen. Nach Ablauf dieser Periode aber wird bei Ausschluss der Beamten der Versicherung ein weiterer Schaden entstehen, der nicht sowohl auf dem Gebiete des Beitragsausfalles liegt, sondern die Sozialzuschüsse betrifft. Nach Art. 24 des Gesetzes dürfen die Leistungen des Bundes und der Kantone für Sozialzuschüsse wegen der Verfassungsvorschrift, welche die staatlichen Zuwendungen auf die Hälfte des Gesamtbedarfes der Versicherung beschränkt, zusammen den Betrag dessen nicht übersteigen, was im betreffenden Jahre an Leistungen den kantonalen Kassen ausgerichtet worden ist. Ein Eückgang der Ausgaben der kantonalen Kassen infolge des Ausschlusses der Beamten wird somit automatisch eine Verringerung d er für Sozialzuschüsse zur Verfügung stehenden Summe bewirken, -welche zur Hauptsache andere, auf diese Zuschüsse berechtigte, bedürftige Kreise der Bevölkerung treffen wird, da die Beamten, wenn sie selber oder ihre "Witwen und Waisen Pensionen beziehen, ja auch im Beharrungszustande in ·der Begel keine Sozialzuschüsse erhalten werden.

So würde eine Woglassung der Beamtenschaft aus der Volksversicherung ·dieser in doppelter Hinsicht zum Nachteil gereichen, einmal durch eine Schmälerung der Finanzkraft der kantonalen Versicherungskassen, dann aber auch ·durch die Verringerung der für die Ausrichtung von Sozialzuschüssen zur Verfügung gestellten öffentlichen Mittel. Eine Deckung dieser Ausfälle durch Bund und Kantone ist nicht angängig, indem die verfassungsmässige Maximalquote öffentlicher Mittel durch die bereits im Gesetze vorgesehenen Leistungen des Staates erschöpft ist. Es bliebe daher nichts anderes übrig, als den Ausfall durch ·eine Verschlechterung der Versicherung zuungunsten der in ihr verbleibenden Personen, sei es im Wege einer Erhöhung der Beiträge, sei es im Woge einer Eeduktion der Leistungen der kantonalen Kassen, einzubringen. Würde man ·sich zu letzterem entschliessen, da eine Erhöhung der Beiträge wohl nicht möglich wäre, so würde daraus eine weitere Eeduktion der Sozialzuschüsse resultieren. Solche Verschlechterungen werden aber wohl a,uch diejenigen, die An sich Anhänger der Herausnahme der Beamtenschaft aus der Versicherung sind, nicht in Kauf nehmen wollen, S. Zu diesen entscheidenden sozialpolitischen und finanziellen Erwägungen
iommen solche mehr organisatorischer und technischer Natur. Treten sie auch .gegenüber jenen zurück und hätte man sie schliesshch überwinden müssen, wenn die Weglassung der Beamtenschaft aus höhern Erwägungen sich rechtfertigen würde, so sind sie doch nicht belanglos und sollen daher der Vollständigkeit halber auch hier noch kurz gestreift werden.

Die allgemeine Volksversicherung will jedermann, ohne Bücksicht auf Beruf und Erwerb, und möge sich sein Leben gestalten wie es wolle, einen .gewissen Schutz gewähren. Eine Herausnahme von einzelnen Beständen wäre somit nur zulässig, wenn deren anderweitige Versicherung mindestens Taie zur Höhe der allgemeinen Volksversicherungsleistungen dauernd garantiert ist. Damit würde aber, wie wir an der bereits oben zitierten Stelle

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unserer Botschaft zum Gesetzesentwurfe eingehend dargelegt haben, eineganze Eeihe administrativer Massnahmen notwendig, welche die Durchführung der Versicherung komplizieren und verteuern. Während bei der lückenlosen Zugehörigkeit aller im beitragspflichtigen Alter stehenden Personen zur kantonalen Versicherungskasse eine besondere Kontrolle über die fortdauernde Erfüllung der Versicherungspflicht nicht notwendig ist, sondern sich bei der Beitragserhebung von selber vollzieht, wäre bei Weglassung einzelner Bestände seitens der Kantons- und Gemeindebehörden · in jedem Einzelfalle zu prüfen, ob die zu diesen Beständen gehörenden Personen anderweitig ihrer Versicherungspflicht genügen. Bei Ausscheiden aus einer der verschiedenen Versicherungsgemeinschaften müsste dafür gesorgt werden, dass der Ausscheidende in die andere eintreten kann, wobei auf versicherungstechnischen Berechnungen beruhende Kapitalüberweisungen unter den verschiedenen Versicherungsträgern notwendig würden. Wenn auch solche Fälle bei blosser Weglassung der Beamten des Bundes aus der allgemeinen Versicherungrelativ selten wären, so würden sie bei Ausdehnung dieser Ausnahme auf dieFunktionäre der Kantone und Gemeinden oder gar auf die bereits von ihrem.

Arbeitgeber versicherten privaten Arbeitnehmer sehr zahlreich.

Mit der Kontrolle über die Erfüllung der Versicherungspflicht wäre es aber nicht getan. Es müsste auch dafür gesorgt werden, dass die Versicherungscinrichtung, im Hinblick auf welche jemand von der Zugehörigkeit zur Volksversicherung befreit ist, dauernd die ihr auferlegte -Bedingimg der Gleichwertigkeit erfüllt und Gewähr dafür bietet, dass sie bei Eintritt des Versicherungsfalles ihren Verpflichtungen auch in vollem Umfange nachzukommen ver-: mag. So würde der Bund zur Kontrolle der Versicherungsinstitutionen genötigt, bei welchen die weggelassenen Personenbestände versichert sind. Wenn auch eine solche Beaufsichtigung für die Pensionskassen des Bundes, die dieser selber verwaltet, nicht in Betracht käme, so müsste sie doch bei Alisdehnung der Ausnahme auf die Funktionäre der Kantone und Gemeinden für deren Kassen eingerichtet werden. Eine solche Aufsichtstätigkeit des Bundes, die zweifellos, nicht gern gesehen würde und zu mannigfachen Beibungen Anlass gäbe,, wünschen wir aber unter allen Umständen zu vermeiden.
Vollends unbefriedigend würde die Sachlage, wenn die Weglassung gar auf bereits versicherte private Arbeitnehmer übergreifen würde. Hier bestehen, wie die von uns herausgegebene Hilfskassenstatistik beweist, hinsichtlich der Gestaltung der Versicherung sowie ihrer Fundierung die verschiedenartigsten Verhältnisse. Sehr oft werden die Leistungen solcher Kassen mehr auf Zusehen: hin gewährt, ohne dass der Versicherte einen förmlichen Eechtsanspruch darauf hätte. Dem Bund aber die Aufgabe zu übertragen, in alle diese Dinge ordnend einzugreifen, Messe ihn mit einer Pflicht und einer Verantwortung belasten, diein seinem eigenen Interesse wie gerade auch im Interesse der weitern Entwicklung jener privaten Institutionen besser von ihm ferngehalten wird.

6. Wie bereits in der Einleitung hervorgehoben, haben wir es für geboten erachtet, die Frage einer allfälligen Herausnahme der Beamtenschaft aus der

249 Versicherung auch mit den wirtschaftlichen Spitzenverbänden nochmals eingehend zu besprechen. In einer vom eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement einberufenen Konferenz, an welcher der Vorort des Schweizerischen Handele- und Industrievereins, der Schweizerische Bauern- und der Schweizerische Gewerbeverband, der Zentralverband schweizerischer Arbeitgeber-organisationen sowie die Schweizerische Bänkiervereinigung durch starke von ihnen ausgewählte Delegationen vertreten waren, kam übereinstimmend die Auffassung zum Ausdruck, dass eine Einengung des Kreises der versioherungspflichtigen Personen nicht in Präge kommen könne. In der Diskussion wurden im wesentlichen die in diesem Bericht erwähnten Argumente gebilligt und geltend gemacht. Es sei uns gestattet, nur noch das folgende hervorzuheben.

Vor allem lehnten sich die Vertreter sämtlicher an der Konferenz beteiligten Organisationen mit der grössten Entschiedenheit dagegen auf, dass der Bund und seme Betriebe sowie die von ihm in irgend einer Weise beschäftigten Beamten, Angestellten und Arbeiter anders behandelt werden als andere Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Mit Nachdruck wurde erklärt, dass man in keinem Falle bei der Weglassung der erwähnten Personenkategotien stehen bleiben könnte, dass vielmehr notwendigerweise nicht nur die bereits versicherten Beamten, Angestellten und Arbeiter der Kautone und Gemeinden, sondern auch alle bereits versicherten Arbeitnehmer privater Betriebe ausserhalb der Volksversicherung bleiben müssten und dass damit selbstverständlich auch der Beitrag der Arbeitgeber dahinfielo. Die Erklärungen der Vertreter der Industrie und des Gewerbes Hessen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass ein Gesetz, welches dieser Forderung nicht Eechnung trüge, niemals die Billigung der von ihnen vertretenen Kreise finden würde. Anderseits gab man sich allgemein Bechenschaft, dass eine so tiefgehende Änderung, wie die Weglassung sämtlicher bereits anderweitig versicherten Arbeitnehmer es wäre, nicht in Frage kommen könne. Ein Antrag oder auch nur eine Anregung, vom vorliegenden Projekte abzuweichen, wurde daher unter Würdigung der bereits entwickelten Gründe von keiner Seite befürwortet.

Vielmehr wurde betont, dass das Gesetz auf der Universalität der Versicherung und der Solidarität sämtlicher Volkskreise aufgebaut sei und dass
dieser Grundsatz konsequent durchgeführt werden müsse.

Von verschiedenen Seiten, so von den Vertretern der Landwirtschaft und des Gewerbes, wurde speziell noch darauf hingewiesen, dass, wie wir bereits ausgeführt haben, die Weglassung der Staatsbeamten und selbstverständlich in noch viel höherem Masse sämtlicher bereits anderweitig versicherter Arbeitnehmer insbesondere durch den Wegfall der Arbeitgeberbeiträge gerade den in der Volksversicherung vereinigten breiten Schichten der selbständig Erwerbenden (z. B. Bauern und Handwerker) wie auch der versichert bleibenden Arbeiter in der Industrie und im Gewerbe nur Nachteil bringen und entweder zu einer Erhöhung der Prämien oder zu einer Herabsetzung der Versicherungsleistungen führen müsste.

Wir somit in der Konferenz der Wirtschafts- und speziell der Arbeitgeberverbände die Stimmung im Sinne der Ablehnung der erwähnten Anregung eine

250 durchaus einheitliche, so kam die gleiche Auffassung auch in einer zweiten Konferenz, welche die zentralen Berufsverbände der Arbeitnehmer vereinigte, in der entschiedensten Weise zum Ausdruck. In dieser Besprechung, an welcher der schweizerische Gewerkschaftsbund, die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbànde, der Föderativverband des eidgenössischen Personals, der christlichsoziale Arbeiterbund, der schweizerische Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter sowie der Landesverband Freier Schweizer Arbeiter vertreten waren, wurde von den Vertretern sämtlicher Organisationen kein Zweifel darüber gelassen, dass am Gedanken der uneingeschränkten Volksversicherung festgehalten werden müsse und dass von einer Weglassung einzelner Teile der Bevölkerung speziell der öffentlichen Beamten keine Bede sein könne.

Insbesondere wurde betont, dass die Arbeitnehmer von jeher die Einbeziehung des ganzen Volkes in das Obligatorüini als die einzig mögliche Lösung des Versicherungsproblems betrachtet haben und dass sie nach wie vor mit Entschiedenheit auf diesem Boden stehen. Es dürfe nicht zugegeben werden, wurde betont, dass ein Einbruch in das gewählte System gemacht werde, um so weniger, als dadurch die Versicherung für die andern in ihr verbleibenden Kreise verschlechtert würde. Die Vertreter des Föderativverbandes des Personals öffentlicher Verwaltungen und Betriebe, der nicht nur den grössten Teil des eidgenössischen Personals, sondern daneben zahlreiche Angestellte und Arbeiter von Kantonen und Gemeinden sowie von konzessionierten Transportunternehmungen umfasst, hoben hervor, dass der Verband von Anfang an kategorisch für den Einbezug der Beamtenschaft in die Volksversicherung eingetreten sei. Seine Mitglieder, wurde beigefügt, fühlen sich mit den übrigen Arbeitnehmern solidarisch und lehnen es ab, anders behandelt zu werden als diese. Die Stellungnahme des Verbandes sei an einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung, welche auf den 12. Januar 1931 von der Verbandsleitung zur Besprechung dieser Frage noch besonders einberufen worden sei und an welcher 89 Angehörige aller Personalkreise öffentlicher Verwaltungen aus allen Teilen der Schweiz teilgenommen hätten, einstimmig und ohne Enthaltungen mit aller Entschiedenheit bestätigt worden. In gleicher Weise sprachen sich die Vertreter des
christlichsozialer) Arbeiterbundes und speziell auch des christlichsozialen Verkehrspersonals aus. Aber auch der schweizerische Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter sowie der Landesverband freier Schweizer Arbeiter vertraten dieselbe Auffassung. Wir stehen also vor der Tatsache, dass die sämtlichen Verbände der Arbeitnehmer in dieser Frage eine geschlossene Front bilden.

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Demgemäss beantragen wir Ihnen, am Prinzip der allgemeinen Beitragspflicht und damit der lückenlosen Volksversicherung, wie es dem Gesetze zugrunde liegt, unter Ablehnung der Idee einer Weglassung der Beamtenschaft, festzuhalten.

251 IL

Die Bedarîsversicherung.

1. Neuerdings wird in einzelnen Kreisen die Frage der Einführung einer sogenannten Bedarfsversicherung erörtert, welche entweder der allgemeinen Volksversicherung, wie sie der Gesetzesentwurf vorsieht, voranzugehen oder auch dauernd an ihre Stelle zu treten hätte. Gedacht ist dabei an eine Einrichtung, bei der zwar jedermann im erwerbstätigen Alter ohne Eücksicht auf Einkommen und Vermögen Beiträge zu bezahlen hatte,, wogegen die Versicherungsleistungen nur gewährt würden, wenn der Versicherte im Alter ihrer bedarf oder unter Hinterlassung einer bedürftigen Witwe oder bedürftiger Waisen verstirbt.

Für eine vorläufige Bedarfsversicherung, welche in der Folge allmählich durch eine Volksversicherung mit Ausrichtung von Leistungen an alle Beitragspflichtigen und ihre Hinterlassenen zu ersetzen wäre, ist besonders Herr Dr.

Schule in Zürich in einer bereits in unsorm Bericht vom 14. Oktober 1930 erwähnten Broschüre eingetreten. Diese Bedarfsversicherung wäre im Wege der TJinlageverfahrens durch Beiträge der Versicherten und mit Hilfe grösseres staatlicher Zuschüsse aus den Erträgnissen von Tabak und Alkohol zu finanzieren, während die Mittel für das nachfolgende Dauerstadium ausschliesslich aus Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber nach Massgabe des Kapitaldeckungsverfahrens aufgebracht werden müssten.

Beide Versicherungen, die Bedarfsversicherung wie die sogenannte KapitalVersicherung, hätten auf dem Grundsatz der allgemeinen Beitragspflicht zu beruhen, wobei die Bedarfsversicherung für alle bei Beginn der Versicherungspflicht mehr als 20 Jahre alten Personen bestimmt ist, während die Kapitalversicherung die sukzessive nachwachsenden Generationen bei Eintritt in das 20. Altergjahr zu erfassen hätte.

Die Anhänger dieser Vorschläge versprechen sich von der Bedarfsversicherung eine rasch wirksame Hilfe und infolge der Beschränkung der Versicherungsleistungen auf die Bedürftigen eine Verminderung der Ausgaben, die eine entsprechende Herabsetzung der Beiträge oder eine Erhöhung der Leistungen gestatten würde.

Ihr Projekt ist in der zitierten Broschüre nicht näher ausgeführt. Es kann sich deshalb auch hier nur um die Würdigung seiner grundlegenden Gedankengänge und nicht um die von Einzelheiten handeln. Insbesondere sollen seine Freunde auch nicht bei den mehr skizzenhaften
Berechnungen behaftet werden, die sie zwecks einer gewissen Verdeutlichung ihren Ausführungen beigegeben haben. Dagegen sei hervorgehoben, dass nach diesem Projekte, wenigstens für den Altersfall, während vollen 45 Jahren, ausschliesslich die Bedarfsversicherung Geltung hätte und dass erst nach dieser verhältnismässig langen Spanne Zeit der erste Jahrgang kapitalversicherter Personen auf Eenten berechtigt würde.

Pur das zu seiner Finanzierung vorgeschlagene Umlageverfahren ist dies inso-

252 ·fern von Bedeutung, als alle jene Jahre hindurch die Belastung durch Altersrenten ungefähr die gleiche bliebe, wogegen die Zahl der Beitragspflichtigen mit jedem neuen das 20. Altersjahr überschreitenden Jahrgang geringer und somit die finanzielle Basis, wenigstens soweit sie in den Beiträgen der Versicherten besteht, immer schmaler würde. Ob auf dieser Grundlage überhaupt, wenn auch nur vorübergehend, eine lebensfähige Versicherung konstruiert werden könne, ist zum mindesten sehr zweifelhaft.

Während so gewisse Kreise die Bedarf sverSicherung als eine eigene, nach besondern Grundsätzen aufgebaute Einrichtung postulieren, die in der Folge durch etwas anderes abzulösen wäre, denken andere wieder an die Verwirklichung dieser Idee im Bahmen des vor den Bäten hegenden Gesetzentwurfes, Dies könnte ihrer Auffassung nach, in der Weise geschehen, dass, unter Festhalten an der allgemeinen Beitragspflicht, diejenigen noch näher zu umschreibenden Personenbestände dauernd von jeder Berechtigung auf Versicherungsleistungen ausgeschlossen würden, die solcher bei Eintritt des Versicherungsfalles nicht bedürfen. Die Bedarfsversicherung würde so ohne völlige Um.gestaltung des Gesetzesentwurfes zu einer dauernden Einrichtung.

Alle Anhänger der Bedarfsversicherung führen neben den finanziellen Vorteilen, die eine solche bietet, vor allem ethische und politische Gesichtspunkte zu ihren Gunsten an. Sie machen geltend, dass erst eine Beschränkung ·der Versicherungsberechtigung im Sinne ihrer Vorschläge den Gedanken der Solidarität in vollkommener Weise verwirkliche. Es habe in der Tat keinen .rechten Sinn, wie es die Vorlage des Bundesrates tue, in strenger und hier ungerechtfertigter Anwendung des Versicherungsbegriffes die geringer bemittelten Volkskreise stärker zu belasten, um auch wohlhabenden Beitragspflichtigen eine Versicherungsleistung zu gewähren, die diese nicht nötig haben und die angesichts ihrer Geringfügigkeit im Verhältnis zu den Lebensbedürfnissen dieser Kreise meist auch keine Bolle spiele. Auch bei der Bedarfsversicherung seien die Merkmale des Versicherungsbegriffes erfüllt. Ähnlich wie in der Kranken- und Unfallversicherung bestimmte Gefahren, von denen jeder betroffen werden könne, von denen er aber hoffe, verschont zu bleiben, den Gegenstand der Versicherung bilden, so stelle in der
Bedarfsversicherung die Möglichkeit der Verarmung oder der Bedürftigkeit im Alter das versicherte Hisiko dar.

2. Es ist nicht zu bestreiten, dass auch die Idee der Bedarfsversicherung auf den ersten Blick etwas Bestechendes hat und dass das Opfer, welches den bemittelteren Schichten des Volkes durch den Verzicht auf Leistungen zugunsten ·der Bedürftigen zugemutet wird, mit ethischen Erwägungen begründet werden kann. Der Bundesrat steht der ganzen Frage um so vorurteilsfreier gegenüber, als er selber seinerzeit in der Nachtragsbotschaft vom 23. Juli 1924 zum Verfassungsartikel über die Versicherung, vorwiegend aus finanziellen Gründen, die Bealisierung des geplanten Sozialwerkes auf dem Boden der allgemeinen Beitragspflicht, aber unter Beschränkung der Ausrichtung von Versicherungs-

253 leistungen auf die weniger bemittelten Schichten der Bevölkerung, vorgeschlagen hatte. Der Vorschlag des Bundesrates hat dann aber, wie wir bereits in unserm Berichte vom 14. Oktober 1930 an Ihre Kommission auseinandergesetzt haben, weder im Nationalrate noch im Ständerate Anklang gefunden. In beiden Bäten waren die Vertreter sämtlicher Parteien und Ideenrichtungen in der Ablehnung dieses Vorschlages einig, der nicht nur dem Versicherungsbegriff, wie er gewöhnlich verstanden wird, widerspreche, sondern auch die Gefahr einer gewissen Prämiierung der eher sorglosen und wenig sparsamen Volksgenossen auf Kosten der andern in sich schliesse, was aus moralischen und politischen Gründen unerwünscht sei. Wir dürfen wohl der Kürze halber von einer eingehenderen Darlegung jener Ansichtsäusserungen absehen und auf den erwähnten Bericht (Bundesbl. 1980, Bd. II, S. 469) sowie auf das Stenogramm der seinerzeitigen Verhandlungen der eidgenössischen Eäte (Frühjahrs- und Sommersession 1925) verweisen.

Die übereinstimmenden Äusserungen massgebender Volksvertreter zeigten deutlich, dass eine auf dem Gedanken der Bedarfsversicherung aufgebaute Vollziehung des Verfassungsgrundsatzes, als den Gefühlen unserer Bevölkerung in ihrer grossen Mehrheit widersprechend, kaum deren Zustimmung finden würde.

Diese Überzeugung sowie die Schwierigkeiten, welche beim Auftreten eines auf den ersten Blick nicht unsympathischen Gedankens manchmal zunächst nicht ganz erkannt werden, deren Bedeutung aber bei näherem Studium sich voll geltend macht, veranlassten uns, unsern ursprünglichen Vorschlag aufzugeben. In weiterer Verfolgung einer bei jenen Verhandlungen, im Ständerat, bereits durch den Chef des Volkswirtschaftsdepartementes vorgebrachten eventuellen Idee entschlossen wir uns zu der nunmehr im Gesetz vorgesehenen, allen berechtigten Interessen entsprechenden Zweiteilung der Versicherungsleistungen in solche der kantonalen Kassen, die in allen Versicherungsfällen zur Ausrichtung gelangen, und in die sogenannten Sozialzuschüsse, von deren Bezug die in auskömmlichen Verhältnissen lebenden Personen ausgeschlossen sind.

Die Frage der Bedarfsversicherung wurde bei der Beratung des Gesetzes durch die Bundesversammlung im Nations Ira t überhaupt nicht aufgegriffen.

Im Ständerat fand sie nur im Zusammenhang mit der Eintretensdebatte
Erwähnung ; in der Einzelberatung wurde ein Antrag auf deren Einführung nach erläuternden Mitteilungen des Chefs des Volkswirtschaftsdepartementes nicht gestellt. Da heute aber die Idee ausserhalb des Parlamentes, sogar unter Berufung auf die ursprüngliche Stellungnahme des Bundesrates vom Jahre 1924, wieder empfohlen wird und in einzelnen Bevölkerungskreisen Anklang zu finden scheint, erschien es angezeigt, sie auch amtlich nochmals eingehend zu prüfen und über die Ergebnisse der Prüfung Ihrer Kommission auhanden des Ständerates einlässlich zu berichten.

Im Hinblick darauf, dass es sich bei der Bedarfsversicherung nicht einzig um eine finanzielle, organisatorische und technische Angelegenheit handelt, sondern dass gerade hier mehr gefühlsmässige Erwägungen mitsprechen, haben Bundesblatt 83. Jahrg. Bd. L

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wir Anlass genommen, auch diese Frage nochmals sowohl den wirtschaftlichen Spitzenverbänden wie auch den zentralen Arbeitnehmerorganisationen vorzulegen, uni durch Vermittlung dieser berufenen Vertretungen ein Bild zu gewinnen, wie die breiten Kreise unserer Bevölkerung darüber denken. Denn es ist wohl klar, dass eine Umgestaltung des Versicherungswerkes im Sinne einer vorübergehenden oder vor allem einer dauernden Bedarfsversicherung nur in die Wege geleitet werden könnte, wenn tatsächlich in den Kreisen, von denen man ein Opfer verlangt und die den verschiedensten Volksschichten und Erwerbsgruppen angehören, ein solches Abgehen vom landläufigen Versicherungsbegriff verstanden würde und sie gewillt wären, das von ihnen verlangte Opfer auf sich zu nehmen, 3. Dem Postulat der Bedarfsversicherung liegt, wie bereits am Anfang dieses Abschnittes erwähnt, die Idee zugrunde, dass für alle Versicherten Beiträge zu leisten, dass aber die bemittelteren Volkskreise zugunsten der bedürftigen Schichten auf jeden Bezug von Versicherungsleistungen zu verzichten hätten.

Dieser Gedanke lässt sich aber auch, wie bereits angedeutet und wie es · in unserm Gesetzesentwurfe geschehen ist, in einer Form verwirklichen, die es vermeidet, entgegen den Anschauungen unseres Volkes von mit dem Versicherungsbegriff allgemein verbundenen Merkmalen abzugehen und an die Stelle eines Versicherungswerkes eine mit einer Art Steuer finanzierte Fürsorge zu setzen.

Während der sogenannten Übergangsperiode von 15 Jahren nach Inkrafttreten des Versicherungsgesetzes sind in der Tat auch nach dem Entwurfe diejenigen Personen, welche aus eigenen Mitteln und Pensionen ihren Lebensunterhalt in auskömmlicher Weise bestreiten können, nicht nur vom Bezüge der sogenannten Sozialzuschüsse, sondern auch von den Leistungen der kantonalen Versicherungskassen ausgeschlossen. Die dadurch erzielten Ersparnisse dienen zur Bildung der Fonds bei diesen Kassen, deren Erträgnisse zur Deckung eines Teils der spätem Vollbelastung der Versicherung herangezogen werden und notwendig sind. Es handelt sich somit um eine vorübergehende Massnahme von relativ kurzer Dauer, die, in den Bahmen des gesamten Versicherungswerkes eingegliedert, einen Bestandteil seiner Finanzierung bildet. Dieser besondere Charakter rechtfertigt das Opfer, das bemitteltere Volkskreise
mit dem Ausschluss von jeder Versicherungsleistung zu bringen haben und das ihnen um so eher zugemutet werden darf, als davon in der Altersversicherung ohnehin nur diejenigen Jahrgänge betroffen werden, welche überhaupt keine oder nur noch eine relativ geringe Zahl von Beiträgen zur Versicherung zu entrichten haben werden.

Nach Ablauf der "Übergangsperiode von 15 Jahren werden auch diese Personen wenigstens auf die aus. den Beiträgen und den Erträgnissen der Bücklagen ausgerichteten Grundleistungen der kantonalen Versicherungskassen berechtigt, dagegen immer noch vom Bezüge der Sozialzuschüsse ausgeschlossen sein. Hier wirkt sich die Idee der Bedarfsversicherung in der

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Weise aus, dass die staatlichen Mittel in vollem Umfange den wirtschaftlich schwächern Kreisen vorbehalten bleiben, ohne dass aber die bemittelteren, ebenfalls in die Volksversicherung einbezogenen Schichten der Bevölkerung auch des Anspruches auf diejenigen Versicherungsleistungen verlustig erklärt würden, den sie sich durch ihre Beitragszahlung erworben haben. Auch diese Einteilung wird allseitig verstanden, gestattet sie doch bei der Durchführung des projektierten "Werkes am Versicherungsbegriffe, wie er sich eingebürgert hat, sowie am Prinzip der Volksversicherung festzuhalten, zugleich aber die Mittel dea Bundes und der Kantone ausschliesslich denjenigen zuzuwenden, die dieser Hilfe bedürfen.

So sehr aber die Berücksichtigung des Bedarfsgedankens in diesem beschränkten Umfange sich rechtfertigt und auch in den weitesten Kreisen Zustimmung gefunden hat, so entschieden muss er als Grundlage für den Aufbau des ganzen Werkes abgelehnt werden. Und zwar gilt dies sowohl von der Bedarfsversicherung als vorläufiger selbständiger Massnanme wie auch von der Forderung auf dauernden Ausschluss einzelner Kreise von jeder Leistungsberechtigung im Eahmen des vor den Eäten liegenden Gesetzesentwurfes.

Wir haben bereits oben darauf hingewiesen, dass das in der Broschüre des Herrn Schule skizzierte Projekt alle bei seiner Verwirklichung mehr als 20 Jahre alten Personen auf die Bedarfsversicherung verweist und damit für den grössten Teil unseres Volkes, der die ganze Aktivbürgerschaft umfasst, wenigstens in der Altersversicherung die dauernde Regelung darstellt, die frühestens in einem Menschenalter und anfangs nur für den ersten Jahrgang der seinerzeit mit, dem 20. Altersjahr eingetretenen Personen durch eine eigentliche Versicherung abgelöst wird. Die beiden Versicherungen sollen aber angesichts der Dringlichkeit, die der Bedarfsversicherung gegeben wird, nicht einmal gleichzeitig eingeführt werden, wobei, wie leicht erkennbar, die grosse Gefahr besteht, dass es bei Ablehnung des später folgenden Gesetzes über die Kapitalversicherung bei der Bedarfsversicherung dauernd sein Bewenden habe. Findet aber keine gleichzeitige Einführung der beiden Versicherungen statt, so ist es auch nicht erlaubt, wie das besprochene Projekt es möchte, den Staat an der Bedarfsversicherung unter Hinweis auf seine Befreiung von
Zuschüssen an die folgende Kapitalversicherung und den daherigen Ausgleich finanziell mehr als zur Hälfte zu beteiligen, indem bei Nichtrealisierung dieser letztern die Verfassungsvorschriffc, welche die Übernahme von mehr als 50% des Gesamtbedarfs durch das Gemeinwesen verbietet, verletzt wäre, 4. Es kann sich nicht darum handeln, hier die Frage zu entscheiden, ob bei der Bedarfsversicberung noch von einer eigentlichen Versicherung, gesprochen werden dürfe oder nicht. Jedenfalls bildet die Verarmungsgefahr, die als ihr Gegenstand bezeichnet wird, ein sehr vages, in seiner Bedeutung schwer einzuschätzendes und zu umschreibendes Risiko, das überdies die einzelnen Kreise der Bevölkerung in sehr ungleichem Masse bedroht und sich auch ganz verschieden auswirkt. So ist die Gefahr für den Wohlhabenden gering, für

256 denjenigen, der schon vor Eintritt der Verarmung in engen Verhältnissen lebt, dagegen gross, und es wäre, was schon unser Experte, Herr Direktor Schaertlin von der Schweizerischen Lebensversicherungs- und Kentenanstalt, hervorgehoben hat, in hohem Masse unbillig, dafür einen Einheitsbeitrag zu erheben, wie er einer sozialen Alters- und Hinterlassenenversicherung zweckmässigerweise zugrunde gelegt wird.

Unzutreffend ist sodann auch die Gleichstellung der Bedarf'sversicherung mit der Kranken- und der Unfallversicherung, handelt es sich doch bei der Krankheit um eine Gefahr, die sozusagen jedes Individuum und sogar mehrmals trifft ; während an der selteneren Unfallgefahr der unerwartete plötzliche Eintritt des Ereignisses mit seinen oft schweren, ja katastrophalen Folgen für Leben und Arbeitskraft dem einzelnen besonders Eindruck macht. So . können Bodarfsversicherung einerseits, sowie Kranken- und Unfallversicherung anderseits, hinsichtlich der Bedeutung der befürchteten Gefahr und damit des Bedürfnisses nach Versicherungsschutz nicht entfernt miteinander verglichen werden, und völlig verfehlt wäre es, aus der Ausdehnung der Krankenund Unfallversicherung etwa gar Schlüsse auf den Wunsch weiterer Kreise nach einer Bedarfsversicherung für den Alters- und den Sterbefall im allgemeinen abzuleiten.

Die Alters- und Hinterlassenenversicherung steht ihrem Zwecke nach der Lebensversicherimg viel näher und hat sich infolgedessen dieser soweit möglich auch in ihrer Gestaltung anzupassen. Wie die Lebensversicherung in ihrer heute verbreitetsten Eorm, der gemischten Versicherung, so stellt auch die soziale Alters- und Hinterlassenenversicherung für den Fall der Erreichung einer bestimmten Altersgrenze oder vorherigen Ablebens bestimmte Leistungen in Aussicht. Mag dabei auch in der Sozialversicherung im Gegensatz zur Privatversicherung, die in allen Fällen Leistungen gewährt, die Ausrichtung solcher in Befolgung sozialpolitischer Gedankengänge und zur finanziellen Entlastung auf die engere Eamilie, wie Witwen und Waisen, beschränkt bleiben, so wird doch angesichts der Gleichartigkeit des Gegenstandes auch mit der Sozialversicherung die Vorstellung verbunden, dass wenn einmal anspruchsberechtigte Hinterlassene vorhanden sind, diesen ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen zum mindesten die aus den Beiträgen
gespiesenen Versicherungsleistungen zukommen sollen. Diese Anschauungsweise ist im Volke fest verwurzelt. So wie es die Prämien der privaten Lebensversicherung, die in jedem Falle Leistungen gewährt, in gewissem Sinne als eine Spareinlage betrachtet, so kann auch die obligatorische Alters- und Binterlassenenversicherung am ehesten als eine Art Zwangssparkasse aufgefasst werden, aus der der einzelne dann aber auch für sich und seine Hinterlassenen, sobald sich der Versicherungsfall realisiert, in der Eegel Leistungen erwarten darf.

Diese im Volksganzen bestehende Einstellung zu vernachlässigen, wäre unklug und für das Schicksal der Vorlage verhängnisvoll. Schon die Tatsache, dass infolge der Beschränkung der Hinterlassenenleistungen auf Witwen und

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Waisen beim Ableben lediger Beitragspflichtiger oder verheirateter Männer, die keine Witwe und keine oder nur Kinder über 18 Jahren hinterlassen, Versicherungsleistungen nicht zur Ausrichtung gelangen, ist gelegentlich kritisiert worden. Diese Einschränkung wird aber, wie wir bereits in unserer Botschaft zum Gesetze hervorgehoben haben, verstanden werden, wenn man berücksichtigt, dass es sich um verhältnismässig seltene Falle handelt und dass demjenigen, der seines ledigen Standes wegen keine Familienlasten zu tragen hat, wie auch demjenigen, dem es vergönnt war, vor seinem Tode seine Kinder aufzuziehen, eine Mithilfe zur Tragung der finanziellen Lasten in einem sozialen Werke wohl zugemutet werden darf.

Iri Berücksichtigung der im Volke herrschenden Vorstellungen sieht auch das Gesetz des Kantons Appenzell A.-Bh. betreffend die staatliche Altersversicherung beim Tod eines Versicherten vor erreichter Eentenberechtigung die Gewährung eines Sterbegeldes in der Höhe der von ihm einbezahlten Beiträge an den überlebenden Ehegatten bzw. die überlebenden, minderjährigen Kinder vor.

Eine Ausschliessung engerer oder weiterer Kreise von Beitragspflichtigen und ihrer Hinterlassenen von jedem Bezüge von Versicheruiigsleistungen, sobald infolge günstiger Einkommens- und Vermögenslage ein Bedürfnis dafür nicht besteht, würde den Beitrag zur Versicherung KU einer Art Kopfsteuer werden und den Beitragseinzug auch als Steuererhebung empfinden lassen. Dann wäre wohl auch die Einheit des Beitrages nicht mehr aufrechtzuerhalten, denn es würde besonders stossend wirken, wenn innerhalb des Kreises der Ausgeschlossenen alle wieder, ob sie reich seien oder hart oberhalb der Grenze stehen, die für den Leistungsbezug massgebend ist, den gleichen Beitrag zu zahlen hätten. Der Gedanke läge nahe, auch die Beiträge weiter nach der Vermögens- und Einkommenslage der Pflichtigen abzustufen, womit vollends die Beitragserhebung auf eine Art direkter Bundessteuer hinausliefe, für welche die verfassungsmässige Grundlage fehlt und die auch nicht auf dem Umwege über die Sozialversicherung eingeführt werden darf.

So handelt es sich in der Tat, wenn die letzten Konsequenzen ausgedacht werden, nicht mehr bloss um die Alternative Bedarfsversicherung oder allgemeine Volksversicherung, wie sie dem Gesetzesentwurfe zugrunde liegt, sondern
darum, ob man eine mit Steuern finanzierte Fürsorge zugunsten der Bedürftigen oder eine Versicherung schaffen will, bei der der Aufbringung von Beiträgen durch die in die Versicherung einbezogenen Personen die Gewährung von Versicherungsleistungen in allen gesetzlichen Versicherungsfällen ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gegenübersteht.

Darüber kann nun aber wohl kein Zweifel bestehen, dass unser Volk bei der Annahme der Verfassungsvorlage in seiner überwiegenden Majorität von der noch heute geltenden Erwartung ausgegangen ist, dass ihm ein Ausführungsgesetz auf dem Boden einer Versicherung und nicht auf demjenigen einer verschleierten Fürsorge für die Bedürftigen vorgelegt werde. Dieser

258 Erwartung ist gerade in der neuesten Konferenz mit den wirtschaftlichen Spitzenverbänden wieder mit aller Bestimmtheit Ausdruck gegeben worden.

5. Die Kreise, welche für die Bedarfsversicherung eintreten, unterschätzen die Schwierigkeiten, die einer einigermassen befriedigenden Abgrenzung zwischen den leistungsberechtigten Personen und denjenigen, welche ausgeschlossen sein sollen, entgegenstehen. Zuzugeben ist, dass jede Ausscheidung von Personenkreisen mit verschiedenen Eechten und Pflichten nach bestimmten Kriterien Schwierigkeiten bietet, und dass auch die bei nnserm Gesetzesentwurf o notwendig« Einteilung in Bezüger, welche nur auf .die Leistungen der kantonalen Kassen berechtigt sind und solche, denen überdies die Sozialzuschüsse zukommen, besonders in Grenzfällen, zu gewissen Härten und Ungleichheiten führen kann. Es ist aber doch etwas ganz anderes, ob derjenige, dessen Einkommen im Alter die im Gesetz gezogenen Grenzen übersteigt, von jeder Berechtigung auf Versicherungsleistungen ausgeschlossen sei, oder ob er nur auf die Sozialzuschüsse verzichten müsse. Mit dem letztern wird er sich schliesslich in der Erwägung abfinden, dass die öffentlichen Mittel zwecks Erzielung der grösstmöglichen sozialen Wirkung auf die weniger bemittelten Kreise konzentriert werden müssen, wenn ihm wenigstens in Form der Grundleistungen der kantonalen Kassen der Gegenwert seiner Beiträge an die Versicherung zukommt. Kann er aber auch darauf nicht zählen, so wird bei. ihm, besonders wenn er, ohne geradezu in engen Verhältnissen gelebt zu haben,, doch nicht auf Eosen gebettet war, das bittere Gefühl entstehen, jähre- und eventuell jahrzehntelang für eine Einrichtung regelmässige Beiträge aufgebracht haben, zu müssen, die für ihn und für seine Familie vollständig verloren sind.

Die Schwierigkeiten sind um so bedeutender, als wegen der grossen Unterschiede der Lebensverhältnisse und der Lebensgewohnheiten in den einzelnen Gebieten unseres Landes sowie wegen der ganz verschiedenartigen kantonalen Steuergesetzgebung und Steuereinschätzung die notwendige nähere Abgrenzung, beispielsweise in Form bestimmter zahlenmässiger Grenzwerte, weder für das ganze schweizerische Landesgebiet noch für grössere Teilgebiete im Bundesgesetze selber festgelegt werden kann, sondern im Bahmen bestimmter bundesrechtlicher Grundsätze
den kantonalen Einführungsvorschriften überlassen werden muss. Diese in der Natur der Dinge liegenden Hindernisse erkennend, haben denn auch die früheren Befürworter einer bundesrechtlichen Fixierung bestimmter Grenzwerte sich mit dem vom Nationalrat angenommenen Zusatz su Art. 25 des Gesetzes begnügt, wonach die Kantone bei Vollziehung dieser Vorschrift im Eahmen der vom Bundesrate aufzustellende!) Grundsätze und in Würdigung der örtlichen Verhältnisse die Einkommensbeträge festzusetzen haben, bis zu welchen ein Anspruch auf Sozialzuschüsse unter allen Umständen besteht.

Dabei handelt es sich hier nur um die Abgrenzung zwischen den Personen, die bloss auf die Leistungen der kantonalen Kassen, und denen, die auch auf Sozialzuschüsse berechtigt seinsollen, nicht aber um die Auf Stellung vonKriterien,

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von deren Fehlen oder Vorhandensein das Becht auf Versicherungsleistungen überhaupt abhängt. Zu welcher Quelle steten Misstrauens und grossier Beunruhigung in breitesten Kreisen eine Ausscheidung in diesem letztern Sinne würde, die nach der Natur der Verhältnisse nur nach ähnlichen Prinzipien erfolgen könnte, lässt sich leicht ermessen.

Jede Festsetzung von Eechten und Pflichten nach bestimmten Einkommensund Vermögensbeträgen wird in den Fällen besonders empfunden, die nahe an den vom Gesetze festgelegten Grenzen liegen. Die oben zitierte Vorschrift von Art. 25 des Bundesgesetzes, welche die Verteilung der Sozialzuschüsse im allgemeinen ordnet, sieht infolgedessen zur bessern Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse innerhalb des Kreises der Berechtigten und zur Vermeidung von Härten in Grenzfällen eine Abstufung des Zuschusses vor.

Auf diese Weise wird es möglich sein, den besonders bedürftigen Personen einen über dem Durchschnitt stehenden Zuschuss zu gewähren, während andere, deren Einkommen hart unter der Berechtigungsgrenze liegt, sich mit einem kleinern, unterdurchschnittlichen Zuschüsse werden begnügen müssen. Damit wird der Übergang zu den Fällen, in denen ein Sozialzuschuss nicht mehr gewährt wird, gemildert. In jedem Falle verbleibt aber auch demjenigen, der keinen solchen erhält, doch mindestens der Anspruch auf die Leistungen der kantonalen Kasse. Ganz anders würden sich dagegen die Verhältnisse in einer Bedarfsversicherung gestalten, wo eine kleine Abweichung des Einkommens im Einzelfalle von der festgesetzten Grenze nach oben oder nach unten und damit ganz unwesentliche Unterschiede bei im allgemeinen unter gleichen Bedingungen lebenden Personen je nachdem zur Gewährung von Versicherungsleistungen oder zum völligen Ausschluss davon Anlass gäben.

6. Die Anhänger der Bedarfsversicherung geben sich sodann ganz wesentlichen Täuschungen über deren finanzielle Bedeutung für die Entlastung des Versicherungswerkes hin. Zunächst hätte man sich darüber klar zu werden, ob die erwarteten Ersparnisse zu einer Herabsetzung der Beiträge oder zu einer Erhöhung der Versicherungsleistungen an die Bezüger solcher verwendet werden sollen. Nur im zweiten Falle blieben die Ausgaben der kantonalen Versicherungskassen ungeschmälert, so dass auch die von Bund und Kantonen für Sozialzuschüsse zur
Verfügung gestellten Mittel und damit die Zuschüsse selber keine Verminderung erfahren würden. Verwendet man jedoch die Ersparnisse zu einer Ermässigung der Beiträge, so wird die von den Versicherten und Arbeitgebern aufgebrachte Summe kleiner, womit sich automatisch die Zuwendungen des Staates verringern, die nach der Verfassung die Hälfte des Gesamtbedarfes der Versicherung nicht übersteigen dürfen. Von diesem Ausfall an staatlichen Zuschüssen würden in vollem Umfange die bedürftigen Kreise der Leistungsbezüger betroffen.

Berechnungen oder auch nur Schätzungen über das Mass der zu erwartenden Ersparnisse sind wegen der verschiedenartigen Verhältnisse, auf die man weitgehend Eücksicht zu nehmen hätte, schwierig. Jedenfalls kann aber gesagt werden, dass sie sich in bescheidenen Grenzen halten werden, sofern man nicht Kreise in den Ausschluss einbeziehen will, denen gegenüber die Auferlegung der

260 Pflicht zur regelmässigen Aufbringung von Beiträgen, ohne dass dieser irgendwelcher Anspruch auf Versioherungsleistungen gegenüberstände, sozial und ·wirtschaftlich ein Unrecht wäre, das auch als solches von ihnen empfunden würde. Es könnte somit unter keinen Umständen eine Kegelung in Frage kommen, bei der alle diejenigen Personen auch von den Leistungen der kantonalen Kassen ausgeschlossen würden, die .schon bei der jetzigen Gestaltung des Gesetzesentwurfes keine Sozialzuschüsse erhalten und deshalb während der 15jährigen Übergangsperiode überhaupt keine Versicherungsleistungen beziehen. Denn gerade in diesen Kreisen sind Fälle der eben genannten Art zahlreich, in denen vielleicht durch eigene Mittel das Auskommen gesichert ist und ein Anlass für die Zuwendung öffentlicher Gelder nicht besteht, die aus den Beiträgen fliessenden Eenten aber doch eine nach den allgemeinen Lebensumständen sehr willkommene und auch objektiv durchaus gerechtfertigte weitere Einnahmequelle bilden.

'. ' Mit einer engern Begrenzung des Ausschlusses käme man aber zu einer Dreiteilung der Bevölkerung, in Kreise, welche überhaupt keine Leistungen erhalten, in solche, welche nur auf die Grundleistungen der kantonalen Kassen berechtigt sind und in die Kategorie derjenigen, welche sowohl diese wie die Sozialzuschüsse beziehen. Während sich heute die nicht einfache und nicht leichte Ausscheidung auf zwei Kategorien beschränkt, entstände die Notwendigkeit, für die Abgrenzung einer dritten Kategorie besondere und von den erstem abweichende Kriterien zu schaffen. Dies alles würde die Durchführung der Versicherung, statt sie zu vereinfachen, nicht unwesentlich komplizieren und das Misstrauen sowie die Unzufriedenheit, die in einem gewissen, wenn auch geringen Masse sich schon gegenüber der heutigen Ordnung geltend machen, die aber in Kauf genommen werden können, zum Schaden des Ganzen wesentlich vermehren.

Wie bescheiden die aus der Bedarfsversicherung zu erzielenden Ersparnisse auch bei verhältnismässig tiefer Ansetzung der Berechtigungsgrenze wären, ergibt sich daraus, dass beispielsweise beim Ausschluss der über 65 Jahre alten Einzelpersonen, die in jenem Zeitpunkte über ein jährliches Einkoramen von mehr als Fr.5000, und der Ehepaare, die über ein solches von mehr als Fr. 8000 verfügen, hoch gerechnet nicht mehr als 8--10%
der jetzigen Eentenberechtigten in Wegfall kämen. Diese schätzungsweise Feststellung wird durch die Resultate einer Enquete bestätigt, welche die eidgenössische Steuerverwaltung ira Auftrage des Bundesrates im Jahre 1922 über die Zahl der bedürftigen Personen von mehr als 65 Jahren durchgeführt hat. Die sehr sorgfältige Erhebung hat gezeigt, dass von der Gesamtzahl dieser Personen von 210,000 gegen 140,000, also volle zwei Drittel über ein Einkommen von höchstens Fr. 2000 jährlich \ind über ein Vermögen, das Fr. 20,000 nicht übersteigt, verfügten. Diese Erhebungsergebniase dürften heute noch, wenn auch die Gesamtzahl der alten Personen sich vermehrt hat, Gültigkeit beanspruchen. Sie beweisen, dass der Grossteil der Greise und Greisinnen nur ganz bescheidene Einkünfte hat und dass schon bei einer geringen Erhöhung der genannten Einkommens- und Vermögens-

261 betrage zur Abgrenzung der Bezüger von Versicherungsleistungen von den nicht bezugsberechtigten Personen diese letztern sich auf relativ kleine Bestände beschränken. Niemand wird aber wohl im Ernste Personen, die in einem langen Leben voller Arbeit sich das Eecht auf eine in städtischen Verhältnissen bescheidene Pension von Fr. 8000, 4000, vielleicht von Fr. 5000 oder ein entsprechendes Vermögen erworben haben, von jedem Rechte auf Versicherungsleistungen ausschliessen wollen, nachdem sie jähre-und jahrzehntelang regelmässig ihre Beiträge an die Volksversicherung leisten mussten und geleistet haben.

Besondere Schwierigkeiten stehen aber einer Abgrenzung im Gebiete der Hinterlassenenversicherung entgegen, wo die massgebenden Einkommensund Vermögensbeträge in Berücksichtigung der Kinderzahl und eventuell der Pflicht zum Unterhalt anderer Personen bestimmt werden müssten. Ebenso würde hier der Ausschluss auch bei relativ hoher Ansetzung der Grenze besonders stark empfunden. Der Tod des Gatten und Vaters bedeutet in wirtschaftlicher Beziehung, sogar bei gutem Einkommen und relativ erheblichen Vermögensrücklagen, für die Familie einen schweren Schlag. Meist stehen ihr nachher erheblich geringere Einkünfte zur Bestreitung des Lebensunterhaltes und zur Erziehung der Rinder zur Verfügung, während anderseits der durchaus berechtigte Wunsch besteht, die bisherige soziale Stellung soweit irgendwie möglich aufrechtzuerhalten und eine vielleicht schon zu Lebzeiten des Vaters ziemlich weit fortgeschrittene Ausbildung der Kinder für bestimmte Berufe nicht ohne Not abzubrechen. Auch in diesen Fällen werden die Leistungen der kantonalen Kassen der Volksversicherung einen sehr willkommenen und wertvollen Züschuss bilden.

Schliesslich ist noch zu berücksichtigen, dass die durch den Ausschluss einzelner Kreise aus der Bentènberechtigung erzielten Ersparnisse nicht in vollem Masse zur Beitragsermässigung herangezogen werden könnten, da ja, wie festgestellt, in etwa einem Drittel der Versicherungsfälle während der ersten 15 Jahre schon bei unsenn Entwurf keine Leistungen zur Ausrichtung gelangen. Diese Entlastung ist bei der Berechnung der Beiträge bereits berücksichtigt worden und darf deshalb bei-Weiterführung eines Ausschlusses über die Übergangsperiode hinaus nicht noch einmal berücksichtigt werden.

Wollte man
alle diese Härten und Ungerechtigkeiten vermeiden, so müsste der Ausschluss von jeder Eentenberechtigung auf wenige offenkundig reiche Personen beschränkt werden. Damit wäre aber nicht nur zur finanziellen Entlastung der Versicherung nichts gewonnen, sondern es würde eine solche Anordnung infolge ihres Ausnahmecharakters von der geringen Zahl der Betroffenen wohl mit Becht als kleinlich und schikanös empfunden. Es ist nicht zu vergessen, dass die Kreise, die dabei auf alle Versicherungsleistungen zu verzichten hätten, im allgemeinen neben ihren persönlichen Beiträgen auch für mehrere Arbeitskräfte die Arbeitgeberbeiträge werden bezahlen müssen. Sie sind zudem mit Steuern meist stark belastet und werden auch

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durch allerlei Wohltätigkeitsbestrebungen in Anspruch genommen. Daher sollte man richtigerweise auch ihnen gegenüber bei der jetzigen Ordnung verbleiben und im Vertrauen auf ihre soziale Gesinnung des freiwilligen Verzichtes auf die ihnen formell zukommenden Rentenleistungen aus der Sozialversicherung gewärtig sein.

7 So zeigen alle Erwägungen organisatorischer und finanzieller Natur, dass die sogenannte Bedarfsversicherung keinen Weg zur Lösung der Aufgabe bietet, die dem Gesetzgeber mit der Annahme des Art. g^i«»*81 der Bundesverfassung gestellt worden ist. Wer sich über die allein in Betracht fallenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse der mehr als 65 Jahre alten Personen, sowie der "Witwen und Waisen klar Bechenschaft gibt, erkennt, dass sie in der weit überwiegenden Zahl der Fälle bescheidene sind. Ein Ausschluss einzelner Kreise von jeder Bentenberechtigung würde, sofern damit eine irgendwie relevante Entlastung des Versicherungswerkes erzielt werden soll, tief in die Schichten des Mittelstandes eingreifen und von Leuten ein Opfer verlangen, denen ein solches nicht zugemutet werden kann. An die Stelle eines Hechtes auf bestimmte Versicherungsleistungen träte auch für diese Kreise ein Anspruch für den unbestimmten Eall, dass sich ihre Verhältnisse im Alter oder beim Ableben diejenigen ihrer Hinterlassenen besonders ungünstig gestalten.

Sobald aber das in jahrelanger Anstrengung erworbene Vermögen oder die vom Arbeitgeber ausgerichtete Pension eine auch nur bescheidenen Ansprüchen genügende Existenz zu garantieren vermöchten, würden sie trotz aller Beiträge, die sie an die Volksversicherung entrichtet haben, vom Bezüge der Leistungen dieser vollständig ausgeschlossen sein.

Auch die Frage der Bedarfsversicherung haben wir, wie erwähnt, den bereits genannten wirtschaftlichen Spitzenverbänden sowie den zentralen Organisationen der Arbeitnehmer vorgelegt und anlässlich der erwähnten Konferenzen mit ihnen besprochen. Auch hier war die Stimmung im Sinne der Ablehnung eine durchaus einheitliche, und es ging speziell aus beiden Konferenzen hervor, dass es der Auffassung und dem Gefühle unseres Volkes widersprechen würde, eine Versicherung zu schaffen, von deren Leistungen ein Teil der an sich Berechtigten ausgeschlossen würde. Dadurch müsste, so wurde speziell hervorgehoben, eine grosse Unsicherheit
und ein Misstrauen in weiten Kreisen derjenigen entstehen, die zwar vielleicht nicht zu den Bedürftigen gehören, es trotzdem aber als eine Ungerechtigkeit empfinden würden, wenn man ihnen angesichts ihrer bescheidenen Verhältnisse die Zumutung machen würde, ein Leben lang Versicherungsbeiträge zu bezahlen, um dann schliesslich von sämtlichen Eenten ausgeschlossen zu werden.

In der Konferenz der wirtschaftlichen Spitzenverbände und der Arbeitgeberorganisationen wurde betont, dass es ja wohl wünschenswert scheinen möge, dass reiche und wohlhabende Personen freiwillig auf den Bezug von Vergicherungsleistungen verrichten, anderseits sei aber eine Aberkennung des Anspruchs des entschiedensten abzulehnen. Soweit der Gedanke der Bedarfsversicherung realisierbar sei, habe er im Gesetzesentwuii durch die

263 Konzentrierung der Sozialzuschüsse auf die minderbemittelten Kreise eine weitgehende Berücksichtigung gefunden. Würde man aber weitergehen und einem Teil des Volkes auch die eigentlichen Versicherungsleistungen absprechen, so würde eine solche Einrichtung nicht mehr als eine Versicherung betrachtet und man könnte sich, wurde hervorgehoben, selbst fragen, ob überhaupt für eine solche Ordnung die verfassungsrechtliche Grundlage vorhanden sei.

Mit öffentlichen Mitteln könne man reine Fürsorgeleistungen finanzieren und auf die Vermögensverhältnisse der Bezüger Rücksicht nehmen, Versicherungsbeiträge dagegen seien nicht bestimmt, rein nach dem Bedürfnis der Rentenbezüger verwendet zu werden.

Von Seiten der Arbeitgeber wurde betont, dass an der hier erwähnten Anregung auch mit Bücksicht auf die Arbeitgeberbeiträge keine Änderung getroffen werden dürfe. Diesen letzteren sei insbesondere in gewerblichen Kreisen unter der Voraussetzung zugestimmt worden, dass auch der Arbeitgeber unzweifelhaft, und ohne dass er noch ein besonderes Bedürfnis nachweise, auf die Versicherungsleistungen berechtigt sei. Ein Abgehen von diesem Grundsatze würde bei vielen Arbeitgebern als eine Ungerechtigkeit empfunden, und es dürfte bei ihnen unter aolchen Verhältnissen keine Neigung mehr bestehen, neben ihren persönlichen Beiträgen auch noch Arbeitgoberbeiträge 2U leisten.

Von verschiedenen Eednern, insbesondere auch vom Sprecher des Bauernverbandes, der übrigens seine Auffassung bereits vor der Konferenz in einer schriftlichen Eingabe präzisiert hatte, wurde auf die grossen Schwierigkeiten der Abgrenzung der Berechtigten und der vom Bezüge der Versicherungsleistungen ausgeschlossenen Personen und auf das grosse Misstrauen, das eine solche Ordnung insbesondere in der landwirtschaftlichen Bevölkerung hervorrufen würde, hingewiesan. Der Bauer lasse es sich gefallen, wurde geltend gemacht, wena eine Abgrenzung der Bevölkerung eintrete hinsichtlich der Sozialzuschüsse, die aus öffentlichen Mitteln geleistet werden, aber er verstünde es nicht, wenn Sparsamkeit und emsige Arbeit schliesslich noch damit belohnt würde, dasa die Träger solcher Grundsätze mit einem Versicherungsbeitrag belastet würden, dem keine Gegenleistung gegenüberstünde und der so tatsächlich zu einer, weil von jedermann in gleicher Höhe bezogen, ungerechten
Kopfsteuer würde.

Sowohl an der Konferenz mit den Arbeitgebervertretern wie an derjenigen der Delegierten der Arbeitnehmerverbände wurde der Auffassung Ausdruck gegeben, dass mit der Annahme des Bedarfsprinzips kaum Widerstände gegen das Gesetz gebrochen, dagegen in andern Kreisen wieder neue geschaffen würden.

So stehen wir vor der Tatsache, dass in den beiden Konferenzen von den Vertretern ganz verschiedener Gruppen doch im wesentlichen aus denselben Gründen die Idee der Bedarfsversicherung abgelehnt worden ist. Ein einziger Teilnehmer an der Konferenz der Spitzenverbände hat ohne nähere Begründung sich dafür ausgesprochen. Im übrigen aber war die Stimmung eine vollständig einheitliche, und auch Eedner, die erklärten, dass sie an und für sich nichts dagegen hätten, wenn die wohlhabenden Kreise von dem Eentenbezug ausgeschlossen würden, anerkannten, dass dieser Idee zu grosse praktische Schwie-

264 rigkeiten entgegenstünden und dass insbesondere das Volk in seiner übergrossen Mehrheit davon nichts wissen wolle. Es läge darin, so betonten andere, ein Schritt zur Fürsorge und eine Abkehr -vom Prinzip der Versicherung. Es genüge, wurde auch hervorgehoben, wenn aus finanziellen Gründen für die ersten 15 Jahre die Bessersituierten von den Bezügen ausgeschlossen werden, diese Bestimmung sei verständlich und dadurch gerechtfertigt, dass die für diese Zeit in Betracht fallenden Eentenberechtigten zum Teil keine, zum Teil nur wenige Jahresbeiträge bezahlt hätten.

Die vorgenommene Befragung hat somit das Bild, das sich schon aus den parlamentarischen Verhandlungen über den Verfassungsartikel ini Jahre 1925 ergab, in allen Teilen bestätigt und erneut bewiesen, dass eine Bedarfsversicherung im Sinne der erörterten Vorschläge in den breitesten Schichten unserer Bevölkerung keinen Anklang fände. Sie entspräche auch nicht den Voraussetzungen,, unter denen die grosse Majorität des Volkes seinerzeit dem grundlegenden Verfassungsartikel zugestimmt hat.

III.

Die Prüfung der beiden aufgeworfenen Fragen und die Konsultierung der Wirtschaftsverbände haben somit zu einem negativen Ergebnis geführt. Wir hätten es begrüsst, wenn es möglich gewesen wäre, in irgendeinem Punkte entgegenzukommen, um dadurch Beiseitestehende zu versöhnen. Den vorgeschlagenen Änderungen kann aber nach unserer vollendeten Überzeugung nicht beigestimmt werden. Wir sind uns bewüsst, dass unsere Vorlage, wie eine jede, neben ihren guten Seiten auch Schwächen hat. Will man eine allgemeine obligatorische Volksversicherung durchführen, so muss man gewisse Unebenheiten in den Kauf nehmen. Sähe man von ihr ab, und würde man sich auf diö Versicherung gewisser Kategorien der Bevölkerung beschränken und die einzelnen Personen individuell behandeln, so fiele die Möglichkeit der vorgesehenen einfachen Lösung dahin, und es müsste dann eine Versicherungsorganisation geschaffen werden, die an unüberwindlichen Widerständen scheitern würde; Es ist wohl nirgends leichter als bei einem Gesetzesentwurf wie dem vorliegenden, Einzelbestimmungen zu kritisieren, aber wohl kaum irgendwo schwerer, etwas Besseres vorzuschlagen. "Das hat die bisherige öffentliche Diskussion gezeigt.

Wir beantragen Ihnen daher, auch hinsichtlich der Frage der Bedarfsversicherung,
am Texte der Gesetzvorlage, wie er aus Ihren Beratungen hervorgegangen ist, festzuhalten.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 9. Februar 1931.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Häberlin.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

II. Bericht des Bundesrates an die Kommission des Ständerates für die Behandlung des Entwurfes des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung. (Vom 9.

Februar 1931.)

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10 031 273

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