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Bundesblatt

·83. Jahrgang.

Bern, den 27. Mai 1931.

Band I.

Erscheint wöchentlich. Preis SO franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr.

Einrückungsgebühr : 50 Kappen die Pctitzeile oder deren Raum, -- Inserate franko an Stämpfli & Cie. in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Erhöhung des Bundesbeitrages an die Arbeitslosenkassen notleidender Industrien.

(Vom 19. Mai 1931.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen hiermit einen Bericht über die Erhöhung .des Bundesbeitrages an die Arbeitslosenkassen notleidender Industrien vorzu-legen.

I.

Mit Eingaben vom 15. Dezember 1930 stellten: der Schweizerische Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter, der Christliehe Verband der Arbeiter und Arbeiterinnen der schweizerischen Textil- und Bekleidungsindustrie, der Zentralverband schweizerischer Handmaschinensticker, der Schweizerische Textilarbeiterverband, der Schweizerische Stickereipersonalverband, der Landesverband Freier Schweizer Arbeiter, das Gesuch an uns zuhanden der Bundesversammlung, es sei der erhöhte Bundesbeitrag an die privaten Arbeitslosenkassen über das Jahr 1980 hinaus zu gewähren, d. h. für die Dauer der starken Belastung durch die Krisenverhältnisse in der Stickereiindustrie und Plattstichweberei, wenigstens aber für die Jahre 1981 und 1932. Mit diesen Begehren deckt sich die Eingabe der Regierung des Kantons St. Gallen vom 28. November 1980.

Mit Eingabe vom 29. Januar 1931 ersuchte der Begierungsrat des Kantons Glarus, es möchte in Verbindung mit der Verlängerung der Bezugsdauer für die versicherten Arbeitslosen der Seidendruckerei, der Seidenweberei, der Woll- und Baumwolldruckerei sowie der Baumwollspinnerei und -Weberei der Bundesbeitrag für die Textilindustrie erhöht werden.

Bundesblatt. 83. Jahrg. Bd. I.

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626 Für die Seidenbandweberei verlangen folgende Verbände für ihre Kassen eine Erhöhung des Bundesbeitrages : der Verband der Arbeiter und Arbeitgeber der Basler Bandfabriken, der Schweizerische Textilarbeiterverband und der Schweizerische Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter.

Aus dem Gebiete der Uhrenindustrie liegen gleichlautende Begehren einer Eeihe paritätischer Kassen vor. Die übrigen Kassen des Uhrenindustriegebietes haben in ihren Gesuchen um Bewilligung der verlängerten Bezugsdauer erklärt, dass sie auch für das Jahr 1981 auf den erhöhten Bundesbeitrag rechnen, ohne welchen sie nicht in der Lage wären, von der verlängerten Bezugsdauer Gebrauch zu machen.

Endlich stellt der Schweizerische Metall- und Uhrenarbeiterverband für die Metall- und Maschinenindustrie das Gesuch um Gewährung der erhöhten Bundessubvention für das Jahr 1931, mit Hinweis auf die vermehrten Aufwendungen infolge der in dieser Industrie herrschenden Krise und der damit begründeten vorläufigen Verlängerung der Bezugsdauer auf 120 Tage.

Alle diese Gesuche werden damit begründet, dass die Krise in den genannten Industrien anhalte, eine fortgesetzte (namentlich in der Uhrenindustrie gegenüber dem Jahre 1980 vermehrte) Arbeitslosigkeit verursache und infolgedessen den Arbeitslosenkassen, die Angehörige dieser Berufe in sieh schliessen, grosse Opfer auferlege. Die Kassen, welche durch wesentliche Prämienerhöhungen vom 1. Januar 1981 an Sanierungsmassnahmen durchgeführt haben, erklären, dass sie auch mit diesen Mehreinnahmen^den vermehrten Ansprüchen nicht standzuhalten vermögen.

II.

1. Die Arbeitslosigkeit hat seit Ende des Jahres 1929 ständig zugenommen.

Diese Tatsache hat ihren Grund hauptsächlich im Arbeitsmangel in der Uhrenindustrie und zum Teil in der Textil- und Maschinenindustrie, In der Stickereiund Seidenbandindustrie hält die seit Jahren herrschende Dauerkrise an.

Nach der Statistik betrug die Gesamtzahl der Arbeitslosen in der Schweiz:

gänzlich teilweise total Ende 1929 18,820 9,805 23,125 Ende 1930 28,045 88,488 56,528 Ende Januar 1931 27,316 84,000 61,316 Ende März 1931 19,919 41,880 61,799 Dabei ist zu beachten, dass dio Statistik nicht alle Arbeitslosen umfasst, da sich nicht alle auf den Arbeitsämtern anmelden und auch nicht alle einer Arbeitslosenkasse angehören. Verglichen mit der letzten grossen Krise entspricht die heutige Arbeitslosigkeit ungefähr derjenigen von Anfang 1921 und Frühjahr 1923.

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Infolge der im Jahre 1930 in der Uhrenindustrie eingetretenen andauernden Verschärfung der Krise musste bereits im vergangenen Jahre die Bezugsdauer für die Angehörigen der Uhrenindustrie bis Ende des Jahres nacheinander von 90 auf 180 Tage verlängert werden. Für das Jahr 1931 mussten wir für einzelne Gebiete der Uhrenindustrie die Bezugsdauer bis auf 210 Tage ausdehnen, wobei zwischen den einzelnen Verlängerungen gewisse Karenzfristen eingeschaltet wurden, um dadurch eine zweckmässige Verteilung der Versicherungsleistungen zu erwirken. Für die Metall- und Textilindustrie wurde eine verlängerte Bezugsdauer, vorläufig bis auf 120 Tage, bewilligt. Für die Seidenbandindustrie sind die Kassen wie in den Vorjahren ermächtigt worden, die Unterstützungen bis auf 150 Tage zu verabfolgen. Endlich wurde für die Stickereiindustrie vorläufig eine Verlängerung bis 120 Tage erteilt.

Die gegenwärtige Lage des Arbeitsmarktes ist kurz folgende: In der Stickerei- und Seidenbandindustrie hält die seit Jahren herrschende Dauerkrise an. In der ü b r i g e n T e x t i l i n d u s t r i e hat sich bereits seit einigen Jahren Arbeitslosigkeit bemerkbar gemacht, die im Laufe des letzten Jahres sehr stark angewachsen ist. In der Uhrenindustrie hat sich die Lage in den letzten Monaten weiter verschlechtert. Die Arbeitslosigkeit hat hier einen ganz ausserordentlichen Umfang angenommen. In der Metall- und Maschinenindustrie sind bereits von Ende des Jahres 1980 an krisenhafte Verhältnisse eingetreten, die sich im Laufe des Jahres 1981 verschlechtert haben. Die Lage des Arbeitsmarktes ist je nach dem Industriezweig und der Gegend stark verschieden. Für die Metallarbeiter ist in höherem Masse als in verschiedenen andern Berufsgruppen eine vorübergehende ausserberufliche Beschäftigung als Bauhandlanger usw. möglich.

2. Infolge der starken Zunahme der Arbeitslosigkeit bewegen sich die Kassenleistungen und Bundesbeiträge, wie der nachstehenden Tabelle zu entnehmen ist, in merklich aufsteigender Linie : 1928

Kassenleistungen Bundesbeitrag

5,891,662 1,822,447

1929

1930

6,822,600 2,316,000

16,720,000 6,425,000

Die Zahlen betreffend die Jahre 1929 und 1930 können auf Grund der Bevisionsergebnisse noch kleine Änderungen erfahren. In dem Bundesbeitrag für das Jahr 1930 sind die Mehraufwendungen infolge der um 10 % erhöhten Bundessubvention im Betrag von Fr. 837,500 inbegriffen.

Für das Jahr 1931 werden die Aufwendungen der Kassen rund 30 Millionen Franken betragen, woran der Bund die Summe von ungefähr 12 Millionen Franken als Beitrag wird zu leisten haben.

Da der Budgetkredit für die Bundesbeiträge an die Arbeitslosenversicherung pro 1931 von 5 Millionen Franken bis auf einen Betrag von Fr. 445,000 für die Leistungen des Jahres 1980 aufgebraucht wurde, sahen wir uns veranlagst, die erforderlichen Mittel für die Arbeitslosenfürsorge im Jahre 1981 vorläufig

628 dem Arbeitslosenfürsorgefonds zu entnehmen, damit den Arbeitslosenkassen Vorschüsse für ihre Aufwendungen geleistet werden können. · In unserer Botschaft an die Bundesversammlung zur Staatsrechnung für das Jahr 1930 beantragen wir, den Einnahmenüberschuss der Gewinn- und Verlustrechnung im Betrage von Fr. 6,943,223 als Einlage in den Arbeitslosenfürsorgefonds zu verwenden.

III.

Zu den sub I angeführten einzelnen Begehren nehmen wir folgende Stellung ein: l, Begehren betreffend die Stickerei und Platistichweberei und die Uhrenindustrie.

Die Bundesversammlung hat bereits durch Beschluss vom 25. Juni 1980 den Bündesbeitrag um 10 % erhöht für die Angehörigen der Stickerei und deren Hilfsindustrien sowie der Plattstichweberei während der Zeit vom 1. Januar 1929 bis 31. Dezember 1930 und für die Angehörigen der Uhrenindustrie während der Dauer der Krise, höchstens aber während der Zeit vom 1. Januar 1980 bis 31. Dezember 1980. Nachdem die Arbeitslosigkeit namentlich in der Uhrenindustrie im Laufe des Jahres 1930 zugenommen und sich die Lage im Jahre 1931 wesentlich verschlimmert hat, sind die Voraussetzungen für die Erhöhung des Bundesbeitrages für das Jahr 1931 zweifellos in noch stärkerem Masse vorhanden als im Jahr 1930, Die Arbeitslosenkassen, die von der verlängerten Bezugsdauer Gebrauch .zu machen gezwungen sind, machen mit Beeht geltend, dass ihre Mittel trotz der durchgeführten Sanierungsmassnahmen für die Auszahlungen der .Unterstützungen ohne die erhöhten Beiträge von Bund und Kanton nicht hinreichen würden. Der erhöhte Bundesbeitrag sollte unseres Erachtens auch dann gewährt werden, 'wenn damit die öffentlichen Beiträge, im Sinne von Art. 5 der Verordnung II zum Bundesgesetz über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung vom 17. Oktober 1924, SO % der ausbezahlten Tagesentschädigungen überschreiten sollten, indem die genannte Bestimmung nur in normalen, rächt aber in ".Krisenzeiten anwendbar ist, Nachdem die Bundesversammlung-für das Jähr'1930 den erhöhten .Bundesbeitrag allen Kassen gewährt hat, sehen wir davon ab, eine Beschränkung auf die privaten einseitigen Kassen zu beantragen. "Wir kommen daher zum Schluss, Ihnen zu beantragen, den erhöhten Bundesbeitrag allen Kassen der genannten Industriezweige, d. h. der Stickerei und deren Hilfsindustrien sowie der Plattstichweberei und der Uhrenindustrie zu gewähren und diese Erhöhung vorläufig auf das Jahr 1931 zu beschränken.

2. Begehren betreffend

die Seidenbandweberei.

Die Dauerkrise hält in der Seidenbandweberei an, und es musste daher für das Jahr 1931 die Bezugsdauer wiederum auf 150 Tage verlängert werden.

Die Kassen des Verbandes der Arbeiter und Arbeitgeber der Basler Band-

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fabriken, des Schweizerischen Textilarbeiterverband.es und des Verbandes evangelischer Arbeiter und Angosteliter weisen auf die durch verlängerte Bezugsdauer bewirkten grossen Mehrbelastungen hin, denen infolge ungenügender öffentlicher Beiträge zu geringe Einnahmen gegenüberständen. Der Verband der Arbeiter und Arbeitgeber der Basler Bandfabriken macht insbesondere geltend, dass ein Grossteil der Mitglieder seiner Arbeitslosenkasse in den Kantonen Baselland und Aargan wohnhalt ist, für die bedeutend niedrigere öffentliche Beitrüge geleistet werden als dies im Kanton Baselstadt für die daselbst wohnhaften Mitglieder der Fall ist.

Der Schweizerische Textilarbeiterverband weist darauf hin, dass bei seiner Kasse zirka 400 Arbeiter aus der Seidenbandindustrie versichert sind, und dass während der zehnjährigen Krise an diese Arbeitslosen jährlich Unterstützungen von rund Fr, 30,000 ausbezahlt worden sind. Die gesamten öffentlichen Beiträge an die Kasse betragen rund 62 % der ausbezahlten Unterstützungen. Der Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter stellt fest, dass seine Kasse seit mehreren Jahren ebenfalls mit den Arbeitslosen der genannten Industrie stark belastet wird und z. B. im Jahre 1930 den Betrag von Fr. 10,000 an Unterstützungen geleistet hat. Die gesamten Öffentlichen Beiträge machen für diese Kasse rund 65 % aus.

In Würdigung dieser Verhältnisse kommen wir zum Schlüsse, dass es gerechtfertigt ist, für diese Kategorie von Kassen den Bundesbeitrag für das Jahr 1931 ebenfalls um 10 % zu erhöhen. Diese Erhöhung soll auch der staatlichen Kasse des Kantons .Baselstadt zugute kommen, obschon von dieser Kasse ein diesbezügliches Gesuch nicht vorliegt. Auch diese Kasse ist durch die Leistungen an die Arbeitslosen der Seidenbandindustrie seit Jahren ausserordentlich stark belastet.

3. Begehren betreffend die Textil-, Metall- und Masohmenindustrie.

Es ist zuzugeben, dass die genannten Industrien infolge der wirtschaftlichen Krise auch in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Nach der gegenwärtigen Lage des Arbeitsmarktes können jedoch die Aussichten auf Beschäftigung für den Best des Jahres 1981 im gegenwärtigen Augenblicke nicht abgeschätzt werden. Bei dieser unabgeklärten Lage und mit Eücksicht darauf, dass die Kassen dieser Erwerbszweige die bisherigen Mehrleistungen zu tragen imstande
sein dürften, besteht keine zwingende Notwendigkeit, für das Jahr 1931 den Bundesbeitrag zu erhöhen. Eine Übersicht über die finanzielle Lage der Kassen wird erst auf Grund der Jahresrechnungen für das Jahr 1981 möglich sein.

IV.

Die finanziellen Folgen der von uns beantragten Erhöhung des Bundesbeitrages lassen sich nur annähernd vorausbestimmen. Nach den im Jahre 1980 und im 1. Quartal 1931 gemachten Aufwendungen der Kassen dürfte der erhöhte Bundesbeitrag für das Jahr 1931 folgende Summen ausmachen:

630

a) für die Uhrenindustrie rund Fr. 1,500,000 b) für die Stickerei und Plattstichweberei » » 75,000 c) für die Seidenbandweberei » » 60,000 Wie für die Erhöhung des Bundesbeitrages im Jahre 1980, suchen wir auch für diesmal nur um eine zeitlich beschränkte Ermächtigung nach, in der Meinung, dass wir Ihnen für das Jahr 1932 nötigenfalls neuerdings Bericht erstatten und neue Anträge unterbreiten werden.

Wir empfehlen Ihnen den nachstehenden Beschlussentwurf zur Annahme und benützen den Anlass, Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 19. Mai 1931.

Im Kamen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hab er lin.

Der Bundeskanzler:

Kaeslin.

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(Entwurf.)

Beschluss der Bundesversammlung über die

Erhöhung des Bundesbeitrages an die Arbeitslosenkassen notleidender Industrien.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 4 des Bundesgesetzes vom 17. Oktober 1924 über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung, nach Einsicht eines Berichtes des Bundesrates vom 19. Mai 1931, beschliesst :

Art. 1.

Der Bundesrat ist ermächtigt, die Beiträge des Bundes an die Arbeitslosenkassen um 10 % der an die Versicherten ausbezahlten Taggelder zu erhöhen : a. für die Angehörigen der Stickerei und deren Hilfsindustrien sowie der Plattstichweberei während der Zeit vom 1. Januar 1931 bis 31. Dezember 1931; b. für die Angehörigen der Uhrenindustrie während der Dauer der Krise, höchstens aber während der Zeit vom l, Januar 1931 bis 31. Dezember 1931 ; c. für die Angehörigen der Seidenbandweberei Während der Zeit vom 1. Januar 1931 bis 31. Dezember 1931.

Art. 2.

Die Erhöhung ist nur zulässig, sofern die Kantone und Gemeinden ihre Beiträge an die Arbeitslosenkassen nicht herabsetzen.

Art. 3.

Der Bundesrat ist befugt, die Erhöhung des Bundesbeitrages an weitere Bedingungen zu knüpfen.

Art. 4.

Die übrigen Vorschriften des Bundesgesetzes und der Verordnungen werden vorbehalten.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Erhöhung des Bundesbeitrages an die Arbeitslosenkassen notleidender Industrien. (Vom 19. Mai 1931.)

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27.05.1931

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