#ST#

Schweizerisches Bundesblatt.

XXVII. Jahrgang. III.

Nr. 29.

10. Juli 1875.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrükungsge b ü hr per Zeile 15 Rp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druk und Expedition der StämpflischenBuchdrukereii in Bern.

# S T #

Bundesbeschluss betreffend

den Rekurs gegen das Ausweisungsdekret der bernischen Regierung vom 30. Januar 1874.

(Vom 1. Juli 1875.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht eines Beschlusses des Bundesrathes vom 31. Mai 1875, durch welchen die Regierung von Bern eingeladen wird, das von ihr unter dem 30. Januar 1874 erlassene Dekret, betreffend Ausweisung mehrerer katholischer Geistlicher aus den Amtsbezirken des Jura, binnen einer Frist von zwei Monaten außer Kraft zu sezen ; sowie nach Einsicht eines Rekurs-Memorials der Regierung von Bern vom 10. Juni 1875, mittelst dessen dieselbe bei der Bundesversammlung das Begehren um Kassation des vorgedachten bundesräthlichen Entscheides stellt; in E r w ä g u n g : 1. Das angefochtene Dekret der Regierung von Bern vom 30. Januar 1874 ist unter der Herrschaft der Bundesverfassung Bundesblatt. Jahrg. XXVII. Bd. III.

48

692 von 1848 erlassen und es ist durch den bundesräthlichen llekursbescheid vom 27. März 1875 anerkannt worden, daß dasselbe angesichts der Vorschriften jener Verfassung nicht als unzuläßig betrachtet werden kann.

2. Die Notwendigkeit der nunmehrigen Aufhebung des Dekrets, welches als eine Ausnahmsmaßregel nur einen vorübergehenden Charakter haben kann, braucht nicht erst nachgewiesen zn werden, da die Regierung von Bern sich damit einverstanden erklärt, daß.

dasselbe außer Kraft zu sezen sei.

3. Es kann nicht von dem Standpunkte ausgegangen werden,, daß das Dekret infolge der bloßen Thatsache des Inkrafttretens der Bundesverfassung von 1874 als dahingefallen zu betrachten sei;, vielmehr muß, wenn das Dekret aufgehoben werden soll, hiefür eine angemessene Frist anberaumt werden, welche gestattet, dasselbe ohne Gefährdung der öffentlichen Ordnung außer Wirksamkeit treten zu lassen.

4. Die Regierung von Bern wünscht die Aufhebung des Dekrets bei Gelegenheit der Erlassung eines im Wurfe liegenden neuen Gesezes, betreffend die Störung des religiösen Friedens, zu bewerkstelligen. Dieses Gesez kann aber gemäß den Vorschriften der Verfassung des Kantons Bern nicht vor Ende Oktober nächstkünftig erlassen werden.

5. Es bestehen keine hinreichenden Gründe, dem von der Regierung von Bern geäußerten Wunsche nicht zu entsprechen.

Wenn wider Erwarten das in Aussicht genommene Gesez nicht zu Stande kommen sollte, so bleibt selbstverständlich die vom Bundesrathe an die Regierung von Bern gerichtete Einladung zur Aufhebung des Dekretes vom 30. Januar 1874 in voller Wirksamkeit.

6. Bei so bewandten Umständen ist es nicht nöthig, das Verhältniß des angefochtenen Dekretes zu den Vorschriften der Bundesverfassung von 1874 des Nähern zu erörtern. Immerhin muß, als Richtschnur für die Zukunft, an dem Saze festgehalten werden, daß der Art. 50, Absaz 2 der Bundesverfassung für die in demselben behandelten Verhältnisse kein ausnahmsweises Recht begründet; daß vielmehr die darin vorgesehenen, den Kantonen, sowie dem Bunde vorbehaltenen geeigneten Maßnahmen sich innerhalb dadurch die Bundesverfassung gezogenen Schranken zu bewegen haben.

693 Diesem Saze gegenüber ist nur der anormale, der Natur der Sache nach in der Bundesverfassung nicht besonders vorgesehene Fall einer N o t h l a g e vorzubehalten, in welche der Staat nicht bloß aus den mit Art. 50 der Bundesverfassung zusammenhängenden, sondern auch aus andern Gründen gerathen und in der er zur Ergreifung außerordentlicher Maßregeln gezwungen werden kann; und es ist auch dieser Vorbehalt in dem Sinne zu verstehen, daßr falls solche außerordentliche Maßregeln von den K a n t o n e n ergriffen werden, den Bundesbehörden über die Zuläßigkeit derselben,, sowie über die Dauer der Zeit, während welcher sie Anwendung finden dürfen, das Recht der Prüfung und der endgültigen Entscheidung zukommt 5 beschließt: 1. Es hat bei Dispositiv l, Absaz l des rekurrirten Beschlusses des Bundesrathes, gemäß welchem die Regierung von Bern eingeladen wird, ihren Beschluß vom 30. Januar 1874, betreffend Entfernung einer Anzahl katholischer Priester aus den jurassischen Amtsbezirken, aufzuheben, sein Verbleiben.

2. Dagegen wird die in Dispositiv l, Absaz 2 des bundesräthlichen Beschlusses der Regierung von Bern für die Aufhebung ihres Beschlusses anberaumte Frist bis Mitte November laufenden Jahres erstrekt.

Also beschlossen vom Nationalrathe, B e r n , den 29. Juni 1875.

Der Präsident: Stämpfli.

Der Protokollführer: SeMeSS.

694

Also beschlossen vom Ständerathe, B e r n , den 1. Juli 1875.

Der Präsident: Ringier.

Der Protokollführer: J. L. Lutscher.

Der s c h w e i z e r i s c h e Bundes rat h b e s c h l i e ß t : Aufnahme des vorstehenden Bundesbeschlusses in das Bundesblatt.

B e r n , den 5. Juli 1875.

Der Bundespräsident: Scherer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: SchiesS.

695

# S T #

Bericht der

Minderheit der ständeräthlichen Commission, betreffend eidg. Gewährleistung der Verfassung des Kantons Basel-Stadt.

(Vom 28. Juni 1875.)

Es ist eine etwas seltene Erscheinung, daß die gleiche Mehrheit der gleichen Kommission, die bei Vorlage der neuen Verfassung des Kantons Luzern verschiedene Bemäckelungen an derselben für angezeigt erachtete, nun heute die Verfassung des Kantons, Baselstadt als mackellos Ihnen zur unbedingten Genehmigung empfiehlt, und hinwieder die gleiche Commissions-Minderheit, welche damals die Aussetzungen der Commissions - Mehrheit nicht theilen konnte, nun heute in der Lage sich befindet, Ihnen n i c h t u n b e d i n g t e Genehmigung der Verfassung von Baselstadt zu beantragen.

Die Minderheit Ihrer Commission anerkennt gerne, daß die neue Kantonsverfassung von Baselstadt im Großen und Ganzen den Grundsätzen der neuen Bundesverfassung entsprechend ist und als Produkt staatsmännischer Klugheit sich präsentirt. Nur unter ,,II. Verhältniß des Staates zur Kirche und Schule" zeigt sich unserm prüfenden Blicke ein dunkler Fleck, den wir eliminirt wissen möchten. Wir meinen den §12. Derselbe lautet wörtlich : ,,Die reformirte und die k a t h o l i s c h e Kirche erhalten ,,durch Gesetz ihre äußere Organisation, nach welcher sie

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesbeschluss betreffend den Rekurs gegen das Ausweisungsdekret der bernischen Regierung vom 30. Januar 1874. (Vom 1. Juli 1875.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1875

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

29

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

10.07.1875

Date Data Seite

691-695

Page Pagina Ref. No

10 008 704

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.