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Bericht der

ständeräthlichen Kommission über den Rekurs der Tessiner Regierung in Pressanständen mit Traversa & Degiorgi.

(Vom 11. Juni 1875.)

Tit.!

Die HH. Fabricius Traversa und Johann Degiorgi, Drucker des in Lugano erscheinenden ,,Credente cattolico", hatten in Nr. & vom 22. Januar 1874, Seite 25, eine Notiz aus dem ,,Osservatore Romano", offlciellem päpstlichem Organ, veröffentlicht, worin mitgetheilt wurde, daß eine kirchliche Censur nämlich die Suspension a divinis, über den Canonicus Joseph Ghiringhelli von Bellinzona wegen einer Sympathiebezeugung an den Kanton Genf in Sachen Mermillod verhängt worden sei. Der ,,Osservatore Romano" selbst; hatte bemerkt, es sei ihm diese Notiz durch eine Genfer Correspondenz vom 13. Januar gl. J. mitgetheilt worden.

Der Staatsrath von Tessin erblickte in dieser Veröffentlichung eine Zuwiderhandlung gegen das Tessiner kirchlich-politische Gesetz vom 24. Mai 1855, welches in Art. 10 jede Insinuirung oder Vollziehung einer kirchlichen Censur gegen eine Person ohne das Placet des Staatsrathes verbietet und in Art. 35 mit Geldbuße bedroht.

Der einschlägige Art. 10 des kirchlich - politischen Gesetzes mit dem ihn weiter ausführenden Art. 11 lautet wörtlich wie folgt : ,,Art. 10. Es darf keine kirchliche Censur gegen eine Person und kein Interdikt des Ortes angekündigt (denunciato) oder vollzogen werden ohne das Placet des Staatsrathes.

,,Art, 11. Die Bullen, Breven, Decrete, Rescripte, Encycliken Hirten- und Ablaßbriefe, unter welcher Form immer sie vom römischen Stuhle oder seiner Nuntiatur oder von den Ordinarien

372 ausgehen mögen, dürfen ohne Einholung des Placet weder publicir .noch in Ausführung gebracht werden."

Durch ein vorgängiges Décret des Staatsrathes vom 4. Mai.

1855 ist des Nähern ausgesprochen und verdeutlicht, daß für eine solche Handlung nicht bloß Geistliche, sondern jeder Laie verantwortlich und strafbar sei, womit das nachfolgende Gesetz im Allgemeinen bestätigend übereinstimmt.

Der Art. 35, welcher die Buße festsetzt, lautet: ,,Art. 35. Alle gegen oder ohne das vom gegenwärtigen Gesetz vorgeschriebene Placet vollzogenen Handlungen sind null und nichtig. Die Urheber und Gehülfen sind für die Folgen ihre: Zuwiderhandlung verantwortlich und können in eine Buße von Fr. 5--5000 verfällt werden.

In Anwendung dieser Bestimmungen wurden am 27. Januar 1874 die HH. Traversa und Degiorgi vom Staatsrathe in eine Buße von Fr. 1000 verfällt und dieser Entscheid, auf erhobene n Recurs der Verfällten, auch vom Tessiner Großen Rathe am 5. Mai 1874 bestätigt. Die, HH. Traversa und Degiorgi recurrirten hierauf an den Bundesrath, der mittelst Beschluß vom 2. September 1874 ihren Recurs begründet erklärte und die Bußsentenz des Tessiner Staatsrathes aufhob. Derselben Schlussnahme ist auch, auf erhobenen Recurs Seitens des Staatsrathes von Tessin, der Nationalrath am 17. März d. J. beigetreten.

Ihre Kommission gelangt zum gleichen Schlüsse, und zwar mit folgender Motivirung : Es geht aus den angeführten Artikeln hervor, daß die Mittheilung von kirchlichen Censuren an Personen nach dem tessinischen Rechte ohne das staatliche Placet für Geistliche und Laien verboten und strafbar erklärt ist, und aus dem thatsächlichen Sach verhalt ergibt sich, daß durch den Artikel des Credente cattolico dem Canonicus Ghiringhelli, sowie dem Publikum, eine solche Censur zur Kenntniß gebracht worden ist. Daß dies nicht in amtlicher Form geschah, sondern in Gestalt einer Correspondes,einerr publicistischen Tagesneuigkeit, schließt nicht aus, daß darin eine dem Gesetze widersprechende Mittheilung versteckt und diese äußere Form nur gewählt sein kann, um das staatliche Placet zu umgehen und illusorisch zu machen.

Es liegt nun in der wohlverstandenen Pflicht der Tessiner Staatsbehörden, die Gesetze des Landes zur Anwendung zu bringen und zu diesem Zwecke sie auch gegen Umgehungen zu schützen, welche sie zweck- und werthlo machen würden. So weit bezügliche Handlungen auf gewöhnlichem Wege durch Geistliche und Laien vollführt werden, stehen sie auch unter den gewöhnlichen

573 Formen der Vollziehung der tessinischen Gesetze. Im vorliegenden Falle ist dagegen eine bezügliche Handlung durch das Mittel der Presse vollzogen worden, und es folgt daraus, daß ihre Behandlung und Beurtheilung speciell den Bestimmungen des Tessiner Preßgesetzes vom 13. Juni 1834 und den Bestimmungen der Bundesverfassung, Art. 55, über Gebrauch und Mißbrauch der Presse, zu folgen hat. Es ist nun diesen Bestimmungen widersprechend, daß die Drucker des ,,Credeute cattolico" wegen Preßvergehens durch den Staatsrath vermittelst Administrativsentenz in eine Buße verfällt worden sind. Sowohl das allgemeine durch die Bundesverfassung aufgestellte Princip der Preßfreiheit, als das Tessiner Preßgesetz im Besonderen, statuiren, daß Preß vergehen nicht durch administrative Disciplinargewalt, sondern durch den Richter, und zwar, nachdem die in Art. 3Ì des Tessiner Preßgesetzes statuirte theilweise AufstellungO ausnahmsweiser Gerichtsstände des Hauptortes und des Wohnortes des Beleidigten durch Versagung der bundesräthiichen Genehmigung unterm 21. Oktober dahingefallen ist, im concreten Falle durch das gewöhnliche zuständige Gericht. Es ist der wirksamste Schirm der Preßfreiheit und deren wesentlichste Garantie, daß die Beurtheiluug von Preß vergehen der administrativen Gewalt entzogen und dem Richter unterstellt wird. Dieser Grundsatz ist, wie überhaupt, so auch im vorliegenden einzelnen Falle, festzuhalten, und es ist daher die administrative Busssentenz des Staatsrathes von Tessin gegen die Drucker des ,,Credente cattolico", HH. Traversa und Degiorgi, aufzuheben, wobei dem Staatsrathe überlassen bleibt, die Letztern vor dem gewöhnliehen Richter anzuklagen, dem Richter, ob und wie sie nach Untersuchung und Prüfung der Akten zu beurtheilen, resp. ob sie wegen Gesetzesübertretung, wenigstens Umgehung, zu bestrafen seien, oder o b derincriminirtee Artikel a l s einfache erlaubte Aus diesem Motive gelaugt Ihre Commission zu dem einstimmigen Antrage, übereinstimmend mit dem Nationalrathe den Recurs abzuweisen.

B e r n , den 11. Juni 1865.

Namens der ständeräthlichen Kommission, Der Berichterstatter :

Fl. Gengel.

(Die Kommission bestand aus den HH. Brosi, Droz und dem Berichterstatter.)

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend das Gesuch der Regierung von Tessin um Reduktion der Zahl der nach der Militärorganisation zu stellenden Infanteriebataillone.

(Vom 23. Juni 1875.)

Tit. !

Der Staatsrath des Kantons Tessin sucht mit Schreiben vom 15. Juni d. J. um eine Reduktion der von ihm nach Art. 32 der Militärorganisation je für Auszug und Landwehr zu stellenden Infanteriebataillone von 4 auf 3 nach.

Er begründet dieses Gesuch durch die faktische Unmöglichkeit, in welcher sich der Kanton Tessin befinde, außer den von ihm verlangten Spezialwaffen noch vier Infanteriebataillone in reglementarischem Bestand stellen zu können. Der Staatsrath von Tessin weist dabei auf die bekannten Auswanderungsverhältnisse hin, infolge welcher eine große Zahl der im wehrpflichtigen Alter befindlichen Männer, theils auf längere Zeit nach Amerika, Australien England und Frankreich auswandern, theils vorübergehend ur.d zwar gerade in der Jahreszeit, während welcher sie Dienst thun sollten, in der übrigen Schweiz und in Italien sich aufhalten. Bö sei es gekommen, daß im Jahr 1870 troz aller Anstrengungen,

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03.07.1875

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