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Aus den Verhandlungen der schweizerischen Bundesversammlung.

Am 6. Dezember 1875 sind die gesezgebenden Räthe der Eidgenossenschaft zur ersten Session der X. Amtsperiode zusammengetreten.

Die Sizung des Nationalrathes wurde durch Hrn. Peter Suter, von Sins, Mitglied des Großen Rathes des Kantons Aargau, mit folgender Ansprache eröffnet: Verehrte Herren Kollegen !

Wegen Unpäßlichkeit zweier Mitglieder der h. Behörde und auf den Wunsch eines dritten ist mir die Ehre zu Theil geworden, das Alterspräsidium zur Eröffnung der ersten Sizung des Nationalrathes für die zehnte Legislaturperiode zu übernehmen.

Indem ich Sie daher in der Bundesstadt bestens willkommen heiße und Ihnen zur Lösung der Aufgaben dieser Periode gutes Gedeihen wünsche, mag es wohl, um die außerordentliche Wichtigkeit dieser Aufgaben zu konstatiren, genügen, auf drei Momente der lezten drei Jahre hinzuweisen, vorerst auf die nach laugen, mühsamen Kämpfen durch das Plebiszit vom 19. April 1874 aufgestellte neue Bundesverfassung, deren Ausbau wohl die Zeit eines halben Menschenalters erfordert; sodann auf das durch die Referendums-Abstimmung- sanktionirte, aus der neuen Bundesverfassung hervorgegangene Bundesgesez über Zivilstand und Ehe, ein Gesez, welches von durchgreifender Wichtigkeit ist und als neuer Marchstein über das Verhältniß zwischen Staat und Kirche bezeichnet werden kann, und endlich auf die neue Bestellung der eidg. Räthe, zumal des Nationalrathes, welche die bisherige Volksvertretung und damit auch die bisherige Politik ganz entschieden bestätigt und dadurch der neuen Bundesverfassung eine neue Anerkennung gegeben und der bevorstehenden Periode ihre Signatur aufgedrükt hat.

Um aber die Aufgaben der neuen Bundesverfassung zu lösen, sind zwei Dinge wohl unumgänglich nöthig: Vorerst die Unabhängigkeit der Schweiz von Außen und die Abwendung jeder

1007 fremden Einmischung und jedes ungebührlichen Einflusses jeder auswärtigen Macht, und sodann neben aller Freiheit der Kantone und der Einzelnen, die Achtung und Liebe zum Ganzen, die Ehre und Wohlfahrt gemeiner Eidgenossenschaft über alles Andere.

Die Folgen fremden Einflusses auf die Schweiz stehen nicht nur auf manchem blutigen Blatt von Bürger- und Religionskriegen in unserer Geschichte geschrieben, sondern die Abweisung solchen Einflusses und die Unabhängigkeit der Schweiz ist auch eine natürliche Konsequenz schon der geographischen Lage derselben, indem eine große Anzahl strategischer und kommerzieller Punkte, welche für das Gleichgewicht und den Frieden der europäischen Großstaaten von vitaler Wichtigkeit sind, in ihrem Besize sich befinden, so daß nur ihre volle Unabhängigkeit dieselben im allseitigen Interesse dieser Staaten in ihrer Hand belassen und damit allgemeine Anerkennung finden kann.

Diese Unabhängigkeit der Schweiz ist aber auch ein nothwendiges Postulat ihrer Neutralität, indem sich dieselbe gerade durch ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit nicht als eine papierne Garantie fremder Mächte ergibt, sondern als eine wohlthätige Vermittlung zwischen den Großstaaten und als eine Bedingung ihrer friedlichen Beziehungen sich darstellt.

Man darf und muß daher wohl als ersten und obersten Grundsaz der Eidgenossenschaft aufstellen, daß sie ihre selbstständige, auf ihre geographische Lage begründete und durch ihre Geschichte geheiligte Politik habe, und demgemäß eben so sehr von Berlin als Paris, eben so sehr von Wien als von Rom frei und unabhängig sei.

Steht die Eidgenossenschaft so von Außen gesichert und gewiß auch geachtet da, so wird die Lösung der Aufgaben in ihrem Innern um so leichter und auch um so gedeihlicher.

Vor Allem aus möge der Bund an der Hand des § 64 der Verfassung für den Ausbau der Rechtseinheit mit Bedacht und Vorsicht, aber fest und sicher, wie der unvergeßliche erste Bundesgerichtspräsident des neuen Gerichtshofes gesagt hat, einstehen und so die verschiedenen Völkerschaften mit einem geistigen Band der Zusammengehörigkeit umschließen, welches allen Gefahren und Stürmen der Zeit widersteht.

Ebenso möge der Bund von dem Rechte des § 27 der Verfassung ausgiebigen Gebrauch machen und höhere Unterrichtsanstalten für Landwirthschaft, Gewerbe und Industrie errichten oder unterstüzen und so die auf allen Gebieten bedrohte Konkurrenzfähigkeit des Volkes erhalten.

1008 Vor Allem aus wichtig und schwierig ist die im § 34 der Verfasssung dem Bunde vorbehaltene Gesozgebung über die Verwendung der Kinder und die Arbeitsdauer der Erwachsenen in den Fabriken. Hier liegt der große Kapitalstok des nationalen Vermögens und Reichthums; denselben zu erhalten und zu vermehren, ohne das heranwachsende Geschlecht in seiner geistigen und körperlichen Entwiklung zu verkümmern und ohne auch die Erwachsenen durch das Uebermaß der Arbeit zu erschöpfen und ohne dabei die Fabrik und die Industrie, welche ja die arbeitenden Klassen erhält, konkurrenzunfähig zu machen, überhaupt 1 ein loyales und billiges Gleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital herzustellen, das ist eine so große soziale Schwierigkeit, daß deren Ueberwindung nur in der Zusammenwirkung von Einsicht und gutem Willen aller Interressenten möglich ist.

Endlich möge die Ausbildung unsers Wehrwesens durch den Turnunterricht in der Schule dem Wehrpflichtigen männliche Kraft, Ausdauer und Gesundheit geben, und durch die Rekrutenprüfungen über ihre Intelligenz Aufsicht führen und so ein körperlich und geistig gehobenes, starkes Volksheer erziehen.

So wird die schweizerische Eidgenossenschaft zu einem Staate,, zu einem Volke werden, welches mitten im Herzen von Europa und von zentralisirten, stets rivalisirenden Großstaaten umgeben, geachtet dasteht und seine schöne, mehr zivilisatorische Aufgabe zu erfüllen bereit und fähig ist.

So wird dann das Wort unseres großen Geschichtschreibers: Ein solches Volk sollte sein in Europa, du bist es -- eine Wahrheit werden.

Diesen Zwek, dieses große Ziel werden wir erreichen, wenn alle Parteien, wenn die eidg. Räthe, wenn das ganze Schweizervolk unter e i n e r Fahne, unter der eidg. Fahne mit dem weißen Kreuz im rothen Feld steht; wenn alle Parteien, wenn die eidg.

Räthe, wenn das ganze Schweizervolk nur e i n e n Wahr- und Wahlsprueh haben, den Wahlspruch: Das Vaterland über Alles!

Ich erkläre hiemit die Sizung als eröffnet.

1009 Von den 135 Nationalräthen, welche nach dem Bundesgeseze vom 20. Juli 1872 den Nationalrath bilden, gehören 113 der IX.

Amtsperiode an, und bloß 22 sind ganz neu gewählt.

Diese leztern vertheilen sich auf die Kantone wie folgt: 3 auf Zürich, 3 i, Bem, 2 ,, Solothurn, l H Basel-Landschatt, Schaffhausen, l l ,, Appenzell A. Rh., Qf n.,,iiTM 3 l ·n Graubünden, l n Aargau, 2 n Tessin, 3 ·n Wallis,

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(Das vollständige Verzeichniß der jezigen Nationalräthe findet sich auf Seite 895 hievor.)

Im S t ä n d e r a t h e erschienen als neue Mitglieder : Für Zürich: Herr Rudolf Z a n g g e r , von Mönchaltorf, Direktor der Thierarzneischule in Zürich.

,, Schaffhausen: ,, Hermann Fr eu l er, Advokat und alt Staatsanwalt, von und in Schaffhausen.

,, Wallis: ,, Maurice E v è q u o z, Advokat und Großrath, von Conthey, in Sitten.

^ Genf: ,, Bernard Benjamin D u f e r n e x , Advokat^ von und in Genf.

Am 6. Dezember 1875 hat der Ständerath sein Bureau bestellt und gewählt: als Präsident: Hrn. Staatsrath N u m a D r o z , von Chauxdefonds, in Neuenburg, bisheriger Vizepräsident j ,, Vizepräsident: ., Kantonsrath Dr. Joh. Jakob S u l z e r , von und in Winterthur; ,, Stimmenzähler: ,, Landammann Dr. Arnold Roth, von^und in Teufen (Appenzell A. Rh.); ,, ,, Alfred Henri Va u e h e r , Arzt und Großrath, fl von und in Genf.

1010 Der Nationalrath bestellte am 7. Dezember sein Bureau wie folgt: Präsident: Hr. Emil Frey, Oberstlieutenant, von Münchenstein, in Basel, bisheriger Vizepräsident; Vizepräsident: ,, Arnold Otto A e p l i , Präsident des Kantonsgerichtes, von und in St. Gallen; Stimmenzähler: ,, Albert S e h e r b, Staatsanwalt, von und in Bischofszell ; ,, ,, Paul V u l l i è m o z , Staatssteuereinnehmer, von Vuarrens, in Payerne; ,, ,, Ambrosius Eberle, alt Kanzleidirektor, von Einsiedeln, in Schwy/; ,, ,, Gottfried J o o s t , Handelsmann und Großrath, von und in Langnau.

Am 10. Dezember 1875 hat die Vereinigte Bundesversammlung den Bundesrath für die z e h n t e , mit dem 1. Januar 1876 beginnende und bis zum 31. Dezember 1878 gehende Amtsdauer neu bestellt.

Die Wahlen erfolgten in nachstehender -Reihenfolge: Herr Dr. Emil Welti, von Zurzach (Aargau); ,, Dr. Karl S c h e n k , von Signau (Bern); v Job. Jakob S e h e r er, von Winterthur (Zürich); ,, *Louis R u c h o n n e t , Fürsprecher und Großrath, von St. Saphorin (Waadt); ,, *Dr. Joachim Heer, Landammann, von Glarus; ,, "Fridolin A n d e r w e r t, Bundesrichter, von Emmishofen (Thurgau); ,, 'Bernhard H a m m e r , von Ölten (Solothurn), seit 1868 schweizerischer Gesandter beim Deutschen Reiche.

(Die mit * Bezeichneten sind neu gewählt, die Andern wieder bestätigt.)

Zum Bundespräsidenten für das Jahr 1876 wurde Herr Welti und zum Vizepräsidenten des Bundesrathes für das gleiche Jahr Herr H e e r gewählt.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft, Herr Dr. Joh. Ulrich Schieß, von Herisau (Appenzell A. Rh.), ist in seiner Stelle für die X. Amtsperiode wieder bestätigt worden.

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11.12.1875

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