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Bericht der

Minderheit der nationalräthlichen Kommission über den Rekurs des Anton Dupré in Pont-en-Ogoz, Kantons Freiburg, betreffend Bestrafung wegen Heiligthumsentweihung.

(Vom 10. September 1875.)

Tit. !

Die Minderheit Ihrer Kommission konnte die Anschauungen, wie sie Ihnen soeben vom Berichterstatter · der Kommissions-Mehrheit entwickelt worden sind, nicht theilen; sie steht ihrerseits auf dem Boden der bundesräthlichen Auffassung und stellt Ihnen daher den Antrag : Der Rekurs des Anton Dupré wolle als unbegründet abgewiesen werden.

Was zunächst den geschichtlichen und faktischen Theil der Angelegenheit betrifft, so ist Ihnen derselbe aus den Auseinandersetzungen des Mehrheits-Referenten bekannt geworden, und werde ich deßhalb, um Wiederholungen zu vermeiden, nur in so weit auf denselben zurückkommen, als es zur Entwicklung meiner Minderheits-Ansicht unumgänglich erforderlich ist. An die bezüglichen Eröffnungen anschließend, gehe ich daher sofort zur kurzen

451 rechtlichen Erörterung der Gründe über, auf die sich der von mir gestellte Antrag fußt.

Anton Dupré ist am 14. April 1874 von dem korrektionellen Gerichte des Bezirkes Greyerz, Kts. Frei bürg, zu einem Monat Gefängniß, zum Verlurst seiner bürgerlichen Rechte während 5 Jahren, zur Rücknahme seiner Anklagen gegen Paul Fragniere und den Kosten verurtheilt worden, indem er schuldig befunden wurde : * 1) auf öffentlicher Straße den Töchtern Melanie Schmutz und Rosalie Rey zwei Medaillen, im Werthe von weniger als Fr. 50 entrissen und dabei Worte des Hasses und der Verachtung gegen diese letztern dem Kultus gewidmeten Objekte ausgesprochen zu haben ; der Umstand, daß diese brutalen Akte an z w e i Personen und durch einen P f a r r e i p r ä s i d e n t e n verübt wurden, fiel hiebei als Erschwertfng in Anrechnung.

2) Das Gericht beurtheilte gleichzeitig eine von Förster Fragniere in Gumeffens wegen Verläumdung und Amtsehr-Verletzung angehobene Klage und stützte sodann sein Urtheil auf die Art. 408, 233, Nr. 3, 346 und 417 verbunden mit Art. 70 des Strafgesetzes.

Eine nähere Prüfung der allegirtcn, vom Gericht angerufenen und zur Anwendung gebrachten Artikel ergiebt, daß die Art. 408 (und 411) von den Vergehen der Beschimpfung und Verläumdung handeln, Art. 417 den Diebstahl betrifft, Art. 346 Beleidigungen in religiösen Angelegenheiten vorsieht und Art. 70 das Verfahren bei Cumulation von mehreren Vergehen regelt.

'Die Anwendung der Art. 408 und 411, welche die InjurienKlage des Försters Fragniere betreffen, ist vom Rekurrenten ernstlich nicht angefochten, ebensowenig von der Kommissions-Mchrheit, und bedarf daher keiner einläßlichern Erörterung. Dagegen erhebt Dupré zunächst Einsprache gegen die Anwendung der Art. 417 und 346; bezüglich des erstem, weil vom Gerichte durchaus fehlerhaft aufgefaßt, bezüglich des letztern, weil mit den Vorschriften vom Art. 49 der Bundesverfassung unvereinbar.

Die Kommissionsmehrheit als solche hat es nicht für angezeigt erachtet, der erstem Einwendung ihre Unterstützung angedeihen zu lassen, theilt hingegen die Anschauungen des Rekurrenten hinsichtlich Anwendung von Art. 346, welchen auch sie mit Art. 49 der Bundesverfassung unvereinbar erachtet und darauf gestützt den Rekurs als begründet erklärt wissen will. Es wird deßhalb nöthig, deren Gesichtspunkte etwas näher ins Auge zu fassen.

Die Kommissions-Minderheit kann ihrerseits weder die eine noch die andere dieser Einsprachen als begründet ansehen.

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Was vorerst die angeblich unrichtige Anwendung von Art. 417 betrifft, so fällt Folgendes in Betracht: Das Gericht von Greyerz hat die von Dupré an den Töchtern Schmutz und Rey verübte Handlung; als einen ausgezeichneten Diebstahl qualifizirt und darauf die Strafe angewendet, welche der zitirte Art. 417 des Strafgesetzbuches vorsieht und welche in Gefängniß von m i n d e s t e n s 15 Tagen, wenn der Werth Fr. 50 nicht übersteigt, und von mindestens 3 Monaten besteht, wenn der Wërth diesen Betrag überragt. Es tritt zugleich Einstellung in der Ausübung der bürgerlichen Rechte während 2--6 Jahren ein.

Dupré erachtete nun diese Anwendung des Gesetzes als eine irrthümliche, weil ein Diebstahl gar nicht angenommen werden könne und legte deßhalb gegen das Urtheil, in ganz richtigem Verfahren, beim Kassationsgerichte des Kantons Freiburg die Nichtigkeitsbeschwerde ein. Allein ohne den gewünschten Erfolg. Das Kassationsgericht machte die Auffassung der erstinstanzlichen Behörde in Beurtheilung der dem Anton Dupré zur Last gelegten Handlung zu der seinigen, erklärte mit Urtheil vom 26. Juni 1874 die geführte Beschwerde als unbegründet und bestätigte das erstinstanzliche Urtheil.

Die Richtigkeit dieser Auffassung ist mehrfach angezweifelt worden und auch' die Minderheit räumt willig ein, daß man über die Zuläßigkeit der Anwendung von Art. 417 auf den Fragefall abweichende Ansichten hegen kann. Allein indem die frdburgischen Gerichte diese Urtheile ausfällten, haben sie nach Ansicht des Referenten durchaus innert den Schranken ihrer Kompetenz gehandelt und es würde gegentheils die Bundesversammlung 1 die für i h r e Zuständigkeit gezogenen Grenzen in unzuläßiger Weise überschreiten, wenn sie sich beikommen ließe, sich selber als ein weiteres, oberstes Kassationsgericht zu gestalten, in dieser Eigenschaft die Frage der richtigen Anwendung des frei burgischen Gesetzes materiell zu prüfen und je nach Befund und Umständen die Urtheile der kantonalen korrektioneilen- und Kriminalgerichte umzuändern.

Art. 64 der Bundesverfassung scheidet genau die Rechtsmaterien aus, welche der Bundesgesetzgebung zugewiesen sind; nach diesem Artikel ist die Gesetzgebung über das Strafrecht in der Kompetenz der Kantone verblieben ; bei diesen steht das Recht, von sich aus Vorschriften zu erlassen über die Qualifikation der Vergehen
und Verbrechen und über die Strafen, welche jedes einzelne derselben, sowie eine Vereinigung mehrerer treffen solllen.

Das Urtheil vom 14. April 1874 ist nun von den rechtmäßigen Richtern, in der vorgeschriebenen Form, und kraft der darin an·/

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gerufenen Artikel des Strafgesetzbuches, in Anwendung betreffender Strafbestimmungen ausgesprochen und von der obern Instanz, dem Kassationshof, bestätigt worden; es ist dasselbe sonach hinsichtlich der Form wie der Sache rechtskräftig erlassen und es kann angesichts dieser Sach- und Aktenlage der Bundesversammlung das Recht nicht zustehen, näher zu untersuchen, ob die im Urtheilsspruch angeführten Erwägungsgründe die richtigen seien und ob ein Gesetzes-Artikel wohl oder übel angewendet worden sei.

Die Einwendung der unrichtigen Qualifikation des vorliegenden Vergehens ist daher nach dem Erachten der Minderheit durchaus nicht vermögend, eine Aufhebung des freiburgischen Urtheils durch die Bundesversammlung zu begründen und sie muß sonach als irrelevant außer Betracht fallen.

Man hat nun von anderer Seite den Art. 7 der eidgenössisch garantirten freiburgischen Verfassung als verletzt darstellen wollen.

Dieser Artikel lautet: ,,Eine Strafe kann nur durch eine kompetente Behörde, auf Grund einer Gesetzes-Bestimmung und in der gesetzlich vorgeschriebenen Form auferlegt werden."

Der Rekurs müßte indessen -- wie dies der Ständerath wirklich gethan -- zur Zeit auch abgewiesen werden, wenn man in den zitirten Urtheilen eine Verletzung des Art. 7 der Verfassung des Kantons Freiburg erblicken wollte.

Es ist nämlich eine konstante Praxis der Bundes behörden, daß in diesem Sinne aus den Kantonen einlangende, auf Verletzung der kantonalen Verfassung lautende Beschwerden vorerst der Prüfung und Entscheidung der kantonalen Behörden bis zur obersten Instanz der Großen Räthe unterliegen. Im vorliegenden Falle hat aber der Rekurrent diesen Weg nicht beschritten, und es ist von diesem Standpunkt aus die Angelegenheit bisher überhaupt von keiner Seite zum Gegenstand rechtlicher Erörterung gemacht worden.

Gemäß den Anschauungen der Minderheit findet sonach der Rekurs Dupre's keinen Halt in der Behauptung unrichtiger Auslegung und Anwendung von Art. 417 des freiburgischen Strafrechtes und ebensowenig in der Anrufung von Art. 7 der freiburgischen Verfassung.

Es ist dies aber auch nicht der Fall bei Allégation von Art. 346 desselben. Untersuchen wir auch.diesen Punkt.

Gemäß diesem Artikel wird mit Gefängniß von m i n d e s t e n s 15 T a g e n bestraft wer . . . . die Gegenstände der Verehrung der Konfessionen, ihre Lehren, Einrichtungen oder Gebräuche verspottet oder in einer Weise darstellt, welche dieselben dem Hasse oder der Verachtung aussetzt.

454 Der Rekurrent und mit ihm die Mehrheit der Kommission ist nun der Ansicht, dieser ganze Artikel stehe mit Art. 49 der Bundesverfassung 'in Widerspruch, sei also außer. Gültigkeit getreten und demnach ein auf denselben gefußtes Urtheil verfassungswidrig. Der zitirte Artikel 49 erklärt die Glaubens- und Gewissensfreiheit als unverletzlich und es darf wegen Glaubensansichten Niemand mit Strafen irgend welcher Art belegt werden.

Es ist nun vorerst anzuerkennen, daß -die Regierung von Freiburg die t h e i l w e i s e .Bestreitbarkeit dieses Artikels zugiebt; sie behauptet aber ebenso bestimmt dessen Anwendbarkeit, wenn es sich darum handelt, Mißbräuche und Gewaltthätigkeiten zu bestrafen, die wegen Manifestation religiöser Gesinnungen von Seite dritter Personen an diesen verübt worden sind. Und in der That kann die Unverletzbarkeit der Glaubens- und Gewissensfreiheit doch unmöglich den Sinn haben, daß der eine Theil das Recht hat, nicht nur Nichts zu glauben, sondern die Freiheit des andern Theils, zu glauben und seinen Glauben und seine religiösen Gefühle innert den Schranken der öffentlichen Ordnung zu bethätigen, in roher Weise anzutasten.

Das aber hat Dupré gethan, indem er in durchaus unerlaubter und nicht zu rechtfertigender Weise den beiden Töchtern von Pon.t, unter bedauernswerther Zulage, jene Denkzeichen entriß, welche sie als religiöse Sinnbilder zu tragen kraft des von der Verfassung garantirten Grundsatzes der Glaubens- und Gewissensfreiheit das volle Recht hatten. Diese Handlungen qualifiziren sich keineswegs als die bloße erlaubte Aeußerung einer religiösen Ansicht, sondern als Akte der Gewaltthätigkeit und des Angriffs auf fremdes Eigenthum. Wenn daher eine Verletzung des Art. 49 der Bundcsverfassung vorläge, so müßte sie nach Ansicht des Referenten im konkreten Fall nicht bei den freiburgischen Gerichten und Behörden, welche eine unerlaubte Handlung (und wenn dieselbe auch durch Abzeichen r e l i g i ö s e n Charakters veranlaßt sein mochte) mit in den Bereich eines. Strafurtheils zogen, sondern sie müßte gegentheils da gesucht werden, wo man unter dem Verwände eigener Gewissensfreiheit mit frevler Hand die Freiheit des Gewissens und des Glaubens Anderer antastete. I n s o w e i t und in dem b e z e i c h n e t e n Sinne a n g e w e n d e t , hält der Sprechende mit der Regierung
von Freiburg, mit dem Bundesrathe und mit dem h. Ständerathe dafür, daß in dem angefochtenen Urtheiie und in dessen Allégation von Art. 346 des freiburgischen Gesetzbuches ö o eine VerletzungO des Art. 49 der Bundesverfassung durchaus nicht O enthalten sei, und bei solcher Auffassung und Anwendung des Artikels hatte das freiburgische Gericht die volle Berechtigung,

455 eine Q u o t e der a u s g e s p r o c h e n e n G r e s a m m t s t r a f e aus der Uebertretung dçs mehrbeoannten Artikels herzuleiten.

Aber, Tit:, selbst wenn angenommen werden wollte, es dürfe die in Art. 346 vorgesehene Strafe im Fragefalle nicht in Anwendung kommen, so würde das angefochtene freiburgische Strafurtheil dennoch als ein innert den Schranken gesetzlicher Kompetenz erlassenes betrachtet werden müssen. Im gleichen Urtheil ist nämlich als weiteres von Dupré begangenes Vergehen die Verläumdung des Gemeindeförsters Fragniere angeführt, auf welchem Vergehen allein schon eine Strafe bis auf 6 M o n a t e Z u c h t h a u s steht. Den betreffenden Artikel zusammengehalten mit der von Art. 417 angedrohten Strafe und der im Art. 70 mit Bezug auf die Cumulirung mehrerer strafbarer Handlungen enthaltenen Vorschriften ergiebt sich ganz unzweifelhaft, daß diese gesetzlichen Bestimmungen die Ausfällung der Strafe von l Monat Gefängniß und fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Rechte gegen Dupré gestatteten und daher auch in dieser Richtung und in strikter Anwendung der freiburgischen Verfassung und Gesetzgebung das Urtheil einer von unzuläßigen Rücksichten nicht beeinflußten Prüfung durchaus Stand hält..

Die Minderheit beschränkt ihr Votum auf diese kurze Darstellung der Hauptgesichtspunkte, und in Zusammenfassung derselben gelangt sie sonach zu dem Befunde: a. es haben die freiburgischen Gerichte, indem sie das angefochtene Urtheil über Dupré ausfällten, durchaus innert den Schranken ihrer verfassungsmäßigen und gesetzlichen Kompetenz gehandelt, und b. es liege in erwähntem Urtheile ebensowenig eine Verletzung des Art. 49 der Bundesverfassung vor ; sie folgert daraus die Inkompetenz der Bundesversammlung, in diese Angelegenheit sich einzumischen, und die daherige Unstatthaftigkeit der von A. Dupré eingereichten Rekursbeschwerde und erneuert darauf gestützt den im Eingang erwähnten Antrag : Der fragliche Rekurs sei als unbegründet abzuweisen.

Sollte übrigens, Tit., diese u n b e d i n g t e Abweisung Ihre Zustimmung nicht erhalten, so nehme ich in zweiter Linie, indem ich zugleich unverändert die Motive festhalte, auf welche der Ständerath seinen Entscheid fußte, den Beschluß des Ständerathes auf, welchem gemäß der Rekurs z u r Zeit abgewiesen wird.

B e r n , den 10. September 1875.

Für die Minderheit:

A. Schwerzmann.

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Bericht der Minderheit der nationalräthlichen Kommission über den Rekurs des Anton Dupré in Pont-en-Ogoz, Kantons Freiburg, betreffend Bestrafung wegen Heiligthumsentweihung. (Vom 10. September 1875.)

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09.10.1875

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