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Bericht des

schweizerischen Konsuls in Venedig (Hrn. V. Ceresole von Vivis, Kts. Waadt) für das Jahr

1874.

(Vom 30. Oktober 1875, eingegangen an 1. Nov. 1875.) '

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

Venedig hat die Finanzkrisis, welche im Jahre 1874 verschiedene Handelsplätze traf, wenig empfunden; dagegen hat sich die Lage unseres Platzes durch die Aufhebung des Freihafens, welche am 1. Januar desselben Jahres eintrat, wie aus nachstehenden Angaben ersichtlich ist, nicht gebessert. Es ist zu bedauern, daß zur Zeit der Aufhebung des Freihafens, Venedig nicht sofort seine Generallager, welche selbst bis zur gegenwärtigen Stunde noch nicht beendigt sind, eröffnen konnte. Dieser Umstand beruht theilweise auf der Opposition, auf welche das neue italienische Gesetz betreffend die" Generallager in unseren bedeutendsten Seestädten gestoßen ist. > Nach Aufhebung der Freihäfen im Königreich verlangt -der italienische Handel mit großem Nachdruck die Errichtung von Freiplätzen (Punti franchi), wo es ihm gestattet sei, die anlangenden Waaren für ihre weitere Bestimmung zu behandeln, ändern, trennen und zurecht zu machen, ohne daß darum der Handel,, wie gegenwärtig, durch das Zollamt und den Fiskus.'

Ö o

welche stets geneigt sind, in den einfachsten Handelsoperationen Conterbande oder Defraudation zu wittern, behindert, belästigt

555 und verzögert werde. Der Standpunkt der Handelskammer in Venedig ist in dieser Beziehung mit jenem von Genua und der Mehrzahl der Handelskammern des Königreiches identisch, welche in der Errichtung von punti franchi eine unerläßliche, dringende und durch die Umstände nachdrücklichst gebotene Maßnahme erblicken. Wenn auch das Ministerium des Ackerbaues und des Handels ziemlich geneigt zu sein scheint, auf eine dem Sinne obiger Reklamationen entsprechende Aenderung der gegenwärtigen Vorschriften eingehen zu wollen, so verlangt ihrerseits die Generaldirektion der Zölle deren strengste Ausführung, aus Furcht, die Interessen des Fiskus zu schädigen, und wie bekannt stehen in Italien die Zollämter nicht unter dem Handelsamte, sondern unter dem Finanzministerium. Es handelte sich gegenwärtig darum, in dieser Richtung neue Untersuchungen anzustellen.

Der Handelsverkehr im Hafen von Venedig läßt sich für die Jahre 1873 und 1874 in folgende zwei Zahlengruppen zusammenfassen : Gesammteinfuhr im Jahre 1873 im Betrage von Lire 268,334,238 ,, ,, 1874 ,, ,, ,, ,, 250,482,163 Gesammtausfuhr ,, ,, 1873 ,, 211,013,665 * » 1874 ,, ,, ,, ,, 199,809,931 Es entspricht dieses für 1874 im Vergleich zum Vorjahre einer Abnahme um : Lire 17,852,075 für die Einfuhr und um ,, 11,203,734 ,, ,, Ausfuhr.

zusammen Lire 29,055,809 Gesammtabnahme.

Das statistische Comité der Handelskammer in Venedig schreibt die Differenz von dieser an und für sich ziemlich großen Summe der Werthverringerung verschiedener Artikel zu und zum Theil auch einer Verringerung des Transitverkehrs im Hafen von Venedig, veranlaßt durch die bedauerliche Thatsache der Ablenkung des Handels nach Marseille hin in Folge der Herabsetzung der Tarife der Bahnlinie Paris-Lyon-Mittelländisches Meer zu Gunsten der über genannten Hafen eingehenden Waaren und zum Nachtheile jener, welche .aus Italien über den Mont-Cenis kommen.

Das schweizerische Konsulat in Venedig hat seit mehreren Jahren und bei verschiedenen Anlässen Gelegenheit gehabt, die Aufmerksamkeit des Bundesrathes auf die Unwichtigkeit der MontCenisbahn für den italienischen Handel zu lenken, und zwar gerade durch den Umstand einer dreifach stärkereu Tarifbelastung der italienischen Produkte auf dieser französischen Eisenbahn.

Bundesblatt. Jahrg. XXVII. Bd. IV.

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556 Uebrigens ist es nicht die Mont-Ccnisbahn, wohl aber die Brénnerbahû, welche unter normalen Umständen für die nach Süddeutschland und der Schweiz bestimmten Transitgüter Venedigs benutzt wird, und ich 'wäre' auf dieses Argument nicht zurückgekommenj wenn nicht die vom italienischen Handel in Bezug auf den Jyion't-Cenis gemachten Erfahrungen gegenwärtig dazu beitrügen, die Politiker und Industriellen dieses Landes von jedweder beabsichtigten Betheiligung an-''der Durchbohrung des Simplon abzulenken, ehe nicht diese Târifirage endgültig und günstig erledigt ist. Sje ^könnte, in Anbetracht der von der Bahn Paris-LyouMittelländisches Meer eingenommenen Stellung im gegebenen Augenblick «ben so gut die Zukunft der Simplonbahn compromittiren, wie sie gegenwärtig die naturgemäße Benutzung der Mont-Cenislinie durch den Handel der Halbinsel verhindert.

Ich lasse hier die Aufstellung der Waaren folgen, deren M eh r e i n f u h r in Venedig während des Jahres 1874 m e h r a l s e i ne-Million gegenüber dem Jahre 1873 betragen hat.

Es sind im Laufe des Jahres 1874 folgende eingeführt worden: Getreide ' . " . ' .

. i m Betrage v o n Branntwein u. Spirituosen · ·» -n -n Manufakten und Gewebe . ,, ,, ,, Oelsaamen .

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,, ,, ,, Fische, getrockn. u. präparirte . ,, ,, ,,

Waaren m e h r Lire -n ,, ,, ,,

13,078,438 l,94t),865 1,853,525 1,688,630 1,095,175

Es folgen die Waaren, deren M eh r au §f u h r aus Venedig während des Jahres 1874 wenigstens m e h r als e i n e M i l l i o n im Vergleiche zum Jahre 1873 betragen hat.

Es sind im Laufe des Jahres 1874 m e h r ausgeführt worden: Getreide .

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. um die Summe von Lire 10,345,425 Venezian. Perlen (Conteries) ,, ,, ,, ,, ,, 2,103,680 Manufakten und Gewebe . ,, ,, ,, ,, ,, 1,857,925 Die Gründe dieser Zunahmen sind folgende: Bezüglich des G e t r e i d e s ist der Hafen von Venedig in letzter Zeit ein Haupttransitplatz für die nach Mitteldeutschland und der Schweiz bestimmten Speditionen geworden.

Was die C o n t e r i e s oder Perlen betrifft, so hat die Thätigkeit der Glashütten von Murano zugenommen, in Folge der Anforderungen der Mode, welche im Jahre 1874 mehr als ehedem kleine schwarze Perlen, deren Erzeugung eine Spezialität Venedigs ist, verwendete.

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Die umfangreichere Einfuhr von O e l s a a m e n beruht auf dem direkten Eingang von mehreren von der Coromandelküste kommenden Schiffen in den Hafen von Venedig.

Die Summe der Einfuhr von B r a n n t w ei n und S p i r i t u o s e n hat im Jahre 1874 durch die Thatsache--der. Erhöhung der Taxen auf die inländische Fabrikation zugenommen, welch' letztgenannter Umstand eine umfangreichere Einfuhr vom Auslahde zum Nachtheil der nationalen Industrie herbeiführte.

Die Zunahme in der Ausfuhr der M a u u f a k t e n und Gew e b e beruht ohne Zweifel auf dem Verkauf der ; vor der Aufhebung des Freihafens aufgestapelten Waarenbestäride, welche nach dem 1. Januar 1874 auf dem nahen Festlande ohne Taxen zu zahlen vertrieben worden sind, da man dort bis zu diesem Zeitpunkt gewartet hatte, um billiger kaufen zu können.

Wenn man die Angaben für 1874 mit denen für 1873 zu vergleichen fortfahrt, so findet man, daß nachstehende Artikel theihveise eine größere A b n a h m e als um eine Million erfahren haben. Für die E i n f u h r : Kolonialwaaren und Droguerie um die Summe von Lire 11,882,605 Oele ,, 5,637,345 Rohe Seide', Seidenabfälle und Cocons .

. ,, 4,502,115 Indigo ,, 4,137,000.

Häute, gesalzene und gegerbte .

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,, 3,408,600 Seidenraupeneier ^ 2,700,800 Talg, Butter, Fett, Speck 1,420,250 Taback ,, 1^201,226 Für die A u s f u h r ist die Abnahme im Vergleich mit dem Jahre 1873 für nachstehende Artikel auf folgende Summen zu beziffern: Indigo um Lire 7,010,500 Rolie Seide, Seidenabfäile und Cocons .

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,, 5,391,650 Häute, gesalzene und gegerbte ,, 2,577,680 Seidenraupeneier ,, 2,297,900 Oele , 2,062,055 Baumwolle .

,, 1,975,720 Metalle, roh und verarbeitet ,, 1,765,854 Brennmaterialien .

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,, 1,461,415 Die Abnahme des Verkehrs in oben bezeichneten Artikeln während des Jahres 1874 verglichen mit 1873 ist wahrscheinlich auf folgende Ursachen zurückzuführen: Betreffend die K o l o n i a l w a a r e n und D r o g e n sind es die namhaften Lager, die man in Venedig zu Ende 1873 in Vor-

558 aussieht der Aufhebung des Freihafens am 1. Januar 1875 errichtet hat.

Betreffend die O e l e ist es, laut dem Berichte der Handelskammer, die auf Grund der durch die gute Ernte zu erwartenden Preisermäßigung beschrankte Einfuhr.

Betreffend die rohe Seide und die Seidenabfalle liegt es an den im Jahre 1873 in Folge des Sinkens der Preise unverkauft gebliebenen Quantitäten und betreffend die C o c o n s und die S e i d e n r a u p e n e i e r an der Verbesserung der inlandischen Produktion.

Für I n d i g o und B a u m w o l l e ist es die Abnahme des Transitverkehrs, der seinerseits wieder durch die Herabsetzung der Tarifé der Paris-Lyon-Mittelmeerbahn, wodurch dieser Transit nach Marseille abgelenkt wurde,; bedingt ist.

Für die gesalzenen H ä u t e und das L e d e r sind es die seit Ende 1873 in unsern Lagern liegen gebliebenen Vorrathe und die Schwierigkeiten, welche dieser Handelszweig, der bei uns noch in der Kindheit ist, bietet.

- Bei dem T a l g und der B u t t e r ist es die Abnahme des Transits nach Aegypten.

Für F e t t w a a r e n und S p e c k ist es die abnehmende Nachfrage nach diesen Artikeln in den venezianischen Provinzen.

Für B r e n n m a t e r i a l i e n beruht sie auf den Einkäufen, welche die Eisenbahnverwaltungen, in Folge der Arbeitseinstellungen und Preiserhöhungen in England und in Deutschland gemacht haben.

Neue E i s e n b a h n l i n i e n sind zwar projektirt, doch noch nicht endgültig tracirt worden. Diese Bemerkung bezieht sich auf die Eisenbahn von Rovigo nach Chioggia und auf jene, welche man zwischen Vicenza und Treviso und von Padua nach Bassano projektirt. Die prqjektirte Linie zwischen Venedig und Trient über Bassano und das Thal Sugana ist nicht ausgeführt worden, in Folge der zwischen den Provinzen ausgebrochenen Eifersüchteleien, indem man ihre Interessen als denen des Hafens von Venedig entgegensetzt ansah. Die Eisenbahn von Pontebba (Alpenübergang), welche von Udine nach Villach fuhrt, ist im Bau begriffen.

Betreffend die B a n k e n und V e r s i c h e r u n g s g e s e l l s c h a f t e n siehe den letzten im Bundesblatte veröffentlichten Konsulatsbericht.

559 Der s c h w e i z e r i s c h e H ü l f s v e r e i n in Venedig hat, wie aus dem im Februar d. J. dem Bundesrathe vom Verein eingesandten Jahresberichte ersichtlich ist, seine Thätigkeit regelmäßig fortgesetzt. Dieser vom Schreiber dieser Zeilen vor mehr als fünf Jahren gegründete Verein hat seit seinem ' Bestehen allen an ihn gestellten Anforderungen entsprochen und außerdem bis jetzt einen Reservefond von mehr als Fr. 2500 gesammelt. Mehrere Kantone, deren Bürger vom Verein unterstützt werden, haben bis jetzt k e i n e n Beitrag geliefert.

Es ist recht und billig, hier anzuführen, daß die italienischen Behörden meines Konsularbezirkes fortwährend mich bei der kostenf r e i e n R ü c k s p e d i r u n g unserer kranken und unterstützungsbedürftigen Landsleute unterstützt haben; ; Die königliche Quästur in Venedig hat sich beeilt, dem Konsulate, in Venedig ohne jedwede Kosten oder Rückzahlung alle Eisenbahnbillets, welche von ihr, sei es nach Mailand oder bis an die schweizerische Grenze bei Camerlata, erbeten wurden, zu bewilligen. " Diese Begünstigung wird unsern Bürgern k o s t e n f r e i zu T h eil, ohne vorherige Erwägung, ob Seitens der kantonalen Behörden in der Schweiz eine Reciprocität besteht. Es ist- dem Konsul selbst begegnet, seitens der Polizei zu Bologna diese Vergünstigung für eine g a n z e F a m i l i e unserer Landsleute zu erlangen, obgleich Bologna nicht zu dem Rayon des schweizerischen Konsulats in Venedig gehört. In diesem speziellen Falle, wie in den übrigen, ist dem Konsulate nie ein Rückzahlungsbegehren gestellt worden.

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Bericht des schweizerischen Konsuls in Venedig (Hrn. V. Cérésole von Vivis, Kts. Waadt) für das Jahr 1874. (Vom 30. Oktober 1875, eingegangen an 1. Nov. 1875.)

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