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Bericht der

nationalräthlichen Kommission im .Rekurse von Gaudenz "Willi, Weinhändler, in Chur, betreffend Sequester.

(Vom 8. März 1875.)

Job. Anton Wetzel von Straubenzell, Kts. St. Gallen, stand in Verkehrs- und Schuldverhältniß mit der Firma Gebrüder Willi, Weinhandlung, in Chur. Mittelst Schein vom 28. August 1871 räumte die letztere dem erstem die Berechtigung ein, bei ihr bis auf den Betrag von Fr. 3000 Wein zu beziehen. Zur Sicherstellung einer daherigen Schuld testirte gleichzeitig Anna Maria Wetzel in Mühlen, eine nahe Anverwandte des Schuldners, zu Gunsten der Gebr. Willi die Summe von Fr. 2500. Nach einem amtlichen Auszuge lautete diese letztwillige Verfügung einfach dahin, daß den Gebrüdern Willi in Chur für geleistete und noch zu leistende Vorschüsse an ihren Bruderssohn Jos. Anton Wetzel in St. Fiden, sei es in Geld oder Waaren, -zum Voraus die Summe von Fr. 2500 zukomme. Unterm 7. Mai 1872 cedirte J. Anton Wetzel die Zusicherung der Gebr. Willi laut Schein vom 28. August 1871, resp. ein laut Faktura noch bestehendes Guthaben an dieselben im Betrage von Fr. 920 an Albert Bosch zum Waldhorn in St. Gallen; während die Weinhandlung von Gebr. Willi in der Folge an den Mitbetheiligten Gaudenz Willi in Chur überging. Im Oktober 1873 starb die Testatorin Anna Maria Wetzel, und im November daraufhin brach auf J. Ant. Wetzel der Konkurs

495 aus. Nach amtlichen Beurkundungen muß angenommen werden, daß den Gebr. Willi laut Erbtheilung vom 12. März 1874 auf Grund des unbeanstandet gebliebenen Testamentes der Betrag von Fr. 2200. 64 und als Dividende aus dem Wetzeischen Konkurse der weitere Betrag von Fr. 81. 20, zusammen Fr. 2281. 84 zukam. Auf das deponirte Erbschaftsguthaben erwirkte nun Alb. Bosch in St. Gallen als Rechtsnachfolger des J. Anton Wetzel bei dem Bezirksammannamte Goßau unterm 16. Februar 1874 eine Verfügung des Inhalts: ,,Auf den von A. Bosch in St. Gallen glaubwürdig geleisteten Ausweis, daß ihm zufolge einer Abtretung des J. A. Wetzel vom 7. Mai 1872 an die Gebr. Willi, Weinhandlung in Chur, eine Forderung im Nominalwert!! von Fr. 920 zustehe, und den fernem Nachweis, daß den Gebr. Willi hinwieder aus der Verlassenschaft der in Mühlen verstorbenen A. Maria Wetzel von Straubenzell ein Guthaben bis auf den Betrag von Fr. 2500 zugesichert sei; erwägend, daß die Gebr. Willi im Kanton St. Gallen kein Domizil besitzen, mit Berufung auf Art. 247 des Civilprozeßgesetzes, wird verfügt : Es sei das den Gebr. Willi in Chur aus der Verlassenschaft der A. Maria Wetzel zugesicherte Guthaben mit Sequester belegt und das Waisenamt Straubenzell bei eigener Haftbarkeit angewiesen,, dasselbe für so lange nicht zu verausfolgen, bis Bosch befriedigt und diese Verfügung aufgehoben sein werde."1 Nach dem Wortlaute der Verfügung und der Motivirung durch Art. 247 des St. Gallischen Civilprozeßgesetzes, welcher die Voraussetzungen des Arrestbegehrene (der Beschlaglegung) bestimmt, dürfte außer Zweifel sein, daß es sich sowohl bei dem Impetranten Bosch als dem inhibirenden Beam.ten um einen Arrestbefehl handelte. Diese Verfügung wurde nun Gegenstand der Beschwerdeführung. Die Regierung des Kantons St. Gallen, an welche sich der Impétrant Willi mit dem Begehren um Aufhebung' des Arrestes zunächst wandte, schützte durch Beschluß vom 27. April 1874 die angefochtene Verfügung in der Meinung, daß sich dieselbe zwar nicht als ein Arrest irn Sinne des Art. 247 des Civilprozeßgesetzes qualiflzire, sondern als eine provisorische (vorsorgliche) Maßnahme nach Art. 254 des gl. Gesetzes zur Erhaltung des status quo in dem streitigen Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien, welche Maßnahme sich rechtfertige, da G. Willi erst dann Anspruch auf Verabfolgung
des Teslamentsbetrages habe, wenn er bis auf diesen Betrag, d. h. den Wcrth der erhaltenen Versicherung, Wein geliefert habe. Gegen diesen regierungsräthlichen Beschluß, resp. die bezirksammannamtliche Verfügung ergriff G.

Willi den Rekurs an den Bundesrath aus dem Grunde der Verletzung des Art. 50 der Bundesverfassung vom 12. Sept. 1848.

496 Art. 50. ,,Der aufrechtstehende schweizerische Schuldner, ,,welcher einen festen Wohnsitz hat, muß für persönliche An,,sprachen vor dem Richter seines Wohnorts gesucht, und es ,,darf daher für Forderungen auf das Vermögen eines solchen ,,außer dem Kanton, in welchem er wohnt, kein Arrest gelegt . ,,werden."

Durch Entscheidung vom 21. August 1874 wurde der Rekurs als unbegründet abgewiesen, namentlich darauf gefußt, daß die Ansprache des Rekurrenten auf den fraglichen Legatsbetrag aus Weinlieferungen in den Kanton St. Gallen entstanden sei, derselbe als Gläubiger ihre Realisirung am Wohnsitze der hiefür angesprochenen Person im Kanton St. Gallen einzuklagen habe, der für die Angelegenheit kompetente Gerichtsstand durch die angegriffene Verfügung mithin nicht geändert werde, und die Vorschrift des Art. 50 der alten = Art. 59 der neuen Bundesverfassung bloß Arreste beschlage, welche gegen einen S c h u l d n e r gerichtet seien.

In Folge Weitersziehung von Seite Willis ist der Rekurs an die Bundesversammlung gelangt. Der Ständcrath hat bereits, in Abweichung von dem Entscheide des Bundesrathes, durch Beschluß vom 10. Dezember 1874 den .Rekurs als begründet erklärt und die angefochtene Verfügung des Bezirksammannamtes Goßau aufgehoben. Ihre Kommission, in Würdigung des vorliegenden Aktenmaterials, gelangt ebenfalls zur Rechtsanschauung des Ständerathes und stellt Ihnen den einmüthigen Antrag, dem Beschlüsse dieses letztern beizutreten. Zur rechtlichen Begründung unseres Antrags verweisen wir im Allgemeinen auf den Bericht der ständeräthlichcn Kommission, welcher seinerzeit in Separatabdrücken auch an die Mitglieder des Nationalrathes ausgetheilt wurde, und berufen uns im Weitern auf folgende kurz susammengefaßte Momente.

So wie die Sache liegt, handelt es sich um die Frage der konstitutionellen Zuläßigkeit der vom Bezirksammannamte Goßau erlassenen Verfügung, nicht aber um ein streitiges Eigentumsrecht des Rekurrenten an dem mit Beschlag belegten Gute, noch um eine Forderungsansprache desselben, für welche auf das Depositum gegriffen wird. Dieses ergiebt sich, wenn berücksichtigt wird : a) daß nicht behauptet werden kann, daß A. M. Wetzel das Legat an eine Bedingung geknüpft habe, daher gegenüber der Bedingungslosigkeit der von ihr allfällig beabsichtigte Zweck der Sicherstellung der Gebrüder
Willi deren Berechtigung auf das Legat weder aufheben noch beschränken kann, b) daß unbestrittenermaßen die letztwilige Verfügung der Anna Maria Wetzel von ihren Erben nicht angefochten, sondern das Legat aus der Verlassenschaft zu Händen der 'Legatare als Eigenthümer verabfolgt wurde, und

497 c. daß selbst auch der Befehlsimpetrant A. Bosch weder die Gültigkeit des Legats anficht, noch das Eigenthumsrecht des Rekurrenten als Rechtsnachfolger der Gebrüder Willi an demselben an und für sich bestreitet, vielmehr letzteres selbst faktisch dadurch anerkennt, daß er auf diesen Vermögenstheil des Rekurrenten aus dem Grunde und zum Zwecke der Sicherstellung einer rekurrenfscher Seits bestrittenen Verfcragsverpflichtung den fraglichen Sequester erwirkte.

Hieraus folgt, daß der Rekurrent Eigenthümer des deponirten Legatbetrages ist, oder m. a. W. solcher einen Vermögensantheil desselben bildet, während der Befehlsimpetrant sich für Verbindlichkeiten, welche dem Rekurrenten obliegen und von ihm nicht erfüllt sein sollen, durch die Beschlagnahme des Legats sicher stellen will. Es ist rechtlich gleich, ob dieser Sicherstellungsakt als Arrest (nach Ansicht des Bezirksammannamts) oder als bloße vorsorgliche Maßnahme (s. Beschluß der St. Gallischen Regierung und des Bundesrathes) bezeichnet wird ; denn die Verfügung in dieser oder jener Bezeichnung fällt in ihrer Natur und Wirkung sachlich als eines und dasselbe darin zusammen, daß sie ein Vermögensobjekt .zum Zwecke bloßer Sicherstellung der Ansprache eines Dritten auf Erfüllung einer Vertragsverbindlichkeit der Verfügung des Eigentümers entzieht. Wenn daher die Regierung des Kantons St. Gallen und der Bundesrath die angefochtene Verfügung dadurch motiviren, daß die Ansprache des Rekurrenten an dem deponirten Legatsbetrage durch eine Gegenleistung (nämlich Lieferung von Wein in entsprechendem Betrage) bedingt sei, die Erfüllung dieser Gegenleistung und damit auch das Eigenthumsrecht an dem betreffenden Vermögenstheile bestritten werde, der Rekurrent daher seine Forderungsansprache aus Weinlieferung am Wohnorte des Schuldners zu realisiren, bestrifctenen Falls bei dem anständigen Richter im Kanton St. Gallen einzuklagen habe, und sonach die provisorische Sicherstellung des streitigen Gutes gegenüber dem Rekurrenten als Gläubiger und bis nach Ausweisung des Eigenthums durch ein gerichtliches Urtheil den Art. 50 der alten, resp. Art. 59 der neuen Bundesverfassung nicht berühre: so erblickt Ihre Kommission darin nach dem Gesagten eine Verschiebung oder Verstellung des wahren Rechtsverhältnisses, welche die rcsp. Behörden konsequenter Weise zu ihrer
Schlußfolgerung führen mußte. Steht nun aber fest, daß der Rekurrent wirklicher und unbedingter Eigenthümer der sequestrirten Summe ist, und deren Beschlagnahme zur bloßen Sicherung einer zumal bestrittenen Ansprache des Befehlsimpetranten erwirkt wurde, so kommt lediglich noch in Frage, ob nach Art. 50 der alten, resp. 59 der neuen Bundesverfassung die weitern Voraussetzungen zutreffen, unter

498 denen die angefochtene exekutorische Maßnahme ausgeschlossen ist. Hierüber kann kein Zweifel walten, da a) der Rekurrent nach den beigebrachten amtlichen Beurkundungen (Niederlassungsurkunde und Leumundszeugnis) aufrechtstehender Schuldner ist und festen Wohnsitz in Chur hat, b) das Vermögen des Gaudenz Willi, das mit Beschlag belegt wurde, im Kanton St. Gallen, mithin .außerhalb dem Kanton liegt, in welchem er seineu Wohnsitz hat, uad c) die Ansprache des Befehlsimpetranten persönlicher Natur ist, In letzterer Beziehung verweisen wir auf Gesagtes und insbesondere darauf, daß es sich nicht um die Gültigkeit des Legats handelt -- eine Streitfrage, welche allerdings vor die St. Gallischen Gerichte gehören würde, -- sondern um die Erfüllung einer Vertragsverpflichtung, d. h. um die Frage, ob Rekurrent auf Grund und nach Maßgabe des Verpflichtungsscheins vom 28. August 1871 noch pflichtig sei, dem Befehls-Impetranten ein gewisses Quantum Wein zu liefern oder nicht.- Für diese Ansprache des letztern als eine persönliche ist Rekurrent nach der oben citirten Vorschrift der Bundesverfassung vor dem Richter seines Wohnorts zu suchen.

Im Hinblick auf die unsers Erachtens geleistete Nachweisung, daß die rekurrirte Beschlagnahme eine Verletzung des Art. 50 der alten, resp. Art. 59 der neuen Bundesverfassung enthalte, stellen wir in Uebereinstimmung mit dem Beschlüsse des Ständeraths den Antrug *) : Es sei der Rekurs begründet zu erklären, und die Verfügung des Bezirksammannamtes Goßau vom 16. Februar 1874 aufzuheben.

Schließlich bleibt mir noch die Bemerkung, daß Ihre Kommission von einzelnen untergeordneten, redaktionellen Desiderien mit Bezug auf die Motivirung des ständeräthlichen Beschlusses Umgang nimmt, weil es ihr zu formell erscheint, solcher wegen den Ständerath mit einer Wiedererwägung zu bemühen.

B e r n , den 8. März 1875.

Namens der nationalräthlichen Kommission, Der B e r i c h t e r s t a t t e r : Messmer.

Kommissionsmitglieder : Meßmer, Amberg, Contesse, H il ti und Scheurer.

*) Vom Nationalrath angenommen am 8. März 1875.

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Bericht des

Schweiz. Konsuls in Antwerpen (Hrn. Mich. Tschander, von Brau, Graubünden) über das Jahr 1874.

(Eingegangen den 12. März 1875.)

An den hohen Schweiz. Bundesrafh.

Tit.!

Für die Landwirtschaft war das Jahr 1874 trotz der Ende Mai und im Monat Juni stattgefundenen Trockenheit außerordentlich günstig; besonders für die Waizen-Ernte und zwar hinsichtlich der Qualität und Quantität; die Roggen-Ernte war etwas geringer, immerhin aber vortrefflich. Das Gleiche kann man von der Gerste, von Flachs, Kartoffeln und Wurzel-Früchten überhaupt sagen.

Dagegen war die Hafer-Ernte nicht so reichlich, wie gewöhnlich. Die Heu-Ernte ist wegen der großen Trockenheit ungünstig ausgefallen.

In Antwerpen und Umgebung sind die industriellen Etablissemente zahlreich und im besten Gedeihen. Es sind hauptsächlich Brennereien, Brauereien, Zukerraffinerien, Oel-Trotten, Stärkesiedereien, Cigarren-, Bougie- und Möbelfabriken, Hafnereien, Werkstätten zum Poliren von Diamanten, zum Entfetten von Wolle, Reismühlen.

Arbeitseinstellungen (Strike) haben nur in den Steinkohlenminen stattgefunden und sind von kurzer Dauer gewesen.

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27.03.1875

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