1281

# S T #

Bericht des

Schweiz. Generalkonsuls in Washington (Hrn. John Hitz, von Davos-Klosters, Graubünden) über das Jahr 1873.

(Vom 9. Dezember, eingegangen den 26. Dezember 1875.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

Als Anfang vergangenen Jahres der dem Handel durch die vorjährige Krisis versetzte Rückschlag sich etwas milderte, glaubte man vieler Orts, daß die ärgsten der Folgen eines durch den Bürgerkrieg unnatürlich aufgeblähten Handels überstanden seien. -- Nicht so -- das Vergehen war umfangreicher, als man ahnte, und es ist nun klar genug ersichtlich, daß eine feste Handelsbasis nur äußerst langsam wieder zu erlangen sein wird.

In erster Linie, darf man annehmen, entzog der fünfjährige Krieg mindestens 2 1/2 Millionen Menschen von der produzirenden Klasse und versetzte dieselben zur konsumirenden. -- Selbstverständlich gab dieses den übrigen einheimischen, sowie auch einer großen Anzahl ausländischer Produzenten einen merklich zunehmenden Absatz.

Woher aber die Mittel nehmen, um den Ausfall einer plötzlich in so großem Maßstabe abgenommenen Produktion zu ersetzen?

Ungleich Frankreich, erwies sich das eigene Land unzulänglich und war es auch mit seinem ausgedehnten, an allen seinen Finanz-

1282 quellen siechenden Areal nicht zu erwarten. Kapital mußte also vom Ausland beschafft werden. -- Zuerst ging die Regierung selbst in das Ausland um Geld; Korporalionen aller Art folgten nach, bis sich schließlich, laut gemachter Zusammenstellung aus einer Rede des Herrn Blaine, eine Gesammtschuld von $ 9,952,000,000 oder zirka zehntausend Millionen Dollars gegenüber einem auf $ 14,778,986,732 geschätzten Totaleigeuthum angehäuft. Immer mehr Kapital wurde erforderlich, um gerade den durch die ungeheuer verminderte einheimische Produktion verursachten Ausfall zu ersetzen und die massenhaft vom Ausland bezogenen Waaren zu zahlen. Das Borgen mußte aber endlich doch aufhören und wurde dieses beschleunigt durch die von den europäischen Kriegen verursachten finanziellen Störungen. Zinsen und Dividenden wurden vielfach nie erworben, vorzüglich nicht bei den massenhaft noch im Bau begriffenen oder bloß theilweis vollendeten ausgedehnten Ëiienbahnprojekten, Minen und sonstigen Bauunternehmungen. Es wurden diese Zinsen und Dividenden nun bekannterweise aus dem Kapital bezahlt, bis daß endlich einmal Abrechnung an den Tag gelegt werden mußte und wie dieselbe sich herausgestellt in den Fallissements von Jay Cook & Comp., Freedmans Bank, Chattanooga- und Alabama-Eisenbahn, so erwies sich auch eine gleiche Finanzwirthschaft in hundert, ja tausend von Fällen geringern Umfangs.

So war Jay Cook in den Augen einer großen Anzahl von Amerikanern die personifizirte Energie, Solidität und Finanzweisheit.

Die Firma genoß auch auswärts ein seltenes Zutrauen, aber lange nicht ein solches, wie ihr hier in Amerika zu Theil wurde. Jedoch dahier waren die Finanzquellen für ihre großartigen Unternehmungen, vorzüglich für die Konstruktion der nichtsverdienenden, gleichwohl enorm verzehrenden Northern-Paciflc-Eisenbahn, bald erschöpft und war die Firma für den eigentlichen Großtheil der erforderlichen Finanzmittel gänzlich auf Europa angewiesen. Der deutsch-französische Krieg machte es der Firma unmöglich, die zum Weiterbestehen und zur eventuellen Vollendung ihrer Unternehmungen nöthigen enormen Summen Geldes zu beschaffen. Sie wehrte sich tapfer, mußte aber unterliegen, und ihre sämmtlichen in das hiesige Finanzwesen so eingreifenden Operationen, welche, wenn auch etwas verfrühter Natur, dennoch, wenn einmal zum Ziele
geführt, zweifelsohne unter fähiger Verwaltung sich rentirbar erwiesen hätten, mußten eingestellt werden und hatte diese Glanzfirma sich einer Liquidation zu unterziehen, deren Eröffnungen das Zutrauen aller Menschen dahier dermaßen erschütterte, daß sich solches bis dato noch nicht erholt.

1283 Man kam erst durch diese und die hundert andern gleichzeitig oder bald darauf folgenden Liquidationen, sowie die allenthalben eingezogenen oder in Konkurs gerathenen Unternehmungen zur Einsicht, was für eine verwerfliche Finanz ver waltung zum großen Theil der mehrjährige Krieg in's Leben gerufen. Diese gewonnene Erkenntniß steuerte mächtig dazu bei, daß allgemeines Mißtrauen eintrat und selbst verdienstwüidige Projekte schließlich unterlagen oder sich merklich einzuschränken hatten.

Anfänglich fühlte es der Handelsstand und die Industrie nicht so ersichtlich. Erst als alle Zins- und Dividenden-Zahlungen der vielen südlichen Munizipalitäten, sowie der zahlreich in Mitleidenschaft gezogenen Eisenbahn - und andern größern Unternehmungen, die sozusagen gänzlich vom auswärtigen Kapital (nun nicht mehr zu haben) abhängig waren, total eingestellt wurden und gleichzeitig allenthalben entweder gezwungener Weise oder aus Vorsicht eine wahre Sparwuth und Enthaltung von Geschäften sich kund gab, machte sich endlich die eingetretene Krisis fühlbar in allen Ständen.

Der hiesige Handelsmann begriff bald die Situation und beschränkte seine Operationen verhältnißmäßig. Dem Industriellen jedoch war dieß nicht so thunlich und wurde derselbe mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen, und zwar besonders noch durch das vielseitig unvernünftige Benehmen des Arbeiterstandes. Letzterer wehrte sich gegen jede Herabsetzung des Lohnes, der im Verlauf des Krieges eine in Friedenszeiten ganz unzuläßige Höhe erreicht hatte. Von einer Herabsetzung seines Lohnes wollte der Arbeiter nichts wissen, die häuugen Arbeitseinstellungen verschlimmerten natürlich dessen Lage, ohne daß er dadurch für seinen Lebensbedarf ermäßigtere Preise erzielte, und gerade das Entgegengesetzte wurde ihm zu Theil. Er verminderte dadurch die Produktion des Landes und die Preise erhielten somit eher eine Tendenz zur Steigung. Dieses Benehmen des Arbeiterstandes hatte dann schließlich vielfach theilweise oder gänzliche Einstellung von Fabriken und industriellen Unternehmungen zur Folge, denn der Absatz im eigenen Lande hatte eine bedeutende Verminderung erlitfen und mit dem Ausland konnte der Industrielle und Fabrikant im Ausland nicht konkurriren. Statt daß sich nun der Arbeiterstand, um Verdienst und Lebensunterhalt ermöglichen zu können, eine
merkliche Herabsetzung der Löhne, ähnlich wie dieselben vor dem Krieg gewesen, gefallen ließ und gleichzeitig auf Abschaffung aller Schutzzölle und Einleitung zum Freihandel drang, organisirte er sich allenthalben und vermöge der gemachten Professions-Bündnisse (Trades Unions) widerstrebte er gemeinschaftlich mittelst Arbeits-

1284 einstellungen (Strikes) jeder von Industriellen und andern Unternehmern angestrebten Rückkehr zum Niveau der vorkriegszeitlichen Löhne; gemachten Nachforschungen zufolge finden sich derzeit ungeachtet der vielen Müßiggehenden die Löhne immer noch durchschnittlich circa 52 °/o höher als vor dem Kriege. Laut Angabe des ,,Springfield Republican" zahlen mehr : Eisenbahnen 35 u /o; Baumwollenfabriken 50%; Wollenfabriken 65°/o; Papierfabriken 55 ° o ; Knopffabriken 55 °/o ; Cigarenfabriken 50 °/o ; Peitschenfabriken 44°/o; Haushaltungen 65°,o; Eisen- und Holzfabriken 64 °/o ; Taglöhne 40 °/o. Dieses machte die Lage nur schlimmer. Die Masse der im Krieg direkt oder indirekt Betheiligten des Arbeiterstandes hatten (ungleich wie in einer Monarchie, woselbst nach dem Kriege ein großes stehendes Heer oder großartige öffentliche Bauten Verdienst und Lebensunterhalt darbieten) sich hier in der Republik selbst wieder Lebensunterhalt zu suchen und zu beschaffen. Die Entlassung einer so massenhaften Menge von Menschen aus dem unmittelbaren Militärdienst, sowie einer noch größern Zahl, die indirekt ihren Verdienst durch die Kriegsführung bezog, wurde hier augenscheinlich ohne Anstand bewerkstelligt.

Die Folgen aber zeigten sich bald. Der vom Militär entlassene Taglöhner und Handwerksmann, sowie der ehemalige Sclave, befriedigte sich nun nicht mit dem von ihm früher verdienten Lohn, sondern er beanspruchte denjenigen, welcher während seiner Betheiligung im Militärdienst seinem ehemaligen und außer Dienst gebliebenen Nebenarbeiter zu Theii geworden. Dieses war selbstverständlich unzuläßig und massenhaft mangelte es dem ArbeiterStand an Lebensunterhalt und somit an den Mitteln, die unabläßig zur Förderung des Handels dienen.

Einzig der landwirtschaftliche Arboiterstand vermochte sich in Thätigkeit zu halten, dadurch, daß er sich mit geringern Preisen begnügte und in Europa zum Theil eine Fehlernte seinen Produkten vorübergehend einen mehr als üblichen ausländischen Markt eröffnete ; andererseits aber vorzüglich auch dadurch, daß er vermittelst der so trefflich organisirten landwirthschaftlichen Genossenschaft, genannt ,,Grangers1* oder ,,Patrons of Husbandry a , auf sehr praktische Weise, mit Umgang aller Mittelspersonen, sich sämmtliche erforderlichen Lebens- und Betriebsbedürfnisse zu Preisen anzuschaffen
wußte, die annähernd den vorkriegszeitlichen gleich kamen Zudem veranlaßte noch die dahier so entstandene Arbeitslosigkeit, sowie der in Europa ausgebrochene Krieg, eine merkliche Abnahme der Einwanderung und zwar in einem Maßstabe, der alle darüber gemachten Berechnungen weit übertraf. Man hat in Erfahrung gebracht, daß die Durchschnittssumme, welche ein jeder Einwanderer

1285 mitbringt, $ 68 (achtundsechzig Dollars) beträgt, daß ferner jeder Einwanderer durch faktische Produktionszunahme um mindestens $ 40 (vierzig Dollars) das Land bereichert und daß somit jeder ein Kapital von $ 800 im Staatshaushalt repräsentirt. Somit ist leicht aus nachstehender Tabelle zu ersehen, welche große Einbuße allein vergangenes Jahr in dieser Richtung dieses Land erlitten: 1869 betrug die Einwanderung 385,287 Köpfe 5 1870 ,, ,, ,, 356,303 ,, 1871 ,, ,, ,, 346,938 ,, 1872 ,, ,, ,, 437,750 ,, 1873 ,, ,, ,, 422,545 ,, 1874 ,, ,, ,, 260,814 ,, 6 Monate des Jahres 1875 106,825 ,, Wohl will man mancherseits behaupten, der Ertrag der Minen habe dieses mehr als ausgeglichen; es hat sich aber genugsam erwiesen, daß der Ertrag der Minen faktisch einzig dem Ausland zu Gute kommt, indem der Ertrag im Durchschnitt nicht wesentlich das zur Bearbeitung der Minen erforderliche Kapital übersteigt.

Ein kürzlich erhaltenes offizielles Schreiben äussert sich folgendermaßen über diesen Gegenstand: ,,Der Ertrag der Minen im letzten Fiskaljahre, Schluß 30. Juni ,,1875, beläuft sich auf $ 72,000,000, wovon angenommen wird, ,,$ 40,000,000 seien Gold. Der Ertrag für das laufende Fiskaljahr ,,wird zweifelsohne denjenigen des verflossenen Jahres um zirka ,,20 bis 25 Millionen übersteigen. Diese Berechnung wird auf die ,,muthrnaßliche Zunahme der konsolidirten Virginia- und California,,Minen gestützt, welche beide an der Comstock Erzader im Staate ,,Nevada gelegen sind.

,,Es scheint die Ansicht von wohlunterrichteten Persönlich,,keiten zu sein, daß das auf den Gold- und Silber-Bergbau ver,,weudete Kapital inklusive die Arbeit im Durchschnitt einer Reihe ,,von Jahren ungefähr dem Ertrage sich gleichstellt."

Daß die von der hiesigen Regierung während des Bürgerkriegs befolgte Finanzpolitik auch dazu beitrug, dem Handel eine vorübergehende Blüthe zu verleihen, ist klar, denn die so große Zunahme des als Geld fungirenden Zahlungsmittels im Verlauf des Krieges mußte den Absatz von Waaren wesentlich stimuliren, um jedoch bei der endlich nothwendigen Rückkehr zu einer klingenden Geldbasis den Handel desto bedauerlicher und fühlbarer zu affiziren.

Die Nachwehen dieser im Verlauf des Krieges genommenen Zuflucht zur Expansion erleidet nun die gesammte Nation in fühlbarer Weise.

1286 Dieses sind im wesentlichen die Ursachen, welche auf den Gesammthandel des Landes so nachtheilig eingewirkt und speziell den Absatz schweizerischer Fabrikate in den Vereinigten Staaten auf ein Minimum beschränkt haben.

Manche scharfsichtige New Yorker Handelsfreunde schweizerischer Industrieller haben schon vor etlichen Jahren ihre Geschäftsfreunde in der Schweiz wiederholt gewarnt vor einer allzu rücksichtslosen Ueberhäufung des hiesigen Marktes. Wiederholt wurde gebeten, weitere Waarensendungen zu sistiren. Dessen ungeachtet wurde vielerseits das bereits noch vollauf versehene hiesige Waarenmagazin kommissionsweise von Neuem überfüllt, bis man endlich erst durch faktisch erlittenen Schaden auch in der Schweiz zur Erkenntniß der Sachlage gelang. Es mußten schließlich die sich beständig anhäufenden Waaren zu höchst bedauernswerthen Preisen losgeschlagen werden und wurde dadurch gleichzeitig auch der inländische Industriebetrieb und Handel auf sehr merkliche Weise in Mitleidenschaft gezogen.

Ist es nun dem schweizerischen Industriellen möglich, abermals den für ihn so eingeschrumpften und bedrohten Absatz dahier allmälig zum vorkriegszeitlichen erquicklichen Standpunkt zu bringen, ^ja sogar stetig zu vermehren?

Dieses ist eine Lebensfrage für Manchen und beides ist gar nicht außer Bereich der schweizerischen Industriellen, wenn dieselben den in vergangenen Jahren befolgten Handelsmodus bei Seite setzen und sich einer der Erholung und Entwicklung dieses Landes mehr angemessenen Geschäftsweise bedienen. Solchen aber, die eigensinnig, wie es noch vielfach geschieht, den alten Geschäftsmodus beibehalten wollen, steht bestimmtestens eine Abnahme statt Zunahme des Handelsverkehrs mit diesem Lande in Aussicht.

Der fünfjährige Krieg hat aus bereits schon erwähnten Gründen den Importhandel mächtig stimulirt; der Krieg hat aber auch das Importgeschäft genöthigt, sich des Handelsstandes von New York als Mittelsperson zu bedienen, während schon Jahre vorher der inländische großstädtische Handelsmann bestrebt war, sich von der Mittelsperson in New York und andern Hafenplätzen loszumachen.

In erster Linie standen ihm die Zollbestimmungen im Wege. Diese haben die nun mächtig an Einfluß gewonnenen inländischen Großstädte zu beseitigen gewußt, so daß der Handelsmann in Cincinnati, St. Louis etc. direkt
importiren kann, ohne benöthigt zu sein, einer Mittelperson Kommission entrichten zu müßen und ohne durch die Zollbehörden des Landungsplatzes chicanirt zu werden. Vide Gesetze vom 14. Juli 1870, 5. März 1872 und 18. März 1872, ver-

1287 möge welcher zollpflichtige Waaren unter Haftpflicht (Bond) vom Landungsplatz direkt nach New York, Buffalo, Boston, Providence^ Philadelphia, Pittsburgh, Baltimore, Norfolk, Charleston, Savannah, New Orleans, Portland, Chicago, Cincinnati, Toledo, St. Louis, Evansville, Cleveland, San Francisco, Portland (Oregon), Memphis und Mobile transportirt werden können und erst in diesen Städten den Zollverordnungen unterliegen.

Vor Jahren war New York faktisch die einzige Großstadt dieses Landes und vermöge ihrer günstigen Lage und ihres vortrefflichen Hafens wußte sie den inländischen Handelsstand insgesammt unter Tribut zu halten. Der schweizerische Industrielle sah dieses seiner Zeit auch ein und etablirte entweder eine Geschäftsfiliale daselbst oder ließ sich für den ganzen Umfang der Vereinigten Staaten durch eine einzige ihm bekannte Fi-ma vertreten oder repräsentiren.

Schon ein Jahrzehnt ist diese Art Geschäftsführung unpraktisch geworden und wird leider noch vielfach beibehalten. Wer sich die schweizerische Handelsvertretung in den Vereinigten Staaten ansieht, erkennt sogleich, daß dieselbe sich ganz und gar in New York zentralisirt mit sozusagen gänzlicher Ignorirung von Philadelphia, Brocklin, Baltimore, Boston, Chicago und St. Louis, alles Städte mit von 300,000 bis 800,OUO Einwohnern, sowie von deren ebenso geschäftsthätigen und riesig schnell emporkommenden Konkurrenten Cincinnati, San Francisco und New Orleans mit je weit über 200,000 Einwohnern, ebenso auch von den bedeutenden Geschäftscentren Albany, Buffalo, Cleveland, Detroit, Mihvaukee, Newark, Pittsburgh, Louisville, Washington und Montreal mit je 100,000 oder mehr Einwohnern. Diese sozusagen gänzliche Ignorirung selbst der anerkannt großen inländischen Geschäftsmittelpunkte ist, wie bereits schon gesagt, seit Jahren ein sichtbarer Fehler seitens unserer Industriellen gewesen und in letzter Zeit entschieden unzulässig, wollen dieselben ihren Fabrikaten von Neuem Eingang zum hiesigen großen inländischen Markt verschaffen.

Soll der Absatz von schweizerischem Fabrikat Schritt halten mit der Entwicklung des Landes, so muß sich der schweizerische Industrielle in den hiesigen größeren Geschäftsstädten geeignete Repräsentanten suchen, die an Ort und Stelle sich um die Bedürfnisse der Kleinhändler bekümmern; die Engroshäuser in Philadelphia,
Baltimore, Cincinnati, Chicago und St. Louis sind nicht mehr Willens, aus zweiter Hand zu kaufen, sondern verlangen direkten Geschäftsverkehr mit Fabrikanten. Hinsichtlich Kapital und Geschäftsverbindungen stehen viele davon den Firmen von New York ganz ebenbürtig und handelt es sich nur um die Fabrikanten, welche geneigt sind, den Weg zu bahnen, direkten Verkehr mit denselben zu ermöglichen.

1288 Die befolgte Art und Weise der meisten unserer Fabrikanten, sich nämlich zum großen Theil einzig auf die Thätigkeit ihrer Geschäftsfreunde in New York zu verlassen, ist nicht mehr zuläßig in dem Maßstabe wie in früheren Jahren, indem die dorten entfaltene Thätigkeit nicht mehr hinreicht, die eben benannten inländischen Geschäftscentren so erschöpfend zu controliren und anzuziehen, wie es einem in denselben ansässigen Vertreter einer Fabrik möglich wäre, in dessen Interesse es beständig läge, die Wünsche und den Geschmack der ihn umgebenden Kundschaft zu erforschen, zu stimuliren und schließlich derselben entgegenzukommen, der somit Bedürfnisse erkennen würde, die ohne sein Zuthun dem Fabrikanten nie zu Nutzen kämen. Wiederholt schon hat »sich eine derartige Geschäftsweise als lukrativ erwiesen. Erst kürzlich noch begegnete ich in einer westlichen Großstadt dem Vertreter eines St. Galler Industriellen, der Umgang von New York genommen und im Nordwesten, sowie auch in Cincinnati seinem Prinzipal eine unerwartete Anzahl neuer Absatzquellen gefunden, sowie Geschäftsverbindungen eröffnet hatte, die zweifelsohne reichliche Früchte tragen werden, und zwar nicht nur dadurch, daß dessen Fabrikat zum direkten Ankauf geboten wurde, sondern auch weil der dortige Geschäftsmann dem Fabrikanten direkt andeuten konnte, was in seinem speziellen Geschäftskreis hinsichtlich Facon und Qualität den besten Absatz finden würde.

Mit andern Worten, will der schweizerische Industrielle sich Geschäftsverbindungen hier zu Lande erwerben und sichern, so muß er sich in direkten Verkehr setzen mit den verschiedeneu emporkommenden Handelsstädten in den Vereinigten Staaten. Weder gegenüber Deutschland, Frankreich, England oder sonstigen Großstaaten befolgen unsere Fabrikanten eine Politik wie diejenige in den Vereinigten Staaten. Einzelne Ausnahmen sind wohl zu verzeichnen, wie z. B. die Gebrüder Benziger von Einsiedeln, welche nicht nur in Ne\v York, sondern auch in Cincinnati und St. Louis Filialen errichtet haben und welche deßhalb gewiß nicht über Abnahme des Absatzes klagen werden. Ein Gleiches ist möglicherweise auch der Fall bei einigen Uhren- und Stickerei-Fabrikanten. Die SeidenIndustrie hat sich sozusagen gänzlich auf New York beschränkt.

So ist, z. B., als eine Illustration, in Philadelphia, der zweitgrößten
Hafenstadt und anerkannt der industriellsten, die einen regen direkten Verkehr mit Europa unterhält und vermöge ihrer zahlreichen Eisenbahnverbindungen für den inländischen Handel äußerst günstig gelegen ist, eine einzige schweizerische Seidenfirma und sonst findet sich im Ganzen kein halbes Dutzend schweizerischer Fabriken direkt vertreten; ebenso ist in Baltimore, der nächstgrößten Stadt der Union, mit gleichfalls einem äußerst regen Handelsstand, die Ver-

1289 tretung der schweizerischen Industrie durch tüchtige Agenten gleich Null, mit Ausnahme etwa einer Uhrenfabrik.

Wenn nun der schweizerische Industrielle glaubt, daß der Engroshändler oder selbst der den Kleinhandel in größerm Umfang betreibende Geschäftsmann dieser Städte, wie Cincinnati, Chicago und St, Louis, sich für ausländische Fabrikate, die er nur indirekt beziehen kann, bemühe, so irrt ei sieh sehr. Selbst die eifrigsten New-Yorker Kommissionshäuser vermögen nicht auf diese Weise den Engrosgeschäftsmann dieser Städte für den Absatz fremder Stoffe zu interessiren. Dieß war wohl in frühern Zeiten der Fall, gegenwärtig haben aber diese Städte sich eine Geschäftsstellung errungen, welche verhältnißmäßig der New-Yorks nicht nur gleich kommt, sondern sich sogar für den vortheilhaften Absatz mancher schweizerischer Fabrikate besser eignen dürfte; daß dem so ist, läßt sich leicht aus dem Umstände beweisen, daß vielerorts im Inlande, wo Waaren von genannten Geschäftscentren bezogen werden, schweizerische Fabrikate, sozusagen, unbekannt sind. Ja, es darf behauptet werden, daß der amerikanische Markt für Schweizer Fabrikate, ungeachtet des hohen Zolls, sowie der bedauerlichen Folgen einer an Umfang selten hier erlebten Finanzkrisis, noch lange nicht dermaßen ausgebeutet ist, wie mancherseits geklagt wird. Und nicht nur das, man ist sogar berechtigt zu glauben, daß, wenn schweizerische Industrielle ihren Waaren schon in frühern Jahren durch direkten Verkehr mit andern Großstädten als NewYork Absatz in dort gesichert hätten, dieselben lange nicht so erheblich von der Finanzkrisis dahier afflzirt worden wären, als es der Fall gewesen durch die stattgefundene Centralisirung des Waarenexports nach dem Finanz-Centrum New York. Daß es letzteres ist, bedingt nicht, daß es auch das einzige Handelscentrum sei, gleichwie 'das anerkannte Finanzcentrum Frankfurt in Handelsbeziehungen manch' andern Städten nachsteht. Zur Vergrößerung des Absatzgebiets hat daher der schweizerische Fabrikant für das hiesige, immer mehr sich erweiternde Feld tüchtige Vertreter an den verschiedenen Handelsplätzen zu suchen, und wird angerathen, damit nicht zu lange zu wa.rten, damit nicht Andere zuvorkommen.

Zweifelsohne bietet eine Beschickung der nächstes Jahr in Philadelphia abzuhaltenden Weltausstellung eine gute Gelegenheit
für schweizerische Industrielle, ihr^ Fabrikate der gesammten amerikanischen Geschäftswelt zu unterbreiten. Um aber aus derselben dauernden Vortheil zu ziehen, ist es nöthig, daß, wo immer möglich, der Fabrikant selber oder eine ihn vertretende kompetente Persönlichkeit, die Waare begleite, um in den verschiedenen Handelsplätzen dauernde Verbindungen anzuknüpfen, seine Waare und

1290 deren Vortheile an's richtige Licht zu bringen, und um sich selbst eine richtige Idee machen zu können über die Bedürfnisse der verschiedenen Plätze und überhaupt des Landes. Zu obigen Zwecken wird gewiß die bereitwillige Unterstützung der Tit. Konsulate in San Francisco, St. Louis, Chicago, Cincinnati, New-Orléans, Philadelphia und andern mehr nicht fehlen, sowie auch das Generalkonsulat in Washington auf zweckentsprechende Weise sein Möglichstes thun wird.

Indem ich vorgehende Andeutungen hinsichtlich der bestehenden Handelslage mache, möchte ich nicht etwa zur Ansicht verleiten, als ob die derzeit noch waltende allgemeine Finanzkrisis und Handelsstockung bald sich heben wird; im Gegentheil, bis daß man hier zur Baarzahlung und zu einem gesunden Handelsverkehr gelangen wird, werden noch etliche Jahre vorübergehen; aber wer sich schweizerischer Seits energisch bemüht, wird sicherlich den immer seufzenden Industriellen auf diesem Handelsfeld verdrängen und schließlich sich für seine ernsthaften und einsichtsvollen Bestrebungen belohnt finden.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des schweiz. Generalkonsuls in Washington (Hrn. John Hitz, von Davos-Klosters, Graubünden) über das Jahr 1873. (Vom 9. Dezember, eingegangen den 26. Dezember 1875.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1875

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

58

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

31.12.1875

Date Data Seite

1281-1290

Page Pagina Ref. No

10 008 930

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.