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Schweizerisches Bundesblatt.

XXVII. Jahrgang. I.

Nr. 7.

13. Februar 1875

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

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Druk und Espedition der Stämpflischen Buchdrukerei in Bern.

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Bundesrathsbeschluss in

Sachen der B u r g e r g e m e i n d e von Z e r m a t t , Kantons Wallis, betreffend Verfassungsverlezung.

(Vom 25. November 1874.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat

in Sachen der B u r g e r g o m e i n de von Z e r m a t t , Kantons Wallis, betreffend Verfassungsverlezung ; nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben : I. Hr. Alexander Seiler, Bürger von Blitzingen, Kts. Wallis, Gasthofbesizer in Zermatt, gleichen Kantons, wünschte auch Bürger dieser leztern Gemeinde zu werden. Sein dießfälliges Ansuchen wurde aber von der Burgerversammlung schon im Juni und September 1871 einstimmig und sodann neuerdings am 8. Januar 1874 mit 91 gegen 4 Stimmen abgewiesen.

II. Hr. Seiler beschwerte sich deßhalb bei dem Staatsrathe des Kantons Wallis, indem er, gestüzt auf Art. 10 des Gesezes vom 23. November 1870, betreffend die Bürgerschaften, die Behauptung aufstellte, daß die Gemeinde Zermatt durch den Staatsrath angehalten werden müsse, ihn als Bürger anzunehmen, da die geschlichen Voraussezungen bei ihm vorliegen.

ßundesblatt. Jahrg. XXVII. Bd.I.

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182 Der Art. 10 des erwähnten Gesezes lautet wie folgt: ,,Art. 10. Les bourgeoisies doivent faciliter aux Valaisans, domiciliés dans la commune depuis 5 ans, l'acquisition du droit de bourgeoisie.

,,La môme facilité doit être accordée aux Suisses, nous réserve de réciprocité.

,,Si le droit de bourgeoisie est refusé sans motif légitime, le postulant peut réclamer au Conseil d'Etat qui décide sur les motifs du refus et qui, pour la fixation du prix, doit prendre en considération l'intérêt du capital de réception combiné avec la fortune et les revenus de la bourgeoisie.a III. Der Burgerrath von Zermatt opponirtc jedoch, daß die; Bedingung des fünfjährigen Wohnsizes in der Gemeinde bei Hrn.

Seiler nicht zutreffe.

Derselbe halte sich nur jcweilcn im Sommer während einigen Monaten in Zermatt auf. Dieser Aufenthalt qualifizire sich nur als ein vorübergehender; sein eigentlicher Wohnsiz sei in Brieg. Der Umstand, daß sein Hauptgeschäft in Zermatt sich befinde, genüge nicht, sonst könnte er ebenso gut auch in Gletsch Domizil haben, wo er ebenfalls ein Hotel besizc.

Die Burgerschaft von Zermatt könne sich darum nicht zur Aufnahme des Hru. Seiler entschließen, weil sie fürchte, daß sobald Hr. Seiler Stimme in den bürgerlichen Angelegenheiten hätte, die Wälder und Alpen, welche die Gemeinde seiner Zeit angekauft, für den Betrieb seiner Gasthöfe in Mitleidenschaft gezogen würden.

Diese Gefahr erscheine um so größer, wenn man die nahe liegende Möglichkeit in's Auge fasse, daß Hr. Seiler, früher oder später, mit Hülfe einer Gesellschaft sein Geschäft auf einem ausgedehnteren Fuße betreiben wolle. In diesem Falle würde das bürgerliche Vermögen zu Gunsten einer der Burgerschaft durchaus fremden Gesellschaft ausgebeutet werden. Das allgemeine Interesse der Burgerschaft stehe also der Aufnahme des Hrn. Seiler entgegen, und dies sei um so mehr der Fall, als die Burgergemeindc von Zermatt beschlossen habe, ein eigenes Hotel zu bauen, und zu dessen Ausführung die Arbeiten demnächst an die Hand nehmen werde.

IV. Am 3. April 1874 entschied der Staatsrath von Wallis dahin, daß die Burgergemeinde Zermatt dem Hrn. Seiler die Aufnahme in das Bürgerrecht gegen eine Einkaufssumme nicht verweigern könne; diese Einkaufssummc sei durch gütliches Uebereinkommen zu bestimmen, eventuell wenn ein solches nicht zu Stande käme, durch den Staatsrath festzusezen.

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Dieser Beschluß stüzt sich auf folgende Erwägungen: Der Gesezgebcr sei bei Art. 10 des Gesezes vom 23. November 1870 von der Absicht geleitet worden, den Walliser-Bürgern den Erwerb des Bürgerrechtes in einer andern, als ihrer Heimatgemeinde, nämlich an dem Orte, an welchen sie vermöge ihres Gewerbes oder aus andern Gründen durch bedeutende Interessen geknüpft seien, zu erleichtern. Der in diesem Art. 10 gebrauchte Ausdruk ^Domicile11 sei in seinem weitesten Sinne, d. h. im grammatikalischen, zu verstehen, und es habe die Bestimmung, wonach ein Wohnsiz von fünf Jahren vorgeschrieben sei, einzig den Zwek, der Bevölkerung und "der Behörde zu ermöglichen, über den Charakter und die andern Eigenschaften desjenigen, der sich um das Bürgerrecht bewerbe, sich hinlängliche Klarheit zu verschaffen. Nun halte sich Hr. Seiler seit mehr als 15 Jahren jeweilen während einer beträchtlichen Zeit des Jahres in Zcrmatt auf und er habe dort auch den Siz seiner Hauptthätigkeit (de ses principales affaires). Zudem sci er Walliser; das zitirte Gesez anerkenne aber den gleichen Grundsaz sogar zu Gunsten von Schweizerbürgern aus andern Kantonen. Die von der Burgerschaft von Zermatt zur Unterstützung ihrer Opposition geltend gemachten Gesichtspunkte erscheinen nicht als gerechtfertigt.

V. Der Burgcrrath von Zermatt rekurrirte hierauf an den Großen Rath des Kantons Wallis. In dem bezüglichen Mémoire wurde wieder betont, daß es billig sei, wenn die Entwiklung des Fremdenverkehres den Einheimischen zu gut komme. Durch die Aufnahme von Fremden in das Burgerrecht würde aber gerade das Gegentheil bewirkt; sie würde als ein öffentliches Unheil sich gestalten. Insbesondere würde die Aufnahme des Hrn. Seiler, der ein Konkurrent der Gemeinde sei, dieser zu großem pekuniären Nachtheil gereichen. Es sei aber Pflicht der Behörden, das Interesse der Gemeinde über dasjenige von Partikularen zu stellen. Sodann liege in dein Beschlüsse des Staatsrathes eine Verlezung von Art. 51 der kantonalen Verfassung.

Der Große Rath von Wallis wies jedoch am 27. Mai 1874 den Rekurs ab, weil der Staatsrath inner seiner Kompetenz und im Einklänge mit dem Geseze vom 23. November 1870 entschieden habe.

VI. Mit Eingabe vom 1. August a. c. gelangte nun Hr. Fürsprecher Bnmuer in Bern, Namens der Burgerschaft von Zermatt, an den Bundesrath, indem er
nachzuweisen suchte, daß der Art. 10 des Gesezes vom 23. November 1870 und demzufolge auch die Beschlüsse des Staatsrathes und des Großen Rathes von Wallis mit der Verfassung dieses Kantons im Widerspruche stehen.

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Gemäß Art. 51 dieser Verfassung seien die Burgerversatnmlungen allein berechtigt, über die Aufnahme von neuen Bürgern zu verfügen. Diese Vorschrift lasse keine doppelte Auslegung zu.

Es sei also den Bürgerschaften ausdrüldich das Recht garantirt, neue Bürger anzunehmen oder abzulehnen. Wenn aber der Große Rath durch ein Gesez, oder der Staatsrath durch einen Beschluß, eine Burgerschaft gegen ihren Willen zur Aufnahme eines neuen Bürgers zwingen könnte, so hätten nicht mein1 die Burgerversammlungen, sondern der Große Rath und der Staatsrath darüber zu verfügen. Indem der Art. 10 des Gesezes von 1870 diese Theorie aufstelle, stehe er mit Art. 51 der Verfassung von Wallis im Widerspruch, sowie auch jeder Entscheid, der in diesem Sinne laute. -- Das Gesez vom 23. November 1870 habe allerdings wesentlich nur eine Verwaltungsfrage zum Gegenstand, nämlich die Frage, in welcher Weise das der Administration der Burgerschaft unterstellte Vermögen an die öffentlichen Aufgaben der Ortsgemeinde beitragspflichtig sein soll. Hiezu sei der Gesezgcber vollkommen befugt gewesen. Der Art. 10 übersehreite jedoch den eigentlichen Zwck des Gesezes und stehe mit dem übrigen Inhalte O O desselben in gar keiner Beziehung. Er enthalte eine Modifikation von Art. 51 der Verfassung und hätte darum nach Vorschrift von Art. 74 der leztern nur auf dem Wege einer Verfassungsrevisiou O O in Kraft gesezt werden können. Bei der Behandlung des Gesezes im Großen Rathe sei auch auf clieses Bedenken aufmerksam gemacht worden; allein man habe sich mit der Erklärung beruhigt, daß dieser Art. 10 mehr den Sinn einer Empfehlung an die Bürgerschaften , als denjenigen einer positiven Vorschrift habe. Dieser Auffassung sei es zuzuschreiben, daß der Staatsrath den Art. 10 gegen den Willen einer Burgerversammlung noch niemals angewendet habe. Man berufe sich jezt a u s n a h m s w e i s e darauf, um den Beschluß der Burgerversammlung von Zermatt zu Gunsten des Hrn. Seiler umzustoßen.

Hr. Fürsprecher Brunner schloß mit dem Antrage, daß die beiden Beschlüsse des Staatsrathes und des Großen Rathes des Kantons Wallis aufgehoben werden möchten.

VH. Der Staatsrath des Kantons Wallis vcrtheidigtc in seinem Schreiben vom 7. September 1874 die Verfassungsmäßigkeit von Art. 10 des Gesezes vom 23. November 1870 wie folgt: Die Rekurrentin habe durch ihr
Raisonnement den Text von Art. 51 der kantonalen Verfassung erweitert. Dieser Art. 51 laute blos dahin: ,,L'assemblée bourgeoisiale délibère sur la réception des nouveaux bourgeois/1 Die Verfassung sage also nicht, daß das Recht zum Entscheide über die Aufnahme neuer

185 Bürger ausschließlich bei der Burgerversammlung stehe, so daß keine weitere Prüfung möglich sei. Wenn nun Art. 10 des Gesezes von 1870 dem Staatsrathe eine solche Prüfung und Entscheidung zugestehe, so sei dies nicht im Widerspruch mit der Verfassung. Auch habe die Burgerversammlung jezt noch das Recht, die damit in Verbindung stehenden Fragen zu untersuchen und darüber zu berathen, z. B. über die Moralität der Bewerber, und über die Gründe, auf welche allfällig eine Abweisung sich stüzen könnte.

In dem gleichen Geseze vom 23. November 1870 sei, obwohl die Verfassung in Art. 11 die Unverlezlichkeit des Eigenthums garantire, das Recht der Burgergemeinden zur freien Verfügung über ihr Vermögen bedeutend eingeschränkt worden, ohne daß dießfalls Einsprache erhoben werde. Noch mit besserm Recht könne der Gcsezgeber 'Maßregeln treffen, damit nicht die Befugniß der Gemeinden zum Entscheide über die Bürgeraufnahmen zu einem Mißbrauch und zu einem öffentlichen Uebel ausarte. Hätte der fragliche Passus von Art. 51 der Verfassung den von der Rekurrentin ihm beigelegten Sinn, so hätten auch das Bundesgesez über.die Heimatlosigkeit von 1850 und das kantonale Gesez über die gleiche Materie nicht in Wirksamkeit gesezt werden können.

Da die Burgergemeinden nicht privatrechtliche Körperschaften, sondern organische Theile des Staates seien, so können sie auch in Fragen öffentlicher Natur nicht nach Willkühr verfahren. Die willkiihrliche Verweigerung der Bürgerrechtsertheilung wäre namentlich im Widerspruch mit dem in Art. 3 der Verfassung proklamirten Grundsaze der politischen und rechtlichen Gleichheit aller Bürger.

Aus diesen Gründen habe auch die Verfassung selbst (Art. 58) die Burgergemeinden, wie die Einwohnergemeinden, unter die Oberaufsicht der Exekutivgewalt gestellt und diese sogar zum Einschreiten verpflichtet, so oft seitens eines oder mehrerer Betheiligten Klage erhoben werde. Die Verfassung habe hiemit das Recht der Gemeinden zum Entscheide über Aufnahme von Bürgern ausdrüklich beschränkt. Sodann würde, wenn man denselben eine absolute Befugnlß zur Verweigerung neuer Bürgerannahmen einräumen wollte, hiedurch einer großen Zahl von Berggemeinden die Macht in die Hand gegeben, die Niederlassungs- und Gewerbefreiheit gewissermaßen zu unterdrüken, während diese Rechte im Art. 7 der Verfassung
gewährleistet seien. Dieser Art. 7 weise die Regulirung Alles dessen, was die Ausübung der Niederlassungs- und Gewerbefreiheit betreffe, ausdrüklieh der Gesezgebung zu. Nun sei aber gerade das Gesez vom 23. November 1870 eines derjenigen, welche zur weitern Ausführung des zitirten Verfassungsartikels, sowie des

186 Grundsazes der Gleichheit aller Bürger vor dem Geseze erlassen worden sei. Daß dieses Gesez von 1870 die im Beschlüsse des Staatsrathes ihm beigelegte Bedeutung und Tragweite habe, darüber geben die Berathungen des Großen Käthes aus dem Jahr 1870 Aufschluß, und wenn der Staatsrath bis dahin noch niemals in den Fall gekommen sei, den Art.-10 desselben in Anwendung zu bringen, so liege der Grund darin, daß dieser Vorschrift anderwärts in guter Treue nachgelebt worden sei.

I n E r w ä g u n g: Was zunächst das Motiv des Rekurses betrifft, welches aus der angeblich durch den Walliser Staats- und Großen Rath begangenen Verlezung von Art. 10 des dortigen Gesezes vom '23. November 1870 über die Bürgerschaften abgeleitet wird, so entzieht sich diese Beschwerde über die Art der Anwendung eines kantonalen Gesezes, der Cognition des Bundesrathes; ebenso ist er auch nicht zuständig, die diesfalls von den constitutionellen Behörden des Kantons Wallis gefaßten Beschlüsse zu revidiren.

Was dann im Weitern die Verlezung von Art. 51 der Walliser Kantonsverfassung betrifft, wegen deren die Gemeinde Zermatt sich beschwert, so bestimmt dieser Artikel u. A., daß die Burgervcrsammlung über die Aufnahme neuer Bürger b e r a t h s c h i a g t.

Diese Bestimmung gibt der Burgerversammlung von Zermatt nicht das Recht, unwiderruflich und endgültig, ohne Rekurs noch Appellation, über jedes Gesuch um Aufnahme in die Bürgerschaft, welches an sie gerichtet werden könnte, zu beschließen oder zu entscheiden.

Vielmehr verleiht Art. 58 der Walliser Verfassung dem Staatsrath ausdrüldich ein Aufsichtsrecht über die Bürgerschaften und es ist sogar nach dem gleichen Artikel der Staatsrath verpflichtet, in allen Fällen von Einsprachen eines Beteiligten zu intervenire!!.

Das Gesez vom 23. November 1870 über die Bürgerschaften ist nur die weitere Entwiklung und die Consequenz der erwähnten Verfassungsbestimmungen.

Im vorliegenden Falle hat die Burgergemeindeversamtnlung über die Aufnahme des Herrn Seiler in die Burgergemeinde berathsehlagt, es ist also der Forderung von Art. 51 der Verfassung Genüge geschehen; der Staatsrath, indem er darauf Art. 10 des Oesezes vom 23. November 1870 anwandte, ist in den Grenzen seiner verfassungsmäßigen und gesezlichen Befugnisse geblieben.

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Es liegt demnach eine Verlezung der Walliser Verfassung oder der verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte in den Beschlüssen, gegen welche an den Bundesrath rekurrirt wird, nicht vor j beschlossen: .1 Der Rekurs wird abgewiesen.

2. Von diesem Beschlüsse ist Herrn Fürsprecher Brunner in Bern als Anwalt und zu Händen der Gemeinde Zermatt, sowie dem Staatsrath von Wallis Kenntniß zu geben.

B e r n , den 25. November 1874.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: .

Schiess.

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Bundesrathsbeschluss in Sachen der Burgergemeinde von Zermatt, Kantons Wallis, betreffend Verfassungsverlezung. (Vom 25. November 1874.)

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13.02.1875

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