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Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über die Motion des Hrn. Nationalrath L a m b e l e t , betreffend Schuz des Fischlaichs.

(Vom 22. November 1875.)

Tit.!

Mit Schlußnahme vom 17. September abhin haben Sie eine Motion des Herrn Nationalrath Lambelet, dahin lautend: ,,Der Bundesrath ist eingeladen, zu prüfen, ob man nicht den Fischlaich gegen einzelne Thiere des Hühnerhofes schüzen und bejahendenfalls angemessene Bestimmungen zu diesem Zweke erlassen sollte, erheblich erklärt und uns eingeladen, darüber Bericht zu erstatten.

Wir kommen diesem Auftrag nach und lassen dem Schlußantrag folgende Erörterung vorausgehen.

Die noch ziemlich weit verbreitete Uebung, Hofgeflügel frei zirkuliren zu lassen, ist zu betrachten als ein Rest der ursprünglich allgemein verbreiteten und zu Recht bestehenden Gewohnheit, den Hausthieren während des Tages freien Laut zu lassen und sie nur während der Nacht, soweit es deren Schuz unerläßlich machte, einzuschließen oder auf andere Weise unter Hut zu stellen. In einigen gesezgeberisch und zivilisatorisch hoch entwikelten, aber noch dünn bevölkerten Ländern (Staaten von Nordamerika) ist heute noch der freie Weidgang der Hausthiere nur durch die Befugniß der Privatgrundbesizer beschränkt, ihre Grundstüke gegen dieselben durch Einzäunung" abzuschließen, und die Gesezgebung

1236 sucht die frei zirkulirenden Thiere durch strenge Vorschriften gegen Beschädigung zu schüzen. Noch heute ist in einem Theile der »Schweiz der Herbstweidgang der Hausthiere bloß durch die nämliche, für den Schuz suchenden Privatgrundbesizer oft unausführbare Maßregel beschränkt, und es gibt blühende Städte, in deren Gebiet diese alte Gewohnheit noch im Anfang dieses Jahrhunderts zu Recht bestand und nur gegen schwere Leistungen des belasteten Privatgrundbesizes und unter Intervention der Gemeindeautorität ' aufgehoben wurde. Auf einen zur Zeit wohl überall noch tolcrirten Minirnalrest ist diese Gewohnheit an denjenigen Orten reduzirt, wo lediglich noch der freie Flug der Haustaube während kürzerer oder längerer Zeit gestattet ist, und auch dieser lezte Ueberrest wird gegenüber den berechtigten Klagen einer eut\vikelten Hortikultur kaum mehr lange bestehen können. Zwischen diesen beiden Extremen haben im Laufe der Zeit alle gedenkbaren Zwischenstufen kürzere oder längere Zeit als herrschende Uebung bestanden und sind heute noch in mannigfaltigster Form anzutreffen. Zwei Momente waren es hauptsächlich, die ihre successive Einschränkung bedingten, einerseits die unabweisbaren Bedürfnisse einer rationeller und intensiver betriebenen Landwirtschaft und andererseits die polizeiliche Ordnung. Es liegt in der speziellen Natur dieser beiden Impulse, daß ihre Wirkung je nach der wechselnden Beschaffenheit der Lebensverhältnisse sehr ungleich ausfällt. In Gebirgsgegenden, in denen die ganze Agrikultur sich auf Forstwirtschaft und Viehzucht beschränkt, wird die alte Lizenz wohl noch lange fortbestehen; in Städten dagegen, die mit einer Zone von Gärten umgeben sind, wird der kleinste Rest derselben unerträglich scheinen. Diese in lokaler und regionaler Hinsicht so außerordentlich große Verschiedenheit des Bedürfnisses und des Einflusses derartiger Maßregeln läßt deren Anordnung nur in der Form als zuläßig erscheinen, daß sie' entweder den lokalen Autoritäten überlassen wird, oder, wenn sie von zentraler Stelle ausgehen soll, daß deren Applikation an das Requisit des lokalen oder temporären Eintreffens gewisser Umstände geknüpft wird. Die Auswahl zwischen beiden Formen muß sich nach der Beschaffenheit des speziellen Postulats richten.

Die Motion des Herrn Lainbelet ist gegen die Uebung gerichtet, zahme
Schwimmvögel, namentlich Enten, in die offenen Gewässer gelangen zu lassen, wo sie allerdings den Fischeicrn nachstellen und somit die Vermehrung des Fischbestandes beeinträchtigen können. Das wirkliche Eintreten dieses Schadens hängt davon ab, ob sie zur Zeit des Laichs deijenigeu Fischarten, die ihre Eier an untiefen Stellen deponiren, und au Orten, wo dies geschieht, in die Gewässer gelangen können. Das erstere geschieht bekanntlich von allen eigentlichen Forellenarten (mit Ausnahme der Röthel),

1237 in sehr untergeordnetem Maße von den im Frühjahr laichenden Fischen (Bundesgesez über die Fischerei vom 18. Herbstmonat 1875, Art. 9), von denen nur die geringern und für die Fischerei unerhablichen Arten an seichten Stellen laichen, während die werthvolleren (Hecht und Barsch) die Eier in einer Tiefe (gewöhnlich 4 bis 5 Fuß) deponiren, in der sie den Enten nicht zugänglich sind. Was die lokale Ausdehnung betrifft, innerhalb welcher dieser Schaden überhaupt eintreten kann, so dürfte sie nur unbedeutend sein. Denn innerhalb des Bereichs der Städte und Dörfer, wo die meisten zahmen Enten ihren Standort haben, wird wegen ungeeigneter Beschaffenheit des Wassers und der Ufer die Vermehrung der Fische überhaupt nur in geringfügigem Maße Statt haben, und soweit es geschieht, wird die Beeinträchtigung durch Hausgeflügel einen sehr geringen Bruchtheil der Schädlichkeiten bilden, denen sie hier im Ganzen ausgesezt ist. Anders mag es sich verhalten bei einzelnen an Bächen oder kleinen Flüssen liegenden Gehöften, z. B. Mühlen, von denen aus Enten unstreitig dem Forellenlaich Gefahr bringen können. Immerhin muß daran erinnert werden, daß die Zucht der Enten in der Schweiz nirgends von Belang ist, und daß vor oder bei Beginn des Forellenlaichs (Bundesgesez über Fischerei vom 18. Herbstmonat 1875, Art. 8) diese Thiere bis auf die wenigen über Winter beibehaltenen Zuchtthiere gemästet und verkauft zu werden pflegen. Auch ist nicht zu übersehen, daß Enten, wenn sie ihrer Nahrung im Wasser nachgehen, das vorzugsweise schwimmend thun, wobei sie nicht allzuhäufig an Stellen gelangen dürften, von denen aus ihnen Forellenlaich erreichbar wäre.

Was nun endlich die Frage betrifft, welche Autorität eventuell zur Erlassung von Schuzmaßregelu berufen wäre, so kann, obwohl dabei unstreitig der allgemeinere Gesichtspunkt des Schuzes des Fischbestandes in Frage kommt, gleichwohl diese Aufgabe nicht dem Bunde zugetheilt werden. Nach allgemein herrschender Observanz gehören solche Erlasse in den Kompetenzrayon der niedern oder Ortspolizei, die allein zu ermessen in der Lage ist, ob ein Einschreiten nach jeweils obwaltenden Umständen gerechtfertigt sei oder nicht. Um eine ausnahmsweise Intervention der Bundesgesezgebung zu motiviren, müßten gewichtigere Interessen auf dem Spiele stehen, als dies hier der Fall ist. Sollte
sich dann im Verlauf zeigen, daß da oder dort größere Schädigungen vorkommen, so dürfte auch dann noch in erster Linie der Versuch zu machen sein, auf dem Wege einer an die Kantonsregierungen zu richtenden Vollziehungsinstruktion die Dazwischenkunft der lezteren zu dem Zweke anzurufen, daß die Lokalpolizei an öffentlichen Gewässern (kleine Flüsse und Bäche) wohnenden Geflügelzüchtern das Freilassen derselben in der Zeit vom 10. Weinmonat bis 20. Januar

1238 ·untersagt (Bundesgesez über Fischerei vom 18. Herbstmonat 1875, .Art. 8). Eine Ausdehnung des Verbots auf andere Gewässer und .andere Perioden wäre schwerlich gerechtfertigt.

Von dem in Vorstehendem entwikelten Gesichtspunkte geleitet, .hat der Ständerath bei Berathung des Bundesgesezes vom 18. Herbstmonat 1875 über die Fischerei die ihm damals mitgetheilte Motion Lambelet bereits berüksichtigt, indem er im Artikel 13 als leztes Alinea die Bestimmung beifügte: ,,Ebenso ist den Kantonen freigestellt, strengere Maßregeln .zum Schuz des Fischbestandes anzuordnen, welche der Genehmigung des Bundesrathes zu unterstellen sind.1' Diese Bestimmung dürfte wohl von selbst zur Folge haben, daß da, wo Schädigungen des Fischbestandes durch Hausgeflügel wirklich vorkommen sollten, auf Klage der Geschädigten die erforderlichen Schuzmaßregelu angeordnet werden. Dies zum voraus in allgemein verbindlicher Form zu thun, wäre schwerlich gerechtfertigt. Immerhin wird unser Departement des Innern bei Anlaß der ihm obliegenden Ueberwachung der Vollziehung des Gesezes im Allgemeinen auch auf diesen Punkt sein Augenmerk richten.

Wir schließen mit dem Antrag: Es sei der Motion des Herrn Nationalrath Lambelet keine ·weitere Folge zu geben.

Anbei benuzen wir diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 22. November 1875.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes) Der Bundespräsident: Scherer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Schiess.

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Bericht des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über die Motion des Hrn.

Nationalrath Lambelet, betreffend Schuz des Fischlaichs. (Vom 22. November 1875.)

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24.12.1875

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