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Bundesbeschluss betreffend

den Rekurs von Gaudenz Willi, von Lenz (Graubünden), gegen den Entscheid des Bundesrathes vom 21. August 1874, über einen von Albert Bosch zum Waldhorn in St. Gallen ausgewirkten Arrest.

(Vom 8. März 1875.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Erwägung: 1) Es wird nicht behauptet, daß die Anna Maria Wetzel die Ausbezahlung des zu Gunsten der Gebrüder Willi in Chur errichteten Legates an irgend welche Bedingung geknüpft habe, und es ist zugestanden, daß sämmtliche Erbinteressenten der Jgfr. Wetzel das Legat anerkannten und gegen die Ausbezahlung der betreffenden Summe nichts einwendeten. Die Gebrüder Willi, resp. deren Rechtsnachfolger, Gaudenz Willi, wurden daher mit dem Tode der Jgfr.

Wetzel Eigenthümer der betreffenden Legatssumme, und es bildet diese somit einen Bestandtheil ihres Vermögens.

Dies wird von Albert Bosch dadurch factisch anerkannt, daß er auf-dieses Vermögen Sequester legen ließ, mit der Begründung, Willi habe an ihn gewisse Leistungen zu machen, und das be-

513 treffende Legat habe die Bestimmung, als Sicherheitsmittel für die richtige Erfüllung dieser Leistungen zu dienen. Wäre Willi nicht Eigenthümer der auf das Legat entfallenden Summe, so könnte diese nicht als Sicherheitsmittel dafür dienen, daß Willi seinen Verpflichtungen nachkomme.

2) Es ist also auf Vermögen des Gaudenz Willi, das sich in eitlem andern, als in seinem Wohnkantone befindet, Arrest gelegt worden.

3) Es entsteht daher nur noch die Frage, ob dies für eine Forderung geschehen sei, für welche Willi bei dem Richter seines Wohnortes zu suchen ist.

4) Diese Frage ist zu bejahen. Denn es ist, wie schon ausgeführt wurde, nicht das Legat streitig, welcher Streit allerdings vor die Gerichte des Kantons St. Gallen gehören würde; sondern es ist streitig, ob Gaudenz Willi an Albert Bosch noch ein gewisses Quantum Wein zu liefern habe oder nicht. Dieser Streit involvirt eine persönliche Klage und ist daher gemäß Art. 50 der alten und Art. 59 der neuen Bandesverfassung bei den Gerichten des Wohnortes des Angesprochenen (Schuldners), d. h. im Kanton Graubünden, anzustellen.

5) Gaudenz Willi erscheint demnach als Schuldner. Er ist aufrechtstehender Schuldner. Nach Art. 50 der alten Bundesverfassung ist er für persönliche Ansprachen vor dem Richter seines Wohnortes, also in Chur, zu suchen. Durch die Behörden des Kantons St. Gallen ist für eine persönliche Ansprache an Gaudenz Willi auf im Kanton St. Gallen befindliches Vermögen desselben Beschlag gelegt worden.

6) In allem dem liegt eine Verlezung des Art. 50 der alten, resp. Art. 59 der neuen Bundesverfassung.

Die Beschlagnahme muß daher aufgehoben werden; beschließt: 1. Die Verfügung des Bezirksammannamtes Gossau vom 16. Februar, resp. 25. März 1874, wonach auf das aus der Verlassenschaft der Anna Maria Wetzel dem Gaudenz Willi zugefallene Vermögen Sequester gelegt wurde, ist aufgehoben.

2. Mittheilung an den Bundesrath behufs Vollstrekung dieses Beschlusses.

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Also beschlossen vom Ständerathe, B e r n , den 10. Dezember 1874.

Der Präsident: KÖchlin.

Der Protokollführer: J. L. Lutscher.

Also beschlossen vom Nationalrathe, B e r n , den 8. März 1875.

Der Präsident: L. Ruchonnet.

Der Protokollführer: Schiess

Der schweizerische B u n d e s r a t h beschließt: Aufnahme des vorstehenden Bundesbeschlusses in das Bundesblatt.

B e r n , den 12. März 1875.

Der Bundespräsident : Scherer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: ScMeSS.

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Bundesrathsbeschluss betreffend

den Rekurs gegen das Ausweisungsdekret der bernischen Regierung vom 30. Januar 1874.

(Vom 27. März 1875.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath, nach Einsicht eines vom 3. September 1874 datirten Rekurses, durch welchen Hr. Fürsprecher M o s c h a r d in Münster, im Namen der ausgewiesenen Geistlichen des bernischen Jura, das Begehren stellt, daß das von der Regierung des Kantons Bern unterm 30. Januar 1874 erlassene Ausweisungsdekret nicht länger wirksam sein dürfe, weil dasselbe mit der gegenwärtigen Bundesverfassung und insbesondere mit den in den Artikeln 44 und 45 derselben gewährleisteten Rechten im Widerspruche stehe; nach Einsicht eines zweiten Rekurses, eingereicht von der katholischen Bevölkerung des bemischen Jura im Monat August 1874, welcher mit 9100 Unterschriften versehen ist und ebenfalls dahin schließt, daß das von der Regierung des Kantons Bern gegen die katholischen Geistlichen erlassene Ausweisungsdekret wieder aufgehoben werde; nach Einsicht der Vernehmlassung der Regierung des Kantons Bern vom 3. Dezember abbin, welche dahin geht, daß diese Rekurse abgewiesen werden, gestüzt darauf, daß Art. 50, Lemma 2 der Bundesverfassung von 1874 den Kantonen vorbehalte, zur Handhabung der öffentlichen Ordnung und des Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften die ge-

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Bundesbeschluss betreffend den Rekurs von Gaudenz Willi, von Lenz (Graubünden), gegen den Entscheid des Bundesrathes vom 21. August 1874, über einen von Albert Bösch zum Waldhorn in St. Gallen ausgewirkten Arrest. (Vom 8. März 1875.)

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Jahr

1875

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27.03.1875

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512-515

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