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Botschaft des

Bundesrathes an die" hohe Bundesversammlung zum Gesezentwurf über Steuern zu Kultuszweken.

(Vom 26. November 1875.)

Tit.

Wir geben uns die Ehre, Ihnen den Entwurf zu einem Gesez über Kultussteuern vorzulegen, und begleiten denselben mit folgenden Bemerkungen.

Es schien uns angemessen, vorab nähere Erkundigungen darüber einzuziehen, wie die Sache in den Kantonen regulirt sei, wobei wir die Regierungen gleichzeitig einluden, sich darüber auszusprechen, wie man sich etwa die Ausführung von Art. 49 im Sinne der Bundesverfassung auf Grundlage der besondern Verhältnisse und Einrichtungen des betreffenden Kantons vorstelle. Auf die leztere Präge haben aber eine Reihe von Kantonen nicht geantwortet.

Das unterm 30. April 1875 an sämmtliche eidgenössische Stände erlassene Kreisschreiben lautet folgendermaßen: ,,Getreue, liebe Eidgenossen, ,,Der Art. 49 der Bundesverfassung schreibt im Schlußsaze vor: ,,Niemand ist gehalten, Steuern zu bezahlen, welche speziell

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für eigentliche Kultuszweke einer Religionsgenossenschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden. Die nähere Ausführung dieses Grundsazes ist der Bundesgesezgebung vorbehalten.a ,,Ueber die Anwendung dieses Grundsazes haben sich in einzelnen Kantonen bereits Anstände ergeben, die von den zuständigen Behörden ogleichmäßigO nur dann erledigt werden können,i wenn die O Bundesgesezgebung in ausreichender Weise die Regelung des in Art. 49 ausgesprochenen Grundsazes vorgenommen hat. Es ist uns von Anfang an nicht entgangen, daß bei der dermaligen Sachlage, wo die religiösen Fragen im Vordergrund stehen und wo die Glaubens- und Gewissensfreiheit als ein Grundrecht aller Bürger anerkannt ist, die Erlassung eines solchen Gesezes nicht zu lange auf sich warten lassen könne. Wir haben daher auch in unserer Botschaft an den Nationalrath vom 9. Oktober 1874, betreffend das Programm über die Reihenfolge der nach Annahme der Bundesverfassung zu erlassenden Geseze, das "in Rede stehende Gesez in die erste Serie eingereiht. Bereits hat sich unser Departement des Innern mit der Sache befaßt, hält es aber für zwekmäßig, wenn die Kantone noch eingeladen werden, Auskunft über die auf ihrem Gebiet in dieser Materie bestehenden Vorschriften oder die bestehende Praxis zu geben und namentlich Auskunft darüber zu ertheilen : wer die Kultusbedürfnisse der verschiedenen Religionsgenossenschaften bestreite, wie und von wem allfällige Steuern auferlegt werden, wer daran Theil zu nehmen habe und wie man sich in jedem Kanton etwa die Ausführung von Art. 49 im Sinne der Bundesverfassung, auf Grundlage der besondern Verhältnisse und Einrichtungen des betreffenden Kantons, vorstelle. Es wird dabei namentlich auch die Frage einer nähern Erwägung bedürfen, wie es gehalten sein solle, wenn Jemand aus einer Religionsgenossenschaft, der er bis anhin unzweifelhaft angehört hat, austritt. Befreit er sich damit auch sofort und zwar ipso facto von solchen Steuern, welche durch eine in einem frühern Zeitpunkt dekretirte größere Ausgabe (z. B. Kirchenbau) veranlaßt und auf eine zur Zeit noch nicht abgelaufene Reihe von Jahren verlegt worden sind, oder in wieweit ist er zur fernem Steuerleistung noch verpflichtet? Bei der Vielgestaltung der Verhältnisse können noch eine Reihe anderer Fragen auftreten, die aber nicht wohl alle zu spezialisiren
oder auch nur vorzusehen sind.

,,Wir hoffen auf diese Weise das nöthige Material zu erhalten, um ein auf die bestehenden Verhältnisse in wünschenswerther Weise passendes Gesez vorschlagen zu können, und ersuchen Sie, uns Ihre Antwort bis spätestens Ende Juni mitzutheilen.tt

973 Im Verlaufe des Sommers sind dann die Antworten sämmtlicher Kantonsregierungen eingelangt, deren Inhalt wir nur ganz summarisch berühren wollen.

1. Z ü r i c h theilt einfach mit, daß der Grundsaz des Art. 49 der Bundesverfassung schon bisher im Kanton Zürich gegolten habe.

In einem Spezialfalle habe der Regierungsrath in dem Sinne entschieden, daß der Austritt aus einer Religionsgenossenschaft sofort und ipso facto von der Bezahlung der Steuern befreie.

2. B e r n. Puncto Befreiung von Steuern durch Austritt glaubt der Regierungsrath, man werde unterscheiden müssen zwischen privaten Religionsgenossenschaften und solchen, die vom Staate anerkannt, vielleicht sogar subventionirt sind. Bei erstem werde der Aust.retende sich mit der Genossenschaft gütlich oder rechtlich auseinandersezen müssen; leztere sollen jedenfalls vor den Folgen allfälliger Massenaustritte geschüzt werden.

3. L u z e r n schlägt vor, zu sagen : ,,Wer am 1. Januar des Jahres x Mitglied einer Religionsgenossenschaft oder Kirchgemeinde ist, ist für das ganze Jahr steuerpflichtig, sei es für neu angelegte Steuern oder für die im Jahre fällige Rate einer terminirten Steuer. Wer hingegen vor 1. Januar ausgetreten ist, ist auch fortan j e d e r Steuerpflicht enthoben.1-' 4. U r i theilt mit, daß diesfalls weder Vorschriften noch Praxis bestehen.

5. S c h w y z dito. Die Kultussteuern sind fast unbekannt, weil die für Kultuszweke erforderlichen Mittel beinahe ganz durch bestehende Stiftungen gedekt werden.

6. U n t e r w a l d e n ob dem Wald. Zu Kirchen- und Pfrundsteuern werden nur die in der Gemeinde wohnenden Katholiken angehalten. Bekenner einer andern Konfession müssen ihre Bedürfnisse selbst bestreiten.

U n t e rw a l d e n nid dem Wald. Wie Obwalden ; konstituirte Religionsgenossenschaften nicht katholischer Konfession bestehen nicht 7. G l a r u s. Einverstanden mit Luzern wegen des I.Januar.

Formeller Austritt durch Deklaration bei Amtsstelle erforderlich. -- Concludente Handlungen können als Gegenbeweis gegen die Deklaration gelten. An terminirten Steuern sollte der Ausgetretene wenigstens doch noch während eines Maximums von Jahren Theil nehmen.

8. Z u g . Die Kultusbedürfnisse werden meistens aus Stiftungen und Fonds bestrilten. Wo diese nicht hinreichen, trete 7

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Steuerpflicht ein, die aber nur von den Konfessiousgenossen geleistet werden müsse.

9. F r ei b ü r g legt weitläufig seine Gesezgebung dar, wonach gewisse allgemeine Kosten (z. B. für Bau und Unterhalt der Kirche) auf Grundsteuern angewiesen sind, bei denen nach der Konfession des Eigenthümers nicht gefragt wird, während eigentliche Steuern für die ,,laufenden Bedürfnissea nur den Konfessionsgenossen treffen und (ipso facto) durch den mittelst Erklärung bei Amt bewirkten Austritt aus der Konfession aufhören müssen.

10. S o l o t h u r n. Der Austretende soll sofort frei sein, so gut als der aus der Gemeinde Wegziehende.

lla. B a s e l - S t a d t hat in seiner neuen Verfassung den Grundsaz, daß der S t a a t die Kultusbedürfnisse der beiden großen Religionsgenossenschaften (reforrnirte und katholische) direkt bestreitet, so daß dort die Frage keine praktische Bedeutung hat.

llb. B a s e l - L a n d . Im alten Kantonstheil -gibt es (mit Ausnahme der wenigen katholischen Gemeinden) keine Kirchensteuern: ein kantonaler Fond bestreitet alle daherigen Ausgaben.

-- Im Birsamte bestehen dagegen solche Seuern und zwar, wenigstens theilweise, auf die G r u n d s t ü k e verlegt. Bis jezt wurde dabei nicht unterschieden, ob der Eigeuthümor Katholik sei oder nicht. Nach dem Bestehen des Art. 49 der Bundesverfassung wird aber allerdings die Frage auftauchen, ob das angeht. -- Weiterhin wird Rüksicht zu nehmen sein auf die p a r i t ä t i s c h e n Familien.

12. S c h a f f h a u s e n gibt theils in einem regierungsräthlichen Schreiben, theils in einem kirchenräthlichen Erachten sehr umfassende Auskunft über dortige Verhältnisse. Speziell für unsere Frage, meint der Kirchenrath : ,,1) Mitglied einer religiösen Genossenschaft ist jeder darin Geborne oder ihr Beigetretene, so lange er nicht feierlich dem V o r s t a n d d e r s e l b e n seinen Austritt erklärt." ,,2) Die rechtlichen Wirkungen des Austritts sind durch ein Gesez genau zu flxiren, wobei Vorsorge zu treffen ist, daß nicht bloßen Geldrüksichten Spielraum gegeben werde.tt ,,3) Das Gesez bestimmt auch, wie es in Fällen, wo eine größer Anzahl bisheriger Genossen einer religiösen Gemeinschaft austritt, mit den Fonds der leztern gehalten werden soll.a 13". A p p e n z e l l A.-Rh. gibt eine klare Darstellung dortiger Verhältnisse: Die kirchlichen
Ausgaben wurden bisher aus der ,,allgemeinen Steuerkasse" der Gemeinde gedekt; in Zukunft wird dies allerdings anders werden müssen. Vorschlag: Die Auslagen für den Bau und Unterhalt der Kirchen, inclusive Thürme, Gloken und Uhren, ebenso für die Friedhöfe sollen auch fortan als

975 allgemeine Ortsausgaben betrachtet werden. Hingegen die Pfarrbesoldungen, Unterhalt der Pfarrhäuser u. s. f. sollen bloß von den Konfessionsgenossen bestritteu werden. -- Der A u s t r i t t soll nicht ipso facto von Steuern befreien, sondern terminirte Steuern noch für eine gewisse Zahl von Jahren den Ausgetretenen ebenfalls zur Last fallen.

13b. A p p e n z e l l I.-Rh. hat keine Bestimmungen über den Bezug von Kultussteuern. Die Erhebung von Steuern sei Sache der einzelnen Gemeinden.

14. St. Gallen beschränkt sich auf eine Darstellung dortiger Verhältnisse, ohne Vorschläge für das Bundesgeseio zu machen.

15. G r a u b ü n d e n ventilirt namentlich zwei Fragen : ob es nach Art. 49 der Bundesverfassung ferner noch zuläßig sei, aus den a l l g e m e i n e n Mitteln oder Steuern einer Gemeinde Ausgaben für Kultuszweke einer besondern Konfession zu machen ; und zweitens ob den Austretenden noch irgend welche Steuerzumuthung gemacht werden dürfe. Beide Fragen werden verneint.

16. A a r g a u macht eine Reihe praktischer Vorschläge : 1) Für die Erklärung des Austritts bestimmte, feste Formen (z. B. vor Gericht mit Protokoll-Aufnahme); berechtigt ist nur eine willensfähige Person (beiderlei Geschlechts) über '16 Jahre.

Die Erklärung des Familienvaters bindet auch seine Kinder u n t e r 16 Jahren, seine Frau und seine über 16 Jahre alten Kinder nicht.

2) Bei paritätischen Ehen oder Familien tritt S t e u e r t h e i 1 u n g ein.

3) Der Reuunziant ist vom Augenblik der Erklärung au von Steuern befreit: etwa für zwei Jahre könnte man ihn noch behaften für Steuern, die aus einer früher gemachten größern Ausgabe herfließen (Kirchen- oder Pfrundhausbau u. dgl.).

17. T h u r g a u ist der Ansicht, daß man den Ausgetretenen für keinerlei Steuern mehr befassen könne, die" nicht im Zeitpunkt des Austritts bereits v e r a n l a g t oder v e r f a l l e n seien.| 18. T e s s i n hält auch dafür, der Austritt aus der Religionsgenossenschaft müsse auf gleiche Linie gestellt werden, wie der Wegzug aus der Gemeinde, und es dürfen also dem Ausgetretenen k e i n e r l e i Steuerzumuthungen mehr gemacht werden.

19. W a a d t hat keine gesezlichen Bestimmungen im Sinne des Art. 49 der Bundesverfassung.

20. W a 11 i s sagt, daß dort eigentliche Kultussteuern gar nicht erhoben werden. Reichen die Spezialfonds nicht aus, so helfen ent-

976 weder freiwillige Kollekten oder die Steuerkraft der Ortsgemeinde nach.

21. N e u e n b u r g kennt keine speziellen Kultussteuern: der Staat besoldet die Geistlichen der von Staats wegen organisirten Kirchen, und die Gemeinden liefern aus ihren allgemeinen .Mitteln das Nöthige für Kirchen- und Pfrundgebäude u. s. w. Andere Rcligionsgenossenschaften (,,non organisées par la loitt) behelfeu sich wie jeder andere Verein (,,association de musique, de chaut a etc.).

22. G e n f ganz wie Neuenburg. Die außerhalb der staatlich organisirten Bekenntnisse (protestantisch und katholisch) stellenden Genossenschaften haben kein Recht, irgend ein Mitglied am Austritt zu hindern oder zu Kultussteuern zu zwingen.

Wir gehen nun über zur Beleuchtung des Entwurfes : Der Art. 49, Absaz 6 der Bundesverfassung von 1874 spricht einen Grundsaz aus, der sicherlich der Natur der Verhältnisse entspricht, der aber doch in vielen Beziehungen ungemein störend in bestehende Dinge eingi-eifen wird. Er ist in Uebereinstimmung mit dem Postulat der absoluten Freiheit des Individuums in religiöser Beziehung und bis auf einen gewissen Punkt mit dem Saze der Trennung von Kirche und Staat; aber gegenüber den realen Verhältnissen unserer Kirchgemeinden muß er als ein auflösendes Moment wirken und kann hie und da nicht unbedenkliche Folgen haben.

Der Wortlaut des fraglichen Artikels weist indessen darauf hin, daß das Prinzip, welches er enthält, doch nur in einer gewissen Beschränkung seine Anwendung finden soll. ,,Niemand soll für die Kultuszweke einer Religionsgenossenschaft steuern müssen, der er nicht angehört11, so würde das Prinzip in seiner Reinheit und Allgemeinheit lauten; aber die Verfassung fügt eine doppelte Einschränkung bei, indem sie das Wort ,,Kultuszweke a mit dem Epitheton ,, e i g e n 11 i c h c c bekleidet und im Weitern von Steuern spricht, die ,,speziell 1 1 für solche Zweke auferlegt worden. Es muß also, wenn man den Verfassungsartikel in einem Geseze genauer ausgestalten will, vor allen Dingen darüber Klarheit geschaffen werden, wie diese Einschränkungen zu verstehen seien.

Was den Ausdruk anbelangt: ,,Steuern, welche s p e z i e l l für Kultuszweke auferlegt werden", so ist aus der Entstehungsgeschichte des Artikels unschwer zu entnehmen, was damit gesagt werden wollte. Mau wußte, daß in manchen Kantonen
die Kultusbedürfnisse der Landeskirchen aus dem allgemeinen Staatsbudget bestritten werden, und wollte dieses Verhältniß auch unter der Herrschaft -der neuen Bundesverfassung nicht beeinträchtigt wissen; wäre

977 der Sa/ in seiner Absolutheit, wie oben angeführt, der Verfassung einverleibt worden, so hätten Dissidenten, Juden u. s. f. verlangen können, daß derjenige Theil der Staatssteuern, welcher für Dekung jener Ausgaben erfordert wird, ihnen nachgelassen werde, und eben dieses sollte vermieden werden. Es scheint uns nun, daß es angemessen sei, dieser unzweifelhaften A b s i c h t der Verfassungsbestimmung in dem Ausführungsgeseze auch einen unzweideutigen Ausdruk zu geben, und dies ist in Art. 2 des Entwurfes geschehen. Einer besondern Erwähnung bedürfte wohl, insbesondere nach den Aufschlüssen in den kantonalen Berichten, die Grundsteuer. Daß vorab Reallasten u. dgl. nicht unter den Begriff der S t e u e r fallen, bedarf keiner Erläuterung ; dagegen schien es nothwendig, sich darüber auszusprechen, ob es angehe, Grundstüke für die Zweke einer Konfession im Wege der Grundsteuer tributpflichtig zu machen, deren Eigenthümer dieser Konfession nicht angehört. Wie uns scheint, muß diese Frage im Allgemeinen durchaus verneint werden, wenigstens soweit es die ,,eigentlichen" Kultuszweke anbelangt; dagegen schien es uns konsequent und der Bestimmung des Verfassungsartikels entsprechend zu sein, das Verbot eben doch nur auf die eigentlichen Kultuszweke zu beschränken, woraus dann folgen würde, daß für Unterha.lt der Kirche, nebst Geläute und Uhr, allerdings Grundsteuern auf a l l e Grundstüke einer Gemeinde, ohne Rüksicht auf die Konfession des Eigenthümers, verlegt werden dürfen. Wir müssen indessen zugestehen, daß die Frage allerdings etwas zweifelhaft ist und verschieden angesehen werden kann.

Nachdem nun in den Art. l--3 des Entwurfs erörtert ist, was mit den Ausdrüken : ,, e i g e n t l i c h e Kultuszweke" und ,, s p e z i e l l für solche auferlegte Steuern" gemeint sein soll und was für praktische Folgerungen sich daraus ableiten, ist dann weiter in's Auge zu fassen, was der Ausdruk: ,,der er nicht angehört"1 auf sich hat.

Wir glaubten es sei a ; zwekmäßigsten, bei einer allgemeinen Bestimmung: ,,wer einer Religionsgeuossenschaft anerkanntermaßen angehört,'1 es bewenden zu lassen; es wird in den meisten Fällen leicht festzustellen sein, ob Jemand einer bestimmten Religionsgenossenschaft augehöre oder nicht. Eine genaue Aufzählung der Merkmale ließe sich ohnehin nicht geben. Wer bisher einer Konfession
zugethan gewesen ist, der muß, wenn er auf den Verfassungsartikel sich berufen und sich von der Steuerpflicht zu Kultuszweken derselben frei machen will, in einer bestimmten, erkennbaren Form seinen Austritt erklären, und zwar ist es wohl nicht zu viel verlangt, wenn man ihm zumuthet, mit einer solchen Erklärung nicht zuzuwarten, bis ihm der Steuerbote in das Haus

978 kommt, sondern daß er dieselbe rechtzeitig bei Amt ablege. Um allfälligen geistlichen Ueberredungsversuchen und Belästigungen vorzubeugen, wird es zwekmäßig sein, eine rein b ü r g e r l i c h e Behörde als diejenige Stelle zu bezeichnen, wo die Austrittserklärung anzubringen ist, und der Entwurf schlägt deshalb einfach den Gemeindepräsidenten vor, der dann seinerseits der kirchlichen Verwaltungsbehörde die nöthige Mittheilung zugehen läßt. Die fragliche Erklärung hat zu ihrem Gegenstande lediglich den Austritt aus der bisherigen Religionsgenossenschaft, durchaus nicht noth\veudig aber zur Voraussezung den Ucbertritt zu einer andern; denn es ist einleuchtend, daß das Fernbleiben aus jeder äußern kirchlichen Gemeinschaft Niemanden verwehrt werden kann. Fragt man nun weiter, wer zu einer solchen Austrittserklärung berechtigt oder befähigt sei, so wird nach Art. 49, Absaz 3 der Bundesverfassung wohl anzunehmen sein, daß das erfüllte 16. Altersjahr die Mündigkeit zu Entschließungen in religiösen Fragen bedinge; daß also jede, sonst urtheilsfähige Person dieses Alters für sich den Austritt aus einer Religionsgenossenschaft nehmen, daß aber Niemand, auch der Vater nicht, eine in diesem Sinne mündige Person durch s e i n e Erklärung binden kann. Dies ist der Inhalt von Art. 5 des Entwurfs. Die W i r k u n g der Austritts-Erklärung ist nun selbstverständlich die, daß der Ausgetretene nicht ferner zu Steuern angehalten werden kann, welche ^speziell für eigentliche Kultuszwekea der Genossenschaft, von der er sich abgetrennt hat, auferlegt werden. Doch scheint es uns, in Uebereinstitnmung mit den Postulaten verschiedener Kantonsregierungen, angemessen, festzusezea, daß diese Wirkung erst mit Beginn des nächstfolgenden Jahres eintritt, und daß also Steuern, welche im Jahre des Austritts verfallen, von dem Austretenden noch bezahlt werden müssen. Schidelikat ist die weitere Frage, ob mit dem Ende dieses Jahres dann definitiv und schlechtweg j e d e Theilnahme an den Lasten der Gemeinschaft aufholten, oder aber ob für die sogenannten terminirten Steuern ein Vorbehalt gemacht werden soll. Der Charakter deiFalle, welche hiebei in Betracht kommen, ergibt sich am besten aus einem suppouirten Beispiele. Eine katholische Kirchgemeinde hat behufs eines Kirehenneubaus ein Anlehen aufnehmen müssen, das nun durch ein
festes Amortissement während 20 Jahren verzinst und getilgt werden soll; zu diesem Zweke soll alljährlich während dieser Periode ein Zuschlag der ordentlichen Kirchgemeindesteuer erhoben werden, der so bemessen wird, daß er jeweilen die benöthigte Annuität ergibt. Nun tritt ein Kirchgenosse im Laufe der 20 Jahre aus der Gemeinschaft der katholischen Kirche aus, bleibt aber in der Gemeinde wohnen; Frage: kann man ihn noch nach

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seinem Austritte für jenen Steuerzuschlag, der zur Bestreitung einer Ausgabe aus früherer Zeit dient, heranziehen oder nicht?

Die kantonalen Regierungen theilen sich in Beantwortung der Frage in zwei deutlich geschiedene Gruppen : während die Einen bestimmt und vorbehaltlos sich dahin aussprechen, dem Ausgetretenen könne auch für Fälle der eben genannten Art keinerlei Zumuthung mehr gemacht werden, fordern andere ebenso bestimmt, daß derselbe wenigstens für eine mäßige Zahl von Jahren für jene Leistungen als mitverpflichtet erklärt werde. Auch das preußische Gesez steht auf dein leztern Standpunkte und nimmt zwei Jahre nach dem Austritt als diejenige Periode an, für welche der Ausgetretene noch zur Zahlung verpflichtet werden kann. Es ist schwerlich zu läugnen, daß eine solche Bestimmung Vieles für und Vieles gegen sich hat und daß die Entscheidung keine ganz leichte ist. Wir verweisen zunächst auf die einläßliche und sehr gut gehaltene Erörterung der Frage in den Motiven zum preußischen Gesez, sodann auf die Schreiben mehrerer Kantonsregierungen.

Offenbar liegen hier zwei widerstreitende Interessen in Frage : einerseits das Interesse des Austretenden, der verlangen kann, daß, einmal von der betreffenden kirchlichen Gemeinschaft abgelöst, er auch mit keinerlei Leistungen für dieselbe behelligt werde, und -- was wohl zu beachten -- ihm scheint der unzweideutige Wortlaut der Bundesverfassung zur Seite zu stehen ; auf der andern Seite muß anerkannt werden, daß eine, z. B. gerade durch einen kostspieligen Kirchen bau stark belastete Gemeinde in die bitterste Verlegenheit , vielleicht in einen Zustand eigentlicher Zahlungsunfähigkeit versezt werden kann, wenn es möglich wird, daß ein Massenaustritt aller wohlhabenden Genossen die Steuerkraft so zu sagen vernichtet oder doch in ganz erheblichem Maße vermindert. Es ist die Besorgniß vor d i e s e r Eventualität, sowie überhaupt vor Austrittserklärungen, die nicht von religiösen Motiven, sondern lediglich vom Wunsche der Steuerbefreiung eingegeben sein möchten, was vorzüglich darauf hindrängt,i eine «-ewisse Schranke aufzurichten.

~ Was von den Gegnern einer solchen Schranke vorgebracht wird, ist wohl in einem Punkte nicht ganz richtig; wenn sie nämlich sagen: eine Belastung des Ausgetretenen habe keinen guten Grund, weil man ja den aus der Gemeinde
Wegziehenden auch nicht mehr belasten könne, so ist das ein scheinbares, aber kein zutreffendes Argument. Zu einem Wegzug aus der Gemeinde entschließt sich Niemand so leicht, weil damit doch eine völlige Umgestaltung des ganzen äußern Lebens verbunden ist; auch wird der Zwek dadurch meist gar nicht oder doch nur theilweise erreicht : denn in der neuen Gemeinde, wohin sich der Wegziehende begibt, bestehen in O

~

980 der Regel auch wieder Steuerlasten und es tritt also höchstens Erleichterung, nicht völlige Befreiung ein. Dagegen erreicht diesen vollen Zwek Derjenige, der einfach austritt, und zwar ohne daß er die Unzukömmlichkeiten eines Domizilwechsels mit in den Kauf zu nehmen braucht. Er bleibt in allen seinen Verhältnissen ungestört sizen ; eine einfache Erklärung, mittelst deren er das, in unsern Tagen ohnehin zuweilen nur sehr dünne Band, das ihn bisher mit der Kirche verbunden hat, durchschneidet, genügt vollständig, um ihn von einer, vielleicht drükenden Steuerlast zu befreien. Wer möchte läugnen, daß hier die Versuchung zu leichtfertigen und darum auch zu massenhaften Austrittserklärungen sehr nahe gelegt ist und daß also die oben geschilderte G e f a h r für manche Gemeinde durchaus nicht eine bloß eingebildete genannt werden kann.

Die Frage hat jedenfalls ihre zwei Seiten. Vielleicht wäre, sofern man eine solche Bestimmung überhaupt will, noch eine Einschränkung am Plaze : man könnte nämlich einen Unterschied machen zwischen den Fällen, wo der Austritt aus der einen Kirche verbunden ist mit dem U e b e r t r i t t in eine andere, und denjenigen, wo der Ausgetretene sich keiner andern Religionsgenossenschaft anschließt. Nur die Fälle lezterer Art sind eigentlich die gefährlichen und bedenklichen, und es wäre also vielleicht gerechtfertigt, auch nur in diesen Fällen die zeitweilige nachträgliche Belastung der Ausgetretenen zu statuiren.

Wir beabsichtigten anfänglich einen Artikel vorzuschlagen, der so gelautet hätte: ,,Sollten in dem Zeitpunkte, wo der Austritt stattfindet, in der betreffenden Gemeinde oder Genossenschaft noch besondere, zur Abtragung früher entstandener, außerordentlicher Ausgaben bestimmte Steuern bestehen, so hat der Ausgetretene, sofern er seinen Wohnsiz beibehält, noch während derjenigen zwei Jahre Theil zu nehmen, welche auf das Jahr, in welchem die AustrittserklärungO abgegeben worden ist,> unmittelbar folgen."· O O O Bei näherer reiflicher Prüfung der Suche sind wir indessen zu der Meinung gekommen, die nachträgliche Belastung ganz fallen zu lassen. So begründet auch bis zu einem gewissen Grade die Besorgnisse sein mögen, welche an ein plözliches Aufhören j e d e r Steuerpflicht geknüpft werden, so wäre doch eine Bestimmung, wie die eventuell vorgeschlagene, nur eine
schwache Beruhigung : den Zeitraum über eine kurze Reihe von Jahren hinaus auszudehnen, wird wohl Niemand wagen ; beschränkt man sich aber beispielsweise auf zwei Jahre, so ist eben die Gefahr, welche man befürchtet, nur sehr theilweise beseitigt. Die Austretenden werden sich, im Hinblik auf eine solche Bestimmung, mit der Ausführung ihres Entschlusses nur um so mehr beeilen, und nach Ablauf der zwei Jahre

1 981 ist der Zustand der Steuerkraftverminderung, der sonst gleich nach dem Austritte eingetreten wäre, auch vorhanden. Man gewinnt also nicht gar viel, und auf der andern Seite ist nicht zu verkennen, daß man doch mit dem Wortlaut der Bundesverfassung in Widerspruch tritt -- immerhin eine bedenkliche Sache, die man, wenn immer möglich, vermeiden soll.

Der Inhalt von Art. 6 des Entwurfs bedarf wohl keiner besondern Erläuterung. Nöthig ist es ohne Zweifel, über die Steuerpflicht solcher Familien, die religiös gemischt sind, etwas zu sagen, und was die Art der Ei-ledigung dieser Frage anbelangt, so dürfte wohl das natürlichste Auskunftsmittel das sein, daß man das proportionale und theilweise Steuerprinzip einführe. Es scheint uns, es werde kaum eine der Natur des Verhältnisses besser entsprechende Lösung zu finden sein.

Nach diesen Erörterungen empfehlen wir Ihnen die Annahme des beifolgenden Gesezentwurfs und benuzen auch diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 26. November 1875.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Scherer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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(Entwurf)

Bundesgesez betreffend

Steuern zu Kultuszweken.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Ausführung des Art. 49, leztes Alinea, der schweizerischen Bundesverfassung, und nach Einsicht einer diesfälligen Botschaft des Bundesrathes vom 26. November 1875, beschließt: Art. i. Niemand ist gehalten, Steuern zu bezahlen, welche speziell für eigentliche Kultuszweke einer Religionsgenossenschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden (Bundesverf. Art. 49, Abs. 6).

Art. 2. Wird ein Theil der Staats-Einkünfte für Kultuszweke einer oder mehrerer Religionsgenossenschaften verwendet, so kann hieraus für diejenigen, welche keiner derselben angehören, eia Anspruch auf theilweise Befreiung von den Staatssteuern nicht abgeleitet werden.

Art. 3. Leistungen, welche auf einem besondern Rechtstitel beruhen, wie z. B. Reallasten auf einzelnen Grundstüken, werden durch das gegenwärtige Gesez nicht berührt. Dagegen dürfen Grundsteuern, wenn solche für eigentliche Kultuszweke erhoben werden, auf solche Grundstüke nicht umgelegt werden, deren Eigenthümer der betreffenden Religionsgenossenschaft nicht angehören.

983 Art. 4. Wer einer Religionsgenossenschaft anerkannter Maßen angehört, kann sich von der den Gliedern derselben innerhalb einer Gemeinde obliegenden Steuerpflicht nur dadurch befreien, daß er seinen Austritt aus der Religionsgenossenschaft förmlich erklärt.

Die bezügliche Erklärung ist schriftlich beim Gemeindspräsidenten des Wohnortes abzugeben und von diesem dem Vorstande derjenigen Gemeinde oder Genossenschaft mitzutheilen, dessen Steuerhoheit für Kultuszweke der Austretende bisher unterworfen war.

Diejenigen Steuern, welche in dem gleichen Jahre, innerhalb dessen die Austrittserklärung erfolgt, verfallen, hat der Ausgetretene noch zu bezahlen.

Art. 5. Die Austritts-Erklärung (Art. 4) kann in gültiger Weise nur abgegeben werden durch eine Person im Alter von mehr als 16 Jahren, welche zudem im Stande ist, ihren Willen mit klarem Bewußtsein zu erkennen zu geben.

Ist der Austretende ein Familienvater, so gilt seine Erklärung auch für die unter seiner väterlichen Gewalt stehenden Kinder unter 16 Jahren. Für Ehefrauen und Kinder über 16 Jahren ist dagegen die Erklärung des Ehemannes und Vaters nicht maßgebend.

Art. 6. Bei Familien, deren Glieder theilweise der einen, theilweise einer andern, oder gar keiner Religionsgenossenschaft angehören, gilt der Grundsaz der theilweisen und verhältnißmäßigen Steuerpflicht. Die Zahl derjenigen Familienglieder, welche einer gegebenen Religionsgenossenschaft angehören, in Vergleich gesezt mit der Zahl sämmtlicher Familienglieder, bestimmt den Theil einer vollen Steuer, welcher für Kultuszweke jener Genossenschaft dem Familienhaupte auferlegt werden darf.

Art. 7. Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesezes vom 17. Brachmonat 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Bundesgesezes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusezen.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Fristverlängerung für die Eisenbahn Lyss-Zofingen.

(Tom 26. November 1875.)

Tit.!

Die Inhaber der am 22. September 1873 ertheilten Konzession für die Eisenbahn Lyß-Zofingen, welchen Sie die Ausweis- und Baufristen durch Ihren Beschluß vom 11. November v. J. schon einmal um l Jahr verlängert haben, stellen das Gesuch, daß die Termine um weitere 12 Monate hinausgerükt werden, da es ihnen noch nicht möglich gewesen sei, die vorgeschriebenen Vorlagen zu machen, jedoch aller Aussicht nach die anbegehrte Verlängerung genügen werde, um den konzessionsgemäßen Bedingungen nachzukommen. Gegenwärtig werden die definitiven Baustudien aufgenommen und sie müssen bis zum 1. Juni 1876 vollendet sein; auch werde sich die Aktiengesellschaft für das Unternehmen in nächster Zeit konstituiren.

In Uebereinstimmung mit den Regierungen der betheiligten Kantone beantragen wir Ihnen, dem Gesuch zu entsprechen und demgemäß den nachfolgenden Entwurf zum Beschluß zu erheben.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zum Gesezentwurf über Steuern zu Kultuszweken. (Vom 26. November 1875.)

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11.12.1875

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971-984

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