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Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Fortsezung der Ullmer'schen Sammlung und die Veröffentlichung von Administrativentscheiden seit 1874.

(Postulate 122 und 123.)

(Vom 29. Januar 1878.)

Tit.!

Bei Anlaß der Prüfung des Geschäftsberichtes für das Jahr 1876 haben Sie am 22. Juni abbin (Amtl. Samml. n. F. Bd. III, S. 114) folgende zwei Postulate angenommen : ,,1. Der Bundesrath ist eingeladen, zu untersuchen, ob nicht ,,in Ergänzung und Fortsezung der bereits bestehenden Sammlung ,,bundesstaatsrechtlicher Entscheidungen (Ullmer'sche Sammlung) ,,eine weitere Zusammenstellung solcher Fälle, soweit dieselben noch ,,praktische Bedeutung haben, bis zum Zeitpunkt des Erlasses der ,,neuen Bundesverfassung zu veranstalten sei, und darüber Bericht ,,und Antrag vorzulegen."

,,2. Der Bundesrath ist eingeladen, zu untersuchen, ob nicht ,,eine jährliche Veröffentlichung der öffentlich rechtlichen Entscheide, ,,sei es, daß sie vom Bundesrathe oder von der Bundesversammlung ,,ausgehen, und welche die von der Bundesverfassung von 1874 ,,diesen Behörden vorbehaltenen Gegenstände betreffen, stattzufinden

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,,habe, unvorgreiflich der Frage, dieselben bandweise anordnen zu ,,lassen, sobald genügender Stoff hiefür vorhanden ist.tt Diesen Einladungen entsprechend, erstatten wir Ihnen folgenden Bericht und stellen den Antrag, daß über beide Postulate zur Tagesordnung geschritten werden möchte.

Wir legen Ihnen im Folgenden kurz die Gründe vor, welche uns zu diesem Antrage geführt haben.

Was zunächst die Ergänzung und Fortsezung der in den Jahren 1862 und 1866 unter den Auspizien der Bundesbehörden erschienenen zwei Bände, betitelt : ,,Die staatsrechtliche Praxis der schweizerischen Bundesbehörden aus den Jahren 1848 -- 1863a betrifft, so können wir ein praktisches Bedürfniß hiefür nicht finden. Mit der neuen Bundesverfassung haben nämlich gerade diejenigen Gebiete des Bundesstaatsrechtes, welche die administrativen Bundesbehörden vorzugsweise beschäftigen, eine so wesentliche Umgestaltung erfahren, daß man nur in den seltensten Fällen in der frühern Praxis sich Raths erholen kann. In einzelnen Gebieten können keine Konflikte mehr entstehen, weil sie ganz in die Kompetenz des Bundes gelegt und bereits durch Bundesgeseze geordnet wurden, oder bald bundesgesezlieh geordnet sein werden, oder weil sie dem Bundesgerichte zugewiesen sind. In andern Gebieten sind die Kompetenzen des Bundes erweitert, oder durch die Bundesverfassung selbst so klar definirt, daß die frühere Praxis nicht mehr Anwendung finden kann. Und wieder andere Fragen haben durch die kantonalen Verfassungen und Geseze ihre allgemeine Regulirung gefunden. Man braucht nur das System und die einzelnen Rubriken des oben erwähnten Werkes über die frühere staatsrechtliche Praxis der Bundesbehörden zu durchgehen, um sich sogleich von der Richtigkeit des Gesagten zu überzeugen. Es existirt somit heute ein praktisches Bedürfniß nicht mehr, die Entscheide aus der Zeit von 1864--1874 nachträglich noch zu sammeln und zu druken.

Es kommt ihnen vorherrschend nur noch ein rechtshistorischer Werth zu, der von jenen Männern privatim erschlossen werden mag, die ein besonderes Interesse hieran haben.

Hiezu kommen noch weitere, nicht minder gewichtige Gesichtspunkte, die zu demselben Schlüsse führen.

Wir haben bereits angedeutet, daß eine große Zahl von Fragen, welche vor 1874 von den Administrativbehörden des Bundes entschieden wurden, gegenwärtig in der
Kompetenz des Bundesgerichts liegen. Ein Gericht behandelt die Rechtsfälle von andern Gesichtspunkten aus und nach anderer Methode als eine Administrativbehörde. Das Bundesgericht wird sich daher, ganz abgesehen von

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der Veränderung des Rechtszustandes durch die Verfassungsrevision, im Allgemeinen nicht an die frühere Administrativpraxis anlehnen können, und wo es noch der Fall sein könnte, ist ihm in den jährlichen Geschäftsberichten ein ausreichendes Material geboten.

Auf der andern Seite haben die Präjudizien für die Administrativpraxis, welche nicht immer auf Gründen des positiven Rechtes, sondern häufig auf der Erwägung der politischen Zwekmäßigkeit beruht, nicht gar hohen Werth, zumal wenn sie aus einer abweichenden staatsrechtlichen Grundlage hervorgegangen sind.

Hiebei ist nicht zu übersehen, daß von den im Art. 59 des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege als Administrativstreitigkeiten erklärten Gegenstände gerade die wichtigern (Schulwesen, Rechte der Niedergelassenen, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Civilstand und die in Ziff. 8 erwähnten sechs Bundesgeseze) erst neu seit 1874, und andere Fragen (Ausrüstung der Wehrmänner, Handels- und Gewerbefreiheit, Verbrauchs- und Eingangsgebühren, kantonale Wahlen und Abstimmungen etc.) in veränderter Gestalt in die Kompetenz des Bundes gelegt worden siad.

Uebrigens hat Herr alt-Obergerichtspräsident Dr. Ullmer, Verfasser der beiden ersten Bände der ,, staatsrechtlichen Praxisct, auf gestellte Anfrage die Fortsezung seines Werkes auf das Bestimmteste abgelehnt. Es dürfte nun sehr schwer halten, Jemanden zu finden, der nach Auffassung, Methode und Form das Werk so vollenden würde, wie es begonnen ist.

Die erwähnten Gesichtspunkte finden auch theilweise auf das zweite Postulat ihre Anwendung. Wenn man ferner noch bedenkt, daß nach Maßgabe des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 der Entscheid über alle Beschwerden wegen Verlezung der B u n d e s v e r f a s s u n g und der in Ausführung derselben erlassenen B u n d e s g e s e z e , der K a n t o n s v e r f a s s u n g e n , der K o n k o r d a t e und U e b e r e i n k ü n f t e zwischen den Kantonen, sowie der S t a a t s v e r t r ä g e mit dem Auslande, -- in der R e g e l dem Bundesgerichte zusteht und daß dieser Gerichtshof seit seiner Konstituirung eine amtliche Sammlung seiner Entscheide in vierteljährlichen Lieferungen gedrukt erscheinen läßt und vermöge eines moderaten Preises Jedermann leicht zugänglich macht, daß die A u s n a h m e n ,
welche die sogenannten Administrativstreitigkeiten bilden, sehr eingeschränkt sind, daß bereits jezt schon ein besonderes flMilitärverordnungsblatttt, ein ,, Postamtsblatt a und ein ,,Amtsblatt der schweizerischen TelegraphenVerwaltung"1 bestehen, sowie daß über die Entscheide und Verfügungen , betreffend die Anwendung eines der wichtigsten neuern

164 Bundesgeseze, desjenigen über Civilstand und Ehe, zwei Sammlungen im Bundesblatt veröffentlicht und in besondern Heften verbreitet sind (Bundesblatt 1876, Band I, Seite 735 u. ff. und Band IH, Seite 674 u. ff.) und daß eine Reihe anderer erläuternder Erlasse bezüglich des gleichen Bundesgesezes im Bundesblatt sich befinden, z. B. 1875, Band IV, Seite 415, 1127, 1275; 1876, Band I, Seite 295, 444, 514; 1876, Band m, Seite 594, 665, 670; 1877, Band II, Seite 3=7, 495, 760, -- daß ferner über alle wichtigern Fragen allgemeiner Natur informirende Kreisschreiben erlassen und im Bundesblatt gedrukt werden; daß alle erheblichem Spezialfälle in den jährlichen Geschäftsberichten Aufnahme finden und daß endlich alle jene Entscheide, gegen welche die Berufung an die Bundesversammlung eingelegt wird, nebst den bezüglichen Kommissionsberichten in extenso gedrukt, verbreitet und in das Bundesblatt aufgenommen werden, -· so kann kaum mehr ernstlich von einem Bedürfnisse weiterer Publikationen für die Behörden und Beamten gesprochen werden, während die praktischen Juristen und rechtsbedürftigen Privaten unbedenklich darauf hingewiesen werden dürfen, daß alle diese Imprimate gegen sehr geringe Abonnementsgelder bezogen werden können, zumal eine größere Verbreitung des Bundesblattes schon lange wünschbar gewesen wäre und für neue Publikationen ein weiterer materieller Aufwand aus der Bundeskasse gegenwärtig kaum am Plaze wäre.

Es ist nämlich die Kostenfrage keineswegs unerheblich. Die Subventionen für die Herstellung der zwei Bände, ,, staatsrechtliche Praxis der schweizerischen Bundesbehörden a, für die Uebersezungen derselben in die französische und italienische Sprache und der Ankauf der nöthigen Exemplare für die Mitglieder der Bundesversammlung und für die Administration, betrugen im Ganzen Fr. 24,850, welche Summe aufgewendet werden mußte, um den Ankaufspreis, welcher vom Verfasser und Verleger für den ersten Band auf Fr. 8 und für den zweiten auf Fr. 10 veranschlagt worden war, behufs Erzielung einer größern Verbreitung auf Fr. 5 zu reduziren, und um das Werk den Behörden und Bürgern französischer und italienischer Zunge zugänglich zu machen, worauf sie selbstverständlich Anspruch hatten. Gegenwärtig würden aber diese Subventionen einen weit höhern Betrag erreichen müssen, indem abgesehen von den
erforderlichen größern Entschädigungen an den Verfasser und an die Uebersezer, die Preise für Papier, Druk- und Buchbinderarbeiten, wie Jedermann weiß, im Laufe der lezten zehn Jahre in hohen Prozenten sich gesteigert haben. Ebenso wäre eine jährliche Sammlung und Sichtung der Administrativentscheide, wenn sie richtig ausgeführt werden soll, mit erheblichen Kosten begleitet.

165 Die von den Departementen und von der Bundeskanzlei gesammelten und nach Materien geordneten und bearbeiteten Entscheide und Erlasse müßten einer Centralstelle übergeben werden, welche die systematische Ordnung und Ueberarbeitung vorzunehmen und den Druk derselben zu besorgen hätte. Für diese Arbeit müßten mindestens für den Jahrgang Fr. 800 bewilligt werden. (Das Bundesgericht hat für die ohne Zweifel leichtere Zusammenstellung per Jahr Fr. 500 ausgelegt, während die Administration jedenfalls weit mannigfaltiger ist.)

In Würdigung aller dieser Momente finden wir, daß für die nachträgliche Bearbeitung und den Druk der Entscheide aus den Jahren 1864 bis 1874 kein praktisches Bedürfniß walte, und daß für den Druk und die Verbreitung der administrativrechtlichen Entscheide seit 1874 Genügendes geschehen sei und daß ein Bedürfniß für Mehreres nicht bestehe, und schließen mit dem A n t r a g e : Es sei auf die beiden im Eingange erwähnten Postulate nicht einzutreten.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

Bern, den 29. Januar 1878.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zu einem Nachtragsgeseze betreffend Abänderung vom Artikel 9 des Gesezes über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen auf dem Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 23. Dezember 1872.

(Vom 29. Januar 1878.)

Tit.!

Durch Bundesbeschluß vom 22. Juni vorigen Jahres haben Sie uns eingeladen, Ihnen einen Beschlußentwurf vorzulegen, bezwekend die Abänderung des Art. 9 im Eisenbahngeseze vorn 23. Christmonat 1872 in dem Sinne, ,,daß für die Angestellten, deren Dienst am Sonn,,tag nothwendig ist, ihr Freisonntag durch einen Freiwerktag ersezt ,,werde und daß dieser Austausch auch für die andern Angestellten ,,stattfinden könne, wenn sie selbst bei ihren betreffenden Ver,,waltungen darum nachsuchen." Wir beehren uns, Ihren Auftrag zu erfüllen durch den dieser Botschaft angefügten Gesezentwurf.

Die Frage selber haben wir in unsern Geschäftsberichten (1873, S. 120, 1874, S. 398, 1875, S. 421, 1876, S. 182) wiederholt und einläßlich erörtert, so daß wir auf das dort Gesagte zu verweisen und den heutigen Vorschlag nur mit wenigen Worten zu motiviren uns erlauben. Die Geschäftsprüfungskommission des

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Bericht des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Fortsezung der Ullmer'schen Sammlung und die Veröffentlichung von Administrativentscheiden seit 1874.

(Postulate 122 und 123.) (Vom 29. Januar 1878.)

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1878

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09.02.1878

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161-166

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