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Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Rekurs der luzernischen Gemeinde Grosswangen.

(Vom 28. November 1878.)

Tit.!

Der Ständerath hat mit Beschluß vom 19. Juni dieses Jahres eine Beschwerde der G e m e i n d e G r o ß w a n g e n , Kantons Luzern, gegen die Vollziehung unseres Entscheides vom 3. Januar 1877, betreffend die Einbürgerung einer F a m i l i e A l b i s s e r , uns zum Berichte überwiesen. Wir haben die Ehre, diesem Auftrage hiermit nachzukommen.

Zwischen den Kantonen Wallis und Luzern entstand ein Konflikt über das Heimatrecht einer in Sitten wohnenden Familie Albisser, welcher in Anwendung von Artikel l und 3 des Bundesgesezes über die Heimatlosigkeit vom 3. Dezember 1850 von uns zum Austrag gebracht werden mußte.

Die bezügliche Untersuchung ergab, daß im Anfange dieses Jahrhunderts ein Joseph Albisser in Sitten seineu Wohnsiz nahm.

Er legitimirte sich mit einem in Original vorliegenden Heimatschein, datirt 4. August 1802, wodurch Präsident und Mitglieder der Municipalität Wangen, Distrikt Willisau, Kantons Luzern, bezeugten, daß sie Joseph Albisser, welcher Willens sei, sich auswärts aufzuhalten, mit Weib und Kind als ihre Gemeindeangehörigen allezeit anerkennen und aufnehmen werden. Nachdem die Frau gestorben,

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Nachdem Joseph Albisser und die Frau seines Sohnes Joseph Franz Xaver Albisser gestorben waren, handelte es sich nur noch um das Heimatrecht des leztern, sowie seines Sohnes und seiner Tochter.

Gestüzt auf ihre eheliche Abstammung von einem Bürger des Kantons Luzern, und in Anwendung der Artikel l und 3, und Artikel 11, Ziffer l, sowie von Artikel 12, Ziffer l des erwähnten Bundesgesezes, faßten wir nun am 3. Januar 1877 den Beschluß, es sei der Kauton Luzern verpflichtet, den genannten drei Personen das Kantonsbürgerrecht zu ertheilen und ein Gemeindebürgerrecht zu verschaffen. Gleichzeitig wurde gemäß Bundesbeschluß vom 29. Juli 1857 (arntl. Samml., Bd. V, S. 575, Ziff. 5) der Regierung des Kantons Luzern eine Frist von dreißig Tagen eingeräumt, um über die Anerkennung oder Nichtanerkennung dieses Beschlusses sich auszusprechen und im Falle der Nichtanerkennung denjenigen Kanton zu bezeichnen, welcher nebst dem Kanton Luzern vor dem Bundesgerichte zu belangen wäre, Alles in der Meinung, daß durch unbenuzten Ablauf jener Frist dieser Beschluß in Rechtskraft erwachsen werde. (Art. 9 des Bundesgesezes über die Heimatlosigkeit.)

Auf bezügliches Ansuchen der Regierung von Luzern wurde am 29. Januar 1877 die Frist um weitere dreißig Tage verlängert, jedoch unter Androhung der gleichen Rechtsfolge, im Falle dieser leztere Termin unbenuzt ablaufen sollte.

Da keinerlei Einsprache erfolgte, so erklärten wir unterm 28. März 1877 den Beschluß vom 3, Januar in Rechtskraft erwachsen, und luden die Regierung des Kantons Luzern ein, denselben zu vollziehen durch Uebersendung der nöthigen Heimatscheine an die Regierung des Kantons Wallis.

Es handelt sich nun gegenwärtig um die Art der Vollziehung des Entscheides vom 3. Januar 1877. Daß wir zu dem Erlasse desselben kompetent gewesen, wird von Niemanden angezweifelt.

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Auch kann angesichts des klaren Wortlautes der Artikel 3 und 14 des Bundesgesezes über die Heimatlosigkeit unsere Pflicht, für die Vollziehung solcher rechtskräftiger Einbürgerungsbeschlüsse zu sorgen, nicht beanstandet werden. Es liegt bloß in Frage, ob wir bei dei' Vollziehung dieses Beschlusses im Spezialfalle den Art. 3 des erwähnten Buudesgesezes richtig anwenden oder nicht.

Es ergibt sich nämlich, daß Joseph Albisser, welcher 1802 nach dem Kauton Wallis auswanderte, dem sogenannten Steuerbriefe *) Großwangen angehörte, und daß dieser Verband gegenwärtig in sieben Gemeinden aufgelöst ist, nämlich in die Gemeinden Großwangen, Buttisholz, Oberkirch, Mauensee, Kottwil, Ettiswil und Menznau. Diese Gemeinden schlössen nun am 3. August 1877 eine Uebereinkunft, womit die drei Personen, welche Gegenstand unseres Entscheides bilden, als Bürger der alten Steuerbriefgemeinde Großwangen anerkannt werden, und der Gemeinderath von Großwangen beauftragt wird, im Namen derselben jenen Personen die erforderlichen bürgerrechtlichen Schriften auszustellen, sie nüthigenfalls zu unterstüzen und überhaupt alle jene Handlungen vorzunehmen, welche der heimatlichen Behörde zustehen. Die kontrahirenden Gemeinden verpflichten sich, allfällige Auslagen für die Familie Albisser zu ersezen. Dagegen soll jede Gemeinde berechtigt sein, zu jeder Zeit die Vertheilung der Familie Albisser auf die einzelnen Gemeinden zu verlangen.

Wir konnten jedoch diese Uebereinkunft nicht als Einbürgerung der fraglichen Personen in einer bestimmten Gemeinde gemäß Art. 3 des ßundesgesezes über die Heimatlosigkeit anerkennen. Dieses ist der Grund, weßhalb die Gemeinde Großwangen für sich und im Namen der andern betheiligten Gemeinden sich veranlaßt sah, diejenige Beschwerde an die Bundesversammlung zu richten, welche uns vorn Ständerathe zum Berichte überwiesen wurde.

Die Beschwerdeführer machen jezt nachträglich geltend, es liege hier kein Heimatlosenfall vor, indem wir in dem Einbürgerungsentscheide selbst anerkannt haben, daß Joseph Albisser ein Bürger von Großwangen gewesen, und daß die jezt lebenden Nachkommen aus gültigen Ehen abstammen, also ebenfalls dieser Gemeinde angehören. Das Bundesgesez über die Heimatlosigkeit finde daher auf die Vollziehung unseres Entscheides keine Anwendung.

*) (Steuerverband, -- Vereinigung verschiedener Gemeinden im Steuer[Armen-] und Militärwesen.)

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Diesem Einwände gegenüber kann lediglich darauf hingewiesen werden, daß das Begehren der Walliser Behörden um Anerkennung der Familie Albisser sowohl von der Gemeinde Großwangen, als auch von der Regierung des Kantons Luzern gerade aus dem Grunde abgelehnt worden war, weil der Heimatschein von 1802 außer Kraft getreten sei, indem er nach alter Verordnung nicht länger als zwölf Jahre gültig gewesen. Joseph Albisser habe daher sowohl in Folge dieser Verordnung, als auch in Folge seiner zweiten, im Widerspruch mit der Luzernischen Gesezgebung vollzogenen Ehe, das Heimatrecht im Kanton Luzern verloren, und es habe deßhalb sein aus dieser Ehe hervorgegangener Sohn keinen Anspruch an dieses Heimatrecht. Da , nun der Kanton Wallis diese Personen ebenfalls nicht anerkannte, so waren sie im Sinne von Art. l des Bundesgesezes heimatlos, und es mußte nach Maßgabe dieses Gesezes von uns ein Heimatrecht für sie ausgemittelt werden.

Das ganze Verfahren fand daher in den Formen des Heimatlosenprozesses statt, wogegen von keiner Seite Einsprache erhoben wurde , wie denn auch nach den Vorschriften des Bundesgesezes und in Uebereinstimmung mit der konstanten Praxis eine solche Einsprache nicht statthaft gewesen wäre. Es muß daher die Erledigung dieser Angelegenheit nach dem gleichen Verfahren zu Ende geführt werden.

Die Beschwerdeführer machen jedoch geltend, daß wenn auch das Bundesgesez Anwendung fände, demselben bereits ein Genüge geleistet wäre. Nachdem nämlich die Regierung des Kantons Luzern unsern Beschluß nicht rekurrirt, sondern das Luzernische Bürgerrecht der Familie Albisser anerkannt habe, so stehe es ihr zu, ein Gemeindebürgerrechfc für die leztere auszumitteln. Sie erkläre aber, mit dem erwähnten Uebereinkommen befriedigt zu sein. Es sei auch überhaupt nicht nöthig, für die Tamilie Albisser eine bestimmte Gemeinde festzustellen, denn mit der Anerkennung derselben als Bürger der alten Steuerbriefgemeinde Großwangen genieße sie das Bürgerrecht der ganzen jezt noch bestehenden Gemeinde Großwangen und sodann der oben genannten sechs andern Gemeinden, soweit die leztern vor 1820 zum alten Steuerbrief Großwangen gehört haben. Zudem sei es nach dem Luzernischen Bürgerrechtsgeseze vom 13. Juni 1832 zulässig, daß Jemannd in mehreren Gemeinden Bürger sei.

Hierauf haben wir zu entgegnen, daß für die Art der
Vollziehung unserer rechtskräftig gewordenen Einbürgerungsbeschlüsse keineswegs die Ansichten der Kantonsregierungen entscheidend sind.

Wenn auch. allerdings die Ausmittlung der Gemeindebürgerrechte ihnen zusteht, so haben sie doch nach Art. 14 des Bundesgesezes

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über die Heimatlosigkeit innerhalb Jahresfrist über die geschehene Einbürgerung bei uns sich auszuweisen. Es steht daher selbstverständlich uns eine Kontrole zu, denn der Gesezgeber wollte eine einheitliche und richtige Vollziehung des G-esezes sichern. Von diesem Standpunkte aus können wir in der Vereinbarung vom 3. August 1877 keineswegs eine gehörige Einbürgerung erbliken.

Nach der klaren Vorschrift von Art. 3 des Bundesgesezes vom 3. Dezember 1850 besteht die Einbürgerung der Heimatlosen in zwei bestimmten Aufgaben : in der Feststellung des Kantonsbürgerrechtes und in der Ausmittlung eines Gemeindebürgerrechtes. Im vorliegenden Falle ist der erste Theil erfüllt. Was den zweiten Theil betrifft, so ist gemäß Art. 3, Ziff. l des gleichen Bundesgesezes nur bezüglich des Vaters Franz Xaver Albisser eine Ausnahme gestattet, indem er über 60 Jahre alt ist. Dagegen muß nach der klaren Vorschrift des gleichen Art. 3 für dessen Sohn und Tochter ein G - e r n e i n d e b ü r g e r r e c h t ausgemittelt werden.

Das ist bis jezt nicht geschehen, und kann überhaupt auf dem Wege des oft erwähnten Uebereinkommens nicht geschehen, indem, wie aus diesem Aktenstüke selbst hervorgeht und von den Rekurrenten zugestanden ist, die Vertheilung der fraglichen Personen auf bestimmte Gemeinden vorbehalten bleibt, also gerade dasselbe, was gesezlich je/.t geschehen sollte, auf spätere Zeit verschoben wird.

Es kanli auch in der That nicht anders sein, da der Steuerbrief Großwangen verfassungsgemäß nicht mehr besteht, sondern in sieben Gemeinden aufgelöst ist, die gegenwärtig allein der staatlichen Organisation des Kantons Luzern entsprechen, und nicht nur selbstständige Administration besizen, sondern sogar zu zwei verschiedenenAemtern und sechs verschiedenen Wahlkreisen gehören. Der auf diese Weise durch gesezliehe Akte zerrissene Steuerbrief Großwangen kann auch durch Verträge unter den Gemeinden, die ihn gebildet haben, nicht wieder hergestellt werden. Sie können wohl civilrechtliche Verbindlichkeiten unter sich stipuliren, nicht aber ein Organ schaffen, das dem Staatsrechte des Kantons Luzern angehören müßte, um als Gemeinde anerkannt zu werden. In Wahrheit hat auch die vorliegende Uebereinkunft keinen andern Inhalt, als einen privatrechtlichen. Die Vollziehung des Bundesgesezes über die Heimatlosigkeit ist aber
eine Aufgabe des öffentlichen Rechtes und muß daher auch im Kanton Luzern, wie in allen andern Kantonen, dem gegenwärtigen öffentlichen Rechtszustande entsprechen. Ob es wahr sei, was die Potenten andeuten, daß im Kanton Luzern auch an andern Orten noch ähnliche Verhältnisse vorkommen, wie sie es hier fortpflanzen wollen, wissen wir nicht. Wir glauben aber, daß eine allfällige Beschwerde von betheiligter Seite in keinem andern Sinne entschieden werden könnte. Es hat (unter Vorbehalt

372 des in Ziffer l von Art. 3 des Bundesgesezes vorgesehenen Falles) jeder Schweizer das Recht, G e m e i n d e b ü r g e r zu sein, und die Kantone haben die Pflicht, ihren Kantonsangehörigen ein Gemeindebürgerrecht zu verschaffen. In diesem Sinne ist das Bundesgesez gegenüber allen andern Kantonen angewendet worden, und es muß auch im Spezialfalle um so mehr in gleichem Sinne angewendet werden, als die Familie Albisser, wenn sie zur Zeit der Auflösung des alten Steuerbriefes Großwangen im Kanton Luzern gewesen wäre, damals schon selbstverständlich eine bestimmte Gemeinde hätte erhalten müssen.

Empfangen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 28. November 1878.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes: Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Erneuerter Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Sicherstellung der Eisenbahnkrankenkassen u. s. w.

(Vom 29. November 1878.)

Tit.!

Bei Behandlung der in der genannten Sache am 6. Juni dieses Jahres vom Bundesrath beschlossenen Berichterstattung haben Sie denselben zu einem erneuerten Bericht im Laufe der bevorstehenden Dezembersession eingeladen.

In Erledigung dieser Einladung beehren wir uns, Ihnen folgende Mittheilungen zu machen : Nach den seither eingegangenen neuen Aufstellungen der BahnVerwaltungen stellt sich der Betrag der Krankenkassen bei den schweizerischen Eisenbahnverwaltungen und der von den Beamten und Angestellten derselben hinterlegten Baarkautionen, sowie die Ausscheidung dieser Gelder von dem resp. Gesellschaftsvermögen folgendermaßen :

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Rekurs der luzernischen Gemeinde Grosswangen. (Vom 28. November 1878.)

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1878

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4

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54

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

07.12.1878

Date Data Seite

367-373

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10 010 155

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