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Bericht der

Kommission des Ständerathes, betreffend den Freundschafts-, Handels- und Niederlassungsvertrag mit dem Königreich der Niederlande.

(Vom 25; Juni 1878.)

Tit.!

Die Prüfung des vom Bundesrath in Begleit seiner Botschaft vom 21. Mai 1878 der Bundesversammlung vorgelegten Freundschafts-, Handels- und Niederlassungsvertrags zwischen der Schweiz und dem Königreich der Niederlande ist zwar nicht, wie dies bei der kürzlich behandelten Handelskonvention mit dem Fürstenthum Rumänien der Fall war, durch Einsprachen von Schweizerbürgern erschwert worden, die in dem Abschluß des projektirten Vertrags eine Gefährdung ihrer Interessen erblicken zu müssen glaubten ; dagegen ist . der Inhalt des erstem weit komplizirter und dessen Beurtheilung schon aus diesem Grunde theilweise mit Schwierigkeiten verbunden. Die pragmatische Darlegung der seit Ende 1861 im Gang befindlichen Unterhandlungen, welche schweizerischerseits successive durch die Herren Bundesrathe Frei-Herosee, Cercsole und Anderwert geführt wurden, und welche zunächst den Abschluß des Vertrags vom 19. Januar 1863, betreffend die Errichtung schweizerischer Konsulate in Niederländisch-Indien (A. S. VII, 461 und 606) und die Erklärungen betreffend gegenseitige Freihaltung vom Militärdienste, vom 4. und 30. August 1863 (A. S. VII, 342) und- schließlich den Freundschafts-, Handels- und Nieder-

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lassüngsvevtrag vom 19. August 1875 nebst Zusatzprotokoll vom 24. April 1877 zur Folge hatten, gibt der Kommission zu keinen Bemerkungen Veranlaßung. Die obenerwähnten Schwierigkeiten der Beurthcilung des letztern rühren hauptsächlich daher, daß die niederländische Gesetzgebung für "'die occidentalischen Angehörigen im Unterschied von den orientalischen in weitem Umfang differirt; daß ferner die Gesetzgebungen beider Länder hinsichtlich der Erwerbung des Bürgerrechts und der Militärpflicht entgegengesetzte Bestimmungen enthalten, und daß endlich in dem Zusatzprotokoll vom 24. April 1877 die im Art. l des Hauptvertrags vom 19. August 1875 aufgestellte völlige Gleichstellung dei- Angehörigen beider Staaten durch den Vorbehalt des Rechts der Ausweisung und der Auslieferung der Fremden wieder wesentlich alterili worden ist, und zwar in einem Grade, der die niedergelassenen Schweizer nun theilweise wieder schlechter stellt, als die Fremden, die nicht unter dem Schütze eines Staatsvertrags stehen.

Hinsichtlich der erstgenannten Schwieligkeit, die Verschiedenheit des Rechts der Occidentalen und Orientalen, hat es zwar der Commission nicht gelingen wollen, sich ein vollständig klares Bild von den praktischen Folgen derselben in allen speziellen Fällen zu bilden; sie glaubt indessen über dieselbe gleichwohl hinweggehen zu dürfen angesichts der bestimmten Erklärung, welche der k. niederländische Generalkonsul in seiner am 31. März 1876 an das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement gerichteten Note abgegeben hat, und welche folgendermaßen lautet: ,,. . .. tandis que dans les Indes Néerlandaises Orientales, les Européens étrangers sont maintenant absolument assimilés aux Néerlandais pour ce qui regarde leur admission et leur établissement.a Abgesehen von dieser positiven Erklärung ist der äußerst liberale Geist, von dem die niederländische Gesetzgebung hinsichtlich der Niederlassung aller Fremden beherrscht ist, und auf welchen der Bevollmächtigte der k. niederländischen Regierung wiederholt mit Recht hinweist, geeignet, allfällige Zweifel, die hinsichtlich der praktischen Folgen jener Verschiedenheit in einigen speziellen Fällen noch obwalten könnten, zu beschwichtigen.

Hinsichtlich der zweiten Schwierigkeit, den Gegensatz der beiden Gesetzgebungen betreffend die Erwerbung des Bürgerrechts und die
Militärpflicht, haben wir der sehr klaren und erschöpfenden Darlegung auf pa.g. 8 und 9 der Botschaft des Bundesraths nichts beizufügen, und die Kommission will dem vom Bundesrath ausgesprochenen Vertrauen, daß die niederländische Regierung die wiederholt gegebene Zusage, den am meisten fühlbaren Uebelständen des gegenwärtigen Zustandes durch die Gesetzgebung ab-

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zuhelfen, in Erfüllung bringen werde, in keiner Weise in den Weg treten. Sie spricht lediglich den Wunsch aus, daß der Bundesrath die Frage der Beseitigung dieser Uebelstände und die saehbezüglichen Zusagen der niederländischen Regierung nicht aus dem Àuge verlieren .möge.

Das Zusatzprotokoll d. d. Bern, 24 April 1877 stellt, wie schon oben angedeutet, zu dem Haupt vertrag vom 19. August 1875 folgende Klauseln auf : 1) daß die Angehörigen des einen Staates, welche in dem andern Aufenthalt oder Niederlassung zu nehmen wünschen, sich mit Legitimationspapieren zu versehen haben, welche ihre Nationalität feststellen; 2) daß jeder der beiden Staaten das Recht behält, die auf seinem Gebiet niedergelassenen Angehörigen des andern Staates im Verarmungsfall wegzuweisen; 3) ebenso das Recht, solche Individuen wegzuweisen, welche die öffentliche Ruhe und Ordnung oder die innere oder äußere Sicherheit des Staates gefährden würden, und 4) das Recht, V e r b r e c h e r , welche nicht Angehörige des Landes selbst sind, a u s z u l i e f e r n .

Wenn nun schon die dritte Klausel in ihrer Applikation auf die niederländischen Besitzungen in Asien, in Anbetracht der ausgedehnten Befugnisse (pouvoir discrétionnaire) der Genera Igouverueure zu einigen Bedenken Veranlaßung gab, so war dies noch includer Fall hinsichtlich der vierten Klausel, in Bezug auf welche die Kommission eine Zeit lang zögerte, die Genehmigung ohne Einschränkung zu beantragen. Es schien ihr nämlich mit der Pflicht des Schutzes, den jeder Staat seinen Angehörigen schuldet, die auf Grund eines Freundschafts- und Niederlassungsvertrages sich in einem andern Lande aufhalten, nicht vereinbar, die Zustimmung dazu zu erfheilen, daß sie wegen Verbrechen ausgeliefert werden können, ohne daß festgestellt wäre, welches die Verbrechen seien, welche die Auslieferung zur Folge haben können; welches die Foi-men seien, nach denen der Thatbestand des Verbrechens festzustellen sei, und welches die Staaten seien, auf deren Begehren eine Auslieferung bewilligt werden könne.

Die politischen, administrativen und strafrechtlichen Normen, die in den asiatischen Kolonien zur Anwendung gelangen, sind wesentlich verschieden von denjenigen der westeuropäischen Staaten, und noch viel mehr ist dies der Fall in den ihnen benachbarten unabhängigen Ländern. Die Bundesversammlung
kann unmöglich dazu Hand bieten, daß ein Schweizer, wenn er auch ein Verbrechen nach den Begriffen unserer eigenen Strafgesetzgebung begangen hat, einem Staat ausgeliefert werde, dessen Stnifrechtspflege nach unserer Auffassung die Begriffe der Menschenwürde und Humanität verletzt. Den Nachweis dafür, daß die Besorgnisse,

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Diese Besorgnisse sind nun allerdings nachträglich zu einem beträchtlichen Theil beseitigt worden durch ein von dem k. niederländischen GenemIkonsulat beigebrachtes Telegramm des k. niedero o ländischen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten d. d.

25. J u n i 1878, welches einerseits die bestimmte Erklärung enthält, daß im Bereich der niederländischen Staaten Auslieferungen wegen politischer Verbrechen nie staltfinden können (Pour délits politiques extradition jamais admise chez nous) und aus welcher geschlossen werden darf, daß Auslieferungen nur auf Grundlage von Verträgen erfolgen; da nun nicht angenommen werden kann, da U solche Verträge jemals mit Staaten abgeschlossen werden würden, deren Strafrecht einen inhumanen Charakter trägt, so wären, wenn jener Schluß richtig ist, die oben erwähnten Bedenken der Kommission gehoben, und sie nimmt daher keinen Anstand mehr, den Antrag des Bundesrathes vom 21. Mai 1878 auf G e n e h m i g u n g des V e r t r a g e s zwischen der Schweiz und dem Königreich der Niederlande vom 19. August 1875 nebst dem dazu gehörigen Schlußprotokoll vom 24. April 1877 zur Gutheißung zu empfehlen.

Da indessen über die Formen der Auslieferung in den Kolonien immer noch einige Zweifel bleiben, so glaubt die Kommission diesem Antrag noch den Wunsch beifügen zu sollen, daß der Bundesrath sich bei Anlaß der kürzlich an Hand genommenen Verhandlungen über Abschluß eines neuen Auslieferungsvertrages mit dem Königreich der Niederlande sich über die Bedingungen, untei 1

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denen in den überseeischen Besitzungen Fremde (Schweizer) ausgeliefert werden können, authentischen Aufschluß verschaffe und darauf Bedacht nehme, daß in dem neuen Vertrag auch über die Bedingungen eine Vereinbarung getroffen werde, unter welchen die jeweilen auf dem Gebiete des andern Staates niedergelassenen Angehörigen der vertragschließenden Mächte den Regierungen dritter Staaten ausgeliefert werden können.

B e r n , 25. Juni 1878.

Namens der ständeräthlichen Kommission, Der Berichterstatter:

Sulzer.

Mitglieder der Kommission: Herren : Sulzer, Herzog, Dufernex, Freuler, Franzoni.

Am 27. Juni 1878 nahm der Ständerath den bundesräthlichen Ratifikationsantrag an.

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Bericht der Kommission des Ständerathes, betreffend den Freundschafts-, Handels- und Niederlassungsvertrag mit dem Königreich der Niederlande. (Vom 25. Juni 1878.)

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