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Bericht der

Minderheit der ständeräthlichen Kommission betreffend das Gotthardbahnunternehmen.

(Vom 16. August 1878.)

Tit.!

In dem internationalen Vertrage von 1869 wurde der Subventionsbetrag der drei kontrahirenden Staaten für das Gotthardbahnunternehmen auf 85 Millionen Franken festgesezt, wobei die Berechnung zu Grunde gelegt wurde, daß die Kosten für Erstellung des gesammten Gotthardbahnnezes sich auf 187 Millionen beziffern werden. Außer dem Subventionsbetrage wurde noch ein Obligationenkapital von 68 und ein Aktienkapital von 34 Millionen in Aussieht genommen.

Die Gotthardbahngesellschaft konstituirte sich ; der große Tunnel zwischen Gesehenen und Airolo wurde in Akkord gegeben und vom Unternehmer, Herrn L. Favre, in Angriff genommen, und ebenso wurden von den tessinischen Thalbahnen die Linien Biasca-BellinzonaLocarno und Lugano-Chiasso erstellt und dem Betriebe übergeben.

602 Bei Erstellung dieser Linien ergab sich eine sehr große Ueberschreitung des Kostenvoranschlages, und die im Laufe des Jahres 1875 erfolgten Berechnungen des Oberingenieurs der Gotthardbahn stellten heraus, daß die Voranschläge der internationalen Konferenz von 1869 auch für die noch nicht in Angriff genommenen Linien viel zu niedrig gehalten seien ; er kam zu dem Resultate, daß der Totalbetrag der Kosten für die Ausführung der Gotthardbahn auf Grundlage des Programmes von 1869 auf 289 Millionen Franken ansteige, so zwar, daß gegenüber dem Voranschlage von 1869 ein Mehrbedarf von nicht weniger als 102 Millionen Franken sich herausstellte. Eine vom Bundesrathe angeordnete Expertise reduzirte für den Fäll, daß in Abweichung von den Bestimmungen des internationalen Vertrages von 1869 bei einzelneu Partien des Nezes die einspurige Anlage der zweispurigen substituirt wird, sowie etwas stärkere Steigungen und in Betreff der Kurven für einzelne besonders schwierige Stellen ein kleinerer Krümmungshalbmesser als 300 Meter zugelassen werden, den Voranschlag auf 261 Millionen Franken, so zwar, daß gegenüber dem Voranschlag von 1869 noch ein Mehrbedarf von 74 Millionen Franken vorhanden wäre.

Im Juni 1877 fand in Luzern die Konferenz von Vertretern der bei der Gotthardbahn zunächst interessirten drei Staaten -- Schweiz, Deutschland und Italien -- statt. Laut dem Schlußprotokoll dieser Konferenz einigte man sich dahin, es sei in erster Linie nur die Stammlinie Immensee-Pino zu erstellen und vor der Hand von Erstellung der nördlichen Zweigbahnen Immensee-Meggen-Luzern und Arth-Zug, sowie der Cenere-Linie (Bellinzona-GiubiascoLugano) Umgang zu nehmen. Indem im Wesentlichen die Ansäze des Gutachtens der schweizerischen Experten zu Grunde gelegt werden, wird der Gesammtbedarf für Erstellung der Stammlinie Immensee-Pino auf 228 oder (nach Abzug von l Million, die man als Reinerträgniß der Tessiner Thalbahnen bis zur Eröffnung des Tunnels in Aussicht nahm) auf 227 Millionen Franken berechnet, so zwar, daß über den ursprünglichen, für das Gesammtnez aufgestellten Voranschlag von 187 Millionen hinaus noch ein Defizit von 40 Millionen verbleibt. Dieses Defizit gedenkt die Konferenz in der Weise zu deken, daß die drei Vertragsstaaten noch weitere 28 Millionen Franken übernehmen (Deutschland und Italien je zehn
Millionen und die Schweiz acht Millionen) und daß die Gotthardhahngesellschaft für Beschaffung der restirenden 12 Millionen von sich aus zu sorgen hat.

Das Resultat dieser Konferenz wurde in einen Zusazvertrag zu dem am 15. Oktober 1869 zwischen der Schweiz und Italien abgeschlossenen Vertrage betreffend den Bau und Betrieb der Gott-

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hardeisenbahn zusammengefaßt, welchen Vertreter von Deutschland, Italien und der Schweiz unterm 12. März 1878 in Bern unter Vorbehalt der Genehmigung der betreffenden gesezgebenden Körper unterzeichnet haben.

Mit Botschaft vom 25 Juni abhin legt der Bundesrath diese Zusazkonvention der Bundesversammlung zur Genehmigung vor, in der Meinung, daß zur Auswechslung der Ratifikationen erst geschritten werde, wenn der in Betreff der schweizerischerseits zu leistenden Nachtragssubvention erlassene Bundesbeschluß nach Erfüllung sämmtlicher darin enthaltenen Bedingungen und Voraussezungen in definitive Rechtskraft übergegangen sein wird. Gleichzeitig schlägt der Bundesrath vor, es wolle die Bundesversammlung beschließen, an der Seitens der Schweiz zu leistenden Nachsubvention für das Gotthardunternehmen betheilige sich der Bund mit einer Summe von 6,500,000 Franken, zahlbar in den durch gedachten Staatsvertrag vorgeschriebenen Fristen und Modalitäten, sofern folgende Bedingungen und Voraussezungen erfüllt sein werden : 1) daß die Uebernahme des Restes der Nachsubvention im Betrage von 1,500,000 Franken ab Seite der schweizerischen Nordostbahn und der schweizerischen Zentralbahn bis zum 31. August nächsthin gesichert sei ; 2) daß die von Deutschland und Italien übernommenen Nachsubventionen von je 10 'Millionen Franken durch offizielle Mittheiluug der beiden Staatsregierungen fest zugesagt seien; 3) daß die Gotthardbahngesellschaft binnen einer vom Bundesrathe ihr anzusezenden Frist sich ausweise, daß sie unter Einrechnung der 28 Millionen neuer Subvention die erforderlichen Mittel besize, um das Programm des Staatsvertrages vom 12. März 1878 durchzuführen; 4) daß die Gotthardbahngesellschaft sich verpflichte, die für den Transitverkehr zwischen Deutschland und Italien jeweilen vertragsgemäß normirten Maximaltaxen auch im Verkehr zwischen der Schweiz und Italien als Maximalsäze anzuerkennen und auf diejenigen höhern Ansäze zu verzichten, zu deren Bezug sie durch einzelne kantonale Konzessionen berechtigt gewesen wäre.

Zugleich beantragt der Bundesrath, daß für den zu erlassenden Bundesbeschluß über Nach subvention für das Gotthardbahnunternehmen die Volksabstimmung nach Maßgabe des Art. 89 der Bundesverfassung vorzubehalten sei.

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Der Nationalrath, welchem in dieser Frage die Priorität zukam, ertheilte der Zusazkonvention vom 12. März 1878 nach dem Vorschlage des Bundesrathes die Genehmigung. Dagegen weicht sein Subventionsbeschluß wesentlich vom Vorschlage des Bundesrathes ab. Laut demselben soll der Bund für ein und alle Mal für das Gotthardunternehmen nur 4 x /2 Millionen übernehmen, und die weiter erforderlichen 2 Millionen sollen den sogenannten Gotthardkantonen überbunden werden ; überdies soll der Bund zum voraus der Monte Cenere-Linie einen Beitrag von 2 Millionen und einer Simplonbahn, sowie einer ostsehweizerischen Alpenbahn einen solchen von je 41/a Millionen Franken endgültig zusichern u. s. w.

Die Mehrheit der Kommission, welche Sie mit der Vorprüfung des Gegenstandes beauftragt haben, will im Wesentlichen dem Beschlüsse des Nationalrathes beipflichten ; ich überlasse ihr, diesen Antrag zu begründen. Als Minderheit der Kommisson erlaube ich mir dagegen, den Antrag des Bundesrathes aufzunehmen.

I.

Es fragt sich zunächst, ob der Zusazkonvention betreffend den Bau und Betrieb einer Eisenbahn durch den St. Gotthard vom 12. März 1878 die Genehmigung ertheilt werden soll oder nicht.

Ich will nicht in eine Erörterung darüber eintreten, von welch' eminenter Bedeutung die Erstellung einer schweizerischen Alpenbahn und speziell der Gotthardbahn nicht nur für einen großen Theil der Schweiz, sondern für die gesammte Eidgenossenschaft ist.

Oder hat die Schweiz in Bezug auf Handel und Gewerbe nicht ein enormes Interesse, eine direkte Verbindung mit dem fruchtbaren Italien zu erhalten? Kann es ihr gleichgültig sein, daß der Verkehr zwischen dem Norden und Süden durch außerschweizerische Alpenbahnen östlich und westlich von der Schweiz vermittelt und diese dadurch für alle Zukunft abgefahren wird ? Und wer wollte leugnen, daß es in politischer und militärischer Beziehung für die gesammte Eidgenossenschaft von der allergrößsten Bedeutung ist, daß der Kanton Tessin durch eine Alpenbahn mit der ganzen übrigen Schweiz in engere Verbindung gebracht wird ? Alles das ist schon so oft, so einläßlich und unwiderlegbar nachgewiesen worden, daß ich Sie in unstatthafter Weise hinzuhalten glauben würde, wenn ich mich hier darüber noch des Weitem verbreiten wollte. Es ist daher selbstverständlich, daß der Bundesrath,. als ihm die Direktion der Gotthardbahngesellschaft die Mittheilung machte, daß der ursprüngliche Kosten veranschlag viel zu niedrig gehalten sei und daß zum Zweke der Vollendung der Gotthardbahn

605 noch weitere große Subventionen erforderlieh seien, die Staaten, welche die erste Subvention übernommen hatten, zur Beschikung einer Konferenz einlud, um über die Mittel und Wege zu berathen, durch welche der Zusammensturz des großen Unternehmens verhütet werden kann.

In der im Juni v. J. stattgehabten internationalen Konferenz wurde als Rekonstruktionsbasis festgestellt, daß einerseits in baulicher Beziehung (kürzere Kurven, größere Steigung, einspurige Linien) möglichst große Ersparnißrüksichten walten, und daß andererseits die nördlichen Zufahrtslinien Arth-Zug und Immensee-MeggenLuzern, sowie die südlich der Alpen gelegene Monte Cenere-Linie vor der Hand fallen gelassen werden sollen, so daß für einstweilen nur die Stammlinie Immensee-Pino erstellt würde.

Es ist zu bedauern, daß bei der internationalen Konferenz die Idee nicht beliebte, die Gotthardbahn vom Süden her einstweilen nur bis Plüelen zu erstellen und bis zum Zeitpunkte, wo die Gotthardbahngesellschaft von sich aus die Mittel für Fortsezung deiLane bis Immensee gefunden hätte, sich der durch den Vierwald-, stättersee ogebotenen Wasserstraße zu bedienen. Hiedurch hätten Ersparnisse erzielt werden können, welche eine Reduktion der noch nothwendigen Nachsubvention in einem Maße ermöglicht haben würden, daß die davon auf die Schweiz fallende Rate von den Cebernehmern der frühern schweizerischen Subvention hätte getragen werden können, so daß in diesem Falle die Bundeshülfe wahrscheinlich gar nicht hätte in Anspruch genommen werden müssen. Der Personenverkehr wäre durch Salondampfboote vermittelt worden, und für den Gütertransport wären Trajektschiffe und Trajektkähne zu erstellen gewesen, wie solche auf verschiedenen · Gewässern mit gutem Erfolge seit Jahren im Betriebe sich befinden.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein Verkehr von einem Umfange, wie ihn eine einspurige Gotthardbahn bewältigen kann, zwischen Flüelen und Luzern- durch die angedeuteten Transportmittel in vollständig ausreichender und sicherer Weise vermittelt werden könnte. Seit dem Jahre 1836 wird der Vierwaldstättersee mit Dampfbooten befahren ; gegenwärtig durchfurchen denselben nicht weniger als 14 Dampfschiffe, und während der langen Reihe von 42 Jahren mußte wegen Unbill der Witterung, wegen Wind, Sturm, Nebel oder Schneegestöber, sei es bei Tag oder
während der Nachtzeit, niemals ein Kurs unterlassen und ebensowenig mußten auf der Linie Flüelen-Luzern die Fahrten irgendje wegen Eis eingestellt werden. Leider ließ sich die internationale Konferenz durch die Vorurtheile, welche seit geraumer Zeit gegen die Errichtung von Trajektschiffen auf dem Vierwaldstättersee verbreitet worden waren,

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abschreken, die Frage auch nur einer genauen, einläßlichen Prüfung zu würdigen.

Gleichwohl halten wir es im gegenwärtigen Momente nicht für indizirt, auf die Frage der Errichtung von Trajektschiffen auf dem Vierwaldstättersee zurükzukommen und deßwegen die Zusazkonvention vom 12. März 1878 zurükzuweisen oder durch den Genehmigungsbeschluß zu modiflziren. Seit mehr als zwei Jahren wird an der Rekonstruktion des Unternehmens gearbeitet. Seit der internationalen Konferenz ist wiederum mehr als ein Jahr verflossen, und die Folge davon ist, daß, wenn auch die Ausführung des Unternehmens auf dieser Basis gelingt, die Vollendung der Bauten um ein Jahr hinausgerükt und dadurch eine Mehrausgabe an Zinsen im Betrage von 4 Millionen Franken verursacht wird. Würde nun das Schlußprotokoll der internationalen Konferenz vom Juni 1877, resp. die Zusazkonvenüon vom 12. März 1878, verworfen, so müßten, um eine modifizirte Basis der Rekonstruktion zu erzielen, neue Unterhandlungen mit Deutschland und Italien angeknüpft werden.

Darüber würde nun wiederum viel Zeit verstreichen, und es würde dadurch nicht nur eine weitere erhebliche Mehrausgabe an Zinsen verursacht, sondern möglicherweise könnte der Zusammensturz wenigstens der gegenwärtigen Gesellschaft eintreten, bevor man sich über eine neue Rekonstruktionsbasis allseitig geeinigt hätte.

Uns will daher scheinen, daß, wer im Ernste dem in schwieriger Lage befindlichen Unternehmen Hülfe verschaffen will, durch die Verhältnisse leider gehindert ist, diejenige Rekonstruktionsbasis zu befürworten, welche an und für sich volle Berechtigung hätte, welche- aber durch die internationale Konferenz vom Juni 1877 beseitigt wurde.

Ebenso muß bedauert werden, daß sowohl die nördlichen Zufahrtslinien als die Cenere-Linie für einstweilen aufgegeben werden mußten. Allein gegenwärtig wäre es ganz unmöglich, für Ausführung des ganzen ursprünglichen Gotthardbahunezes die erforderlichen Gelder aufzubringen. Und sollte deßwegen das ganze Gotthardbahnunternehmen fallen gelassen werden, weil die erwähnten Zweiglinien einstweilen leider nicht erstellt werden können? Wer wollte läugnen, daß die Gotthardbahn von immenser Bedeutung für die ganze Schweiz ist, auch wenn vor der Hand nur die Stammlinie Immensee-Pino zu Stande kömmt? Es ist gewiß vom nationalen Standpunkte aus im höchsten
Grade wünschenswert!!, daß der südliche Theil des Kantons Tessin durch Ueberschienung des Berges, welcher ihn vom nördlichen trennt, mit diesem sobald als möglich in direkte Verbindung gebracht wird. Allein gerade wenn einmal die Stammlinie erbaut oder wenigstens gesichert ist, so wird

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die Erstellung der Cenere-Li nie nur noch eine Frage der Zeit sein, während umgekehrt ohne Erbauung oder Sicherung der Stammlinie an die Cenere-Linie nicht von ferne gedacht werden darf Uebrigens erscheint uns die Besorgniß, es könnte in der Zwischenzeit die Linie Lugano-Chiasso in die Hände der Alta Italia oder des italienischen Staates gelangen, als völlig unbegründet, da nach Art. 10 des Eisenbahngesezes ohne ausdrükliche Bewilligung der Bundesversammlung weder Konzessionen in ihrer Gesammtheit, noch einzelne in denselben enthaltenen Rechte oder Pflichten in irgend welcher Form an einen Dritten übertragen werden dürfen.

Anbelangend speziell die gleichfalls für dermalen und wohl für lange Zeit fallen gelassene Linie Immensee-Meggen-Luzern, so fand unterm 6. Oktober 1877 unter dem Vorsize des schweizerischen Eisenbahndepartementes eine Konferenz zwischen Vertretern der Regierungen von Bern und Luzern, sowie der Gotthardbahn, der schweizerischen Centralbahn und der schweizerischen Nordostbahn statt, wobei unter Anderm die Vertreter der erwähnten Eisenbahngesellschaften unter Ratifikationsvorbehalt für den Zeitraum bis zur Erstellung einer direkten Verbindung zwischen Luzern und Immensee über Meggen folgende Erklärungen abgaben: 1) Die Gotthardbahngesellschaft verpflichtet sich, alle fahrplanmäßigen Züge nach dem Gotthard ab .Luzern und alle solchen vom Gotthard nach Luzern direkt und ununterbrochen verkehren zu lassen.

2) Die Gotthardbahn verpflichtet sich, für die Streke LuzernRothkreuz-Immensee nicht höhere Taxen zu beziehen, als sie auf der direkten Linie Luzern-Immensee erheben würde, mit andern Worten, sie darf für den Transport von Personen und Gütern etc. mit Bestimmung nach und von dem Gotthard auf der Streke Luzern-Rothkreuz-Immensee keine größere Distanz berechnen, als wenn die Transporte auf der direkten Linie via Küßnacht bewerkstelligt werden könnten.

3) Die Gesellschaften der schweizerischen Nordostbahn und der schweizerischen Centralbahn räumen, soweit es entweder beide gemeinschaftlich oder jede für sich allein betrifft, der Gotthardbahn vertragsmäßig ein: a. die ausschließliche Benuzung der Streke Immensee-Rothkreuz, b. die Mitbenuzung der Streke Rothkreuz-Luzern und des Bahnhofes Luzern.

Es liegt auf der Hand, daß der Nachtheil, welchen das Wegfallen der direkten Linie Immensee-Meggen-Luzern für einen Theil

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der schweizerischen Bevölkerung, namentlich in den Kantonen Bern und Luzern, mit sich bringt, durch die von der Gotthard-, Centralund Nordostbahngesellschaft am 6. Oktober 1877 abgegebenen Erklärungen, wofern sie für dieselben rechtsverbindlich werden und worauf ich später noch zurükkomme, wenigstens theilweise ausgeglichen wird.

Man hat auch den Vorwurf erhoben, die Gotthardbahn könne den Anforderungen einer internationalen .Linie nicht mehr genügen, weil die Nachtragskonvention auf zwei Streken eine Steigung bis auf 27 %o und ausnahmsweise die Anwendung eines Radius von 280 Metern da, wo durch diese Mittel erhebliche Ersparnisse erzielt werden können, zuläßt und überdies gestattet, daß die Zufahrtslinien einstweifen nur einspurig gebaut werden. Wir halten diesen Einwand nicht für begründet. Wir finden bei mehreren Alpenbahnen, welche einen großen Personen- und Güterverkehr ohne Störung bewältigen, größere Maximalsteigungen und kleinere Minimalradien, als die Zusazkonvention für den Gotthard sie vorsieht. Auch schreibt dieselbe vor, daß bei den eigentlichen Berglinien überall da, wo später, nach Eröffnung des Betriebes, die Verbreiterung des Bahnkörpers nicht mehr möglich wäre, oder erhebliche Mehrkosten nach sich ziehen würde, z. B. in den Tunneln, an den großen Brüken, an Mauern, Erdarbeiten etc., diese Arbeiten von Anfang an für zwei Geleise ausgeführt werden sollen. Uebrigens wird die Leistungsfähigkeit einer einspurigen Linie bedeutend vermehrt, wenn, wie es bei der Gotthardbahn in Aussicht genommen ist, zahlreiche Kreuzungs- und Ueberholungsstationen erstellt werden.

Ich beantrage Ihnen demnach, der Zusazkonvention vom 12. März 1878 die Genehmigung zu ertheilen nach dem Antrage des Bundesrathes und dem Beschlüsse des Nationalvathes, wonach zur Auswechslung der Ratifikationen erst geschritten werden darf, wenn der in Betreff der von der Schweiz zu leistenden Nachtragssubvention für das Gotthardbahnunternehmen erlassene Bundesbeschluß-, nach Erfüllung sämmtlicher in demselben enthaltenen Bestimmungen und Voraussezungen, in definitive Rechtskraft übergegangen sein wird.

n.

Ich gehe über zur Beantwortung der zweiten Frage, ob auch dem Beschlussesentwurf des Bundesrathes betreffend Nachsubvention für das Gotthardunternehmen, wonach der Bund an der schweizerischerseits zu leistenden Subvention mit einer Summe von 6Va Millionen Franken sich betheiligen würde, zuzustimmen sei.

609 Und liier begegnen wir zunächst der Frage, ob eine solche Bundesbetheilignng konstitutionell zuläßig sei. In ihrer Eingabe vom 3. Juni abhin behaupten die Regierungen von Freiburg, St. Gallen, Graubünden, Waadt, Wallis und Genf auf das Bestimmteste, die Uebernahme einer Subvention für den Gotthard sei bundesverfassungswidrig, und die gleiche Ansicht wird auch vielfach von der Presse in diesen Kantonen verfochten. Allein diese Ansicht ist offenbar ganz unrichtig. Der Art. 23, Absaz l der Bundesverfassung lautet : ,,Dem Bunde steht das Recht zu, im Interesse der Eidgenossenschaft oder eines großen Theiles derselben auf Kosten der Eidgenossenschaft öffentliche Werke zu errichten oder die Erstellung derselben zu unterstüzen." Daß die Erstellung der Gotthardbahn im Interesse mindestens eines großen Theiles der Eidgenossenschaft liegt, wird wohl keines weitern Nachweises bedürfen, wenn es Thatsache ist, daß an die erste Subvention für dieselbe von 13 Kantonen mit einer Bevölkerung von 1,660,023 Einwohnern eine Summe von 13 Millionen Franken à fond perdu übernommen würde. Ebensowenig wird einem Zweifel unterliegen können, daß eine Eisenbahn, zumal eine Alpeneisenbahn, welche zwischen zwei Ländern eine direkte Verbindung herzustellen die Bestimmung hat, ein Verkehrsmittel ersten Ranges und deßhalb ein öffentliches Werk ist. Uebrigens ist die Frage, ob eine Eisenbahn ein öffentliches Werk sei, längst entschieden, entschieden durch das Bundesgesez betreffend Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten vom 1. Mai 1850. Gestüzt auf dieses Gesez wird einer Eisenbahn als einem öffentlichen Werke das Recht der Expropriation eingeräumt, auch wenn sie von einer Privatgesellschaft gebaut wird. Es ist auch durchaus unrichtig, daß ursprünglich bei Erlaß jenes Verfassungsartikels nicht daran gedacht worden sei, daß durch denselben die Unterstüzung einer Eisenbahn ab Seite des Bundes ermöglicht werde. Vielmehr ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Artikels zur Evidenz geradezu das Gegentheil. Dieser Artikel 23 ist bekanntlich aus der Verfassung von 1848, wo er den Art. 21 bildete, ganz unverändert in die Bundesverfassung vom Jahre 1874 herübergenommen worden. In der Tagsazung vom Jahr 1848, wo der Art. 21 von der Revisionskommission vorgeschlagen wurde, waren die Ansichten darüber getheilt, ob ein solcher
Artikel aufgenommen werden solle oder nicht. Während namentlich die Gesandtschaften von Zürich und Appenzell Bedenken dagegen äußerten, wurde hingegen von anderer Seite zur Unterstüzung des Artikels angeführt : ,,Unter den Zweken des Bundes erscheine auch die Bestimmung, daß derselbe die gemeinsame Wohlfahrt der einzelnen Glieder befördern solle. Dieser Zwek sei zu

610 erreichen durch den Vorschub, welchen man den materiellen und intellektuellen Interessen leiste. Zu den materiellen Unternehmungen, bei denen der Bund sich betheiligen müsse, gehören solche öffentliche Werke, welche die Kräfte der Kantone übersteigen. Dabei sei keineswegs gemeint, daß die Eidgenossenschaft jedesmal die Unternehmung selbst zu leiten und nach ihrem ganzen Umfange auf ihre Kosten zu nehmen habe; vielmehr könne sie zu gemeinnüzigen vaterländischen Schöpfungen Aufmunterung angedeihen lassen, sei es durch Gewährung von Unterstüzungssummen, oder durch vorzugsweise Begünstigung einer Aktiengesellschaft, in welcher der Bund in erster Linie sich betheiligen müßte. Nach Einführung der Mediationsverfassung habe die Tagsazung die Korrektion der Linthgewässer als eine ihrer ersten Aufgaben betrachtet und damit ein Nationalwerk geschaffen, welches zur Wohlfahrt eines größern Landestheiles segensvoll wirke und auf welches jeder Eidgenosse mit Stolz hinblike. Vom Jahre 1815 an habe die Schweiz kein solches Denkmal der Nationalkraft mehr aufzuweisen ; aber die neu erstehende Eidgenossenschaft müsse der künftigen Bundesregierung die Mittel an die Hand geben, ihre Existenz durch großartige Schöpfungen im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt bethätigen zu können, wenn anders diese Regierung die Achtung des Volkes erlangen und nicht in einer vielleicht kleinlichen Geschäftsroutine sich bewegen soll. Unternehmungen, welche der Unterstüzung von Seite des Bundes als vollkommen würdig erscheinen, wären u. A.

die Entsumpfungen des bernischen Seelandes, eine Straße über den Brünig und eine solche längs dem Wallensee. A u c h in Bez i e h u n g a u f d i e E i s e n b a h n e n w e r d e d i e Schweiz sich k ü n f t i g n i c h t mehr p a s s i v , wie bisher verhalten können; sie werde durch die Verhältnisse getrieben, diesem wichtigen Verkehrsmittel größere A u f m e r k s a m k e i t zu leihen, wenn sie nicht Gefahr laufen wolle, ihren Transith a n d e l , s o w i e t h e i l w e i s e a u c h d e n Absaz i h r e r W a a r e n, z u v e r l i e r e n . Grundsäzlich sei es zwar richtig, daß man solche Unternehmungen besser einzelnen Gesellschaften überlasse.

Wo. sic h a b e r e i n z e l n e S p e k u l a n t e n n i c h t hervor.thun, da dürfe der Staat nicht zus c h a u e n, wie g e w i s s e V o r t
h e i l e an die N a c h barn übergehen, die man rechtzeitig noch dem e i g e n e n L a n d . e e r h a l t e n k ö n n t e . " Bei der Abstimmung siegte die leztere Ansicht; die Tagsazung nahm den von der Revisionskommission vorgeschlagenen Artikel unverändert an und alle Anträge, welche demselben entgegengesezt wurden, blieben in

611 Minderheit.*) So entstand der Artikel 21 der Bundesverfassung von 1848 und ging als Artikel 23 völlig unverändert in jene von 1874 über.

Allerdings überließ das Eisenbahngesez von 1852 den Bau und Betrieb von Eisenbahnen den Kantonen, beziehungsweise der Privatthätigkeit, und auch das Gesez von 1872 hielt im Wesentlichen das gleiche Prinzip fest, obwohl durch Art. 3 des lezteren Gesezes dem Bunde zur Pflicht gemacht ist, im Allgemeinen die Eisenbahnverbindungen zu entwikeln und zu vermehren zu suchen, insbesondere den Betrebungen im Osten, Zentrurn, und Westen der schweizerischen Alpen, die Verkehrsverbindungen der Schweiz mit Italien und dem mittelländischen Meere zu verbessern, möglichste Förderung angedeihen zu lassen. Allein hiedurch wird die Frage der Konstitutionalität einer Bundessubvention zu Gunsten einer Alpenbahn in keiner Weise alterirt. Die Minderheit der nationalräthlichen Kommission, welche anläßlich der Berathung des Eisenbahngesezes von 1852 dem Systeme des Privatbaues das Wort redete, gab ausdrüklich zu, daß der Artikel 21 der damaligen Bundesverfassung dem Bunde das Recht einräume, auf seine eigenen Kosten Eisenbahnen zu erbauen; sie bekämpfte nur aus Gründen der Zwekmäßigkeit den Bundesstaatsbau. Aus dem Eisenbahngesez von 1852 und demjenigen von 1872 folgt nur, daß der Bund nicht j e d e Eisenbahn durch Bundessubsidien unterstüzen soll. Dagegen wird dadurch das Recht des Bundes, eine Eisenbahn, deren Erstellung im Interesse der Eidgenossenschaft oder eines großen Theiles derselben liegt, kraft Artikel 23 der Bundesverfassung ausnahmsweise zu Subventioniren, nicht im Mindesten geschmälert.

Nach der Bundesverfassung von 1848 und der darauf basirten Bundesgesezgebung gehörten unbestrittenermaßen Flußkorrektiouen und Straßenbauten nicht in den Ressort der Aufgaben des Bundes, und doch ist es, als seinerzeit die Bundesversammlung, gestüzt auf Artikel 21 der Bundesverfassung von 1848, Bundessubsidien von mehreren Millionen für Rhein- und Rhone-Korrektionen, sowie für Erstellung von Alpenstraßen beschloß, keinem einzigen Eidnossen eingefallen, dem Bunde die Berechtigung zum Erlaß eines solchen Beschlusses zu bestreiten, weil Flußkorrektionen und Straßenbauten an und für sich Sache der Kantone, Gemeinden und Privaten sind. In ganz gleicher Weise hat aber der Bund auch das Recht,
eine Eisenbahn, deren Erstellung im Interesse eines großen Theiles der Eidgenossenschaft liegt, kraft Artikel 23 der Bundesverfassung zu Subventioniren. Es kann folglich im Ernste kein *) Blumev, Handbuch des schweizerischen Bundesstaatsrechtes.' Bd. I, Seite 384 ff.

612 Zweifel darüber ,obwalten, daß der Bund b e r e c h t i g t ist, eine Subvention für den Gotthard. zu beschließen, wenn er dies zu thun für angemessen erachtet.

Es kann demnach nur noch d i e Frage aufgeworfen werden, ob für den Bund zureichende Gründe vorhanden seien, von diesem Rechte Gebrauch zu machen, oder ob vielleicht Verhältnisse vorliegen, welche es rathsam erscheinen lassen, von der Subventionirung des Gotthardbahnunternehmens Umgang zu nehmen.

Obwohl der Bundesrath den 13 Kantonen, welche in Verbindung mit den 2 Eisenbahngesellschaften allein die erste, der Schweiz überbundene Subvention für die Gotthardbahn im Betrage von 20 Millionen Franken übernommen hatten, nicht Gelegenheit gab, ihre Ansichten und Wünsche darüber zu äußern, auf welcher Basis nach ihrem Dafürhalten die Rekonstruktion des Unternehmens angestrebt werden sollte, bevor er die internationale Konferenz vom Juni 1877 beschikte, so machte er dennoch den alten Subvenienten die Zumuthung, daß sie allein auch die ganze von der Schweiz zu leistende Nachsubvention von 8 Millionen Franken übernehmen möchten. Nach einer stattgehabten Konferenz wurde von einer engern Kommission eine Repartitionsskala aufgestellt, wonach die ganze Summe auf die alten Subvenienten verlegt wurde. Allein bald mußte sich der Bundesrath überzeugen, daß auf diesem Wege die schweizerischerseits zu leistende Nachsubvention nicht aufgebracht werden könne. Es entwarf daher die Kommission ein neues Repartitionstableau, wonach der Bund Fr. 3,185,000, die 13 Kantone, welche früher schon subventionirt hatten, Fr. 3,315,000 und die Nordost- und Centralbahn Fr. 1,500,000 Nachsubvention zu übernehmen gehabt hätten.

Nordost- und Centralbahn erklärten sich zur Uebernahme der ihnen zugetheilten Raten bereit und ebenso einzelne Kantone; andere Kantone dagegen lehnten die Uebernahme der auf sie verlegten Raten ab, darunter Zürich mit einer Rate von Fr. 800,000. Dadurch mußte auch die Hoffnung dahin fallen, auf Grundlage d i e s e r Repartitionsskala die schweizerische Nachsubventionsrate aufzubringen.

· Soll das Gotthardbahnunternehmen auf Grundlage des Schlußprotokolls der Luzernerkonferenz vom Juni 1877 rekonstruirt werden, so bleibt daher nichts Anderes übrig, als daß der Bund von der schweizerischerseits zu leistenden Nachsubvention von 8 Millionen, an welche
die schweizerische Centralbahn und die schweizerische Nordostbahn bereits 1 1/2 Millionen übernommen, die noch restirenden Betrag bei; Denjenigen Kantonen aufzubringen, welchen die erste Subvention auferlegt worden war, würde offenbar nicht nur nicht.

613 zum Ziele führen, sondern nuzlos die Ausführung des Unternehmens weiter verzögern und dadurch Mehrkosten für Verzinsung und O O möglicherweise den Zusammensturz der Gesellschaft verursachen.

Man hat vielfach behauptet, es sei eine moralische Pflicht der Kautone, welche die Gotthardvereinigung bildeten, auch die Nachtragssubvention ganz oder doch theilweise zu übernehmen; ja es "verstieg sich im Nationalrathe ein Redner, nachdem er ausgeführt, ·die Gotthardvereinigung habe die Verträge abgeschlossen , deßhalb gehen sie den Bund nichts a n , zu.der Aeußerung, es werde sich" für den Fall, daß der Bund nichts gebe, zeigen, ob die Gottbardkantone die Schande des Zusammensturzes des Unternehmens au .sich kommen lassen werden. Untersuchen wir, inwieweit diese Behauptungen und Anklagen wahr sind. Der Staatsvertrag, welcher -.zum Zweke der Erstellung einer Gotthardbahn mit den auswärtigen Staaten im Jahre 1869 eingegangen und von den eidgenössischen ,, Räthen genehmigt worden ist, wurde abgeschlossen nicht von Vertretern der Gottbardkantone, sondern von solchen des Bundes. Der schweizerischen Eidgenossenschaft und nicht den Kantonen wurde die Verpflichtung überbunden, für Vollziehung der Vorschriften des Vertrages, betreffend den Bau der Gotthardbahn, zu sorgen. Dem schweizerischen Bundesrathe wurde der Entscheid über alle Fragen übertragen, welche auf den Bau des großen Tunnels Bezug haben.

Den Gotthardkantonen dagegen wurde jeder maßgebende Einfluß ·auf die Leitung der Gotthardbahnangelegenheiten entzogen. Sie verpflichteten sich einzig , an die in jenem Vertrage der Schweiz überbundene Subvention von 20 Millionen den Betrag von ungefähr 13 Millionen Franken zu übernehmen (die weitern 7 Millionen übernahmen dieNordost bahn und die Central bahn). W e i t e r e Verpflichtungen gingen die Gotthardkantone nicht ein. Obwohl einzelne derselben durch das Wegfallen von, ins ursprüngliche Programm der Gotthardbahn aufgenommenen Zufahrtslinien in ihren Interessen auf das Empfindlichste verlezt wurden -- hatte doch z. B. der Große Rath des Kantons Luzern die ihm zugemuthete große Subventionsquote seiner Zeit nur unter der ausdrüklichen Bedingung übernommen , daß die direkte Zufahrtslinie ImmenseeMeggen-Luzern erstellt werde -- so leisteten dennoch sämmtliche Subventionskantone mit Ausnahme von zwei (Zug und
Tessin) die bisher verfallenen Subventionsraten , und auch diese zwei Kantone werden , ich zweifle keinen Augenblik daran , ihrer Pflicht noch nachkommen; jedenfalls würde der Bundesrath den Finanzausweis der Gesellschaft nicht genehmigen, so lange in dieser Beziehung nicht Gewißheit verschafft wäre. Wo soll nun die Verpflichtung der Gotthardkantone dafür sich finden, daß sie auch die Nachsubvention zu tragen haben , und womit will man den kühnen Saz Bundesblatt. 30. Jahrg. Bd. III.

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614 rechtfertigen, es treffe die ,,Schande" des Zusammensturzes nur die Gotthardkantone und nicht die ganze Schweiz, wenn das großer Unternehmen deßwegen scheitern sollte, weil von der schweizerischerseits zu leistenden Nachsubvention der Betrag von 6 Va Millionen Franken nicht autgebracht werden könnte? Darf man wirklich im Ernste behaupten, daß die 13 Gotthardkantone, welche inVerbindung mit den zwei Eisenbahngesellschaften die ganze erste schweizerische Subvention von 20 Millionen übernommen, damit noch nicht genug gethan haben, während der Bund , wenn er an die Nachsubvention 6 1/2 Millionen Franken übernimmt, von der ganzen an das Gotthardunternehmen schweizerischerseits zu leistenden ersten und zweiten Subvention im Gesammtbetrage von 28 Millionen Franken n i c h t e i n m a l den vierten Theil trägt, und während er bei keinem einzigen öffentlichen Werke, das er bisher unterstüzte, nicht m i n d e s t e n s den vierten Theil übernahm?

Hat etwa die Rheinkorrektion oder die Rhonekorrektion oder dieErstellung einer Alpenstraße für einen größern Theil der SchweizInteresse , als die Gotthardbahn? Und doch hat seiner Zeit jeder Eidgenosse, mochte er im Osten oder Westen oder im Centrum der Schweiz wohnen, es mit Freuden begrüßt, als der Bund seine hülfreiche Hand öffnete, um die großen Werke der Flußkorrektionen und der Alpenstraßenbauten zu ermöglichen. Oder soll der Art. 23 der Bundesverfassung nur für den Osten und Westen, der Schweiz eine Wahrheit sein und nicht auch für das Centrum derselben ? Eine Pflicht der gesammten Eidgenossenschaft und nicht bloß der Gotthardkantone ist es demnach , das große Werk, vor dem Zusammenbruche zu retten.

Die Minderheit der nationalräthlichen Kommission weist in ihrem gedrukten Berichte darauf hin, welch' große Opfer einzelne Kantone im Osten und Westen sich auferlegten, um zu Eisenbahnverbindungen zu gelangen, und fügt die Einladung an die Gotthardkantone bei, daß sie diesem Beispiele folgen mögen. Sie übersieht dabei, daß die Mehrzahl derjenigen Gotthardkantone, welche überhaupt des Vortheils von Eisenbahnverbindungen sich erfreuen,, außer der Betheiligung bei der ersten Gotthardsubvention sich große Opfer gefallen lassen mußten, um sich jenes Verkehrsmittel zu verschaffen. So hat der Kanton Luzern -- ich führe diesen Kanton, beispielsweise hier an, weil
dessen Verhältnisse mir besser bekannt sind, als diejenigen anderer Kantone -- außer der ersten Subvention zu Gunsten der Gotthardbahn im Betrage von Fr. 2,150,000 bei den Bahnen, welche denselben berühren, mit Inbegriff der Gemeindebetheiligung, sich mit einer Summe von 6 Millionen Franken-, betheiligt.

615 Daß das Opfer, welches dem Bunde zugemuthet wird, dessen Kräfte übersteige, wird wohl Niemand im Ernste behaupten. Wenn es auch nicht ein unbeträchtliches genannt werden darf, und wenn auch die Bundesfinanzen nicht gerade eines glänzenden Zustandes sich zu erfreuen haben , wie dieses vor dem Jahre 1874 der Fall war, so ist hinwieder der Finanzstand des Bundes doch nicht ein so trostloser, daß die Leistung der in Aussicht genommenen Subventionsrate, welche auf eine Reihe von Jahren verlegt werden kann,/ sein Budget allzusehr belasten würde.

O Auch ist durchaus unrichtig, daß, wenn der Bund bei der Gotthardsubvention sich betheiligt, die nothwendige Folge davon d i e sei, daß er auch allen nothleidenden Bahnen beispringen müsse.

Vorab liegt auf der Hand, daß die Konsequenz sich auf keine bereits gebaute, im Betriebe befindliehe Eisenbahn erstreken könnte.

Der Bund gibt sein Geld für die Gotthardbahn nicht her, um den Aktionären oder Obligationären eine Rendite zu sichern. Das Konsortium für Beschaffung des noch ausstehenden Obligationenkapitals von 20 Millionen Franken würde es wohl mit Freuden begrüßen, wenn es durch den Zusammenbruch der Gesellschaft von seiner Verpflichtung liberirt würde, und auch die Aktionäre, welche troz der Abrechnung der Zinse noch mehr als Fr. 50 per Aktie einzubezahlen haben, sind keineswegs in einer beneidenswerthen Lage, wenn es gelingt, die Gesellschaft vor dem Sturze zu retten. Vielmehr wird die Bundessubvention einzig und allein zu dem Zweke gegeben, um das Zustandekommen des großen Werkes der Ueberschienung der schweizerischen Alpen zu ermöglichen. Aber auch nicht d i e Konsequenz könnte ein Bundessubventionsbeschluß zu Gunsten des Gotthard haben, daß der Bund nun fürderhin j e d e neu projektirte Eisenbahnlinie Subventioniren müsse, gleichviel von welcher Bedeutung diese sei -- es hat der Bund auch die Erbauung von Alpenstraßen, sowie der Axenstraße subventionirt, und doch ist noch kein Mensch auf den Einfall gekommen, zu behaupten, daß deßwegen fürderhin der Bund bei den Kosten jeder neuen Kantons- oder Hochstraße, sich betheiligen müsse, we ehe etwa in diesem oder jenem Kantone erstellt werde -- sondern nur d i e Konsequenz kann ein diesfälliger Subventionsbeschluß haben, daß, wenn früher oder später eine Eisenbahn gebaut werden will, deren Zustandekommen
für die Eidgenossenschaft oder einen großen Theil derselben ein wenigstens annähernd gleich großes Interesse hat, wie dieses gegenwärtig bei der Gotthardbahn der Fall ist, der Bund an dieselbe eine verhältnismäßig gleich große Subvention zu leisten hat. Dieser Fall kann demnach nur zutreffen bei der Simplonbahn, bei einer ostschweizerischen Alpenbahn, sowie bei der Monte Cenere-

616 Linie; bei der lezten deßhalb, weil es unstreitig für die ganze Schweiz von der größten politischen Bedeutung ist, daß der Sotto-Cenere durch einen direkten Schienenstrang mit dem übrigen Tessin und dadurch auch mit den andern Kantonen in enge Verbindung gebracht wird. D i e s e Konsequenz lassen wir uns gerne gefallen, und es wird uns nur freuen, wenn die Ausführung der einen oder andern dieser Linien durch einen verhältnißmäßig gleich großen Bundesbeitrag, wie bei der Gotthardbahn, früher oder später ermöglicht werden kann.

Es ist daher auch, wir müssen es gestehen, schwer zu begreifen, wie der Gedanke einer Bundessubvention für den Gotthard im Osten und Westen der Schweiz auf so großen Widerstand stoßen kann.

Die Frage der W a h l des Alpenpasses, so lange nur von der Ueberschienung e i n e s solchen die Rede ist,i kann Ogegenwärtig nicht o O >~ mehr in Betracht fallen ; sie ist seit Jahren entschieden, und zwar, wie der Bundesrath in seiner Botschaft nachweist, entschieden nicht durch die Schweiz, sondern durch Italien, welches schließlich seine Subvention von 45 Millionen dem Gotthard zuzuwenden sich entschloß und dadurch zu Gunsten dieses Alpenpasses den Ausschlag gab. Es kann sich daher nur fragen: Haben etwa die Simplonoder eine ostschweizerische Alpenbahn mehr Aussicht auf Reälisirung, wenn für das Gotthardbahnunternehmen die Bundeshülfe versagt und dadurch allfällig der Zusammensturz desselben herbeigeführt werden sollte? Ich vermag dieses nicht einzusehen. Mit der Verweigerung der Bundessubsidie für den Gotthard wäre selbstverständlich auch die Verweigerung aller und jeder Bundesunterstüzung für Ueberschienung jedes andern schweizerischen Alpenpasses ausgesprochen. Glaubt man im Osten und Westen der Schweiz in der That, daß, wenn jezt, wo für die Rettung des Gotthardunternehmens noch 28 Millionen Staatssubventionen nöthig sind, wovon Deutschland und Italien zusammen 20 Millionen übernehmen, dasselbe deßwegen zusammenbrechen würde, weil die Schweiz die von ihr zu leistende Nachsubvention von 8 Millionen Franken nicht aufbringt, auswärtige Staaten fürderhin sich leicht geneigt zeigen werden, für irgend eine andere schweizerische Alpenbahn Subventionen in einem Maße herzugeben, daß deren Ausführung zu Stande kommen könnte?

Und speziell dieSimpIonbahn betreffend, von der vielfach
angenommen wird, daß sie in nicht ferner Zukunft Aussicht auf Reälisirung habe, wird Frankreich noch das gleiche Interesse haben, sie selbst mit den größten Opfern in's Leben zu rufen, wenn die Gotthardbahn für ein und alle Mal zum Falle gebracht wäre?

Ich komme nun zu der Frage, ob, wenn der Bund die ihm zugemuthete Subvention von 6*/2 Millionen Franken übernimmt,

617

alsdann begründete Hoffnung vorhanden ist, daß die Stammlinie Imrnensee-Pino fertig gebaut werden kann, ohne daß aller Wahrscheinlichkeit nach zu deren Vollendung eine abermalige Nachsubvention nöthig werden wird. Die internationale Luzerner Konferenz "berechnete die Kosten der Erstellung dieser Linie auf 228 Millionen Franken, oder nach Abzug von l Million als Netto-Erträgniß der Tessiner Thalbahrien, auf 227 Millionen. Die Direktion der Gotthardbahngesellschaft hinwieder beziffert jene Kosten, obwohl sie als Ertrag der Tessiner Thal bahnen nur Fr. 500,000 in Rechnung bringt, auf Fr. 226,876,000 und bleibt mithin um Fr. 124,000 hinter dem Voranschlage der internationalen Konferenz zurük. Der Bundesrath ermangelte nicht, diesen Kostendevis einer nochmaligen Prüfung durch Experten zu unterstellen ; diese kommen gleichfalls zu einer Gesammtsumme von rund 228 Millionen, wozu allerdings noch 4 Millionen hinzugerechnet werden müssen, weil der Vollendungstermin um ungefähr ein Jahr hinausgeschoben werden muß. Ich bin nicht Techniker und kann mir daher nicht eine selbstständige Beurtheilung der Expertise erlauben. Dagegen glaube ich, mit dem Bundesrathe annehmen zu dürfen, daß es nach all' den gründlichen Untersuchungen bewährter Techniker nicht wahrscheinlich ist, daß abermals erhebliche Ueberschreitungen des Voranschlages sich herausstellen werden. Ich glaube, dies um so eher annehmen zu dürfen, als von Seite des abgetretenen Präsidenten der Gotthardbahndirektion in der Sizung des Nationalrathes öffentlich erklärt wurde, es seien der Gotthardbahndirektion für einen Generalakkord für Erstellung der Linie Immensee-Pino (selbstverständlich ausschließlich des schon in Akkord gegebenen großen Tunnels) verbindliche Offerten gemacht worden, welche nicht nur den Voranschlag der Gotthardbahndirektion vollständig rechtfertigen, sondern theilweise sogar erheblich unter demselben stehen. Darüber aber hat sich die Golthardbahngesellschaft, bevor der Subventionsbeschluß des Bundes rechtskräftig werden kann, binnen einer vom Bundesrathe festzusezenden Frist auszuweisen, daß sie unter Einrechnung von 28 Millionen neuer Subvention die erforderlichen Mittel besize, um Aas Programm der Luzerner Konferenz, resp. des Staats Vertrages vom 12. März 1878, durchzuführen; sie hat sich daher auszuweisen nicht nur über die Saldo -
Einzahlung der Aktien und des bisherigen Obligationenkapitals, sowie die Neubeschaffung von 12 Millionen weiteren Obligationenkapitals, sondern auch über den Besiz von fernem 4 Millionen für Mehrausgaben für Verzinsung, wofern lezterer Betrag nicht beim Generalakkord eingebracht wird. Ebenso tritt der Subventionsbeschluß des Bundes erst in Kraft, wenn die vom Deutschen Reiche und dem Königreich Italien übernommenen Nach-

618 Subventionen von je 10 Millionen Franken fest zugesagt sind und auch für Uebernahme des Restes der schweizerischen Nachsubvention ab Seiten der Nordost- und Centralbahn im Betrage von "iVs Millionen Franken rechtsverbindliche Verpflichtungsscheiue dieser Gesellschaften vorliegen. Werden alle diese Bedingungen erfüllt, so. wird es der Gotthardbahngesellschaft unter der Vorraussezung einer Bundessubvention von 6Va Millionen Franken auch möglich sein, die Stammlinie Immensee-Pino zu vollenden, so daß nicht zu besorgen ist, daß eine abermalige Nachsubveution werde erforderlich werden.

Sollte aber auch der angesichts der vielfachen und einläßlichen Expertisen nicht wahrscheinliche Fall dennoch eintreten, daß die Techniker sich abermals verrechnet und daß der Kostenvoranschlag nochmals überschritten würde, so wäre es gleichwohl im höchsten Grade unwahrscheinlich, daß deßwegen das Unternehmen ohne neuerliche staatliche Hülfe nicht vollendet werden könnte. Allerdings würde das im Unternehmen angelegte Privatkapital in bedauerlicher Weise großen Schaden leiden: das Aktienkapital würde ohne Zweifel verloren gehen und die Obligationäre müßten eine neue Aktiengesellschaft bilden, welche wohl die Beschaffung des zur Vollendung der Linie dannzumal noch benöthigten Obligationenkapilales gelingen würde, weil alsdann die Bauarbeiten jedenfalls in einer Weise vorgerükt wären, daß die bereits erstellten Bauobjekte einen bedeutenden Werth hätten. Auf den Ruinen der alten Gesellschaft würde neues Leben erblühen. Ganz anders verhält es sich dagegen, wenn gegenwärtigö die Subvention verweigert wird und in Folge davon die GesellO O Schaft in den Konkurs geräth. Abgesehen von dem in Angriff genommenen großen Tunnel sind einzig die Linien Biasca-BellinzonaLocarno und Lugano-Chiasso erstellt, welche für dermalen keine Rendite abwerfen. Im Falle des Konkurses der Gesellschaft würden mithin jezt nicht nur das Aktien- und Obligationenkapital vollständig verloren gehen, sondern es wäre im höchsten Grade zweifelhaft, ob dermalen die Bildung einer Gesellschaft gelingen würde, welche die zur Ausführung des Werkes benöthigten Geldmittel beschaffen könnte, selbst wenn die alte und die neue, in Aussicht genommene staatliche Subvention geleistet würde.

Es wurde auch die Einwendung erhoben, selbst nach Eröffnung der durchgehenden
Linie Immeusee-Pino werde die Rentabilität der O Gotthardbahn eine so geringe sein, daß sie zur Verzinsung des Obligationenkapitals nicht hinreichen und daher alsdann der Ausbruch des Konkurses nicht zu vermeiden sein werde. Um die Verzinsung des Obligationeukapitales von 80 Millionen Franken in den

619 ersten Jahren nach Eröffnung der durchgehenden Bahn, in welchen der Verkehr auf derselben der Natur der Sache nach noch nicht zur normalen Entwiklung gelangt sein wird, zu sichern, hat die Gotthardbahndirektion in ihrem Kostenvoranschlage einen Reservefond von circa Fr. 4,520,000 vorgesehen, welcher dazu hinreichen würde, um für den Fall des Bedürfnisses in dem ersten Jahre nach Eröffnung der durchgehenden Bahn an die Verzinsung des Obligationenkapitales 3 °/o desselben, in dein zweiten Jahre 2 % und im dritten Jahre l % beizutragen. Wir haben allerdings keine Gewißheit darüber, ob dieser Ansaz, so hoch er auch erscheinen mag, für einen allfälligen daherigen Ausfall genügen wird. Es wird dies von der Größe der Brutto - Einnahme einerseits und der Betriebskosten andererseits abhangen, und hierüber in Muthmaßungen uns zu ergehen, sind wir nicht gewillt. Allein wenn der bedauerliche Fall eintreten sollte, daß selbst jener hohe Ansaz zur Kompletirung der Verzinsung des Obligationenkapitales nicht ausreicht, und wenn es auch der Gesellschaft nicht gelingen sollte, die nöthigen Mittel zu beschaffen, um ihren Verbindlichkeiten Geniige leisten zu können, so würde allerdings das dem Unternehmen anvertraute Privatkapital leider von großem Schaden getroffen; dagegen könnte auch in diesem Falle für den Bund kein Nachtheil erwachsen. Denn auch der ärgste Schwarzseher wird wohl nicht so weit gehen wollen, im Ernste zu behaupten, daß nach Eröffnung der durchgehenden Linie die Brutto-Einnahmen nicht einmal zur Dekung der Betriebskosten hinreichen werden, während im Jahre 1877 die einer gehörigen Verbindung entbehrenden sogenannten Tessinischen Thalbahnen nur noch ein Betriebsdeflzit von Fr. 230. 93 hatten.

Ich stelle Ihnen demnach den Antrag, daß Sie zu Gunsten des Gotthardbahnunternehmens eine Bundessubvention von 61/2 Millionen Franken beschließen und daher die Ziffer I des bundesräthlichen Antrages annehmen wollen, mit der einzigen Modifikation, daß die Subvention an folgende weitere Bedingung geknüpft werde: ,,Daß die zuständigen Organe der Gotthardbahngesellschaft, der schweizerischen Centralbahngesellsehaft, sowie der schweizerischen Nordostbahngesellschaft, die von ihren Vertretern in der am 6. Oktober 1877 unter dem Vorsiz des schweizerischen Eisenbahndepartements stattgefundenen Konferenz unter
Ratifikationsvorbehalt abgegebenen Erklärungen, betreffend den Eisenbahnbetrieb auf den Linien Immensee-Rothkreuz und Rotbkreuz-Luzern, in endgültiger rechtsverbindlicher Weise genehmigen."

Ich habe nämlich schon oben darauf hingewiesen, daß für denjenigen Theil der schweizerischen Bevölkerung, welcher zu-

620 nächst durch das Wegfallen der direkten Linie Immensee-MeggenLuzern des Empfindlichsten berührt wird, die Verflichtungen von großem Belange sind, welche die Vertreter der erwähnten Gesellschaften unter Ratifikationsvorbehalt eingegangen sind. Es wird mithin am Plaze sein, daß im Subventionsbeschlusse Vorsorge getroffen wird, daß jene nur unter Ratifikationsvorbehalt abgegebenen Erklärungen verbindliche Rechtskraft erhalten.

Des Weitern beantrage ich Ihnen, Sie möchten als Ziffer II des Beschlusses beifügen, daß aus dieser einmaligen Subvention für die schweizerische Eidgenossenschaft keine rechtlichen Verpflichtungen für eine weitere-finanaielle Betheiligung am Gotthardbahnunternehmen erwachsen sollen. Wenn auch dasjenige, was hier gesagt wird, sich eigentlich von selbst versteht, so kann doch möglicherweise eine ausdrükliche diesfällige Erklärung zur Beruhigung dienen und Mißdeutungen vorbeugen.

Es bleibt mir nur noch übrig, über die lezte Ziffer des bundesräthlicben Antrages, die Frage der Volksabstimmung, mich auszuspreehen. Ich halte dafür, da.ß ein ßundesbeschluß für Subventionirung des Gottbardbahnunternehmens der Volksabstimmung nach Maßgabe des Art. 89 der Bundesverfassung unterliege. Der zweite Absaz dieses Artikels lautet: ,,Bundesgeseze, sowie allgemein verbindliehe Bundesbeschlüsse, die nicht dringlicher Natur sind, sollen dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden, wenn es von 30,000 stimmberechtigten Sehweizerbürgern oder von acht Kantonen verlangt wird." Es steht vorab außer allem Zweifel, daß ein Subventionsbeschluß für das Gotthardunternehmen nicht in dem Sinne dringlicher Natur ist, daß er deßwegeu der Volksabstimmung entzogen werden könnte. Es ist ja bekannt, daß das italienische Parlament seine Session geschlossen hat, ohne vorher die Frage der Gotthardbahnsubvention zu behandeln, und daß mithin vor dem Spätherbste ein Subventionsbeschluß des italienischen Parlamentes nicht vorliegen wird. In der Zwischenzeit kann auch eine allfällige Volksabstimmung über die der Schweiz zugemuthete Subvention stattfinden, und es kann daher nicht gesagt werden, daß der Vorbehalt des fakultativen Referendums für den Subventionsbesehluß nothwendig eine unzuläßige Verzögerung der Rekonstruktion des Gotthardunternehmens herbeiführe. Aber eben so wenig wird man im Ernste bestreiten
können, daß ein Subventionsbeschluß im Belange von mehreren Millionen allgemein verbindlicher Natur sei.

Wir wüßten in der That nicht, welcher Bundesbesehluß noch allgemein verbindlich wäre, wenn nicht derjenige, wodurch der Bund mit Millionen belastet wird. Daß die Bundesverfassung das Finanz-

621 referendum nicht zulasse, ist völlig unrichtig ; vielmehr ergibt sich geradezu das Gegenteil aus den Berathungen der eidgenössischen Räthe über die Revision der Bundesverfassung in den Jahren 1871/72 und 1873/74. Dei- Bundesverfassungsentwurf von 1872, wie er schließlich aus den Berathungen beider Räthe hervorging, unterstellte in Art. 85 j e d e n Bundesbeschluß, der nicht dringlicher Natur ist, dem fakultativen Referendum ; es liegt folglich auf der Hand, daß derselbe das fakultative Finanzreferendum einführen wollte.

Bei Anlaß der Berathung der Bundesverfassung von 1874 wollten weder der Bundesrath, noch die nationalräthliche Kommission in dieser Beziehung eine Aenderung des Art. 85 des frühern Entwurfes vornehmen; sie wollten daher auch in der Verfassung von 1874 Finanzbeschlüsse des Bundes keineswegs dem fakultativen Referendum entziehen. Dagegen schlug die Kommission des Ständerathes vor, nicht j e d e n Bundesbeschluß, sondern nur a l l g e m e i n v e r b i n d l i c h e Bundesbeschlüsse, die nicht dringlicher Natur sind, dem fakultativen Referendum zu unterstellen. In der ständeräthlichen Kommission wurde dieser Antrag in der Sizung vom 27. Oktober 1873 vom Präsidenten derselben, Herrn Dr. Blumer, gestellt.

Das gedrukte Protokoll über die Kommissionalverhandlungen sagt darüber wörtlich: ,,Endlich wird beantragt, zur Verdeutlichung, und damit man nicht etwa glaube, es könnten auch Rekursbeschlüsse an die Abstimmung gebracht werden, vor ,,Beschlüsse" einzuschalten : ,,allgemein verbindliche". (Herr Blumer.)" Der Zusaz wurde demnach wesentlich deßwegen beantragt, damit nicht etwa auch Rekursentscheide der eidgenössischen Räthe vor das Referendum gezogen werden können. Die Kommission des Ständerathes stimmte in ihrer Mehrheit dem Antrage bei.

Im Schöße des Nationalrathes wurde in der Sizung vom 9. Dezember 1873 der gleiche Antrag von Herrn Brosi aufgenommen. In der Begründung deutet der Antragsteller laut dem gedrukten Protokolle in keiner Weise darauf hin, daß dadurch Finanzbeschlüsse des Bundes dem fakultativen Referendum entzogen werden sollen; vielmehr führt er eine Reihe von Kantonen a n , in welchen die Volksabstimmung gegen Finanzbeschlüsse, welche einen gewissen Betrag übersteigen, zugelassen ist. Der Nationalrath nahm mit Mehrheit den Antrag des Herrn Brosi an, und ebenso
pflichtete der Ständerath dem bezüglichen Antrage seiner Kommission bei. Daraus ergibt sich zur Evidenz, daß die eidgenössischen Räthe, als sie in Art. 89 vor Bundesbeschlüsse" die Worte ,,allgemein verbindliche" einschalteten, durchaus nicht das fakultative Referendum gegen Finanzbeschlüsse des Bundes ausschließen wollten.

622

'

Ich schließe. Ich habe die Ueberzeugung, daß des Schweizers schöner Wahlspruch : ,, Alle für Einen und Einer für Alle", der schon so Großes in unserm Vaterlande zu Stande gebracht, auch in Zukunft eine Wahrheit verbleiben werde. Ich hege daher die Hoffnung, es werde die Eidgenossenschaft durch ihren Beitrag die Möglichkeit schaffen, das große Werk der Durchbohrung der schweizerischen Alpen zu vollenden !

B e r n , den 16. August 1878.

Die Minderheit der ständeräthlichen Kommission : A. Kopp.

623

# S T #

Bericht der

Mehrheit der ständeräthlichen Kommission über das Gotthardbahnunternehmen.

(Vom 17. August 1878.)

Tit. !

Als die Abhaltung gegenwärtiger außerordentlicher Session zur Behandlung und Erledigung der Gotthardfrage im Juni dieses Jahres von den eidgenössischen Räthen beschlossen wurde, hielt es die von Ihnen gewählte Kommission für angezeigt, sobald die Anträge für die erste Behandlung im Nationalrathe formulirt sein würden, zusammenzutreten, ihre Standpunkte zu sondiren und ihre Berichterstattung so weit möglich vorzubereiten, um die Behandlung der Angelegenheit mit möglichst geringem Zeitverlust zu fördern. Es ergaben sich aus der damaligen Berathung drei verschiedene Standpunkte. Ein Theil der Kommission schloß sich in voller Ausdehnung dem Vorschlage des Bundesrathes an. Ein zweiter Theil wollte dagegen auf diesen Vorschlag nicht eintreten, indem er eine Subventionirung von Eisenbahnen durch den Bund als auf dermaligem Stande der Gesezgebung prinzipiell unzuläßig und überdies im Falle der Gotthardbahn als mit gefährlichen Folgen für die Eidgenossenschaft verbunden erachtete. Eine dritte Fraktion stellte schon damals einen umfassenden Kompromißentwurf auf, welcher in eventueller Abstimmung selbst die Mehrheit der Kommission auf sich vereinigt hatte. Diese drei verschiedenen Standpunkte sind in den drei Fraktionsberichten niedergelegt und des Nähern beleuchtet, von

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Bericht der Minderheit der ständeräthlichen Kommission betreffend das Gotthardbahnunternehmen. (Vom 16. August 1878.)

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Bundesblatt

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In

Foglio federale

Jahr

1878

Année Anno Band

3

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39

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

24.08.1878

Date Data Seite

601-623

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10 010 072

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