690

# S T #

Kreisschreiben des

Bundesrathe an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend Fremdenpolizei.

(Vom 18. April 1878.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Das Polizeidepartement des Kantons St. Gallen und die Polizeidirektion des Kantons Schaffhausen, für sich und im Namen der obersten Polizeibehörden mehrerer Kantone, und die Regierung des Kantons Aargau haben im Juni 1876 und im Mai und Juni 1877 verschiedene Fragen polizeilicher Natur bei uns anhängig gemacht und deren Regulirung vermöge ihres interkantonalen oder internationalen Charakters in unsere Hände gelegt.

Nach reiflicher Prüfung und verschiedenen Vorverhandlungen sind wir , in Anwendung von Art. 102 , Ziff. l , 8 und 10 der Bundesverfassung und zur Vollziehung von Art. 7 des Niederlassungsvertrages mit dem Deutschen Reiche (Amtl. Samml. n. F.

II, 567), heute in. der Lage, jene Fragen wie folgt zu erledigen : I. Die Behörden der Kantone an der deutsch-österreichischen Grenze haben sich wiederholt darüber beschwert, daß fremde Individuen , die in ihre Heimat geführt werden sollen, aus jenen Kantonen , aus denen sie ausgewiesen oder in denen sie aus andern Gründen arretirt worden, oft ohne die nöthigen Legitimationspapiere nach der Grenze transportirt werden, wodurch den Grenzkantonen die Mühe der Beischaffung der Papiere und die Kosten der Verpflegung in ungerechtfertigter Weise aufgebürdet werden.

69:.

Nach Saz 3 von Art. 7 des Niederlassungsvertrages zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche soll eine polizeiliche Zuweisung, sofern das Heimatrecht des Zuzuweisenden nicht durch eine noch gültige unverdächtige Heimaturkunde dargethan ist, gegenseitig nicht stattfinden, bevor die Frage der Uebernahmspflicht erledigt und die leztere von dem pflichtigen Theile ausdrüklich anerkannt ist.

Es versteht sich daher von selbst, daß derjenige Kanton, welcher die polizeiliche Zuweisung anordnen will, d. h. derjenige, welcher einen Deutschen, in Anwendung von Saz l des Art. 7 den erwähnten Niederlassungsvertrages, ausgewiesen hat, oder auf dessen Gebiet ein solcher arretirt worden ist, ohne daß eine gehörige< Heimaturkunde vorliegt, die Korrespondenz mit den heimatlicher Behörden, betreffend die Frage der Uebernahmspflicht, zu führet, und darum auch die inzwischen erlaufenden Verpflegungskosten zu tragen hat, zumal nach Vorschrift von Art. 18 des Bundesgesezen über die Heimatlosigkeit ausländische Vaganten ihrem Heimat S t a a t e zuzuweisen sind, und auch nach allgemeinen polizeilichen Grundsäzen kein Staat oder Kanton die auf seinem Gebiete auf gegriffenen Landstreicher einem andern Staate oder Kanton heimlich zuschieben darf, selbst wenn sie aus diesem Staate oder Kanton gekommen wären. (Ullmer, Praxis, Band I, Nr. 622 und 623, une Band II, Nr. 1225, 1226. 1265, 1266, 1332, 1333 u. a, m.) Du Kosten , welche aus einem vorzeitigen oder unlegitimirten Weitertransport und dadurch veranlaßten Rüktransport entstehen würden, wären daher auch von demjenigen Kanton zu tragen, welcher jenen Transport angeordnet hätte.

II. Auf der andern Seite ist von einer auswärtigen Regierung das Begehren gestellt worden, daß die betreffenden Personen stets mit der nöthigen Kleidung versehen und körperlich reinlich , beziehungsweise gereinigt, übergeben werden. Es wurde hiebei aul Fälle hohen Alters und körperlicher Unreinlichkeit der Transportirten, sowie auf strenge Witterung während des Transportes hingewiesen.

Wir finden dieses Begehren aus Gründen der Humanität und der öffentlichen Gesundheitspflege vollkommen gerechtfertigt, und es führen uns die unter Ziffer I hervorgehobenen Gesichtspunkte zu dem Schlüsse, daß auch in dieser Beziehung derjenige Kanton, das Nöthige zu besorgen habe, welcher den Transport anordnet.
Das Gleiche folgt auch aus dem auf dieses Verhältniß analog anwendbaren Artikel 10 des schweizerisch-deutschen NiederlassungsVertrages, in Verbindung mit dem Bundesgeseze über die Kosten

692 der Verpflegung erkrankter armer Angehöriger anderer Kantone etc.,, vom 22. Juni 1875. (Amtl. Samml. n. F. I, 743.)

III. lieber die Frage, an welche Behörde man sich zu wenden habe, um der Vorschrift von Saz 3, Art. 7 des Niederlassungsvertrages mit dem Deutschen Reiche zu genügen , haben wir zur Zeit nur die Antwort von Seite der Regierung des Großheizogthums B a d e n , welche dahin geht, daß solche Anfragen an die großherzoglichen Bezirksämter, statt an die Gemeinden, zu richten seien.

Wir werden ohne Zweifel bald im Falle sein, Ihnen auch die Behörden bezeichnen zu können, an welche die gleichen Anfragen in den größern deutschen Staaten zu richten sind. Im Allgemeinen mag inzwischen die Regel beobachtet werden, daß sie an die Amts-,.

Kreis- oder Bezirksbehörden zu richten seien, und nicht an die Gemeinden.

IV. Von verschiedenen Seiten ist uns in beschwerender Weise die Mittheilung gemacht worden, daß die deutschen Konsulate in der Schweiz bei Ausstellung provisorischer ,,Reiselegitimationen"oft nicht mit der wünschbaren Umsicht zu Werke gehen und dadurch auch gegen ihren Willen das Vaganten- und Bettlerwesen arbeitsloser Personen begünstigen.

Gemäß § 25 des deutschen Konsulargesezes vom 8. November 1867 und nach der zu diesem Paragraphen gehörigen Erläuterung in der allgemeinen Dienstinstruktion für die Konsuln des Deutschen Reiches, vom 6. Juni 1871, sind die Leztern befugt, Reichsangehörigen , w e l c h e s i c h a l s s o l c h e i n g l a u b h a f t e r Art a u s w e i s e n , auf ihr Gesuch Pässe und somit auch provisorische Reiselegitimationen auszustellen.

Aus einer ziemlichen Anzahl solcher Papiere entnehmen wir, daß sie nach einem übereinstimmenden Formulare zur Legitimation des Inhabers ausgestellt sind, entweder zur Heimreise, oder gültig bis zur Beschaffung eines gehörigen Reisepasses , welcher binnen einer bestimmten Frist beschafft werden muß , und daß die Konsulate jeweilen in die Legitimation einschreiben, auf welche schriftliche Vorlagen oder mündliche Angaben der Inhaber seine Reichsangehörigkeit glaubhaft gemacht habe.

Wir finden nun, daß die kantonalen Polizeibehörden diese Legitimationen leicht zu ihrem Vortheil benuzen könnten, und daß die Nachtheile nur untergeordnet sein dürften. Sobald nämlich der Inhaber gewerbsmäßigem Bettel sich hingibt, oder berufslos herumzieht, oder die Frist zur Heimreise oder zur Beschaffung gehöriger Papiere unbenuzt hat verstreichen lassen, oder wenn er sogar meh-

693

rere solcher Papiere besizt und dazu noch etwa solche auf verschiedene Namen und aus verschiedenen Staaten hat erschwindeln können (alle diese Fälle sind vorgekommen), scheint uns der Saz i von Art. 7 des Niederlassungsvertrags anwendbar und somit entweder die polizeiliche Ausweisung oder eine gerichtliche Bestrafung mit gerichtlicher Ausweisung gerechtfertigt zu sein, und dann wird in den meisten Fällen die konsularische Reiselegitimation als ^unverdächtige Heimaturkunde a im Sinne von Saz 3, Art. 7 des Vertrages benuzt werden können, und zwar jedenfalls weit eher als die Dienst-, Militär- oder Privatzeugnisse etc. , auf welche gestüzt sie ausgestellt worden sind. Dann aber sollten die Gründe dei Ausweisung auf die Reiselegitimati o n geschrieben und diese dem Inhaber belassen oder der Grenzpolizei übergeben , nicht aber zu1 rük behalten werden.

Damit aber diese Maßregel allgemein wirksam werde, sollte sie im ,,Allgemeinen schweizerischen Polizeianzeiger" publizirt sein, ähnlich wie dieses in dem ,,Centralblatt für das Deutsche Reich" geschieht bezüglich von Ausländern, welche, gestüzt auf § 361, Nr. 3 bis 8 , und § 362 des Strafgesezbuehes für das Deutsche Reich (deren Text hienach folgt), aus dem Reichsgebiete ausgewiesen werden. Die bloße Publikation im kantonalen Polizeianzeiger oder Signalementsbuche scheint wegen Mangel an Verbreitung in andern Kantonen nicht zu genügen.

[Jebrigens fügen wir noch bei, daß, ungeachtet wir die gegen die Ausstellung der erwähnten konsularischen Reiselegitimationen erhobenen Bedenken nur in geringem Umfange theilen, indem hiebei auch bei aller Vorsicht doch gewisse Täuschungen vorkommen können, wir gleichwohl Schritte gethan haben, welche die gerügten Inkonvenienzen auf ein Minimum zu beschränken geeignet sein dürften.

Wir benuzen diesen Anlaß, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschuz zu empfehlen.

B e r n , den IS. April 1878.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Dei- B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schiess.

694

Auszug: aus dem

Strafgesezbuch für das Deutsche Reich.

§ 361.

(Redaktion vom 26. Februar 1876.)

Mit Haft wird bestraft: 1)

2) N 3) wer als Landstreicher umherzieht; 4) wer bettelt oder Kinder zum Betteln anleitet oder ausschikt, oder Personen, welche seiner Gewalt und Aufsicht untergeben sind und zu seiner Hausgenossenschaft gehören, vom Betteln abzuhalten unterläßt; 5) wer sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingibt, daß er in einen Zustand geräth, in welchem zu seinem Unterhalte oder zum Unterhalte derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, durch Vermittlung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden muß; 6) eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Auslandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt; 7) wer, wenn er aus öffentlichen Armenmitteln eine Unterstützung empfängt, sich aus Arbeitsscheu weigert, die ihm von der Behörde angewiesene, seinen Kräften angemessene Arbeit zu verrichten ; 8) wer nach Verlust seines bisherigen Unterkommens binnen der ihm von der zuständigen Behörde bestimmten Frist sich kein

69Î anderweitiges Unterkommen verschafft hat und auch nicht nachweisen kann, daß er solches der von ihm angewandter Bemühungen ungeachtet nicht vermocht habe ;

9) § 362.

Die nach Vorschrift des § 361 , Nr. 3 bis 8 , Verurtheilten können zu Arbeiten, welche ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessen sind, innerhalb und, sofern sie von andern freien Arbeitern getrennt gehalten werden , auch außerhalb der Strafanstalt angehalten werden.

Bei der Verurtheilung zur Haft kann zugleich erkannt werden, daß die verurtheilte Person nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde zu überweisen sei. Die Landespolizeibehörde erhält dadurch die Befugniß, die verurtheilte Person entweder bis zu zwei Jahren in ein Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnüzigen Arbeiten zu verwenden. Im Falle des § 361, Nr. 4 , ist dieses jedoch nur dann zuläßig, wenn der Verurtheilte in den lezten drei Jahren wegen dieser Uebertretung mehrmals rechtskräftig verurtheilt worden ist, oder wenn derselbe unter Drohungen oder mit Waffen gebettelt hat.

Ist gegen einen Ausländer auf Ueberweisung an die Landespolizeibehörde erkannt, so kann an Stelle der Unterbringung in ein Arbeitshaus Verweisung aus dem Bundesgebiete eintreten.

CO

Einnahmen der Zollverwaltung in den Jahren 1877 und 1878.



Monate.

,

1877.

1

1878.

1878.

Ep.

Fr.

Ry.

1 224,526 1,148,968 1 324,226 1287,272 1,352,009 1 133,511 1,082,350 1,190.482 1, 286^147 1,573,639 1,548,880 1 1,576,208

84 57 25 55 53 39 21 81 79 12 21 53

1,181,014 1,162,420 1,381,023 1,295,122

07 76 66 54

Total Fr. ['15,728,223

80

·

Januar Februar Marii April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember

,

Fr.

auf Ende April ' 4,984,994 li

Mehreinnahme. 1 Mindereinnahme.

i Fr.

Fr.

Jtp.

ßp.

43,512 13,452 56,797 7,849

19 19 99

.

!

Ì 21 5,019,580 u

77

l 1 i

81

34,5£6

60

i i i "l j l

1

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Kreisschreiben des Bundesrathe an sämmtliche eidgenössische Stände, betreffend Fremdenpolizei. (Vom 18. April 1878.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1878

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

21

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

04.05.1878

Date Data Seite

690-696

Page Pagina Ref. No

10 009 944

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.