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Nachtragsbericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Begnadigungsgesuch von sechs Verurteilten wegen des Aufruhrs in Steinen.

(Jimisession 1945.)

(Vom 18. Mai 1945.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

"Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten über das nachstehende gemeinsame Begnadigungsgesuch Bericht zu erstatten und über seine Erledigung Antrag zu stellen:

(Gewalt und Drohung gegen Beamte, Freiheitsberaubung.)

Das Bundesstrafgericht hat in der Hauptverhändlung vom 11.---18. Dezember 1944 in Luzern über den A u f r u h r in Steinen vom 22. September 1942 geurteilt. Die 18 Angeklagten sind alle der Gewalt und Drohung gegen Beamte (Art. 285, Ziff. l und 2, StGB) und, mit einer Ausnahme, der Freiheitsberaubung (Art. 182, Ziff. l, StGB) schuldig erklärt worden. Die Strafen lauten auf Gefängnis von 3 Wochen bis zu 6 Monaten; in 6 Fällen bestehen unbedingte, in 12 Fällen bedingt zu vollziehende Strafen, mit 3 Jahren, in einem Fall mit 5 Jahren Probezeit. Über den Verlauf und den Abschluss des Bundesstrafverfahrens hat der Bundesrat bereits im Geschäftsbericht für 1944, S. 183, Bericht erstattet. Die Mitteilung der vollständigen Urteilsausfertigung erfolgte am 20. Februar 1945 (vgl. über einen Teil der Bechtserörterungen BGE 70, IV, 213 ff.), diejenige der Bechtskraftbescheinigung am 23. März. Das Justizdepartement des Kantons Schwyz erhielt hiervon jeweils unverzüglich Kenntnis. Das Ersuchen um Anordnung des Strafvollzuges erging am 3. April, und mit Protokollauszug vom 16. April teilte der

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Begierungsrat des Kantons Schwyz die Vollzugsanordnung mit. Die Folgewar das von einem Rechtsanwalt für die sechs unbedingt Verurteilten gemeinsam eingereichte Begnadigungsgesuch vom 28. April.

L Den Feststellungen des Bundesstrafgerichtes entnehmen wir, dass in der kriegswirtschaftlichen Untersuchung gegen den Samstags, den 19. SepUntersuchungsbeamten eine am Dienstag, den 22. September, in der Maisund Futtermühle und in der Sennerei des Beschuldigten in Steinen durchzuführende Betriebskontrolle angeordnet hatten. Die Verhaftung Nufersjeweilen an, es handle sich um einen unbedeutenden Schwarzhandel, ferner streute er aus, die Schwyzer Polizei habe sie angelogen und Nufer nicht nur nach Schwyz verbracht, sondern nach Aarau überführt. Einer der ersten, die sich erkundigten, war Christen, der deshalb besonders Grund hatte, sich um die Vorgänge zu kümmern, weil auch gegen ihn ein kriegswirtschaftliches.

Strafverfahren lief. Schon am Samstag abend fragte Christen an, ob Nufer entlassen sei, und auf die Verneinung bemerkte er, man sollte etwas gegen die Verhaftung vornehmen. Sonntags, den 20. September, war die Verhaftung Dorfgespräch. Marty erfuhr von Nufer, Sohn, die Verhaftung sei wegen Schwarzhandels erfolgt. Christen und andere waren bereits am Sonntag abend der Meinung, falls eine Betriebskontrolle durchgeführt werden sollte, müssedagegen aufgetreten werden und seien die Beamten zurückzuhalten, um die Freilassung zu erwirken. Christen war der Urheberdieses Planes und der hauptsächlichste Werber dafür. Am Montag nachmittag besprachen sich Christen, Nufer, Sohn, und Fries über die Erwirkung der Freigabe Nufers. Gleichen Tags verlangte Nufer, Sohn, von dem die Mühleschliessenden Schwyzer Beamten Lacher unter heftigsten Ausfällen die Freigabe, was Lacher veranlasste, den Gemeindeschreiber, einen Bezirksrat und den Präsidenten der Bauern Vereinigung Steinen aufzusuchen und sie aufzuklären, damit sie mit ihrem Einfluss die Bevölkerung vor unüberlegten Schritten abhielten. Durch Lacher erfuhr Nufer, Sohn, die Betriebskontrolle werde möglicherweise schon am Dienstag erfolgen. Damit waren amtlich beauftragt: Dr. Walther, Inspektor der Cibaria, Inspektor Ehyner von derSektion Milch und Milchprodukte des Kriegs-Ernährungs-Amtes, und Stählin, Angestellter der kriegswirtschaftlichen Zentralstelle Schwyz. Sie
trafen: Dienstags um 12.52 Uhr in der Bahnstation Steinen ein, wurden befehlsgemäss vom Ortspolizisten Dalpan abgeholt und zur Mühle begleitet. Vormittags war Nufer, Vater, noch veranlasst worden, seine Söhne aufzufordern, den Kontrolleuren keine Schwierigkeiten in den Weg zu legen, was Nufer seiner Ehefrau telephonierte und diese dem Sohne Josef ausrichtete.

In Steinen kam es am Dienstag vormittag zu einer Keihe von Vorgängen: Marty, der sich schon morgens beim Chauffeur Nufers nach der Kontrolle erkundigt hatte, begab sich kurz nach 10.00 Uhr zu Josef Nufer, der ihm und andern, so Christen und Tischmacher Schuler, mitteilte, die Kontrolleure

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kämen nachmittags, der Vater wünsche, dass man sie nicht hindere, jedoch "werde er selbst die Kontrolle nicht zulassen, solange der Vater in Haft sei, Marty erwiderte, er werde hierzu Leute aufbieten, was er dann ausgiebig besorgte. Nufer wusste, dass es zu einer Zusammenrottung kommen werde, und war damit einverstanden. In einem Gespräch um 12.00 Uhr, boi dem u.a.

wiederum Tischmacher Schuler dabei war, wurde erwogen, wie man den Leuten die Ankunft der Kontrolleure melden könne, wobei vom Glockenläuten die Bede war, was Marty aufgriff und den hernach von ihm Aufgebotenen bekanntgab. An diesen Vorbereitungen nahm auch Christen teil, der zu Nufer sagte, wenn die Beamten kämen, gebe es einen Aufmarsch, die Bestandesaufnahme werde verhindert, bis Nufer, Vater, in Steinen sei, und er werde die Bevölkerung davon in Kenntnis setzen. Durch zwei Telephonanrufe, den einen von Christen, wurde um die Mittagszeit Wiget aufgeboten. Er solle die Leute vom obern Bergteil benachrichtigen; die Ankunft der Kontrolleure werde mit der Stauffacherglocko bekanntgemacht. Wiget sagte sofort zu. Dieselbe Aufforderung selbst bot andere teils telephonisch, teils persönlich, teils durch Zettel auf.

Schuler, der von Christen wusste, was geplant war, forderte ebenfalls zum Mitmachen auf.

Von der Bahnstation her trafen die Kontrolleure um 18.05 Uhr bei der Untermühle ein. Unterwegs hatte man sie gesehen und dies weitergemeldet.

Vater zu Hause sei. Seine Weigerung war der Gruppe das Signal, mit dem Kampfruf «harus» einzugreifen. Die Zusammenrottung nahm ihren Anfang. Die Aufrührer, die nach und nach Zuzug erhielten, umringten, bedrängten und beschimpften die Beamten. Der in der Folge mitverurteilte Pries erklärte, heute gelte Faustrecht in Steinen. Nufer, dem es nur um die Verhinderung der Bestandesaufnahme zu tun war, mahnte jetzt vergeblich ab. Fries antwortete, das sei Sache der ganzen Gemeinde. Auch Tischmacher Schuler mischte sich schimpfend ein und um seinen Äusserungen Nachdruck zu geben, entriss er Stählin die Mappe. Christen schmähte, beschimpfte die Beamten erregt und hetzte gegen sie.

Dieser ersten Einmischung folgte der unfreiwillige Gang der Beamten zum Chalet Nufer, das Handgemenge um die mit Gewalt eingestossene Haustür, die gewaltsame Verbringung Ehyners ins Freie, das Schutzsuchen der andern im Bureau. Polizeimann Dalpan (der die «Katastrophe kommen sah und befürchtete, dass die Beamten erschlagen» wurden), begab sich weg, um Verstärkung zu holen. Ehyner wurde von der zusehends grösser und erregter werdenden Menge im Begen gefangengehalten, geschupft, bedroht und beschimpft. Um diese Zeit erschien Wiget auf dem Platz. Zwischen 18.15 und 13.45 Uhr wurde zweimal die Stauffacherglocke geläutet. Um 14.00 Uhr drückten die Aufrührer die Bureautür ein, ein halbes Dutzend stürmten ins

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Bureau, Dr. Walther wurde gepackt, ins Treppenhaus geschleppt, hinuntergetragen und auf den Treppenabsatz gestellt, wo er einen Stoss erhielt und auf dem Vorplatz zu Boden kam; er war einen Augenblick seiner Sinne beraubt und fühlte einen stechenden Schmerz im linken Bein. Als Stählin die Bureautür krachen hörte, sprang er von der Fensterbrüstung in den Garten, um den Aufrührern zu entgehen, wurde aber von Arnold Schüler angefasst, aufgerichtet und von anderen zu Rhyner gestellt. Um 14.00 Uhr telephonierte Fries an Lacher und forderte in grosser Erregung die Freilassung Nufers, ansonst es Tote gebe. Auch Dr. Walther telephonierte mehrmals an Lacher, den er um 14.80 Uhr um einen Arzt bat. Die Menge wuchs schliesslich auf zweihundert oder mehr Personen an. Von ihr umringt, waren Bhyner und Stählin im Begen gefangen und mussten Beschimpfungen, Drohungen und Tätlichkeiten über sich ergehen lassen. Christen sprach zur Menge, Marty belästigte vornehmlich Stählin, und seine Erregung steigerte sieh in einen Wutzustand, in dem er sich geradezu heiser schrie; Tischraacher Schuler tat sich durch Schimpf- und Hetzreden als Wortführer hervor. Nach 14.80 Uhr erschien der Gemeindepräsident und mahnte zur Buhe. Trotzdem wurden später die drei Beamten im Freien photographier t, wozu man Dr. Walther gegen seinen Willen wieder hinausgeführt hatte. Etwas nach 15.00 Uhr trafen die Begierungsräte Knüsel und Bürgi ein. Aber auch ihre Beschwichtigungsversuchenützten vorerst nichts; sie redeten «an eine Mauer». Um 15.30 Uhr erschien Bezirksarzt Dr. Holdener, dem es nach langem Verhandeln endlich gelang, den verletzten Dr. Walther wegzuführen. Inzwischen war es 17.00 Uhr geworden, die Menge wurde kleiner und bestand noch aus etwa 80 Mann. Der Freilassung Bhyners und Stählins widersetzte sie sich nach wie vor, namentlich Wiget, Marty und Tischmacher Schuler erklärten dies immer wieder. Der Umsclrwung trat erst ein, als Frau Nufer-Ulrich auf Anraten von Begierungsrat Bürgi zur Menge sprach. Letzten Endes schloss Wiget, als Wortführer, mit Begierungsrat Bürgi einen Kompromiss ; dieser sicherte zu, sich dafür einzusetzen, dass die Bestandesaufnahme hinausgeschoben werde, bis Nufer dabei sein könne, dafür solle die Menge die Beamten freilassen und auseinandergehen, was geschah. Aber noch tags darauf, am Mittwoch, den 28. September
1942, leisteten die Angehörigen der Familie Nufer den Vorladungen nach Schwyz zunächst keine Folge, fanden in Steinen erneute Ansammlungen statt und war die Lage durchaus kritisch. Am 24. September nahm dann die Kantonsregierung mit dem Bundesrat durch eine Abordnung Fühlung auf, und es folgten die bekannten Beschlüsse und die Truppenverlegung zum Ordnungsdienst.

II. Im Begnadigungsweg wird für die zu unbedingten Gefängnisstrafen Verurteilten der gänzliche oder teilweise Erlass der nach Anrechnung der Untersuchungshaft -verbleibenden Freiheitsstrafen, allenfalls der bedingte Strafvollzug nachgesucht. Es wurden verurteilt: Christen zu 5 Monaten Gefängnis, unter Anrechnung von 12 Tagen Untersuchungshaft, Marty zu 3 Monaten Gefängnis, mit 12 Tagen Untersuchungshaft, Nufer zu 3 Monaten

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Gefängnis, mit 12 Tagen Untersuchungshaft, Wiget zu 3 Monaten Gefängnis, mit 39 Tagen Untersuchungshaft. Die G e s u c h s b e g r ü n d u n g beginnt mit einem allgemeinen Teil (S. 2--6, auch S.12), dem vorangestellt wird, die sämtlichen Beteiligten hätten längst eingesehen, gefehlt zu haben und dass ihnen ihr Freiheitssinn und ihr hitziges Steiner Blut einen Streich gespielt habe, den sie aufrichtig bereuten. Ihr Handeln sei in Unkenntnis der wirklichen Verfehlungen Nufers erfolgt, auf Grund ihrer Bagatellisierung, aus Anhänglichkeit gegenüber dem beliebten, stets hilfsbereiten Mitbürger. In dem nach ihrer Überzeugung zu schroffen, das Volksempfinden verletzenden Vorgehen, in der Verhaftung und Abführung in ein ausserkantonales Gefängnis um einer Kleinigkeit willen, in der Mühlenschliessung, in der Kontrolle durch die «fremden» Inspektoren in Abwesenheit Nufers, hätten sie eine Verletzung ihrer Freiheiten erblickt, so dass sich ihrer eine gewaltige Erregung bemächtigte.

All das durchgemachte Bittere bedeute einen Denkzettel für ihren Lebtag, so die hochnotpeinlichen Verhöre durch die «fremden» Untersuchungsrichter, die Untersuchungshaft, die über eine Woche dauernden Gerichtsverhandlungen, das lange Hangen und Bangen, die vielen Kosten und Entschädigungen, Bei den drei Landwirten wird besonders ihre Mehrleistung über die Anbaupflicht hinaus betont, unter Hervorhebung der behördlichen Dankesurkunden, was in den Gerichtsverhandlungen unerwähnt gebheben sei. All dies lege Zeugnis ab von der opferbereiten Einstellung und vaterländischen Gesinnung dieser Bauern, die alles andere seien als staatsgefährliche Elemente. Unter dem Einfluss der Massenpsychose sei der damalige Ablauf der Dinge über die Absichten der an ihrer Vorbereitung massgebend Beteiligten hinausgegangen, und die Vorbereitung selbst sei Affekthandlung gewesen. --- Diesem allgemeinen Teil folgen die besonderen Gesuchsanbringen, auf die wir in der Stellungnahme zu den einzelnen Verurteilten eintreten werden.

Der Gemeinderat Steinen empfiehlt am 1. Mai das Begnadigungsgesuch angelegentlichst. Er hebt hervor, dass es sich bei den Bestraften um sehr gut beleumdete Personen handle; die Einzelnen werden in kurzen Ausführungen nach Lebenslauf und Leumund geschildert.

Das Bundesstrafgericht schreibt auf Anfrage hin am 3. Mai, dass es kein
Gewicht darauf lege, sich zum Begnadigungsgesuch zu äussern.

Zuhanden des Bundesrates ist überdies am 8. Mai ein Gesuch vom 1. Mai um Aufschiebung des Strafvollzuges eingelangt, dag auf das Begnadigungsgesuch Bezug nimmt und den Strafvollzug im Sommer oder Herbst als für die Landwirte abträglich bezeichnet; dem Gesuch um Vollzugsaufschiebung ist bis zum Beschluss der Bundesversammlung über das Begnadigungsgesuch entsprochen worden.

Mit Schreiben vom 8,, eingelangt den 9. Mai, berichtet schliesslich das Justizdepartement des Kantons Schwyz, der Eegierungsrat würde es in Würdigung aller Verhältnisse einhellig begrüssen, wenn dem Begnadigungsgesuch

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entsprochen werden könnte, namentlich empfehle er die bedingte Begnadigung.

Ein Begnadigungsakt werde im ganzen Kanton versöhnend wirken und umgekehrt die Durchführung des Strafvollzuges böses Blut machen.

III. Der Bundesrat beantragt der Bundesversammlung als Begnadigunggbehörde in allen sechs Fällen die gänzliche Gesuchsabweisung. Von vorneherein lehnen wir den Erlass oder die Kürzung der Gefängnisstrafen ab. Das Bundesstrafgericht hat bei der Strafzumessung (Urteil, S. 44/45) allgemein als erschwerend in Betracht gezogen, «dass die Tat zu einer Zeit begangen worden ist, da Unruhen im Innern vom Ausland als ein Zeichen der Schwäche der Landesbehörden und des Volkes ausgelegt werden konnten und ihm als .Anreiz oder Vorwand zu einer entsprechenden, der Schweiz nachteiligen Stellungnahme hätten dienen können. Dieses auch für den einfachen Bürger ohne weiteres erkennbare besondere Interesse an der Wahrung von Euhe und Ordnung im Innern haben die Angeklagten missachtet. Sie mussten sich auch sagen, zu welchen Folgen es führen würde, wenn andere durch die kriegswirtschaftlichen Massnahmen ebenfalls empfindlich betroffene Volkskreise sich durch dieses Beispiel zu ähnlichen Ausschreitungen verleiten Hessen. Auch sonst ist der Aufruhr von Steinen nicht von untergeordneter Bedeutung. Das ·ergibt sich nicht nur aus dem, was an Ort und Stelle vorgefallen ist (Misshandlung und Verletzung der Beamten, Hartnäckigkeit der Aufrührer gegenüber dem Arzt und den zur Buhe mahnenden Behörden), sondern auch aus der gereizten Stimmung, die noch am folgenden Tage in Steinen bestand, und daraus, dass die Eegierung von Schwyz ihre eigenen Machtmittel nicht für unbedingt genügend gehalten hat, die Euhe wiederherzustellen, sondern vorsorglicherweise Truppen benötigt hat». Das Bundesstrafgericht hat, bis zu ·einem gewissen Grade, auch allgemeine Strafminderungsgründe berücksichtigt, nämlich «dass die allgemeine Mißstimmung in Steinen gegen die wirtschaftlichen Massnahnien des Bundes, die sich bei diesem Anlass Luft machte, kaum einen solchen Grad erreicht hätte, wenn sie nicht durch die unverantwortliche Schreibweise einer bereits genannten Zeitung (nämlich der Innerschweizer Eauern-Zeitung; vgl. Urteil, S. 9) geschürt worden wäre. Christen als Urheber des Aufruhrs hat sich geradezu einen Vorfall zum Vorbild genommen,
der sich unter dem Emfluss.dieses Blattes abgespielt hatte. Allen Angeklagten kommt ferner zugute, dass sie sich seit der Tat, die mehr als zwei Jahre zurückliegt, nichts mehr haben zuschulden kommen lassen und dass der Schaden der Beamten, wenn auch vorläufig nicht aus Mitteln der Angeklagten, gedeckt worden ist». Eingehend hat sich das Bundesstrafgericht mit der Frage des bedingten Strafvollzuges befasst (Urteil, S. 58/59): «Gewalt und Drohung :gegen Beamte gehört zu den Vergehen, für welche gemäss Art. 7, Ziff. 2, des Bundesiatsbeschlusses vom 4. August 1942 über Straf- und Verfahrensbestimmungen zum Schutze der Landesverteidigung und der Sicherheit der Eidgenossenschaft der Vollzug einer Freiheitsstrafe ausnahmsweise aufgeschoben werden kann, wenn sowohl Vorleben und Charakter des Verurteilten ·als auch die Umstände der Tat erwarten lassen, dass er durch diese Massnahme

649 von weitern Verbrechen oder Vergehen abgehalten werde. Der Erlass folgt damit dem Grundsatz der Generalprävention, Er will für die von ihm umfassten Vergehen und Verbrechen aus Gründen der Staatssicherheit in den gegenwärtigen ausserprdcntlichen Zeiten eine Abschwächung der Strafsanktion durch Gewährung des Strafaufschubs nicht schon zulassen, wenn die oben umschriebenen, dem Art. 41, Ziff. l, Abs. 2, StGB entsprechenden allgemeinen Voraussetzungen dafür gegeben wären. Zu dieser günstigen Voraussage müssen vielmehr noch besondere Gründe, treten, um den bedingten Strafvollzug als Ausnahme zu rechtfertigen (BGE 70, IV, 1). Solcho können jedenfalls den Angeklagten nicht zugebilligt werden, die ruhigen Blutes den Anstoss zur Zusammenrottung gegeben und diese in erheblicher Weise vorbereitet haben.

Entscheidung einen M i t t e l w e g gegangen, im Vergleich, zu den durchaus vertretbaren Anträgen der Bundesanwaltschaft (Urteil, S. 33), die im Strafmass höher und bei allen 18 Angeklagten auf unbedingte Strafen lauteten und den Anträgen der Verteidigung, die zumeist Freisprechung, jedenfalls aber den bedington Strafvollzug beantragt hatte (Urteil, S. 33/34). Das Urteil ist als ausgesprochen mild zu bezeichnen; denn der ganz üble Verlauf des planmässig vorbereiteten Aufruhrs war so, die Gesamtumstände der Straftatbegehung waren so, dass der wirksame Schutz des Landes und die im strafrechtlichen Staatsschutz vorherrschenden Gründe der Generalprävention es sehr wohl zugelassen hätten, allen schuldig Befundenen dori bedingten Strafvollzug zu versagen. Mit Nachdruck ist daher dem Bundesstrafgcricht beizupflichten und auch im Begnadigungsweg daran festzuhalten, dass jedenfalls bei den heutigen Gesuchstollern keine besonderen Gründe bestehen, .um den nur ausnahmsweise zulässigen bedingten Strafvollzug nachträglich doch noch durch die bedingte Begnadigung zu erlangen. Diese eigentliche Korrektur des bundesgorichtlichen Urteils lehnen wir unserseits aus unmissverständlichen Konsequenzgründen deutlich ab. Begreiflicherweise ist es ausgeschlossen, in diesem notgedrungen gedrängten Bericht zum Aufruhr in Steinen iimfassend Stellung zu beziehen. Hierzu war die Hauptverhandlung vor dem Bundesstrafgericht der Ort, und sowohl die Anklage als auch die Verteidigung sind demgemäss ausgiebig zu Worte gekommen. Einem
deutlichen Vorwurf an die Adresse der Wortführer zum Aufruhr, der Initianten, Rädelsführer und heutigen Gesuchsteller geben wir immerhin Ausdruck, dass nämlich niemand wirklich ernsthaft bemüht war, sich rechtzeitig und zuständigen Orts über den wirklichen Sachverhalt zu erkundigen. Dabei vermutete die Bevölkerung von Anfang an Schwarzhandel oder wusste sogar darum, ferner war man am Montag in Steinen auch amtlich davon in Kenntnis gesetzt. Die rechtmässige Verhaftung Nufers war bei den kriegswirtschaftlichen Verfehlungen von grossem Ausmass unerlässlich, und die widerrechtliche Selbsthilfe in Steinen aus behördenfoindlicher Haltung macht in Wirklichkeit den Schworpunkt des ganzen Aufruhrs aus und ist das ihn kennzeichnende, bedauerliche Merkmal. Es ist Bundeüblatt. 97. Jahrg. Bd. I.

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so, wie ein Zeuge gesagt hat: «Die Steiner haben sich für eine schlechte Sache eingesetzt», was die Bundesanwaltschaft in der Haupt Verhandlung dahin ergänzte : « Sie haben sich für eine schlechte Sache schlecht eingesetzt.» Dies aber gilt nach wie vor, und ein Gnadenakt wäre unseresErachtens keineswegs der angemessene" Abschluss dieses bedeutsamen Bundesstrafverfahrens.

Nach diesen allgemeinen Erwägungen treten wir in Kürze auf die einzelnen Gesuchsanbringen ein: 1. Christen, 5 Monate Gefängnis, 22 Tage Untersuchungshaft (Urteil, S. 45/46, Gesuch, S. 18). Das Gesuch bezeichnet den heute 70jährigen namentlich als überarbeiteten, überreizten, körperlich leidenden Mann, dem sein Herz mit dem Verstand durchgegangen sei, als er von der nach seiner Überzeugung willkürlichen Verhaftung Kunde erhielt. An irgendwelcher Tätlichkeit sei Christen nicht beteiligt. Dass er seinem Ärger Luft machte, sei menschlich.

Der Strafvollzug gefährde bei ihm Gesundheit und Leben.

Unsern Abweisungsantrag begründen wir mit den Urteilserwägungen -- auf die wir bei allen Verurteilten und heutigen Gesuchstellern ausdrücklich Bezug nehmen. Christen hat in der ganzen Aufruhrsache die Initiative ergriffen, die Zusammenrottung massgebend vorbereitet und sich beim Aufruhr und tags darauf selbst stark hervorgetan. In Voruntersuchung und Hauptverhandlung hat er sich von den andern dadurch abgehoben, dass er beharrlich leugnete und weder Einsicht noch Eeue zeigte. Die allfällig nötige, ärztliche Betreuung kann ihm auch im Strafvollzug zuteil werden.

2. Marty, 8 Monate Gefängnis, 12 Tage Untersuchungshaft (Urteil 8. 50, Gesuch, S. 7). Von Marty schreibt das Gesuch, er sei als Bergbauer (Pächter) mit 4 Kindern in bedürftigen Verhältnissen. Beim Fräsen habe er vor Jahren die rechte Hand verloren, was sein Fortkommen erschwere.

Hinsichtlich freiwilligen Mehranbaues stehe er an der Spitze von ganz Steinen.

Nufer sei er besonders verbunden. Er sei sanguinisch-cholerischen Charakters.

Wir beantragen Abweisung. Marty hat die Hauptarbeit geleistet, um andere aufzubieten. Am Tatort hat er im Schreien alle übertroffen, die Beamten geschmäht, bedroht und tätlich angegriffen. Den vermittelnden Bemühungen der Amtspersonen widersetzte er sich bis zuletzt. Den im Gesuch betonten, persönlichen Verhältnissen hat das Bundesstrafgericht ausdrücklich
Eechnung getragen.

3. Nufer, 8 Monate Gefängnis, 87 Tage Untersuchungshaft (Urteil, S. 51/52, Gesuch, S. 15). Das Gesuch würdigt das Verhalten Nufers als das eines normal fühlenden Sohnes.

Wir beantragen Abweisung. Als Mitinitiant zum Aufruhr ist Nufer schwer belastet. Dabei hat er im wesentlichen aus selbstsüchtigen Motiven gehandelt. Die Leute versetzte er wider besseres Wissen in den Glauben, sein Vater sei wegen Geringfügigkeiten verhaftet worden. Soweit Strafminderungsgründe bestehen, nennt sie bereits das Urteil.

651 (Urteil, S. 53/54, Gesuch, S. 8). Das Gesuch betont die geringere Beteiligung vor und bei der Zusammenrottung und äussert sich namentlich zum kränklichen Zustand Schulers. Ferner wird auf seine Verdienste um die Gemeinde verwiesen.

dass er auf diese Weise seinem Unwillen über kriegswirtschaftliche Massnahmen freien Lauf liess. Die Urteilserwägungen berücksichtigen bereits, dass er als kränklicher Mann Nachsicht verdiene, was in der geringen Strafe zum Ausdruck kommt. Die allfällig nötige, ärztliche Betreuung kann ihm auch im Strafvollzug zuteil werden.

8 Monate Gefängnis, 12 Tage Untersuchungshaft (Urteil, S. 54/55, Gesuch, S. 11). Nach dem Gesuch wäre dem währschaften «Tischmacher», der aus Sympathie zum Nachbar Nufer mitgemacht habe, ein passives Beiseitestehen geradezu feig erschienen. Im Eeden und Handeln am Tatort sei sein draufgängerisches Wesen zum Ausdruck gekommen. Er sei zuckerkrank, und der Strafvollzug gefährde seine Gesundheit.

und Vorbereitung des Aufruhrs erheblich beteiligt und eine Hauptrolle gespielt.

Er wusste, dass Nufer, Vater, die Betriebskontrolle nicht gehindert haben wollte. Am Tatort griff er mit den ersten ein und entriss Stänlin die Mappe.

Mit Christen übte er die erste Gewalt aus und tat sich durch Hetzen und Schimpfen stark hervor. Erschwerend ist, dass er zu den Letzten gehörte, die auf der Freilassung Nufers beharrten. Am Tag nach dem Aufruhr rottete er eich mit Christen, Wiget und andern erneut zusammen. Die allfällig nötige, ärztliche Betreuung kann ibrn auch im Strafvollzug zuteil werden.

6. Wiget, 8 Monate Gefängnis, 89 Tage Untersuchungshaft (Urteil, S. 56/57, Gesuch, S. 9---11). Das Gesuch nennt Wiget einen Bergbauern mit urwüchsigen Freiheitsinstinkten, aufgeweckt, angriffig, unternehmungslustig und voll Tatkraft. Erst später am Tatort erschienen, habe er im Laufe der Aktion vermittelnd eingegriffen.

Wir beantragen Abweisung. Wiget hat beim Aufruhr eine leitende Rolle gespielt, und ohne seine Beharrlichkeit hätten die Bemühungen der Behördemitglieder eher Erfolg gehabt. Er war auf dem Platz der eigentliche «Bauernanführer», der den Regierungsräten die Forderungen der Menge bekanntgab, und diese folgte dem Redegewandten, der sich in seiner Rolle gefiel.

Auch bei den Ansammlungen tags darauf war Wiget der hauptsächlichste Wortführer, der als gefährlich
galt.

Z u s a m m e n f a s s e n d halten wir dafür, die Einreichung des gemeinsamen Begnadigungsgesuches wäre besser unterblieben. Das Gesuch bezweckt neuerdings die Durchsetzung des eigenen Willens gegenüber der Staatsautorität.

652 Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 18. Mai 1945.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Ed. v. Steiger.

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Der Bundeskanzler:

Leimgruber.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Nachtragsbericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Begnadigungsgesuch von sechs Verurteilten wegen des Aufruhrs in Steinen. (Junisession 1945.) (Vom 18. Mai 1945.)

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