1 8

8

N o

4

# S T #

1

Bundesblatt 93. Jahrgang.

# S T #

4140

Bern, den 12. Juni 1941.

Band I.

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Initiativbegehren für die Reorganisation des Nationalrates.

(Vom 27. Mai 1941.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Sie haben uns am 28. März 1941 das Initiativbegehren des schweizerischen Landesrings der Unabhängigen zur Neuordnung des Nationalrates übermittelt, mit der Einladung, Ihnen materiell hierüber Bericht zu erstatten. Wir kommen dieser Aufforderung hiermit nach.

Die Volksinitiative bezweckt die Eevision der Art. 72, Abs. l, und Art. 73 der Bundesverfassung, sowie die Ergänzung von Art. 75 durch zwei neue Absätze und die Einfügung von Übergangsbestimmungen. Sie bezieht" sich auf folgende Punkte: 1.Erhöhung der Vertretungszahl; 2. Verbot der offiziellen Kumulierung einzelner Kandidaten; 3. Begrenzung der Amtsdauer; 4. Bekanntgabe allfälliger Verwältungsratsmandate der Kandidaten; 5. Sofortige Neuwahl des Nationalrates.

Wir werden nun der Reihenfolge nach diese fünf Punkte näher untersuchen.

1. Erhöhung der Vertretungszahl.

Die Bevölkerungszahl, die zu einem Abgeordneten in den Nationalrat berechtigt und welche in der Bundesverfassung des Jahres 1848 auf 20 000 festgesetzt war, wurde im Jahre 1931 auf 22 000 erhöht. Das vorliegende Volksbegehren möchte auf 30 000 gehen, mit andern Worten, die Zahl der Mitglieder des Nationalrates, welche trotz der Vermehrung der Bevölkerung im Jahre 1931 von 198 auf 187 herabgesetzt worden war, würde auf 139 weiter reduziert.

In der Botschaft vom 2. September 1930, durch welche der Revisionsentwurf von 1931 an das Parlament geleitet wurde, hatte der Bundesrat den Vorschlag gemacht, die Vertretungszahl auf 23 000 Seelen der Gesamtbevölkerung festzusetzen, was die Zahl der Abgeordneten im Nationalrat auf 17.5 vermindert hätte, obgleich die massgebliche Volkszählung eine Erhöhung der MitBundesblatt. 93. Jahrg. Bd. I.

37

482 gliederzahl des Nationalrates zur Folge gehabt hätte. Gerade um eine solche Vermehrung zu vermeiden, hatte der Nationalrat selbst den 'Bundesrat eingeladen, ihm einen Entwurf im Sinne einer Heraufsetzung der Zahl von 20 000 Einwohnern vorzuschlagen oder dann inskünftig für die Bestimmung der Vertretungszahl sich ausschliesslich auf die Schweizerbürger zu stützen. Da diese letztgenannte Lösung vom Bundesrat wie hernach auch vom Parlament abgelehnt wurde, blieb nur noch zu bestimmen, in welchem Masse die Vertretungszahl hinauf gesetzt werden sollte.

Die Botschaft des Bundesrates wies auf die Vorteile einer Verminderung der Abgeordnetenzahl hin. In erster Linie erblickte er in dieser Herabsetzung ein Mittel zur Verkürzung der Verhandlungen, in der Annahme, dass unter gleichen Voraussetzungen die Zahl der Eeden mit derjenigen der Abgeordneten wächst. Er unterstrich die Schwierigkeit, wegen der immer zahlreicher und länger werdenden Sessionen Männer ausserhalb des Kreises der sich der Politik in besonderer Weise widmenden Bürger zu finden, die zur Annahme eines Abgeordnetenmandates bereit sind.

Die Erhöhung der Zahl der Abgeordneten führt ausserdem, wie der Bundesrat sagte, zu einer Erschwerung des parlamentarischen Betriebes; denn je zahlreicher ein Parlament ist, desto weniger Mitglieder erhalten Gelegenheit, in die Kommissionen gewählt zu werden. Aus einer solchen Erhöhung entstehe auch ein Mangel an Fühlung unter den Abgeordneten, was die Bildung jenes Gemeinschaftsgefühls beeinträchtige, welches zu einem richtigen parlamentarischen Betriebe unerlässlich sei. Schliesslich wies der Bundesrat auch auf die Verzettelung der Verantwortlichkeiten hin, die sich aus der wachsenden Zersplitterung der Interessen in einer zahlreichen Versammlung ergebe, sowie der Verwischung des Verständnisses für das Gesamtwohl des Landes.

Im allgemeinen zeigten sich die einzelnen Eedner in der Diskussion diesen Erwägungen, die auch heute noch ihren Wert behalten haben, nicht unzugänglich. Allerdings wurde bemerkt, dass zur Entlastung des Parlamentes eine Unterstellung der Verhandlungen unter eine strenge Disziplin mindestens so wirksam wäre wie die Herabsetzung der Abgeordnetenzahl. Verschiedene Redner erklärten ferner, dass angesichts der Verschiedenartigkeit unseres Landes die Vertretung wohlbegründeter Interessen
und Eechte unter einer allzu grossen Verkleinerung des Parlamentes leiden müsste. Indessen wurde der Grundsatz der Herabsetzung als solcher kaum bekämpft.

Zahlreiche Abgeordnete waren aber der Ansicht, dass die Annahme der Anträge des Bundesrates eine allzu weitgehende Verminderung der Zahl der Abgeordneten ihres Kantons zur Folge hätte, und sprachen sich daher für die Erhöhung der Vertretungszahl auf nur 22 000 aus. Die Sozialdemokraten ihrerseits beantragten, den Bestand des Nationalrates auf 200 festzusetzen. Schliesslich wurde in einer Eventualabstimmung mit 76 gegen 74 Stimmen der Zahl von 22 000 der Vorzug gegeben, gegen 28 000 ; in der Hauptabstimmung unterlag hierauf der Antrag auf Aufstellung einer festen Abgeordnetenzahl mit 56 gegen 96 Stimmen. Hingegen schloss sich der Stände-

483

rat dem bundesrätlichen Antrage an, da aber der Nationalrat an seinem Beschlüsse festhielt, stimmte er schliesslich der Vertretungszahl von 22 000 zu.

Die neue Lösung wurde in der Schlussabstimmung im Nationalrat mit 75 gegen 25 Stimmen angenommen und im Ständerat mit allen gegen l Stimme.

Dieser Beschluss wurde in der Volksabstimmung vom 25. März 1981 mit 296 058 gegen 253 382 und durch 13% gegen 8% Stände angenommen.

Aus der Zahl der Stimmenden -- nur 58 % der Stimmberechtigten sind an die Urne gegangen -- ist zu schliessen, dass die Herabsetzung der Abgeordnetenzahl die öffentliche Meinung nicht zu erregen vermochte, und die schwache Mehrheit der Annehmenden zeigt, dass das Volk auch kein Bedürfnis hatte, die Zahl der Abgeordneten im Nationalrat allzusehr zu beschränken. Die Frage bleibt offen, ob das Ergebnis der Volksabstimmung ein anderes gewesen wäre, wenn die Vertretungszahl auf 23 000 hinaufgesetzt worden wäre, gemäss dem Antrage des Bundesrates. Es scheint aber wohl, dass, je mehr man sich von der Zahl 22 000 entfernen würde, desto Schwieriger auch eine Mehrheit im Volke erhältlich wäre.

Konnte man noch schwanken zwischen einer Herabsetzung der Abgeordnetenzahl auf 187 oder auf 175, so stellt sich die Frage nicht mehr, sobald es sich um eine Eeduktion auf 139 Abgeordnete handeln würde, als Ergebnis einer Erhöhung der Vertretungszahl auf 30 000 Seelen der Gesamtbevölkerung.

Allerdings wachsen die Vorteile einer Herabsetzung im Verhältnis zu deren Umfang; dies gilt aber auch bezüglich der im Laufe der parlamentarischen Diskussion aufgedeckten Nachteile.

Es ist klar, dass bei einem in seinem Mitgliederbestande derart reduzierten Kollegium eine angemessene Vertretung mancher berechtigter Interessen schwierig wäre. Ferner müssten in verschiedenen Kantonen die Minderheiten leer ausgehen. Endlich würde die Verminderung die Vorzugstellung derjenigen Kantone noch verstärken, deren Bevölkerung schon heute unter der Vertretungszahl steht, und sie würde die Zahl jener Kantone noch erhöhen, in denen das Verhältniswahlverfahren nicht oder jedenfalls nicht in befriedigender Weise zur Anwendung gelangen kann.

Deshalb halten 'wir dafür, dass die in Aussicht genommene Herabsetzung der Zahl der Abgeordneten weit grössere Nachteile hätte, als sie Vorteile zu bringen vermöchte. Was den Grundsatz der
Herabsetzung als solcher anbelangt, so halten wir an den Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates vom 2. September 1930 fest. Da aber die Bundesversammlung sich auf den Standpunkt gestellt hat, eine Erhöhung der Vertretungszahl auf 22 000 Seelen der Gesamtbevölkerung genüge, und das Volk dieser Änderung zugestimmt hat, betrachten wir es nicht als angezeigt, den Antrag des Bundesrates vom Jahre 1930 wieder aufzunehmen.

2. Verbot der offiziellen Kumulierung einzelner Kandidaten.

Die Kumulierung ist eine Einrichtung, welche beim Proportionalwahlverfahren den Parteien oder den Wählern erlaubt, den Namen eines Kandi-

484

daten mehr als einmal auf den Wahlzettel zu schreiben. Wird diese Möglichkeit den Parteien geboten, so besteht sie ipso facto auch für die Wähler. Sie kann aber auch einzig und allein den Wählern zugestanden werden. Während nun Art. 4, Abs. l, und Art. 13, Abs. 3, des Bundesgesetzes betreffend die Wahl des Nationalrates gestatten, sowohl offiziell als privat den Namen eines Kandidaten bis zweimal auf einen Wahlzettel zu setzen, beantragt das Volksbegehren, die offizielle Kumulierung sei zu verbieten; wir werden uns also nur mit dieser letztern zu befassen haben.

Der Entwurf von 1918 zu diesem Bundesgesetz erlaubte überhaupt keine Kumulierung, in welcher Form es auch sein möge. Die Botschaft des Bundesrates fügt der Aufzählung der von den Befürwortern dieser Einrichtung vorgebrachten Argumente folgendes bei (Seiten 13/14): «Dadurch wird anderseits die Beeinflussung der Eangordnung der Kandidaten durch die Wähler stark eingeengt. Diese Überlegung und die Befürchtung, dass namentlich in denjenigen Kantonen, in welchen die Verhältniswahl noch nicht eingeführt ist, das System der Stimmenhäufung den Wählern nicht leicht verständlich sei, hat die vom Politischen Departement einberufene Expertenkommission bewogen, sich gegen die im Vorentwurf vorgesehene Kumulation von zwei Stimmen auszusprechen. Unter diesen Umständen haben wir in dem vorliegenden Entwurf die Stimmenkumulation fallen gelassen.» Dieser Antrag führte sowohl im Nationalrat als im Ständerat zu langen Auseinandersetzungen. Die Anhänger der Kumulation wiesen darauf Hin, dass beim System der Stimmenkonkurrenz die Parteien, welche auf ihren Listen Zeilen leer lassen, sich stark der Gefahr des Verlustes von Stimmen aussetzen; ferner könnten die Wähler dazu verleitet werden, ihre Stimme Kandidaten anderer Parteien zu geben und so die Eeihenfolge der Gewählten derselben zu beeinflussen. Aus Gründen der politischen Moral müsse man daher den Parteien, und insbesondere den kleinen, die Nachteile des Leerlassens von Zeilen auf den Listen ersparen. Zu diesem Zwecke sei eben die Kumulation zu gestatten, da man nicht annehmen könne, dass eine kleine Partei in einem grossen Kanton 30 qualifizierte Bürger finden würde, die bereit wären, sich als Kandidaten für sie zur Verfügung zu stellen. Ferner erlaube die Kumulation der Partei, die Wahl besonders
verdienstlicher, jedoch mit Bücksicht auf ihre bisherige Tätigkeit in gewissen Kreisen unbeliebt gewordener Männer zu sichern ; dies sei sehr oft das einzige Mittel für die Parteien, sich bewährte Führer zu erhalten.

.

. Diese Argumentation wurde im Nationalrat namentlich von den Anhängern des Systems der Ersatzabgeordneten bekämpft. Infolge der Art der Fragestellung, bei der Abstimmung wurden schliesslich beide Systeme verworfen und somit der bundesrätliche Antrag angenommen. Doch kam die Kumulation im Ständerat neuerdings zur Sprache und wurde dort mit 25 gegen 10 Stimmen gutgeheissen, worauf der Nationalrat ihr seinerseits mit 78 gegen 44 Stimmen ebenfalls zustimmte.

' "

485

Die offizielle Kumulation ist also seit 22 Jahren für die Nationalratswahlen gestattet, und die Parteien machen hiervon weitgehend Gebrauch. Und zwar alle Parteien, Inbegriffen diejenige der Unabhängigen, die heute deren Aufhebung fordert. Es handelt sich hier auch nicht um die Besonderheit eines bestimmten Landesteilee : mit Ausnahme von Graubünden wurde die Kumulation entweder regelmässig oder doch hie und da in allen Kantonen angewendet, d. h. in allen Kantonen, für die das Verhältnisswahlsystem in Frage kommt.

Wir müssen also zugeben, dass einer der beiden Gründe, welche den Bundesrat im Jahre 1918 zur Ablehnung der Kumulation veranlasst hatten, nämlich die Befürchtung, diese Einrichtung könnte von den Wählern nur schwer verstanden werden, seinen Wert verloren hat. Der Geist des Verhältniswahlverfahrens ist in die Wählermassen eingedrungen. Man gibt sich heute durchaus davon Eechenschaft, dass es gar nichts Ausserordentliches ist, wenn der Wähler, der über ebenso viele Kandidatenstimmen verfügt, wie sein Kanton Abgeordnete zählt, jeweils zwei dieser Stimmen zugunsten eines gleichen Kandidaten abgibt, statt sie zu verteilen. Übrigens stossen sich selbst die Urheber des Volksbegehrens nicht daran, da sie ja die Privatkumulation gestatten wollen.

Was nun den Zweck der Kumulation anbelangt, so ist dieser je nach den Umständen verschieden. So z. B. dient sie in den Kantonen, die nur zwei Abgeordnete in den Nationalrat zu entsenden haben, lediglich zur Erstellung einer vollständigen Liste, um so den Wähler nicht in die Versuchung zu führen, auf der leergelassenen Zeile den Kandidaten einer andern Partei vorzumerken.

In den grossen Kantonen kumulieren gewisse Parteien gleichmässig alle ihre Kandidaten, um so volle Listen zu erhalten oder doch wenigstens möglichst wenige leere Zeilen zu haben. Diese Art der Kumulation gibt keinerlei Anlass zur Diskussion.

Was die Urheber der Initiative beanstanden, das ist, dass man die Kumulation dazu benutzt, um bestimmte Kandidaten zu bevorzugen und so ihre Wahl praktisch zu sichern. Gewiss wird durch eine in solcher Weise praktizierte Kumulation «die Beeinflussung der Eangordnung der Kandidaten durch die Wähler stark eingeengt», wie es in der vorgenannten Botschaft heisst.

Man könnte noch weitergehen und sagen, dass hier der Wähler nur noch in der Lage ist,
seine Vorliebe innerhalb des Kreises der nicht kumulierten Kandidaten erspriesslich zum Ausdruck zu bringen.

Anderseits machen die Parteien nicht ohne Not von dieser Art der Kumulation Gebrauch: sie bedienen sich ihrer zur Sicherung entweder der Wahl führender Männer, deren Sitz gefährdet ist, oder aber der Vertretung wirtschaftlicher oder sprachlicher Gruppen innerhalb der Partei. Nun aber entspräche es nicht dem allgemeinen Wohl, wenn besonders qualifizierte Vertreter dieser oder jener Gruppe aus dem Parlament ausgeschlossen wären.

Allerdings nehmen zahlreiche kantonale Parteien davon Umgang, diesen Weg zu beschreiten, und ziehen die Nachteile einer vollständig freien Wahl der Schaffung von zweierlei Kandidatenkategorien vor. Dies ist aber nicht ein

-486

Grund, um den andern Parteien die Möglichkeit zu nehmen, zu einem Mittel zu greifen, das ihnen als notwendig erscheint.

Da die eidgenössischen Bäte ihren Willen in dieser Beziehung klar und deutlich zum Ausdruck gebracht haben, halten wir es nicht für nützlich, auf die Frage zurückzukommen und die Aufhebung der Kumulation zu beantragen, dies um so weniger, als es sich hier um eine Bestimmung handelt, die ihrer Natur nach in ein Gesetz und nicht in die Bundesverfassung gehören würde.

3. Begrenzung der Amtsdauer.

Nach dem Wortlaut des Volksbegehrens müsste jeder Bürger, der während 12 Jahren dem Nationalrat angehört hat, sich aus diesem zurückziehen; er wäre während der zwei folgenden Amtsperioden nicht wieder wählbar.

Anhand des auf 1. April 1941 erstellten Verzeichnisses der gegenwärtig amtierenden Mitglieder des Nationalrates, die unter diese Vorschrift fallen würden, stellen wir fest, dass ausser der liberaldemokratischen Fraktion und derjenigen der Unabhängigen sämtliche Fraktionen ein Opfer zu bringen hätten, und zwar die Sozialdemokraten mit 22 Mitgliedern, die Badikaldomokraten und die Katholischkonservativen mit je 13, die Bauern-, Gewerbeund Bürgerfraktion mit 8 und die freie und demokratische Fraktion mit 2 Mitgliedern. Unter Beifügung zweier Abgeordneter, die keiner Fraktion angehören, käme man so auf 60 Abgeordnete, d. h. ungefähr einen Drittel des Nationalrates. Nun muss man aber in aller Objektivität anerkennen, dass es sich hier zu einem grossen Teil um die führenden Persönlichkeiten in diesen Fraktionen handelt, d. h. um Männer, welche durch ihr Ansehen, durch ihre Tätigkeit, durch ihre Fähigkeit eine Stellung ersten Banges im Parlament einnehmen.

Dies ist nicht etwa ein Zufall. Die Kunst menschlicher Führung ist nicht bloss eine Gabe, die einzelnen wenigen von vorneherein zuteil geworden ist, sondern sie muss durch langjährige Beziehungen und durch die eingehende Kenntnis der Umgebung erworben werden. Hierzu braucht es Zeit. Verlöre der Nationalrat wegen des Dienstalters einige Mitglieder, einen grossen Teil seiner führenden Männer, so würde von diesem Tage an der parlamentarische Betrieb darunter leiden, und es ginge ganz bestimmt recht lange, bis die Nachfolger die Autorität ihrer Vorgänger erlangt hätten.

Anderseits liegt eine Erstarrung des Parlamentes infolge der
Quasi-Pormanenz seiner Mitglieder sicherlich nicht im Landesinteresse; doch lehrt die Erfahrung, dass eine solche Gefahr nicht besteht. So brachten z. B. bei den Wahlen des Jahres 1931, als der Mitgliederbestand von 198 auf 187 sank, 28 Abgeordnete neues Blut; ferner wurden im Laufe der Amtsperiode infolge Demission oder Todesfalles 86 Batsmitglieder ersetzt. Bei den Wählen des Jahres 1935 wurden 56 Sitze durch neue Mitglieder besetzt und 26 wurden im Laufe der Periode frei. Im Jahre 1939 endlich traten 33 neue Abgeordnete in den Bat ein, und es sind seither überdies 11 bisherige Mitglieder infolge Demission oder Todesfalles ersetzt worden.

487

Die durch die Initiative angestrebte Verjüngung tritt also tatsächlich ein, und zwar in ziemlich raschem Tempo. Wenn die führenden Persönlichkeiten davon verschont bleiben, so ist dies eine glückliche Erscheinung. Es wäre ein Fehler, sie durch Vornahme einer Auswahl von unten herauf zu beseitigen, wie dies nach dem System des Volksbegehrens geschehen würde.

4. Bekanntgabe allfälliger Verwaltungsratsmandate der Kandidaten.

Wenn das Verbot der Kumulierung durch ein Gesetz zu erfolgen hätte und nicht auf dem Wege der Verfassung, so gehörte die Bestimmung, über die wir uns jetzt näher aussprechen werden, sogar lediglich in die Ausführungsverordnung. In der Tat bestimmt die Vollziehungsverordnung vom 8. Juli 1919 in Art. 19, Abs. 2, welche Angaben das Protokoll über die Wahlergebnisse über einen jeden gewählten oder nicht gewählten Kandidaten enthalten soll, nämlich: Vorname, Familienname, Geburtsjahr, Heimat- und Wohnort, Beruf.

Allerdings enthält die Vollziehungsverordnung keinerlei Vorschriften dieser Art bezüglich der Deponierung der Kandidatenlisten. Indessen ergibt sich aus der oben erwähnten Bestimmung, dass die Kantonsregierung das Recht hat, die oben angeführten Angaben auch bei der Deponierung zu verlangen (A. Eudolf, Eidgenössisches Proportionalwahlrecht, Seite 28). Die im Volksbegehren enthaltene Bestimmung über die Berufsangabe ist daher sowohl unvollständig als überflüssig.

Das Volksbegehren fordert aber auch noch die Veröffentlichung der «allfälligen Verwaltungsratsmandate der Kandidaten» und verlangt ausserdem, es seien «von ausländischen Unternehmungen abhängige Erwerbsgesellschaften als solche zu bezeichnen». Während Art. 19 der Vollziehungsverordnung eine Ordnungsvorschrift enthält, die lediglich den Zweck hat, den Wähler über die Identität des Kandidaten aufzuklären, sucht das Volksbegehren hier die ein Verwaltungsratsmandat ausübenden Kandidaten zu verdächtigen. Dies ergibt sich deutlich aus der Broschüre Pfändler, betitelt: «Ein dringender Vorschlag zur R é o r g a n i s a t i o n des N a t i o n a l r a t e s » , in welcher es auf Seite 6 heisst: «Eine grosse Zahl von Nationalräten ist gleichzeitig Verwaltungsräte aller möglichen Aktiengesellschaften, grosser Genossenschaften und anderer privater Kapitalgebilde. Sie betrachten sich in erster Linie auch im Rate als deren
Vertreter. Stehen die Interessen dieser Gesellschaften den Interessen des Volkes gegenüber -- und wie oft ist dies der Fall --, so wird man diese ,,Volks"-Vertreter sich in wortreichen Voten für die Sonderinteressen ihrer Auftraggeber einsetzen sehen.».

.

Wir sind grundsätzlich-entschieden dagegen, dass die Behörde auf einem Gebiete eingreift, wo die Veröffentlichung zur Verdächtigung wird. Dies besorgen die Parteien in den-Wahlkärripfen schon selbst. Überdies lehnen wir die Auffassung ab, dass ein im öffentlichen Leben stehender Mann, der eine Gesellschaft verwaltet, deshalb gewissermassen als minderwertig abgestempelt wird. Man hat sich von jeher und oft ohne Erfolg darum bemüht, an der aktiven

488

Politik Geschäftsleute zu interessieren, die zu einer jZeit, da die Wirtschaft von so gewaltiger Bedeutung für unser Land ist, diesem unschätzbare Dienste zu leisten in der Lage wären. Solche Männer pflegen selbst einen Betrieb zu führen oder eine Gesellschaft zu verwalten, und es ist kleinlich, ihnen hieraus einen Vorwurf zu machen.

Wir betrachten es als eine durchaus ungerechtfertigte Beleidigung dieser Männer, wenn, wie in der soeben erwähnten Broschüre, behauptet wird, ihrewirtschaftliche Tätigkeit hindere sie, ihr Amt in der vom Gesetz und durch ihren Eid vorgeschriebenen Weise auszuüben; denn der Verfasser der Broschüre führt keinen einzigen Beweis zur Begründung seiner Anklage an. Diedurch das Volksbegehren geforderte Massnahme wäre übrigens durchaus un-genügend, falls sie auch nur einigermassen gerechtfertigt erschiene. Wir ver^ mögen uns auch in diesem Punkte den Ansichten der Urheber der Initiative nicht anzuschliessen.

5. Sofortige Neuwahl.des Nationalrates.

Nach dem Wortlaut des Volksbegehrens sollte innert drei Monaten nach Annahme der Verfassungsänderung in der Volksabstimmung eine Neuwahl des Nationalrates stattfinden. Natürlich müsste auch eine Gesamterneuerung' des Bundesrates erfolgen.

Hier können sich die Urheber der Initiative auf die Gesamterneuerungswahl des Nationalrates im Jahre 1919 stützen, welche zur Ermöglichung: einer baldigen Einführung des Verhältniswahlsystems die Amtsdauer der im Jahre 1917 gewählten Abgeordneten um ein Jahr verkürzte. Diese Massnahme ging vom Gedanken aus, dass das neue Wahlverfahren zu einer grundlegenden Änderung der Verteilung der Nationalratsmandate unter die Parteien führen müsse und es sich daher nicht gezieme, die im Jahre 1917 gewählten Volks^ Vertreter ihr Mandat noch länger ausüben zu lassen. «Der Nationalrat», hiess es, «vertrete nicht mehr das Volk.» Die gegenwärtige Lage unterscheidet sich von derjenigen vom Jahre 1910 in einem wesentlichen Punkte : Mag auch das neue Volksbegehren eine bedeutende Änderung in der Zusammensetzung des Nationalrates bringen, so beschlägt diese Änderung jedoch nur Einzelpersonen, nicht aber die Parteien. Der Beschluss des Jahres 1919 war durch politische und personelle Erwägungen veranlasst. Heute kommen die erstgenannten gar nicht in Frage.

Dürfen nun diese Erwägungen personeller Art als genügend
erachtet werden, um eine Massnahme von so ausserordentlicher Tragweite zu rechtfertigen?

Wir möchten dies eher verneinen. Die gegenwärtigen Mitglieder des Nationalrates, die bei Annahme des Volksbegehrens mit Bücksicht auf ihre bisherige Amtsdauer zum Bücktritte gezwungen würden, können das ihnen vom Volke selbst übertragene Mandat ohne jegliche Unzuträglichkeit bis zum Schlüsse der Legislaturperiode ausüben. Den Erwägungen personeller Natur geht jedenfalls die Lage unseres Landes vor. Die letzte Wahl wurde angeordnet,

·

·

·

489

obschon Europa sich bereits im Kriege befand und trotz aller Nachteile und Unzuträglichkeiten eines Wahlkampfes für ein unter den Waffen stehendes Volk. Die Erfahrung hat denjenigen recht gegeben, die einer Vertagung der Wahlen abgeneigt waren. Nun sollte aber das Land mindestens den vollen Gewinn daraus ziehen, mit andern Worten, es sollte nicht' gezwungen sein, den Kampf vor Ablauf des den Abgeordneten im Jahre 1939 übertragenen Mandates, d. h. vor Oktober 1948, wiederum zu beginnen. Die Schweiz hat heute genügend Sorgen, ohne sich noch zusätzliche Schwierigkeiten aufzuladen.

Schlussfolgerung.

Der Initiative liegt sicherlich die Absicht zugrunde, die Voraussetzungen für den parlamentarischen Betrieb zu verbessern. Doch scheinen uns die von deren Urhebern angewendeten Mittel in keiner Weise angemessen.

Die «Staatsreform» wird im richtigen Augenblick ohne Zweifel in Angriff genommen werden müssen. Aber auf einer breiteren Basis, nämlich auf derjenigen der Beziehungen zwischen der gesetzgebenden Gewalt und der Begierung überhaupt. Was uns das Volksbegehren hier bringt, ist jedoch rein negativ. Die Schwächung, welche der Nationalrat aus der Herabsetzung der Z'ahl und der Begrenzung der Amtsdauer seiner Mitglieder erleiden würde, bedeutete einen glatten Verlust, der niemandem etwas nützen würde, namentlich nicht dem Lande und dem Schweizervolk. Die weiteren Bestimmungen -- die übrigens sehr zu beanstanden sind -- gehörten in das Gesetz oder in die Vollziehungsverordnung. Was endlich die sofortige Erneuerungswahl des Nationalrates anbelangt, so wäre eine solche vollständig unzeitgemäss.

Aus diesen Gründen gelangen wir zum Schlüsse, es sei das Volksbegehren abzuweisen, und da wir keinerlei Gedanken darin finden, der in einen Gegenentwurf aufgenommen zu werden verdiente, empfehlen wir Ihnen, die Initiative einfach abzulehnen, gemäss dem beiliegenden Bundesbeschlussesentwurfe.

Wir ergreifen gerne den Anlass, Sie unserer vorzüglichen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 27. Mai 1941.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Wetter.

Der Bundeskanzler: G. Boret.

490 (Entwurf.)

Beilage 1.

Bundesbeschluss über

das Volksbegehren betreffend die Reorganisation des Nationalrates.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht des Volksbegehrens für die Eeorganisation des Nationalrates, gestützt auf Art. 121 ff. der Bundesverfassung und Art. 8 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend die Eevision der. Bundesverfassung, nach Einsicht der Botschaft des Bundesrates vom 27. Mai 1941, beschliess.t : Art. 1.

Das Volksbegehren vom 10. März 1941 für die Eeorganisation des Nationalrates wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet. Dieses Begehren lautet wie folgt: «Die unterzeichneten stimmberechtigten Schweizerbürger verlangen auf dem Wege der Volksinitiative, dass Art. 72, 73 und 75 der Bundesverfassung betreffend Wahl des Nationalrates folgende Fassung erhalten: Art. 72. Der Nationalrat wird aus Abgeordneten des Schweizervolkes gebildet. Auf je 30 000 Seelen der Gesamtbevölkerung wird ein Mitglied gewählt. Eine Bruchzahl von über 15 000 Seelen wird für 30 000 Seelen berechnet.

Jeder Kanton und bei geteilten Kantonen jeder der beiden Landesteile hat wenigstens ein Mitglied zu wählen.

Art. 73. Die Wahlen in den Nationalrat sind direkte. Sie finden nach dem Grundsatz der Proportionalität statt, wobei die vorgedruckte Kumulierung einzelner Kandidaten nicht gestattet ist.

Jeder Kanton und jeder Halbkanton bildet einen Wahlkreis.

Art. 75. . Wahlfähig als Mitglied des Nationalrates ist jeder stimmberechtigte Schweizerbürger weltlichen Standes.

Wer jedoch dem Nationalrat 12 Jahre angehört hat, scheidet aus dem Eate aus und ist für die nächsten 2 Amtsdauern als Mitglied des Nationalrates nicht wieder wählbar.

Vor den Wahlen sind Beruf und allfällige Verwaltungsratsmandate der Kandidaten amtlich bekanntzugeben, wobei von ausländischen Unternehmungen abhängige Erwerbsgesellschaften als solche zu bezeichnen sind.

491 Übergangsbestimmungen.

Art. 1. Innert 3 Monaten nach der Annahme dieser Verfassungsänderung in der Volksabstimmung hat eine Neuwahl des Nationalrates stattzufinden. :' Art. 2. In der ersten auf die Gesamterneuerung des Nationalrates folgenden Session findet eine Gesamterneuerung des Bundesrates statt.»

Art. 2. · Dem Volk und den Ständen wird die Verwerfung des Initiativbegehrens beantragt (Art. 1).

Art. 3.

Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

492 Beilage 2.

Wohnbevölkerung auf 1. Dez. 1930

Kantone

Zürich Bern Luzern U r i. . . . . . . .

Schwyz . . .

Obwalden Nidwalden Glarus

Zue Freiburg Solothuni . .

Baselstadt Baselland Schaffhausen . . .

Appenzell A.-Rh. .

Appenzell I.-Rh. .

St. Gallen Graubünden . . .

Aargau Thurgau Tessin Waadt Wallis Neuenburg Genf

.

.

.

.

Schweiz 2646

Zahl der Abgeordneten mit Vertretungszahl 22000

· 617 706 688 774 189 391 22968 62337 19401 15055 35653 34395 143 230 144198 155 030 92541 51187 48977 13988 286 362 126 340 259644 136 063 159 223 331 853 136 394 124324 171 366-

28 31 9 1 3 1 1 2 2 7 7 7 4 2 2 1 13 6 12 6 7 15 6 6 8

4 066 400

187

23000

25000

30000

27 30 8 1 3 1 1 2 1 6 6 7 4 2 2 1 12 5 11 6 7' 14 6 5 7

25 28 8 1 2 1 1 1 1 6 6 6 4 2 2 1 11 5 10 5 6 13 5 5 7

21 23 6 1 2 1 1 1 1 5 5 5 3 2 2 1 10 4 9 5 5 11 5 4 6

175

162

139

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Initiativbegehren für die Reorganisation des Nationalrates. (Vom 27. Mai 1941.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1941

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

18

Cahier Numero Geschäftsnummer

4140

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

12.06.1941

Date Data Seite

481-492

Page Pagina Ref. No

10 034 532

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.