13.062 Botschaft über die Genehmigung des Zusatzprotokolls von Nagoya/Kuala Lumpur über Haftung und Wiedergutmachung zum Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit vom 14. August 2013

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung des Zusatzprotokolls von Nagoya/Kuala Lumpur über Haftung und Wiedergutmachung zum Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

14. August 2013

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2011-2565

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Übersicht Das Zusatzprotokoll von Nagoya/Kuala Lumpur über Haftung und Wiedergutmachung schafft einen internationalen Mindeststandard für die Haftung in Fall von Biodiversitätsschäden, die von grenzüberschreitend verbrachten gentechnisch veränderten Organismen (GVO) verursacht werden. Das Abkommen kann ohne Anpassungen des schweizerischen Rechts ratifiziert werden, da die Schweiz alle im Zusatzprotokoll enthaltenen Vorschriften bereits umgesetzt hat.

Ausgangslage Ziel des von der Schweiz ratifizierten Protokolls von Cartagena über die biologische Sicherheit (Cartagena-Protokoll) ist es, nachteilige Auswirkungen der Biotechnologie auf Mensch und Umwelt zu verhindern. Zu diesem Zweck sieht es Regeln über die grenzüberschreitende Verbringung von GVO vor. Das Zusatzprotokoll von Nagoya/Kuala Lumpur über Haftung und Wiedergutmachung wurde im Oktober 2010 als Unterprotokoll zum Cartagena-Protokoll verabschiedet. Es vervollständigt das Regime des Cartagena-Protokolls mit einer Haftungsregelung für von grenzüberschreitend verbrachten GVO verursachte Biodiversitätsschäden.

Inhalt des Vertrags Das Zusatzprotokoll enthält Regeln zum Umgang mit Schäden an der Biodiversität, die von grenzüberschreitend verbrachten GVO verursacht werden. Es legt fest, welche Massnahmen im Schadensfall zu treffen sind (Schadensverhinderung, -begrenzung und -minderung sowie Wiederherstellung), wer diese Massnahmen ergreifen muss und wem die Kosten auferlegt werden können. Damit schafft es einen internationalen Mindeststandard für die Haftung für von GVO verursachte Biodiversitätsschäden. Die Stossrichtung des Zusatzprotokolls entspricht der Strategie der Schweiz, für den Umgang mit GVO klare Rahmenbedingungen, Sicherheitsvorschriften und Verantwortlichkeitsregeln festzulegen.

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Botschaft 1

Grundzüge des Vertrages

1.1

Ausgangslage

Das Protokoll von Cartagena vom 29. Januar 20001 über die biologische Sicherheit zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Cartagena-Protokoll) regelt die grenzüberschreitende Verbringung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) mit dem Ziel, nachteilige Auswirkungen der Biotechnologie auf Mensch und Umwelt zu verhindern. Der Bereich Haftung und Wiedergutmachung gehörte bei der Ausarbeitung des Cartagena-Protokolls Ende der 90er-Jahre zu den Verhandlungsgegenständen. Die Verhandlungspartner konnten sich damals jedoch nicht auf eine Lösung einigen. Deshalb wurde Artikel 27 in das Protokoll eingefügt, welcher die Vertragsparteien mit der Erarbeitung von Haftungsregeln für GVO beauftragt.

Das Resultat der Verhandlungen zum Inhalt von Artikel 27 des Cartagena-Protokolls ist das Zusatzprotokoll von Nagoya/Kuala Lumpur über Haftung und Wiedergutmachung zum Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit (im Folgenden: Zusatzprotokoll). Es wurde an der 5. Vertragsparteienkonferenz des CartagenaProtokolls im Oktober 2010 in Nagoya (Japan) verabschiedet und ist als Unterprotokoll zum Cartagena-Protokoll ausgestaltet.

Das Zusatzprotokoll wurde von 50 Staaten (darunter die Schweiz und die meisten EU-Mitgliedstaaten) sowie der EU unterzeichnet. Bis Ende Juni 2013 haben 13 Staaten sowie die EU das Zusatzprotokoll ratifiziert. Es wird in Kraft treten, sobald es von 40 Staaten ratifiziert worden ist.

1.2

Überblick über den Inhalt des Vertrages

Das Zusatzprotokoll enthält Regeln zum Umgang mit Schäden an der Biodiversität, die von grenzüberschreitend verbrachten GVO verursacht werden. Kernstück ist Artikel 5, welcher festlegt, wer im Schadensfall die notwendigen Abhilfemassnahmen ergreifen muss und wem die Kosten dieser Massnahmen auferlegt werden können. Unter dem Begriff «Abhilfemassnahmen» versteht das Zusatzprotokoll angemessene Massnahmen zur Schadensverhinderung, -begrenzung und -minderung sowie zur Wiederherstellung zerstörter Biodiversitätsbestandteile.

Nach dem Zusatzprotokoll muss die verantwortliche Person («Betreiber») im Schadensfall, oder wenn ein Schaden kurz bevorsteht, sofort die Behörden informieren sowie von sich aus angemessene Abhilfemassnahmen ergreifen. Ist der Verantwortliche nicht bekannt, so unternehmen die Behörden die notwendigen Schritte, um diesen zu identifizieren. In beiden Fällen legen die Behörden fest, welche weiteren Abhilfemassnahmen die verantwortliche Person zu treffen hat, und sie ergreifen allenfalls selbst entsprechende Massnahmen. Dabei können die Behörden von der verantwortlichen Person sämtliche Kosten, die in diesem Zusammenhang entstehen, zurückfordern.

1

SR 0.451.431

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Neben diesen Kernregelungen enthält das Zusatzprotokoll eine Reihe von begleitenden Bestimmungen. Diese betreffen insbesondere das Verfahren (rechtliches Gehör, Rechtsmittel) sowie allfällige Ausnahmen von und Begrenzungen der Verantwortlichkeit, deren Festlegung und Ausgestaltung dem innerstaatlichen Recht überlassen wird.

1.3

Die aktuelle Rechtslage in der Schweiz

Die Gentechnik im Ausserhumanbereich ist in der Schweiz in erster Linie im Gentechnikgesetz vom 21. März 20032 (GTG) und seinen Verordnungen (Einschliessungsverordnung vom 9. Mai 20123 [ESV] und Freisetzungsverordnung vom 10. September 20084 [FrSV]) geregelt. Diese Erlasse sehen ein umfassendes Regime für den Umgang mit GVO und strenge Haftungsbestimmungen vor.

Für den Umgang mit GVO ist grundsätzlich eine Bewilligung notwendig. Ausgenommen sind gewisse Tätigkeiten mit geringem Risiko, für die nur eine Meldepflicht vorgesehen ist (Art. 10­12 GTG, Art. 17 und 25 FrSV, Art. 8­10 ESV). Die bewilligungs- oder meldepflichtige Person muss verschiedene Massnahmen ergreifen, um eine Gefährdung oder Beeinträchtigung von Mensch und Umwelt durch GVO zu verhindern. Sie muss insbesondere eine Risikoermittlung und -bewertung vornehmen und die notwendigen Sicherheitsmassnahmen ergreifen (Art. 7­8, 19 und 28 FrSV, Art. 4­7 und 12 ESV).

Die Haftpflicht für durch GVO verursachte Schäden nach den Artikeln 30 ff. GTG ist eng an das Bewilligungs- und Meldesystem geknüpft. Haftungssubjekt ist immer die bewilligungs- oder meldepflichtige Person. Erfasst sind nicht nur die «traditionellen» Schäden (inbesondere Personen- und Sachschäden), sondern auch die sogenannten «reinen Umweltschäden», d.h. Schädigungen von Umweltbestandteilen und -gütern, an denen keine dinglichen Rechte bestehen (Art. 31 Abs. 2 GTG). Gläubiger ist in diesem Fall das zuständige Gemeinwesen, das die notwendigen Massnahmen zur Wiederherstellung der zerstörten oder beschädigten Umweltbestandteile ergreift.

Neben diesen privatrechtlichen Haftungstatbeständen haben Behörden, die Massnahmen zur Abwehr und Behebung von durch GVO verursachten Umweltgefährdungen oder -beeinträchtigungen treffen, auch die Möglichkeit, die dabei entstandenen Kosten auf dem verwaltungsrechtlichen Weg vom Verursacher bzw.

Bewilligungsinhaber zurückzufordern (Art. 20 Abs. 4 GTG, Art. 53 FrSV).

1.4

Würdigung

Das Zusatzprotokoll schafft einen internationalen Mindeststandard für den Umgang mit Schäden, die von grenzüberschreitend verbrachten GVO an der Biodiversität verursacht werden. Seine Stossrichtung entspricht der Strategie der Schweiz, für den Umgang mit GVO klare Rahmenbedingungen, Sicherheitsvorschriften und Verantwortlichkeitsregeln festzulegen.

2 3 4

SR 814.91 SR 814.912 SR 814.911

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Das Regime des GTG und seiner Verordnungen steht mit dem Zusatzprotokoll im Einklang, ist jedoch konkreter und umfassender. Der Geltungsbereich des Zusatzprotokolls ist auf Biodiversitätschäden beschränkt (vgl. Ziff. 2). Die Bestimmungen des GTG umfassen demgegenüber neben den reinen Umweltschäden auch die traditionellen Schadensformen der Sach- und Körperschäden. Der Anwendungsbereich des GTG ist im Unterschied zum Zusatzprotokoll auch nicht auf Schäden begrenzt, die auf eine grenzüberschreitende Verbringung von GVO zurückzuführen sind.

Das Zusatzprotokoll kann daher ohne Anpassungen des schweizerischen Rechts ratifiziert werden.

1.5

Verzicht auf eine Vernehmlassung

Der vorliegende Vertrag hat keine Anpassungen des Landesrechts zur Folge, da die Schweiz die Regelungen des Zusatzprotokolls bereits im Landesrecht verankert hat.

Im Sinne von Artikel 2 des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20055 wurde deswegen auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Vertrages

Art. 1

Ziel

Das Zusatzprotokoll schafft ein internationales Haftungsregime für Biodiversitätsschäden, die von grenzüberschreitend verbrachten GVO verursacht werden. Ziel dieses Regimes ist es, zum Schutz der Biodiversität und zu deren nachhaltiger Nutzung beizutragen.

Art. 2

Begriffsbestimmungen

Das Zusatzprotokoll übernimmt die Begriffsbestimmungen seiner beiden MutterVerträge, d.h. des Übereinkommens vom 5. Juni 19926 über die biologische Vielfalt (Biodiversitätskonvention) und des Cartagena-Protokolls. Die Definition der «lebenden veränderten Organismen» nach Artikel 3 Buchstabe g Cartagena-Protokoll ist daher auch auf das Zusatzprotokoll anwendbar. Das schweizerische Recht verwendet den Begriff «gentechnisch veränderte Organismen» (GVO, Art. 5 Abs. 2 GTG), meint damit jedoch dasselbe. In der vorliegenden Botschaft wird der Einfachheit halber durchgehend die Terminologie des GTG verwendet.

Neben dem Verweis auf die Mutter-Verträge enthält das Zusatzprotokoll die folgenden eigenen Begriffsbestimmungen: ­

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Nach Absatz 2 Buchstabe b umfasst der Begriff des «Schadens» jede erhebliche und messbare oder anderweitig beobachtbare «nachteilige Auswirkung auf die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt, wobei auch Risiken für die menschliche Gesundheit zu berücksichtigen sind». Der Geltungsbereich des Zusatzprotokolls beschränkt sich somit ausschliesslich auf Schäden an der Biodiversität. Biodiversitätsschäden sind in der Regel SR 172.061 SR 0.451.43

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sogenannte «reine Umweltschäden», d.h. Schädigungen von Umweltbestandteilen, an denen keine dinglichen Rechte bestehen. Damit steht ein Grossteil des klassischen Haftpflichtrechts, insbesondere die traditionellen Schadensformen der Sach- und Körperschäden, ausserhalb des Anwendungsbereichs des Zusatzprotokolls.

Die Bedeutung der aus dem Cartagena-Protokoll übernommenen Formulierung in Absatz 2 Buchstabe b, wonach «auch Risiken für die menschliche Gesundheit zu berücksichtigen sind», ist umstritten (vgl. Ruth Mackenzie et al., Guide explicatif du Protocole de Cartagena sur la prévention des risques biotechnologiques, 2003, S. 12 f.). Die Schweiz vertrat während den Verhandlungen wie die EU den Standpunkt, dass die Formulierung den Schadensbegriff nicht auf Personenschäden ausweitet. Dies würde Artikel 12 Absatz 2 widersprechen, der Schäden nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b explizit von Sach- und Personenschäden abgrenzt. Die Formulierung ist so zu verstehen, dass bei der Evaluation, ob ein erheblicher Biodiversitätsschaden vorliegt, auch zu berücksichtigen ist, welche Auswirkungen solche Schäden auf die menschliche Gesundheit haben (indirekter Einbezug).

Die schweizerische Gentechnikgesetzgebung umfasst sowohl Sach- und Personenschäden als auch reine Umweltschäden (vgl. u.a. Art. 31 Abs. 2 GTG).

­

Bei der Definition der verantwortlichen Personen («Betreiber») lässt das Zusatzprotokoll dem innerstaatlichen Recht einen grossen Spielraum. Unter den Begriff des «Betreibers» können alle Personen fallen, die direkte oder indirekte Kontrolle über die schadensverursachenden GVO haben. Es bleibt den Vertragsparteien überlassen, diesen weiten Begriff genauer einzugrenzen.

Das GTG bezeichnet die bewilligungs- oder meldepflichtige Person als Betreiber (vgl. insbesondere Art. 30 GTG).

­

Unter dem Begriff «Abhilfemassnahmen» versteht das Zusatzprotokoll angemessene Massnahmen zur Schadensverhütung, -beschränkung und -minderung sowie zur Wiederherstellung zerstörter Biodiversitätsbestandteile.

Das schweizerische Recht sieht dieselben Massnahmen vor (s. Erläuterungen zu Art. 5).

Art. 3

Geltungsbereich

Der Geltungsbereich des Zusatzprotokolls erfasst nur Schäden, die auf eine grenzüberschreitende Verbringung von GVO zurückzuführen sind. Wie das CartagenaProtokoll bezieht sich damit auch das Zusatzprotokoll nur auf importierte Risiken.

Diese umfassen jedoch nicht nur GVO, die physisch die Grenze überschreiten, sondern auch spätere Generationen dieser Organismen. Dies, weil es im Schadensfall jeweils nicht möglich sein wird, frühere von späteren Generationen zu unterscheiden. GVO, die ursprünglich und originär im Inland hergestellt wurden, fallen demgegenüber mangels einer grenzüberschreitenden Verbringung nicht in den Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls.

Der Anwendungsbereich des GTG ist dagegen nicht auf grenzüberschreitend verbrachte GVO beschränkt.

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Art. 4

Kausalität

Nach den allgemeinen Grundsätzen des Haftpflichtrechts muss zwischen der Ursache (den schadensverursachenden GVO) und der Wirkung (dem Schaden) ein kausaler Zusammenhang bestehen. Das Zusatzprotokoll überlässt es dem innerstaatlichen Recht, die genauen Anforderungen an diesen Kausalzusammenhang festzulegen.

Im schweizerischen Recht hat das Bundesgericht die Anforderungen an den natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang im allgemeinen Haftplichtrecht in langjähriger Rechtsprechung definiert und konkretisiert. Diese Anforderungen gelten auch für das Haftpflichtrecht nach dem GTG.

Art. 5

Abhilfemassnahmen

Artikel 5 legt fest, wer im Schadensfall die notwendigen Abhilfemassnahmen ergreifen muss und wem die Kosten dieser Massnahmen auferlegt werden können (Abs. 1, 2, 4 und 5). Dieselben Regeln gelten für den Fall, in dem ein Schaden zwar noch nicht entstanden ist, jedoch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entstehen wird, wenn keine Abhilfemassnahmen ergriffen werden (Abs. 3).

Stellt ein Betreiber fest, dass ein Schaden entstanden ist oder wahrscheinlich entstehen wird, so muss er sofort die Behörden informieren, den Schaden evaluieren und von sich aus geeignete Abhilfemassnahmen treffen. Ist der Betreiber nicht bekannt, so unternehmen die Behörden die notwendigen Schritte, um diesen zu identifizieren.

Zudem evaluieren sie den Schaden, um über den weiteren Umgang damit entscheiden zu können. Anschliessend legen sie fest, welche weiteren Abhilfemassnahmen zu treffen sind und ergreifen allenfalls selbst entsprechende Massnahmen. Der Staat kann sämtliche Kosten, die in Zusammenhang mit der Abwehr und der Behebung des Schadens entstehen, vom Betreiber zurückfordern.

Das schweizerische Recht verpflichtet die Bewilligungsinhaber, neue Erkenntnisse, die zu einer Neubeurteilung von Gefährdungen oder Beeinträchtigungen führen könnten, sofort den Behörden zu melden sowie die Sicherheitsmassnahmen soweit notwendig anzupassen (Art. 13 GTG, Art. 23 und 31 FrSV, Art. 6 und 7 i.V.m. 12 ESV, Art. 16 ESV). Zu diesen neuen Erkenntnissen gehört auch die Feststellung, dass ein GVO trotz Risikoanalyse und trotz bisher ergriffener Sicherheitsmassnahmen einen Schaden verursacht bzw. zu verursachen droht. Betriebe, in denen Tätigkeiten mit GVO durchgeführt werden, die bereits als gefährlich eingestuft sind (Klasse 3 und 4, mässiges bis hohes Risiko), unterliegen zudem der Störfallverordnung vom 27. Februar 1991 (StFV)7. Sie haben die Pflicht, einen allfälligen Störfall unverzüglich zu melden und zu bekämpfen, weitere Einwirkungen zu verhindern und entstandene Einwirkungen so rasch als möglich zu beseitigen (Art. 11 StFV).

Treten in der Umwelt GVO auf, die Biodiversitätsschäden verursachen oder verursachen könnten, so haben die Kantone nach Artikel 52 FrSV die Pflicht, diese zu bekämpfen bzw. bekämpfen zu lassen. Die Kosten dieser Bekämpfungsmassnahmen sowie von angemessenen Wiederherstellungs- und Ersatzmassnahmen trägt
der Bewilligungsinhaber (Art. 20 Abs. 4 und 31 GTG, Art. 53 FrSV).

Im schweizerischen Recht nicht explizit geregelt sind die Evaluation des Schadens sowie die Identifikation des Betreibers durch die Behörden. Diese Pflichten sind jedoch implizit vorgesehen: Weder der Betreiber noch die Behörden können ange7

SR 814.012

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messene Abwehrmassnahmen ergreifen, ohne vorher den potenziellen oder schon eingetretenen Schaden und seine Ursachen evaluiert zu haben. Die Behörden müssen den Verantwortlichen identifizieren, um ihre Kostenersatzansprüche geltend machen zu können.

Art. 6­8

Ausnahmen und Begrenzungen der Verantwortlichkeit

Nach dem Zusatzprotokoll kann das innerstaatliche Recht folgende Ausnahmen und Begrenzungen der Verantwortlichkeit vorsehen: ­

Ausnahmen von der Verantwortlichkeit, beispielsweise für Fälle höherer Gewalt (Art. 6);

­

Verjährungsfristen (Art. 7);

­

finanzielle Obergrenzen für die Haftung gegenüber dem Staat (Art. 8).

Das schweizerische Recht sieht in Artikel 30 Absatz 8 GTG eine Ausnahme von der Verantwortlichkeit bei Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch höhere Gewalt oder durch grobes Verschulden des Geschädigten oder eines Dritten vor. In Artikel 32 GTG sind besondere, gegenüber dem allgemeinen Verjährungsrecht verlängerte Verjährungsfristen (relative Frist drei Jahre, absolute Frist 30 Jahre) vorgesehen. Finanzielle Obergrenzen für die Haftung sind keine vorgesehen, da dies eine Verminderung des Schutzniveaus bedeuten würde.

Art. 9

Rückgriffsrecht

Das innerstaatliche Recht kann ein Rückgriffsrecht für Betreiber vorsehen, die nach den Regeln des Zusatzprotokolls Abhilfemassnahmen ergreifen oder bezahlen müssen.

Das schweizerische Gentechnikrecht behält den Rückgriff der verantwortlichen Person auf Dritte, die zur Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens beigetragen haben, in Artikel 30 Absatz 3 GTG vor.

Art. 10

Finanzielle Sicherheiten

Das Zusatzprotokoll behält das Recht der Vertragsparteien vor, die Betreiber in ihrem innerstaatlichen Recht zu verpflichten, ihre Haftpflicht finanziell sicherzustellen (z.B. über eine Versicherung oder Bankgarantien). Dabei müssen die Vertragsparteien ihre völkerrechtlichen Rechte und Verpflichtungen beachten. Diese Bestimmung begründet jedoch keine Hierarchie zwischen dem Zusatzprotokoll und dem restlichen Völkerrecht, was aus dem Verweis auf die letzten drei Präambelsätze des Cartagena-Protokolls hervorgeht.

Artikel 34 GTG delegiert die Kompetenz zur Einführung einer Sicherstellungspflicht für die GTG-Haftpflicht an den Bundesrat. Dieser hat mit Artikel 13 ESV und Artikel 11 FrSV entprechende Bestimmungen erlassen.

Art. 11

Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen

Nach dem allgemeinen Völkerrecht wird ein Staat haftbar, wenn er völkerrechtliche Pflichten gegenüber einem anderen Staat verletzt. Diese völkergewohnheitsrechtlichen Regeln über die Staatenverantwortlichkeit werden von den Bestimmungen des Zusatzprotokolls nicht berührt.

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Art. 12

Umsetzung und Bezug zur privatrechtlichen Haftung

Absatz 1 statuiert die Verpflichtung der Vertragsparteien, das Zusatzprotokoll in ihrem innerstaatlichen Recht umzusetzen. Das innerstaatliche Recht zur Umsetzung des Zusatzprotokolls kann ein rein verwaltungsrechtliches Regime vorsehen, oder aber sowohl privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Regeln umfassen. Der erste Weg ist im EU-Recht vorgesehen, der zweite entspricht dem schweizerischen Recht.

Absatz 2 beschäftigt sich mit denjenigen Schäden, die von den materiellen Regeln des Zusatzprotokolls nicht erfasst sind (vgl. Kommentar zu Art. 2). Das Zusatzprotokoll verlangt, dass diese Schäden durch das innerstaatliche Haftpflichtrecht der Vertragsparteien gedeckt sein müssen ­ sei es durch das allgemeine Haftpflichtrecht oder durch ein spezifisches GVO-Haftpflichtregime. Es schliesst damit aus, dass eine Vertragspartei keine zivilrechtliche Haftpflicht für von GVO verursachte Sachund Personenschäden vorsieht.

Die Schweiz hat diese Vorgaben des Zusatzprotokolls mit dem GTG bereits erfüllt.

Das Haftpflichtrecht des GTG beschränkt sich nicht nur auf Biodiversitätsschäden.

Wie erwähnt umfasst es auch Sach- und Personenschäden, soweit diese von GVO verursacht werden (vgl. Kommentar zu Art. 2).

Art. 13­21

Institutionelle, verfahrens- und vertragsrechtliche Bestimmungen

Die Artikel 13­21 enthalten die in internationalen Umweltabkommen üblichen institutionellen, verfahrens- und vertragsrechtlichen Regeln.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Das Zusatzprotokoll wird im Rahmen der geltenden Gesetzgebung umgesetzt. Es sind keine zusätzlichen Stellen und Mittel notwendig.

3.2

Auswirkungen auf Kantone, Gemeinden und die Volkswirtschaft

Das Zusatzprotokoll wird im Rahmen der geltenden Gesetzgebung umgesetzt. Es hat keine zusätzlichen Auswirkungen auf Kantone, Gemeinden und Volkswirtschaft.

4

Verhältnis zum EU Recht

Da der Bereich Umwelthaftung in die Zuständigkeit der EU fällt, führte die EU-Kommission die Verhandlungen zum Zusatzprotokoll. Hierbei war sie gehalten, auf Übereinstimmung der Verhandlungsergebnisse mit dem einschlägigen EU-Recht sowie den einzelstaatlichen Rechtsgrundsätzen über die Haftung und Wiedergut-

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machung zu achten. Aus diesem Grund stehen die Regelungen des Zusatzprotokolls insbesondere mit der einschlägigen Umwelthaftungsrichtlinie8 im Einklang.

Das Zusatzprotokoll wurde von der EU und von 24 Mitgliedstaaten unterzeichnet.

Bis Ende Juni 2013 haben die EU sowie 8 Mitgliedstaaten das Zusatzprotokoll ratifiziert.

5

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 25. Januar 20129 zur Legislaturplanung 2011­2015 noch im Bundesbeschluss vom 15. Juni 201210 über die Legislaturplanung 2011­2015 angekündigt. Mit einer baldigen Ratifikation des Zusatzprotokolls trägt die Schweiz jedoch dazu bei, dass der Vertrag in absehbarer Zeit in Kraft treten kann.

Da das Haftungsregime des Zusatzprotokolls zum Schutz der Biodiversität und zu deren nachhaltiger Nutzung beiträgt, steht die Vorlage im Einklang mit der Strategie Biodiversität Schweiz vom 25. April 201211 und unterstützt deren Ziele.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung12 (BV), wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200213; Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199714). Eine solche Delegation der Kompetenz zur Genehmigung des vorliegenden Zusatzprotokolls an den Bundesrat besteht nicht; für die Genehmigung des Zusatzprotokolls ist daher die Bundesversammlung zuständig.

8

9 10 11 12 13 14

Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl. L 143 vom 30.4.2004, S. 56; zuletzt geändert durch Richtlinie 2009/31/EG, ABl. L 140 vom 5.6.2009, S. 114 BBl 2012 481 BBl 2012 7155 BBl 2012 7239 SR 101 SR 171.10 SR 172.010

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6.2

Erlassform

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2), wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn ihre Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3). Nach Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

Das vorliegende Zusatzprotokoll ist unbefristet, aber kündbar. Es sieht auch keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Hingegen enthält es wichtige rechtsetzende Bestimmungen über die Verantwortlichkeiten im Fall von Biodiversitätsschäden, die von GVO verursacht werden. Der Genehmigungsbeschluss wird deshalb dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstellt.

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