12.097 Botschaft zur Genehmigung des Vertrags zwischen der Schweiz und Kosovo über die Überstellung verurteilter Personen vom 30. November 2012

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung des am 14. Mai 2012 unterzeichneten Vertrags zwischen der Schweiz und Kosovo über die Überstellung verurteilter Personen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

30. November 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2012-1917

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Übersicht Der Vertrag ermöglicht es, dass kosovarische und schweizerische Strafgefangene die im jeweils anderen Staat ausgesprochene Freiheitsstrafe künftig in ihrem Heimatstaat verbüssen können. Er dient neben humanitären Zwecken der besseren Resozialisierung nach verbüsster Strafe. Gleichzeitig leistet er einen Beitrag im Rahmen der Bestrebungen, den Ausländeranteil in unseren Gefängnissen zu senken.

Ausgangslage Die Wiedereingliederung von Strafgefangenen in die Gesellschaft nach verbüsster Strafe gehört zu den wichtigsten Zielen der schweizerischen Strafrechtspolitik. Dass verurteilten Personen auf ihren Wunsch hin ermöglicht wird, eine in einem anderen Staat ausgefällte Freiheitsstrafe in ihrem Heimatstaat und damit im gewohnten sozialen und kulturellen Umfeld zu verbüssen, hat nicht nur einen humanitären Aspekt, sondern wird auch regelmässig die Resozialisierung günstig beeinflussen.

Lässt sich dieses Ziel in der Schweiz von vornherein nicht erreichen, weil eine verurteilte Person vor Vollstreckung der Sanktion in ihren Heimatstaat flüchtet, so soll die Vollstreckung der Strafe im Heimatstaat auch ohne das Einverständnis dieser Person möglich sein. Dasselbe gilt, wenn die verurteilte Person nach verbüsster Strafe aufgrund eines Aus- oder Wegweisungsentscheids die Schweiz ohnehin verlassen müsste. Auch hier erscheint die Überstellung in den Heimatstaat ohne Einverständnis der betroffenen Person angezeigt, wobei in diesem Fall ihre Meinung beim Entscheid über die Überstellung zu berücksichtigen ist.

Im genannten Rahmen wird gleichzeitig ein Beitrag zu Bestrebungen geleistet, den Ausländeranteil in Schweizer Gefängnissen zu senken ­ eine Forderung, wie sie in jüngerer Zeit vermehrt nicht nur von Seiten der Strafvollzugsbehörden, sondern auch der Politik erhoben wurde.

Bisher gab es im Verhältnis zwischen der Schweiz und Kosovo keine rechtliche Grundlage, die es ermöglichte, dass Strafgefangene die im jeweils anderen Staat ausgefällte Freiheitsstrafe in ihrem Heimatstaat verbüssen können. Der am 14. Mai 2012 unterzeichnete Vertrag mit Kosovo über die Überstellung verurteilter Personen schafft nun die entsprechende Basis.

Der Vertrag verfolgt die gleichen Ziele wie das Europarat-Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen und dessen Zusatzprotokoll, denen die Schweiz angehört. Ein
Beitritt Kosovos zu diesen multilateralen Instrumenten ist auf absehbare Zeit aber nicht realistisch, da Kosovo nach wie vor von verschiedenen Mitgliedstaaten des Europarats nicht als Staat anerkannt wird. Die Aushandlung eines bilateralen Vertrags wurde daher notwendig.

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Inhalt der Vorlage Der Vertrag legt die Bedingungen und Modalitäten für die Überstellung verurteilter Personen an ihren Heimatstaat zur Verbüssung einer in der anderen Vertragspartei ausgefällten freiheitsentziehenden Strafe oder Massnahme fest. Wie beim EuroparatÜberstellungsübereinkommen, an das sich die Vorlage eng anlehnt und dessen Regelungen sie weitestgehend übernimmt, können die Vertragsparteien unter bestimmten Voraussetzungen einem entsprechenden Wunsch der verurteilten Person nachkommen. Gleich wie das Europarat-Überstellungsübereinkommen begründet der Vertrag aber keine Pflicht, eine verurteilte Person zu überstellen. Es liegt im Ermessen der Vertragsparteien, ob sie dem Wunsch Folge leisten wollen. Demzufolge kann die betroffene Person aus dem Vertrag auch kein Recht ableiten, die Strafe in ihrem Heimatstaat verbüssen zu können.

Gleich wie im Zusatzprotokoll vorgesehen, kann der Vollzug der ausgesprochenen Sanktion im Heimatstaat in zwei genau umschriebenen Fallkonstellationen auch ohne das Einverständnis der verurteilten Person erfolgen. Die entsprechenden Regelungen des Zusatzprotokolls wurden übernommen.

Der Vertrag erfordert keine Änderungen des geltenden Landesrechts. Seine Umsetzung bestimmt sich nach den einschlägigen Bestimmungen des Rechtshilfegesetzes.

Bereits im Zusammenhang mit dem Beitritt zum Zusatzprotokoll zum EuroparatÜberstellungsübereinkommen wurde in Artikel 101 Absatz 2 des Rechtshilfegesetzes unter dem Vorbehalt einer entsprechenden völkerrechtlichen Vereinbarung eine Grundlage für die Übertragung der Strafvollstreckung an das Ausland auch ohne Einwilligung der verurteilten Person geschaffen.

Die Vorlage ist dem Parlament mit der vorliegenden Botschaft zur Genehmigung zu unterbreiten. Durch den Einschluss von Bestimmungen über den Strafvollzug im Heimatstaat ohne Einwilligung der verurteilten Person im Sinne des Zusatzprotokolls geht der Vertrag über die dem Bundesrat verliehene Vertragsabschlusskompetenz (Artikel 8a des Rechtshilfegesetzes) hinaus.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Grundzüge des Vertrags 1.1 Ausgangslage 1.2 Verlauf der Verhandlungen 1.3 Verhandlungsergebnis. Überblick über den Inhalt des Vertrags 1.4 Würdigung

163 163 164 166 166

2 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Vertrags

167

3 Auswirkungen 3.1 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf Bund und Kantone 3.2 Weitere Auswirkungen

179 179 179

4 Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

180

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Erlassform

180 180 180

Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags zwischen der Schweiz und Kosovo über die Überstellung verurteilter Personen (Entwurf)

183

Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Kosovo über die Überstellung verurteilter Personen

185

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Botschaft 1

Grundzüge des Vertrags

1.1

Ausgangslage

Als Folge der zunehmenden Mobilität in der heutigen Gesellschaft gelangen vermehrt auch straffällig gewordene ausländische Personen in den schweizerischen Strafvollzug. Dies hat einerseits Konsequenzen für die betroffenen Personen selber, andererseits auch für die Strafvollzugsbehörden. Eines der wichtigsten Ziele der schweizerischen Strafrechtspolitik, die Resozialisierung von Strafgefangenen, also ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach Verbüssung der Strafe, wird dadurch ebenfalls tangiert.

Generell ist die Resozialisierung bei einer Person, die längere Zeit fern von ihrem sozialen und kulturellen Umfeld in einer für sie fremden Umgebung leben muss, regelmässig erschwert. Hinzu kommt, dass Haftbedingungen in einem ausländischen Gefängnis für Strafgefangene, die mit einer fremden Kultur und Sprache konfrontiert sind, belastend sein und sprachliche und kulturelle Schranken zu einer Benachteiligung der ausländischen Strafgefangenen führen können.

Die Strafvollzugsbehörden ihrerseits werden durch den Anstieg des Anteils ausländischer Strafgefangener in ihren Gefängnissen vor neue Herausforderungen gestellt.

Die Anwesenheit dieser Strafgefangenen, die sich in einem für sie fremden Umfeld zurechtfinden müssen, und das daraus resultierende Zusammentreffen verschiedener Kulturen können den reibungslosen Betrieb der Strafvollzugsanstalten erschweren und unter Umständen auch zu Problemen führen. Wenn sich zudem das Ziel der Resozialisierung in der Schweiz von vornherein nicht realisieren lässt, weil die verurteilte Person nach dem Vollzug der Sanktion die Schweiz ohnehin verlassen muss, ist es in der Regel nicht sinnvoll, dass diese Person die Sanktion weiterhin in der Schweiz verbüsst. Vielmehr soll es in einem solchen Fall möglich sein, diese Person für die Verbüssung der Sanktion in ihren Heimatstaat zu überstellen, und zwar auch ohne ihr Einverständnis. Eine Wiedereingliederung im Heimatstaat ist in diesem Fall sinnvoller und kann am besten erreicht werden, wenn auch bereits die Strafe im angestammten sozialen und kulturellen Umfeld verbüsst wird. Ein möglicher Nebeneffekt besteht zudem in der Abschreckung von Ausländerinnen und Ausländern ohne gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz, insbesondere sogenannten «Kriminaltouristen»: Riskieren diese nämlich, auch gegen ihren Willen zur
Strafverbüssung in ihren Heimatstaat überstellt zu werden, so werden sie unter Umständen davor zurückschrecken, in der Schweiz zu delinquieren.

Dass straffällig gewordene ausländische Staatsangehörige die gegen sie verhängten Sanktionen vermehrt in ihren Heimatstaaten verbüssen und auf diese Weise die Schweizer Gefängnisse entlastet werden sollen, entspricht regelmässig erhobenen Forderungen nicht nur seitens der kantonalen Strafvollzugsbehörden, sondern auch der Politik. In diesem Zusammenhang wurde der Bundesrat beauftragt, «alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um mit anderen Ländern Staatsverträge auszuhandeln, damit Strafgefangene ihre Freiheitsstrafen in ihren Herkunftsländern statt

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in der Schweiz verbüssen können.»1 Der Abschluss von Abkommen mit Staaten Südosteuropas zu diesem Zweck wurde in diesem Zusammenhang explizit verlangt.2 Im Verhältnis zu Kosovo verfügt die Schweiz bis heute über keine völkerrechtliche Grundlage, um die angestrebte Überstellung verurteilter Personen zur Verbüssung ihrer Strafe im Heimatstaat zu ermöglichen. Eine entsprechende Regelung mit diesem Staat ist für die Schweiz von besonderem Interesse, da sich regelmässig vergleichsweise viele kosovarische Staatsangehörige in der Schweiz in Haft befinden.

Zwar wurden im Europarat ­ unter massgeblicher Beteiligung der Schweiz ­ zwei Instrumente ausgearbeitet, die diese Thematik zum Inhalt haben. Einerseits ist dies das Übereinkommen vom 21. März 19833 über die Überstellung verurteilter Personen (Überstellungsübereinkommen), das insbesondere aus humanitären Gründen wie auch im Interesse der bestmöglichen Resozialisierung die Überstellung auf Wunsch der verurteilten Person hin ermöglicht. Anderseits ist es dessen Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 19974 (Zusatzprotokoll), das für bestimmte Fälle den Vollzug einer verhängten Sanktion im Heimat- anstatt im Urteilsstaat auch ohne Einwilligung beziehungsweise gegen den Willen der betroffenen Person möglich macht. Zahlreiche Staaten, nämlich insgesamt 64, haben das Überstellungsübereinkommen ratifiziert, und auch dem Zusatzprotokoll sind inzwischen bereits 35 Staaten beigetreten.5 Sowohl das Überstellungsübereinkommen als auch sein Zusatzprotokoll sind für die Schweiz in Kraft, das Übereinkommen seit 1988 und das Zusatzprotokoll seit 2004.

Im vorliegenden Fall erwies sich die Aushandlung eines bilateralen Vertrags, der eine entsprechende rechtliche Grundlage in diesem Bereich zur Verfügung stellt, aber als notwendig. Da Kosovo nach wie vor von verschiedenen Mitgliedstaaten des Europarats nicht als Staat anerkannt wird, kann er den erwähnten multilateralen Instrumenten nämlich jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt nicht beitreten.

1.2

Verlauf der Verhandlungen

Nachdem die Schweiz Kosovo im Februar 2008 kurz nach dessen Unabhängigkeitserklärung anerkannt hatte, unterzog der Bundesrat die vertraglichen Beziehungen zu diesem Staat einer Gesamtschau. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2009 erteilte er im Rahmen dieser Gesamtschau das formelle Mandat für die Aufnahme von Verhandlungen zu einem Vertrag über die Überstellung verurteilter Personen.

Ziel der Verhandlungen war es angesichts der geschilderten Ausgangslage, ein Instrument auszuhandeln, das die Grundsätze des Überstellungsübereinkommens übernimmt und gleichzeitig die Regelungen des Zusatzprotokolls, das in bestimmten Fällen eine Überstellung auch ohne Zustimmung der betroffenen Person ermöglicht, mit einschliessen soll. Über Letzteres konnte bereits im Vorfeld zu den Verhandlun1

2 3 4 5

164

So die von NR Stamm eingereichte und von 155 weiteren Parlamentarierinnen und Parlamentariern mitunterzeichnete und in der Folge überwiesene Motion 08.3441 vom 13.6.2008. Die gleiche Stossrichtung verfolgen die Motionen 07.3710 vom 5.10.2007 (NR Darbellay), 01.3608 vom 5.10.2001 (NR Brunner) und 00.3694 vom 14.12.2000 (NR Hess).

Siehe Motion 07.3710 vom 5.10.2007 (NR Darbellay).

SR 0.343 SR 0.343.1 Stand Oktober 2012

gen auf Justizministerebene eine grundsätzliche Einigung erzielt werden, nachdem von Schweizer Seite auf die Bedeutung einer solchen Regelung für unser Land hingewiesen worden war.

Im Juni 2010 fand in Bern auf der Grundlage eines vorgängig von der Schweiz unterbreiteten Entwurfs eine erste Verhandlungsrunde statt. Als Vorlage für den schweizerischen Entwurf dienten das Überstellungsübereinkommen sowie dessen Zusatzprotokoll; daneben wurden einzelne Elemente aus weiteren bilateralen Überstellungsverträgen der Schweiz wie auch aus einem früheren Vertragsentwurf Kosovos aufgenommen. Anlässlich dieser ersten Verhandlungsrunde meldete die kosovarische Delegation in verschiedenen Punkten zusätzlichen Abklärungsbedarf an. In der Folge war es bereits anlässlich einer zweiten Runde, die im Oktober 2010 in Pristina stattfand, möglich, die noch offenen Punkte zu bereinigen. Die Tatsache, dass die Verhandlungen zügig vorankamen, dürfte nicht zuletzt auf das Interesse Kosovos zurückzuführen sein, im Verhältnis zu anderen europäischen Staaten sein Staatsvertragsnetz in verschiedenen Bereichen auszubauen, um seine Stellung innerhalb Europas zu festigen, wie auch auf sein Bestreben, durch eine kooperative Haltung im Bereich der Strafrechtszusammenarbeit als verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden.

Angesichts der Thematik des Vertrags wurde der praktischen Ausgestaltung des Strafvollzugs in den Vertragsparteien wie auch den entsprechenden Einrichtungen besondere Beachtung geschenkt. Anlässlich der Verhandlungen organisierte Besuche in Strafvollzugsanstalten beider Staaten erlaubten diesbezüglich wertvolle Einblicke. Von Seiten Kosovos wurde in diesem Zusammenhang wiederholt die Unterstützung seines Strafvollzugswesens durch die Schweiz erwähnt und verdankt.

In der Tat unterstützte die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA im Rahmen eines Osthilfe-Projekts das kosovarische Strafvollzugswesen bereits seit dem Jahr 2000. Konkret geschah dies durch die Entsendung schweizerischer Expertinnen und Experten als Berater und Ausbildner der kosovarischen Strafvollzugsbehörde und des Gefängnispersonals sowie durch finanzielle Beiträge an die Verbesserung der Infrastruktur in dortigen Strafvollzugsanstalten. Auf europäischer Ebene begleitet und unterstützt zudem insbesondere EULEX, die Rechtsstaatlichkeitsmission
der EU im Kosovo, das kosovarische Strafvollzugssystem im Sinne einer Ausrichtung auf gesamteuropäische Standards.6 Entsprechend wird der Situation in kosovarischen Gefängnissen laut neusten Berichten unter anderem auch von Seiten von Nicht-Regierungsorganisationen insgesamt eine kontinuierliche Verbesserung attestiert und die Menschenrechtssituation in den kosovarischen Strafvollzugsanstalten als generell positiv eingeschätzt7 ­ eine Einschätzung, die im Ergebnis auch von der Schweizer Vertretung vor Ort geteilt wird, die sich im Rahmen des konsularischen Schutzes für schweizerische Staatsangehörige direkte Einblicke in das kosovarische Gefängniswesen verschaffen kann.

Am 21. Oktober 2010 wurde der ausgehandelte Vertragstext paraphiert. Die Unterzeichnung des Vertrags fand am 14. Mai 2012 in Pristina statt.

6

7

Siehe in diesem Zusammenhang den EULEX-Bericht «Bolstering the Rule of Law in Kosovo: a Stock Take» über das Berichtsjahr 2011; veröffentlicht unter www.eulex-kosovo.eu/en/news/000313php; S. 47 ff.

Siehe etwa den vom Februar 2012 datierenden Jahresbericht 2011, «Human Rights Standards in Correctional and Detention Centres in Kosovo», des Kosova Rehabilitation Centre for Torture Victims, das seine Beurteilung auf jährlich mehr als 20 Überwachungsbesuche in kosovarischen Strafvollzugsanstalten basiert.

165

1.3

Verhandlungsergebnis. Überblick über den Inhalt des Vertrags

Die von Seiten der Schweiz im Hinblick auf die Vertragsverhandlungen definierten Ziele konnten erreicht werden.

Der Vertrag schafft die Rechtsgrundlage, damit kosovarische und schweizerische Strafgefangene die im jeweils anderen Staat verhängte Sanktion künftig in ihrem Heimatstaat verbüssen können. Er legt die Bedingungen für die Überstellung sowie das Verfahren fest.

Dabei folgt er dem Überstellungsübereinkommen und übernimmt dessen Grundsätze. Zudem nimmt er die Bestimmungen des Zusatzprotokolls auf, die in Abweichung von den Prinzipien des Überstellungsübereinkommens in zwei bestimmten Fallkonstellationen die Vollstreckung einer ausgesprochenen Sanktion im Heimatstaat der verurteilten Person auch ohne Einverständnis dieser Person ermöglicht.

Ergänzt wird der Vertrag durch einzelne Bestimmungen, die mehrheitlich aus bilateralen Überstellungsverträgen stammen, die von der Schweiz in der jüngeren Vergangenheit abgeschlossen wurden, und die gewisse Lücken der multilateralen Instrumente schliessen oder aus Gründen erhöhter Rechtssicherheit und Transparenz aufgenommen wurden.

Wie im Bereich der Überstellung verurteilter Personen üblich, enthält das Instrument keine Verpflichtung der Vertragsparteien zur Überstellung beziehungsweise zur Übernahme der Strafvollstreckung. Es liegt vielmehr im Ermessen der Vertragsparteien, ob sie einem Ersuchen um Überstellung Folge leisten wollen oder nicht.

Entsprechend hat die verurteilte Person kein Anrecht darauf, für den Strafvollzug in den Heimatstaat zurückzukehren.

Die Umsetzung des Vertrags richtet sich nach dem ersten und dem fünften Teil des Rechtshilfegesetzes vom 20. März 19818 (IRSG). Die Bestimmungen des IRSG sind sinngemäss anwendbar, soweit der Vertrag nichts anderes bestimmt.

1.4

Würdigung

Bei der Vorlage handelt es sich um einen zeitgemässen Vertrag, der einerseits die Grundsätze und bewährten Regelungen auf dem Gebiet der Überstellung verurteilter Personen übernimmt und andererseits auch jüngere Entwicklungen der EuroparatsInstrumente in diesem Bereich aufnimmt.

Im Einklang mit den relevanten Instrumenten des Europarats trägt das Instrument den verschiedenen, vorstehend in Ziffer 1.1 dargelegten Anliegen und Forderungen Rechnung: Zum einen verfolgt der Vertrag einen humanitären Zweck und dient einem wichtigen Ziel der Schweizer Strafrechtspolitik, nämlich der besseren Wiedereingliederung einer verurteilten Person in die Gesellschaft nach verbüsster Strafe.

Zum anderen berücksichtigt er in den vergangenen Jahren vermehrt auch von Seiten der Politik erhobene Forderungen, Massnahmen zu treffen, um den regelmässig hohen Anteil ausländischer Strafgefangener in Schweizer Gefängnissen zu senken.

8

166

SR 351.1

Durch die Aushandlung des vorliegenden Vertrags hat der Bundesrat dem in diesem Zusammenhang erteilten Auftrag des Parlaments9 Folge geleistet, mit anderen Staaten Verträge auszuhandeln, damit ausländische Strafgefangene in der Schweiz verhängte freiheitsentziehende Strafen oder Massnahmen in ihren Herkunftsländern verbüssen können ­ die Staaten Südosteuropas, zu denen Kosovo gehört, wurden in diesem Zusammenhang speziell erwähnt.10 Mit der Vorlage wurden auch von Seiten der Kantone, insbesondere der kantonalen Strafvollzugsbehörden, geäusserte Anliegen mit Blick auf die Entlastung der schweizerischen Strafvollzugsanstalten berücksichtigt.

Das Instrument liegt auf der Linie bereits bestehender Überstellungsinstrumente der Schweiz. Mit der Ratifikation des Überstellungsübereinkommens und dessen Zusatzprotokoll hat die Schweiz die Regelungen, wie sie sich im vorliegenden Vertrag finden, in die schweizerische Rechtsordnung übernommen und wendet sie im Verhältnis zu den anderen Übereinkommensparteien bereits heute an. Der Vertrag mit Kosovo ist nun aber der erste bilaterale Vertrag, mit dem der Vollzug einer im Urteilsstaat ausgesprochenen Sanktion im Heimatstaat auch gegen den Willen der verurteilten Person vereinbart werden konnte. Der Grund, weswegen im Verhältnis zu Kosovo ein separater bilateraler Vertrag ausgehandelt werden musste, war, dass Kosovo, da von verschiedenen Staaten des Europarats nicht als Staat anerkannt, zum heutigen Zeitpunkt dessen multilateralen Instrumenten nicht beitreten kann.

Der Vertrag erfordert keine Anpassungen des Landesrechts. Er geht nicht über die Vorgaben des IRSG hinaus. Auch die Möglichkeit, eine verurteilte Person ohne ihre Einwilligung zur Vollstreckung der ausgesprochenen Sanktion in einen anderen Staat zu überstellen, wurde bereits im nationalen Recht umgesetzt: Artikel 101 Absatz 2 IRSG schafft die ausdrückliche rechtliche Grundlage dafür, wenn ­ wie dies hier der Fall ist ­ eine internationale Vereinbarung eine solche Überstellung vorsieht.

Bei dieser Ausgangslage wurde vorliegend im Sinne von Artikel 2 des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 200511 auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Vertrags

Art. 2

Allgemeine Grundsätze

Absatz 1 enthält den allgemeinen Grundsatz für die Anwendung des Vertrags. In Übereinstimmung mit der Philosophie des Überstellungsübereinkommens verdeutlicht die Bezugnahme auf die «weitestgehende Zusammenarbeit bei der Überstellung verurteilter Personen» den Grundgedanken des Instruments: Es ist grundsätzlich wünschenswert, dass verurteilte Personen ihre Strafe in ihrer Heimat verbüssen.

Entsprechend ermöglicht Absatz 2 einer Vertragspartei, eine verurteilte Person zur Vollstreckung freiheitsentziehender Strafen oder Massnahmen (im Folgenden: Sanktion) in das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei zu überstellen. Die Initiative für die Überstellung muss dabei von der verurteilten Person ergriffen werden, indem 9 10 11

Siehe in diesem Zusammenhang die in der Fussnote zu Ziff. 1.1 erwähnten Vorstösse.

Siehe Motion 07.3710 vom 5.10.2007 (NR Darbellay).

SR 172.061

167

sie gegenüber dem Staat, in dem das Urteil gefällt wurde (Urteilsstaat) oder der das Urteil vollstrecken soll (Vollstreckungsstaat, Heimatstaat der betroffenen Person), einen entsprechenden Wunsch äussert. Eine Ausnahme bilden die Fälle nach den Artikeln 23 und 24, in denen die Übernahme der Strafvollstreckung bzw. die Überstellung ohne Zustimmung der betroffenen Person erfolgen kann.

Die Bestimmung begründet keine Verpflichtung der Vertragsparteien zur Übertragung der Strafvollstreckung an die andere Vertragspartei beziehungsweise zu deren Übernahme ­ auch wenn aufgrund der Tatsache, dass ein Überstellungsvertrag abgeschlossen wurde, von einer grundsätzlichen Bereitschaft seitens der Vertragsparteien auszugehen ist, die Überstellung verurteilter Personen in Betracht zu ziehen. Die verurteilte Person kann aus der Bestimmung kein Recht auf eine Verbüssung der ausländischen Strafe im Heimatstaat ableiten.

Nachdem der Überstellungswunsch geäussert wurde, stellt der Urteils- oder der Vollstreckungsstaat ein Ersuchen an den anderen Staat (Abs. 3), sofern die Überstellung insbesondere mit Blick auf die Voraussetzungen von Artikel 3 möglich erscheint.

Art. 3

Voraussetzungen für die Überstellung

Absatz 1 führt die Voraussetzungen für eine Überstellung auf. Diese Voraussetzungen decken sich mit denjenigen des Überstellungsübereinkommens. Sie betreffen die Staatsangehörigkeit der verurteilten Person (Bst. a), das Erfordernis der Rechtskraft des ausgefällten Urteils (Bst. b), die Mindestdauer der noch zu verbüssenden Sanktion (Bst. c), die Zustimmung der verurteilten Person (Bst. d), das Erfordernis der doppelten Strafbarkeit der Tat, die der Verurteilung zugrunde liegt (Bst. e), sowie die Einigung der beiden Vertragsparteien über die Überstellung (Bst. f).

Zu Diskussionen anlässlich der Verhandlungen hat Buchstabe c geführt, wonach zum Zeitpunkt des Eingangs des Ersuchens noch mindestens sechs Monate der gegen die verurteilte Person verhängten Sanktion zu vollziehen sein müssen. Kosovo forderte mit dem Hinweis auf die teilweise lange Dauer von Überstellungsverfahren ein Jahr als Mindestdauer. Obwohl die Forderung nicht gänzlich unberechtigt ist, erweist sich eine derartige Heraufsetzung der Mindestdauer im europäischen Kontext für die Schweiz als zu lang. Dies gilt insbesondere angesichts politischer Forderungen, die in die gegensätzliche Richtung tendieren und eine Herabsetzung der Mindestdauer auf drei Monate verlangen.12 Hintergrund der Bedingung der verbleibenden Mindeststrafdauer ist einerseits, dass das Ziel der erfolgreichen Resozialisierung nur erreicht werden kann, wenn noch eine genügend lange Strafe zu verbüssen bleibt, andererseits, dass die oftmals kostspielige Überstellung im richtigen Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen muss. Die sechs Monate, wie sie sich bereits im Überstellungsübereinkommen finden, stellen nach Auffassung des Bundesrats unter diesen Gesichtspunkten eine im europäischen Kontext vertretbare Kompromisslösung dar.

In Anlehnung an das Überstellungsübereinkommen können sich die Vertragsparteien in Ausnahmefällen aber auf eine kürzere Mindestdauer einigen (Abs. 2). Damit kann den Gegebenheiten im Einzelfall besser Rechnung getragen werden. Die Einigung auf eine kürzere Mindestdauer kann etwa dann Sinn machen, wenn die 12

168

Siehe Motion 07.3710 vom 5.10.2007 («Steigerung der Effizienz im Strafvollzug», NR Darbellay, von 14 weiteren Nationalrätinnen und Nationalräten mitunterzeichnet).

Prognosen für die bessere Resozialisierung im Vollstreckungsstaat trotz kürzerer Restdauer der Sanktion günstig sind oder wenn das Überstellungsverfahren schnell und kostengünstig abgewickelt werden kann.

Grundsätzlich ist nach Absatz 1 Buchstabe d für eine Überstellung erforderlich, dass die verurteilte Person hierzu ihre Zustimmung erteilt. Die Bestimmung ist im Zusammenhang mit Artikel 9 des Vertrags und Artikel 7 des Überstellungsübereinkommens zu lesen.

Im Einklang mit der Regelung im Zusatzprotokoll verdeutlicht Absatz 3, dass die Zustimmung zur Strafvollstreckung im Heimatstaat in den in den Artikeln 23 und 24 umschriebenen Fallkonstellationen (Flucht in den Heimatstaat vor verbüsster Sanktion beziehungsweise Ausweisung oder Abschiebung aus dem Urteilsstaat nach verbüsster Sanktion) nicht notwendig ist.

Art. 4

Unberührtheitsklausel

Die Bestimmung wurde von der Schweiz eingebracht. Damit soll die Bedeutung, welche die Schweiz der Dimension der Menschenrechte beimisst, unmissverständlich zum Ausdruck kommen. Sollten im Einzelfall konkretisierte Gründe für die Annahme von Menschenrechtsverletzungen vorliegen, wird die Schweiz von einer Überstellung absehen.13 Artikel 4 will im erwähnten Sinn im Interesse der Transparenz und zum Schutz der betroffenen Person das Verhältnis des Vertrags zu den internationalen Menschenrechtsinstrumenten verdeutlichen. Dies betrifft namentlich den Internationalen Pakt vom 16. Dezember 196614 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II), die Konvention vom 4. November 195015 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sowie das Übereinkommen vom 10. Dezember 198416 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Die Bestimmung stellt klar, dass der Vertrag die sich aus diesen Instrumenten ergebenden Rechte, Pflichten und Zuständigkeiten nicht berührt. Auch in der Anwendung des vorliegenden Vertrags sind die Vertragsparteien demnach an die in den genannten Menschenrechtsinstrumenten statuierten Verpflichtungen gebunden.

Während sich für die Schweiz entsprechende Verpflichtungen daraus ergeben, dass sie Vertragspartei der genannten Instrumente ist, leiten sie sich für Kosovo aus Artikel 22 seiner Verfassung ab. Die Verfassung garantiert die in diesen Instrumenten verbrieften Menschen- und Grundrechte und erklärt sie als direkt anwendbar.17 Art. 5

Informationspflicht

Absatz 1 regelt, wie der Überstellungsmechanismus ausgelöst wird. Die Information über die Möglichkeit der Überstellung und über die daraus erwachsenden Folgen ist Voraussetzung dafür, dass die verurteilte Person in Kenntnis der relevanten Tatsachen entscheiden kann, ob sie den Wunsch äussern soll, für die Verbüssung der Strafe in ihren Heimatstaat zurückzukehren. Ist die Schweiz Urteilsstaat, stellt das 13 14 15 16 17

Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen zu Artikel 24.

SR 0.103.2 SR 0.101 SR 0.105 Constitution of the Republic of Kosovo, in Kraft seit 15. Juni 2008, abrufbar unter: www.kryeministri-ks.net/?page=2,1

169

Bundesamt für Justiz den zuständigen kantonalen Behörden die entsprechenden Informationsmerkblätter zu Handen der verurteilten Person zu.

Äussert die verurteilte Person den Überstellungswunsch gegenüber dem Urteilsstaat, so setzt dieser den Vollstreckungsstaat davon in Kenntnis, sobald das Urteil rechtskräftig ist (Abs. 2). Die in diesem Zusammenhang übermittelten Informationen ­ diese betreffen die Personalien der betroffenen Person, den der Sanktion zugrunde liegenden Sachverhalt sowie die Art, die Dauer und den Beginn der Sanktion (Abs. 3) ­ sollen dem Heimatstaat der verurteilten Person den Entscheid ermöglichen, ob er zugunsten seines Staatsangehörigen ein Überstellungsersuchen an den Urteilsstaat stellen soll. Richtet die verurteilte Person ihren Wunsch nach Überstellung direkt an ihren Heimatstaat, so muss der Urteilsstaat die entsprechenden Informationen übermitteln, wenn er darum ersucht wird (Abs. 4). In der Schweiz erfolgt der Informationsaustausch über das Bundesamt für Justiz.

Auch die Unterrichtung der verurteilten Person über die Folge, die ihrem Ersuchen um Überstellung gegeben wird, wie dies Absatz 5 vorsieht, obliegt in der Schweiz dem Bundesamt für Justiz.

Art. 6 und 7

Zentralbehörde; Ersuchen und Antworten

Der Schriftverkehr im Hinblick auf eine Überstellung läuft in beiden Vertragsparteien über eine Zentralstelle.

In der Schweiz ist das Bundesamt für Justiz die Zentralstelle für die Entgegennahme kosovarischer Überstellungsersuchen und, nach Absprache mit der zuständigen kantonalen Vollzugsbehörde, für die Beantwortung dieser Ersuchen sowie das Stellen schweizerischer Ersuchen an Kosovo.18 Sind die Voraussetzungen für eine Überstellung gegeben, so ist ebenfalls das Bundesamt für Justiz in Zusammenarbeit mit der betroffenen kantonalen Behörde für den Entscheid zuständig, ob es einem kosovarischen Überstellungsersuchen zustimmen oder selber ein Ersuchen in die Wege leiten will.

In Kosovo ist das Justizministerium für den Schriftverkehr im Rahmen von Überstellungen zuständig (Art. 7 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 6).

Art. 8

Unterlagen

Die Bestimmung hält fest, welche Unterlagen die Vertragsparteien einander zur Verfügung zu stellen haben, wenn um Überstellung ersucht wird. Sie ist abschliessend formuliert und will verhindern, dass unnötige Informationen über die betroffene Person, die nicht unmittelbar mit der Überstellung in Zusammenhang stehen beziehungsweise für den weiteren Strafvollzug erforderlich sind, weitergegeben werden. Herauszugeben sind demnach einerseits Unterlagen, die eine Entscheidung darüber ermöglichen sollen, ob die Voraussetzungen für eine Überstellung gegeben sind, mit anderen Worten Angaben über die Straftat, Staatsangehörigkeit der betroffenen Person und, soweit erforderlich, deren Einwilligung zur Überstellung.

Andererseits geht es um Informationen über den bisherigen Strafvollzug im Urteilsstaat sowie solche im Hinblick auf den allfälligen weiteren Strafvollzug im Vollstreckungsstaat. Es versteht sich von selbst, dass nur Informationen herausgegeben

18

170

Art. 17 Abs. 2, 30 Abs. 2 und 104 Abs. 1 IRSG

werden, die einen engen Bezug zur Überstellung aufweisen und für den Vollzug der Strafe notwendig sind.

Die Unterlagen sind vor der Überstellung beizubringen. Dadurch, dass sie nach Absatz 3 auch angefordert werden können, bevor um Überstellung ersucht oder über ein Überstellungsersuchen entschieden wird, soll vermieden werden, dass ein Überstellungsverfahren in Gang gesetzt wird, das dann in der Folge nicht erfolgreich abgeschlossen werden kann.

Art. 9

Zustimmung und Nachprüfung

Mit Ausnahme von Fällen nach den Artikeln 23 und 24 gehört die Zustimmung durch die verurteilte Person zu den Grundvoraussetzungen der Überstellung, da dieses Einverständnis im Regelfall für die Erreichung des Ziels der sozialen Wiedereingliederung nach verbüsster Strafe notwendig ist. Nach Absatz 1 muss der Urteilsstaat in diesem Zusammenhang gewährleisten, dass die betroffene Person ihr Einverständnis freiwillig und im vollen Bewusstsein der rechtlichen Folgen abgibt. Die verurteilte Person muss insbesondere darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie nach der Überstellung keinen Spezialitätsschutz geniesst. Dies bedeutet, dass sie im Vollstreckungsstaat für andere Straftaten als für diejenige, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag und Anlass für die Überstellung gibt, ins Recht gefasst und verurteilt werden kann ­ eine Folge, die in Artikel 14 Absatz 2 aus Gründen der Transparenz explizit erwähnt ist. Zudem muss die verurteilte Person darüber informiert werden, dass sie im Vollstreckungsstaat unter Umständen eine längere Strafe verbüssen muss, als wenn sie dort für dasselbe Delikt verurteilt worden wäre.

Der Vollstreckungsstaat kann durch einen Konsul oder einen anderen, einvernehmlich bezeichneten Beamten überprüfen lassen, ob die verurteilte Person der Überstellung wie verlangt freiwillig und in voller Kenntnis der rechtlichen Konsequenzen zugestimmt hat (Abs. 2).

Art. 10

Widerruf der Zustimmung

Ab einem bestimmten Zeitpunkt soll die Zustimmung zur Überstellung nicht mehr widerrufen werden können. Dies soll nach Artikel 10 dann der Fall sein, wenn sich der Urteils- und der Vollstreckungsstaat über die Überstellung geeinigt haben. Den Vertragsstaaten sollen damit unnötige Kosten und Verfahrensaufwendungen erspart werden. Es wäre unverhältnismässig, wenn die verurteilte Person ihre Meinung in letzter Minute, etwa vor dem Besteigen des Flugzeugs, plötzlich ändern könnte, nachdem sie das ganze Überstellungsverfahren veranlasst hat und die Vertragsparteien alle Vorkehrungen für die Überstellung getroffen haben. Wird die Schweiz um Überstellung ersucht, so gilt die Zustimmung der verurteilten Person nach Gutheissung des Ersuchens durch das Bundesamt für Justiz als definitiv.

Eine gleichlautende Bestimmung findet sich im Überstellungsvertrag, den die Schweiz mit Marokko abgeschlossen hat.19 Sie entspricht im Ergebnis der Erklärung, welche die Schweiz seinerzeit im Zusammenhang mit dem Überstellungsübereinkommen angebracht hat.20

19 20

SR 0.344.549 (Art. 9) SR 0.343 (Schweizer Erklärung zu Art. 7 Abs. 1)

171

Art. 11

Wirkungen der Überstellung für den Urteilsstaat

Artikel 11 ist Ausfluss des Prinzips ne bis in idem, das besagt, dass niemand für die gleiche Tat zweimal ins Recht gefasst beziehungsweise bestraft werden soll.

Es entspricht einem wichtigen Grundsatz im Bereich der Überstellung, dass der Urteilsstaat sein Recht auf Vollstreckung behält, solange die Sanktion im Vollstreckungsstaat nicht abgeschlossen ist. Während des Vollzugs im Vollstreckungsstaat ruht dieses Recht (Abs. 1). Ist jedoch der Vollzug dort nicht mehr möglich, weil sich die verurteilte Person diesem nach ihrer Überstellung durch Flucht entzieht, so lebt das Recht des Urteilsstaats auf Vollstreckung des noch zu verbüssenden Rests der Sanktion wieder auf (Abs. 2). Diese Regelung findet sich bereits in den mit Marokko21, Paraguay22 und Peru23 abgeschlossenen Überstellungsverträgen und dient der Transparenz. Ist der Vollzug der Sanktion im Vollstreckungsstaat abgeschlossen, so erlischt das Recht des Urteilsstaats auf Vollstreckung seines Urteils (Abs. 3).

Die Bestimmung ist in Verbindung mit Artikel 18 zu lesen, der dem Vollstreckungsstaat betreffend den Vollzug der Sanktion eine Informationspflicht auferlegt.

Art. 12 und 13

Wirkungen der Überstellung für den Vollstreckungsstaat; Fortsetzung des Vollzugs und Umwandlung der Sanktion

Als Vollstreckungsstaat hat eine Vertragspartei die Wahl zwischen zwei Verfahren zur Vollstreckung der im Urteilsstaat ausgesprochenen Sanktion. Sie kann wählen zwischen der Fortsetzung des Vollzugs der Sanktion (ohne Umwandlung der Sanktion mittels eigenem Entscheid) und der Umwandlung der im Urteilsstaat ausgesprochenen Sanktion in eine eigene Entscheidung. Die Wahlmöglichkeiten entsprechen denjenigen, die bereits das Überstellungsübereinkommen zur Verfügung stellt. Wie dort sind die Vertragsparteien auch hier frei in der Wahl des Systems, sie müssen aber beim einmal gewählten Verfahren bestimmte Bedingungen einhalten. Diese sind in Artikel 13 festgelegt.

Die Schweiz entschied sich wie schon im Rahmen des Überstellungsübereinkommens für die Fortsetzung des Vollzugs der Sanktion (Art. 12 Abs. 1 Bst. a). Konkret bedeutet dies, dass sie das kosovarische Strafurteil ohne Überprüfung im Tat- und Schuldpunkt übernimmt und die von Kosovo verhängte Sanktion vollzieht. Die Sanktion kann aber angepasst werden, wenn ihre Art oder Dauer mit dem schweizerischen Recht nicht vereinbar ist. Dabei darf aber die in Kosovo verhängte Sanktion weder verschärft noch das nach schweizerischem Recht vorgesehene Höchstmass überschritten werden (Art. 13 Abs. 1). Die konkrete Umsetzung richtet sich nach dem IRSG.24 Das Bundesamt für Justiz beauftragt die kantonalen Behörden in beiden Fällen damit, ein Exequaturverfahren durchzuführen und einen anfechtbaren Exequaturentscheid zu erlassen.25 Im Gegensatz zur Schweiz wählte Kosovo im Einklang mit seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften das System der Umwandlung der in der Schweiz ausgesprochenen Sanktion in eine eigene Entscheidung (Art. 12 Abs. 1 Bst. b). Die zuständigen 21 22 23 24 25

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SR 0.344.549 (Art. 14 Abs. 1) SR 0.344.632 (Art. 11 Abs. 2) SR 0.344.641 (Art. 9 Abs. 1) SR 351.1 (Art. 94 ff.)

Art. 105 und 106 IRSG

kosovarischen Behörden sind dabei aber nicht völlig frei, sondern haben sich nach Artikel 13 Absatz 2 an folgende Bedingungen zu halten: ­

Sie sind an die dem schweizerischen Urteil zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen gebunden (Bst. a).

­

Die Umwandlung einer freiheitsentziehenden Sanktion in eine Geldstrafe ist nicht zulässig (Bst. b).

­

Der von der verurteilten Person bereits verbüsste Teil der Sanktion muss an die noch zu verbüssende Strafe angerechnet werden (Bst. c).

­

Die strafrechtliche Situation für die betroffene Person darf nicht erschwert werden; die zuständige Behörde ist an ein Mindestmass, das in Kosovo für die betreffende Straftat allenfalls vorgesehen ist, nicht gebunden (Bst. d).

Das von Kosovo gewählte System ist für die Schweiz als Urteilsstaat nicht neu: Das IRSG schreibt nämlich für die Übertragung der Vollstreckung eines Strafentscheids an einen anderen Staat kein bestimmtes von diesem zu befolgendes Verfahren vor.

Bereits heute wenden einzelne Staaten dieses Verfahren im Überstellungsverkehr mit der Schweiz an.26 Im Zusammenhang mit der Umwandlung ist Artikel 13 Absatz 3, den die schweizerische Delegation anlässlich der Verhandlungen eingebracht hat, von besonderer Bedeutung. Er sieht vor, dass der Vollstreckungsstaat dem Urteilsstaat vor der Überstellung die Strafe mitteilt, welche die betroffene Person im Fall einer Überstellung verbüssen müsste. Dies ermöglicht es der Schweiz, in Kenntnis der Folge, die Kosovo dem schweizerischen Urteil bei einer Übernahme der Strafvollstreckung geben würde, über die Überstellung zu entscheiden.

Art. 14

Folgen der Überstellung

In Bezug auf die strafrechtliche Situation der verurteilten Person hat die Überstellung zwei wesentliche Folgen: Im Einklang mit dem Grundsatz ne bis in idem darf der Vollstreckungsstaat die verurteilte Person für die Tat, die dem ausländischen Urteil und damit der Überstellung zugrunde liegt, nicht nochmals ins Recht fassen oder verurteilen (Abs. 1). Für andere Taten ist eine strafrechtliche Verfolgung oder Verurteilung aber möglich (Abs. 2).

Diese Bestimmung, die im Überstellungsübereinkommen fehlt, wurde der Klarheit halber in den Vertrag aufgenommen und soll der verurteilten Person aufzeigen, welche Folgen eine Überstellung für sie haben kann. Die Aufklärung darüber ist Bestandteil der dem Urteilsstaat obliegenden Informationspflicht, die sich aus den Artikeln 5 und 9 ergibt. Analoge Bestimmungen finden sich in den Überstellungsverträgen mit Marokko27, Paraguay28 und Peru29.

26 27 28 29

So etwa die Niederlande.

SR 0.344.549 (Art. 16) SR 0.344.632 (Art. 13) SR 0.344.641 (Art. 11)

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Art. 15

Amnestie, Abänderung der Sanktion oder Begnadigung

Gestützt auf diese Bestimmung haben sowohl der Urteils- wie auch der Vollstreckungsstaat das Recht, die Sanktion durch eine Amnestie oder gnadenweise Abänderung, die sich auf ein Gesetz von allgemeiner Anwendbarkeit abstützen, abzuändern.

Begnadigungen, die einzelfallweise vom Vollstreckungsstaat ausgesprochen werden, muss der Urteilsstaat demgegenüber zustimmen. Damit soll das Vertrauen dieses Staats darin, dass seinem Urteil im anderen Staat Nachachtung verschafft wird, zusätzlich gestärkt und dadurch seine Bereitschaft zur Überstellung erhöht werden.

Art. 19

Eskorte und Kosten

Absatz 1 sieht vor, dass die Eskorte für die Überstellung der verurteilten Person im Regelfall vom Urteilsstaat gestellt wird und dieser grundsätzlich auch alle Kosten im Zusammenhang mit der Überstellung trägt. Grund für diese vom Überstellungsübereinkommen abweichende Kostenregelung war die Überlegung, dass eine Überstellung nicht daran scheitern soll, dass der Vollstreckungsstaat die Kosten dafür nicht aufbringen kann oder will. Für den Urteilsstaat ­ im Verhältnis zu Kosovo wird dies in der Mehrheit der Fälle die Schweiz sein ­ rechtfertigt sich die Regelung dadurch, dass er durch die Überstellung im Ergebnis eine erhebliche Kostenentlastung erfährt, da für ihn die weiteren Kosten für den Strafvollzug entfallen.

Die Zentralbehörden können aber eine andere Regelung vereinbaren, falls es in einem konkreten Fall angezeigt ist. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Vollstreckungsstaat aus humanitären Gründen ein Ersuchen um Überstellung eines Staatsangehörigen stellt und die Chancen, dass der Urteilsstaat einwilligt, dadurch steigen.

Eine Neuheit im Verhältnis zum Überstellungsübereinkommen und den bisher von der Schweiz abgeschlossenen bilateralen Überstellungsverträgen stellt Absatz 2 dar.

Dieser sieht im Interesse einer zügigen Abwicklung des Überstellungsverfahrens vor, dass der Vollstreckungsstaat die verurteilte Person innerhalb von 30 Tagen nach der Einigung über die Überstellung übernimmt. Die Frist kann verlängert werden, falls sie sich im Einzelfall als zu kurz erweist.

Art. 20

Durchlieferung

Artikel 20 enthält Regeln für den Fall, dass die verurteilte Person von einer Vertragspartei in einen Drittstaat gebracht werden muss und dabei das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei durchquert.

Art. 22

Befreiung von jeder Beglaubigung und anderen Formerfordernissen

Mit Ausnahme des Urteils, das Anlass für die Überstellung gibt, sowie der angewendeten Rechtsvorschriften müssen die im Rahmen des Überstellungsverfahrens übermittelten Unterlagen nicht beglaubigt werden. Dies gilt auch für das Überstellungsersuchen. Der Verzicht auf die Beglaubigung, der sich bereits in früheren Überstellungsverträgen der Schweiz findet30, dient der Vereinfachung des Verfahrens.

30

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Vgl. etwa Überstellungsverträge mit Marokko (SR 0.344.549; Art. 11), Paraguay (SR 0.344.632; Art. 20) und Peru (SR 0.344.641; Art. 19).

Art. 23 und 24

Besondere Bestimmungen zur Überstellung und zur Übernahme des Strafvollzugs ohne Zustimmung der verurteilten Person

Der zweite Teil des Vertrags, der aus den Artikeln 23 und 24 besteht, ist identisch mit den Artikeln 2 und 3 des Zusatzprotokolls zum Überstellungsübereinkommen, das für die Schweiz seit dem 1. Oktober 2004 in Kraft ist und mittlerweile gegenüber 34 anderen Staaten Anwendung findet.31 Er ermöglicht für zwei genau definierte Konstellationen eine Einigung der Vertragsparteien darauf, dass verurteilte Personen die im Urteilsstaat verhängte Sanktion auch ohne ihr Einverständnis im Heimatstaat verbüssen. Abgesehen vom Erfordernis des Einverständnisses der betroffenen Personen sind die Bestimmungen des ersten Teils auch auf diese Fälle anwendbar. Voraussetzung für die Übertragung der Strafvollstreckung ist demnach auch hier, dass die verurteilte Person die Staatsangehörigkeit des Vollstreckungsstaats besitzt, das Urteil rechtskräftig ist, bei Eingang des Ersuchens grundsätzlich noch mindestens sechs Monate der verhängten Sanktion zu vollziehen sind, die Tat in beiden Staaten strafbar ist und sich beide Vertragsparteien auf die Übertragung der Strafvollstreckung geeinigt haben.

Die Vereinbarung entsprechender Regelungen in einem bilateralen Überstellungsvertrag ist für die Schweiz ein Novum und erklärt sich, wie dargelegt, durch die Tatsache, dass Kosovo zum heutigen Zeitpunkt nicht dem multilateralen Zusatzprotokoll zum Überstellungsübereinkommen beitreten kann.32 Die in den Artikeln 23 und 24 statuierte Übertragung der Strafvollstreckung ohne Einverständnis der verurteilten Person geht über die Kompetenznorm von Artikel 8a IRSG hinaus, die den Bundesrat zum selbstständigen Abschluss bilateraler Überstellungsverträge ermächtigt. Entsprechend ist die Vorlage mit der vorliegenden Botschaft dem Parlament zur Genehmigung zu unterbreiten.

Im Einzelnen sind folgende Erläuterungen zu den Bestimmungen angezeigt: Art. 23

Personen, die aus dem Urteilsstaat geflohen sind

Artikel 23, der Artikel 2 des Zusatzprotokolls entspricht, betrifft den Fall, in dem eine wegen einer Straftat rechtskräftig verurteilte Person vor oder während der Verbüssung der Sanktion aus dem Urteilsstaat in ihren Heimatstaat flieht und sich so der (weiteren) Vollstreckung der Sanktion entzieht. In einem solchen Fall kann der Urteilsstaat den Heimatstaat der flüchtigen Person um Übernahme der Vollstreckung der Sanktion ersuchen, und zwar ohne dass das Einverständnis dieser Person erforderlich wäre (Abs. 1 und 3). Der Verzicht auf das Einverständnis ist angesichts des Verhaltens der betroffenen Person, die sich der Justiz des Urteilsstaats entzogen hat, ohne Weiteres vertretbar.33 Das dem Ersuchen des Urteilsstaats folgende Verfahren ist in der Folge das gleiche wie bei der Überstellung auf Wunsch der betroffenen Person: Zwischen den beiden Vertragsparteien findet ein Informationsaustausch statt, und es werden die Unterlagen, wie sie auch im Zusammenhang mit der Durchführung eines ordentlichen 31 32 33

Stand Oktober 2012 Siehe Ziff. 1.1 Vgl. in diesem Sinn im Ergebnis den anlässlich des Zusatzprotokolls ausgearbeiteten Rapport explicatif sur le Protocole additionnel à la Convention sur le transfèrement des personnes condamnées, Ziff. 14, abrufbar unter: http://conventions.coe.int/Treaty/FR/Reports/Html/167.htm

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Überstellungsverfahrens erforderlich sind, übermittelt. Zuständige Übermittlungsund Empfangsbehörde in der Schweiz ist das Bundesamt für Justiz.

Die Wirkungen der Übertragung der Strafvollstreckung sind hauptsächlich in den Artikeln 11­14 geregelt.

Mit Artikel 23 soll dem Recht zum Durchbruch verholfen werden, indem sich ausländische, straffällig gewordene Personen nicht durch Flucht der Strafvollstreckung sollen entziehen können. Da Kosovo gleich wie die Schweiz seine Staatsangehörigen nicht ausliefert,34 war es angezeigt, der Problematik der drohenden Straflosigkeit im Rahmen des vorliegenden Vertrags Rechnung zu tragen.

Gemäss Absatz 2 kann der Urteilsstaat den Vollstreckungsstaat darum ersuchen, vorsorgliche Massnahmen zu ergreifen um sicherzustellen, dass sich die geflüchtete Person bis zum Entscheid über die Übertragung der Strafvollstreckung nicht aus dem Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats entfernen kann. Entsprechende Massnahmen können in der Abnahme der Ausweispapiere oder, einschneidender, in der Festnahme der betroffenen Person bestehen. Ob die Anordnung derartiger Massnahmen möglich ist, bestimmt sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaats. Die Schweiz verfügt im Rahmen des IRSG grundsätzlich über eine gesetzliche Grundlage für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen.35 Die provisorische Verhaftung schweizerischer Staatsangehöriger vor Eintreffen der Unterlagen zum Ersuchen oder dem Entscheid über das Ersuchen fällt indessen nicht darunter; sie ist im schweizerischen Recht nicht vorgesehen. Obwohl anlässlich der Verhandlungen auf diesen Umstand hingewiesen, sprach sich die kosovarische Delegation für eine Beibehaltung von Absatz 2 aus, da nach kosovarischem Recht eine provisorische Verhaftung eigener Staatsangehöriger möglich ist.

Die strafrechtliche Lage der verurteilten Person darf infolge des wegen der vorläufigen Festnahme in ihrem Heimatstaat in Haft verbrachten Zeitraums nicht erschwert werden. Diese Zeit muss an die Dauer der gesamthaft zu verbüssenden Sanktion angerechnet werden.

Art. 24

Verurteilte Personen, die der Ausweisung oder Abschiebung unterliegen

Artikel 24 entspricht Artikel 3 des Zusatzprotokolls. Er betrifft den Fall, in dem es einer straffällig gewordenen Person nach Verbüssung der Strafe nicht gestattet ist, sich weiterhin im Urteilsstaat aufzuhalten. Da sich in einem solchen Fall das Ziel der Resozialisierung im Urteilsstaat regelmässig von vornherein nicht erreichen lässt, soll die Überstellung in den Heimatstaat möglich sein, und zwar auch ohne Einwilligung der betroffenen Person.

Bei den Entscheiden, die der verurteilten Person den weiteren Verbleib im Urteilsstaat untersagen, kann es sich um Sanktionen von Gerichten oder auch um entsprechende Anordnungen von Verwaltungsbehörden handeln. Ist die Schweiz Urteilsstaat, so geht es um ausländische Personen, die Adressaten des Vollzugs einer

34

35

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Unter dem Vorbehalt einer anderslautenden vertraglichen Grundlage ­ dies im Gegensatz zur Schweiz, die ihre Staatsangehörigen ohne deren Einverständnis gestützt auf Artikel 25 der Bundesverfassung generell nicht ausliefert.

Art. 18 IRSG

fremdenpolizeilichen Aus- oder Wegweisung36 (häufig verbunden mit einer Einreisesperre) sind.37 Bevor eine Überstellung stattfinden kann, müssen aber in jedem Fall alle ordentlichen Rechtsmittel gegen die Entscheide oder Verfügungen erschöpft und muss das Urteil rechtskräftig sein.38 Ein allfälliges Asylverfahren muss ebenfalls rechtskräftig im Sinne eines ablehnenden Entscheids erledigt sein, ehe eine Überstellung ins Auge gefasst werden kann.

Eine verurteilte Person kann erst überstellt werden, wenn sich Urteils- und Vollstreckungsstaat in allen Fragen geeinigt haben. Die Bestimmungen des ersten Teils des Vertrags betreffend Informationsaustausch und Einreichung des Ersuchens werden analog angewendet. Auch die Wirkungen der Überstellung richten sich grundsätzlich nach den Artikeln 11­14. Einzig Artikel 14 Absatz 2 gilt in Fällen von Artikel 24 nicht absolut: Hier wird der betroffenen Person nämlich unter gewissen Voraussetzungen der Spezialitätsschutz zuteil.39 Verschiedene Regelungen dienen dem Schutz der verurteilten Person, zumal ihre Einwilligung zur Überstellung nicht erforderlich ist: ­

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41

Nach den Absätzen 2 und 3 Buchstabe a muss die Meinung der betroffenen Person zur beabsichtigten Überstellung eingeholt, geprüft und berücksichtigt werden. In Absatz 2 ist dieses Erfordernis in Übereinstimmung mit der Regelung des Zusatzprotokolls zwar nur in Bezug auf die Zustimmung des Vollstreckungsstaats zur Überstellung ausdrücklich erwähnt. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs, vorliegend vor dem Entscheid über die Überstellung, ist aber Bestandteil der Rechtsordnung eines Rechtsstaates und gilt damit ohne Weiteres auch ohne explizite Erwähnung für den Urteilsstaat ­ im vorliegenden Verhältnis wohl meist die Schweiz.40 Der Urteilsstaat muss dem Vollstreckungsstaat die Meinung der verurteilten Person in einer förmlichen Erklärung zukommen lassen. Die verurteilte Person kann in ihrer Erklärung beispielsweise darauf aufmerksam machen, dass sie mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt oder auch sonst in einen anderen als den Heimatstaat abgeschoben werden kann. Ebenfalls möglich ist der ­ wohl in erster Linie an die Adresse des Urteilsstaats gerichtete ­ Hinweis auf die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen im Strafvollzug in ihrem Heimatstaat. Bei begründeter Geltendmachung von Menschenrechtsverletzungen41 Geregelt im 10. Kapitel des Ausländergesetzes vom 16. Dezember 2005 (SR 142.20); vgl. auch Art. 121 der Bundesverfassung (SR 101).

Mit der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs (SR 311.0) wurde die ursprünglich in Art. 55 StGB geregelte Nebenstrafe der Landesverweisung abgeschafft.

Im Zuge der Umsetzung des im Nachgang zur Ausschaffungsinitiative ergänzten Art. 121 der Bundesverfassung () ist vorgesehen, die Landesverweisung wieder in das Strafgesetzbuch aufzunehmen; vgl. Dokumentation unter www.ejpd.admin.ch/content/ejpd/de/home/dokumentation/mi/2012/2012-05-230.html.

So bereits im Rahmen des Zusatzprotokolls festgehalten; vgl. «Rapport explicatif relatif au Protocole additionnel à la Convention sur le transfèrement des personnes condamnées», Ziff. 23.

Im Einzelnen siehe die entsprechenden Ausführungen zu Art. 24 Abs. 4.

Der gleichen Auffassung waren seinerzeit auch die Gremien des Europarats, die das gleichlautende Zusatzprotokoll ausgearbeitet hatten; siehe «Rapport explicatif relatif au Protocole additionnel à la Convention sur le transfèrement des personnes condamnées»,
Ziff. 27.

Ansprechpartner für die Abklärung angeprangerter Menschenrechtsverletzungen sind die zuständigen Stellen im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (Direktion für Völkerrecht, Politische Direktion).

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wird die Schweiz als Urteilsstaat von der Stellung eines Ersuchens um Übernahme der Strafvollstreckung absehen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn eine Verletzung von Artikel 3 EMRK oder der einschlägigen Bestimmungen des UN-Pakts II droht oder wenn konkret befürchtet werden muss, dass die Lage der betroffenen Person im Rahmen des Strafvollzugs im Vollstreckungsstaat aus einem menschenrechtsrelevanten Grund erschwert wird.42 Im umgekehrten Fall sollte die Schweiz nicht Hand bieten für den Vollzug eines Urteils, das in krasser Verletzung elementarer Verfahrensgarantien ergangen ist.

Im Zusammenhang mit der Einholung der Meinung der betroffenen Person ist die Bestimmung über die Nachprüfung der Zustimmung gemäss Artikel 9 des Vertrags sinngemäss anwendbar.43 ­

Das in Absatz 4 verankerte Spezialitätsprinzip gewährleistet einen weiteren Schutz der verurteilten Person. Es garantiert dieser Person, dass sie in ihrem Heimatstaat nicht wegen anderer Straftaten als derjenigen, derentwegen die zu vollstreckende Sanktion verhängt wurde, verfolgt, verurteilt, in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden kann. Der Schutz wird nur in zwei Fällen aufgehoben: Der Urteilsstaat erteilt seine Einwilligung zur Strafverfolgung oder -vollstreckung eines auslieferungsfähigen Delikts (Bst. a). Hat die verurteilte Person beispielsweise zu einem früheren Zeitpunkt in ihrem Heimatstaat einen Mord begangen, so kann sie dort dafür nach der Überstellung zur Verantwortung gezogen werden, wenn der Heimatstaat ein entsprechendes Ersuchen stellt und der Urteilsstaat diesem stattgibt. Der Schutz endet ebenfalls, wenn die verurteilte Person 45 Tage nach ihrer endgültigen Freilassung das Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats nicht verlassen hat, obwohl sie die Möglichkeit dazu hatte, oder wenn sie in der Folge dorthin zurückgekehrt ist (Bst. b).

Ist die Schweiz Urteilsstaat, so obliegt es dem Bundesamt für Justiz, auf Antrag der zuständigen kantonalen Behörde und nach Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen ein Ersuchen um Überstellung nach Artikel 24 an Kosovo zu richten.

Vorgängig fällt das Bundesamt für Justiz nach Anhörung der verurteilten Person44 den Entscheid, diese zu überstellen und ein entsprechendes Ersuchen an Kosovo zu stellen. Gegen diesen Entscheid kann die verurteilte Person nach Artikel 25 Absatz 2bis IRSG Beschwerde beim Bundesstrafgericht erheben. Gerügt werden kann namentlich, dass die Voraussetzungen einer Überstellung nach Artikel 24 in Verbindung mit Artikel 3 nicht gegeben sind. Nicht in Frage gestellt werden kann hingegen die Begründetheit und Durchführbarkeit der Weg- oder Ausweisung45; diese Fragen sind im ausländerrechtlichen Verfahren abschliessend zu beurteilen.

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Vgl. dazu den auch im Zusammenhang mit der Überstellung verurteilter Personen analog anwendbaren Art. 2 Bst. c in Verbindung mit Bst. b IRSG.

Siehe diesbezüglich bereits den «Rapport explicatif relatif au Protocole additionnel à la Convention sur le transfèrement des personnes condamnées», Ziff. 26.

Die zuständige kantonale Behörde erstellt in diesem Zusammenhang ein ausführliches Protokoll. Dieses enthält neben den der verurteilten Person erteilten Informationen zur beabsichtigten Überstellung insbesondere auch die Stellungnahme dieser Person bzw. ihre Einwände gegen die Überstellung.

Darunter fällt die Abklärung der Möglichkeit, Zulässigkeit oder Zumutbarkeit des Vollzugs der Weg- oder Ausweisung, vgl. Art. 83 Ziff. 2­4 AuG.

Auch wenn die Schweiz Vollstreckungsstaat ist, kann die verurteilte Person im Übrigen den Entscheid über die Bereitschaft zur Übernahme und den Umfang der Urteilsvollstreckung in der Schweiz anfechten.46 Art. 25­28

Meinungsaustausch; zeitlicher Geltungsbereich; Inkrafttreten; Kündigung

Bei den Artikeln 25-28 handelt es sich um Schlussbestimmungen, wie sie im Bereich der Überstellung verurteilter Personen in bilateralen Verträgen üblich sind.

3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf Bund und Kantone

Mit dem Vertrag erweitert sich der Aufgabenbereich der Behörden, die mit der Überstellung verurteilter Personen befasst sind.

Mit Bezug auf den Bund wird die praktische Umsetzung des Vertrags für das Bundesamt für Justiz Mehrarbeit zur Folge haben. Der zusätzliche Arbeitsanfall wird vom Umfang der Überstellungsersuchen und dem Aufwand, der mit der Abwicklung der einzelnen Ersuchen anfällt, abhängen. Aufgrund der heutigen Einschätzung dürfte der Vertrag auf Bundesebene insgesamt keinen finanziellen Mehraufwand oder nennenswerten zusätzlichen Personalbedarf zur Folge haben. Sollte sich dennoch ein spürbarer ressourcenmässiger Mehraufwand ergeben, wird dieser departementsintern aufgefangen.

Eine Einschätzung der Auswirkungen auf Kantonsebene ist schwierig. Ein allfälliger Mehraufwand hat in erster Linie mit der Anzahl kosovarischer Staatsangehöriger, welche die Bedingungen für ein Ersuchen um Überstellung erfüllen, in den jeweiligen kantonalen Strafvollzugsanstalten zu tun. In finanzieller Hinsicht kann je nach Anzahl Überstellungen von der Schweiz an Kosovo von einer beträchtlichen Kosteneinsparung ausgegangen werden, da die Schweiz als Urteilsstaat zwar für die Auslagen für die Eskorte und die anderen im Zusammenhang mit der Überstellung anfallenden Kosten aufzukommen hat, dafür aber für die betroffenen kantonalen Strafvollzugsbehörden die Kosten für den weiteren Strafvollzug entfallen.

3.2

Weitere Auswirkungen

Auf Wirtschaft, Gesellschaft und Aussenpolitik hat die Vorlage keine anderen erwähnenswerten Auswirkungen als jene, die bereits in den Ziffern 1.1 und 1.4 erläutert worden sind.

46

Entscheid des zuständigen kantonalen Gerichts, gegen den die Ergreifung eines kantonalen Rechtsmittels möglich ist; vgl. Art. 105 und 106 IRSG.

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4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

In der Botschaft vom 25. Januar 201247 über die Legislaturplanung 2011­2015 kündigte der Bundesrat Botschaften zu Abkommen im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen an. Die hier unterbreitete Vorlage gehört in diese Kategorie geplanter Abkommen.

Die Vorlage ist im Rahmen der Bestrebungen des Bundesrates zu sehen, Forderungen seitens des Parlaments nach der Schaffung rechtlicher Grundlagen nachzukommen, damit ausländische Strafgefangene eine in der Schweiz ausgefällte Strafe in ihrem Heimatstaat verbüssen können.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV), wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dez. 200248; Art. 7a des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199749, RVOG).

Vorliegend ist vom ordentlichen Verfahren, also der Genehmigung durch das Parlament, auszugehen. Der Bundesrat verfügt im Zusammenhang mit der Vorlage nämlich über keine spezielle rechtliche Grundlage zum Abschluss des Vertrags in eigener Kompetenz. Der Vertrag enthält unter anderem Bestimmungen zur Überstellung beziehungsweise Übertragung der Strafvollstreckung ohne Zustimmung der verurteilten Person. Damit kann er nicht vom Bundesrat selbstständig gestützt auf Artikel 8a IRSG abgeschlossen werden. Angesichts des Gegenstands und der Tragweite kann der Vertrag auch nicht als Staatsvertrag von geringer Tragweite nach Artikel 7a Absatz 2 RVOG qualifiziert werden.

5.2

Erlassform

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.

Nach Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generellabstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

47 48 49

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BBl 2012 481, hier 614 SR 171.10 SR 172.010

Der vorliegende völkerrechtliche Vertrag enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen, die sich auf die Rechtsstellung von Einzelpersonen auswirken. Dies betrifft insbesondere die Möglichkeit zur Überstellung einer verurteilten Person gegen ihren Willen. Aus diesem Grund ist der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.

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