Bericht des Bundesrates zu Vote électronique Auswertung der Einführung von Vote électronique (2006­2012) und Grundlagen zur Weiterentwicklung vom 14. Juni 2013

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen hiermit den dritten Bericht des Bundesrates zu Vote électronique mit Antrag auf Kenntnisnahme.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

14. Juni 2013

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2013-0545

5069

Management Summary Vote électronique ist ein Gemeinschaftsprojekt von Bund und Kantonen, das die Kultur und die Tradition der politischen Rechte in der Schweiz aufnimmt und sie in die Technologien des 21. Jahrhunderts übersetzt. Die Instrumente der Demokratie haben sich im Verlauf der Jahre weiterentwickelt und haben insbesondere das steigende Bedürfnis nach Mobilität aufgenommen. Dank Vote électronique können die Stimmberechtigten zeit- und ortsunabhängig an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen. Die Einführung von Vote électronique ist die natürliche und logische Konsequenz der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte im Bereich der Kommunikation und der Abwicklung unterschiedlicher Geschäfte (z.B. Bankgeschäfte, Steuererklärung).

Vote électronique ist eine Investition von Bund und Kantonen im Dienste der Stimmberechtigten, die zu Qualitätsverbesserungen führt. Der Stimmabgabeprozess wird vereinfacht, die Abgabe von ungültigen Stimmen wird verunmöglicht, Zielgruppen mit besonderen Bedürfnissen wie z.B. Stimmberechtigte mit einer Behinderung (insbesondere mit einer Sehbehinderung) oder Auslandschweizer Stimmberechtigte können von ihren politischen Rechten einfacher Gebrauch machen.

A) Versuchsphase 2006­2012 im Überblick Nach einem ersten Bericht des Bundesrates über die Machbarkeit, die Chancen und die Risiken von Vote électronique aus dem Jahr 2002 folgten Pilotversuche in drei Kantonen (Zürich, Neuenburg und Genf), die je ein eigenes System entwickelt hatten. Im zweiten Bericht von 2006 wurden die ersten Pilotversuche (2004­2005) positiv beurteilt. Bundesrat und Parlament entschieden sich daher für eine schrittweise, kontrollierte Ausdehnung des elektronischen Stimmkanals. Diese Entscheidung entspricht auch der 2007 durch den Bundesrat verabschiedeten E-Government-Strategie Schweiz, die das Ziel formuliert hat, dass Wirtschaft und Bevölkerung alle wichtigen Geschäfte mit den Behörden elektronisch abwickeln können. Vote électronique ist denn auch ein priorisiertes Vorhaben dieser Strategie.

Am 1. Januar 2008 sind die vom Parlament am 23. März 2007 und vom Bundesrat am 21. September 2007 angenommenen Gesetzesänderungen in Kraft getreten. Dies markierte den Beginn der erweiterten Versuchsphase, die gegenwärtig noch im Gange ist. Die Änderungen der Rechtsgrundlagen ermöglichten die
gestaffelte Einführung von Vote électronique in den Kantonen.

Die Anfang 2008 in Kraft getretenen Änderungen betreffen sowohl das Bundesgesetz über die politischen Rechte, das Bundesgesetz über die politischen Rechte der Auslandschweizer Stimmberechtigten wie auch die Verordnung über die politischen Rechte. Diese ermöglichen die kontrollierte Erweiterung der Versuche auf neue Kantone und schaffen die Voraussetzungen für die Ausdehnung von Vote électronique auf die Auslandschweizer Stimmberechtigten. Zudem wurde als Auflage festgehalten, dass die Systeme den Bedürfnissen der Sehbehinderten Rechnung tragen sollen, soweit die Sicherheit dadurch nicht eingeschränkt wird. Gemäss der Verordnung über die politischen Rechte sind heute gesamtschweizerisch maximal 10 Pro-

5070

zent der Stimmberechtigten zu Vote électronique zugelassen. Bei Abstimmungen zu Vorlagen, bei denen das Ständemehr erforderlich ist, sind es maximal 30 Prozent der kantonalen Stimmberechtigten.

Bei der Versuchsphase ab 2008 lag der Fokus auf den Auslandschweizer Stimmberechtigten und den Stimmberechtigten mit einer (Seh-)Behinderung. 2009 stieg die Anzahl der am Projekt beteiligten Kantone von drei auf 13 und damit auf die Hälfte aller Kantone. Dies erfolgte dadurch, dass Pilotkantone ihr System auch anderen Kantonen zur Verfügung stellten. Die in der Graphik blau markierten Kantone verwenden eine Kopie des Zürcher Systems. Die rot markierten Kantone sind beim Genfer System beherbergt. Grün markiert ist das System des Kantons Neuenburg, das im «Guichet Unique» integriert ist.

Seit 2011 erfolgt die Ausdehnung gemäss einer zwischen Bund und Kantonen gemeinsam definierten Strategie, die in der sogenannten «Roadmap Vote électronique» festgelegt wurde. Dieses von der Bundeskanzlei verfasste Dokument beschreibt die Strategie zur Entwicklung von Vote électronique, die das Parlament im März 2007 beschlossen hat. Die Etappen und der Zeitplan für die Ausweitung von Vote électronique bilden einen Bestandteil des Dokuments, das als Referenzinstrument für die Zielfestlegung und die gemeinsamen Meilensteine zur Förderung der optimalen Koordination zwischen Kantonen und Bund konzipiert ist. Die Roadmap bezeichnet fünf für die Einführung und Erweiterung der elektronischen Stimmabgabe wesentliche Bereiche: die gemeinsame Strategie Bund/Kantone, die Sicherheit, der Ausbau, die Transparenz, die Kosten.

Zuständigkeiten ­ die Rolle des Bundes und der Kantone (Ziff. 1.7) Auf Stufe Bund ist die Bundeskanzlei für das Projekt Vote électronique zuständig.

Eigentliche Projektleiter sind jedoch die Kantone, die für die Organisation und Durchführung auch eidgenössischer Urnengänge verantwortlich sind. Die aktuelle Projektstruktur mit einem bei der Bundeskanzlei angesiedelten Projektteam sowie verschiedenen entweder politischen oder operativen Gremien mit Vertreterinnen und Vertretern aus Bund und Kantonen (Steuerungsausschuss, Arbeitsgruppe und Begleitgruppe) sowie die interkantonale Zusammenarbeit haben sich bewährt.

5071

Einsatz von Vote électronique bei Abstimmungen und Wahlen (Ziff. 2.4) Allein auf Bundesebene wurden seit Projektbeginn mehr als 100 verbindliche Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe bei Abstimmungen durchgeführt. Vier Kantone (BS, GR, AG, SG) haben Vote électronique ausserdem bei den Nationalratswahlen 2011 zum ersten Mal bei einer eidgenössischen Wahl eingesetzt. Die Versuche mit Vote électronique sind erfolgreich verlaufen und haben die Anforderungen des Bundes, die in der Verordnung über die politischen Rechte detailliert ausgeführt werden, erfüllt. Ausnahme bildeten kleinere Zwischenfällen bei Organisation und Betrieb. Zum Beispiel hat eine stimmberechtigte Person aus dem Kanton Luzern anlässlich der Volksabstimmung vom 11. März 2012 unbeabsichtigt ihre Stimme zweimal abgegeben. Die erwähnten Zwischenfälle stellten die erfolgreiche Durchführung des jeweiligen Urnengangs jedoch nicht in Frage. Insbesondere blieben das Stimmgeheimnis und die Korrektheit des Resultats gewährleistet.

Zu den Versuchen auf eidgenössischer Ebene kommen zahlreiche Versuche auf kantonaler und kommunaler Ebene hinzu.

Die Versuche mit Vote électronique anlässlich der Nationalratswahlen 2011 standen auch im Fokus der Wahlbeobachtung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Im entsprechenden Bericht wurden 13 Empfehlungen zur elektronischen Stimmabgabe formuliert. Die Beobachtermission hat verschiedene Punkte positiv hervorgehoben, aber auch Verbesserungspotenzial aufgezeigt.

Bund und Kantone waren sich der meisten Kritikpunkte bereits vor der Beobachtungsmission bewusst. Entsprechende Massnahmen waren zu jenem Zeitpunkt bereits in Planung.

Bewertung der Versuche durch die Kantone (Ziff. 7) Die Kantone, die bereits Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe durchgeführt haben, beurteilen diese als positiv. Verschiedene Kantone, die sich bis anhin auf die Auslandschweizerinnen und -schweizer konzentriert haben, wollen in einem nächsten Schritt auch in der Schweiz wohnhafte Stimmberechtigte in die Versuche einbeziehen (namentlich AG, SG, SO). Andere Kantone planen die (erstmalige) Einführung des neuen Stimmkanals. Der Kanton Zürich, der seine Versuche Ende 2011 sistiert hat, will die Wiedereinführung der elektronischen Stimmabgabe neu überprüfen, sobald die vom Regierungsrat definierten
Rahmenbedingungen feststehen.

Nachvollziehbarkeit der elektronischen Stimmabgabe (Ziff. 4) Die bei den Versuchen eingesetzten Systeme wurden kontinuierlich weiterentwickelt, insbesondere punkto Sicherheit. Die Kantone sehen in ihren Systemen zahlreiche technische und organisatorische Massnahmen vor, um diese gegen interne und externe Bedrohungen zu schützen. Die Überprüfung der Systeme und ihr korrektes Funktionieren liegen in der Kompetenz der Kantone. Der Bund überprüft die Systeme jedoch bei jeder relevanten Anpassung im Rahmen von sogenannten Begleitgruppen. Die Begleitgruppen fungieren zurzeit als von der Bundeskanzlei anerkannte externe Stellen, die die Systemänderungen beurteilen. Sie bestehen aus Vertreterinnen und Vertretern anderer Kantone und des Bundes, verfügen haupt-

5072

sächlich über Kompetenzen im Bereich der politischen Rechte und der Verwaltung von Systemen für Vote électronique und dienen als eine Art «Peer Review» bei der Planung eines Systems und seiner späteren Veränderungen.

Verglichen mit international anerkannten vorbildlichen Praktiken sind die heutigen Systeme jedoch zu wenig transparent. So kann insbesondere nicht mit unabhängigen Mitteln überprüft werden, ob Stimmen richtig übermittelt, abgelegt und gezählt wurden. Transparenz bezüglich der Funktionsweise der Systeme und deren Betrieb ist jedoch für das Vertrauen in den neuen Stimmkanal von zentraler Bedeutung.

Priorisierte Zielgruppen (Ziff. 2.2) Gemäss der 2006 definierten Zielsetzung von Bundesrat und Parlament wurden die Auslandschweizer Stimmberechtigten bei der Einführung der elektronischen Stimmabgabe prioritär behandelt. Etwa die Hälfte der Auslandschweizerinnen und -schweizer, die in einem Stimmregister eingetragen sind, können gegenwärtig ihre Stimme elektronisch abgeben. Auch Stimmberechtigte mit einer Behinderung und insbesondere jene mit einer Sehbehinderung sollen priorisiert behandelt werden.

Die Kantone mit einem System für Vote électronique haben bereits verschiedene Massnahmen implementiert, um den Zugang zu den Systemen für Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung zu erleichtern. Auch wurden bei diesen Vorhaben internationale Standards berücksichtigt. Es entspricht aber einer Tatsache, dass in der heutigen Projektphase erst wenige Schweizer Gemeinden einbezogen sind und damit auch nur ein Bruchteil der schweizweit Betroffenen von der elektronischen Stimmabgabe profitieren kann. Die Ziele des Bundes können für die Versuchsphase 2006­2012 mit Blick auf Auslandschweizer Stimmberechtigte als erreicht beurteilt werden. Bei den Lösungen für Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung hingegen besteht noch Handlungsbedarf, weshalb die Bundeskanzlei eine Expertengruppe beauftragt hat, hierzu Empfehlungen auszuarbeiten.

Rechtliche Grundlagen und Rechtsprechung (Ziff. 1.4 und Ziff. 1.5) Die zu Beginn des Projekts geschaffenen Rechtsgrundlagen für die elektronische Stimmabgabe wurden im Verlauf der Versuchsphase 2006­2012 zwar aufgrund konkreter Bedürfnisse verschiedentlich angepasst. So wurde z.B. 2012 die aktuelle Beschränkung des zugelassenen kantonalen Elektorats von 20 auf 30
Prozent erhöht. Im Wesentlichen sind die Bestimmungen für Vote électronique aber noch die gleichen wie zu Beginn des Projekts.

Die Rechtsprechung zum neuen Stimmkanal ist noch nicht sehr gross. Primär haben sich kantonale Instanzen im Kanton Genf mit Beschwerden befasst. Der Einsatz von Vote électronique wurde seitens der Gerichte bis anhin jeweils als rechtmässig beurteilt, sofern überhaupt auf die entsprechenden Begehren eingetreten werden konnte. Es gilt festzustellen, dass noch kein Ergebnis eines Urnengangs aufgrund der elektronischen Stimmabgabe ganz oder auch nur teilweise aufgehoben werden musste.

5073

Gesellschaftliche Akzeptanz (Ziff. 3.7) Die Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe haben eine öffentliche Debatte ausgelöst. Sowohl auf Stufe Bund als auch auf Stufe Kantone wurden diverse politische Vorstösse zum Thema Vote électronique eingereicht. Diese verfolgten unterschiedliche Ziele: Während sich die einen eine schnellere Einführung des dritten Stimmkanals wünschten, plädierten andere für ein vorsichtigeres Vorgehen oder gar ein Verbot der Stimmabgabe via Internet.

Die gesellschaftliche Akzeptanz kann als relativ gross bezeichnet werden. Während sich einzelne Stimmen kritisch oder gar ablehnend äussern, wünscht sich Studien (z.B. den von der Geschäftsstelle E-Government Schweiz durchgeführten Studien) zufolge eine grosse Mehrheit der Stimmberechtigten die Einführung dieses neuen Stimmkanals.

Diese Akzeptanz widerspiegelt sich auch in der Stimm- und Wahlbeteiligung. Die Stimm- und Wahlbeteiligung via Internet ist v.a. bei den Auslandschweizer Stimmberechtigten sehr hoch (oft über 50 %). Dies zeigt das grosse Bedürfnis nach dem neuen Stimmkanal bei dieser Gruppe. Die in der Schweiz wohnhaften Stimmberechtigten sind bei der Verwendung des neuen Stimmkanals noch zurückhaltender (um 20 %). Dies erstaunt aber aufgrund der eher geringen Verbreitung der Möglichkeit, seine Stimme elektronisch abzugeben, und der gut funktionierenden brieflichen Stimmabgabe nicht.

Der Blick der technischen Wissenschaft (Ziff. 8) Die technische Wissenschaft beurteilt den Einsatz der E-Voting-Technologie unterschiedlich. Allgemein kann festgehalten werden, dass in der Schweiz ein konstruktiver Austausch zwischen Wissenschaft und Behörde stattfindet. So hat die Bundeskanzlei z.B. zwei Forschungsinstitute mit der Erarbeitung von Studien zum Thema der elektronischen Stimmabgabe beauftragt.

B) Beurteilung der Versuchsphase 2006­2012 und identifizierter Handlungsbedarf (Ziff. 3) Der Bundesrat beurteilt die zweite Versuchsphase 2006­2012 des Projektes insgesamt als positiv und betrachtet sie als wichtigen Meilenstein im Prozess der Einführung der elektronischen Stimmabgabe. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen schlägt er daher vor, den neuen Stimmkanal unter Beibehaltung des bewährten schrittweisen Vorgehens auf alle Stimmberechtigten auszudehnen. Dabei muss unter allen Umständen das Motto «Sicherheit vor Tempo» zur
Anwendung gelangen. Eine Ausdehnung von Vote électronique kann nur unter Einhaltung entsprechender Bedingungen erfolgen.

Handlungsbedarf wurde bei den Anforderungen, welche die Systeme erfüllen müssen, und damit bei den Rechtsgrundlagen geortet.

Die in der Verordnung über die politischen Rechte festgehaltenen Sicherheitsanforderungen sind allgemein gehalten und auslegungsbedürftig. In einigen Fällen scheint es jedoch angebracht, konkretere Anforderungen zu stellen. Dies gilt vor allem wenn es um den Schutz zentraler Werte wie des Stimmgeheimnisses oder der

5074

Korrektheit des Ergebnisses eines Urnengangs geht. Mit der Formulierung konkreterer Anforderungen werden zwei Ziele erreicht: Einerseits wird dadurch gefördert, dass die Systeme für Vote électronique Sicherheitsmassnahmen umsetzen, die den gewünschten hohen Standards entsprechen. Anderseits erlauben nur konkret formulierte Sicherheitsanforderungen eine eingehende Prüfung der Sicherheitseigenschaften eines Systems für Vote électronique.

Die Bundeskanzlei hat jeweils bei Systemänderungen in Zusammenarbeit mit den einberufenen Begleitgruppen Kontrollen durchgeführt. Bei einer Ausweitung von Vote électronique sollte künftig sichergestellt sein, dass die Kontrollen professionalisiert und noch unabhängiger werden.

Allgemein ist festzustellen, dass die Rechtsgrundlagen über die elektronische Stimmabgabe im Lichte der gesammelten Erfahrungen und für eine Angleichung an die neusten, vor allem technischen Entwicklungen angepasst und ergänzt werden müssen. Die vorbildlichen Praktiken und die Erfahrungen der Kantone sind zu berücksichtigen und in die Vorschriften des Bundes gewinnbringend aufzunehmen.

Bei der Überarbeitung der Rechtsgrundlagen sollte auch den internationalen Empfehlungen Rechnung getragen werden.

Aufgrund der massgeblichen Rolle des Bundesrechts auf dem Gebiet der politischen Rechte ist es wichtig, dass die bundesrechtlichen Änderungen («Minimalstandards») zuerst erfolgen und so den Weg für die spätere Entwicklung von Vote électronique auf kantonaler Ebene bereiten. Die Rechtsgrundlagen für Vote électronique sollten den gemeinsamen Sockel der Anforderungen an alle Systeme für Vote électronique detaillierter vorschreiben. Die Verordnung über die politischen Rechte soll dementsprechend angepasst werden. Ein schnell anpassbares technisches Reglement soll künftig die Bestimmungen der Verordnung ergänzen.

Die Anzahl und Komplexität der interkantonalen Kooperationen sowie die Häufigkeit und Komplexität der Urnengänge plädieren für eine Klärung und Vereinfachung der Verfahren. Das aktuelle Bewilligungsverfahren soll neu ausgestaltet und der administrative Aufwand dadurch verringert werden.

C) Weitere Ausdehnung von Vote électronique (Ziff. 11) In der nächsten Phase des Projektes soll die Ausdehnung der elektronischen Stimmabgabe als dritter, komplementärer Stimmkanal im Fokus stehen. Die Bundeskanzlei hatte sich im Rahmen des Projekts Vote électronique folgende Ziele gesetzt: ­

Kurzfristiges Ziel: Die Mehrheit der Auslandschweizer Stimmberechtigten kann bis 2012 elektronisch abstimmen.

­

Mittelfristiges Ziel: Die grosse Mehrheit der Auslandschweizer Stimmberechtigten kann anlässlich der Nationalratswahlen 2015 elektronisch wählen.

­

Langfristiges Ziel: Der dritte, komplementäre Stimmkanal steht allen Stimmberechtigten zur Verfügung.

5075

Das kurzfristige Ziel kann als erreicht betrachtet werden. Für die weitere Ausdehnung der elektronischen Stimmabgabe sieht der Bundesrat Neuerungen in den folgenden Gebieten vor: I.

Priorisierte Zielgruppen

II.

Erhöhung der Limiten bei Umsetzung der neuen, im technischen Reglement festgehaltenen Sicherheitsanforderungen

III. Bewilligungsverfahren IV. Rechtsgrundlagen I) Priorisierte Zielgruppen (Ziff. 11.4) Bei der Einführung der Stimmabgabe via Internet wurden folgende drei Zielgruppen mit je spezifischen Bedürfnissen und unterschiedlicher Priorisierung identifiziert: Die Auslandschweizer Stimmberechtigten, die Stimmberechtigten mit einer (Seh-)Behinderung und die in der Schweiz wohnhaften Stimmberechtigten. Nachfolgend wird pro Zielgruppe aufgezeigt, inwiefern das Projekt Vote électronique weiterentwickelt werden soll.

Auslandschweizer Stimmberechtigte (Ziff. 11.4.1) Der Bundesrat hat bei den bisherigen Versuchen nur Auslandschweizerinnen und -schweizer zu Vote électronique zugelassen, die ihren Wohnsitz in einem EU-Staat haben oder aber in einem Staat, der das sogenannte Wassenaar-Abkommen unterzeichnet hat (nachfolgend: «Wassenaar-Staaten»). Folglich erhielten Auslandschweizer Stimmberechtigte, die nicht in einem Wassenaar-Staat angemeldet sind, keinen Zugang zur elektronischen Stimmabgabe, selbst wenn der Kanton, in dem sie immatrikuliert sind, diese Möglichkeit grundsätzlich anbietet. Grund für diese Einschränkung war die Tatsache, dass die Übermittlung von verschlüsselten Daten nicht in allen Staaten zulässig ist. Auf eine Auflistung der Länder, von denen aus die elektronische Stimmabgabe zugelassen oder nicht zugelassen werden soll, wurde aus politischen Gründen bewusst verzichtet.

Die Einschränkung wurde nun aber vor allem seitens der Auslandschweizer Stimmberechtigten selber und der ihre Interessen vertretenden Auslandschweizer-Organisation (ASO) immer wieder kritisiert. Besonders in jenen Staaten, die das Abkommen nicht unterzeichnet haben, funktioniert die postalische Zustellung des Stimmmaterials nämlich häufig schlecht. Den betroffenen Auslandschweizerinnen und -schweizern wird damit die Stimmabgabe faktisch verunmöglicht. Es stellt sich daher die Frage, ob die Einschränkung auf Wassenaar-Staaten künftig aufgehoben werden soll.

Aufgrund einer Abwägung der Pro und Contra und der technischen Implikationen soll künftig auf die Einschränkung auf Wassenaar-Staaten verzichtet werden.

Stimmberechtigte, die ihren Wohnsitz in einem Staat haben, in dem die Verwendung von Verschlüsselungstechnologien nicht erlaubt ist, sollen aber auf die möglichen Konsequenzen der Stimmabgabe via Internet aufmerksam gemacht
werden. Zu diesem Zweck müssen die Kantone künftig in den Stimmunterlagen (z.B. mit einem Merkblatt) und auf ihrer Internetseite über diese Problematik und allfällige Konse-

5076

quenzen informieren. Anschliessend ist es im Ermessen der betroffenen Person, ob sie ihre Stimme von ihrem Aufenthaltsstaat aus elektronisch abgeben will oder nicht.

Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung (Ziff. 11.4.2) Die Kantone haben bereits verschiedene Massnahmen implementiert, um den Zugang zu den Systemen für Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung zu erleichtern. Es entspricht aber wie gesehen einer Tatsache, dass in der heutigen Projektphase erst wenige Inlandschweizerinnen und Inlandschweizer einbezogen sind. Damit kann auch nur ein Bruchteil der Stimmberechtigten mit einer (Seh-) Behinderung von der elektronischen Stimmabgabe profitieren. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung ­ anders als Auslandschweizer Stimmberechtigte ­ nicht aufgrund der Angaben in den Stimmregistern identifizierbar sind. Es ist auch schwierig zu definieren, welche Kriterien eine Person erfüllen muss, um als (seh-)behindert zu gelten und folglich zur elektronischen Stimmabgabe zugelassen zu werden. Andererseits durften die Kantone bei den bestehenden Limiten erst einen begrenzten Teil der in der Schweiz wohnhaften Stimmberechtigten einbeziehen. Anders als die Auslandschweizerinnen und -schweizer sind Stimmberechtigte mit einer Behinderung bei der heute geltenden Regelung nicht von diesen Limiten ausgenommen. Aufgrund der beschriebenen Situation hat der Druck seitens der Behinderten-Organisationen in den letzten Monaten zugenommen. Verschiedene Organisationen haben beim Bund die in Aussicht gestellte Priorisierung dahingehend eingefordert, dass auch Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung ­ gleich wie die Auslandschweizer Stimmberechtigten ­ vom dritten Kanal profitieren können sollen. Der Bund soll sich dafür einsetzen. Die Kantone sind sich dieser Problematik bewusst und arbeiten an entsprechenden Lösungen. Auch der Bundesrat nimmt die Forderungen der BehindertenOrganisationen ernst. Im Hinblick auf die Anpassung der Rechtsgrundlagen für Vote électronique und auf die Umsetzung der neuen Anforderungen an die Systeme hat die Bundeskanzlei eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema ins Leben gerufen. Diese setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und der Kantone sowie aus Vertreterinnen und Vertretern der Interessengruppen zusammen. In
der Arbeitsgruppe sollen die wichtigsten technischen Fragen erörtert werden. Die wichtigen politischen Fragen rund um diese Problematik werden auch zu definieren sein.

Inlandschweizer Stimmberechtigte (Ziff. 11.4.3) Während die Pilotversuche (2002­2006) in den drei Kantonen Zürich, Neuenburg und Genf zu Beginn des Projekts in erster Linie auf in der Schweiz wohnhafte Stimmberechtigte ausgerichtet waren, haben sich die Kantone, die sich einem der drei bestehenden Systeme angeschlossen haben, in Anlehnung an die Strategie des Bundes auf die Auslandschweizer Stimmberechtigten konzentriert.

Langfristiges Ziel von Bund und Kantonen ist und bleibt aber die schrittweise Einführung der elektronischen Stimmabgabe für alle Schweizer Stimmberechtigten, d.h.

die etappierte Erhöhung der Limiten auf 100 Prozent des gesamtschweizerischen Elektorats. Die elektronische Stimmabgabe soll sich als dritte, zu den bisherigen zwei Stimmkanälen komplementäre Möglichkeit der Stimmabgabe etablieren. Die Priorisierung der Auslandschweizer Stimmberechtigten kommt nur im Rahmen einer

5077

ersten Projektphase zur Anwendung. Die für Auslandschweizerinnen und -schweizer entwickelten Lösungen dienen als Basis für die Ausdehnung auf Stimmberechtigte im Inland. In den Kantonen Zürich, Neuenburg und Genf sind bereits Versuche auf eidgenössischer Ebene mit Einbezug von Inlandschweizer Stimmberechtigten durchgeführt worden.

Wie bereits erwähnt, planen verschiedene Kantone, mittelfristig auch die im Inland wohnhaften Stimmberechtigten entweder erstmals oder einen grösseren Teil von diesen in die Versuche einzubeziehen. Der Bund unterstützt diese Pläne. Voraussetzung für die schrittweise Ausdehnung ist ­ wie erwähnt ­ die vorgängige Weiterentwicklung der Systeme gemäss den von Bund und Kantonen gemeinsam erarbeiteten neuen Sicherheitsstandards, d.h. die Einführung von Systemen der zweiten Generation. Der Bund überlässt es im Sinne des föderalen Ansatzes den Kantonen, ihren Fahrplan zur Umsetzung dieser Standards und damit auch zum Einbezug eines erweiterten Elektorats zu definieren.

II) Erhöhung der Limiten (Ziff. 11.2) bei Umsetzung der neuen Sicherheitsanforderungen (Ziff. 12) Erhöhung der Limiten (Ziff. 11.2) 2012 ist eine technische Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern aus Bund und Kantonen sowie Expertinnen und Experten aus Privatwirtschaft und Wissenschaft zum Schluss gekommen, dass die heutigen Systeme den in der Verordnung über die politischen Rechte definierten Sicherheitsanforderungen genügen, wenn die Limiten nicht erhöht werden. Der Erhöhung der Limiten ist die Umsetzung der in der erwähnten Arbeitsgruppe definierten neuen Sicherheitsanforderungen vorauszusetzen.

Künftig soll es weiterhin möglich sein, unter Wahrung der heute geltenden Begrenzung auf 30 Prozent des (kantonalen) Elektorats und die Auslandschweizer Stimmberechtigten die Systeme der ersten Generation, d.h. ohne die nachfolgend aufgeführten Anpassungen, unter den gleichen Bedingungen wie bis anhin weiter zu betreiben. Bereits heute haben die Kantone ihre individuellen Fahrpläne bei der Umsetzung von Vote électronique.

Mehrere Kantone, die heutzutage ausschliesslich Auslandschweizer Stimmberechtigten die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe einräumen, planen jedoch eine Ausdehnung auf ihre in der Schweiz wohnhaften Stimmberechtigten (z.B. Solothurn, St.Gallen, Aargau). Die Kantone Genf und Neuenburg,
die bereits heute Inlandschweizer Stimmberechtigte in die Versuche einbeziehen, planen eine Erweiterung des in der Schweiz wohnhaften Elektorats. Um dies zu ermöglichen, sind die aktuellen Limiten zu erhöhen. Während heute für alle Kantone die gleichen Limiten gelten, soll künftig pro System bzw. pro Kanton eine dem Projektstand angepasste Limite zur Anwendung gelangen. Dies bedeutet, dass künftig unterschiedliche kantonale Limiten zur Anwendung kommen, was einem eigentlichen Paradigmenwechsel gegenüber heute entspricht. So werden die Kantone bei der Einführung bzw. Ausdehnung des neuen Stimmkanals von möglichst grosser Flexibilität profitieren können.

5078

Die heutige kantonale Limite von 30 Prozent plus die Auslandschweizer Stimmberechtigten soll unter Berücksichtigung der für die Umsetzung der neuen Sicherheitsanforderungen vorgesehenen zwei Etappen wie folgt erhöht werden: Umsetzung der neuen Sicherheitsstandards

Limite (kantonales Elektorat)

Status quo

Keine Umsetzung

30 % (plus Auslandschweizer Stimmberechtigte)

Erste Etappe

Teilweise Umsetzung

50 %

Zweite Etappe

Vollständige Umsetzung (System der zweiten Generation)

100 %

Die Limiten sind selbstverständlich immer als Maximallimiten zu verstehen. Ein Kanton bzw. ein System darf davon profitieren, sobald die entsprechenden Anforderungen umgesetzt sind, muss sie aber nicht ausschöpfen. Es kann sein, dass ein Kanton z.B. aus politischen Gründen nicht die volle Limite, die ihm zustehen würde, ausnützen möchte.

Kantone, deren verwendetes System die definierten Sicherheitsstandards umsetzt, dürfen ein erweitertes Elektorat einbeziehen und erfahren dadurch einen Mehrwert.

Dies erlaubt es Kantonen, welche die elektronische Stimmabgabe früher generalisieren wollen als andere, vorwärtszugehen, ohne dass sie durch Kantone, die weniger weit fortgeschritten sind, gebremst würden. Umgekehrt geraten die anderen Kantone aufgrund des schnellen Vorangehens einiger Kantone bei diesem Ansatz nicht in Zugzwang.

Auch die bundesweite Limite von 10 Prozent ist im Hinblick auf die Erhöhung der kantonalen Limite im Gegenzug zur (etappenweisen) Umsetzung der neuen Sicherheitsanforderungen anzupassen. Die zwei definierten Etappen zur Umsetzung der neuen Sicherheitsanforderungen sollen hier ebenfalls berücksichtigt werden.

In einer ersten Phase sollen künftig bis zu 30 Prozent der Stimmberechtigten zur elektronischen Stimmabgabe zugelassen werden. Dies bedeutet bei rund 5,1 Millionen Stimmberechtigten, dass in allen Kantonen, die die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe anbieten, insgesamt höchstens rund 1,5 Millionen Personen ihre Stimme elektronisch abgeben können. Diese Limite wird in der ersten Etappe aus Gründen der Risikominimierung nach wie vor tief angesetzt. Hinsichtlich der Einführung der Systeme der zweiten Generation ist keine zusätzliche Risikominimierung über eine Beschränkung des zugelassenen Elektorats vorgesehen.

Nachfolgend ist die Erhöhung der Bundeslimite für das gesamtschweizerisch zugelassene Elektorat in Abhängigkeit vom kantonal zugelassenen Elektorat ausgewiesen.

5079

Kantonal zugelassenes Elektorat

Bundeslimite (gesamtschweizerisches Elektorat)

Elektorat der Kantone, welche die neuen Sicherheitsstandards nicht (bis zu 30 %) oder nur teilweise (erste Etappe ­ bis zu 50 %) umgesetzt haben

30 %

Elektorat der Kantone, welche die neuen Sicherheitsstandards vollständig (zweite Etappe ­ bis zu 100 %) umgesetzt haben

unbeschränkt

Freiwillige Einführung (Ziff. 11.3) Entsprechend der Kompetenzaufteilung im Bereich der politischen Rechte ist es den Kantonen überlassen, ob und wann sie Vote électronique einführen wollen. Schliesslich sind die Kantone zuständig für die Organisation und Durchführung auch eidgenössischer Urnengänge und tragen die Kosten hierfür. Der Entscheid betreffend die Einführung der elektronischen Stimmabgabe soll daher im föderalistischen System der Schweiz auch weiterhin den Kantonen überlassen werden. Der Bundesrat hat dies bereits in seiner Antwort vom 9. November 2011 auf die Motion Fässler «Flächendeckendes E-Voting für Auslandschweizerinnen und -schweizer bis 2015» (11.3879) der verfassungsmässigen Ordnung entsprechend bestätigt. Die Motion will die Kantone gesetzlich dazu verpflichten, bis zu den eidgenössischen Wahlen 2015 allen berechtigten Auslandschweizerinnen und -schweizern die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe anzubieten. Der Bundesrat vertritt die Ansicht, dass sich der bisherige partnerschaftliche Ansatz bewährt hat. Die Zusammenarbeit zwischen der Bundeskanzlei und den Kantonen einerseits und den Kantonen untereinander andererseits funktioniert sehr gut. Der Projektstand variiert jedoch stark von Kanton zu Kanton und auch die Erwartungshaltungen der Kantone gegenüber dem Projekt sind sehr unterschiedlich. Ein Zwang seitens des Bundes zur Einführung der elektronischen Stimmabgabe würde den gewählten partnerschaftlichen Ansatz zunichtemachen. Ausserdem legt die verschiedenartige Ausgestaltung der politischen Rechte in den einzelnen Kantonen eine Realisierung auf freiwilliger Basis und zu einem von den Kantonen selber bestimmten Zeitpunkt nahe. Die Einführung der neuen Technologie ist komplex; sie setzt ein sorgfältiges und auf die kantonalen Bedürfnisse abgestimmtes Vorgehen voraus. Eine überstürzte Einführung von Vote électronique gegen den Willen einzelner oder mehrerer Kantone dürfte dem Projekt mehr schaden als nützen.

Neue Sicherheitsanforderungen (Ziff. 12) Im Zentrum der Sicherheitsanforderungen steht die Verifizierbarkeit: Sie stellt sicher, dass systematische Fehlfunktionen im Wahl- bzw. Abstimmungsablauf infolge von Softwarefehlern, menschlichen Fehlleistungen oder vorsätzlichen Manipulationsversuchen unter Wahrung des Stimmgeheimnisses erkannt werden. Dank ihrer
wissenschaftlichen Abstützung und dadurch, dass sich die Verifizierbarkeit eines Systems für Vote électronique durch Analogien mit den konventionellen Abstimmungskanälen einem breiten Publikum erklären lässt, bildet die Verifizierbarkeit ein starkes Instrument zur Nachvollziehbarkeit des korrekten Ablaufs eines Urnengangs

5080

und zur Vertrauensbildung. Die Verifizierbarkeit hat sich in den letzten Jahren in der technischen Literatur etabliert. In Norwegen kam bereits 2011 ein verifizierbares System bei politischen Wahlen zum Einsatz. Hinsichtlich der ersten Entwicklungsetappe für ein System der zweiten Generation wird eine reduzierte Form der Verifizierbarkeit vorgeschlagen.

Ein Teil der Sicherheitsanforderungen, die zusätzlich zur Verifizierbarkeit festgelegt wurden, basiert direkt auf den heute existierenden Sicherheitsmassnahmen, wie sie bereits von Kantonen bzw. deren Systembetreibern angewendet werden. Weitere Sicherheitsanforderungen wurden einem anerkannten internationalen Standard entnommen.

Auch bei der Kontrolle der neu definierten Sicherheitsanforderungen sind Anpassungen vorgesehen. Konkret soll die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen durch spezialisierte, externe Stellen bestätigt sein. Die Kontrollen sollen durch Stellen durchgeführt werden, die vom Bund akkreditiert sind. Auf der Grundlage der Kontrollberichte (Zertifikate) erteilt die Bundeskanzlei zuletzt eine sogenannte Zulassung. Sie ist jedoch an den Kontrollen selbst nicht beteiligt. Dieses Vorgehen entspricht einer Zertifizierung der Systeme für Vote électronique.

III) Bewilligungsverfahren (Ziff. 14) Gemäss Artikel 8a des Bundesgesetzes über die politischen Rechte müssen Kantone, die im Rahmen von eidgenössischen Urnengängen Versuche mit Vote électronique durchführen möchten, eine Bewilligung des Bundesrates einholen. An dieser grundsätzlichen Bewilligungspflicht soll zum heutigen Zeitpunkt nichts geändert werden.

Das bisherige Bewilligungsverfahren hat sich aber als schwerfällig erwiesen. Zwar wurden bereits einige Optimierungen der heutigen Prozesse vorgenommen. Im Rahmen der bevorstehenden Weiterentwicklungen gilt es dieses Verfahren nun aber grundlegend zu überdenken und effizienter zu gestalten.

Die beiden wichtigsten Neuerungen beim Bewilligungsverfahren sind die folgenden: ­

Möglichkeit von Grundbewilligungen durch den Bundesrat;

­

Zulassungsverfahren durch die Bundeskanzlei.

Bis anhin hatten die Kantone für jeden Urnengang ein separates Gesuch einzureichen, das der Bundesrat seinerseits für jeden Urnengang gesondert bewilligte.

Künftig sollen auch Grundbewilligungen durch den Bundesrat für Versuche über eine längere Zeitspanne möglich sein. Die heutigen Rechtsgrundlagen erlauben dies bereits, sofern ein Kanton nachweisen kann, dass er mehrere pannenfreie Versuche durchgeführt hat. Diese Neuerung in der Praxis entlastet die zuständigen Behörden v.a. auf kantonaler Seite wesentlich.

Im Sinne einer Kompensation und in Übereinstimmung mit den durch Bund und Kantone gemeinsam definierten Sicherheitsstandards wird es künftig ein Zulassungsverfahren geben. Die Bundeskanzlei, die für diesen Teil des Verfahrens die Verantwortung tragen wird, hat künftig für jeden Kanton und jeden Urnengang die Zulassung zu erteilen, d.h. sie muss auf der Grundlage der eingereichten Zertifikate überprüfen, ob alle Voraussetzungen (noch) gegeben sind.

5081

Schematisch kann das neu zweiteilige Verfahren wie folgt dargestellt werden:

IV) Rechtsgrundlagen (Ziff. 16) Die vorgestellten Neuerungen in den erwähnten Bereichen müssen in eine Anpassung der Rechtsgrundlagen münden.

Die elektronische Stimmabgabe auf Stufe Bund wird bis anhin im Bundesgesetz über die politischen Rechte und in der Verordnung über die politischen Rechte geregelt, wobei das Gesetz auf grundsätzliche Art und Weise Versuche mit Vote électronique zulässt, während die Verordnung im Rahmen von 19 Bestimmungen die konkreten Voraussetzungen dafür festlegt. Auch weitere Erlasse nehmen Bezug auf die elektronische Stimmabgabe oder sind mit Blick auf diese relevant.

Die geltenden Bestimmungen für Vote électronique wurden erarbeitet, noch bevor der erste Versuch mit Vote électronique durchgeführt wurde. Da zu diesem Zeitpunkt auch im internationalen Raum noch kaum Erfahrungen und daher auch keine vergleichbaren Rechtsgrundlagen rund um die elektronische Stimmabgabe vorhanden waren, konnte sich die Schweiz bei diesem innovativen Projekt nicht auf bestehende Standards abstützen. Die Bestimmungen der Verordnung über die politischen Rechte wurden zwar im Verlauf des Projekts mehrfach leicht angepasst. Nach rund zehn Jahren Erfahrung ist es nun aber an der Zeit, die Regelungen zu Vote électronique grundlegend zu überarbeiten.

Allgemein kann gesagt werden, dass in den Rechtsgrundlagen künftig präzisere und den technischen Entwicklungen angepasste Kriterien für Systeme für Vote électronique sowie Kriterien für deren professionelle und unabhängige Überprüfung festgelegt werden müssen. Dies entspricht auch einer Empfehlung der OSZE im Nachgang zu der Beobachtung der Nationalratswahlen 2011.

Bei der Überarbeitung der Rechtsgrundlagen für Vote électronique soll auch künftig die bewährte schrittweise Ausdehnung berücksichtigt werden. Im Gegensatz zur bisherigen Praxis soll es aber möglich sein, pro Kanton die dem Projektstand angepasste Limite anzuwenden.

Auch die an den Versuchen beteiligten Kantone haben Rechtsgrundlagen für die elektronische Stimmabgabe erlassen. An dieser Stelle gilt es zu betonen, dass die bundesrechtlichen Bestimmungen rund um die elektronische Stimmabgabe nur bei eidgenössischen Urnengängen zur Anwendung kommen; sie gelten weiterhin nicht bei kantonalen und kommunalen Urnengängen. Auf dieser Ebene gelten ausschliesslich kantonale und allenfalls kommunale Regelungen.

5082

D) Kosten (Ziff. 17) I) Neue Prozesse (Ziff. 17.1) Die bisherigen Prozesse im Bereich der elektronischen Stimmabgabe und insbesondere das Bewilligungsverfahren erfahren grössere Änderungen. Nach Einschätzung des Bundes dürften die neu definierten Prozesse mittel- bis langfristig weniger ressourcenaufwändig sein als die aktuell zur Anwendung gelangenden.

Auch nach Einschätzung der Kantone führen die neuen Prozesse rund um das Bewilligungsverfahren zu einem geringeren Aufwand als bisher. Hingegen werden die Prozesse rund um die Umsetzung der neuen Sicherheitsanforderungen einen beträchtlichen Mehraufwand mit sich bringen.

II) Kosten für Weiterentwicklung und Kontrollen (Ziff. 17.1.3) Für die Weiterentwicklung der Systeme und für die Kontrollen der Umsetzung der neuen bundesrechtlichen Anforderungen fallen ebenfalls nicht zu vernachlässigende Kosten an. Zum heutigen Zeitpunkt liegen hier erst grobe Schätzungen der Kantone vor. Diese sind unterschiedlich ausgefallen, was sich insbesondere dadurch erklärt, dass ihre Angaben einzig auf die Weiterentwicklung bzw. die Überprüfung ihres eigenen Systems bezogen wurden. Die höchste Schätzung für die Weiterentwicklung im Sinne der ersten Etappe beläuft sich auf 1,7 Millionen Franken. Die zusätzlichen Kosten bei einer Weiterentwicklung zu Systemen der zweiten Generation werden auf bis zu 3,9 Millionen Franken geschätzt. Die für die Zulassung erforderlichen Kontrollen eines Systems für Vote électronique der ersten Etappe werden auf bis zu 550 000 Franken geschätzt, jene für die Kontrolle eines Systems der zweiten Generation auf bis zu rund 700 000 Franken. Hinzu kommen wiederkehrende Kosten, die auf jährlich rund 44 000 Franken geschätzt werden.

III) Kostenaufteilung zwischen Bund und Kantonen (Ziff. 17.2) Die Kostenschätzungen zeigen, dass die Weiterentwicklung der Systeme und deren regelmässige externe Überprüfung mit nicht zu vernachlässigenden Kosten verbunden sind. Aufgrund der aktuellen Kompetenzaufteilung im Bereich der politischen Rechte hätten grundsätzlich die Kantone für diese Kosten aufzukommen. Weil Vote électronique aber ein Gemeinschaftsprojekt von Bund und Kantonen ist und weil auch der Bund sich im Rahmen der E-Government-Strategie Schweiz die flächendeckende Einführung des neuen Stimmkanals zum Ziel gesetzt hat, haben die Kantone gegenüber
der Bundeskanzlei den Antrag gestellt, dass sich der Bund an diesen Kosten beteilige. Die Kosten für den Betrieb der Systeme tragen selbstverständlich auch künftig die Kantone.

Die Kantone werden im Jahr 2013 auf Antrag der Bundeskanzlei hin aus Mitteln aus dem «Aktionsplan E-Government Schweiz» mit 100 000 Franken pro System, d.h.

insgesamt 300 000 Franken, unterstützt. Der Bund ist bereit, die Kantone im Jahr 2014 im gleichen Umfang aus dem allgemeinen Budget der Bundeskanzlei zu unterstützen. Ausserdem hat er den Kantonen eine finanzielle Unterstützung bei den erstmaligen Audits der weiterentwickelten Systeme zugesagt; dies erfolgt ebenfalls aus dem allgemeinen Budget der Bundeskanzlei. Eine darüber hinausgehende (ein-

5083

malige) Beteiligung des Bundes ab 2015 wird der Bundesrat im Verlauf des Jahres 2013 auf Antrag der Bundeskanzlei in Absprache mit den Kantonen prüfen.

E) Weiteres Vorgehen (Ziff. 18) Mit dem geplanten Inkrafttreten der auf der Grundlage des vorliegenden Berichts angepassten Rechtsgrundlagen auf den 1. Januar 2014 können Versuche mit Vote électronique unter den neuen Bedingungen durchgeführt werden. Erste Kantone kündigen an, diese Möglichkeit nutzen zu wollen und die aktuellen Versuche mit Systemen der zweiten Generation im Rahmen der ersten Etappe auszudehnen. Anstatt 30 Prozent dürfen sie dann bis zu 50 Prozent ihrer Stimmberechtigten in die Versuche einbeziehen. Es ist damit zu rechnen, dass bei positiven Erfahrungen weitere Kantone nachziehen werden.

Die Kantone sind von Anfang an frei, auch die zweite Etappe umsetzen, um 100 Prozent ihres Elektorats zur elektronischen Stimmabgabe zulassen zu können.

Einige Kantone gaben an, dass dies für sie frühestens ab 2016/17 realistisch ist.

Ausserdem sollen weitere Erfahrungen bei Wahlen mit Vote électronique gesammelt werden. Erste Versuche sind auf kommunaler und kantonaler Stufe durchzuführen.

Verschiedene Kantone planen derzeit solche Versuche. Anlässlich der nächsten eidgenössischen Wahlen 2015 soll dann eine grosse Mehrheit der Auslandschweizer Stimmberechtigten und idealerweise auch eine grosse Mehrheit der Kantone Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe bei Wahlen durchführen. Der Bund unterstützt die Kantone dahingehend, dass auch erste in der Schweiz wohnhafte Stimmberechtigte 2015 ihren Wahlzettel auf Bundesebene elektronisch abgeben können.

Um die genannten Ziele erreichen zu können, ist eine Ausdehnung des neuen Stimmkanals auf weitere Kantone unumgänglich. Die Bundeskanzlei wird Kantone, welche die Einführung von Vote électronique planen, auch künftig bestmöglich unterstützen.

Die Kantone mit einem eigenen System für Vote électronique haben mehrfach die Bereitschaft geäussert, neue Kantone aufzunehmen.

F) Ausblick 2017/18 soll der vierte und aus heutiger Sicht letzte Bericht des Bundesrates zu Vote électronique vorgelegt werden. Dieser wird sich mit der Auswertung der Erfahrungen mit den neuen Versuchsbedingungen befassen müssen. Sind die Ergebnisse positiv, könnte der dritte, komplementäre Stimmkanal in den Normalbetrieb
überführt werden. Den Kantonen wäre es weiterhin freigestellt, ob sie die elektronische Stimmabgabe anbieten oder nicht. Die Bedingungen des Bundes hierfür wären allerdings klar und praxiserprobt. Ob es weiterhin eine Bewilligung brauchen wird und wie das Bewilligungsverfahren diesfalls auszugestalten wäre, kann zum heutigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden und muss gestützt auf die gemachten Erfahrungen im vierten Bericht beurteilt werden. Auf Stufe Bund würde die Überführung des dritten Stimmkanals in den Normalbetrieb die Auflösung der heutigen Projektstruktur mit sich bringen.

5084

Inhaltsverzeichnis Management Summary

5070

Vorwort

5089

Struktur des Berichts

5089

Teil I: Entwicklungen von Vote électronique 2006­2012

5091

1 Allgemeiner Rahmen 1.1 Definition und Besonderheiten 1.2 E-Government-Strategie Schweiz 1.3 Mandat 1.4 Regelungsrahmen 1.4.1 Regelung auf Bundesebene 1.4.2 Kantonale Regelungen und ihre Entwicklung seit 2006 1.4.3 Zusammenarbeitsverträge 1.4.4 Die «Wassenaar-Klausel» 1.4.5 Weitere Normen 1.5 Rechtsprechung 1.6 Politische Impulse 1.6.1 Impulse der Mitglieder des Bundesparlaments 1.6.2 Politische Impulse in den Kantonen 1.7 Akteure rund um die elektronische Stimmabgabe 1.7.1 Bundesinstanzen 1.7.2 Kantonale Instanzen 1.7.3 Stellen auf Gemeindeebene 1.7.4 Partnerkantone 1.7.5 Weitere staatliche und private Partner 1.8 Internationaler Rahmen 1.8.1 Internationale Organisationen und ihre Empfehlungen 1.8.2 Entwicklungen in andern Ländern und Organisationen

5091 5091 5092 5093 5093 5093 5096 5099 5102 5103 5104 5105 5105 5106 5107 5107 5108 5110 5112 5112 5113 5113 5116

2 Ausweitung von Vote électronique 2006­2012 2.1 Strategien des Bundes und der Kantone 2.1.1 Strategie des Bundes 2.1.2 Kantonale Strategien 2.2 Priorität für die Auslandschweizerinnen und -schweizer 2.3 Systemwahl 2.4 Einsatz von Vote électronique 2.4.1 Eidgenössische Abstimmungen 2.4.2 Eidgenössische Wahlen 2.4.3 Urnengänge auf Kantons- und Gemeindeebene 2.4.4 Entwicklung der Systeme 2.5 Herausforderungen 2.5.1 Sicht des Bundes 2.5.2 Sicht der Kantone

5118 5118 5118 5119 5121 5123 5124 5125 5127 5128 5129 5131 5131 5131

5085

3 Beurteilung der Ausweitung von Vote électronique 2006­2012 3.1 Auslandschweizerinnen und -schweizer 3.2 Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung 3.3 Mehrsprachigkeit 3.4 Verfahrensoptimierungen 3.5 Wahlen mit Vote électronique 3.6 Entwicklung der Stimm- und Wahlbeteiligung mit Vote électronique 3.7 Gesellschaftliche und politische Akzeptanz von Vote électronique 3.7.1 Befürworterinnen und Befürworter einer raschen flächendeckenden Einführung 3.7.2 Gegnerinnen und Gegner einer raschen flächendeckenden Einführung

5132 5132 5133 5134 5134 5135 5136 5140

4 Umsetzung von Sicherheitsanforderungen 4.1 Schutz des Stimmgeheimnisses 4.2 Schutz vor Manipulationen 4.3 Umgang mit Risiken 4.3.1 Benutzerplattform 4.3.2 Übertragungskanal (Internet) 4.3.3 Infrastruktur für Vote électronique 4.4 Externe Kontrollen 4.4.1 Kontrollanforderungen 4.4.2 Begleitgruppen 4.4.3 Bundesrätliches Bewilligungsverfahren 4.4.4 Internationale Empfehlungen

5141 5141 5144 5145 5146 5147 5147 5148 5148 5148 5149 5150

5 Vertrauen, Transparenz und Beobachtbarkeit der elektronischen Stimmabgabe 5.1 Rolle des Vertrauens 5.2 Transparenzanforderungen 5.3 Beobachtungsanforderungen 5.4 Massnahmen im Zusammenhang mit Transparenz und Beobachtung 5.4.1 Datenschutz 5.4.2 Information der Stimmberechtigten 5.4.3 Ausbildung der Mitarbeitenden 5.4.4 Rolle der Wahlkommission 5.5 Überprüfung des Ergebnisses

5151 5151 5152 5153 5155 5155 5155 5156 5157 5157

6 Finanzielle Aspekte 6.1 Gemeinsame Kostenberechnungsgrundlage 6.2 Kosten von Vote électronique 6.3 Einsparungen 6.4 Finanzielle Unterstützung des Bundes

5158 5158 5159 5160 5160

5086

5140 5141

7 Beurteilung der Kantone 7.1 Zürich 7.2 Neuenburg 7.3 Genf

5161 5161 5162 5162

8 Wissenschaftliche Beurteilungen 8.1 Schweizer E-Voting-Seminare 8.2 Studie der Berner Fachhochschule 8.3 Andere Studien und Beurteilungen 8.3.1 Forschungsarbeit der ETH Zürich 8.3.2 Studie «E-democracy in Switzerland» 8.3.3 Studie «Three Case Studies from Switzerland: E-Voting» 8.3.4 Studie «Swiss Democracy on the web 2010»

5164 5164 5164 5165 5165 5166 5166 5167

9 Internationale Wahlbeobachtung 9.1 Positive Aspekte 9.2 Kritische Aspekte

5167 5167 5168

Teil II: Perspektiven

5169

10 Gliederung des zweiten Teils

5169

11 Weiterentwicklung von Vote électronique 11.1 Ziele für die Weiterentwicklung 11.2 Erhöhung der Limiten 11.2.1 Erhöhung der kantonalen Limite 11.2.2 Erhöhung der Bundeslimite 11.3 Freiwillige Einführung 11.4 Zielgruppen 11.4.1 Auslandschweizer Stimmberechtigte 11.4.2 Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung 11.4.3 Inlandschweizer Stimmberechtigte 11.5 Projektstruktur 11.6 Überarbeitung der Rechtsgrundlagen

5169 5169 5170 5171 5171 5172 5173 5173 5175 5177 5178 5179

12 Technische Grundlagen 12.1 Sicherheit 12.1.1 Gemeinsame Sicherheitsanforderungen mit Fokus Verifizierbarkeit 12.1.2 Gemeinsame Anforderungen zu Systemkontrollen 12.1.3 Zeitpunkt der Schliessung der elektronischen Urne 12.1.4 Zeitpunkt der Urnenentschlüsselung 12.2 Funktionalität

5180 5180

13 Risikomanagement

5190

14 Anpassungen am Bewilligungsverfahren 14.1 Bewilligung durch den Bundesrat 14.1.1 Neue Kantone 14.1.2 Bisherige Kantone mit Vote électronique

5191 5192 5194 5194

5181 5187 5187 5188 5189

5087

14.2 Zulassung durch die Bundeskanzlei 14.2.1 Ordentliches Verfahren 14.2.2 Verfahren bei Nicht-Zulassung 14.3 Inhalt der Gesuche 14.3.1 Gesuch an den Bundesrat 14.3.2 Gesuch an die Bundeskanzlei

5195 5195 5195 5196 5196 5196

15 Kommunikation 15.1 Zweck und Ziele der Kommunikation 15.2 Koordination Bund und Kantone 15.3 Zielgruppen 15.4 Herausgabe von Dokumenten

5198 5198 5198 5198 5198

16 Rechtliche Grundlagen 16.1 Bundesgesetz über die politischen Rechte 16.2 Verordnung über die politischen Rechte 16.3 Technisches Reglement Vote électronique 16.4 Bundesgesetz über die politischen Rechte der Auslandschweizer 16.5 Kantonale Rechtsgrundlagen 16.6 Internationale Standards 16.6.1 Empfehlungen des Europarats 16.6.2 Empfehlungen von OSZE und BDIMR

5199 5199 5200 5201 5202 5203 5203 5204 5204

17 Finanzielle Auswirkungen 17.1 Neue Prozesse 17.1.1 Einschätzung des Bundes 17.1.2 Einschätzung der Kantone 17.1.3 Kosten für die Weiterentwicklung von Vote électronique 17.2 Kostenaufteilung zwischen Bund und Kantonen

5206 5206 5206 5207 5207 5208

18 Weiteres Vorgehen

5208

Ergänzende Dokumentation

5211

Abkürzungsverzeichnis

5212

5088

Bericht Vorwort Vote électronique ist ein Gemeinschaftsprojekt von Bund und Kantonen, das die Kultur und die Tradition der politischen Rechte in der Schweiz aufnimmt und sie in die Technologien des 21. Jahrhunderts übersetzt. Die Instrumente der Demokratie haben sich im Verlauf der Jahre weiterentwickelt und die gesellschaftlichen Entwicklungen, insbesondere das steigende Bedürfnis nach Mobilität, aufgenommen.

Dank Vote électronique können die Stimmberechtigten zeit- und ortsunabhängig an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen. Die Einführung von Vote électronique ist die natürliche und logische Konsequenz der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte im Bereich der Kommunikation und der Erledigung unterschiedlicher Geschäfte (z.B. Bankgeschäfte, Steuererklärung).

Vote électronique ist eine Investition von Bund und Kantonen im Dienste der Stimmberechtigten, die zu Qualitätsverbesserungen führt. Der Stimmabgabeprozess wird vereinfacht, die Abgabe von ungültigen Stimmen wird verunmöglicht, Zielgruppen mit besonderen Bedürfnissen wie Stimmberechtigte mit einer Behinderung (insbesondere einer Sehbehinderung) oder Auslandschweizer Stimmberechtigte können von ihren politischen Rechten einfacher Gebrauch machen.

Die Bundesversammlung hat den Bundesrat 2007 gestützt auf den zweiten Bericht des Bundesrates vom 31. Mai 20061 zum Vote électronique, in dem insbesondere die bis dahin durchgeführten Pilotversuche in den drei Kantonen Zürich, Neuenburg und Genf ausgewertet und positiv beurteilt wurden, beauftragt, die elektronische Stimmabgabe schrittweise einzuführen. Der Bundesrat hat diesen Auftrag der Bundeskanzlei erteilt, die auf Seiten des Bundes für die politischen Rechte zuständig ist.

Das Projekt Vote électronique hat zum Ziel, die elektronische Stimmabgabe via Internet als dritten, komplementären Stimmkanal einzuführen. Dies stellt ein priorisiertes Vorhaben der E-Government Strategie Schweiz dar.

2011 hat der Bundesrat Vote électronique als Richtliniengeschäft in der Legislaturplanung 2011­20152 aufgenommen und sich die Erarbeitung eines dritten Berichts als Jahresziel 2013 gesetzt. Mit dem vorliegenden Bericht nimmt der Bundesrat eine Evaluation der Versuchsphase 2006­2012 vor und zeigt die erforderlichen Schritte zur weiteren Ausdehnung von Vote électronique auf.

Struktur des Berichts Im ersten Teil des Berichts wird eine Evaluation der Versuchsphase 2006­2012 vorgenommen. Dabei steht die Ausdehnung von Vote électronique auf die Auslandschweizer Stimmberechtigten sowie auf neue Kantone im Zentrum. Die Evaluation erfolgt unter der Berücksichtigung folgender Aspekte: Entwicklung des allgemeinen Rahmens (Ziff. 1), Beurteilung der Ausweitung (Ziff. 2 und 3), Umsetzung der Sicherheitsanforderungen (Ziff. 4), Akzeptanz, Vertrauen und Beobachtbarkeit 1 2

BBl 2006 5459 BBl 2012 481

5089

(Ziff. 5), finanzielle Auswirkungen (Ziff. 6), wissenschaftliche Beurteilung (Ziff. 8) und internationale Beobachtung (Ziff. 9). Ausserdem wird die Evaluation der Versuchsphase aus dem Blickwinkel der Kantone präsentiert (Ziff. 7).

Im zweiten Teil des Berichts wird die Perspektive für die weitere Entwicklung des Projektes vorgestellt. Im Fokus der nächsten Projektphase steht die Frage der Ausdehnung von Vote électronique auf die Inlandschweizer Stimmberechtigten. Diesbezüglich wird die Frage der Erhöhung der Limite (Ziff. 11) und der neuen Sicherheitsanforderungen (Ziff. 12), die einer Erhöhung vorausgesetzt werden, erörtert.

Ausserdem werden die nötigen Anpassungen an den Rechtsgrundlagen (Ziff. 16) und an den Verfahren (Ziff. 14) vorgestellt. Die Fragen nach der Einführung eines Risikomanagements (Ziff. 13), der Kommunikation (Ziff. 15) und nach den finanziellen Auswirkungen der Ausdehnung (Ziff. 17) werden ebenfalls thematisiert. Zum Schluss wird das weitere Vorgehen aufgezeigt (Ziff. 18).

5090

Teil I: Entwicklungen von Vote électronique 2006­2012 1

Allgemeiner Rahmen

1.1

Definition und Besonderheiten

In der Schweiz bedeutet der Begriff «Vote électronique»» die elektronische Stimmabgabe. Die drei in den Kantonen Zürich, Neuenburg und Genf entwickelten Systeme bieten gegenwärtig nur die Möglichkeit der Stimmabgabe per Internet an3.

Vote électronique und Stimmabgabe via Internet werden daher im vorliegenden Dokument als Synonyme verwendet.

Die Veröffentlichung des zweiten Berichts zu Vote électronique und die Änderungen der Gesetzgebung durch das Parlament am 23. März 20074 markieren das Ende der Pilotversuche (2004­2007) und den Anfang der neuen erweiterten Versuchsphase. Die elektronische Stimmabgabe stellt einen zusätzlichen Stimmkanal dar, dessen Ergebnisse für die Behörden verbindliche Rechtsfolgen zeitigen.

Der Einsatz der elektronischen Stimmabgabe bei eidgenössischen Urnengängen erfordert die vorherige Zustimmung des Bundesrates5, d.h. der für die Genehmigung von eidgenössischen Abstimmungsergebnissen zuständigen Behörde6. In dieser Eigenschaft ist der Bundesrat befugt, die elektronische Stimmabgabe ratio materiae, loci und temporae zu begrenzen oder bei Bedarf auszusetzen7. Die elektronische Stimmabgabe ist nur zulässig, soweit sie in den dafür bestimmten Gebieten für alle Urnengänge desselben Abstimmungsdatums ermöglicht wird8.

Mit dem Abschluss der Pilotphase hat die neue erweiterte Versuchsphase begonnen, während der die elektronische Stimmabgabe auf neue Kantone ausgeweitet wird.

Die Ausweitung erfolgt gestaffelt, wobei die Risiken berücksichtigt und die Lehren aus den Erfahrungen gezogen werden.

2006 hatte der Bundesrat vier Etappen für die Einführung von Vote électronique festgelegt:

3 4

5

6 7 8

1.

elektronische Stimmabgabe bei Abstimmungen;

2.

elektronische Stimmabgabe bei Wahlen;

Die im Zürcher System bestehende Möglichkeit der Stimmabgabe per SMS wurde nach einer Versuchszeit noch vor der Testphase 2008­2011 endgültig eingestellt.

Am 19. Dezember 2006 und am 19. März 2007 nahmen der Nationalrat bzw. der Ständerat den Bericht des Bundesrates vom 31. Mai 2006 über die Pilotprojekte zu Vote électronique zur Kenntnis und billigten die Änderungen der Bundesgesetzgebung über die politischen Rechte. Die Protokolle der beiden Sitzungen sind zu finden unter: www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4715/236210/d_n_4715_236210_236330.htm (Nationalrat) und www.parlament.ch/ab/frameset/d/s/4716/241444/ d_s_4716_241444_241572.htm (Ständerat).

Art. 8a des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (BPR; SR 161.1), Art. 27a der Verordnung vom 24. Mai 1978 über die politischen Rechte (VPR; SR 161.11).

Art. 15 Abs. 1 BPR.

Art. 8a Abs. 1 BPR, Art. 27c Abs. 1 VPR.

Art. 27a Abs. 2 VPR.

5091

3.

elektronische Unterschrift für Referendumsbegehren und Volksinitiativen («E-Collecting»);

4.

elektronische Unterzeichnung der Wahlvorschläge bei Nationalratswahlen.

Alle Kantone haben die Möglichkeit, die elektronische Stimmabgabe einzuführen, indem sie die oben erwähnten Etappen nacheinander absolvieren: Vote électronique wird zunächst bei Abstimmungen eingeführt, dann bei Wahlen. Die beiden letzten Etappen sind bisher noch nicht getestet worden.

Vote électronique soll in einer ersten Phase besonders den Auslandschweizerinnen und -schweizern sowie sehbehinderten Personen zugutekommen, die als priorisierte Zielgruppen identifiziert wurden, weil ihnen der neue Stimmkanal den grössten Mehrwert bietet.

Das Projekt ist geprägt von der föderalistischen Aufteilung der Kompetenzen im Bereich der politischen Rechte. Die Einführung und der Betrieb von Vote électronique fallen unter die Zuständigkeit der Kantone, die für die Organisation und Durchführung der Urnengänge ­ auch der eidgenössischen ­ zuständig sind. Der Bund gibt die für eidgenössische Urnengänge geltenden Anforderungen vor, überprüft deren Einhaltung im Rahmen eines Bewilligungsverfahrens und koordiniert die kantonalen Projekte.

1.2

E-Government-Strategie Schweiz

Am 24. Januar 2007 hat der Bundesrat die E-Government-Strategie Schweiz9 verabschiedet. Diese nationale Strategie wurde unter Federführung des Informatiksteuerungsorgans des Bundes (ISB) in Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden entwickelt. Sie bildet die Grundlage für Bund, Kantone und Gemeinden, ihre Bestrebungen auf gemeinsame Ziele auszurichten, und legt Grundsätze, Vorgehen sowie Instrumente zu deren Umsetzung fest.

Das Ziel der Strategie ist, dass sowohl die Wirtschaft wie auch die Bevölkerung die wichtigen Geschäfte mit den Behörden elektronisch abwickeln können. Dazu sollen die Behörden ihre Geschäftsprozesse modernisieren und untereinander grundsätzlich elektronisch verkehren.

Die Umsetzung der Strategie erfolgt dezentral, aber koordiniert und unter der Aufsicht eines Steuerungsausschusses und einer Geschäftsstelle. Ein Expertenrat steht diesen beiden Gremien wie auch den Organisationen, die für ein Umsetzungsvorhaben federführend sind, beratend zur Seite. Die Organisation dieser Koordinationsgremien ist in einer Rahmenvereinbarung festgehalten10.

Vote électronique gilt als priorisiertes Vorhaben der E-Government-Strategie Schweiz. Die Bundeskanzlei hat die Federführung für deren Umsetzung inne. Priorisierte Vorhaben sind koordiniert umzusetzen. Der Katalog der priorisierten Vorhaben11 und dessen Umsetzung wird regelmässig durch den Steuerungsausschuss beurteilt und bei Bedarf aktualisiert.

9 10 11

Siehe www.egovernment.ch > Grundlagen > Strategie.

Siehe www.egovernment.ch > Grundlagen > Rahmenvereinbarung.

Siehe www.egovernment.ch > Umsetzung > Katalog priorisierter Vorhaben.

5092

Die E-Government Strategie Schweiz ist in der 1998 vom Bundesrat verabschiedeten Strategie für eine Informationsgesellschaft einzubetten. Der Bundesrat legte damit fest, dass zu prüfen sei, inwiefern die neuen Kommunikationstechnologien im demokratischen Entscheidungsprozess genutzt werden können.

1.3

Mandat

Nach einer ersten Etappe mit Pilotversuchen seitens der drei Kantone Genf, Neuenburg und Zürich, die in enger Zusammenarbeit mit dem Bund durchgeführt wurden, hat sich der Bundesrat in seinem Bericht vom 31. Mai 2006 für eine Einführung von Vote électronique in Etappen ausgesprochen.

Die erste Etappe kontrollierter Versuche mit Vote électronique war so zu erweitern, dass zusätzliche Erfahrungen gesammelt werden können. Insbesondere sollten die drei Kantone, die die elektronische Stimmabgabe eingeführt und mit Unterstützung des Bundes erhebliche Investitionen getätigt hatten, ihre Pilotprojekte weiterführen können. Weitere interessierte Kantone sollten sich ­ diesmal ohne Mitfinanzierung des Bundes ­ an den Versuchen beteiligen können.

Am 19. Dezember 2006 und am 19. März 2007 haben der National- bzw. der Ständerat den Bericht des Bundesrates zur Kenntnis genommen12.

Mit dem Inkrafttreten der Gesetzes- und Verordnungsänderungen zu den politischen Rechten am 1. Januar 2008 begann die erweiterte Versuchsphase.

1.4

Regelungsrahmen

1.4.1

Regelung auf Bundesebene

Die elektronische Stimmabgabe ist in den folgenden Normen geregelt: 1.

Artikel 34 der Bundesverfassung13 (BV);

2.

Artikel 8a, 12, 38 und 49 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 197614 über die politischen Rechte (BPR);

3.

Artikel 1 und 5b des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 197515 über die politischen Rechte der Auslandschweizer (BPRAS);

4.

Artikel 27a­27q der Verordnung vom 24. Mai 197816 über die politischen Rechte (VPR).

Im BPR und im BPRAS wird geregelt, dass der Bundesrat im Einvernehmen mit interessierten Kantonen und Gemeinden örtlich, zeitlich und sachlich begrenzte Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe zulassen kann. Der Bundesrat erteilt auf Gesuch eines Kantons hin für jeden Urnengang eine gesonderte Bewilligung für den Einsatz von Vote électronique.

12

13 14 15 16

Die Protokolle der Sitzungen sind zu finden unter: www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/ 4715/236210/d_n_4715_236210_236662.htm (Nationalrat) und www.parlament.ch/ ab/frameset/d/s/4716/241444/d_s_4716_241444_241683.htm (Ständerat).

SR 101 SR 161.1 SR 161.5 SR 161.11

5093

In der VPR finden sich die technischen, juristischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Durchführung eines solchen Versuchs. Auf Verordnungsstufe wird auch festgelegt, welcher Anteil des Elektorats maximal zu den Versuchen zugelassen wird. So bestehen zurzeit Limiten von 10 Prozent (gesamtschweizerisch) und 30 Prozent (kantonal).

Diese Bestimmungen werden durch die folgenden Dokumente ergänzt: 1.

Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen vom 20. September 200217 zur Teilrevision der Verordnung über die politischen Rechte ­ Genehmigungsvoraussetzungen für kantonale Pilotversuche mit Vote électronique

2.

Botschaft vom 31. Mai 200618 über die Einführung der allgemeinen Volksinitiative und über weitere Änderungen der Bundesgesetzgebung über die politischen Rechte

3.

Kreisschreiben der Bundeskanzlei zu den eCH-Arbeiten betreffend Stimmregisterharmonisierung

Rechtsgrundlagen der politischen Rechte und ihre Entwicklung seit 2006 Am 1. Januar 2008 sind die vom Parlament am 23. März 2007 und vom Bundesrat am 21. September 200719 angenommenen Gesetzesänderungen in Kraft getreten.

Dies markierte den Beginn der erweiterten Versuchsphase, die gegenwärtig noch im Gange ist. Die Änderungen der Rechtsgrundlagen ermöglichten die gestaffelte Einführung von Vote électronique in den Kantonen. Zudem sind Kontrollverfahren vorgesehen, für die der Bund die Koordinierung sicherstellt.

Die Anfang 2008 in Kraft getretenen Änderungen betreffen sowohl das BPR, das BPRAS wie auch die VPR. Die Änderungen ermöglichen die kontrollierte Ausweitung der Versuche auf neue Kantone20 und schaffen die Voraussetzungen für die Ausdehnung von Vote électronique auf die Auslandschweizer Stimmberechtigten21.

Zudem wurde als Auflage festgehalten, dass die Systeme den Bedürfnissen von Stimmberechtigten mit einer Behinderung, namentlich einer Sehbehinderung, Rechnung tragen müssen, soweit die Sicherheit dadurch nicht eingeschränkt wird22.

Gemäss der Rechtsgrundlage sind heute gesamtschweizerisch maximal 10 Prozent der Stimmberechtigten zur elektronischen Stimmabgabe zugelassen. Bei Abstimmungen zu Vorlagen, bei denen das Ständemehr erforderlich ist, sind es maximal 30 Prozent23 der kantonalen Stimmberechtigten24. Gestützt auf die neuen Rechtsgrundlagen kann der Bundesrat die Kantone, die Versuche zur elektronischen 17 18 19 20 21 22 23

24

BBl 2002 6603 BBl 2006 5261 AS 2007 4639 AS 2007 4639 Art. 5b BPRAS.

Art. 27ebis VPR.

Die Limite betrug ursprünglich 20 Prozent. Der Bundesrat beschloss am 4. April 2012 auf Antrag der Kantone Neuenburg und Genf, die Limite auf den 1. Juni 2012 auf 30 Prozent zu erhöhen.

Art. 27c VPR. Gemäss der Botschaft vom 31. Mai 2006 über die Einführung der allgemeinen Volksinitiative und über weitere Änderungen der Bundesgesetzgebung über die politischen Rechte sollte die Begrenzung der elektronischen Stimmabgabe auf 10 bzw.

20 Prozent der Stimmberechtigten während der ganzen Legislaturperiode 2005­2011 gelten (BBl 2006 5300).

5094

Stimmabgabe über längere Zeit durchgeführt haben, ermächtigen, diese Versuche für eine von ihm festgelegte Dauer weiterzuführen, soweit das System nicht massgeblich verändert wird25. Der Bundesrat regelt die Zeitdauer und die Voraussetzungen je nach Fall. Er kann die Genehmigung für den Einsatz von Vote électronique jederzeit einschränken oder aufheben. Angesichts der raschen Entwicklung der elektronischen Stimmabgabe und der Systeme in den letzten Jahren wurde von dieser Möglichkeit bislang noch nicht Gebrauch gemacht, d.h. der Bundesrat hat die Gesuche der Kantone für jeden Urnengang gesondert bewilligt. Dieses Verfahren soll nun vereinfacht werden26.

Diese Änderungen der Rechtsgrundlagen unterlagen dem fakultativen Referendum.

Nachdem bis zum Ablauf der Frist am 12. Juli 2007 kein Referendumsbegehren eingereicht wurde, setzte der Bundesrat die Änderungen auf den 1. Januar 2008 in Kraft.

Zwischen 2009 und 2012 wurden die folgenden Änderungen eingeführt, um der Entwicklung der Projekte Rechnung zu tragen: 1.

Die Auslandschweizer Stimmberechtigten werden seit September 2009 bei der Berechnung des kantonalen Anteils nicht mehr mitgezählt27.

2.

Es wurde eine spezifische Bestimmung über den Datenaustausch im Fall der Beherbergung eingeführt28.

3.

Die Limite für kantonale Stimmberechtigte wurde von 20 auf 30 Prozent erhöht29. Diese Änderung ist am 1. Juni 2012 in Kraft getreten.

Datenschutz- und Öffentlichkeitsgesetz Für die elektronische Stimmabgabe relevant sind ausserdem das Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 200430 (BGÖ) und das Datenschutzgesetz vom 19. Juni 199231 (DSG).

Das DSG enthält die Bestimmungen für das Bearbeiten von Personendaten. Für die Datenbearbeitung durch Kantons- und Gemeindebehörden ist das kantonale Recht massgebend. Da im Zusammenhang mit der elektronischen Stimmabgabe persönliche Daten bearbeitet werden, müssen diese Gesetze sowie die dazugehörigen Verordnungen eingehalten werden.

Das BGÖ und die dazugehörige Öffentlichkeitsverordnung vom 24. Mai 200632 (VBGÖ) sehen den Grundsatz vor, dass zu Dokumenten der Bundesverwaltung Zugang gewährt wird. Der Grundsatz der Geheimhaltung wird zugunsten des Öffentlichkeitsprinzips aufgegeben. Aufgrund der zentralen Bedeutung des Projekts für die direkte Demokratie wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Gesuche um Zugang zu Dokumenten rund um Vote électronique eingereicht.

25 26 27 28 29 30 31 32

Art. 8a Abs. 1bis BPR und 27c Abs. 3 VPR.

Siehe Ziffer 14.1.

Art. 27c Abs. 2 VPR.

Art. 27kbis VPR.

Art. 27c Abs. 2 VPR.

SR 152.3 SR 235.1 SR 152.31

5095

Auf Bundesebene ist der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) für Fragen zum Datenschutz und zum Öffentlichkeitsprinzip zuständig.

Der EDÖB nahm in seinen Tätigkeitsberichten Stellung zu Vote électronique33: ­

Im 19. Tätigkeitsbericht für den Zeitraum 2011­2012 informierte der EDÖB über seine Rolle als Vermittler im Zusammenhang mit Gesuchen um Zugang zu Dokumenten rund um Vote électronique, die gemäss dem Öffentlichkeitsprinzip an die Bundeskanzlei gerichtet wurden.

­

Im 17. Tätigkeitsbericht für den Zeitraum 2009­2010 stellte der EDÖB fest, dass die Verwendung der neuen AHV-Nummer im Rahmen von eCHStandards, die wahrscheinlich bei Vote électronique verwendet werden (eCH-0045), ohne Gesetzesgrundlage aus offensichtlichen Datenschutzgründen nicht möglich sei.

­

Der 14. Tätigkeitsbericht des EDÖB für den Zeitraum 2006­2007 befasste sich mit der Frage der Nachvollziehbarkeit der elektronischen Stimmabgabe und äusserte sich zur Frage des Papierausdrucks der elektronischen Stimmen («Paper Trail»).

1.4.2

Kantonale Regelungen und ihre Entwicklung seit 2006

Die Bundesgesetzgebung umfasst einen gemeinsamen Grundstock an Anforderungen. Daneben unterliegt Vote électronique der kantonalen Gesetzgebung34. Bei Widersprüchen geht das Bundesrecht dem entgegenstehenden kantonalen Recht vor35. In Bezug auf die politischen Rechte sind solche Widersprüche grundsätzlich insofern ausgeschlossen, als der Bundesrat über die Bundeskanzlei sämtliche Änderungen der kantonalen Gesetze über die politischen Rechte kontrolliert36. Die Genehmigung durch den Bund bildet eine Voraussetzung für die Gültigkeit der Kantonsgesetzgebung über die politischen Rechte.

Vor der Einführung von Vote électronique muss ein Kanton die erforderlichen Rechtsgrundlagen verabschieden und insbesondere seine Erlasse über die politischen Rechte anpassen. Allfällige kantonale Vorschriften zu Informatiksicherheit, Datenschutz, Öffentlichkeit der Daten und Beobachtung sind ebenfalls zu berücksichtigen.

Anhang 1 mit dem Titel «Rechtsgrundlagen von Vote électronique» vermittelt einen Überblick über die relevanten kantonalen Bestimmungen.

Die kantonalen Bestimmungen zu Vote électronique weisen folgende Hauptmerkmale auf: ­

33 34 35 36

Die Regelung von Vote électronique, die Anfang der 2000er-Jahre in den Pilotkantonen (ZH, NE, GE), eingeführt wurde, blieb seither im WesentliDie jährlichen Tätigkeitsberichte können heruntergeladen werden unter: www.edoeb.admin.ch > Dokumentation > Tätigkeitsberichte.

Art. 39 BV.

Art. 49 BV.

Art. 51 ff. BV, Art. 91 Abs. 2 BPR, Art. 61b Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 (SR 172.010) und Art. 27k der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998 (SR 172.010.1).

5096

chen unverändert. Im Kanton Zürich handelt es sich hierbei um Gesetz und Verordnung über die politischen Rechte, in Neuenburg um das «Décret sur l'introduction à titre expérimental des moyens électroniques facilitant l'exercice des droits politiques» sowie die einschlägigen Artikel des Gesetzes über den «Guichet Unique». Im Kanton Genf ist Vote électronique hauptsächlich im «Loi sur l'exercice des droits politiques» (LEDP) und im entsprechenden Vollzugsreglement geregelt.37 Im Kanton Neuenburg wurde das Dekret des Staatsrats zur Genehmigung von Vote électronique unbefristet verlängert.

Zürich beschloss Ende 2011, die Versuche in Erwartung der Bundesbeschlüsse über die Ausdehnung von Vote électronique sowie der Durchführung der Harmonisierung bzw. kantonalen Zentralisierung der Stimmregister zu sistieren. Die Rechtsgrundlagen wurden jedoch nicht geändert, d.h. die elektronische Stimmabgabe bleibt im Kanton Zürich möglich.

37

38 39

40 41

­

Zur Ausweitung von Vote électronique ratio materiae und zum Einsatz bei Wahlen beinhaltete die Zürcher Gesetzgebung von Anfang an die Möglichkeit, auch bei Kantons- und Gemeindewahlen die elektronische Stimmabgabe zuzulassen. In Genf wird der Einsatz von Vote électronique bei Wahlen als Ausnahme in den Übergangsbestimmungen des LEDP vorgesehen38.

Diese Bestimmung war noch nicht in Kraft, als der Kanton es in Betracht zog, anlässlich der Nationalratswahlen von 2011 die elektronische Stimmabgabe anzubieten39. Das Neuenburger Dekret über Vote électronique sah den Einsatz der elektronischen Stimmabgabe bei sämtlichen Ereignissen («événements») vor, die politische Rechte betreffen (Abstimmungen, Wahlen, Unterzeichnung von Referenden und Initiativen).

­

Seit Januar 2008 haben die Kantone ihre kantonalen Gesetze angepasst und die Anforderung der Zentralisierung bzw. Harmonisierung der Stimmregister für Auslandschweizerinnen und -schweizer eingeführt40. Damit ist die Vorbedingung für die Einführung der elektronischen Stimmabgabe für die Auslandschweizerinnen und -schweizer in gesetzgeberischer Hinsicht erfüllt.

Die konkrete Durchführung der Zentralisierung bzw. der Harmonisierung der Stimmregister ist noch nicht in allen Kantonen abgeschlossen.

­

Die nach 2008 verabschiedeten kantonalen Erlasse zur Einführung von Vote électronique der zehn Kantone ohne eigenes System für Vote électronique greifen im Wesentlichen die Bestimmungen des BPR und der VPR auf41.

Am 8. Februar 2009 nahmen die Genfer Stimmberechtigten mit 70 Prozent der Stimmen einen neuen Verfassungsartikel an, der den Grundsatz der elektronischen Stimmabgabe über das Internet in der Kantonsverfassung verankert ­ eine Premiere ­ und eine zentrale Wahlkommission einrichtet, deren Mitglieder für eine Legislaturperiode ernannt werden.

Allerdings enthält die am 14. Oktober 2012 angenommene neue Kantonsverfassung keinen Verweis mehr auf die einzelnen Stimmkanäle (und damit auch nicht auf Vote électronique).

Art. 188 LEDP.

Als Reaktion auf eine parlamentarische Interpellation hat der Staatsrat Ende 2010 beschlossen, dass Vote électronique vor Verabschiedung einer expliziten gesetzlichen Grundlage bei Wahlen nicht zugelassen ist. Diese Einschränkung betrifft jedoch nur das Stimmvolk des Kantons Genf. Den beherbergten Kantonen steht diese Option weiterhin offen.

Art. 5b BPRAS.

Namentlich Art. 8a Abs. 1, 2 und 4 BPR sowie 27a Abs. 3 VPR.

5097

42

­

Die kantonalen Gesetze über die politischen Rechte von BE, LU, SO, BS, SH, SG, GR, AG und TG sehen als allgemeinen Grundsatz die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe vor, sofern die technischen und organisatorischen Voraussetzungen erfüllt sind und die Grundanforderungen für die Ausübung der politischen Rechte eingehalten werden. Die Kantonsregierung wird ermächtigt, über den konkreten Einsatz von Vote électronique zu entscheiden. Die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe ist im Kanton FR in den Übergangsbestimmungen des Gesetzes als Ausnahmeregelung zu den Bestimmungen über die Verfahren zur Ausübung der politischen Rechte vorgesehen.

­

Die Kantonsregierungen von BE, LU, BS, SO, SH und TG haben alle eine Verordnung über die Versuche mit Vote électronique für die Auslandschweizerinnen und -schweizer eingeführt. Zweck ist es, die Bestimmungen über Vote électronique ab Ende der Versuchszeit in die Verordnung über die politischen Rechte aufzunehmen.

­

In den Kantonen SG, GR und AG werden die spezifischen Fragen betreffend Vote électronique in den Verordnungen über die politischen Rechte niedergelegt.

­

Die Verordnungen der Kantone BE und LU regeln die Versuche mit Vote électronique lediglich bei Abstimmungen. Die Ausweitung auf die Wahlen erfordert eine Anpassung der Verordnung. Die Verordnungen von SO, BS, SH, SG, GR, AG und TG sowie das Kantonsgesetz von FR sehen die elektronische Stimmabgabe für die Auslandschweizerinnen und -schweizer auch bei Wahlen vor.

­

Die kantonalen Gesetze über die Informatiksicherheit sind für Vote électronique relevant. Im Fall der Beherbergung, d.h. wenn die Gesetze zweier Kantone im Spiel sind, wird die Frage im jeweiligen Vertrag geregelt. Dabei wird die folgende Lösung angewandt: Der beherbergende Kanton ist gegenüber dem beherbergten Kanton für die Einhaltung von dessen Informatiksicherheitsvorschriften verantwortlich. Der beherbergte Kanton seinerseits muss Änderungsvorhaben sowie Änderungen seiner eigenen Informatiksicherheitsvorschriften frühzeitig melden, um die rechtzeitige Durchführung der erforderlichen Anpassungen zu ermöglichen.

­

Die Rechtsgrundlagen der Kantone und des Bundes über die politischen Rechte und über die elektronische Stimmabgabe enthalten auch Bestimmungen über den Datenschutz. Bei zwei kooperierenden Kantonen ist der beherbergte Kanton gegenüber seinen Stimmberechtigten für die Einhaltung sämtlicher Vorschriften, die sich aus seinem kantonalen Datenschutzgesetz ergeben, verantwortlich. Laut Beherbergungsvertrag verpflichtet der beherbergte Kanton den beherbergenden Kanton, die Datenschutzbestimmungen des beherbergten Kantons zu befolgen.

­

Die Öffentlichkeit und die Beobachtung von Vote électronique sind in gewissem Ausmass in der Gesetzgebung über die politischen Rechte niedergelegt. Daneben sind Vorschriften wie die kantonale Gesetzgebung über die Öffentlichkeit, die nicht spezifisch die politischen Rechte betreffen, zu berücksichtigen42. Die VPR sieht vor, dass die elektronische Auszählung Anhang 1.

5098

einer Vertretung der Stimmberechtigten zugänglich sein muss43. Allerdings wird dieser Punkt in den kantonalen Regelungen sehr unterschiedlich behandelt. Die meisten Kantone, die Vote électronique anbieten, haben die Frage nicht ausdrücklich geklärt. Andere haben die Befugnisse des Stimmbüros auch auf den elektronischen Stimmkanal ausgeweitet44. In Neuenburg gilt die Gepflogenheit, dass die Wahlkommission ­ ein Gremium aus Vertreterinnen und Vertretern der politischen Kräfte im Grossen Rat und der Kantonsverwaltung ­ am Funktionieren von Vote électronique beteiligt ist. Sie hält einen Teil der Urnenschlüssel. Ihre Präsenz ist für das Funktionieren der elektronischen Stimmabgabe unverzichtbar, da sie an der Verschlüsselung und Entschlüsselung der elektronischen Urne mitwirkt (Anfang und Ende der elektronischen Stimmabgabe) und da das System eine durchgängige Verschlüsslung der Stimmen aufweist. Dass die von der Wahlkommission gehaltenen Schlüssel für die Verschlüsselung/Entschlüsselung der Stimmen unverzichtbar sind, bildet gleichzeitig die Garantie, dass in ihrer Abwesenheit keine Entschlüsselung stattfinden kann. Der Kanton Genf hat die Rolle der Wahlkommission «formalisiert» und mehrere Bestimmungen dazu verabschiedet45. Die Genfer Wahlkommission besteht aus Vertreterinnen und Vertretern der politischen Kräfte im Grossrat, die für eine Legislaturperiode ernannt werden und bei Bedarf Spezialistinnen und Spezialisten heranziehen können. Die Wahlkommission besitzt mehrere Befugnisse in Bezug auf die Kontrolle von Vote électronique. Unter anderem hat sie ein Einsichtsrecht in die gesamte Dokumentation zur elektronischen Stimmabgabe und kann Audits anordnen. Sie wirkt an der Verschlüsslung und Entschlüsselung der elektronischen Urne mit.

1.4.3

Zusammenarbeitsverträge

Die Zentralisierung bzw. kantonale Harmonisierung der Stimmregister für Auslandschweizerinnen und -schweizer verfolgte das erklärte Ziel, die Vorbedingungen für die Bereitstellung von Vote électronique für einen Teil dieser Stimmberechtigten zu schaffen. So fragte sich bald, welche Lösung die 23 Kantone ohne eigenes System für Vote électronique finden würden, um die elektronische Stimmabgabe anzubieten, wenn einmal die Register zentralisiert bzw. harmonisiert sind.

Der zweite Bericht zu Vote électronique vom 31. Mai 2006 hielt bereits fest, dass der Aufbau von 26 Systemen für Vote électronique aus ökonomischer Sicht kein gangbarer Weg sei. Hinzu kommt, dass die meisten Kantone nur eine kleine Gemeinschaft von registrierten Auslandschweizerinnen und -schweizern zählen und dass Vote électronique die übrigen Kanäle nicht ersetzt, sondern ergänzt.

Anfang der 2000er-Jahre unterzeichnete der Bund Verträge mit den drei Pilotkantonen. Darin wurde die kostenlose Bereitstellung der dank der finanziellen Unterstützung des Bundes erzielten Resultate und Erkenntnisse vorgesehen. Zudem bilden die drei von den Kantonen Zürich, Neuenburg und Genf entwickelten Systeme für Vote 43 44

45

Art. 27m VPR.

Vgl. z.B. die entsprechenden Bestimmungen im Kanton Thurgau (§ 30b und 30d der Verordnung des Regierungsrates vom 25. August 2003 zum Gesetz über das Stimm- und Wahlrecht, RB 161.11).

Art. 48 Verfassung des Kantons GE vom 24. Mai 1847 und Art. 60, 75A und 75B LEDP.

5099

électronique unabhängig von ihren Besonderheiten geistiges Eigentum der jeweiligen Kantone.

Auf dieser Grundlage unterbreiteten die Pilotkantone den interessierten Kantonen Zusammenarbeitsangebote. Diese Arbeit erfolgte ab 2008 parallel zur Zentralisierung bzw. Harmonisierung der Stimmregister für Auslandschweizerinnen und -schweizer. Dabei wurden zwei Zusammenarbeitsmodelle entwickelt: ­

Beherbergung der Auslandschweizerinnen und -schweizer eines Kantons durch das Genfer System für Vote électronique46;

­

Übernahme des Quellcodes des Systems von Zürich und Nutzung über eine Privatfirma in den sieben Consortiumskantonen47 ab 2010.

Im zweiten Fall befinden sich die Server für den Vote électronique für alle Consortiumskantone beim Kanton Zürich (Hosting).

Beherbergung der Auslandschweizerinnen und -schweizer durch das Genfer System Bei einer Beherbergung unterzeichnen jeweils der beherbergte Kanton, der Kanton Genf und die Bundeskanzlei einen Beherbergungsvertrag. Der Begriff «Beherbergung» bedeutet hier den Prozess, wonach das Genfer System den Stimmberechtigten eines andern Kantons die Möglichkeit bietet, über Internet elektronisch abzustimmen oder zu wählen. Die derzeit geltenden Verträge sehen die Beherbergung der Auslandschweizerinnen und -schweizer anlässlich von eidgenössischen Abstimmungen und Wahlen, aber auch von anderen Urnengängen vor, an denen diese gemäss Kantonsgesetzgebung stimmberechtigt sind48.

Die von den politischen Behörden der drei Partner unterzeichneten Beherbergungsverträge behandeln alle wichtigen Fragen wie: ­

Koordination der Verfahren für die Gesuche an den Bundesrat;

­

Erstellung und Übermittlung von Registern;

­

Erarbeitung, Druck und Versand des Stimmmaterials;

­

Kontrolle der Ausübung des Stimmrechts;

­

Funktionieren des technischen Supports für die Nutzer (Helpdesk), Sicherheitsfragen;

­

Krisenmanagement und Verfahren in Problemfällen;

­

Ablauf der elektronischen Stimmabgabe sowie Zusammenstellung, Übermittlung und Veröffentlichung der Ergebnisse;

­

Kostenaufteilung.

Der Vertrag wird durch Bestimmungen zum Zeitplan und zur Kostenaufteilung ergänzt.

46 47 48

BS ab 2009, LU ab 2010 und BE ab 2011.

FR, SO, SH, SG, GR, AG und TG.

Zum Beispiel kantonales Stimmrecht für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer im Kanton Bern.

5100

Die Beherbergungsverträge werden nach den drei ersten Versuchen evaluiert und bei Bedarf angepasst. Die Anhänge werden je nach Entwicklung der Versuche und der Technik und mit Blick auf die gesammelten Erfahrungen auch häufiger angepasst.

Der Vertrag verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr; er kann sowohl vom beherbergten Kanton als auch vom beherbergenden Kanton jedes Jahr gekündigt werden.

Übernahme des Quellcodes des Zürcher Systems Die Consortiumskantone arbeiten mit einer Kopie («Klon») des Zürcher Systems für Vote électronique. Das System wird von einem Privatunternehmen betrieben, das für die Auslandschweizer Stimmberechtigten der Consortiumskantone das Funktionieren des elektronischen Stimmkanals gewährleistet. Die Zusammenarbeit beruht auf vier Instrumenten: ­

Vertrag zwischen den sieben Kantonen und der Bundeskanzlei als Koordinatorin zur Gründung eines Consortiums zur Ermöglichung einer Beherbergung der Auslandschweizer Stimmberechtigten bei eidgenössischen Urnengängen auf dem System der Generalunternehmerin (Consortiumsvertrag);

­

Software-Lizenzvertrag zwischen dem Kanton Zürich als Inhaber der Rechte am geistigen Eigentum des E-Voting-Systems und Lizenzgeber, dem Consortium der sieben Kantone sowie der Bundeskanzlei als Koordinatorin über die Erteilung des Nutzungsrechts für die Software «Vote électronique» (Lizenzvertrag);

­

Rahmenvertrag e-Voting für Auslandschweizer (RVeA) zwischen der Bundeskanzlei als Koordinatorin des Consortiums und dem Privatunternehmen (Rahmenvertrag);

­

Vereinbarung zur Erbringung von Dienstleistungen in Bezug auf das Housing der e-Voting Infrastruktur für Auslandschweizer des Consortiums zwischen dem Systembetreiber und dem Kanton Zürich (Housing-Vertrag).

Der Consortiumsvertrag regelt die Nutzung der vom Privatunternehmen entwickelten und angepassten Version des Systems für Vote électronique des Kantons Zürich zur Beherbergung der Auslandschweizerinnen und -schweizer der teilnehmenden Kantone. Laut diesem Vertrag bedeutet der Begriff «Beherbergung», dass der private Partner die teilnehmenden Kantone dabei unterstützt, deren Auslandschweizer Stimmberechtigten die Möglichkeit anzubieten, bei eidgenössischen Urnengängen49 per Internet abzustimmen oder zu wählen. Der Vertrag besteht im Wesentlichen aus den gleichen Bestimmungen wie der oben beschriebene Beherbergungsvertrag beim Genfer System. Er gilt bis zum 31. Dezember 2012 und kann danach von einem Kanton unter Einhaltung einer einjährigen Kündigungsfrist gekündigt werden. Der Austritt eines Kantons führt nicht zur Auflösung des Consortiums. Vertragsänderungen setzen Einstimmigkeit voraus.

Der Lizenzvertrag sieht vor, dass der Kanton Zürich als Inhaber der Rechte am geistigen Eigentum bezüglich der Software den Consortiumskantonen bzw. dem Consortium das nicht ausschliessliche, nicht übertragbare, auf die Dauer des vorlie49

Die Kantone, in denen die Auslandschweizerinnen und -schweizer auch auf Kantons- und Gemeindeebene gesetzlich stimmberechtigt sind, verhandeln direkt mit dem Privatunternehmen über diesen Teil des Angebots von Vote électronique.

5101

genden Vertrags beschränkte Recht gewährt, die Software für eigene Projekte mit Vote électronique für die Auslandschweizer Stimmberechtigten zu nutzen. Die erste Übertragung ist kostenlos. Weitere damit verbundene Vorgänge (Installation, Betrieb, Wartung usw.) bilden nicht Teil des Vertrags, sondern obliegen in operativer und finanzieller Hinsicht den teilnehmenden Kantonen. Der Lizenzgeber wird von jeglicher Verantwortung befreit. Entwicklungen oder Erweiterungen der Software bedürfen der Zustimmung des Kantons Zürich. Das geistige Eigentum an den Änderungen oder Erweiterungen gehört dem Kanton Zürich. Der Vertrag galt ursprünglich bis zum 31. Dezember 2012. Seither gilt er unbefristet und kann unter Einhaltung einer einjährigen Kündigungsfrist gekündigt werden.50 Der Rahmenvertrag zwischen der Bundeskanzlei als Vertreterin der Consortiumskantone und dem Privatunternehmen regelt die Einzelheiten der Zusammenarbeit zwischen den Consortiumskantonen und der privaten Betreiberfirma.

Der Housing-Vertrag regelt die Bedingungen, unter denen die Consortiumskantone ihre Hardware in den Hochsicherheitsräumlichkeiten des Kantons Zürich unterbringen können.

1.4.4

Die «Wassenaar-Klausel»

Seit dem ersten Versuch mit Vote électronique mit Auslandschweizerinnen und -schweizern im Jahr 2008 bewilligt der Bundesrat die elektronische Stimmabgabe der Auslandschweizer Stimmberechtigten mit Wohnsitz in einem Vertragsstaat des Wassenaar-Abkommens vom 19. Dezember 1995/12. Mai 199651, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in Andorra, Liechtenstein, Monaco, San Marino, Vatikanstadt und im Norden von Zypern52. Diese Länder erlauben ihren ansässigen Einwohnerinnen und Einwohnern, verschlüsselte Daten, wie sie bei der elektronischen Stimmabgabe verwendet werden, zu erhalten und zu versenden. Etwa 90 Prozent der registrierten Auslandschweizerinnen und -schweizer wohnen in einem der zugelassenen Länder.

Allerdings wurde diese Klausel verschiedentlich kritisiert, einerseits durch die Auslandschweizer Stimmberechtigten und ihre Dachorganisation, die Auslandschweizer-Organisation (ASO), selber und andererseits durch die mit der Durchführung der elektronischen Stimmabgabe betrauten Stellen, für die das Sortieren nach zugelassenen und nicht zugelassenen Auslandschweizerinnen und -schweizern einen zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeutet. Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Kriterium künftig aufrechterhalten werden soll.

Es gibt Alternativen. Als jüngstes Beispiel ist Frankreich zu nennen: Frankreich hat die im Ausland wohnhaften Stimmberechtigten bei den Parlamentswahlen im Mai und Juni 2012 über die Zensurrisiken bzw. die Unmöglichkeit der elektronischen Stimmabgabe in bestimmten Ländern informiert und dafür sensibilisiert.

50

51 52

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Verhandlungen zwischen den Kantonen des Consortiums und dem Kanton Zürich über die künftige Ausgestaltung der Lizenzrechte im Gange sind.

«Wassenaar Arrangement on Export Controls for Conventional Arms and Dual-Use Goods and Technologies», siehe www.wassenaar.org > Participating States/Links.

Vgl. z.B. den Bundesratsbeschluss zur eidgenössischen Abstimmung vom 23. September 2012 (BBl 2012 6905).

5102

Der zweite Teil des Berichts zeigt, wie diese Frage künftig in der Schweiz behandelt werden soll53.

1.4.5

Weitere Normen

Die interkantonale Zusammenarbeit im Rahmen der elektronischen Stimmabgabe sowie die Herausforderung der ­ für das Angebot von Vote électronique unerlässlichen ­ virtuellen Zentralisierung für dezentrale Kantone unterstreichen die Bedeutung von gemeinsamen technischen Standards zur Erleichterung des Austauschs und zur Qualitätsverbesserung.

Standardisierungsmassnahmen wurden auf drei Ebenen ergriffen: ­

Standardisierung durch die Bundeskanzlei zusammen mit der Arbeitsgruppe Vote électronique des Bundes54;

­

Standardisierung von systeminternen Dokumenten und Verfahren55;

­

Standardisierung durch die kooperierenden Parteien innerhalb von eCH56, dem schweizerischen Gremium für die Entwicklung von e-GovernmentNormen57.

Die Merkmale der oben aufgeführten Standards lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Stärke der von der Bundeskanzlei in Zusammenarbeit mit den Kantonen und weiteren betroffenen Stellen erstellten Standards beruht darauf, dass sie die Anforderungen des Bundesgesetzes bzw. der Verordnung über die politischen Rechte konkret umsetzen.

Die systeminternen Standards werden unter den verschiedenen Partnern vereinbart.

Vereinbarte Standards werden wie vertragliche Pflichten eingehalten.

Bei den eCH-Standards handelt es sich um Standards, die von allen interessierten Parteien freiwillig übernommen und umgesetzt werden können.

Weitere technische Normen sind für die elektronische Stimmabgabe direkt oder indirekt relevant, so z.B. die Normen des Bundesamts für Statistik betreffend Registerführung, die aktuellen Arbeiten des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten im Bereich des Auslandschweizerregisters (VERA) und die Arbeiten des Bundesamts für Justiz betreffend die künftige eID bzw. SuisseID58 usw.

53 54

55 56 57

58

Siehe Ziffer 11.4.1.

Anforderungskatalog für die Durchführung von Versuchen mit Vote électronique bei eidgenössischen Abstimmungen und Wahlen sowie Anforderungskatalog für den Druck der Stimmrechtsausweise für Vote électronique.

Zum Beispiel im Rahmen der Beherbergung durch Genf oder im Rahmen des Consortiums der Kantone.

Für weitere Informationen siehe www.ech.ch.

Zum Beispiel die Norm eCH-0045 zu den Stimmregistern sowie Normen zur Familie, die aus den vier folgenden Standards bestehen: eCH-0155, Datenstandard zu politischen Rechten und abgeleitete Standards zur Weiterleitung von Geschäften in einer Abstimmung (eCH-0159), zu Wahlkandidaten (eCH-0157) und Ergebnissen (eCH-0110). Diese Standards wurden im Dezember 2012 abgeschlossen.

Diese wird ab 2013 für die elektronische Stimmabgabe im Kanton Neuenburg genutzt.

5103

1.5

Rechtsprechung

Bisher wurden erst in Genf Beschwerden gegen kantonale oder eidgenössische Abstimmungen mit der Möglichkeit einer elektronischen Stimmabgabe erhoben.

Wichtig scheint die Feststellung, dass keine dieser Beschwerden eine konkrete Rüge wegen des Ablaufs der Abstimmung oder der Feststellung der Ergebnisse enthält.

Bei fünf Beschwerden, die alle 2011 von ein und derselben Person gegen zwei kantonale Abstimmungen eingereicht wurden,59 verfolgt der Beschwerdeführer im Wesentlichen die gleiche Argumentation und beschränkt sich darauf, das System insgesamt in Zweifel zu ziehen. Er rügt weder die Auszählung der elektronischen Urne noch die eigentliche Feststellung der Ergebnisse. Er macht auch keine widerrechtliche Einflussnahme Dritter geltend, die versucht hätten, Stimmen abzufangen, zu verändern oder umzuleiten. Es gab in Genf noch nie eine Nachzählung der elektronischen Urne60 und auch kein diesbezügliches Begehren im Rahmen einer Beschwerde gegen eine kantonale Abstimmung61.

2009 wies das Bundesgericht im Rahmen einer eidgenössischen Abstimmung, für die in mehreren Gemeinden die elektronische Stimmabgabe zugelassen worden war, die Beschwerde eines Genfer Stimmberechtigten ab, der geltend machte, die elektronische Stimmabgabe in Genf sei zu leicht fälschbar. Das Bundesgericht vertrat die Auffassung, dass diese Behauptungen im zu entscheidenden Fall unbegründet seien62.

Damit das Ergebnis eines Urnengangs für ungültig erklärt wird, muss allgemein gesprochen nicht bewiesen werden, dass ein Verfahrensmangel tatsächlich die Abstimmung oder die Wahl entscheidend beeinflusst hat. Ein solcher Beweis wäre schwer oder gar unmöglich zu führen. Es genügt, dass ein solcher Einfluss möglich gewesen wäre, ein Verfahrensmangel das Ergebnis hätte beeinflussen können63. Die Ungültigerklärung eines Urnengangs nach Artikel 34 BV erfordert hingegen das Vorliegen einer konkreten Unregelmässigkeit. Diesbezüglich ist ein abstraktes und theoretisches Risiko nicht ausreichend.

59

60 61 62 63

Die ersten drei betrafen die Abstimmung vom 15. Mai 2011. Sie wurden alle vom Genfer Verwaltungsgericht (Chambre administrative de la Cour de Justice ­ CACJ) abgewiesen.

Einer dieser Entscheide wurde anschliessend nach einer Beschwerde durch den Beschwerdeführer vom Bundesgericht bestätigt. Die erste Beschwerde vom 12. Mai 2011 (ATA/303/2011 vom 17.05.2011 in der Sache A/1407/2011) richtete sich formell gegen das Abstimmungsmaterial. Die zweite Beschwerde vom 24. Mai 2011 (ATA/414/2011 vom 28.06.2011 in der Sache A/1527/2011; bestätigt durch den Entscheid des Bundesgerichts 1C_329/2011 vom 22.12.2011), die sich formell auf den Regierungsratsbeschluss vom 18. Mai 2011 zur Feststellung der Ergebnisse bezog, betraf in Wirklichkeit den Grundsatz und die Modalitäten der Stimmabgabe über das Internet, wobei der Beschwerdeführer Verstösse gegen das Abstimmungsverfahren geltend machte. Die dritte Beschwerde vom 2. August 2011 (ATA/536/2011 vom 30.08.2011 in der Sache A/2298/2011) bezog sich auf den Brief des Regierungsrats vom 27. Juli 2011, der auf die Schreiben des Beschwerdeführers antwortete und es ablehnte, die Ausübung des Rechts auf elektronische Stimmabgabe auszusetzen. Die beiden letzten Beschwerden vom 2. und 21. November 2011 betreffend die Abstimmung vom 27. November 2011 wurden von der CACJ abgewiesen (ATA/533/2012 vom 21. August 2012 in der Sache A/3506/2011). Das Bundesgericht hob diesen Entscheid auf und wies die Sache an die CACJ zurück (1C_477/2012 vom 27.03.2013).

Vgl. Art. 74 LEDP.

Vgl. Art. 181 LEDP.

BGer 1C_257/2009 vom 1. Oktober 2009, Erw. 3.

BGE 112 Ia 129 = JT 1988 I 109; Auer/Malinverni/Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Band I, 2. Auflage, 2006, S. 304 Nr. 886.

5104

Beispiel Genf64: Bei kantonalen und kommunalen Abstimmungen ist eine Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht wegen Verstössen gegen das Verfahren der Wahlgeschäfte unabhängig von einem Entscheid möglich65.

Bei Abstimmungen und Wahlen beträgt die Beschwerdefrist 6 Tage66. Die Frist läuft ab dem Tag nach der Bekanntgabe oder dem Ereignis, das sie auslöst67. Laut Rechtsprechung läuft die Frist von 6 Tagen ab dem Zeitpunkt, in dem die betroffene Person Kenntnis von dem Rechtsakt erhalten hat, den sie als Verletzung ihrer politischen Rechte betrachtet.68 Wenn die Prüfung der Beschwerde eine Nachzählung erfordert, erfolgt die Nachzählung der elektronischen Stimmzettel gemäss Artikel 74 LEDP69.

1.6

Politische Impulse

1.6.1

Impulse der Mitglieder des Bundesparlaments

Im Zeitraum von 2006 bis 2012 wurde eine Fülle von parlamentarischen Vorstössen zu Vote électronique eingereicht70. Die Forderungen in den insgesamt 16 Vorstössen umfassen das ganze Spektrum der denkbaren Möglichkeiten. So sind folgende Forderungen zu nennen: ­

rasche Ausdehnung der elektronischen Stimmabgabe;

­

Entwicklung des «E-Collecting» (dritte Projektetappe);

­

Verpflichtung der Kantone, bei den Wahlen 2015 Vote électronique anzubieten;

­

Verstärkung der Sicherheit und der Vorsichtsmassnahmen zur Fortsetzung der begrenzten Versuche;

­

Verankerung von Öffentlichkeitsgrundsätzen in der Verfassung;

­

Veröffentlichung der Quellcodes;

­

Einsatz von neuen Open-Source-Systemen.

Einige Forderungen stellen sogar die Legitimität und Verlässlichkeit der Stimmabgabe aus Distanz, d.h. briefliche und elektronische Stimmabgabe, generell in Frage.

Die meisten politischen Parteien haben keine einheitliche Stellung zu Vote électronique bezogen. Zwar wird allgemein anerkannt, dass die elektronische Stimmabgabe wesentlich zur Erleichterung der Stimmrechtsäusserung der Auslandschweizerinnen und -schweizern beitragen kann ­ praktisch alle Parteien haben das Angebot der elektronischen Stimmabgabe an die Auslandschweizerinnen und -schweizer anlässlich der Parlamentswahlen von 2011 nachdrücklich begrüsst ­, doch die Geister 64 65 66 67 68 69 70

Das Genfer Beispiel ist auch für andere Kantone repräsentativ.

Art. 180 LEDP.

Art. 62 Abs. 1 Bst. c de la loi du 12 septembre 1985 sur la procédure administrative (LPA; E 5 10).

Art. 17 Abs. 1 LPA.

ATA/180/2011 vom 17. März 2011, Erw. 3; ATA/454/2009 vom 15. September 2009, Erw. 1b.

Art. 181 LEDP.

Anhang 3: Überblick über die Vorstösse in der Bundesversammlung zu Vote électronique.

5105

scheiden sich an der Umsetzung. Vor allem der technische und persönliche Hintergrund scheint die Position gegenüber Vote électronique zu beeinflussen.

Die Vertreter der SP, die die meisten Interventionen zum Thema Vote électronique einreichten, plädieren mehrheitlich für eine Ausdehnung oder sogar rasche flächendeckende Einführung der elektronischen Stimmabgabe. Manche skeptische und kritische Stimmen dagegen wünschen neue Ansätze (z.B. Open Source) und warnen vor den höheren Betrugsrisiken, die mit der Stimmabgabe aus Distanz einhergehen.

Die FDP und die CVP scheinen von der Einführung von Vote électronique überzeugt, verlangen aber eine Koordination zwischen Bund und Kantonen in diesem Bereich, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden.

Ein SVP-Vorstoss warnt vor den Betrugsrisiken bei Stimmabgabe aus Distanz und stellt deren Legitimität und Verlässlichkeit in Frage. Die SVP International hingegen hatte im Rahmen der Nationalratswahlen 2011 für eine schnelle Einführung des neuen Stimmkanals plädiert.

Die Grünen vertreten in ihren Vorstössen eine gemeinsame Position, wonach beim Einsatz von Vote électronique die Risiken heute nicht genügend berücksichtigt würden; sie verlangen eine Verstärkung der Sicherheit.

Ausserhalb der Bundesversammlung ist die Piratenpartei zu erwähnen, die zu Vote électronique Stellung bezogen hat. Sie lehnt diesen Kanal zwar nicht grundsätzlich ab, kritisiert aber die heutigen Lösungen.

Die Jugendsession hat den neuen Kanal nachdrücklich befürwortet und in einer Petition an den Bundesrat eine rasche flächendeckende Einführung verlangt71.

1.6.2

Politische Impulse in den Kantonen

Auch in den Kantonen wurden verschiedene Vorstösse zum Thema Vote électronique eingereicht. In Anhang 3 des Berichts ist eine detaillierte Übersicht aller eingereichten Vorstösse zu finden.

Die Vorstösse reichen von der Forderung eines Verbots der elektronischen Stimmabgabe bis hin zur Beschleunigung von deren Einführung. Ein Vorstoss verlangte die Sistierung des Projektes auf kantonaler Ebene bis die neuen Anforderungen des Bundes klar definiert werden. Ein anderer Vorstoss verlangte weitere Abklärungen im Sicherheitsbereich, bevor die elektronische Stimmabgabe eingeführt wird. Die Frage der möglichen Abstimmung zwischen der Einführung der elektronischen Stimmabgabe und der elektronischen Identitätskarte sowie die Frage nach Kosten und Nutzen der elektronischen Stimmabgabe wurden ebenfalls aufgegriffen. Hinzu kommen Interpellationen zur Klärung der Weiterführung des Projektes auf kantonaler Ebene.

An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass die kantonalen Parteien z.T.

eine andere Linie als die nationalen Parteien vertreten. Ausserdem sind interkantonale Unterschiede feststellbar.

71

Siehe www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20102008.

5106

1.7

Akteure rund um die elektronische Stimmabgabe

1.7.1

Bundesinstanzen

Auftraggeber des Projekts ist wie gesehen der Bundesrat, der vom Parlament den Auftrag erhalten hat, Vote électronique schrittweise einzuführen. Der Bundesrat hat diese Aufgabe der Bundeskanzlei zugeteilt. Innerhalb der BK ist das Projekt in der Sektion Politische Rechte eingebettet. Ein vierköpfiges Projektteam ­ unter der Führung einer Projektleitung ­ ist für die operative und fachliche Leitung des Projektes zuständig. Die Bundeskanzlei zeichnet verantwortlich für das Bewilligungsverfahren im Rahmen von eidgenössischen Urnengängen und für die Koordination der kantonalen Projekte.

Auf Basis der von Bund und Kantonen gemeinsam erarbeiteten «Strategischen Planung Vote électronique» (kurz: Roadmap)72 wurde 2011 ein Steuerungsausschuss Vote électronique eingesetzt. Dieser evaluiert die bisherigen Ergebnisse des Projektes und konsolidiert die strategischen Vorschläge der Bundeskanzlei im Bereich des Projektes, bevor diese Bundesrat und Parlament vorgelegt werden. Der Steuerungsausschuss besteht aus vier Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und fünf Vertreterinnen und Vertretern der Kantone (Mitglieder der Staatsschreiberkonferenz). Die Leitung des Gremiums obliegt der Bundeskanzlerin.

Die Begleitgruppe Vote électronique setzt sich aus ausgewählten Vertreterinnen und Vertretern aus Bund und Kantonen zusammen. Sie berät die Projektleitung Vote électronique in operativen und fachlichen Fragen.

Die Arbeitsgruppe Vote électronique dient dem Informationsaustausch und der Definition von «Best Practices» zwischen der Bundeskanzlei, weiteren betroffenen Bundesstellen und den Kantonen. Die Arbeitsgruppe kann für ein bestimmtes Thema Unterarbeitsgruppen einsetzen.

Als Behörde, die das Ergebnis einer eidgenössischen Volksabstimmung verbindlich feststellt73, ist der Bundesrat befugt, die elektronische Abstimmung zu erlauben und sie ratio temporae, materiae, loci zu begrenzen. Der Bundesrat kann die Genehmigung bei Bedarf aufheben oder für mehrere aufeinanderfolgende Versuche erteilen74.

Die Bundeskanzlei erfüllt zwei Aufgaben: Erstens überwacht sie die Projekte und nimmt die Erklärungen der Kantone über die Konformität ihrer Systeme und Verfahren mit den bundesrechtlichen Auflagen entgegen (Supervision). Zweitens betreut sie das Projekt Vote électronique des Bundes und hat die Aufgabe, die Kantone bei der Einführung der elektronischen Stimmabgabe zu begleiten (Koordination).

Nachfolgend ein kurzer Überblick über die Aufgaben der Bundeskanzlei:

72 73 74

­

Sie erklärt die Anforderungen des Bundes und informiert darüber.

­

Sie nimmt die Gesuche der Kantone um Durchführung von Versuchen mit Vote électronique entgegen, beurteilt sie und gibt Empfehlungen an den Bundesrat ab.

Siehe www.bk.admin.ch > Themen > Politische Rechte > Vote électronique > Überblick und Ziffer 2.1.1.

Art. 15 Abs. 1 BPR.

Art. 8a Abs.1 und 1bis BPR sowie 27a Abs.1 und 27c Abs. 2 und 3 VPR.

5107

­

Sie führt das Ämterkonsultationsverfahren in der Bundesverwaltung durch, um die Entscheidung des Bundesrates zur Genehmigung der Versuche vorzubereiten.

­

Sie teilt den antragstellenden Kantonen die Entscheidung des Bundesrates zu einem oder mehreren Gesuchen mit und veröffentlicht sie im Bundesblatt und in der Presse.

­

Sie richtet eine Begleitgruppe75 für jedes System ein und leitet sie.

­

Sie wirkt im systematisch für den Problemfall eingerichteten Krisenstab pro System mit.

­

Sie nimmt die Ergebnisse der elektronischen Stimmabgabe sowie weitere statistische Daten entgegen.

­

Sie veröffentlicht am Tag des Urnengangs eine Mitteilung zu den Ergebnissen der elektronischen Stimmabgabe.

­

Sie leitet und moderiert den Steuerungsausschuss Vote électronique, die Arbeitsgruppe Vote électronique sowie die Begleitgruppe Vote électronique.

Bei der Entwicklung von Vote électronique sind weitere Bundesinstanzen interessiert, insbesondere: ­

das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten;

­

das Bundesamt für Justiz;

­

der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte;

­

das Informatiksteuerungsorgan des Bundes;

­

das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen.

Diese Instanzen sind teilweise auch in der Arbeitsgruppe Vote électronique vertreten und werden im Rahmen des Ämterkonsultationsverfahrens regelmässig über die Entwicklungen der elektronischen Stimmabgabe befragt. Das Bundesamt für Justiz und das Informatiksteuerungsorgan des Bundes sind zudem im Steuerungsausschuss Vote électronique vertreten.

1.7.2

Kantonale Instanzen

Für die politischen Rechte verantwortliche Instanzen Die Kantone sind für die Umsetzung der politischen Rechte zuständig: Sie organisieren die eidgenössischen Urnengänge und sind daher auch für die Einführung der elektronischen Stimmabgabe verantwortlich.

In allen Kantonen sind die mit Vote électronique beauftragten Behörden die kantonalen Verantwortlichen für die politischen Rechte. In den meisten Kantonen übernimmt die Staatskanzlei diese Aufgabe, bisweilen auch das Departement des Inneren (eines der Ämter) oder eine andere Stelle. Die Verantwortlichen für die politischen Rechte vergeben mehrere Aufgaben nach aussen, besonders im Bereich der neuen

75

Siehe Ziffer 4.4.2.

5108

Technologien. Der Betrieb der Systeme wird an andere kompetente kantonale Stellen oder private Partner übergeben.

Die kantonalen Verantwortlichen für die politischen Rechte nehmen im Zusammenhang mit Vote électronique besonders die folgenden Aufgaben wahr: ­

Gesuch um Genehmigung eines Versuchs an den Bundesrat;

­

Koordination, Planung, Vorbereitung und Durchführung des Urnengangs mit mit elektronischer Stimmabgabe, u.a. Drucken des Stimmmaterials;

­

vor der elektronischen Stimmabgabe Information der Stimmberechtigten und während der Öffnungszeit der elektronischen Urne Bereitstellung eines Helpdesk;

­

Einrichtung eines Krisenstabs und die hierfür notwendigen Vorbereitungsarbeiten entsprechend den Krisenvereinbarungen;

­

Kommunikation zum Ablauf der elektronischen Stimmabgabe für die eigene Wählerschaft.

Die Zentralisierung der Kompetenzen auf Kantonsebene ist optimal, um der Wählerschaft rasche und qualitativ hochwertige Dienstleistungen zu bieten.

Die Entwicklungsetappen von Vote électronique und der Aufbau der interkantonalen Zusammenarbeit boten Gelegenheit zur Optimierung und Formalisierung der Verfahren.

Exkurs: Um die bestmögliche Lenkung des Genfer Systems sicherzustellen, wurden im Kanton Genf drei Gruppen eingesetzt: Abstimmungsplenum: Das Abstimmungsplenum dient zur Vorbereitung der einzelnen Vorgänge und umfasst alle verantwortlichen Beteiligten des Dienstes, z.B. Abstimmungsdienst, Logistik, Kommunikation, Informatikinfrastruktur.

Operativer Ausschuss: Der operative Ausschuss kontrolliert die Umsetzung der festgelegten Orientierungen sowie die finanziellen Folgeabläufe.

Strategischer Ausschuss: Der strategische Ausschuss legt die Orientierungen und das Leitbild für die Zukunft des Informations-, Dokumentations- und Veröffentlichungsdiensts (système d'information des droits politiques, SIDP) gemäss den Anforderungen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden fest.

In Neuenburg ist die Staatskanzlei für den «Guichet Unique» und Vote électronique verantwortlich. Sie schlägt in Zusammenarbeit mit dem Informatikdienst der Kommission «Guichet Unique», welche die Vertreterinnen und Vertreter der Städte Neuenburg und La Chaux-de-Fonds vereint, Entwicklungsmöglichkeiten vor. Die Kommission entscheidet darüber.

Aufsichtsstellen auf Kantonsebene Heute gibt es in zwei Kantonen Organe mit Kontroll- und Aufsichtsbefugnissen bezüglich Vote électronique. In einem Kanton ist dieses Organ mit breiten Befugnissen ausgestattet und wird für eine Legislaturperiode ernannt (GE), im andern Kanton wird es für zwei Jahre ernannt (NE).

Im Kanton Genf werden die Zentrale Wahlkommission (ZWK) sowie ihre Arbeitsweise und Befugnisse betreffend die Kontrolle der Stimmkanäle ­ auch Vote électronique ­ im kantonalen Vollzugsgesetz über politische Rechte formell nieder-

5109

gelegt76. Hauptaufgaben sind die Kontrolle der Verfahren und der Dokumentation des Systems, die Verschlüsselung und Entschlüsselung der Urne, die Supervision der Verfahren sowie die Möglichkeit, Audits zu beantragen. Die Berichte der ZWK werden veröffentlicht77. Die ZWK, die aus Mitgliedern aller im Grossen Rat vertretenen Parteien und aus Expertinnen und Experten besteht, hat zur Kontrolle von Vote électronique eine technische Unterkommission eingesetzt. Die von Genf beherbergten Kantone können bei der Verschlüsselung und Entschlüsselung der elektronischen Urne ihre eigenen Vertreterinnen und Vertreter einsetzen. Dagegen haben sie die allgemeine Kontrolle von Vote électronique an die Genfer ZWK delegiert. Die Sitzungen, an denen die Genfer Wahlkommission teilnimmt, werden live im Internet übertragen und von den Partnern in den beherbergten Kantonen sowie der Bundeskanzlei verfolgt.

Im Kanton St. Gallen gibt es bei den National- und Kantonsratswahlen ein kantonales Wahlbüro. Für jede eidgenössische Abstimmung und Wahl gibt es zudem ein Stimmbüro für Stimmabgaben der Auslandschweizer, das sich aus mindestens fünf von der Regierung gewählten Mitgliedern zusammensetzt. Dabei stellt jede im Kantonsrat vertretene Fraktion ein Mitglied. Diese Personen beobachten auch die Prozesse rund um Vote électronique.

In mehreren Kantonen wird ein Stimmbüro für die Auslandschweizer Stimmberechtigten eingerichtet. Dieses überwacht den Ablauf, die Entschlüsselung und die Auswertung der elektronisch abgegebenen Stimmen78.

1.7.3

Stellen auf Gemeindeebene

Die kommunalen Stellen sind am auf Kantonsebene zentralisierten Vote électronique zwar nicht direkt beteiligt, spielen aber vor allem in den dezentralisierten Kantonen eine wichtige Rolle: Dort verwalten sie die Stimmregister, u.a. jene für Auslandschweizerinnen und -schweizer.

Die Interaktion mit den Gemeinden bildete im Übrigen ein Markenzeichen der drei von den Pilotkantonen entwickelten Systeme. Das «mandantenfähige» System des Kantons Zürich einerseits berücksichtigte die umfassenden Kompetenzen der Gemeinden in der Organisation von Urnengängen; das Genfer System andererseits basierte auf den Verfahren eines stark zentralisierten Kantons. Dazwischen ist das System des Kantons Neuenburg anzusiedeln, d.h. eines dezentralisierten Kantons mit weitgehender Harmonisierung und Interoperabilität. Die Systeme entwickelten sich anschliessend weiter. Im Zürcher System wurden die Kompetenzen z.T. auf Kantonsebene zentralisiert und das Genfer System wurde angepasst, um dezentrale Kantone aufnehmen zu können. Heute decken die drei Systeme beide Szenarien ab, also zentralisierter und dezentralisierter Kanton.

76 77 78

Art. 75A und 75B LEDP.

Siehe www.ge.ch/codof/doc/commission_electorale_centrale.pdf.

So z.B. im Kanton TG, vgl. § 30d der kantonalen Verordnung des Regierungsrates vom 25. August 2003 zum Gesetz über das Stimm- und Wahlrecht (RB 161.11).

5110

Gerade in den dezentralisierten Kantonen besitzen die Gemeinden auf dem Gebiet der politischen Rechte breite Befugnisse. Die Gemeinden erfüllen die folgenden Aufgaben: ­

Führung der Stimmregister (ausgehend von den ebenfalls kommunal geführten Einwohnerregistern);

­

Übermittlung der Daten aus den Registern an den Kanton (die virtuelle Zentralisierung ist unumgänglich, um Vote électronique anzubieten);

­

Layout der Stimmrechtsausweise;

­

Kommunikation mit den Stimmberechtigten;

­

teilweise Versand des Stimmmaterials;

­

Anweisungen an Mitglieder des Stimmbüros betreffend Kontrollen und Vermeidung von Doppelstimmen (besonders bei Stimmrechtsausweisen, die zur elektronischen Stimmabgabe berechtigen);

­

Konsolidierung der kommunalen Ergebnisse.

In den grossen dezentralisierten Kantonen oder bei «quasi-politischen» Urnengängen ­ z.B. Wahlen an Schulen oder in Kirchen, oder wenn der Wahlkreis mehrere Gemeinden umfasst ­ treten zwischen Gemeinde und Kanton angesiedelte Stellen auf den Plan.

Auch die Gemeinden und Städte werden in das Projekt einbezogen. Dies erfolgt in erster Linie durch die Kantone. Der Gemeinde- und der Städteverband haben jedoch die Möglichkeit, sich im Rahmen der Arbeitsgruppe Vote électronique auch auf Stufe Bund einzubringen.

Beispiel: Die Einführung von Vote électronique im Kanton Bern erfordert die enge Zusammenarbeit der Instanzen auf drei verschiedenen Ebenen: Gemeinden, Regierungsstatthalteramt (RSTA) und Staatskanzlei des Kantons. Die Rolle der dazwischenliegenden Stelle, dem RSTA, ist für andere ebenfalls dezentralisierte grosse Kantone repräsentativ.

Aufgrund der grossen Anzahl von Gemeinden im Kanton Bern sind die RSTA von grossem Nutzen bei der Kommunikation. Sie gewährleisten die Weitergabe von Informationen zwischen der Staatskanzlei und den Gemeinden und intervenieren bei den Gemeinden ­ deren Struktur und Personal sie meistens sehr gut kennen ­, wenn Aufgaben versäumt werden. Auch im Vorgang zur Einführung von Vote électronique verlief die Kommunikation hauptsächlich über die RSTA, die auch Anlaufstellen für die Gemeinden bei einfacheren Fragen waren. Während des regulären, operativen Betriebs von Vote électronique übernehmen die RSTA das Mahnen der Gemeinden, wenn diese ein fehlerhaftes oder kein Stimmregister eingereicht haben. Weiter informieren die RSTA bei Not- oder Ausfällen im Betrieb von Vote électronique die Gemeinden.

Sogar in den zentralisierten Kantonen sind die Gemeinden regelmässig involviert. In Genf z.B. wird die Gemeinderegierung von der Staatskanzlei befragt, wenn eine Gemeinde neu auf die Liste der zur Stimmabgabe via Internet zugelassenen Gemeinden gesetzt werden soll.

5111

1.7.4

Partnerkantone

Die interkantonale Zusammenarbeit im Bereich Vote électronique wird in verschiedenen Verträgen geregelt79. Der Betrieb und die Entwicklung der Systeme beruhen demnach auf gemeinsamen Beschlüssen der Partnerkantone. Die Bundeskanzlei beteiligt sich als Vertragspartei wie gesehen ebenfalls an der Beschlussfassung.

Die Übernahme des Quellcodes wird zwischen Zürich und den Partnerkantonen im Lizenzvertrag niedergelegt. Dieser regelt auch die Weiterentwicklung des Quellcodes des Zürcher Systems durch das Consortium. Der Consortiumsvertrag regelt die Zusammenarbeit der Partnerkantone untereinander sowie die Zusammenarbeit mit der Bundeskanzlei. Während Letztere eine koordinierende Rolle einnimmt, übernimmt der Kanton Aargau ­ mit Unterstützung der Kantone St. Gallen und Graubünden ­ die Geschäftsleitung.

Die Zusammenarbeit zwischen Genf und den Partnerkantonen wird hauptsächlich in den diesbezüglichen Beherbergungsverträgen geregelt; diese behandeln u. a. die Übermittlung des Stimmregisters und der Ergebnisse. Ausserdem trifft sich die sogenannte «User Group» mit Vertreterinnen und Vertretern aus allen Kantonen, die das Genfer System einsetzen, regelmässig zu Sitzungen.

Fragen zur Systementwicklung und zum etwaigen Krisenmanagement werden von den Projektleitungsgruppen, d.h. der «User Group» für die von Genf beherbergten Kantone und dem Consortium für die Kantone, die eine Kopie des Zürcher Systems übernommen haben, gemäss den in den jeweiligen Verträgen niedergelegten Regeln erörtert und beschlossen.

1.7.5

Weitere staatliche und private Partner

Insbesondere im Bereich der neuen Technologien werden bei der Erfüllung der Aufgaben staatliche oder private Partner beigezogen, die über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen.

Die Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen nimmt unterschiedliche Formen an.

Für die elektronische Stimmabgabe fallen die folgenden Aspekte besonders ins Gewicht: ­

Kontrolle der Softwareprogramme;

­

Kontrolle der Server;

­

Kontrolle der Vorgänge;

­

Supervision.

Es gibt kein einheitliches Modell für die Zusammenarbeit mit den privaten Partnern.

Da die Frage in der Bundesgesetzgebung nicht geregelt ist, wählten die Kantone die passendste Art der Zusammenarbeit frei aus und entschieden sich für die vertragliche Lösung80. Als Modell dienten die Zusammenarbeitsverhältnisse, die mit privaten Stellen für andere Aspekte der politischen Rechte bestehen (Systeme zur Verwaltung der Vorgänge [Abstimmung oder Wahl], Stimmenauszählungs-Software, Software für die Konsolidierung und Veröffentlichung der Ergebnisse usw.).

79 80

Siehe Ziffer 1.4.3.

Siehe Ziffer 1.4.3.

5112

Die Softwareentwicklung für Vote électronique wurde anfänglich durch von den Kantonen beauftragte Privatfirmen gewährleistet81. Die Wartung ist Aufgabe von Privatunternehmen. Eine Ausnahme bildet der Kanton Genf, der seit 2005 die gesamte Entwicklung und Wartung des Systems selbst übernimmt.

Für die Vorgangsverwaltung sind dagegen in den beiden Kantonen Neuenburg und Genf die kantonalen Informatikdienste zuständig82. Der Kanton Zürich (bis Ende 2011) und die Consortiumskantone übertragen die Vorgangsverwaltung an eine Privatfirma.

Die Server und die generelle Infrastruktur für Vote électronique befinden sich gänzlich in den Händen der Kantone (Zürich für das Consortium, Genf für die beherbergten Kantone).

Die Druckerei ist ein unumgänglicher Partner. Die meisten Kantone lassen das Stimmmaterial bei privaten Druckereien drucken. In Neuenburg sowie in einigen Consortiumskantonen wird diese Aufgabe von einer staatlichen Druckerei übernommen83. Die Druckerei spielt wegen der geheimen Codes für Vote électronique und angesichts der vielfältigen kantonalen Praktiken betreffend die Zertifizierung von Druckereien eine wesentliche Rolle. Deshalb hat die Bundeskanzlei in Zusammenarbeit mit den Kantonen einen Anforderungskatalog mit Kriterien an den Druck von Stimmrechtsausweisen für die elektronische Stimmabgabe erstellt. Darin werden die allgemeinen Auflagen der VPR in spezifisch auf die Druckereien anwendbaren Auflagen umgesetzt.

Die Verantwortung der andern beteiligten Stellen auf Kantonsebene wird in der kantonalen Regelung niedergelegt84.

1.8

Internationaler Rahmen

1.8.1

Internationale Organisationen und ihre Empfehlungen

Europarat Der Europarat hat das bisher einzige internationale Rechtsinstrument über die elektronische Stimmabgabe erarbeitet, nämlich die Empfehlung (2004) 1185 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten hinsichtlich der rechtlichen, operativen und technischen Standards für die elektronische Stimmabgabe86.

81 82 83 84

85 86

Siehe Ziffer 2.1.2.

Das «Centre des technologies et de l'information» (CTI) in GE und der «Service informatique de l'entité neuchâteloise» (SIEN) in NE.

Zum Beispiel vom Steueramt der Stadt Zürich, vom Verwaltungsrechenzentrum St. Gallen (VRSG).

Siehe z.B. Informatiksicherheitsverordnung vom 17. Dezember 1997 (170.8) in ZH, Loi du 28 septembre 2004 sur le Guichet sécurisé unique (150.40) in NE, Règlement du 22 décembre 2004 du centre des technologies de l'information (RCTI, B 4 22.03) und Règlement du 6 avril 2011 sur l'organisation de la gestion des systèmes d'information (ROGSI, B 4 23.03) in GE.

Siehe https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=778189 (englische Version).

Der Europarat hat weitere relevante Instrumente entwickelt: Empfehlung 2004(15) zu E-Governance sowie Empfehlung 2009(1) zu E-Democracy.

5113

Gemäss der Follow-up-Klausel muss die Umsetzung der Empfehlung (2004) 11 nach der Annahme regelmässig überprüft werden, um die künftigen Folgen in den Mitgliedstaaten abzuschätzen und gegebenenfalls über eine Aktualisierung zu entscheiden. Das Ministerkomitee trat zwischen 2006 und 2010 drei Mal zusammen, um die Entwicklungen im Bereich der elektronischen Stimmabgabe und die Anwendung der Empfehlung (2004) 11 des Ministerkomitees zu untersuchen.

Die Zertifizierung der Systeme zur elektronischen Stimmabgabe und die Transparenz der elektronischen Wahlen sollen Gegenstand von gründlichen Forschungen bilden. Das Sekretariat und eine Expertengruppe aus Vertretern der Länder haben zwei Leitlinien entwickelt: ­

Leitlinien über die Zertifizierung der Systeme zur elektronischen Stimmabgabe87;

­

Leitlinien über die Transparenz der elektronischen Wahlen88.

Die Leitlinien wurden im November 2010 an der dritten zwischenstaatlichen Follow-up-Tagung, die zweijährlich durchgeführt wird, in Strassburg verabschiedet.

An der vierten Follow-up-Tagung im Juli 2012 wurde beschlossen, die Empfehlung (2004) 11 mit Blick auf die seit ihrer Annahme gesammelten Erfahrungen zu aktualisieren.

Bei der Entwicklung von Vote électronique wurden neben der Regelung des Bundes und der Kantone auch die Empfehlungen des Europarats berücksichtigt. Laut der Kernaussage in der Empfehlung des Europarates muss die elektronische Stimmabgabe sämtliche Grundsätze demokratischer Wahlen erfüllen und ebenso verlässlich, sicher und transparent sein wie die konventionelle Stimmabgabe. Die Empfehlung hält das hohe Sicherheitsniveau, die Eigenschaft der elektronischen Stimmabgabe als zusätzliche Variante der Stimmrechtsausübung und die Technologieneutralität für besonders wichtig.

Die Schweiz teilt diese Grundideen vorbehaltlos. Die Empfehlung (2004) 11 sowie die Artikel 27a­27q VPR weisen im Übrigen viele gemeinsame oder sehr ähnliche Aspekte auf. Der Europarat und besonders die Europäische Kommission für Demokratie durch Recht (besser bekannt unter dem Namen «Venedig-Kommission»), das beratende Organ des Europarates zu Verfassungsfragen, messen der Erleichterung der Stimmrechtsausübung für im Ausland wohnhafte Stimmbürger grosse Bedeutung bei. Beide Gremien sprechen sich für eine vorsichtige und schrittweise Handhabung der elektronischen Stimmabgabe aus: In dieser Hinsicht wird der schweizerische Weg als gutes Beispiel betrachtet89.

87 88 89

Siehe www.bk.admin.ch > Themen > Politische Rechte > Vote électronique > International.

Siehe www.bk.admin.ch > Themen > Politische Rechte > Vote électronique > International.

Vgl. Report on the compatibility of remote voting and electronic with the standards of the Council of Europe, www.venice.coe.int/docs/2004/CDL-AD(2004)012-f.asp und Recommendation 2004 Council of Europe www.coe.int/t/dgap/democracy/activities/GGIS/Evoting/ Key_Documents/Rec(2004)11_Eng_Evoting_and_Expl_Memo_en.pdf.

5114

OSZE/BDIMR Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) gelten als die massgeblichen Organisationen im Bereich der Wahlbeobachtung und Wahlbeurteilung in den 56 Mitgliedstaaten. In den letzten Jahren wurden die OSZE und das BDIMR mehrmals eingeladen, die Anwendung der Internet-Stimmabgabe anlässlich von Wahlen zu beobachten und zu evaluieren. Beispiele sind die jüngsten Parlamentswahlen von März 2011 in Estland90, die Kommunalwahlen von September 2011 in Norwegen91 sowie die Parlamentswahlen von Oktober 2011 in der Schweiz92. Der Bericht über die Evaluation der französischen Parlamentswahlen von Juni 2012 und über den ersten Einsatz der Internet-Stimmabgabe für im Ausland lebende Franzosen erschien im September 201293.

Laut OSZE und BDIMR muss die elektronische Stimmabgabe in Übereinstimmung mit den grundlegenden Prinzipien der Organisation und mit den übrigen internationalen Normen für demokratische Wahlen funktionieren. Die elektronische Stimmabgabe muss in puncto Transparenz, Verantwortung und Vertrauen der Öffentlichkeit gleiche Garantien bieten wie konventionelle Methoden der Stimmabgabe94.

Gemäss den politischen Verpflichtungen, die sich aus dem sogenannten Kopenhagener Dokument von 199095 und aus der Europäischen Sicherheitscharta von Istanbul von 1999 ergeben, informiert der Bundesrat die OSZE und das BDIMR regelmässig über die Durchführung von eidgenössischen Wahlen und lädt sie zur Mitwirkung an der Wahlbeobachtung ein. Anlässlich der Parlamentswahlen von 2011 hatte die Organisation Gelegenheit, die Durchführung und den Ablauf der Internet-Stimmabgabe in den vier Kantonen, die ihren Auslandschweizerinnen und -schweizern diesen Stimmkanal zur Verfügung stellten96, unmittelbar zu beobachten. Ein Expertenteam hielt sich vom 10. bis zum 28. Oktober 2011 in der Schweiz auf. Der Experte des BDIMR für neue Technologien nahm im September 2011 zudem an mehreren Vorbereitungssitzungen betreffend die beiden fraglichen Systeme für Vote électronique (System des Consortiums und Genfer System) teil. Der am 30. Januar 2012 veröffentlichte Bericht97 zeigt, dass die Beobachtung der elektronischen Stimmabgabe während der Evaluationsmission von Oktober 2011 eine wichtige Rolle spielte: 13 der im Bericht formulierten 23 Empfehlungen betreffen direkt die elektronische Stimmabgabe98.

90 91 92 93 94 95 96 97 98

Siehe www.osce.org > Office for Democratic Institutions and Human Rights > Elections > Estonia.

Siehe www.osce.org > Office for Democratic Institutions and Human Rights > Elections > Norway.

Siehe www.osce.org > Office for Democratic Institutions and Human Rights > Elections > Switzerland.

Siehe www.osce.org > Office for Democratic Institutions and Human Rights > Elections > France.

Vgl. Election Observation Handbook: sixth edition, Kapitel 7.9, www.osce.org/odihr/elections/68439.

Siehe www.osce.org/odihr/elections/14304 SG, GR, AG (Kopie des Zürcher Systems) sowie BS in Zusammenarbeit mit dem Kanton GE.

Siehe www.osce.org/odihr/elections/87442.

Vgl. Anhang 4.

5115

In den jüngsten OSZE/BDIMR-Berichten über die elektronische Stimmabgabe in der Schweiz, in Norwegen, in Estland und in Frankreich zeichnen sich die folgenden Tendenzen ab: ­

Es wird empfohlen, dass die Rechtsgrundlagen alle Etappen der Stimmabgabe über Internet im Detail berücksichtigen sollen.

­

Die Zuständigkeit für die Zertifizierung der Systeme, die digitale Unterzeichnung der definitiven Software-Version und die Veröffentlichung eines Evaluationsberichts sollte an eine unabhängige öffentliche Instanz übertragen werden. Die Zertifizierungskriterien müssen schriftlich klar formuliert werden und sollen verifizierbar sein. Sie betreffen die Aspekte Sicherheit, Transparenz, Robustheit, Benutzerfreundlichkeit und Schutz des Stimmgeheimnisses.

­

Die für die Wahlorganisation verantwortlichen Instanzen sollten die eigenen diesbezüglichen Kompetenzen ausbauen, um die elektronische Stimmabgabe besser zu überwachen.

­

Die Testberichte zu den Systemen sollten im Internet veröffentlicht werden, um die Transparenz und die Überprüfung der Prozesse zu verbessern.

­

Zu prüfen wäre die Einführung der Verifizierbarkeit oder eines anderen verlässlichen Mechanismus, mit dem die Stimmberechtigten Manipulationen ihrer Stimmen durch Malware entdecken können.

1.8.2

Entwicklungen in andern Ländern und Organisationen

In vielen Ländern findet eine Diskussion zum Thema der elektronischen Stimmabgabe aus der Distanz statt. Diese ist in einigen Organisationen und im Privatsektor gang und gäbe, nicht jedoch bei nationalen Wahlen und Referenden. Die Länder, die Projekte zur elektronischen Stimmabgabe aus Distanz lanciert haben, schlagen dabei unterschiedliche Wege ein: ­

In einer Gruppe von Ländern ist die elektronische Stimmabgabe für politische Wahlen oder Referenden mit verbindlichen Ergebnissen zugelassen (Estland, Norwegen, Frankreich und Schweiz).

­

Einige Länder möchten die elektronische Stimmabgabe aus Distanz für nicht politische Wahlen oder Referenden testen (Deutschland, Österreich).

­

Andere Länder erlauben zwar Versuche anlässlich von politischen Wahlen und Referenden, aber die Ergebnisse sind für die Behörden nicht verbindlich (Dänemark, Spanien).

­

Einige Länder haben beschlossen, die Versuche mit Internet-Stimmabgabe auszusetzen (Vereinigtes Königreich, Niederlande).

Estland hat als einziges OSZE-Mitgliedsland die Internet-Stimmabgabe bei Parlamentswahlen eingesetzt. Nach der ersten Erfahrung anlässlich der Lokalwahlen von 2005 wurde die Internet-Stimmabgabe bei den Wahlen des Rigikogu (estländisches Parlament) vom März 2007 und vom März 2011 vom 6. bis zum 4. Tag vor dem Urnengang als zusätzlicher fakultativer Stimmkanal eingesetzt. Die Gegner der

5116

Internet-Stimmabgabe und besonders die Partei der russischen Minderheit (Center Party) kritisieren, dass das System nicht auf Russisch zur Verfügung steht.

Norwegen hat die elektronische Stimmabgabe anlässlich der Kommunalwahlen von September 2011 in elf Gemeinden eingeführt. Die Evaluation des Tests99 ist positiv und hat gezeigt, dass ein hohes Mass an Vertrauen in das Pilotprojekt besteht100. So haben 72,4 Prozent der Stimmenden, die ihre Stimme vorzeitig abgegeben haben, ihre Stimme übers Internet anstatt brieflich abgegeben. Die elektronische Stimmabgabe war am Tag der Abstimmung selber nicht möglich. Eines der Projektziele war die Erhöhung der Zugänglichkeit für alle Stimmberechtigten.

In Frankreich kam die Stimmabgabe per Internet bereits für die Wahl der Versammlung der Auslandfranzösinnen und -franzosen zum Tragen. 2011 hatten die im Ausland lebenden Französinnen und Franzosen erstmals die Möglichkeit, in einem der 11 Wahlkreise eigene Vertreterinnen und Vertreter zu wählen. Dieser erste Versuch bei politischen Wahlen verlief gemäss Angaben der zuständigen Departemente erfolgreich. Kritiker reichten allerdings diverse Beschwerden ein und wiesen auf angebliche Probleme des eingesetzten Systems hin. Es ist noch nicht klar, ob Frankreich weitere Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe durchführen wird.

Nach dem Scheitern des Projekts SERVE anfangs 2000 wird die Internet-Stimmabgabe in den Vereinigten Staaten vor dem Hintergrund der angestrebten Erleichterung der Stimmabgabe für Personen, die ihren Wohnsitz im Ausland haben, und v.a.

für Soldaten wieder aktuell101.

Das Urteil des deutschen Verfassungsgerichts vom 3. März 2009102, wonach bei der elektronischen Stimmabgabe (im vorliegenden Fall mittels eines Stimmgeräts) jede Bürgerin und jeder Bürger ohne besondere technische Kenntnisse in der Lage sein muss, nachzuprüfen, dass die Wahl ordnungsgemäss verlief, wurde ausführlich kommentiert; auch die Auswirkungen auf die Internet-Stimmabgabe (zumindest in Deutschland) wurden erörtert.

In Österreich galten die Wahlen der Leitungsgremien des Studentenrats103, die im Mai 2010 stattfanden, als entscheidender Test, der womöglich der Einführung des elektronischen Stimmkanals für Stimmberechtigte im Ausland die Bahn ebnen kann.

Der Einsatz der elektronischen Stimmabgabe stiess indessen vor
allem bei den Studentenverbänden auf heftigen Widerstand. Die Opposition führte schliesslich zu einer Beschwerde beim österreichischen Verfassungsgericht.104 Das Gericht gab den Gegnerinnen und Gegnern der elektronischen Stimmabgabe im Wesentlichen Recht und verlangte eine Anpassung der Verfassung, bevor weitere Versuche durchgeführt werden.

99

100 101 102 103 104

Siehe www.regjeringen.no/en/dep/krd/prosjekter/e-vote-2011-project/evaluations-of-thee-voting-trials/evaluation-of-the-e-voting-trials-in-201.html?id=684642. Vgl. auch Berichte IFES, Rechtliche Stellungnahme von Eivind Smith, Professor für Staatsrecht, Universität Oslo.

Siehe www.regjeringen.no/en/dep/krd/press/press-releases/2012/e-vote-projectevaluation-is-ready.html?id=685023.

Siehe www.eac.gov > Voting System Testing & Certification > Military and Overseas Voting Projects.

BVerfG, Urteil vom 3. März 2009 ­ 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 (www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/cs20090303_2bvc000307.html).

Österreichische Hochschülerschafts-Wahl.

VerfGH, Entscheidung vom 13. Dezember 2011 ­ V85/11 u.a., http://ftp.freenet.at/beh/vfgh_v85_11.pdf.

5117

Das Vereinigte Königreich hat auf lokaler Ebene mehrere Pilotexperimente mit der Stimmabgabe via Internet durchgeführt. Der bisher letzte Test fand anlässlich der Lokalwahlen vom Mai 2007 statt. Dabei äusserten sich die Wahlkommission und bestimmte Lobby-Gruppen, die die Einführung der elektronischen Stimmabgabe ablehnen, sehr kritisch zu diesem Stimmkanal. Die Versuche wurden in Erwartung einer breiteren Resonanz in der Öffentlichkeit und eines höheren Vertrauens gegenüber dem neuen Stimmkanal ausgesetzt.

In den Niederlanden erfasste die Polemik um die elektromagnetische Strahlung von Stimmgeräten anlässlich der Wahlen vom Mai 2007 letztlich auch die InternetStimmabgabe der im Ausland lebenden Stimmberechtigten, die seitdem ausgesetzt wurde. Die Niederlande vollzogen damit eine radikale Kehrtwende, denn 98 Prozent der niederländischen Gemeinden, die seit Jahrzehnten Stimmgeräte verwendeten, mussten plötzlich auf diesen Kanal verzichten und als einzige Alternative (wieder) Papierstimmzettel verwenden. Die Stimmabgabe über Internet wurde von im Ausland lebenden Stimmberechtigten in den Europaparlamentswahlen vom Juni 2004 sowie in den Parlamentswahlen vom November 2006 testweise genutzt; als Schlussfolgerung sollen umfassendere Garantien betreffend Transparenz und Verifizierbarkeit geboten werden. Die Regierung befürwortet die Internet-Stimmabgabe für diese Kategorie von Stimmberechtigten zwar weiterhin, aber in absehbarer Zukunft ist kein Versuch vorgesehen.

In der Europäischen Union ermöglicht die Europäische Bürgerinitiative105 einer Million Unionsbürgerinnen und -bürgern, an der Erarbeitung der europäischen Politik unmittelbar mitzuwirken, indem sie die Europäische Kommission ersuchen, einen Legislativvorschlag zu unterbreiten. Dabei handelt es sich weder um die Stimmabgabe via Internet noch um eine Initiative im schweizerischen Wortsinn, weil sie nur in einer Aufforderung an die Kommission mündet, einen Legislativvorschlag zu unterbreiten. Da aber die Unterschriftensammlung auf elektronischem Weg möglich ist, muss das System bestimmte Anforderungen an Sicherheit und Zertifizierung erfüllen. Die konkrete Umsetzung der «Zertifizierung» des OnlineUnterschriftensammlungssystems durch die zuständigen nationalen Behörden wird von den Beobachtern der elektronischen Stimmabgabe ebenfalls mit Interesse verfolgt. Dies ist für die Schweiz vor allem mit Blick auf die Einführung der dritten Projektphase, das «E-Collecting», interessant.

2

Ausweitung von Vote électronique 2006­2012

2.1

Strategien des Bundes und der Kantone

2.1.1

Strategie des Bundes

In der ersten Phase nach den Pilotversuchen (2008­2009) unterstützte die Bundeskanzlei die Kantone auf deren Antrag bei der gesetzgeberischen Arbeit zur kantonalen Umsetzung des neuen Artikels 5b BPRAS über die Zentralisierung bzw. Harmonisierung der Stimmregister für Auslandschweizerinnen und -schweizer. Zudem beriet die Bundeskanzlei die Kantone bei der konkreten Umsetzung der Zentralisie-

105

Siehe http://ec.europa.eu/citizens-initiative/public/welcome.

5118

rung bzw. Harmonisierung. In diesem Zusammenhang beteiligte sie sich auch an den innerhalb von eCH durchgeführten Standardisierungen106.

Seit 2008 berät die Bundeskanzlei die Kantone auf deren Ersuchen hin bei der Planung der Einführung von Vote électronique für die Auslandschweizer Stimmberechtigten. Sie ist an den Arbeiten und an den Verträgen über die Beherbergung und über die Übernahme des Quellcodes im Rahmen des Consortiums direkt beteiligt107.

Damit bildet die Bundeskanzlei ein Koordinationsgremium.

Im April 2011 nahm die Staatsschreiberkonferenz die «Roadmap Vote électronique» zur Kenntnis. Das von der Bundeskanzlei verfasste Dokument beschreibt die Strategie zur Entwicklung von Vote électronique, die das Parlament im März 2007 beschlossen hat. Die Etappen und der Zeitplan für die Ausweitung von Vote électronique bilden einen Bestandteil des Dokuments, das als Referenzinstrument für die Zielfestlegung und die gemeinsamen Meilensteine zur Förderung der optimalen Koordination zwischen Kantonen und Bund konzipiert ist.

Die Roadmap bezeichnet fünf für die Einführung und Ausweitung der elektronischen Stimmabgabe wesentliche Bereiche: ­

gemeinsame Strategie Bund/Kantone;

­

Sicherheit;

­

Ausbau;

­

Transparenz;

­

Kosten.

In jedem Bereich werden Massnahmen genannt, um die elektronische Stimmabgabe zu fördern und den Kantonen die notwendige Planbarkeit für die künftigen Schritte zu gewähren. Die Kantone definierten auch ihre eigenen diesbezüglichen Strategien.

Die Einführung der elektronischen Stimmabgabe ist auch Teil der Strategie Informationsgesellschaft Schweiz108. Im zweiten Handlungsfeld wird unter dem Titel «E-Demokratie und E-Government» das Ziel aufgestellt, die Ausübung der politischen Rechte auf elektronischem Weg zu ermöglichen. Vote électronique wird als einer der Handlungsschwerpunkte des Bundes genannt.

2.1.2

Kantonale Strategien

Mehrere Gründe veranlassten die Kantone, Vote électronique einzuführen.

Der am häufigsten genannte Grund ist die Stellungnahme des Bundes zur Notwendigkeit der Einführung von Vote électronique für die Auslandschweizerinnen und -schweizer. Daneben sind interne politische Impulse (Interventionen in den Kantonsparlamenten) und die Entwicklung der Online-Kantonsverwaltung zu nennen.

In Zürich fand nach der ersten Systemaufbauphase (2001­2004) eine auf drei Pilotgemeinden begrenzte Testphase statt. Anschliessend wurde die elektronische Stimmabgabe auf 13 Gemeinden sowie auf einen Teil der Auslandschweizerinnen 106 107 108

Siehe Ziffer 1.4.5.

Zur interkantonalen Zusammenarbeit siehe Ziffer 1.4.3.

Siehe www.bakom.admin.ch > Themen > Informationsgesellschaft > Strategie des Bundesrates.

5119

und -schweizer ausgeweitet109 (2008­2011). Ende 2011 wurde sie in Erwartung einer weitergehenden Harmonisierung der von den Gemeinden geführten Register sowie der Bundesbeschlüsse zur Erweiterung des zugelassenen Elektorats ausgesetzt110.

In Neuenburg gibt die Entwicklung des Online-Portals «Guichet Unique» den Takt vor: Vote électronique bildet nur eine von vielen Leistungen, von denen die beim «Guichet Unique» registrierten Stimmberechtigten online profitieren können. Im Juni 2007 wurden 3800 eingetragene Stimmberechtigte gezählt; heute verzeichnet der «Guichet Unique» 21 200 Nutzerinnen und Nutzer mit eidgenössischem, kantonalem und kommunalem Stimmrecht. Die Anzahl Leistungen ist von 40 auf 200 angestiegen. 2010 wurde eine Informations- und Werbekampagne zum «Guichet Unique» durchgeführt. Neuenburg machte als erster Kanton seinen Auslandschweizerinnen und -schweizern die elektronische Stimmabgabe zugänglich (ab Juni 2008).

Diese verfügen zudem auf Kantons- und Gemeindeebene über politische Rechte. Die Auslandschweizer Stimmberechtigten müssen sich ebenfalls beim «Guichet Unique» einschreiben. Das Verfahren ist überall gleich und kann auch bei einer schweizerischen Vertretung im Ausland abgewickelt werden. 217 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sind beim «Guichet Unique» registriert, d.h. 5,4 Prozent der 4012 bei den Neuenburger Gemeinden gemeldeten Auslandschweizer Stimmberechtigten.

Die SuisseID, die digitale Identitätskarte, wird 2013 eingeführt. Der erste Einsatz von Vote électronique anlässlich kantonaler Wahlen ist für Frühling 2013 geplant.

Das Genfer Projekt zur Stimmabgabe via Internet ist Teil der Reflexionen über die Online-Verwaltung. In Genf wird Vote électronique befürwortet; diese Einstellung beruht auf der Tatsache, dass der Kanton bereits über ein zentralisiertes Stimmregister verfügte, und auf der gelungenen Erfahrung mit der brieflichen Stimmabgabe.

Genf hatte 1995 als einer der ersten Kantone die briefliche Stimmabgabe allgemein eingeführt. Der Anteil der brieflich abgegebenen Stimmen nahm von 65 Prozent im Jahr 1995 auf 95 Prozent im Jahr 2001 zu. Diese Zahl ist gemessen an der Stimmabgabe aus Distanz insgesamt (brieflich und elektronisch) stabil geblieben. Die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung hat zudem nach der Einführung der brieflichen Stimmabgabe
von 30 Prozent im Jahr 1995 um 20 Prozentpunkte auf heute 50 % zugenommen. Die Differenz zwischen der durchschnittlichen Abstimmungsbeteiligung in Genf und dem Durchschnitt aller Kantone trägt heute umgekehrte Vorzeichen: Von durchschnittlich ­4 Prozent in den 90er-Jahren stieg sie auf durchschnittlich +4 Prozent in den 2000er-Jahren an.

Das System für Vote électronique ging allmählich von einer privaten Lösung gänzlich in die Hand des Staates über, der die Rechte am geistigen Eigentum (wie auch in Neuenburg und Zürich) und die Kontrolle innehat. Für die Entwicklung, den Betrieb und die Wartung ist das kantonale Technologiezentrum (CTI) zuständig. Zur Prüfung der Systemsicherheit werden regelmässig externe Kooperationen durchgeführt.

Nach der Durchführung der Nationalratswahlen mit Vote électronique für die Auslandschweizerinnen und -schweizer von Basel-Stadt (2011) wurde das System im November 2012 erstmals für kantonale Wahlen in Genf genutzt. Gemäss den Limi109

Besonders relevant für das Projekt sind die Beschlüsse des Regierungsrats vom 27. August 2003 «Pilotprojekt E-Voting im Kanton ZH (Vergabeentscheid und Zusatzkredit)» und vom 28. November 2007 «E-Voting (Ausbau 2008­2011)».

110 Beschluss des Regierungsrats vom 16. November 2011, RRB 1391 2011.

5120

ten des Bundes haben maximal 70 000 ansässige Stimmberechtigte Zugang zu Vote électronique. Diese Limite wird in Genf so angewandt, dass 17 Gemeinden, deren Stimmberechtigte zusammengenommen die Maximalgrenze erreichen, ausgewählt werden. Seit Mai 2011 erhielten alle Genfer Stimmberechtigten bei vier rein kantonalen Urnengängen Zugang zur elektronischen Stimmabgabe. Der Kanton plädiert für eine rasche Ausweitung von Vote électronique auf sämtliche Stimmberechtigte.

Einen Eindruck von den kantonalen Strategien zu Vote électronique vermittelt die Debatte im Berner Grossrat Ende März 2009111. Der Kanton soll die erforderlichen Massnahmen ergreifen, damit die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer des Kantons ihre Stimme elektronisch abgeben können. Langfristig soll die elektronische Stimmabgabe allen Stimmberechtigten zugänglich sein. Aufgrund von Kostenvorteilen spricht sich der Grosse Rat für eine Zusammenarbeit mit anderen Kantonen aus. Sicherheitsaspekte geniessen im Weiteren eine hohe Priorität. Die mit den Auslandschweizer Stimmberechtigten gesammelten Erfahrungen sollen mit Blick auf die Ausweitung der elektronischen Stimmabgabe auf alle Stimmberechtigten berücksichtigt werden. Es ist zudem geplant, dass die Regierung die Möglichkeit der elektronischen Unterzeichnung von Initiativen und Referenden prüft.

Die sieben Consortiumskantone, die eine Kopie des Zürcher Systems übernommen haben, nutzen die Besonderheit dieses Systems, nämlich die «Mandantenfähigkeit», um es an ihre spezifischen kantonalen Bedürfnisse angepasst zu verwenden. Die Kantone mit zentralisierten Registern für Auslandschweizer Stimmberechtigte (St. Gallen, Aargau, Thurgau) sowie diejenigen, in denen die Gemeinden die Register führen (Fribourg, Solothurn, Schaffhausen, Graubünden), setzten das System nicht nur bei eidgenössischen Abstimmungen, sondern entsprechend ihren Bedürfnissen und Politiken zur Förderung von Vote électronique auch bei kantonalen112 und eidgenössischen Wahlen113 ein.

In den zehn Kantonen ohne eigenes System für Vote électronique besteht die nächste Etappe in der Ausweitung der elektronischen Stimmabgabe auf ansässige Stimmberechtigte sowie im Einsatz von Vote électronique bei den Nationalratswahlen 2015. Der Kanton Basel-Stadt hat Stimmberechtigte mit einer Behinderung und insbesondere diejenigen mit einer Sehbehinderung als Zielpublikum für die nächste Etappe identifiziert114.

2.2

Priorität für die Auslandschweizerinnen und -schweizer

Im November 2011 lag die Anzahl der im Ausland immatrikulierten Schweizerinnen und Schweizer erstmals über 700 000. Rund 10 Prozent der schweizerischen Staatsangehörigen leben im Ausland. Gemäss der Auslandschweizerstatistik von 2011 lebt der weitaus grösste Teil (61,85 % oder 435 203 Personen) in Europa, davon 96,67 Prozent (420 653 Personen) in Ländern der Europäischen Union.

111

Siehe www.gr.be.ch > Sessionen & Tagblätter > Tagblattarchiv 2000 - 2009 > Tagblätter 2009.

112 Dies war in GR und FR im Jahr 2012 je einmal der Fall.

113 Siehe Ziffer 2.4.2.

114 Beschluss des Regierungsrates vom 14. Februar 2011.

5121

Auslandschweizerinnen und -schweizer, die ihre politischen Rechte weiter ausüben wollen, müssen sich zuvor registrieren115. Als Stimmgemeinde können sie eine ihrer Heimat- oder früheren Wohnsitzgemeinden in der Schweiz wählen116. Die Anzahl der für die Ausübung der politischen Rechte registrierten Auslandschweizerinnen und -schweizer hat von 116 452 im Jahr 2009 auf 129 644 im Jahr 2012 zugenommen117.

Die registrierten Auslandschweizer Stimmberechtigten können seit 1992 bei eidgenössischen Urnengängen brieflich abstimmen.

Alle für die Ausübung ihrer politischen Rechte angemeldeten Auslandschweizerinnen und -schweizer verfügen auf Bundesebene über das aktive und passive Wahlrecht. Einige Kantone gewähren ihnen das aktive und passive Wahlrecht auch auf Kantonsebene118. Die Kantone Neuenburg und Basel-Landschaft räumen den Auslandschweizer Stimmberechtigten und den ansässigen Stimmberechtigten dieselben Rechte sogar auf Gemeindeebene ein. Im Kanton Graubünden fällt die Gewährung des Stimmrechts für Auslandschweizerinnen und -schweizer in die Zuständigkeit der Gemeinden. Im Kanton Tessin verfügen die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer über das Stimmrecht auf allen Ebenen, doch kann dieses auf Gemeindeebene nicht brieflich ausübt werden.

Da die Auslandschweizerinnen und -schweizer über keine spezifisch für sie vorbehaltenen Sitze in den Parlamenten verfügen, sind Wahlen dieser Gemeinschaft mit Schwierigkeiten verbunden. Dies erklärt, warum bislang trotz diesbezüglicher Anstrengungen der Parteien kein Auslandschweizer und keine Auslandschweizerin in das Bundesparlament gewählt wurde.

Die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe besteht für die Auslandschweizerinnen und -schweizer seit 2002119. Im zweiten Bericht über die Pilotprojekte zum Vote électronique vom 31. Mai 2006120 bezeichnet der Bundesrat, unterstützt vom Parlament, die Auslandschweizerinnen und -schweizer als prioritäre Gruppe, der die Einführung von Vote électronique deutliche Vorteile bringen würde. De facto sind die Auslandschweizer Stimmberechtigten trotz der erweiterten Rechte und trotz der Liberalisierung der brieflichen Stimmabgabe wegen der verspäteten Postzustellung im Ausland regelmässig nicht in der Lage, ihre Stimme abzugeben. Die ASO hat die Einführung von Vote électronique auf ihre Prioritätenliste gesetzt und
plädiert bereits seit Beginn für die Ausweitung des Bundesprojekts. Das jüngste Beispiel bildet eine von etwa 15 000 Personen hauptsächlich im Ausland (nicht nur von Auslandschweizerinnen und -schweizern) unterzeichnete Petition. Im Evaluationsbericht zu den Parlamentswahlen von 2007 empfehlen OSZE und BDIMR dem Bund, die Einführung der elektronischen Stimmabgabe zu erwägen, um die Stimmrechtsausübung durch Auslandschweizer Stimmberechtigte zu erleichtern121.

115 116 117 118

Art. 5a BPRAS.

Art. 5 BRPAS.

Stand: Volksabstimmung vom 25. November 2012.

Im Kanton Zürich beschränkt sich das Recht auf die Wahl des Ständerates; für andere kantonale Urnengänge wird es nicht gewährt.

119 Art. 1 BPRAS.

120 BBl 2006 5459 121 Vgl. www.osce.org/odihr/elections/switzerland/federal_2007.

5122

Mit der Zentralisierung bzw. Harmonisierung der Stimmregister wird die Einführung von Vote électronique in allen Kantonen möglich. Die Pilotkantone, die Vote électronique in den frühen 2000er-Jahren zunächst zur Prüfung der Machbarkeit einführten, hatten das System zuerst mit ihren ansässigen Stimmberechtigten getestet. Die (bisher zehn) Kantone, die seit 2009 dazu gestossen sind, führten die elektronische Stimmabgabe zuerst für die Auslandschweizerinnen und -schweizer ein.

Auch bei den Nationalratswahlen vom 23. Oktober 2011 genossen die Auslandschweizer Stimmberechtigten aus vier Kantonen eine priorisierte Behandlung: Sie hatten erstmals die Gelegenheit, über das Internet zu wählen122. Ziel ist, dass anlässlich der Parlamentswahlen von 2015 eine deutliche Mehrheit dieser Zielgruppe den neuen Kanal nutzen kann. Daneben wurden weitere Massnahmen zur Erleichterung der brieflichen Stimmabgabe ergriffen123.

Exkurs: Mit der wachsenden Mobilität der Bevölkerung wird die Forderung der Auslandschweizerinnen und -schweizer nach aktiver Teilnahme am politischen Leben des Landes immer lauter.

Auf Bundesebene wurde allerdings erfolglos versucht, Auslandschweizerinnen und -schweizern einen (virtuellen) eigenen Wahlkreis zuzuordnen, um ihnen eine Vertretung in der Bundesversammlung zu garantieren. Das jüngste Beispiel stammt aus dem Jahr 2008124. Der Entwurf eines neuen Auslandschweizergesetzes, der gegenwärtig aufgrund einer parlamentarischen Initiative125 ausgearbeitet wird, sieht ebenfalls keinen solchen eigenen Wahlkreis vor.

Auf Kantonsebene verzeichneten Versuche zur Ausweitung der kommunalen politischen Rechte auf die Auslandschweizer Stimmberechtigten in den Kantonen, die den Gemeinden diese Möglichkeit bieten, geringe Erfolge. Einige Gemeinden, zum Beispiel im Kanton Neuenburg, gewähren den Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern mittlerweile das Gemeindestimmrecht. Die Berner Gemeinden haben sich vor kurzem dagegen entschieden. Die Lobbying-Arbeit der Auslandschweizerinnen und -schweizer konzentriert sich hauptsächlich auf die Gewährung des Wahlrechts für den Ständerat (kantonale Wahl).

2.3

Systemwahl

Die Wahl des Systems verlief in den Pilotkantonen anders als in den Kantonen, die ab 2009 mit Versuchen mit einem der bestehenden Systeme begannen.

So führte jeder der drei Pilotkantone ab Anfang der 2000er-Jahre ein eigenes System für Vote électronique ein. Das System wurde ganz oder teilweise von privaten Partnern entwickelt. Die Verfahren für die Auswahl der privaten Partner stimmen mit den kantonalen Regelungen über das öffentliche Beschaffungswesen überein.

Als Kriterium galt u.a. die Befolgung der in den Bundes- und Kantonsgesetzen vorgesehenen Auflagen. In Zürich erhielt 2003 ein Privatunternehmen im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung den Zuschlag für die Realisierung des Systems für 122 123

Siehe Ziffer 2.4.2.

Siehe z.B. Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen zuhanden der Einwohnergemeinden vom 20. August 2008 über die Gewährleistung des Stimmrechts für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer (BBl 2008 7493).

124 Siehe www.parlament.ch/d/mm/2008/Seiten/mm-spk-n-2008-02-22.aspx.

125 Parlamentarische Initiative Lombardi «Für ein Auslandschweizergesetz» (11.446) vom 15. Juni 2011.

5123

Vote électronique. Verlangt wurde die Entwicklung der Stimmabgabe per Internet und per SMS. 2007 übergab die Kantonsregierung im Beschluss zur Entwicklung von Vote électronique für den Zeitraum 2008­2011126 den Systembetrieb erneut derselben Firma. In Genf wurde nach einer Ausschreibung ebenfalls eine Privatfirma mit der anfänglichen Realisierung der Internet-Stimmabgabe beauftragt. Das Pflichtenheft vom 20. November 2000 legt die Systemarchitektur genau fest und beschreibt die gesetzlichen Auflagen für Urnengänge nach Schweizer und Genfer Recht. Seit 2005 befindet sich das System einschliesslich der Entwicklung und Wartung gänzlich in der Hand des Staates. In Neuenburg wurde die Realisierung einiger Module der Internet-Stimmabgabe infolge einer Ausschreibung an zwei private Firmen vergeben. Der Bund bestritt bis 2005 maximal 80 Prozent der Systementwicklungskosten.

Die Kantone ohne eigenes System kamen in den Genuss der Klauseln der zwischen dem Bund und den Pilotkantonen unterzeichneten Verträge über die Systemfinanzierung: Danach müssen die Ergebnisse der zu einem grossen Teil aus Bundesmitteln finanzierten Pilotprojekte dem Bund und interessierten Kantonen unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Die Umsetzung dieser Anforderung führte zur Beherbergung oder zur Übernahme des Quellcodes ausgehend vom Genfer bzw. vom Zürcher System. In Neuenburg bestehen ähnliche Zusammenarbeitslösungen. Dass es sich jedoch nicht um ein unabhängiges System für Vote électronique, sondern um eines von mehreren Leistungsangeboten des kantonalen «Guichet Unique» handelt, hat die übrigen Kantone letztlich davon abgehalten, sich Neuenburg anzuschliessen.

Anfänglich wurde die Wahl des «beherbergenden» Systems auch durch die Organisation der politischen Rechte in den Kantonen beeinflusst. Die Kantone mit zentralisierten Auslandschweizer-Stimmregistern tendierten zu einer Annäherung an Genf, diejenigen mit dezentraler Registerführung an Zürich. Die Systeme wurden allmählich weiterentwickelt und decken heute beide Szenarien ab. So beherbergt das Genfer System auch stark dezentralisierte Kantone wie Bern und das System des Consortiums umfasst auch Kantone mit einer zentralisierten Führung des Auslandschweizer-Stimmregisters wie St. Gallen oder Aargau.

Daneben wirkten sich andere Kriterien auf die Systemauswahl aus: ­

Erfahrungen mit den Systemen für Vote électronique;

­

funktionierende und bewährte Systeme;

­

Pilotkantone als Eigentümer der Systeme, die diese auch kontrollieren;

­

Kostenvorteile gegenüber Kauf oder Entwicklung eines neuen Systems;

­

geographische Nähe und Kontext (z.B. gemeinsame Nutzung anderer Systeme im Zusammenhang mit Vote électronique und politischen Rechten).

2.4

Einsatz von Vote électronique

Seit 2000 wurden auf Bundesebene mehr als 100 Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe durchgeführt. Die Versuche verliefen positiv und haben die Anforderungen des Bundes erfüllt. Nachfolgend werden zuerst die Versuche bei eidgenössi-

126

RRB 1770/2007 vom 28. November 2007, E-Voting Ausbau 2008­2011.

5124

schen Abstimmungen (1. Projektphase), anschliessend jene bei eidgenössischen Wahlen (2. Projektphase) evaluiert.

2.4.1

Eidgenössische Abstimmungen

Zürich In der Ausbauphase 2008­2011 ist die Zahl der zur elektronischen Stimmabgabe zugelassenen Stimmberechtigten im Kanton Zürich127 von 18 000 auf rund 100 000 angestiegen, was 12,5 Prozent aller Stimmberechtigten entspricht. Bei den Stimmberechtigten im Inland sind dies 11,4 Prozent der rund 820 000 Stimmberechtigten, bei den Auslandschweizerinnen und -schweizern fast 60 Prozent der etwas mehr als 18 000 Stimmberechtigten. Um gute Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Auslandschweizerinnen und -schweizer zu erreichen, wurden in Zürich die Stadtkreise 1 und 2 und in Winterthur der Stadtkreis Altstadt einbezogen. Die Auswahl der weiteren Gemeinden hat in Absprache mit der Interessensgemeinschaft EDV (IG-EDV) und mit dem Verein Zürcher Gemeindeschreiber und Verwaltungsfachleute (VZGV) sowie dem Verband der Gemeindepräsidenten des Kantons Zürich (GPV) stattgefunden. Kriterien wie verschiedene Softwareanbieter, die regionale Verteilung und die Gemeindegrösse wie auch der Einbezug von Gemeinden aus möglichst allen Bezirken des Kantons wurden berücksichtigt.

Neuenburg In Neuenburg ist die elektronische Stimmabgabe nicht für einzelne Gemeinden, sondern für alle beim «Guichet Unique» registrierten Stimmberechtigten möglich.

Der Ausbau des «Guichet Unique»-Angebots und die vom Staatsrat durchgeführten Sensibilisierungskampagnen wirkten sich auf die Entwicklung des registrierten Stimmvolks aus. Die Auslandschweizerinnen und -schweizer können sich seit 2008 beim «Guichet Unique» anmelden. Besonders attraktiv ist für sie die Leistung Vote électronique. Heute sind 288 Personen angemeldet. Die schweizerischen Auslandsvertretungen wurden vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten geschult und können nun «Guichet Unique»-Verträge abschliessen. Allerdings wird diese Leistung nur von Botschaften angeboten. Seit 2005 wird die elektronische Stimmabgabe bei allen eidgenössischen Abstimmungen systematisch bereitgestellt. Die Zahl der Stimmberechtigten mit Zugang zur elektronischen Stimmabgabe ist von rund 6000 im Jahr 2006 auf über 20 000 im Juni 2012 angestiegen. Im Jahr 2012 wurde eine einfache Majorzwahl (Ersatzwahlen) mit elektronischer Stimmabgabe organisiert. Registrierte niedergelassene Ausländerinnen und Ausländer nutzen die elektronische Stimmabgabe anlässlich von Urnengängen
des Kantons und der Gemeinden.

Genf Der Kanton Genf hat bereits seit den eidgenössischen Abstimmungen von 2004 einen Anteil von 20 Prozent des Elektorats erreicht. Für die eidgenössischen Urnengänge konnte der Anteil der Stimmberechtigten mit Zugang zur elektronischen Stimmabgabe vor Juni 2012, als die Limite auf 30 Prozent der kantonalen Elektorate erhöht wurde, deshalb nicht mehr weiter ansteigen. Hingegen stand dem gesamten 127

RRB 2811 2007

5125

Stimmvolk die elektronische Stimmabgabe bei kantonalen Urnengängen offen, die nach der Verankerung von Vote électronique in der Kantonsverfassung im Februar 2009 durchgeführt wurden. Seither können alle Stimmberechtigten an kantonalen und kommunalen Abstimmungen elektronisch teilnehmen. Das System kam auch bei der Wahl des Rates der Fachhochschule Westschweiz (HES SO) 2006, bei der Wahl der Vertreterinnen und Vertreter des Personals der Gemeindebibliotheken 2011 und bei der Wahl des Universitätsrates ebenfalls 2011 zum Einsatz. Da im Kanton Genf auch die Ausländerinnen und Ausländer über das kommunale Stimmrecht verfügen, konnten auch sie jeweils über Vote électronique teilnehmen, wenn dieser bei einem kommunalen Urnengang zum Zuge kam.

Kantone ohne eigenes System In den zehn Kantonen ohne eigenes System wird Vote électronique bei eidgenössischen Abstimmungen seit 2009 von Basel-Stadt und seit 2010 von den übrigen Kantonen eingesetzt, allerdings bislang nur für die Auslandschweizer Stimmberechtigten.

Zwischenfälle beim Einsatz von Vote électronique bei Abstimmungen In der bald zehnjährigen Geschichte von Vote électronique haben sich nur wenige Zwischenfälle bzw. Probleme ergeben. Folgende Beispiele sollen zeigen, wo es Schwierigkeiten gab:

128

­

Am 11. März 2012 ereignete sich ein Zwischenfall auf dem Genfer System128. Eine stimmberechtigte Person aus dem Kanton Luzern konnte unbeabsichtigt ihre Stimme zweimal abgeben. Dies wurde vom Genfer Monitoringsystem sofort erkannt und professionell behoben. Dieser Zwischenfall stellte das reibungslose Funktionieren der Überwachung von System und Verfahren im Krisenfall einschliesslich der Kommunikation in einer Echtsituation unter Beweis. Das Genfer Team, das für den Betrieb von Vote électronique zuständig ist, konnte belegen, dass es sich um ein ausserordentliches Problem handelte, und zeigte die technischen Ursachen sowie die besonderen Umstände auf, unter denen es aufgetreten war. Das Problem konnte unter Wahrung des Stimmgeheimnisses behoben werden und Korrekturmassnahmen wurden ergriffen. Die Korrektheit des Ergebnisses war zu keiner Zeit in Gefahr.

­

Anlässlich der Volksabstimmung vom 23. September 2012 haben die Kantone Solothurn und Graubünden, die mit einer Kopie des Zürcher Systems für Vote électronique arbeiten, die Bundeskanzlei über ein technisches Problem informiert, von dem in den zwei Kantonen je eine Gemeinde betroffen war. Dabei wurden die Zugriffsdaten von 16 bzw. 2 Auslandschweizer Stimmberechtigten vor Öffnung der elektronischen Urne nicht in die Stimmrechtsdatenbank übernommen. Dies hatte zur Folge, dass diese insgesamt 18 Personen nicht elektronisch abstimmen konnten. Weitere Gemeinden oder Stimmberechtigte waren nicht betroffen. Die Ursache des technischen Fehlers wurde identifiziert und im Hinblick auf die nachfolgende eidgenössische Abstimmung am 25. November 2012 bereits behoben.

Siehe www.ge.ch/evoting/scrutin_20120311.asp.

5126

­

Im Kanton Zürich gab es bei wenigen Urnengängen Probleme mit dem Druck der Stimmrechtsausweise für die elektronische Stimmabgabe (Schwierigkeiten mit dem Hydalam-Feld, das den PIN-Code abdeckt). In der Folge konnten einige Stimmberechtigte ihre Stimme nicht elektronisch abgeben, da sie den entsprechenden Code nicht lesen konnten. Die persönliche oder briefliche Stimmabgabe blieb selbstverständlich möglich.

­

Es kam bereits vor, dass Vorlagen oder Kandidaten nicht richtig oder nicht vollständig im System erfasst wurden, weshalb trotz Vorliegen einer entsprechenden Bewilligung auf die Durchführung eines Versuchs mit der elektronischen Stimmabgabe verzichtet werden musste.

Die bisherigen Zwischenfälle zeigen klar, dass die meisten Probleme nicht auf die Systeme für Vote électronique, sondern auf deren Bedienung oder auf organisatorische Aspekte rund um die Durchführung eines Versuchs mit der elektronischen Stimmabgabe zurückzuführen sind.

2.4.2

Eidgenössische Wahlen

Die vier Kantone Basel-Stadt, St. Gallen, Graubünden und Aargau boten ihren Auslandschweizer Stimmberechtigten anlässlich der eidgenössischen Wahlen vom 23. Oktober 2011 die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe an. Diese Kantone bereiteten sich unter Mitwirkung ihrer systemspezifischen Begleitgruppen intensiv auf die Versuche vor. Der erste Einsatz von Vote électronique bei eidgenössischen Wahlen ging erfolgreich über die Bühne.

Die Kantone mit eigenem System konnten bzw. wollten ihren Stimmberechtigten Vote électronique bei den Wahlen aus verschiedenen Gründen (noch) nicht anbieten: ­

In Genf lag die entsprechende Rechtsgrundlage für die Durchführung von Versuchen bei Wahlen nicht rechtzeitig vor.

­

In Zürich wurde aufgrund von früheren Problemen mit dem kantonalen Resultatausmittlungssystem, zu dem eine Schnittstelle mit dem System für Vote électronique besteht, auf den Einsatz von Vote électronique bei Wahlen verzichtet.

­

Das Neuenburger System konnte zu diesem Zeitpunkt noch keine Wahlen abwickeln. Ein neues Modul für Wahlen wird 2013 in Betrieb genommen.

Bei der Wahl des Ständerates handelt es sich um eine kantonale Wahl, die der kantonalen Regelung unterliegt.

Die Systeme für Vote électronique haben die Herausforderungen wie die Berücksichtigung der Unterschiede zu Abstimmungen und die entsprechenden Anpassungen der Systeme zur Gewährleistung der Wahlen erfolgreich bewältigt.

Zwischenfälle beim Einsatz von Vote électronique bei Wahlen Die Verfahren für die Nationalratswahlen sind verglichen mit den Abstimmungen komplexer und variieren ausserdem je nach Kanton129.

129

Siehe Ziffer 3.5.

5127

Bei der Durchführung der ersten Versuche mit Vote électronique anlässlich einer Wahl auf eidgenössischer Ebene sind keine gravierenden Zwischenfälle, sondern lediglich kleinere Probleme zu vermelden. Hier zwei Beispiele: ­

Ein eingesetztes System erkannte nicht alle Sonderzeichen, die für bestimmte Namen (z.B. für Kandidierende östlicher Abstammung) nötig sind.

­

Ein Kanton hat ausserdem die elektronischen Stimmzettel kurz vor der Öffnung der elektronischen Urne anpassen müssen, da der Wohnort der Kandidaten irrtümlicherweise nicht erfasst worden war.

Auch hier zeigt sich klar, dass die Probleme nicht bei der elektronischen Stimmabgabe, sondern bei den entsprechenden Vorbereitungsarbeiten aufgetreten sind.

2.4.3

Urnengänge auf Kantons- und Gemeindeebene

Wenn die elektronische Stimmabgabe bei eidgenössischen Urnengängen eingesetzt wird, muss sie für alle andern Abstimmungen oder Wahlen zur Anwendung gelangen, die am gleichen Tag in den bezeichneten Gebieten stattfinden130. Ausserhalb der eidgenössischen Abstimmungsterminen können die Kantone Vote électronique nach Belieben einsetzen. In der Praxis werden kantonale und kommunale Abstimmungen aber nach Möglichkeit und nicht zuletzt aus Kostengründen an den gleichen Terminen durchgeführt wie die eidgenössischen Urnengänge.

Der Kanton Genf machte die elektronische Stimmabgabe seit Mai 2011 bereits viermal allen kantonalen Stimmberechtigten zugänglich.

Das Zürcher System kam bei verschiedenen Arten von Wahlen zum Einsatz. So wurde im Dezember 2006 bei den Studierendenratswahlen der Universität Zürich ein fehlerfreier Versuch mit elektronischen Proporzwahlen durchgeführt131. Am 2. April 2006 wurde das System sodann in der Stadt Bülach für kommunale Abstimmungen und Wahlen (Majorzsystem) erfolgreich eingesetzt132.

Das System von Neuenburg wird bei kantonalen und kommunalen Abstimmungen regelmässig verwendet.

Die Kantone Bern, Fribourg, Solothurn und Graubünden bieten ihren Auslandschweizer Stimmberechtigten Vote électronique auch bei kantonalen Abstimmungen an. FR und GR haben dies sogar schon im Rahmen einer kantonalen Wahl getan.

Der nach Möglichkeit auf die kantonale und lokale Ebene erweiterte Einsatz der elektronischen Stimmabgabe bietet den Vorteil, dass dabei die soziale und politische Akzeptanz des Kanals bei einem grösseren Teil der kantonalen Stimmberechtigten getestet werden kann. Im Gegenzug finden die Unregelmässigkeit des Angebots und die Tatsache, dass beim darauffolgenden Urnengang erneut die Einschränkungen des Bundes gelten, bei den Stimmberechtigten womöglich wenig Resonanz.

130 131 132

Art. 27a Abs. 2 VPR.

Zwei weitere solche Wahlen fanden im Dezember 2004 und 2005 statt, RRB 2811 2007.

RRB 2811 2007

5128

Exkurs: Der Aufschwung der elektronischen Stimmabgabe ist vor dem Hintergrund der konstanten Entwicklung der Verfahren der politischen Rechte, die mit der Veränderung der Lebensstile einhergeht, zu sehen. Dazu gehören die Einführung der Stimmabgabe an der Urne, die Auszählung durch professionelle Wahlhelferinnen und Wahlhelfer, die briefliche Abstimmung, die Verlängerung der Abstimmungsdauer, die Ausweitung der Stimmrechte der Auslandschweizer Stimmberechtigten und der niedergelassenen Ausländerinnen und Ausländer, die Stimmabgabe via Internet.

Die Neuerungen werden regelmässig «bottom-up» eingeführt, d.h. zuerst auf kommunaler und kantonaler Ebene getestet und anschliessend auf Bundesebene ausgedehnt, wenn sie sich bewährt haben. Aktuelle Beispiele sind die Ausweitung des Stimmrechts der Auslandschweizerinnen und -schweizer auf die Ständeratswahlen in den Kantonen oder das Verfahren der Sitzverteilung bei Proporzwahlen.

2.4.4

Entwicklung der Systeme

Zürcher System und Consortiums-System Ende 2007 hat der Kanton Zürich sein System von Bern nach Zürich in die Informatikabteilung der Direktion der Justiz und des Innern übersiedelt. Die wichtigsten Gründe dafür waren der altershalber notwendige Austausch von Teilen der Informatik-Hardware, das Auslaufen von Wartungsverträgen für das System im Standort Bern sowie die Erleichterung der Bewirtschaftung und die damit verbundene Kosteneinsparung im eigenen IT-Umfeld in Zürich. Diese Gesichtspunkte waren besonders hinsichtlich des Ausbaus der elektronischen Stimmabgabe im Kanton Zürich ab 2008 wichtig. Mit der Übersiedlung des Systems nach Zürich wurde unter anderem auf die damalige Möglichkeit der Abstimmung via SMS verzichtet, was zusammen mit einigen wenigen anderen Anpassungen im technischen Bereich die Benutzerfreundlichkeit und die Sicherheit des bisherigen Systems erhöhte133.

Der Beschluss des Regierungsrats vom 16. November 2011134 enthält eine Beschreibung der aktuellen Entwicklungen.

Das System wurde 2010 «geklont»: Der «Klon» oder die Kopie des Systems wird seither von den Consortiumskantonen verwendet. Abgesehen von der Einführung der Mehrsprachigkeit und kleineren Anpassungen des Moduls Wahlen mit Blick auf die Nationalratswahlen 2011 wurden keine wesentlichen Änderungen vorgenommen.

Neuenburger System Der nachdrückliche politische Wille, den «Guichet Unique» weiterzuentwickeln, äusserte sich darin, dass der Kanton die notwendigen Mittel bereitstellte. Vote électronique wird indirekt über Werbekampagnen für den «Guichet Unique» gefördert, die in Einkaufszentren, den Gemeinden, Dienstleistungsstellen, Kinos, in der Presse und auf der Internetseite des Kantons geführt werden. Neue massgebliche Leistungen wie die Einreichung der Steuererklärung über Internet via «Guichet Unique» bedeuten eine deutliche Zunahme der Anzahl potenzieller Stimmenden, die Vote électronique benutzen. Dies kann aufgrund der vom Bundesrat auferlegten 133 134

RRB 2811 2007 RRB 1391 2011

5129

Begrenzung der Stimmberechtigten mit Zugang zur elektronischen Stimmabgabe zu Schwierigkeiten führen. Aufgrund der Erhöhung der kantonalen Limite von 20 auf 30 Prozent im Juni 2012 konnte diese Frage vorerst geklärt werden.

In jüngster Vergangenheit sind die folgenden Entwicklungen des Systems zu erwähnen: ­

Einführung eines neuen Moduls für Wahlen (alle Arten von im Kanton durchgeführten politischen Wahlen);135

­

Einführung eines neuen Identifizierungsmodus via SMS-Code oder SuisseID (ab 2013).

Was die Computer der Stimmberechtigten betrifft, ist vorgesehen, die Komplexität der Benutzerapplikation zu erhöhen, um eine Manipulation zu erschweren. Künftig soll jeder und jede Stimmberechtigte eine andere Benutzerapplikation haben. So sollen Massenangriffe verhindert werden.

Genfer System Das System der Stimmabgabe via Internet entwickelte sich seit den Anfängen ständig weiter: Die Entwicklungsplanung richtet sich nach der Häufigkeit und Komplexität der vorgesehenen Urnengänge (Initiative mit Gegenentwurf und Stichfrage, Abstimmung und Wahlen am gleichen Tag etc.), der technischen Weiterentwicklung und den Bedrohungen sowie den Bedürfnissen der Partnerkantone. Ausserdem wurde das Genfer System mit Blick auf die Nationalratswahlen 2011 um ein Modul für die Durchführung von Wahlen ergänzt. Die Entscheidungen zur Systemweiterentwicklung werden von der «User Group» getroffen, die alle Kantone, die das Genfer System verwenden, vereinigt.

Grob gesagt betrafen die Entwicklungen die Benutzerfreundlichkeit (Anpassung an die Normen für barrierefreien Zugang für Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung, Organisation mehrerer gleichzeitiger Urnengänge usw.) und die Sicherheit.

So wurde z.B. 2006 zur zusätzlichen Verschlüsselung der im Internet verkehrenden Daten und zur Authentifizierung der Stimmberechtigten auf der Basis einer Ableitung aus ihrer Nummer des Stimmrechtsausweises ein Java Applet hinzugefügt.

Daneben wurde eine Übereinstimmungskontrolle beim Eingang der Stimmen in die elektronische Urne hinzugefügt, damit keine ausführbaren Codes oder unleserlichen Stimmen in die Urne gelangen und den Inhalt beeinträchtigen. Gegebenenfalls würden die betroffenen Stimmenden durch eine Mitteilung auf ihrem Bildschirm aufgefordert, über einen andern Kanal zu stimmen, um ihr Stimm- bzw. Wahlrecht für den laufenden Urnengang zu schützen. Sämtliche im System verwendeten Codes und Identifikatoren werden über einen Zufallszahlengenerator erzeugt, was sogenannte «Brute-Force-Angriffe» erschwert. Ausserdem ist das Systemmonitoring in der Lage, allfällige unzulässige Insider-Angriffe auf das System aufzudecken. Die Einzelheiten der Funktionsweise des Genfer Systems sind auf der Internetseite des Kantons auf Französisch und Deutsch veröffentlicht136.

135

Zum ersten Mal wird dieses bei den Wahlen für den Staatsrat und den Grossen Rat im Frühling 2013 zum Einsatz kommen.

136 Siehe www.ge.ch/evoting/a_coeur_ouvert_a.asp (französisch), www.ge.ch/evoting/deutsch/Die_Genfer_Vote_electronique_a.asp (deutsch).

5130

Das kantonale Gesetz über die politischen Rechte gewährt den Bürgerinnen und Bürgern des Kantons Genf Zugang zum Quellcode der Applikation, sofern sie ein wissenschaftliches und rein ideelles Interesse geltend machen können. Der Staatsrat hat ein solches Vorhaben bislang zweimal bewilligt, einmal Vertreterinnen und Vertretern der Genfer Piratenpartei und ein zweites Mal einem Studenten und einem Mitarbeiter der Berner Fachhochschule. Letztere haben den Zugang analog zu den Genfer Bürgerinnen und Bürgern erhalten, weil die Stimmberechtigten des Kantons Bern im Genfer System für Vote électronique beherbergt sind.

2.5

Herausforderungen

2.5.1

Sicht des Bundes

Aufgrund ihres Fachwissens und ihrer Rolle im Bereich der politischen Rechte hat die Bundeskanzlei bisher zwei Aufgaben übernommen, die im Idealfall von zwei unterschiedlichen Instanzen wahrgenommen werden sollten, weil sie zu einem möglichen Interessenkonflikt führen. Die Bundeskanzlei hat den Auftrag, die Kantone bei der Einführung von Vote électronique zu unterstützen, und ist diesbezüglich an den verschiedenen interkantonalen Verträgen beteiligt (Koordination der kantonalen Projekte). Gleichzeitig ist sie damit betraut, die Systeme zu überwachen und die an den Bundesrat gerichteten kantonalen Genehmigungsgesuche zu prüfen und zu beurteilen. Dies gibt Anlass, über eine Trennung dieser beiden Aufträge sowie die Einrichtung einer von der Bundeskanzlei unabhängigen und über die erforderlichen technischen Kompetenzen verfügenden Instanz für die Kontrolle der Systeme nachzudenken. Beispiele, die als Vorbild für Vote électronique dienen könnten, existieren137. Ausserdem sollte das Bewilligungsverfahren effizienter ausgestaltet werden.

2.5.2

Sicht der Kantone

Die Kantone schätzen zwar die von der Bundeskanzlei bei der Ausweitung von Vote électronique gewährte Unterstützung, dank der sie eine gute Beurteilung der Übereinstimmung ihrer Lösungen mit den Bundesvorschriften erhalten, sind jedoch der Auffassung, dass die zurzeit mit der elektronischen Stimmabgabe verbundenen Auflagen gelockert werden könnten. Ihrer Meinung nach sollte in erster Linie das bundesrätliche Bewilligungsverfahren (Einreichung eines Gesuchs bei jeder Abstimmung, getrennte Genehmigung für jede Abstimmung etc.) vereinfacht werden.

Die wenigen technischen Schwierigkeiten bei der Ausweitung von Vote électronique in den letzten Jahren hängen hauptsächlich mit den komplexen Verfahren rund um die politischen Rechte und den Herausforderungen der Koordination zusammen138.

137 138

Siehe www.seco.admin.ch > Themen > Schweizerische Akkreditierungsstelle SAS Siehe z.B. Giampiero Beroggi / Peter Moser / Daniel Bierer, Evaluation der E-Voting Testphase im Kanton Zürich 2008­2011, Anhang 7, S. 73 f.

(http://data.rrb.zh.ch/appl/rrbzhch.nsf/0/C12574C2002FAA1FC1257942004EB439/$file/ Evaluation_E-Voting_Zürich.pdf).

5131

Bezüglich der Funktionstauglichkeit des Systems hat sich die in Zürich getestete Abstimmung per SMS als nicht zufriedenstellend erwiesen und wurde folglich 2007139 aufgegeben.

Vor allem die Erfahrung der Kantone ohne eigenes System zeigt ihres Erachtens, dass die grössten Herausforderungen bei der Einführung und Ausweitung von Vote électronique die organisatorischen Aspekte und die vorgängig erforderliche Harmonisierung der Daten und Verfahren (vor allem in den dezentralisierten Kantonen) betreffen. Die Komplexität der Verfahren bei den politischen Rechten, insbesondere bei Kantons- und Gemeindewahlen, stellt ebenfalls eine grosse Herausforderung dar.

Die notwendigen Anfangsinvestitionen sind vor allem in Zeiten der Haushaltsknappheit problematisch. Der mehr oder weniger grosse Spielraum einer Kantonsregierung hat bedeutende Auswirkungen.

Alle kantonalen Partner wünschen eine Klärung der Perspektiven einer Ausweitung, insbesondere auf die Inlandschweizerinnen und -schweizer und die Gemeinden, die noch nicht an Vote électronique teilnehmen.

Ein Kanton erwähnt das Problem regelmässiger Beschwerden gegen die Durchführung von Abstimmungen, die sich auch auf die elektronische Stimmabgabe auswirken140.

Der Bundesrat plädiert für die Aufrechterhaltung hoher Sicherheitsanforderungen im Bereich von Vote électronique, insbesondere mit Blick auf dessen künftige Ausweitung, versteht jedoch die Haltung der zuständigen Kantonsbehörden und spricht sich für Verfahrensvereinfachungen141 aus.

3

Beurteilung der Ausweitung von Vote électronique 2006­2012

3.1

Auslandschweizerinnen und -schweizer

Bund und Kantone arbeiten bei der Koordination der vorbereitenden legislativen Arbeit zur kantonalen Anwendung des neuen Artikels 5b BPRAS (kantonale Zentralisierung oder Harmonisierung der Stimmregister für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer) sowie bei der Einführung bzw. Ausweitung von Vote électronique auf die Kantone ohne ein eigenes System zusammen. Die zehn Kantone ohne eigenes System boten ursprünglich ihren Auslandschweizerinnen und -schweizern die elektronische Stimmabgabe an und reagierten so auf ein Bedürfnis. Dadurch können sie sich auch schrittweise mit diesem neuen Stimmkanal vertraut machen und in einer zweiten Etappe sowie in Kenntnis der Sachlage über eine eventuelle Ausweitung von Vote électronique auf die Inlandschweizerinnen und -schweizer entscheiden.

Anlässlich der eidgenössischen Abstimmung vom 1. Juni 2008 konnten die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer zum ersten Mal in Neuenburg via Internet abstimmen. 57 der 152 zur elektronischen Stimmabgabe zugelassenen 139

Giampiero Beroggi / Peter Moser / Daniel Bierer, Evaluation der E-Voting Testphase im Kanton Zürich 2008­2011, S. 24 (http://data.rrb.zh.ch/appl/rrbzhch.nsf/0/ C12574C2002FAA1FC1257942004EB439/$file/Evaluation_E-Voting_Zürich.pdf).

140 Siehe Ziffer 1.5.

141 Siehe Ziffer 14.

5132

Auslandschweizerinnen und -schweizer nutzten dieses Mittel auch tatsächlich. Die allgemeine Stimmbeteiligung in Neuenburg betrug bei jenem Urnengang 48,3 Prozent. 1593 Stimmen wurden elektronisch abgegeben142, was 33,9 Prozent der Stimmberechtigten entspricht.

Seither sind die Auslandschweizer Stimmberechtigten der übrigen zwölf Kantone ganz oder teilweise hinzugekommen. Rund 22 000 Auslandschweizer Stimmberechtigte konnten auf elektronischem Weg an den eidgenössischen Wahlen 2011 teilnehmen.

Bis Ende 2012 sollte rund die Hälfte der Auslandschweizerinnen und -schweizer ihre Stimme elektronisch abgeben können. Das Ziel, das sich der Bundesrat im Bericht 2006 gesetzt hatte, kann als erreicht betrachtet werden. Bund und Kantone haben sich ausserdem zum Ziel gesetzt, dass 2015 die grosse Mehrheit der Auslandschweizerinnen und -schweizer elektronisch an den nächsten eidgenössischen Wahlen teilnehmen können.

Zusätzlich zur Einführung von Vote électronique haben Bund und Kantone auch Massnahmen ergriffen, um die briefliche Stimmabgabe zu verbessern143.

3.2

Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung

Neben den Auslandschweizer Stimmberechtigten bilden Stimmberechtigte mit einer Behinderung und vor allem mit einer Sehbehinderung die andere, im bundesrätlichen Bericht von 2006 identifizierte Zielgruppe von Stimmberechtigten. Aufgrund ihrer Behinderung sind sie gezwungen, bei der Stimmabgabe Dritte um Hilfe zu bitten und so auf ihr Stimmgeheimnis zu verzichten. Die elektronische Stimmabgabe würde es diesen Stimmberechtigten ermöglichen, ihre Stimme autonom abzugeben.

Die Anzahl Stimmberechtigter mit einer (Seh-)Behinderung ist gesamtschweizerisch schwer abzuschätzen. Laut dem Leitfaden «Behinderung hat viele Gesichter ­ Definitionen und Statistiken zum Thema Menschen mit Behinderungen» des Bundesamts für Statistik von 2009144 sollen sie so zahlreich sein wie die für die Ausübung der politischen Rechte angemeldeten Auslandschweizerinnen und -schweizer, d.h. rund 135 000 Personen. Zählt man die Personen mit altersbedingten Sehschwierigkeiten hinzu, kann man daraus ableiten, dass es sich um eine bedeutende Gruppe handelt, die in verstärktem Mass von Vote électronique profitieren würde.

Seit dem Inkrafttreten des neuen Artikels 27ebis VPR im Jahr 2008 sind die Kantone angehalten, die spezifischen Bedürfnisse von Sehbehinderten zu berücksichtigen und Vote électronique so auszugestalten, dass der neue Stimmkanal ihr Stimmgeheimnis wahrt und gleichzeitig das notwendige Sicherheitsniveau aufrechterhält.

Die Systeme für Vote électronique von Genf und Neuenburg arbeiten seit Langem mit Sehbehinderten zusammen, um für sie passende Lösungen zu finden. Das Ergebnis ist bereits sehr befriedigend, weil diese Personen mit ausreichender Ausrüs142

Siehe www.news.admin.ch/dokumentation/00002/00015/index.html?lang=de&msgid=19093.

143 Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen zuhanden der Einwohnergemeinden vom 20. August 2008 über die Gewährleistung des Stimmrechts für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, BBl 2008 7493.

144 www.bfs.admin.ch > Themen > Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung > Zum Nachschlagen > Publikationen

5133

tung (PC, Braille-Zeile, Sprachausgabegerät und Scanner) bereits ohne fremde Hilfe abstimmen und wählen können. Die Regierung von Basel-Stadt möchte sich in der zweiten Phase der Ausweitung von Vote électronique auf die spezifischen Bedürfnisse dieser Kategorie von Stimmenden konzentrieren.

Neben den damit verbundenen technischen Herausforderungen ergibt sich eine bedeutende organisatorische Schwierigkeit aus der Tatsache, dass im Gegensatz zu den in einem Stimmregister zusammengefassten Auslandschweizerinnen und -schweizern die besonderen Bedürfnisse dieser Gruppe von Stimmberechtigten bei der Stimmabgabe in keinem Register zum Ausdruck gelangen. Denkbar wäre z.B.

ein System mit vorheriger Anmeldung, um diese Personen zu erfassen und zielgerichtet auf ihre Bedürfnisse einzugehen.

Auf Bundesebene sollen die Erfahrungen der vergangenen Jahre als Grundlage für künftige Arbeiten zur vorrangigen Behandlung der Bedürfnisse von Stimmberechtigten mit einer (Seh-)Behinderung und die Umsetzung von Artikel 27ebis VPR im Rahmen einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe145 unter Leitung der Bundeskanzlei dienen.

3.3

Mehrsprachigkeit

Aufgrund der durch die Bundesverfassung gewährleisteten Sprachen- und Abstimmungsfreiheit146 besteht die Praxis, wonach jede stimmberechtigte Person in ihrer Sprache abstimmen und wählen können muss. Die Systeme funktionieren deshalb seit 2009 in den vier Landessprachen. Die Mehrsprachigkeit ist aber nicht nur ein verfassungsmässiges Recht, sondern auch eine Voraussetzung für die interkantonale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet.

Die Systeme für die elektronische Stimmabgabe wurden im Rahmen der Ausweitung in die vier Landessprachen übersetzt. Die stimmende Person kann ihre Stimme in der Sprache ihrer Wahl abgeben. Die Kantone nahmen die notwendige Programmierung für die Mehrsprachigkeit vor, und die Bundeskanzlei war für die Übersetzung in die Landessprachen besorgt.

Bei den herkömmlichen Kanälen (Urne, briefliche Stimmabgabe) stellen die Kantone den Stimmenden das Stimmmaterial in der Amtssprache bzw. den Amtssprachen des Kantons bereit. Auf Verlangen stellen sie das Stimmmaterial in einer anderen Landessprachen zu.

3.4

Verfahrensoptimierungen

Die Einführung und schrittweise Ausweitung von Vote électronique boten Gelegenheit, die Verfahren im Bereich der politischen Rechte im Sinne einer Optimierung zu überdenken. Da die meisten Verfahren selbstverständlich im BPR und in der VPR verankert sind, müssen auch dort Änderungen vorgenommen werden.

145 146

Siehe Ziffer 11.4.2.

Art. 18 und 34 Abs. 2 BV.

5134

Ein Beispiel für die Optimierung anlässlich der Einführung von Vote électronique betrifft die Verfahren zur Vorbereitung auf einen eventuellen Krisenfall, insbesondere die Formalisierung der Reaktion auf verschiedene mögliche Probleme und die Kommunikation in einem solchen Fall147.

Ein weiteres Beispiel steht im Zusammenhang mit der Einführung innovativer Formen der Zusammenarbeit zwischen den Kantonen sowie zwischen Bund und Kantonen148. Dadurch konnten Daten und Verfahren formalisiert, standardisiert und optimiert werden. Diese Arbeit ist notwendig, um den Erfolg von Vote électronique unter Einhaltung des aktuellen Systems der politischen Rechte auf der Grundlage einer starken Dezentralisierung zu sichern.

Diese Beispiele bestätigen auch die Richtigkeit des vom Bundesrat 2006 vorgeschlagenen Ansatzes: schrittweise Entwicklung von Vote électronique und Nutzung der gesammelten Erfahrungen, um Fortschritte zu erzielen. Seit den Anfängen von Vote électronique wurden tatsächlich mehrere Verbesserungen und Entwicklungen im Bereich der politischen Rechte eingeführt, um der Komplexität dieser Prozesse und ihrer ständigen Entwicklung Rechnung zu tragen. Dabei hat die Einführung der elektronischen Stimmabgabe oftmals Handlungsbedarf aufgezeigt, nicht aber zwingend auch ausgelöst.

3.5

Wahlen mit Vote électronique

Anlässlich der Nationalratswahlen 2011 wurden wie gesehen zum ersten Mal Versuche mit Vote électronique in den Kantonen Basel-Stadt, St. Gallen, Graubünden und Aargau durchgeführt. Diese waren erfolgreich: Die technischen und logistischen Herausforderungen wurden von den beteiligten Kantonen ohne nennenswerte Pannen oder Zwischenfälle gemeistert. Alle vier Kantone hatten bereits im Rahmen mehrerer positiver Versuche bei eidgenössischen Volksabstimmungen Erfahrungen mit der elektronischen Stimmabgabe sammeln können.

Im Vorfeld der Nationalratswahlen wurden die bestehenden Abläufe den wahltechnischen Besonderheiten angepasst. Die Systeme für Vote électronique, die bis dahin erst bei Abstimmungen zum Einsatz kamen, wurden um weitere Module für Wahlen erweitert. Bestehende Module wurden an die bundesrechtlichen Vorgaben angepasst. Die Wahlsysteme wurden im Rahmen von echten (kantonalen oder kommunalen) Wahlen und Testwahlen durch die Bundeskanzlei und den ad hoc eingesetzten Begleitgruppen149 getestet und abgenommen. Die Vorbereitungsarbeiten unter Einbezug der vier Kantone und der Systembetreiber begannen bereits im Jahr 2009.

Die erstmaligen Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe anlässlich von Wahlen auf Bundesebene beschränkten sich vorerst auf die Auslandschweizer Stimmberechtigten der vier Kantone. Rund 22 000 Personen dieser Gruppe von Stimmberechtigten hatten die Möglichkeit, ihre Wahl elektronisch zu treffen. Dies entspricht einem Anteil von rund 0,4 Prozent der insgesamt 5 090 000 Wahlberechtigten. 3562 Auslandschweizer Stimmberechtigte haben elektronisch gewählt. In einzelnen Kantonen haben bis zu 53,1 Prozent der an der Wahl teilnehmenden und zu Vote électronique zugelassenen Personen vom neuen Stimmkanal profitiert.

147 148 149

Siehe Ziffer 2.4.1. und Ziffer 15.

Siehe Ziffer 1.4.3.

Siehe Ziffer 4.4.2.

5135

Mit der Durchführung von Versuchen bei Wahlen ist das Projekt in den erwähnten Kantonen in die zweite Phase übergegangen150.

3.6

Entwicklung der Stimm- und Wahlbeteiligung mit Vote électronique

Dank der Ausdehnung von Vote électronique und des Einbezugs neuer Kantone konnten seit 2009 im Durchschnitt 150 000 Stimmberechtigte an den Versuchen mit der elektronischen Stimmabgabe teilnehmen. 2012 wurden etwa 90 000 Inlandschweizer Stimmberechtigte der Kantone Neuenburg und Genf sowie 65 000 Auslandschweizer Stimmberechtigte der Kantone Bern, Luzern, Fribourg, Solothurn, Basel-Stadt, Schaffhausen, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Neuenburg und Genf zu den Versuchen zugelassen.

Zu Vote électronique zugelassenes Elektorat 250000

200000 atr o t k e l 150000 E s e n e ss 100000 la e g u Z 50000

0

4 0 0 .2 9 0 .

1 0

4 0 0 .2 2 1 .

1 0

5 0 0 .2 3 0 .

1 0

5 0 0 .2 6 0 .

1 0

5 0 0 .2 9 0 .

1 0

5 0 0 .2 2 1 .

1 0

6 0 0 .2 3 0 .

1 0

6 0 0 .2 6 0 .

1 0

6 0 0 .2 9 0 .

1 0

6 0 0 .2 2 1 .

1 0

7 0 0 .2 3 0 .

1 0

7 0 0 .2 6 0 .

1 0

7 0 0 .2 9 0 .

1 0

7 0 0 .2 2 1 .

1 0

8 0 0 .2 3 0 .

1 0

8 0 0 .2 6 0 .

1 0

8 0 0 .2 9 0 .

1 0

8 0 0 .2 2 1 .

1 0

9 0 0 .2 3 0 .

1 0

9 0 0 .2 6 0 .

1 0

9 0 0 .2 9 0 .

1 0

9 0 0 .2 2 1 .

1 0

0 1 0 .2 3 0 .

1 0

0 1 0 .2 6 0 .

1 0

0 1 0 .2 9 0 .

1 0

0 1 0 .2 2 1 .

1 0

1 1 0 .2 3 0 .

1 0

1 1 0 .2 6 0 .

1 0

1 1 0 .2 9 0 .

1 0

1 1 0 .2 2 1 .

1 0

2 1 0 .2 3 0 .

1 0

2 1 0 .2 6 0 .

1 0

Urnengang

Teilweise wird die Hoffnung formuliert, die Stimmbeteiligung werde durch Vote électronique erhöht. Der Bundesrat ist diesbezüglich zurückhaltend. Zurzeit besteht keine breit abgestützte Untersuchung über den längerfristigen Einfluss der Einführung der elektronischen Stimmabgabe über das Internet auf die Stimm- und Wahlbeteiligung.

Vote électronique ist ein zukunftsorientiertes Projekt. Die historische Entwicklung der Stimmkanäle darf dabei aber nicht ausser Acht gelassen werden: Vor 150 Jahren war die Landsgemeinde noch die demokratische Entscheidungsform. Mit der Volksschulbildung wurde der Urnengang überhaupt erst möglich. Als die Bevölkerung vor rund 50 Jahren zunehmend mobiler wurde, war eine stark wachsende Stimmabstinenz zu beobachten. Mit der brieflichen Stimmabgabe wurde dieser Trend Mitte der 90er-Jahre gewendet. Zuerst konnte auch bei der Liberalisierung der brieflichen Stimmabgabe eine gewisse Zurückhaltung beobachtet werden. Heute geben aber über 90 Prozent ihre Stimme per Post ab. Die Schweizer Stimmberechtigten tendieren offenbar zu einem bedächtigen Beginn, wenn es um die Einführung neuer Methoden der Stimmabgabe geht.

150

Zu den insgesamt vier Projektphasen siehe Ziffer 1.1.

5136

Mit Blick auf mögliche Entwicklungen in der Zukunft ist vorstellbar, dass die Nachfrage nach dem neuen elektronischen Stimmkanal aufgrund der zunehmenden Digitalisierung unterschiedlicher Prozesse und der noch stärker wachsenden Mobilität der Stimmberechtigten in ein paar Jahren steigen wird. Vote électronique soll hier einspringen, damit eine erneute Abnahme der Stimmbeteiligung verhindert werden kann. Um dann bereit zu sein, wenn es von den Behörden erwartet wird, muss mit einem derart komplexen Projekt jedoch bereits heute begonnen werden. Nur so bleibt genügend Zeit, um die bevorstehenden Herausforderungen, die sich im Zusammenhang mit der Einführung der elektronischen Stimmabgabe ergeben, zu meistern.

Seit der Durchführung des ersten Pilotversuchs weist die Entwicklung der Stimmbeteiligung mit Vote électronique (Anzahl Stimmende mit Vote électronique/zugelassenes Elektorat) einen klaren Trend auf. Bei den ersten Versuchen variierte die Stimmbeteiligung sehr stark; mit der Zeit hat sie sich dann bei einer Grenze von 20 Prozent stabilisiert.

Dabei kann festgehalten werden, dass eine klare Korrelation zwischen der Stimmbeteiligung mit Vote électronique und der allgemeinen Stimmbeteiligung besteht. Je höher die allgemeine Stimmbeteiligung ausfällt, desto höher wird auch die Stimmbeteiligung mit Vote électronique.

5137

Dank der Analyse des Anteils an Stimmenden, die den elektronischen Kanal verwenden, kann das Bild der Stimmbeteiligung mit Vote électronique verschärft bzw.

präzisiert werden.

Bei der Abstimmung vom 17. Juni 2012 haben zum Beispiel bis zu 64 Prozent der zu den Versuchen zugelassenen Stimmenden ihre Stimme per Internet verschickt.

Solche Höchstwerte werden jedoch in jenen Kantonen registriert, die Vote électronique ausschliesslich den Auslandschweizer Stimmberechtigten anbieten. In den Kantonen, die auch Inlandschweizer Stimmberechtigte in die Versuche einbeziehen, ist die elektronische Stimmbeteiligung erheblich niedriger (17 %).

Folgende Gründe können die unterschiedliche Stimmbeteiligung mit Vote électronique zwischen In- und Auslandschweizer Stimmberechtigten erklären: ­

Die Einführung der elektronischen Stimmabgabe kommt den Bedürfnissen der Auslandschweizer Stimmberechtigten sehr entgegen. Diese werden in der Ausübung ihrer politischen Rechte durch die Probleme bei der Zustellung des Stimmmaterials per Post oft benachteiligt.

­

Die bestehenden Limiten auf Bundesebene erschweren in zweierlei Hinsicht die Verwendung von Vote électronique: Einerseits besteht keine Kontinuität für die Inlandschweizer Stimmberechtigten. Bei kantonalen Urnengängen können sie teilweise elektronisch abstimmen bzw. wählen. Dies ist bei nationalen Urnengängen aufgrund der bestehenden Limite nicht der Fall.

Diese Diskontinuität kann die betroffenen Stimmberechtigten verunsichern.

Es kann sein, dass sie deswegen darauf verzichten, ihre Stimme elektronisch abzugeben. Ausserdem könnten die Limiten als Zeichen der Unsicherheit der Systeme gedeutet werden.

Die Entwicklung der Stimmbeteiligung in den Kantonen mit eigenem System für Vote électronique entspricht dem allgemeinen Trend. Nennenswert ist vor allem die Entwicklung im Kanton Neuenburg. Vote électronique ist dort wie gesehen Teil des «Guichet Unique». Um von den Angeboten des «Guichet Unique» profitieren zu können, müssen die Stimmberechtigten einen Vertrag mit dem Kanton abschliessen.

Bei der Einführung des «Guichet Unique» war Vote électronique eine von wenigen Funktionen im Angebot. Es ist davon auszugehen, dass die Stimmberechtigten einen Vertrag für den «Guichet Unique» gerade wegen der Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe abgeschlossen haben und somit bei den Urnengängen motiviert waren, ihre Stimme per Internet abzuschicken. Die Stimmbeteiligung war entsprechend hoch. Mit der Zeit ist der «Guichet Unique» mit anderen Funktionen ergänzt worden. Nun ist Vote électronique nicht mehr das Hauptprojekt der Digitalisierung des Behördenverkehrs des Kantons Neuenburg; die prozentuale Stimmbeteiligung mit Vote électronique ist entsprechend gesunken.

5138

Die Entwicklung der Stimmbeteiligung mit Vote électronique in den Kantonen ohne eigenes System kann nicht einheitlich beschrieben werden. Die Kantone Freiburg, St. Gallen und Graubünden weisen einen positiven Trend auf. In den anderen Kantonen kann kein Trend erkannt werden.

Die Stimmbeteiligung der Auslandschweizer Stimmberechtigten im Rahmen der Nationalratswahlen 2011 war im Vergleich zur üblichen Beteiligung dieser Zielgruppe bei Abstimmungen geringer. Der Anteil an elektronischen Stimmen war jedoch mit teilweise über 50 Prozent hoch.

5139

3.7

Gesellschaftliche und politische Akzeptanz von Vote électronique

Das Projekt der elektronischen Stimmabgabe spaltet die Meinungen der Stimmberechtigten, Wissenschaftler und Politiker. Die Akzeptanz gegenüber dem Projekt ist grundsätzlich positiv, variiert aber je nach Gruppierung. Diese ist jedoch unabdingbar für die erfolgreiche Einführung von Vote électronique. Die Stimmberechtigten sollen den elektronischen Stimmkanal als vertrauenswürdigen Übermittlungskanal ihrer Stimmen betrachten.

In Anhang 3 findet sich eine Übersicht der Vorstösse, die auf Bundesebene und in den kantonalen Parlamenten eingereicht wurden. Dank dieser Übersicht kann die politische Akzeptanz in den Kantonen evaluiert werden.

3.7.1

Befürworterinnen und Befürworter einer raschen flächendeckenden Einführung

Verschiedene Studien z.B. der Geschäftsstelle E-Government Schweiz zeigen auf, dass die elektronische Stimmabgabe bei den Stimmberechtigten auf breite Akzeptanz stösst. Die Befragten haben Vertrauen in den neuen Stimmkanal und betrachten dessen Umsetzung als prioritär.

Zu gleichen Schlussfolgerungen kommen die Studien, die im Anschluss an eine Abstimmung (Genf und Basel) und eine Wahl (Selects-Studie zu den Nationalratswahlen 2011) durchgeführt wurden. Die befragten Stimmberechtigten vertrauen grossmehrheitlich der neuen Möglichkeit der Stimmabgabe und würden diese auch bei einer künftigen Abstimmung oder Wahl verwenden.

Einige Initiativen zur Förderung von Vote électronique sind an dieser Stellen erwähnenswert: ­

2012 wurden zwei Petitionen zur Unterstützung der Einführung der elektronischen Stimmabgabe lanciert. Einerseits verlangte der vom Dachverband der Jugendparlamente gegründete Verein «easyvote» die Einführung der elektronischen Stimmabgabe als Instrument für die Förderung der Partizipation der jungen Generation. Eine ähnliche Forderung wurde von der JCVP sowie den internationalen Sektionen von SP, FDP und SVP lanciert.

­

Im August 2012 hat die ASO dem Bundesrat die Petition «E-Voting für alle» mit rund 15 000 Unterschriften eingereicht. Die Unterzeichnenden forderten den Bundesrat auf, für alle Stimmberechtigten im In- und Ausland möglichst rasch die elektronische Stimmabgabe einzuführen. Den Initianten ist v.a. wichtig, dass bei den eidgenössischen Wahlen 2015 alle im Ausland wohnhaften Stimmberechtigten ihre Stimme über das Internet abgeben können.

5140

3.7.2

Gegnerinnen und Gegner einer raschen flächendeckenden Einführung

In Ziffer 1.6 wurden die Skeptiker der Einführung der elektronischen Stimmabgabe im politischen Umfeld genannt. Erwähnenswert an dieser Stelle ist die diesbezügliche Positionierung der Piratenpartei. Seit 2012 hat diese die elektronische Stimmabgabe öffentlich kritisiert. Sie ist jedoch nicht grundsätzlich gegen die Einführung der elektronischen Stimmabgabe. Vielmehr kritisiert sie die Ausdehnung mit den heutigen Systemen. Die Genfer Sektion der Piratenpartei hat der Regierung des Kantons ein Gesuch um Zugang zum Quellcode eingereicht. Das Gesuch wurde bewilligt151.

Neben der Piratenpartei haben auch private Vereine (z.B. «direktedemokratie.com») Kritik angemeldet. So haben sie z.B. die ihrer Ansicht nach mangelnde Transparenz rund um die Systeme der elektronischen Stimmabgabe und die entsprechende Dokumentation bemängelt und Zugang zu dieser gefordert.

4

Umsetzung von Sicherheitsanforderungen

4.1

Schutz des Stimmgeheimnisses

Die Garantie der politischen Rechte152 schützt die Wahl- und Abstimmungsfreiheit, d.h. die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe. Diese Bestimmung gewährleistet jedem Bürger und jeder Bürgerin Anspruch darauf, dass kein Wahlergebnis anerkannt wird, das den freien Willen der Wählerschaft nicht zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt153, und räumt den Stimmberechtigten das Recht ein, ihre Stimme geheim und frei vor jeglichem äusseren Einfluss ihrem Willen entsprechend abzugeben154. Das Recht auf geheime Stimmabgabe verpflichtet die Behörden, die Voraussetzungen zu seinem Schutz zu schaffen155.

Die Kantone sind bei der Durchführung der kantonalen Wahlen und Abstimmungen grundsätzlich frei, solange sie die allgemeinen bundesverfassungsrechtlichen Vorschriften und insbesondere die Garantie der politischen Rechte, die das Stimmgeheimnis schützt, beachten156. Bei der brieflichen Stimmabgabe (d.h. ausserhalb des Stimmlokals) wird in Bezug auf den Schutz des Stimmgeheimnisses auf individuelle Verantwortung und Vertrauen abgestützt. Dies betrifft auch die Post als Übertragungskanal für die briefliche Stimmabgabe. Dieses Vertrauen gilt gegenüber allen Postdiensten (Stimmabgabe durch Auslandschweizerinnen und -schweizer), wobei sich die Behörden der Grenzen dieses Kanals, insbesondere im Ausland, bewusst sind.

151 152 153 154 155

156

Siehe www.ge.ch/chancellerie/communiques/2012/20120911.asp.

Art. 34 Abs. 2 BV, Art. 5 BPR, Art. 27d Abs. 1 Bst. d, Art. 27f Abs. 1, Art. 27g und Art. 27h VPR.

Vgl. statt vieler BGE 123 I 71.

BGE 90 I 2 Piermarco Zen-Ruffinen, L'expression fidèle et sûre de la volonté du corps électoral, in: Daniel Thürer/Jean-François Aubert/Jörg Paul Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, § 21, Nr. 2, 3, 35 und 37.

Pascal Mahon, La citoyenneté active en droit public suisse, in: Daniel Thürer/ Jean-François Aubert/Jörg Paul Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, § 20, Nr. 41.

5141

Die Anforderungen an das Stimmgeheimnis bei den drei Systemen für die Stimmabgabe über das Internet richten sich nach jenen der brieflichen Stimmabgabe. Dazu wurden technische und organisatorische Massnahmen ergriffen. Die Stimmabgabe wird verschlüsselt übertragen, und die Ausübung des Stimmrechts sowie die Stimme selbst werden in getrennten Datenstrukturen aufgezeichnet. Nach dem Drucken der Stimmrechtsausweise wird das zur Überprüfung der elektronischen Stimmrechtsausübung verwendete Register anonymisiert, d.h. die persönlichen Angaben (Name, Vorname und Adresse) werden gelöscht. Organisatorische Massnahmen gewährleisten den Schutz der Daten und ihre Vernichtung zum richtigen Zeitpunkt und verhindern den unbefugten Zugriff auf die elektronische Urne sowie auf das Register über die Stimmrechtsausübung. Der Zugriff ist nur in genau festgelegten Fällen und nach exakten Regeln (nach vorgängiger Ermächtigung, mittels Vieraugenprinzip und mit Überwachungssystem) sowie durch exakt bezeichnete Personen (Regeln über die Einstellung des Personals, das in sensiblen Infrastrukturen des Staates arbeitet, sowie Verpflichtung desselben, sich an besondere diesbezügliche Vereinbarungen zu halten, etc.) erlaubt. Auch private Leistungserbringer auf dem Gebiet der elektronischen Stimmabgabe müssen die gleichen Regeln anwenden. Diese ergeben sich aus den vertraglichen Verpflichtungen, die sie gegenüber Bund und Kantonen eingegangen sind. Die Stimmenden werden über die zur Gewährleistung des Stimmgeheimnisses zu treffenden Massnahmen informiert (z.B. Löschen des Webbrowser-Cache).

Im Neuenburger System liegt der Inhalt des elektronischen Stimmzettels nach seiner Verschlüsselung und vor der Entschlüsselung am Sonntag zu keinem Zeitpunkt in Klartext vor. Liegt beim Format des elektronischen Stimmzettels ein Fehler vor, kann der oder die Stimmende nicht mehr rechtzeitig informiert werden. Die Erfahrungen in Neuenburg haben bisher gezeigt, dass der Eingang fehlerhafter Stimmabgaben sehr selten ist: Bei mehr als 100 Versuchen war bisher nur eine einzige Stimme nicht zu entschlüsseln. Die übrigen Systeme führen eine Konformitätskontrolle der Stimmabgabe durch, mit der Stimmzettel, die nicht dem erforderlichen Format entsprechen, entdeckt und abgelehnt werden können. Das System informiert den Stimmenden in diesem Fall
unverzüglich während der Stimmabgabe. Bei diesem Ansatz darf der elektronische Stimmzettel nur die für die fragliche Abstimmung zulässigen möglichen Entscheidungen beinhalten.

Nach Einschätzung der Bundeskanzlei entsprechen alle drei Systeme den bundesrechtlichen Anforderungen an das Stimmgeheimnis. Die Unterschiede bei den gewählten Lösungen bewegen sich im Rahmen des Spielraums der Kantone bei der Festlegung der Ursachen für die Ungültigkeit von Stimmzetteln157.

Die Frage nach dem Zeitpunkt der Entschlüsselung der elektronischen Urne wurde unter dem Gesichtspunkt des Stimmgeheimnisses behandelt. Dieses schützt auch vor der vorzeitigen ­ selbst teilweisen ­ Offenlegung der Ergebnisse eines Urnengangs158, die zu einer Mobilisierung im letzten Augenblick führen könnte, um den Ausgang des Urnengangs zu beeinflussen. Der Bundesrat legt bei der Erteilung einer Bewilligung auch den Zeitpunkt fest, ab dem die Urne entschlüsselt werden darf, und erinnert daran, dass jegliche ­ auch teilweise ­ Offenlegung der Ergebnisse vor Mittag am Abstimmungssonntag verboten ist. Die Kantone kennen die vorzeitige Auszählung, insbesondere bei der brieflichen Stimmabgabe (manuelle Auszählung), wodurch sie die Ergebnisse nach der Urnenschliessung schnell veröffentlichen 157 158

Vgl. Art. 12 Abs. 2 und 3, Art. 38 Abs. 4 und 5 sowie Art. 49 Abs. 2 und 3 BPR.

Vgl. Art. 7 Abs. 4 BPR.

5142

können. Sie treffen organisatorische Massnahmen, um eine Veröffentlichung der Ergebnisse vor Ablauf der Frist zu verhindern. Bei den letzten eidgenössischen Wahlen wünschten und erhielten bestimmte Kantone die Möglichkeit, die elektronische Urne am Samstagnachmittag vor dem Wahlsonntag auszuzählen, weil der Entschlüsselungsprozess bei Wahlen länger dauert als bei Abstimmungen. Dieses Gesuch wurde gutgeheissen. Auf diese Weise konnten die Ergebnisse rechtzeitig auf die Gemeinden verteilt werden, sodass diesen genug Zeit für eine Konsolidierung mit den übrigen Kanälen blieb. Die OSZE und das BDIMR, welche die Nationalratswahlen 2011 beobachteten159, hielten jedoch fest, dass diese Praxis die Gefahr einer verfrühten Offenlegung des Ergebnisses mit sich bringt und die elektronische Urne unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Stimmgeheimnisses im letztmöglichen Zeitpunkt, d.h. zu Beginn der Auszählung, entschlüsselt werden sollte160.

Dieser Frage wird im zweiten Teil dieses Berichts nachgegangen161.

Die Einführung der vereinfachten Wiederanmeldung für Auslandschweizerinnen und -schweizer162 sowie die Einrichtung von Helpdesks während der elektronischen Abstimmung lösten ebenfalls Überlegungen im Zusammenhang mit dem Stimmgeheimnis aus. Gemäss Bundesgericht und Rechtslehre ist die Veröffentlichung der Namen der Bürgerinnen und Bürger, die nicht abgestimmt haben, nicht zulässig, weil das Stimmgeheimnis auch nach der Abstimmung gewährleistet ist163. Die Notwendigkeit, die Ordnungsmässigkeit der Abstimmung zu überprüfen, kann allerdings zu gewissen Einschränkungen des Stimmgeheimnisses164 führen. Der Schutz des Stimmgeheimnisses ist folglich durch die Nichtveröffentlichung der Listen von Stimmenden bzw. Nichtstimmenden gewährleistet, führt jedoch nicht dazu, dass die Behörden keine Kenntnis von dieser Tatsache haben. Dies wäre im Übrigen in den Kantonen mit Stimmzwang und Bussen für Nichtstimmende (Schaffhausen) undenkbar. Die Helpdesks müssen folglich befugt sein, auf die Datenbank über die Ausübung des Stimmrechts zuzugreifen und sogar die Verbindung zwischen der Identität der stimmenden Person und ihrer Wählernummer wiederherzustellen, um Fragen wie folgende zu beantworten: Wurde meine Stimmabgabe über das Internet registriert?

Ähnlich stellt sich die Frage in Bezug auf die Ergebnisse. Da die
elektronische Stimmabgabe in den meisten Kantonen auf die Auslandschweizerinnen und -schweizer beschränkt ist und deren Anzahl in bestimmten kleinen Gemeinden sehr begrenzt ist, verbietet der Bundesrat die getrennte Veröffentlichung der Ergebnisse der elektronischen Stimmabgabe, weil dadurch das Stimmgeheimnis verletzt werden könnte. Analog zur Überlegung über die (Nicht-)Beteiligung an einem Urnengang ist es ebenfalls nicht verboten, dass die Behörden die Ergebnisse der elektronischen Stimmabgabe kennen. Sie ist im Übrigen erforderlich, wenn das Abstimmungs- oder Wahlergebnis zuerst auf Gemeindeebene festgestellt und dann auf kantonaler Ebene konsolidiert wird.

159 160 161 162 163

164

Siehe Ziffer 1.8.1 und Ziffer 9.

«A greater measure of security would be achieved if electronic ballot boxes were not decrypted until the start of the vote count» (Anhang 4).

Siehe Ziffer 12.1.4.

Siehe Ziffer 11.4.1.

Piermarco Zen-Ruffinen, L'expression fidèle et sûre de la volonté du corps électoral, in: Daniel Thürer/Jean-François Aubert/Jörg Paul Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, § 21, Nr. 37.

BGE 121 I 187

5143

Entsprechend des in der «Roadmap Vote électronique» vorgesehenen Vorgehens wurde 2011/12 eine technische Arbeitsgruppe bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern aus Bund und Kantonen eingesetzt, um zu erörtern, welche sicherheitstechnischen Minimalstandards bei einer künftigen Ausdehnung der elektronischen Stimmabgabe gelten sollen. Die Tätigkeit dieser Arbeitsgruppe hat gezeigt, dass gewisse organisatorische Massnahmen zum Schutz des Stimmgeheimnisses nun durch Verschlüsselungsmethoden ergänzt werden können165.

4.2

Schutz vor Manipulationen

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats empfahl 2006, die elektronische Stimmabgabe solle so sicher wie die briefliche Stimmabgabe sein. Dieser Vergleich wird oft bei der Beurteilung der Sicherheit dieses Kanals herangezogen. Er weist allerdings Grenzen auf: Es ist allgemein anerkannt, dass das Ausmass eines möglichen Betrugs im Rahmen der brieflichen Stimmabgabe begrenzt ist, während dies bei der Stimmabgabe über das Internet aufgrund der Zentralisierung die gesamte elektronische Urne betreffen kann.

Gleichzeitig wird die elektronische Bearbeitung der eingegangenen Stimmen durch ein korrekt funktionierendes System als sehr viel sicherer und zuverlässiger als die manuelle betrachtet, bei der die Fehleranfälligkeit anerkanntermassen grösser ist und die einzige Gewissheit zu sein scheint, dass man bei einer erneuten Auszählung nicht ein zweites Mal dasselbe Ergebnis erhält.

Eine der auch für Vote électronique gültigen Konstanten bei den politischen Rechten ist, dass das Risikomanagement primär eine kantonale Aufgabe ist. Wenn zwei Kantone (z.B. beherbergter und beherbergender Kanton) beteiligt sind, trägt derjenige Kanton das Risiko, der die elektronische Stimmabgabe organisiert und das Gesuch beim Bundesrat einreicht. Mittels Vertrag überwälzt er dieses teilweise auf den Kanton, der das System betreibt. Dasselbe gilt, wenn das System von einem Privaten betrieben wird. Gegenüber dem Bund ist und bleibt aber derjenige Kanton verantwortlich, der Vote électronique auf seinem Gebiet einsetzt.

Bei ihrem an den Bundesrat gerichteten Gesuch um Durchführung eines Versuchs zeigen die Kantone auf, wie das System auf eine Reihe potenzieller Risiken reagieren würde.166 Dabei handelt es sich für den Augenblick um Erklärungen, deren Richtigkeit nur auf kantonaler Ebene überprüft wird (z.B. durch Audits im Auftrag der Kantone). Die Überprüfungskapazitäten der Bundesinstanzen sind begrenzt: Die Bundeskanzlei prüft die rechtlichen Aspekte sowie die verschiedenen Verfahren und führt eine Anscheinsbeurteilung der von den Kantonen ergriffenen technischen Massnahmen durch.167 Der Bund hat selber seit 2005 keine Systemprüfungen (Audits) mehr durchgeführt. Die Durchführung von Audits lag nach einer vom Bund bezahlten Erstprüfung je System in der Zuständigkeit der Kantone. Es wurden aber pro System sogenannte Begleitgruppen eingesetzt, die Systemanpassungen beobachtet und zuhanden der Bundeskanzlei beurteilt haben.168 165 166

Siehe Ziffer 12.1.1.

Vgl. Art. 27b VPR, wonach der Kanton den Nachweis erbringen muss, dass der Versuch nach den Vorschriften des Bundesrechts durchgeführt wird.

167 Zum Genehmigungsverfahren siehe Ziffer 4.4.3.

168 Siehe Ziffer 4.4.2.

5144

Gemäss einem allgemein anerkannten Grundsatz existiert kein Nullrisiko. Stattdessen stellen die aktuellen Rechtsgrundlagen die Anforderung, dass jede Gefahr gezielten oder systematischen Missbrauchs ausgeschlossen werden können muss.169 Dieser Grundsatz orientiert sich somit an der konventionellen Stimmabgabe, die zwar Unregelmässigkeiten im Einzelfall zulässt, systematischen Missbrauch aber mit grosser Wahrscheinlichkeit rechtzeitig erkennbar macht. Schliesslich geht es auch bei der elektronischen Stimmabgabe darum, die Wiederholung eines Urnengangs zu vermeiden.

Falls trotz der ergriffenen Massnahmen (z.B. die Nutzung aktueller Verschlüsselungstechniken, die logische und organisatorische Trennung der sensiblen Systemteile und kontrollierte Interventionen mit Genehmigung) ein Problem entdeckt wird (insbesondere dank der ständigen Systemüberwachung), gelangt der Grundsatz der Nulltoleranz zur Anwendung: Jedes Problem muss erklärt und Betrug auch im Einzelfall ausgeschlossen werden können. Ist dies nicht der Fall, werden die Ergebnisse der elektronischen Stimmabgabe vorerst nicht berücksichtigt und die entsprechenden Abklärungen in die Wege geleitet. Es ist dann zu beurteilen, ob die Ergebnisse der elektronischen Stimmabgabe den Ausgang des Urnengangs verändern könnten. Dadurch besteht die Gefahr, den Urnengang wiederholen zu müssen, was der Bundesrat unbedingt vermeiden möchte. Dies stellt auch den Hauptgrund dar, weshalb der elektronischen Stimmabgabe bisher Grenzen gesetzt waren, durch die Betrug unattraktiv wurde170, während technische Fortschritte auf diesem Gebiet abgewartet wurden. Künftig soll Vote électronique dank der Einführung der Verifizierbarkeit und die Formalisierung der Kontrollen ausgeweitet oder flächendeckend angeboten werden, ohne dass dabei grössere Risiken als zurzeit eingegangen werden171.

4.3

Umgang mit Risiken

Die technischen Risiken der Stimmabgabe über das Internet werden in der wissenschaftlichen Fachliteratur breit diskutiert172. Im Rahmen des bundesrätlichen Genehmigungsverfahrens für die elektronische Stimmabgabe bei eidgenössischen Urnengängen muss ein Kanton darlegen, wie er und sein System die Anforderungen, insbesondere in Bezug auf den Schutz gegen die identifizierten Risiken, erfüllen173.

Falls der Schadensfall trotz der getroffenen Massnahmen eintritt, werden die zu unternehmenden Schritte und die Kommunikation in Absprache mit dem Bund festgelegt174.

169 170 171 172

173

174

Art. 27d Abs. 1 Bst. f VPR.

10 % der Stimmberechtigten auf Bundesebene, 30 % der Stimmberechtigten auf Kantonsebene.

Siehe Ziffer 12.1.1 und Ziffer 12.1.2.

Siehe z.B. «Ein solches Szenario macht mir Angst» ­ Interview mit Prof. Anton Gunzinger, Sonntag, 30. Mai 2010; G. Schryen und E. Rich, Security in Large-Scale Internet Elections: A Retrospective Analysis of Elections in Estonia, The Netherlands and Switzerland, 2009.

Als Beispiel siehe Anhang 6 «Beilage zum Gesuch des Kt. ZH an den Bundesrat» im Bericht «Evaluation der E-Voting Testphase im Kanton Zürich 2008­2011», http://data.rrb.zh.ch/appl/rrbzhch.nsf/0/C12574C2002FAA1FC1257942004EB439/$file/ Evaluation_E-Voting_Z%C3%BCrich.pdf.

Siehe Ziffer 1.4.3.

5145

Im 2011 verfassten Risikobericht zeigt die Bundeskanzlei verschiedene Risiken für Vote électronique auf. Diese sind unterteilt in die folgenden drei Bereiche: ­

administrative Risiken (z.B. Beschwerde gegen Behörden infolge eines Vorfalls);

­

technische Risiken (z.B. Virus verändert unbemerkt Stimmen);

­

Risiken in Politik und Öffentlichkeit (z.B. Negativkampagne infolge widersprüchlicher, unklarer oder unvollständiger Informationen).

In der zweiten Version des Risikoberichts von 2012 werden die Risiken zusätzlich bewertet. Der Bericht kommt zum Schluss, dass sich das Ausmass der Risiken bei den aktuellen Systemen und den heute geltenden Limiten in vertretbarem Rahmen hält. Eine Ausweitung des zugelassenen Elektorats müsste jedoch mit der Einführung zusätzlicher Sicherheitsmassnahmen einhergehen.175 Auch die Kantone haben Risikoanalysen durchgeführt.176 Bei den verschiedenen Komponenten der Stimmabgabe über das Internet sind Risiken in Bezug auf die folgenden Elemente auszumachen: ­

Benutzerplattform (Ziff. 4.3.1);

­

Übertragungskanal (Internet) (Ziff. 4.3.2);

­

Infrastruktur für Vote électronique (Ziff. 4.3.3).

In Bezug auf den Risikoursprung wird bei den technischen Risiken zwischen internem und externem Risiko unterschieden. Das interne Risiko betrifft vor allem die Infrastruktur für Vote électronique, das externe Risiko die Benutzerplattform und den Übertragungskanal.

4.3.1

Benutzerplattform

Der private Computer gilt als Achillesferse von Vote électronique.177 Er liegt ausserhalb der behördlichen Kontrolle, und man geht davon aus, dass die meisten Stimmberechtigten grundsätzlich nicht über die erforderlichen technischen Kenntnisse verfügen, um ihn angemessen zu schützen.

Die wissenschaftliche Fachliteratur bietet Lösungsvorschläge.178 Allerdings sind diese in vielen Fällen nur schwer benutzerfreundlich und effizient umsetzbar. Die im Rahmen der Einführung der Verifizierbarkeit vorgeschlagenen Lösungen begegnen

175 176

Siehe Ziffer 11.2.

Siehe www.geneve.ch/evoting/securite.asp («La sécurité du vote par Internet», auch bekannt als die «11 Gebote der Stimmabgabe über das Internet) und Giampiero Beroggi/ Peter Moser / Daniel Bierer, Evaluation der E-Voting Testphase im Kanton Zürich 2008­2011, S. 23 ff.

177 Oppliger Rolf, Der Client als Achillesferse beim Remote Internet Voting, Vortrag am Swiss E-Voting Workshop, 5. Juni 2009, Münchenwiler, https://www.e-voting-cc.ch/images/sevot09/slides/06_oppliger.pdf.

178 Vgl. Rolf Oppliger, E-Voting auf unsicheren Plattformen, DIGMA Zeitschrift für Datenrecht und Informationssicherheit, Zürich 2008. Eric Dubuis et al., Konzept und Implikationen eines verifizierbaren Vote Électronique Systems, Biel 2012 (www.bk.admin.ch > Themen > Politische Rechte > Vote électronique > Berichte und Studien).

5146

diesem Problem dennoch unter gleichzeitiger Berücksichtigung der öffentlichen Akzeptanz und der Umsetzbarkeit.179 Die Bundeskanzlei hat ausserdem eine Forschungsarbeit bei der ETH Zürich in Auftrag gegeben, mit der mögliche Lösungen für das Problem der Sicherheit des privaten Computers ergründet werden sollen. Die Bundeskanzlei erhofft sich dadurch weitere Erkenntnisse, welche die Sicherheitseigenschaften der Systeme bei ihrer Weiterentwicklung zusätzlich fördern. Die Ergebnisse werden für 2013 erwartet.

4.3.2

Übertragungskanal (Internet)

Um die Übertragung vertraulicher Informationen via Internet zu sichern, gilt die Verwendung von sogenannten Secure Socket Layer (SSL) als Standard-Praxis. Auch die schweizerischen Systeme für Vote électronique verwenden SSL. Allerdings hängt die Vertrauenswürdigkeit von SSL nicht nur von den beteiligten Akteuren zum Zeitpunkt der Stimmabgabe ab, sondern wiederum von der Sicherheit der Benutzerplattform. Diesem Umstand tragen die Systeme für Vote électronique dadurch Rechnung, dass sie den Stimmberechtigten nach der Stimmabgabe einen Code anzeigen, der bestätigt, dass ihre Stimme in der elektronischen Urne abgelegt wurde. Dadurch wird die unbemerkte Durchführung gewisser Attacken zusätzlich erschwert. Die im Rahmen der Einführung der Verifizierbarkeit vorgeschlagenen Lösungen machen jede Manipulation der Stimme auf dem Übertragungsweg (und auf der Benutzerplattform) für die Stimmenden erkennbar.

4.3.3

Infrastruktur für Vote électronique

Die Infrastrukturen für Vote électronique weisen hinsichtlich externer und interner Angriffe verschiedene Schutzmechanismen auf. Zum einen bieten sie Schutz gegenüber Angriffen von aussen. Dazu sind die Infrastrukturen speziell gesichert, sodass nur die vorgesehenen Mitarbeitenden Zugang zu den Rechenzentren und den Systemkomponenten erhalten. Die Zugangskontrolle betrifft ebenfalls die Infrastrukturen der Druckereien. Um die vertraulichen Daten, die bei der Druckerei bearbeitet werden, zu schützen, hat die Bundeskanzlei eigens einen Anforderungskatalog angefertigt. Die Kantone zeigen der Bundeskanzlei auf, dass ihre Druckerei die Anforderungen einhält.

Die Rechenzentren müssen auch gegen Cyberattacken aus dem Internet geschützt werden. Während eines Urnengangs ist es jedoch unmöglich, die Infrastruktur völlig vom Internet zu trennen. Um den Schutz nach aussen zu gewährleisten, verwenden die Rechenzentren verschiedene Mechanismen, um Angriffe zu verhindern oder rechtzeitig erkennbar zu machen. Zu diesen Mechanismen gehören die Verwendung von Firewalls, ein Monitoring der Zugriffe und des Web-Verkehrs, Alarmvorrichtungen und eine Abschottung der Komponenten für Vote électronique. Um auf allfällige Angriffsversuche zu reagieren, haben Bund und Kantone Krisenszenarien erarbeitet, die aufzeigen, wie im Krisenfall vorzugehen ist.

179

Siehe Ziffer 12.1.1.

5147

Die Infrastrukturen für Vote électronique weisen ebenfalls Schutzmechanismen auf, um Betrug durch Mitarbeitende vorzubeugen. Dabei kommen Praktiken zum Einsatz, die auch bei anderen sicherheitskritischen Anwendungen üblich sind. Als Grundprinzip dient dabei die Aufteilung von Verantwortung und damit verbunden die Aufteilung kritischer Informationen und Zugänge. Konkret kommt die Zugangskontrolle zum Einsatz und die Aufzeichnung aller sicherheitskritischen Operationen.

Sicherheitskritische Informationen, die einen Betrug begünstigen könnten, werden teilweise auf unabhängigen Teilsystemen oder gar ausserhalb der Infrastruktur für Vote électronique aufbewahrt. Dadurch steigt die Komplexität eines Betrugsversuchs und scheint bei den bestehenden Limiten kaum lohnenswert.

4.4

Externe Kontrollen

4.4.1

Kontrollanforderungen

Gemäss Artikel 27l Absatz 2 VPR muss das System für Vote électronique vor der Inbetriebnahme und bei Änderungen geprüft und seine Übereinstimmung mit den Anforderungen der VPR durch eine unabhängige, von der Bundeskanzlei anerkannte externe Stelle bestätigt sein. Aus der Bedeutung ­ wenn auch nicht aus dem Wortlaut ­ dieser Bestimmung ergibt sich, dass diese Stelle die für diese Arbeit erforderlichen Kompetenzen besitzen muss.

Nach den von der Bundeskanzlei in den Jahren 2004­2005 im Rahmen der Inbetriebnahme der Systeme in Auftrag gegebenen und bezahlten Prüfungen (Audits) führte der Bund keine solchen Prüfungen mehr durch. Seit 2006 liegen diese Kontrollen in der Zuständigkeit der Kantone als Eigentümer der Systeme. Sie werden finanziell und organisatorisch von diesen übernommen. Das Thema der externen Kontrolle wurde durch diese unterschiedlich angegangen: Die kantonalen Gesetzgebungen befassen sich in sehr unterschiedlichem Mass mit dem Thema der externen Prüfungen.

Die Frage der externen Kontrollen wurde im Zusammenhang mit der Tätigkeit der 2011 eingesetzten technischen Arbeitsgruppe erneut geprüft. Die Arbeitsgruppe hat in Hinblick auf die Erweiterung von Vote électronique einheitliche Anforderungen definiert, was die Kontrolle durch externe Instanzen betrifft. Diese werden im zweiten Teil dieses Berichts180 vorgestellt.

4.4.2

Begleitgruppen

Pro System wurden sogenannte Begleitgruppen als Stellen geschaffen, welche die Systeme vom Beginn ihres Aufbaus an begleiteten. Sie bestehen aus Vertreterinnen und Vertretern anderer Kantone und des Bundes, verfügen hauptsächlich über Kompetenzen im Bereich der politischen Rechte und der Verwaltung von Systemen für Vote électronique und dienen als eine Art «Peer Review» bei der Planung eines Systems und seiner späteren Veränderungen.

180

Siehe Ziffer 12.1.2.

5148

Die Begleitgruppen fungieren zurzeit als von der Bundeskanzlei anerkannte externe Stellen, die die Systemänderungen beurteilen. Angesichts des Fehlens der für eine eingehende Prüfung nötigen Ressourcen entsprechen die Kontrollarbeiten einer Begleitgruppe jedoch nicht einer externen Prüfung gemäss Artikel 27l Absatz 2 VPR. Dazu müssten Institutionen beigezogen werden, die auf das Auditieren von Informatiksystemen spezialisiert sind.

Die eingesetzten Begleitgruppen tagen regelmässig auf Verlangen der Bundeskanzlei, die sie koordiniert und leitet. Meistens nehmen sie die am fraglichen System bzw. Projekt vorgenommenen Änderungen an einer eintägigen Sitzung zur Kenntnis.

Gegen Unterzeichnung einer Nichtoffenlegungsvereinbarung (NDA) erhalten sie auch die erforderliche Dokumentation, um die Änderungen in ihrem Wesen zu verstehen und zu beurteilen. Anschliessend erhalten sie Gelegenheit, ihre Einschätzung auf der Grundlage eines Berichts über die Beurteilung der Änderungen abzugeben.

Der Schlussbericht mit den Empfehlungen der Begleitgruppe wird ins Dossier des kantonalen Gesuchs an den Bundesrat aufgenommen. Die Bundeskanzlei leitet die Empfehlungen an das System weiter. Die Empfehlung der Bundeskanzlei zur Genehmigung des Bundesrates stützt sich auf den Bericht der Begleitgruppe. Wenn die Bundeskanzlei von der Empfehlung der Begleitgruppe abweicht, muss sie dies in ihrem Antrag begründen.

4.4.3

Bundesrätliches Bewilligungsverfahren

Der Bundesrat kann gemäss Artikel 8a BPR Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe genehmigen. Er kann diese auf einen Teil des Hoheitsgebiets, bestimmte Daten und bestimmte Vorlagen beschränken, um die Risiken zu minimieren. Dabei muss er festlegen, für welches Gebiet bzw. für welche Gruppen von Stimmberechtigten die Ergebnisse der elektronischen Stimmabgabe rechtliche Wirkungen mit Bindung der Behörden haben181 und für welche Urnengänge die elektronische Stimmabgabe zulässig ist182. Die in der VPR festgelegten Bedingungen sind kumulativ zu erfüllen.

Die Genehmigungsgesuche der Kantone müssen insbesondere eine detaillierte technische Dokumentation umfassen. Die Genehmigung des Bundesrates wird für jeden Kanton separat und nicht einem System für alle Kantone, die es einsetzen, erteilt.

Die VPR enthält technische und organisatorische bzw. juristische Vorschriften, die alle erfüllt sein müssen, damit der Bundesrat die elektronische Stimmabgabe erlauben kann. Die technischen Vorschriften umfassen dabei die in Ziffer 4.3 erwähnten Sicherheitsanforderungen. Bei einer Systemänderung muss sichergestellt werden, dass die Systemsicherheit nicht abnimmt und die Vorschriften der VPR weiterhin eingehalten werden. Dazu muss der Bundesrat über die nötigen Angaben zur fraglichen Systemanpassung verfügen. Anschliessend erfolgt eine Anscheinsbeurteilung der technischen Veränderungen durch die Experten der Bundeskanzlei und ­ je nach Umfang der Anpassung ­ der Begleitgruppe des betroffenen Systems, die auch eine 181 182

Art. 27c Bst. c VPR.

Art. 27c Bst. a VPR.

5149

Evaluation der Verfahren und der Organisation beinhaltet. Im Übrigen beschränkt sich die Bundeskanzlei darauf zu kontrollieren, ob die Kantone alle Fragen beantworten; sie kann die Richtigkeit aller Erklärungen der Kantone jedoch nicht systematisch überprüfen. In diesem Sinne wird davon ausgegangen, dass die Konformitätserklärungen Selbstdeklarationen sind, deren Kontrolle auf kantonaler Ebene erfolgt.

Eine der aktuellen Schwierigkeiten besteht darin, eine Systemanpassung eindeutig als solche zu erkennen: Ab wann ist eine Veränderung ausreichend erheblich, um eine externe Kontrolle gemäss Artikel 27l Absatz 2 VPR zu rechtfertigen? Heute informieren die Kantone regelmässig über die geplanten Veränderungen, und die Bundeskanzlei entscheidet fallweise, ob die Begleitgruppe einzuberufen ist. In Zukunft ist vorgesehen, den Begriff der Systemanpassung klar zu definieren und die wichtigen Anpassungen einer externen Prüfung zu unterziehen183.

4.4.4

Internationale Empfehlungen

Die Frage der externen Kontrollen wird in den Leitlinien für die Kontrolle und Zertifizierung184 des Europarats behandelt. Dieses Instrument versteht sich als Ergänzung zur Empfehlung (2004) 11 über die elektronische Stimmabgabe. Es basiert auf den Überlegungen einer Expertengruppe185, die zwischen 2010 und 2011 tagte.

Der Begriff Systemzertifizierung wurde wie folgt definiert:

183 184 185

­

Die Zertifizierung eines Informatiksystems erfolgt durch eine akkreditierte Stelle, die bescheinigt, dass das betreffende Informatiksystem bestimmte, vorher festgelegte Anforderungen erfüllt.

­

Das Informatiksystem wird getestet, um festzustellen, ob es diese Anforderungen erfüllt. Die Tests oder Beurteilungen des Systems erfolgen durch zuständige Stellen: die akkreditierte Stelle oder (besser) einen von dieser akkreditierten und beaufsichtigten Beauftragten.

Ziffer 12.1.2.

Siehe Ziffer 1.8.1.

Siehe insbesondere die Arbeiten von Melanie Volkamer et al., Elektronische Wahlen: Verifizierung vs. Zertifizierung (http://epub.uni-regensburg.de/21295/1/ Volkamer_et_al_-_GI_2009_-_Elektronische_Wahlen.pdf): «Das Zertifikat enthält das Merkmal zur eindeutigen Identifikation des Systems, die Anforderungen gegen die geprüft wurde, das Vertrauens- bzw. Angreifermodell auf dessen Basis evaluiert wurde und die Prüftiefe (d.h. wie umfangreich geprüft wurde ­ angefangen mit einer High-Level Sichtung der Architektur über verschiedene Tests, einer Source Code Analyse bis hin zu einem formalen Beweis, dass das System, die geforderten Eigenschaften erfüllt). Das Zertifikat gilt genau für diese Zusammensetzung. Mit der erfolgreichen Zertifizierung weist der Hersteller eines IT-Systems nach, dass sein Produkt die erforderlichen Sicherheitsanforderungen erfüllt. Das Produkt wird damit für den Benutzer vertrauenswürdig, da er weiss, dass es von einer qualifizierten und unabhängigen Stelle überprüft und für sicher befunden wurde. Idealerweise wird die Evaluation und die Zertifizierung von zwei unterschiedlichen und unabhängigen Instanzen durchgeführt.»

5150

­

Am Ende des Evaluierungsverfahrens und auf der Grundlage der Evaluierungsberichte bescheinigt die Zertifizierungsstelle, dass das betreffende System die vorher festgelegten Bedingungen erfüllt.

­

Die Zertifizierung ist bei jeder Veränderung des Systems zu erneuern.

Diese Definition der Zertifizierung scheint mit dem Schweizer System der Akkreditierung durch Konformitätsbewertungs-, Anmelde- und Zulassungsstellen, die Prüfungen oder Konformitätsbewertungen von Waren vornehmen oder analoge Tätigkeiten in Bezug auf Personen, Dienstleistungen oder Verfahren durchführen186, vereinbar.

Der Genfer Ansatz, der die ISO-Norm 27001 über die technische und organisatorische Sicherheit der Stimmabgabe über das Internet übernehmen will, wurde der erwähnten Expertengruppe des Europarats vorgestellt.

Die Frage, ob der Europarat zu einer Zertifizierungsstelle werden könnte, die den Anbietern von Systemen so die Möglichkeit gäbe, eine (einzige) Zertifizierung für die Einhaltung der Anforderungen der Empfehlung (2004) 11 zu erhalten, wurde aufgeworfen, aber nicht beantwortet.

Die technische Arbeitsgruppe hat hinsichtlich einer Ausweitung von Vote électronique wie gesehen Anforderungen zur externen Kontrolle definiert. Diese berücksichtigen das Schweizer System der Akkreditierung und stellen gleichzeitig eine Zertifizierung im Sinne der obigen Definition sicher.

5

Vertrauen, Transparenz und Beobachtbarkeit der elektronischen Stimmabgabe

Die Erfahrung zeigt, dass bei Vote électronique Vertrauen und Transparenz (einschliesslich der Beobachtbarkeit der elektronischen Stimmabgabe) eng verknüpft sind. Die Öffentlichkeit, zumindest in der Schweiz, vertraut zwar grossmehrheitlich den für die Wahlen und Abstimmungen zuständigen Behörden ganz grundsätzlich und unabhängig vom Stimmkanal. Die Skeptikerinnen und Kritiker legen jedoch grossen Wert auf Transparenz. Transparente Verfahren ­ zum Beispiel die Möglichkeit des Zugangs zum Quellcode der Applikation oder dessen Veröffentlichung, die Publikation der Auditberichte oder die Möglichkeit, die Parametrisierung der Urne, das Funktionieren des Systems und die Auszählung der elektronischen Stimmen zu beobachten ­ haben direkten Einfluss darauf, wie gross das Vertrauen dieses Teils der Stimmberechtigten in die Systeme ist.

5.1

Rolle des Vertrauens

Vertrauen spielt eine bedeutende Rolle bei der Ausübung der politischen Rechte in der Schweiz. Es wirkt in beide Richtungen: Die Behörden vertrauen den Stimmberechtigten bei der Stimmabgabe, und die Stimmberechtigen vertrauen den Behörden bei der Durchführung der Wahlen und Abstimmungen. Die beiden Berichte von OSZE und BDIMR über die Beurteilung der Nationalratswahlen von 2007 und 2011 unterstreichen diese Tatsache.

186

Akkreditierungs- und Bezeichnungsverordnung vom 17. Juni 1996 (SR 946.512).

5151

Der Grundsatz des Vertrauens gilt auch für die elektronische Stimmabgabe, wie der OSZE-Bericht187 ebenfalls festhält. Dies mag erklären, warum der neue Kanal in der Schweiz nur am Rande (hauptsächlich von Informatikspezialistinnen und -spezialisten) in Frage gestellt wird. Gleichzeitig bedeutet es jedoch auch, dass ein mögliches technisches Problem grosse Schäden anrichten kann ­ vor allem beim Vertrauen.

Nach Meinung des Bundesrates und auch der betroffenen Kantone zeigen der Erfolg der elektronischen Stimmabgabe, insbesondere bei den Auslandschweizerinnen und -schweizern, die von den Helpdesks festgestellte Zufriedenheit, das positive Medienecho, die Motivation der Gemeinden zur Einführung von Vote électronique und die eher seltene Kritik, dass der neue Kanal in der Öffentlichkeit grosses Vertrauen geniesst.

Beispiele: Der Kanton Luzern hat beobachtet, dass das Vertrauen der Stimmberechtigten Auslandschweizerinnen -schweizer in Vote électronique hoch ist. Das wird daraus entnommen, dass in den bisherigen Abstimmungen rund 45 Prozent der teilnehmenden Stimmberechtigten und damit ein hoher Anteil von der Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe Gebrauch macht. Die Anfragen auf der Hotline beschränkten sich auf zirka 10 Anfragen pro Stimmabgabe. Diese sind meistens technischer Natur.

Der Kanton Schaffhausen stellt fest, dass die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe sehr begrüsst wird. Seitens der Öffentlichkeit und der Stimmberechtigten besteht Vertrauen in die EDV-Lösung und den sachgerechten Umgang mit der Stimmabgabe. Die Richtigkeit der Stimmabgabe wurde von keiner stimmberechtigten Person je bezweifelt.

5.2

Transparenzanforderungen

Um Vertrauen in den neuen Stimmkanal zu schaffen bzw. zu erhalten, ist die Gewährleistung grösstmöglicher Transparenz die wohl wichtigste Massnahme.

Die Bundesgesetzgebung über die politischen Rechte enthält keine Regeln zur Transparenz der Dokumentation und der Verfahren für die elektronische Stimmabgabe. Dazu wird auf das kantonale Recht verwiesen.

Das Öffentlichkeitsgesetz des Bundes (BGÖ)188 gilt für alle Dokumente im Besitz des Bundes. Die von den Kantonen und Systemen erstellten Dokumente darf die für das Projekt zuständige Bundeskanzlei aber nicht ohne Zustimmung der Kantone veröffentlichen, weil dies die Beziehungen zwischen Bund und Kantonen oder zwischen Kantonen beeinträchtigen könnte189. Auch andere Gründe können gegen eine Veröffentlichung von Dokumenten rund um die elektronische Stimmabgabe sprechen190. Dies ist fallweise zu beurteilen.

Auch die Kantone verfügen über Normen zur Transparenz der allgemeinen Behördentätigkeiten. In einem Kanton sieht das Gesetz über die Ausübung der politischen Rechte vor, dass die kantonale Gesetzgebung zur Transparenz auf bestimmte sensible Dokumente im Zusammenhang mit der Sicherheit des Systems und seinem Quellcode nicht anwendbar ist; eine beschränkte Einsichtnahme in den Quellcode ist 187 188 189 190

Siehe Ziffer 1.8.1, Ziffer 9 und Anhang 4.

Siehe Ziffer 1.4.1.

Art. 7 Bst. e BGÖ.

Art. 7 BGÖ.

5152

jedoch möglich191. Die übrigen Kantone, die das Öffentlichkeitsprinzip kennen, haben keine besonderen Bestimmungen verabschiedet, wenden aber ähnliche Praktiken an, mit denen die Veröffentlichung sensibler Informationen zur Sicherheit der Systeme ausgeschlossen wird.

Die Bundeskanzlei hat zusammen mit den Kantonen einen Leitfaden zur Umsetzung des Öffentlichkeitsprinzips bei Vote électronique erarbeitet, der im Mai 2012 durch die Arbeitsgruppe Vote électronique genehmigt wurde. Ziele sind die Erreichung einer «Unité de doctrine» und einer noch grösseren Transparenz durch die Veröffentlichung einer möglichst hohen Zahl von Dokumenten.

Insbesondere die Frage der Einsehbarkeit des Quellcodes wird immer wieder diskutiert. Dies wird pro System unterschiedlich gehandhabt. Der Umgang mit dem Quellcode hängt von vertraglichen Bindungen und Rechtsgrundlagen eines Kantons ab, weshalb eine Vereinheitlichung hier schwierig ist. Mittel- bis langfristiges Ziel gemäss dem von Bund und Kantonen gemeinsam erarbeiteten Leitfaden ist aber auch hier die grösstmögliche Transparenz, ohne rechtliche oder vertragliche Bestimmungen zu verletzen. Beim Genfer System, das gänzlich durch den Kanton betrieben wird, ist der Quellcode grundsätzlich für Stimmberechtigte ohne wirtschaftliches Interesse aus Kantonen, die das Genfer System verwenden, nach Unterzeichnung einer Nichtoffenlegungsvereinbarung (NDA) bei der zuständigen Behörde einsehbar. Beim Zürcher und Neuenburger System, bei dem private Unternehmen involviert sind, gestaltet sich diese Frage schwieriger. Für internationale Wahlbeobachter wie etwa jene der OSZE im Jahr 2011 legten die Kantone ihren Quellcode bei Berücksichtigung einer NDA auf Verlangen offen.

5.3

Beobachtungsanforderungen

Nur transparente Systeme können auch von externen Expertinnen und Experten beobachtet werden. Die Frage der Transparenz hängt daher eng mit jener der Beobachtbarkeit zusammen.

Die parteigebundene oder parteiunabhängige, interne oder internationale Beobachtung ist im BPR nicht ausdrücklich vorgesehen, aber solche Formen der Beobachtung sind auch nicht ausgeschlossen192. Gemäss Artikel 27 Absatz 3 VPR muss z.B.

während der Öffnung der elektronischen Urne jeder Zugriff auf das System oder auf eine seiner Komponenten durch mindestens zwei Personen erfolgen; er muss protokolliert werden, und er muss von einer Vertretung der zuständigen Behörde kontrolliert werden können.

Die parteigebundene Beobachtung, d.h. die Präsenz von Beobachterinnen und Beobachtern der Parteien, wird meistens im kantonalen oder kommunalen Recht geregelt.

191 192

Es ist dies der Kanton Genf (vgl. Art. 60 Abs. 6­8 LEDP).

In seiner Antwort auf die Interpellation Haering vom 16. Dezember 2005 (05.3875, «Wahlbeobachtungen in der Schweiz») schreibt der Bundesrat: «Das Bundesrecht enthält keine Bestimmungen, die den Empfang ausländischer Wahlbeobachter in der Schweiz ausschliessen würden».

5153

In einer 2001 von Prof. Dr. Andreas Auer und Nicolas von Arx im Auftrag der Staatskanzlei des Kantons Genf durchgeführten Studie über die Legitimität der Stimmabgabe über das Internet193 gelangten die Autoren zu folgendem Schluss: «Um das Fehlen einer direkten Kontrolle der Auszählung und der amtlichen Feststellung des Ergebnisses durch die Bürger und die Parteien auszugleichen, sollte der weitestmögliche Zugang von Experten zu den Quellen des Betriebssystems vorgesehen werden. Diese Experten sollten nicht nur vom Staat oder vom seinerseits beauftragten Unternehmen beauftragt werden, sondern den wichtigsten politischen Parteien oder den unabhängigen wissenschaftlichen Kreisen zur Verfügung stehen. Auch das mit einer Beschwerde eines Bürgers befasste Gericht muss zwingend Zugang zu den elektronischen Stimmzetteln haben und in der Lage sein, nötigenfalls mithilfe seiner eigenen Experten das ordnungsgemässe Funktionieren des Mechanismus zu überprüfen [...]» Bei der Beobachtung der elektronischen Stimmabgabe stellen sich Fragen nach den Modalitäten der Beobachtung, den zu beobachtenden Aspekten, der Beurteilung der Beobachtungen und der Festlegung des technischen «Benchmarkings».

Die internationalen Empfehlungen194 enthalten Antwortansätze. Die Empfehlung (2004) 11 erwähnt die Beobachtung nicht ausdrücklich, stellt jedoch die zentrale Idee der Beobachtung ­ Transparenz als Mittel zur Überprüfung der Integrität der Wahl ­ in den Mittelpunkt der elektronischen Stimmabgabe195. Das zu erreichende Ziel ist maximale Transparenz. Im Zusammenhang mit der internationalen Wahlbeobachtung macht die OSZE geltend, dass diese historisch gesehen zwar in den Transitionsländern erfolgte, solche Aktivitäten jedoch immer häufiger auch in den etablierten Demokratien und insbesondere in den Mitgliedstaaten des Europarats und der OSZE durchgeführt werden. Damit wird anerkannt, dass die Standards und Verpflichtungen bei Wahlen und Abstimmungen gleich auf alle Länder anwendbar sind. Trotz der vom Staat selbst eingerichteten Mechanismen für die Kontrolle von Wahlen bietet eine seriöse Wahlbeobachtung die Möglichkeit, unabhängig zu prüfen, ob sich die Behörden im Allgemeinen und die Wahlbehörden im Besonderen an das Gesetz und/oder die internationalen Standards halten und ihre Behauptungen wahr sind. Die Wahlbeobachtung ist folglich eine praktische Anwendung des Transparenzgrundsatzes, so wie er für die Durchführung demokratischer Wahlen vorgesehen ist.

193

Andreas Auer/Nicolas von Arx, «La légitimité des procédures de vote: les défis du e-voting», Genf 2001 (www.geneve.ch/evoting/doc/rapports/legitimite_e-vote.pdf).

194 Vgl. insbesondere das Handbuch von OSZE/BDIMR über die Wahlbeobachtung, die verschiedenen Berichte über die Beobachtung von Stimmabgaben über das Internet (siehe Ziff. 1.8.1) und den Leitfaden über die Wahlbeobachtung, den der Europarat in Zusammenarbeit mit der OSZE und einer Gruppe nationaler Expertinnen und Experten erstellt hat. Workshop Oslo, März 2010.

195 «Only those e-voting systems which are secure, reliable, efficient, technically robust, open to independent verification and easily accessible to voters will build the public confidence which is a pre-requisite for holding e-voting ...».

5154

5.4

Massnahmen im Zusammenhang mit Transparenz und Beobachtung

5.4.1

Datenschutz

Die VPR196 enthält Mindestanforderungen an den Datenaustausch (Register, Ergebnisse) zwischen beherbergten und beherbergenden Kantonen. Die Daten sind gemäss den Anforderungen der qualifizierten Signatur laut dem Bundesgesetz über die elektronische Signatur vom 19. Dezember 2003197 zu verschlüsseln und zu signieren.

Diese Anforderungen müssen auch in Bezug auf den Austausch von Daten mit privaten Unternehmen präzisiert werden. In der Praxis handelt es sich vor allem um private Systembetreiber und Druckereien.

Im Übrigen ist die Datenschutzgesetzgebung von Bund und Kantonen massgebend.198

5.4.2

Information der Stimmberechtigten

Die Information der Stimmberechtigten wurde von Beginn der Projekte an sichergestellt und im Rahmen der Ausweitung von Vote électronique auf die Auslandschweizerinnen und -schweizer verstärkt199.

Ursprünglich schickten die Kantone Informationsblätter über die elektronische Stimmabgabe zusammen mit dem Stimmmaterial zu jeder Abstimmung. Seit einiger Zeit werden diese Informationen ständig auf den entsprechenden Websites veröffentlicht. Die Informationen beziehen sich auf die Organisation und den Ablauf der elektronischen Stimmabgabe, ihre Besonderheiten und die Nutzung, aber auch auf ihre Risiken und eventuelle Probleme, die auftreten könnten. Die Informationen sind auf jeden Fall in den drei offiziellen Amtssprachen verfügbar.

Weitere Informationshilfsmittel wie Medienmitteilungen, amtliche Veröffentlichungen (z.B. Publikationen im Bundesblatt, Broschüre «Vote électronique ­ ein Gemeinschaftsprojekt von Bund und Kantonen» der Bundeskanzlei etc.) sowie Informationen von Kantonen und Gemeinden wie z.B. Merkblätter und Hotlines für Vote électronique werden ebenfalls genutzt.

Beispiel: Der Kanton Neuenburg führte eine aktive Informationskampagne zum «Guichet unique» in den Einkaufszentren, Gemeinden und Dienstleistungsstellen, die Leistungen anbieten, sowie Kinos, der Presse und auf der Website des Kantons durch. In Genf enthält die amtliche Broschüre, die den Stimmberechtigten zugeschickt wird, eine zweiseitige Gebrauchsanweisung für die elektronische Stimmabgabe. Diese beiden Seiten werden durch einen sehr umfassenden FAQ-Abschnitt auf Französisch, Englisch und Deutsch auf der Website des Kantons ergänzt. Der FAQ-Abschnitt ist durch Klicken auf einen Link direkt von der Abstimmungs-Website aus erreichbar. Im Übrigen steht während der Abstimmungen ein

196 197 198 199

Art. 27kbis VPR.

Bundesgesetz vom 19. Dezember 2003 über die elektronische Signatur (SR 943.03).

Siehe Ziffer 1.4.1.

Art. 27d Abs. 3 VPR.

5155

per Telefon und E-Mail erreichbares Helpdesk zur Verfügung. Auf 50 bis 70 elektronische Stimmabgaben kommt durchschnittlich ein Anruf beim Helpdesk. Der Anteil schwankt stark200. Die meisten übrigen Fragen beziehen sich auf das oft vergessene «s» in der Adresse der Website zur Stimmabgabe (https://www.evote-ch.ch) sowie den Heimatort, der in Genf zur Identifizierung bei der elektronischen Stimmabgabe verwendet wird. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass die Aufnahme neuer Gemeinden in die Gruppe der für Online-Abstimmungen zugelassenen Gemeinden keine Zunahme der Inanspruchnahme des Helpdesk verursacht. Der Kanton Genf schliesst daraus, dass das System einfach und mit den meisten von den Stimmberechtigten verwendeten Konfigurationen aus Betriebssystem/Webbrowser kompatibel ist.

5.4.3

Ausbildung der Mitarbeitenden

Die Ausbildung der Mitarbeitenden, d.h. des (angestellten oder freiwilligen) Personals, das sich zu irgendeinem Zeitpunkt mit der elektronischen Stimmabgabe oder den entsprechenden Schnittstellen befasst, ist in den Kantonen unterschiedlich geregelt.

Im Kanton Zürich sowie den Consortium-Kantonen hat das Generalunternehmen die für die elektronische Stimmabgabe in den Kantonen verantwortlichen Personen ausgebildet. Diese haben ihrerseits die in den an Vote électronique beteiligten Gemeinden verantwortlichen Personen geschult. Die Projektverantwortlichen schulen und begleiten auch ihre eigenen Mitarbeitenden. Diese Personen unterstehen dem Amtsgeheimnis.

In Neuenburg handelt es sich um technische Fachleute. Sämtliche Vorgänge im Zusammenhang mit der elektronischen Stimmabgabe werden von den Systemadministratoren (Informatikdienst) in Anwesenheit der Wahlkommission erledigt. Alle Mitarbeitenden, die befugt sind, im Umfeld des «Guichet Unique» und der elektronischen Stimmabgabe tätig zu sein, werden gemäss einem Beschluss des Regierungsrats vom 13. Oktober 2010 vereidigt201.

In Genf sichert ein dreiköpfiges, der Staatskanzlei angeschlossenes Team den reibungslosen Ablauf und die Nachverfolgung aller Vorgänge. Es ist für die Projektleitung zuständig, bestätigt die Änderungen an der «E-Voting-Plattform», aktualisiert das Mapping, modelliert die sich ständig wandelnden Prozesse, analysiert die neuen Bedürfnisse und verfolgt ihre Umsetzung. Um die Stellvertretung und den Wissenstransfer für eine kontinuierliche Aktivität zu gewährleisten, wird eine interne Weiterbildung für das Team und die Stellvertreterinnen und Stellvertreter im Informatikzentrum oder der Staatskanzlei organisiert. Dieses Team schult auch die durch den Kanton Genf beherbergten Kantone.

200

Je nachdem ob Microsoft, Apple oder Oracle (Java) neue Versionen ihrer Betriebssysteme, ihres Webbrowsers oder von Java veröffentlicht haben, nachdem die Abstimmungsanwendung für eine bestimmte Abstimmung gesperrt wurde.

201 Siehe http://rsn.ne.ch/ajour/dati/f/pdf/15040.pdf.

5156

5.4.4

Rolle der Wahlkommission

Die Wahlkommission, so wie sie in zwei Kantonen (Neuenburg und Genf) existiert, wurde durch Bund und Kantone in der Roadmap und anschliessend auch von den OSZE-Beobachtern in ihrem Bericht vom Januar 2012 als vorbildliche Praxis identifiziert.

Es handelt sich um eine Aufsichtsstelle, die einen Teil der Systemschlüssel besitzt, Zugang zur Systemdokumentation hat und in einem Kanton über ausgedehnte Kontrollbefugnisse verfügt202. Die Wahlkommission ermöglicht eine umfangreiche Beobachtung der Stimmabgabe über das Internet.

Eine ihrer Aufgaben besteht darin, Stimmen in eine Kontrollurne203 abzugeben, die eingegebenen Resultate aufzuzeichnen und am Ende des Prozesses mit den in der Urne festgestellten Ergebnissen zu vergleichen. Die Kontrollurne ist nicht als solche erkennbar. Eine eventuelle Veränderung der Ergebnisse in der Kontrollurne ist ein starkes Indiz für ein Eindringen ins System und eine Ergebnismanipulation.

5.5

Überprüfung des Ergebnisses

Die VPR204 verlangt beim Auftreten von Problemen die Plausibilisierung des Ergebnisses.

In seinem Tätigkeitsbericht 2006­2007 befasste sich der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte mit der Frage des «Paper Trail», d.h. des Beweises durch die Stimmabgabe auf Papier, einschliesslich der elektronischen Stimmabgabe. Hierbei ist festzuhalten, dass der «Paper Trail» in keiner Weise zur Stimmabgabe über das Internet beiträgt. Es mussten andere Verfahren zur Überprüfung der Ergebnisse ins Auge gefasst werden. Laut VPR sollten folgende Massnahmen eingeführt werden: ­

Kontrollurne;

­

Vergleich mit den Antworten der anderen Kanäle (Ja- und Nein-Anteil pro Kanal);

­

Vergleich mit den Log-Dateien.

Alle drei Systeme sehen diese Massnahmen vor.

Die Kantone Zürich, Genf und Aargau nutzen ausserdem statistische Methoden, um Plausibilitätskontrollen durchzuführen205. Mithilfe von relativ vollständigen Datenbanken über die Ergebnisse der Kantone bei verschiedenen Arten von Vorlagen über einen vergleichsweise langen Zeitraum können die Ergebnisse bei einer bestimmten Vorlage «vorhergesehen» oder «kontrolliert» werden. Genf führt seit 2010 systematisch solche an die kantonale Wahlkommission übermittelten Kontrollen durch und

202 203 204 205

Siehe Ziffer 1.7.2.

Siehe Ziffer 5.5.

Art. 27nbis VPR.

Beispiel: Analyse der Ergebnisse nach dem «Benford-Gesetz» oder Gesetz über die Verteilung der Zahlen einer Serie basierend auf der ersten Ziffer und dem Modell der binominalen Regression, d.h. dem Vergleich zwischen dem «üblichen politischen Verhalten» einer Gemeinde und dem Abstimmungsergebnis.

5157

veröffentlicht im Internet eine Tabelle der Ergebnisse pro Abstimmungskanal auf kantonaler Ebene.

Bei den statistischen Methoden drängen sich zwei Anmerkungen auf: Erstens sind sie trotz ihrer Bedeutung nicht für die elektronische Stimmabgabe verwendbar, weil die für eine Plausibilisierung erforderliche Datenbasis nur in beschränktem Mass vorliegt. Zweitens sind dank statistischer Methoden erhaltene Antworten nur Hinweise: Ihnen wird keinerlei Rechtswirkung zuerkannt. Schliesslich ist die Plausibilisierung keine Kontrolle im engeren Sinne und ersetzt folglich keine eventuelle Neuauszählung.

Die Nachzählung hat bei der elektronischen Stimmabgabe nicht die gleiche Bedeutung wie bei der manuellen Auszählung, bei der das Fehlerrisiko sehr viel höher ist.

Ein korrekt funktionierendes Programm führt immer zum selben Ergebnis, das von einem zweiten, ebenfalls korrekt funktionierenden Programm bestätigt wird. Die Überprüfung der Ergebnisse ist folglich nicht mehr so sehr wie bei der Stimmabgabe auf Papier mit der Auszählung und möglichen Auszählungsfehlern verbunden, sondern eher mit den vorgelagerten Schritten der elektronischen Stimmabgabe. Sie zielt auf den Erhalt einer Bestätigung ab, dass die Stimmabgabe weder auf dem privaten Computer noch auf dem Übertragungskanal noch auf den Vote-électronique-Servern verändert wurde.

Eine zweite Auszählung einschliesslich der elektronisch abgegebenen Stimmen ist immer möglich. Wenn eine Unregelmässigkeit festgestellt wird, die das Ergebnis eines Urnengangs ungültig macht und von der Kantonsregierung als begründet anerkannt wird, muss diese im Prinzip die Wiederholung des Urnengangs im betroffenen Wahlkreis bzw. in den betroffenen Wahlkreisen anordnen. Bis heute war keine Nachzählung der elektronischen Stimmen erforderlich.

Dank neuer, in der wissenschaftlichen Fachliteratur präsentierter Methoden zur Verifizierbarkeit können sich alle Stimmberechtigten oder Vertreterinnen und Vertreter der Stimmberechtigten vergewissern, dass ihre Stimme angekommen ist und so ausgezählt wurde, wie sie abgegeben wurde. Deshalb nimmt der Plausibilisierungsbedarf mithilfe der genannten Methoden ab. Die Verifizierbarkeit wird im Teil II des Berichts diskutiert206.

6

Finanzielle Aspekte

6.1

Gemeinsame Kostenberechnungsgrundlage

Im Jahr 2011 haben Bund und Kantone in der Roadmap festgehalten, dass die Kosten der Entwicklung und des Betriebs der Systeme für Vote électronique künftig transparenter ausgewiesen werden sollen. Damit werden in erster Linie zwei Ziele verfolgt: ­

206

Einerseits sollen konkrete Zahlen betreffend die Kosten der Einführung, des Betriebs und der Weiterentwicklung der Systeme für Vote électronique vorliegen.

Siehe Ziffer 12.1.1.

5158

­

Andererseits sollen solche Zahlen gut miteinander vergleichbar sein. Dazu haben sich die Kantone darauf geeinigt, bei der Berechnung der Kosten von Vote électronique die gleichen Kostenposten auszuweisen.

Im Februar 2011 haben sich Bund und Kantone auf eine gemeinsame Berechnungsgrundlage für die Erhebung der Kosten von Vote électronique einigen können207.

Die Kantone haben die entsprechende Tabelle anschliessend mit ihren Projektkosten ausgefüllt. Die Bundeskanzlei hat die Angaben zusammengefasst und analysiert. Die Ergebnisse dieser Analyse werden hier summarisch präsentiert.

Bevor die Kosten dargestellt werden, gilt es einige Präzisierungen anzubringen. So variieren die Kosten für die Einführung von Vote électronique und für den Betrieb der Systeme von Kanton zu Kanton zum Teil stark, was u.a. auf folgende Faktoren zurückzuführen ist: ­

Entwicklung des Systems (verwaltungsinterne Entwicklung vs. Entwicklung durch eine externe Firma);

­

Betrieb des Systems (verwaltungsinterner Betrieb vs. Externalisierung des Betriebs);

­

Projektorganisation auf kantonaler Ebene (eigenständige Projektstruktur mit kantonalem Projektverantwortlichen vs. Integration von Vote électronique in die bestehenden Strukturen ohne zusätzlichen Projektverantwortlichen);

­

Ausgestaltung der Prozesse (z.B. unterschiedliche Ausgestaltung und Herstellung des Stimmrechtsausweises);

­

Ausgestaltung der Information der Stimmberechtigten.

Für die konventionellen Stimmkanäle liegen zurzeit keine konsolidierten Angaben zu den Kosten vor. Die Kosten für Vote électronique könnten aber nur unter Berücksichtigung dieser Zahlen in den richtigen Kontext gestellt und analysiert werden.

An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass die Kantone selbstständig entscheiden, wie viel sie in das Projekt investieren wollen. Dementsprechend fallen die Kosten für Vote électronique höher oder tiefer aus. Der Bund gibt lediglich minimale Standards vor, die von den Kantonen zu erfüllen sind.

6.2

Kosten von Vote électronique

Zwischen 2008­2012 haben die Kantone mit eigenem System gemäss eigenen Angaben für die Weiterentwicklung der Systeme je etwa 2,5 Millionen Franken investiert.

Die Kantone, die seit 2009 Vote électronique auf der Grundlage eines der bestehenden Systeme eingeführt haben, haben Investitionen für die nötigen Lizenzen, Hardware und Software sowie für die Beteiligung an der Weiterentwicklung der Systeme in der Höhe von rund 40 000­110 000 Franken getätigt. Diese Unterschiede sind v.a.

auf die vertraglich geregelte Verteilung der Kosten unter den Kantonen des Consortiums und den beim Kanton Genf beherbergten Kantonen zurückzuführen, die auch von der Anzahl Auslandschweizer Stimmberechtigten eines Kantons abhängen.

Dazu kommen in einigen Kantonen nötige Investitionen für die Harmonisierung 207

Siehe Anhang 5.

5159

bzw. Zentralisierung der Stimmregister sowie für die Anpassung der nötigen Schnittstellen. Diese Investitionen wurden in den Kantonen entsprechend abgeschrieben.

Neben den Kosten für die Hardware und die Software kommen die jährlich wiederkehrenden Betriebskosten hinzu. Ausgehend von vier Urnengängen pro Jahr kostet der Betrieb von Vote électronique pro zugelassenen Stimmberechtigten zwischen 11.80 und 22.80 Franken. Auch diese Unterschiede sind auf die oben erwähnten Faktoren zurückzuführen.

6.3

Einsparungen

Vote électronique ist zumindest in der Anfangsphase ein kostspieliges Projekt. Die Einführung der elektronischen Stimmabgabe bringt jedoch qualitative und quantitative Vorteile mit sich, die zumindest mittel- bis langfristig auch zu Einsparungen führen.

So werden die Aufwände bei der Stimmkontrolle sowie bei der Entgegennahme und Auszählung abgegebener Stimmen reduziert. Die Kosten für die Rückantwortporti für Briefstimmen, die zum Teil von den Gemeinden getragen werden, fallen weg.

Dank Vote électronique dauert die Auszählung der eingegangenen Stimmen deutlich weniger lange. Auch Statistiken zu Wahl- und Abstimmungsergebnissen sind innert kürzester Zeit verfügbar. Dies ist v.a. bei Wahlen, wo dies bei manueller Anfertigung sehr lange dauert, überaus wertvoll.

Ausserdem wird dank Vote électronique die Abgabe von ungültigen Stimmen verhindert. Die Stimmberechtigten können überdies besser durch den Wahl- und Abstimmungsprozess geführt werden.

Die direkte Demokratie hat ihren Preis; sie ist nicht zum Nulltarif zu haben. Dies gilt gleichermassen für alle drei Stimmkanäle. Vote électronique ist als eine Investition im Sinne der Stimmberechtigten zu verstehen.

6.4

Finanzielle Unterstützung des Bundes

Der Bund hat sich zu Beginn des Projekts an den Kosten für die Entwicklung der drei Systeme für Vote électronique beteiligt208. Die Pilotkantone wurden mit bis zu 80 Prozent der durch die Pilotversuche im Vergleich zu herkömmlichen Abstimmungen entstehenden Mehrkosten unterstützt. Ebenfalls vertraglich vereinbart wurde, dass die Ergebnisse der Pilotprojekte allen interessierten Kantonen unentgeltlich zur Verfügung stehen.

Für die Entwicklung der Systeme hat sich der Bund per Ende 2005 im Rahmen seiner vertraglichen Verpflichtungen mit insgesamt 5,96 Millionen Franken an den Entwicklungskosten und an den mit den Pilotversuchen in direktem Zusammenhang stehenden Ausgaben der kantonalen Pilotprojekte beteiligt209.

208 209

Siehe BBl 2006 5520 ff.

Kanton GE: CHF 1 410 000.­; Kanton NE: CHF 2 227 000.­; Kanton ZH: CHF 2 323 000.­ (BBl 2006 5522).

5160

Insgesamt sind für die Bundeskanzlei die folgenden Kosten angefallen: Kosten

Betrag (in CHF)

Beteiligung an den Entwicklungskosten der Systeme

5 960 000

Personalaufwände und Spesen für Arbeits- und Begleitgruppen

1 135 000

An Projekte Dritter geleistete Zahlungen

277 700

Im Vorfeld der Pilotversuche entstandene Kosten

153 000

Kosten für Sicherheitsgutachten und Begleitforschung Total

51 502 7 577 571

Zwischen 2006­2012 hat sich der Bund nicht direkt an den Kosten der Weiterentwicklung der Systeme für Vote électronique oder an der Ausdehnung von Vote électronique auf weitere Kantone beteiligt. Er hat aber ein Projektteam finanziert, das die kantonalen Projekte koordiniert. Ausserdem hat er die Kosten für die Übersetzungen der Internetseiten für Vote électronique übernommen und verschiedene Studien im Bereich der elektronischen Stimmabgabe finanziert. Er ist überdies für diverse Beratungsmandate aufgekommen und zeichnete verantwortlich für die schweizweite Kommunikation rund um Vote électronique. Konkret sind für den Bund 2006­2012 folgende Kosten im Zusammenhang mit den Versuchen mit Vote électronique entstanden: Kosten

Betrag (in CHF)

Personalkosten

1 713 969

In Auftrag gegebene Studien, Mandate (externe Expertinnen und Experten) und sonstige Aufwände

620 404

Übersetzungsaufwände

200 000

Kommunikationsaufwände Total

35 000 2 569 373

7

Beurteilung der Kantone

7.1

Zürich

Trotz einer positiven Beurteilung hatten insbesondere Schwierigkeiten beim Druck oder die starke Dezentralisierung in Zürich zur Folge, dass die Regierung die Versuche auf Ende 2011 unterbrochen und beschlossen hat, mehrere Vorhaben in Angriff zu nehmen (insbesondere die Zentralisierung der Stimmregister), bevor sie die Ausweitung von Vote électronique in Erwägung zieht.

In ihrem Bericht von 2011 gelangte die Zürcher Kantonsregierung zum Schluss, dass die elektronische Stimmabgabe im Zeitraum 2008­2011 keinen Einfluss auf die Stimmbeteiligung hatte. Die Stimmenden, die ihre Stimmen elektronisch abgegeben haben, hätten vorher grösstenteils brieflich abgestimmt.

5161

7.2

Neuenburg

Angesichts der Komplexität von Vote électronique stützt sich der Kanton Neuenburg bei seiner Lösung auf die Kompetenzen und Erfahrungen eines externen Unternehmens, das in sehr vielen solchen Projekten in der ganzen Welt mitwirkt, insbesondere in Norwegen, wo zum ersten Mal neue Instrumente zur Transparenz und zur Nachvollziehbarkeit zum Einsatz kamen. Diese Instrumente entsprechen den Kriterien für Systeme der zweiten Generation210.

Mit dem Konzept, die elektronische Stimmabgabe als Leistung des «Guichet Unique» anzubieten, wird es niemals möglich sein, ohne die flächendeckende Einführung eines Authentifizierungsinstruments wie der SuisseID 100 Prozent der Stimmberechtigten zu erreichen. Der Kanton Neuenburg möchte dennoch die Entwicklung von Vote électronique vorantreiben und mittelfristig Transparenz- und Verfizierbarkeitskonzepte in die Lösung integrieren. Dies verlangt nach sehr hohen Investitionen, die Neuenburg nicht allein tragen können wird. Es gilt daher, eine Lösung für die Finanzierung zu finden.

7.3

Genf

Die Staatskanzlei des Kantons Genf hat 2011/2012 eine Debatte über die Zukunft seines Systems für Vote électronique durchgeführt. Daraus ist ein Dokument entstanden, das die wichtigsten Achsen für die Entwicklung des Systems selbst, aber auch des rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmens festlegt. Dazu gehören insbesondere die folgenden Elemente: ­

Die Transparenz des Systems soll durch eine Zertifizierung verbessert werden.

­

Es sollen auf individueller und auf kollektiver Ebene Verfizierbarkeitsfunktionen angeboten werden.

­

Mehrere Urnengänge sollen parallel durchgeführt werden können; die Auslastungsgrenze soll deshalb sowohl insgesamt als auch für die einzelnen parallelen Prozesse erhöht werden.

­

Die Computer der Stimmberechtigten sollen so gut wie möglich in den gesicherten Bereich integriert werden und aber gleichzeitig mit einem Maximum an Konfiguration aus Webbrowser und Betriebssystem kompatibel sein.

­

Die Sicherheit soll durch einen Tiefenschutz, eine Kontrolle des Nutzerverhaltens, Massnahmen gegen Eindringen und Sabotage und einen verstärkten Schutz gegen interne Angriffe verbessert werden.

Insgesamt listet dieser Bericht 34 in Kapitel211 eingeteilte Massnahmen auf, die nach und nach umgesetzt werden sollen. Sie sind drei Prioritätsstufen zugeordnet. Die individuelle Verifizierbarkeit und die Ausdehnung der Stichkontrollen bei der brieflichen Stimmabgabe auf die elektronische haben oberste Priorität, ebenso die Zertifizierung des Systems nach der ISO-Norm 9000 und die Aufhebung der Einschrän210 211

Siehe Ziffer 12.1.1.

«Transparenz» (10 Massnahmen), «Rechtliche Aspekte» (6), «Formale Aspekte» (8) und «Funktionale Aspekte» (10).

5162

kung des Quellcodezugangs, der heute den Genfer Stimmberechtigten vorbehalten ist.

Beispiel einer Beurteilung der Beherbergungserfahrungen durch einen Kanton ohne eigenes System (Bern): Gestützt auf den Berner Regierungsratsbeschluss vom 12. Januar 2011212 hat die Staatskanzlei bei der kantonalen Abstimmung vom 15. Mai 2011 einen ersten Pilotversuch mit der elektronischen Stimmabgabe durchgeführt. Zugelassen waren Auslandschweizerinnen und -schweizer der Gemeinden Bern, Biel/Bienne, Bolligen, Langenthal und Muri. Die Möglichkeit zur brieflichen oder persönlichen Stimmabgabe an der Urne bestand weiterhin.

Von den 3098 Auslandschweizer Stimmberechtigten der fünf Pilotgemeinden durften 2569 ihre Stimme elektronisch abgeben (rund 83 %). 529 Personen konnten aufgrund bundesrechtlicher Vorgaben («Wassenaar-Klausel») nicht elektronisch abstimmen.

Die allgemeine Stimmbeteiligung betrug mit 200 843 Stimmenden von 712 298 Stimmberechtigten 28,2 Prozent. Die Stimmbeteiligung der zu Vote électronique zugelassenen Personen lag damit 2,7 Prozentpunkte über der allgemeinen Stimmbeteiligung.

Die Nutzungsquote von 61,9 Prozent ist ­ auch im Vergleich mit anderen E-GovernmentAnwendungen ­ ein sehr guter Wert. So betrug z.B. jene von «TaxMe-Online» (Steueranwendung des Kantons Bern) im Jahr 2010 29,4 Prozent213.

Die Staatkanzlei hat beim Pilotversuch vom 15. Mai 2011 eine Umfrage bei den Auslandschweizerinnen -schweizern der fünf Pilotgemeinden durchgeführt. Die Umfrage bezog sich auf die folgenden Themenbereiche: ­ Bewertung und zukünftige Nutzung von E-Voting; ­ Verständlichkeit der Abstimmungs-Website und des neuen Abstimmungsmaterials; ­ Bewertung der Dienstleistungen des Helpdesks.

Die Auswertung der Umfrage hat die nachstehenden Resultate ergeben: ­ 98 Prozent der elektronisch Abstimmenden würden in Zukunft elektronisch anstatt brieflich abstimmen (89 % immer, 9 % eher elektronisch als brieflich).

­ 91 Prozent aller Befragten gehen davon aus, dass ihnen die elektronische Stimmabgabe einen Vorteil in Bezug auf die rechtzeitige Stimmabgabe bringt. Bei den elektronisch Abstimmenden sind es 96 Prozent; bei den brieflich Abstimmenden sind es 42 Prozent.

­ Für 93 Prozent aller Befragten überwiegen die Vorteile von Vote électronique gegenüber der brieflichen Stimmabgabe. Dies gilt für 98 Prozent der elektronisch
Abstimmenden und für 40 Prozent der brieflich Abstimmenden.

­ Die neuen Abstimmungsunterlagen werden sowohl von den deutsch- als auch von den französischsprachigen Abstimmenden als gut bis sehr gut verständlich beurteilt.

­ 86 Prozent der Personen, die den Helpdesk kontaktiert haben, konnte weitergeholfen werden.

212 213

Beschluss des Berner Regierungsrates vom 12. Januar 2011, RRB 0003/2011.

TaxMe-CD: 26,5 %, CD andere: 14,0 %, Papier: 30,1 %.

5163

8

Wissenschaftliche Beurteilungen

8.1

Schweizer E-Voting-Seminare

Seit 2009 haben das «Schweizer Kompetenzzentrum E-Voting»214 und die Bundeskanzlei zusammen drei Workshops zum Thema Vote électronique organisiert: ­

Im Rahmen des ersten Workshops 2009 wurde die Transparenz der Systeme für Vote électronique thematisiert215.

­

2010 wurden die technischen Aspekte der Systeme in den Mittelpunkt der Diskussionen gesetzt216.

­

Der letzte Workshop vom September 2012217 hat sich mit den juristischen, politischen und technischen Herausforderungen des Projektes auseinandergesetzt. Ziel dieses Workshops war, Brücken zwischen den am Projekt der Einführung der elektronischen Stimmabgabe beteiligten Akteuren zu schlagen.

Die Auswertung der Workshops hat gezeigt, dass diese Anlässe von Seiten der Politik, der Verwaltung, der Wissenschaft und der Fachbranche gleichermassen geschätzt werden.

8.2

Studie der Berner Fachhochschule

In Februar 2011 hat die Bundeskanzlei der Berner Fachhochschule den Auftrag erteilt, die Möglichkeit der Entwicklung eines verifizierbaren Vote-électroniqueSystems218 für Wahlen und Abstimmungen zu prüfen.

Im August 2011 hat ein Forschungsteam der BFH die Studie mit dem Titel «Konzept und Implikationen eines verifizierbaren Vote électronique-Systems» der Bundeskanzlei unterbreitet219. Die BFH hat ein umfassendes Konzept für ein sicheres und verifizierbares System für Vote électronique vorgelegt. Im Zentrum des Konzepts steht ein kryptographisches Wahlprotokoll, das darauf ausgelegt ist, die kritischen Sicherheitsanforderungen zu erfüllen und die Verifizierung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Stimmgeheimnisses zu ermöglichen.

Gemäss dem Konzept sollen für die Verifizierung sämtliche im Stimmabgabe- und Auszählungsprozess anfallenden Daten veröffentlicht werden. Die einzelnen Schritte könnten somit von einer beliebigen Person oder Stelle nachvollzogen und überprüft werden. Zur Wahrung des Stimmgeheimnisses sieht das System sogenannte Treuhänder (Institutionen oder Einzelpersonen) vor. Ihre Aufgabe besteht darin, geheime Informationen vertraulich zu halten, sodass die Stimmen nur bei aktiver Zusammenarbeit aller Treuhänder entschlüsselt werden könnten.

214 215 216 217 218 219

Siehe https://www.e-voting-cc.ch/.

Unterlagen zum Workshop 2009: https://www.e-voting-cc.ch > Workshops > Workshop 09 > Slides.

Unterlagen zum Workshop 2010: https://www.e-voting-cc.ch > Workshops > Workshop 10 > Slides.

Unterlagen zum Workshop 2012: https://www.e-voting-cc.ch > Workshops > Workshop 12 > Slides.

Eine Definition der Verifizierbarkeit findet sich auf im Ziffer 12.1.1.

www.bk.admin.ch > Themen > Politische Rechte > Vote électronique > Berichte und Studien).

5164

Eine sichere Plattform bildet im Konzept der BFH die Grundvoraussetzung für die Einführung der Verifizierbarkeit. Die am häufigsten eingesetzten Plattformen (PC, Smartphones etc.) gelten allgemein als anfällig. Mit dem Einsatz eines vertrauenswürdigen Wahlgeräts, mit dem die eigentliche Wahlhandlung durchgeführt wird, würde das Problem der unsicheren Plattformen umgangen. Dies würde Wahlen und Abstimmungen gemäss BFH noch sicherer machen.

Nach einer Evaluation der Studie durch die Bundeskanzlei wurde auch eine Vernehmlassung bei den Kantonen, die sich an den aktuellen Versuchen mit Vote électronique beteiligen, durchgeführt. Die Bundeskanzlei kam dabei zu folgender Einschätzung: ­

Der Vorschlag der BFH stellt eine längerfristige Perspektive dar.

­

Die Einführung eines vertrauenswürdigen Wahlgeräts ist aus mehreren Gründen kurz- bis mittelfristig nicht umsetzbar: Einerseits stellt die Einführung eines solchen Wahlgeräts grosse logistische und organisatorische Herausforderungen dar, insbesondere was die Verbreitung betrifft. Andererseits wird die Akzeptanz für ein solches Gerät zum heutigen Zeitpunkt bei der breiten Bevölkerung als noch nicht gegeben erachtet.

­

Die Studie dient dennoch der aktuellen Weiterentwicklung von Vote électronique: Sie konnte bei der Erarbeitung neuer Konzepte zur Umsetzung der Verifizierbarkeit in den bestehenden Systemen als Referenz herangezogen werden220.

Die Forscher der BFH, die das Konzept erarbeitet haben, wirkten denn auch in der durch die Bundeskanzlei geleiteten technischen Arbeitsgruppe mit, die Vorschläge für die Weiterentwicklung der aktuellen Systeme definiert hat221. So konnte sichergestellt werden, dass ihr im Rahmen der Studie angeeignetes Wissen bei der Erarbeitung der neuen Sicherheitsstandards einfliesst.

8.3

Andere Studien und Beurteilungen

8.3.1

Forschungsarbeit der ETH Zürich

Die Benutzerplattformen (im Allgemeinen sind dies die Computer der Wählenden) stehen ausserhalb des Bereichs, der von den Behörden kontrolliert werden kann. Sie bilden zurzeit den verwundbarsten Teil von Vote électronique. Dadurch erklärt sich der Wunsch nach umsetzbaren Mechanismen, die eine sichere Stimmabgabe auch im Fall einer von Schadprogrammen befallenen Benutzerplattform erlauben. Zwar sind in der Literatur schon seit Längerem sehr sichere Mechanismen bekannt. Allerdings wäre die Benutzerfreundlichkeit bei einer Umsetzung stark beeinträchtigt. Im Jahr 2009 hat die Bundeskanzlei deshalb eine Forschungsarbeit an der ETH Zürich in Auftrag gegeben, in deren Rahmen nach umsetzbaren Lösungen für das «Problem der unsicheren Plattform» geforscht wird. Die Ergebnisse werden Ende 2013 erwartet.

220 221

Siehe Ziffer 12.1.1.

Siehe Ziffer 12.1.

5165

In der Zwischenzeit hat die technische Arbeitsgruppe von Bund und Kantonen die Verifizierbarkeit als künftige Sicherheitsanforderung definiert222. Diese löst das Problem der unsicheren Plattform in einem genügenden Mass; Manipulationen durch die Benutzerplattformen können zwar nicht verhindert, aber immerhin erkannt werden. Dennoch erhofft sich die Bundeskanzlei von der Forschungsarbeit weiterführende Ergebnisse, die es beispielsweise erlauben würden, eine konkrete Umsetzung der Verifizierbarkeit zu beurteilen. Ebenfalls erhofft sie sich hinsichtlich der Zukunft weitere Lösungen oder Lösungsansätze für das Problem der unsicheren Plattform.

8.3.2

Studie «E-democracy in Switzerland»

2010 haben die Forscher Urs Gasser, Jan Gerlach, Richard Stauber und James Thurman eine Studie zur E-Demokratie in der Schweiz veröffentlicht223. Darin beschreiben und beurteilen die Autoren die Implikationen der Benutzung von Internet für die demokratischen Prozesse in der Schweiz.

Die Autoren sind der Auffassung, dass die Einführung des Internets neue Opportunitäten für die direkte Demokratie eröffnen wird.

8.3.3

Studie «Three Case Studies from Switzerland: E-Voting»

2009 haben die Forscher Urs Gasser und Jan Gerlach eine Fallstudie zur schweizerischen Erfahrung mit der elektronischen Stimmabgabe für die Harvard Universität veröffentlicht224. Die Studie setzt sich mit den Versuchen von Vote électronique in den Kantonen Zürich und Genf auseinander.

Gemäss dieser Studie hat die Einführung der elektronischen Stimmabgabe einen positiven Einfluss auf die Stimmbeteiligung sowie auf die Qualität der Stimmabgabe und hilft bei der Umsetzung der politischen Rechte.

Die Studie evaluiert auch die Risiken, die mit der elektronischen Stimmabgabe über das Internet verbunden sind, und stellt fest, dass die Sorgen um die Integrität des Wahlprozesses in der Schweiz sich nicht materialisiert haben. Die Frage betreffend die digitale Kluft und den Zugang zu den neuen Technologien wird in der Studie ebenfalls erörtert. Die Autoren der Studie sind der Auffassung, dass auch die Regierung sich mit solchen Fragen auseinandersetzten sollte.

222 223

Siehe Ziffer 12.1.1.

Gasser Urs/Gerlach Jan/Stauber Richard/Thurman James, E-democracy in Switzerland.

Practice and Perspectives, Dike, Zürich 2010.

224 Die Studie kann unter folgendem Link heruntergeladen werden: http://cyber.law.harvard.edu/sites/cyber.law.harvard.edu/files/ Gerlach-Gasser_SwissCases_Evoting.pdf.

5166

8.3.4

Studie «Swiss Democracy on the web 2010»

Ein Forschungsteam um Ana Maria Moreira hat die Implikationen der neuen Technologien und der neuen webbasierten Kommunikationsmittel auf unsere Demokratie und deren Institutionen evaluiert225. Einerseits analysiert die Studie die gesellschaftliche Entwicklung unter dem Einfluss der Verbreitung von Internet. Andererseits macht sie eine Auslegeordnung über die Art und Weise wie Internet zur Förderung der politischen Beteiligung in der Schweiz und im Ausland verwendet wird. In diesem Kontext wird auch die Einführung der elektronischen Stimmabgabe erörtert.

9

Internationale Wahlbeobachtung

Die OSZE und das BDIMR beobachtete die eidgenössischen Wahlen vom 23. Oktober 2011226. In ihrem Bericht vom 30. Januar 2012 stellen die Expertinnen und Experten von OSZE und BDIMR fest, dass die Schweiz eine gut funktionierende und tief verwurzelte Demokratie sei. Die kantonalen Besonderheiten und die verschiedenen Vorschriftsebenen (Bund, Kantone und Gemeinden) auf dem Gebiet der politischen Rechte erweisen sich für die externen Beobachterinnen und Beobachter als Herausforderung.

Im Zentrum der Arbeit der Wahlbeobachterinnen und -beobachter stand ­ als eines der neuen Elemente ­ die elektronische Stimmabgabe. Dies zeigt sich auch im Bericht: 13 der 23 Empfehlungen betreffen direkt und drei indirekt diesen neuen Abstimmungskanal227.

9.1

Positive Aspekte

Die Expertinnen und Experten von OSZE und BDIMR loben die Schweiz für ihren vorsichtigen Ansatz bei der schrittweisen Einführung von Vote électronique und unterstreichen die Bedeutung dieses Vorgehens beim Aufbau des notwendigen Vertrauens in diesen neuen Kanal.

Sie stellen fest, dass Vote électronique eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung geniesst. Sie führen weiter aus, dass die Stimmberechtigten wie auch bei den anderen Kanälen den für die Handhabung der neuen Abstimmungsmöglichkeit zuständigen Behörden grosses Vertrauen entgegenbringen.

Die OSZE und das BDIMR halten auch fest, dass die Einführung von Vote électronique einer Forderung der Auslandschweizerinnen und -schweizer entspricht und im Rahmen einer Reihe von Massnahmen zu sehen ist, dank denen die Empfehlungen von OSZE und BDIMR in ihrem Evaluationsbericht zu den eidgenössischen Wahlen von 2007 umgesetzt werden sollen.

Die Organisation und die im Fall von Problemen vorgesehenen Massnahmen (Krisenmanagement) werden als vorbildliche Praxis angesehen.

225

Ana Maria Moreira et al. (2010), Swiss Democracy on the web 2010, Heft IDHEAP 259/2010.

226 Siehe Ziffer 1.8.1.

227 Die Empfehlungen befinden sich in Anhang 4.

5167

9.2

Kritische Aspekte

Laut OSZE und BDIMR sollten bestimmte Aspekte von Vote électronique, insbesondere im Zusammenhang mit den Kontrollverfahren und der Aufteilung der Verantwortung auf die verschiedenen beteiligten Akteure, detaillierter in den Rechtsgrundlagen vorgesehen und geregelt werden.

Vor allem in den Kantonen, die einen Teil von Vote électronique an Dritte auslagern, sollten die kantonalen Kapazitäten und Kompetenzen gestärkt werden.

Betont wird auch die Notwendigkeit einer rechtlichen Grundlage für die parteiunabhängige, interne und internationale Wahlbeobachtung einschliesslich der elektronischen Stimmabgabe228. Im Bericht wird aber unterstrichen, dass die OSZE und das BDIMR keine Probleme oder Schwierigkeiten beim Zugang hatten.

Verfahrensrechtliche und technische Verbesserungen sind in Erwägung zu ziehen.

Eine weitere Empfehlung, die sich für eine «Institutionalisierung» des Austauschs vorbildlicher Praktiken zwischen den Kantonen ausspricht, wird seit Beginn des Projekts Vote électronique umgesetzt, insbesondere in der Arbeitsgruppe Vote électronique, deren Hauptauftrag darin besteht, über regelmässige Kontakte die vorbildlichen Praktiken in den Kantonen zu identifizieren und zu fördern.

Ein Grossteil der Empfehlungen befand sich zum Zeitpunkt der Wahlbeobachtung bereits in der Umsetzungsphase229.

228 229

Diese Empfehlung fand sich auch im Bericht über die Wahlen von 2007.

Vgl. die Massnahmen in der von der Staatsschreiberkonferenz im Frühling 2011 diskutierten Roadmap Vote électronique, www.bk.admin.ch > Themen > Politische Rechte > Vote électronique > Überblick.

5168

Teil II: Perspektiven 10

Gliederung des zweiten Teils

Der zweite Teil des vorliegenden Berichts hat zum Ziel, gestützt auf die Evaluation der zwischen 2006 und 2012 durchgeführten Versuche (Teil I) die Perspektiven rund um die elektronische Stimmabgabe aufzuzeigen.

Konkret gilt es die Bedingungen für die Weiterführung von Vote électronique und damit die langfristige Aufhebung der aktuellen Beschränkungen zu definieren. Ziffer 11 zeigt zu diesem Zweck zuerst die Ziele für die Weiterentwicklung von Vote électronique auf. Anschliessend wird auf folgende Fragen eingegangen: Erhöhung der Limiten (Ziff. 11.2), freiwillige Einführung (Ziff. 11.3), Zielgruppen (Ziff. 11.4), Projektstruktur (Ziff. 11.5), Überarbeitung der Rechtsgrundlagen (Ziff. 11.6).

In Ziffer 12 stehen die technischen Grundlagen für die Weiterentwicklung der elektronischen Stimmabgabe im Fokus. Behandelt werden die Themen Sicherheit (Ziff. 12.1) und Funktionalität (Ziff. 12.2).

In Ziffer 13 wird der neu zu definierende Prozess des Risikomanagements diskutiert.

Ziffer 14 befasst sich mit den Prozessen der Behörden bei der Weiterentwicklung von Vote électronique, wie sie in den vorangehenden Kapiteln vorgeschlagen wird.

Es werden die neuen Abläufe rund um das Genehmigungsverfahren aufgezeigt.

Ziffer 15 erläutert die Kommunikation rund um Vote électronique.

Ziffer 16 widmet sich eingehend den rechtlichen Grundlagen für Vote électronique und insbesondere dem Anpassungsbedarf im Bundesgesetz über die politischen Rechte (Ziff. 16.1), der Verordnung über die politischen Rechte (Ziff. 16.2), dem neu zu erlassenden Technischen Reglement Vote électronique (Ziff. 16.3) sowie weiteren relevanten eidgenössischen und kantonalen Rechtsgrundlagen (Ziff. 16.4 bzw. Ziff. 16.5). Zuletzt wird auch auf (unverbindliche) internationale Standards im Bereich der elektronischen Stimmabgabe eingegangen (Ziff. 16.6).

In Ziffer 17 werden die finanziellen Auswirkungen der vorgeschlagenen Anpassungen untersucht.

Zum Schluss wird in Ziffer 18 das weitere Vorgehen aufgezeigt.

11

Weiterentwicklung von Vote électronique

11.1

Ziele für die Weiterentwicklung

Die Bundesversammlung hat den Bundesrat 2007 gestützt auf den zweiten Bericht des Bundesrates vom 31. Mai 2006 zu Vote électronique, in dem insbesondere die bis dahin durchgeführten Pilotversuche in den drei Kantonen Zürich, Neuenburg und Genf ausgewertet und positiv beurteilt wurden, beauftragt, die elektronische Stimmabgabe schrittweise einzuführen. Der Bundesrat hat diesen Auftrag der Bundeskanzlei, die auf Seite des Bundes für die politischen Rechte zuständig ist, erteilt. Die Bundeskanzlei hatte sich im Rahmen des Projekts Vote électronique folgende Ziele gesetzt:

5169

­

Kurzfristiges Ziel: Die Mehrheit der Auslandschweizer Stimmberechtigten kann bis 2012 elektronisch abstimmen.

­

Mittelfristiges Ziel: Die grosse Mehrheit der Auslandschweizer Stimmberechtigten kann anlässlich der Nationalratswahlen 2015 elektronisch wählen.

­

Langfristiges Ziel: Der dritte, komplementäre Stimmkanal steht allen Stimmberechtigten zur Verfügung.

Um diese Ziele erreichen zu können, hat die Bundeskanzlei 2011 die sogenannte «Strategische Planung Vote électronique» oder kurz «Roadmap Vote électronique» erarbeitet, in der sie die Herausforderungen in fünf Bereichen und darauf ausgerichtete Massnahmen sowie einen Zeitplan zu deren Umsetzung definiert hat230. Die Roadmap wurde im Rahmen der Staatsschreiberkonferenz mit den Kantonen abgesprochen. Bundeskanzlei und Kantone waren sich einig, dass die angestrebte Erhöhung der Limiten bzw. Aufhebung der aktuellen Beschränkungen nur im Gegenzug zum Ausbau der Sicherheit bei den heute im Rahmen der ersten Versuchsphase eingesetzten Systemen (Systeme der ersten Generation) erfolgen kann. Im Zentrum stand daher die Definition von gemeinsamen sicherheitstechnischen Standards mit Blick auf die Ausdehnung von Vote électronique. Die für Vote électronique zuständigen Stellen bei Bund und Kantonen waren der Ansicht, dass das bisherige schrittweise Vorgehen bei der Einführung des neuen Stimmkanals, das sich auch im internationalen Vergleich bewährt hat, weitergeführt werden soll. Es soll das Credo «Sicherheit vor Tempo» gelten. Die nachfolgenden Ausführungen berücksichtigen dies.

11.2

Erhöhung der Limiten

2012 ist die technische Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern aus Bund und Kantonen sowie Expertinnen und Experten aus Privatwirtschaft und Wissenschaft zum Schluss gekommen, dass die heutigen Systeme den in der Verordnung über die politischen Rechte definierten Sicherheitsanforderungen genügen, wenn die Limiten nicht erhöht werden. Der Erhöhung der Limiten ist die Umsetzung der in der erwähnten Arbeitsgruppe definierten neuen Sicherheitsanforderungen vorauszusetzen.

Künftig soll es weiterhin möglich sein, unter Wahrung der heute geltenden Begrenzung auf 30 Prozent des (kantonalen) Elektorats und die Auslandschweizer Stimmberechtigten die Systeme der ersten Generation, d.h. ohne die nachfolgend aufgeführten Anpassungen, unter den gleichen Bedingungen wie bis anhin weiter zu betreiben.

Mehrere Kantone, die heutzutage die elektronische Stimmabgabe ausschliesslich Auslandschweizer Stimmberechtigten zur Verfügung stellen, planen jedoch eine Ausdehnung auf ihre in der Schweiz wohnhaften Stimmberechtigten (z.B. Solothurn, St. Gallen, Aargau). Die Kantone Genf und Neuenburg, die bereits heute Inlandschweizerinnen und -schweizer in die Versuche einbeziehen, planen eine Erweiterung des in der Schweiz wohnhaften Elektorats. Um dies zu ermöglichen, sind die geltenden Limiten zu erhöhen. Während heute für alle Kantone die gleichen Limiten gelten, soll künftig pro System bzw. pro Kanton eine dem Projektstand 230

Siehe Ziffer 2.1.1.

5170

angepasste Limite zur Anwendung gelangen. Dies bedeutet, dass künftig unterschiedliche kantonale Limiten zur Anwendung kommen, was einem eigentlichen Paradigmenwechsel gegenüber heute entspricht. So werden die Kantone bei der Einführung bzw. Ausdehnung des neuen Stimmkanals von möglichst grosser Flexibilität profitieren können.

11.2.1

Erhöhung der kantonalen Limite

Die heutige Begrenzung auf 30 Prozent des kantonalen Elektorats und die Auslandschweizer Stimmberechtigten soll unter Berücksichtigung der für die Umsetzung der neuen Sicherheitsanforderungen vorgesehenen zwei Etappen (Ziff. 12.1.1) wie folgt erhöht werden: Umsetzung der neuen Sicherheitsstandards

Limite (kantonal)

Status quo

Keine Umsetzung

30 % (plus Auslandschweizer Stimmberechtigte)

Erste Etappe

Teilweise Umsetzung231

50 %

Zweite Etappe

Vollständige

Umsetzung232

100 %

Die Limiten sind selbstverständlich immer als Maximallimiten zu verstehen. Ein Kanton bzw. ein System darf davon profitieren, sobald die entsprechenden Anforderungen umgesetzt sind, muss sie aber nicht ausschöpfen. Es kann sein, dass ein Kanton z.B. aus politischen Gründen nicht die volle Limite, die ihm zustehen würde, ausnützen möchte.

Kantone, welche die neu definierten Sicherheitsstandards umsetzen (siehe Ziff. 12.1.1), dürfen ein erweitertes Elektorat einbeziehen und erfahren dadurch einen Mehrwert. Dies erlaubt es Kantonen, welche die elektronische Stimmabgabe früher generalisieren wollen als andere, vorwärtszugehen, ohne dass sie durch Kantone, die weniger weit fortgeschritten sind, gebremst würden. Umgekehrt geraten die anderen Kantone aufgrund des schnellen Vorangehens einiger Kantone bei diesem Ansatz nicht in Zugzwang.

11.2.2

Erhöhung der Bundeslimite

Auch die bundesweite Limite von 10 Prozent ist im Hinblick auf die Erhöhung der kantonalen Limite im Gegenzug zur (etappenweisen) Umsetzung der neuen Sicherheitsanforderungen anzupassen. Die zwei definierten Etappen zur Umsetzung der neuen Sicherheitsanforderungen sollen hier ebenfalls berücksichtigt werden.

In einer ersten Phase sollen künftig bis zu 30 Prozent der Stimmberechtigten zur elektronischen Stimmabgabe zugelassen werden. Dies bedeutet bei rund 5,1 Millionen Stimmberechtigten, dass in allen Kantonen, die die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe anbieten, insgesamt höchstens rund 1,5 Millionen Personen ihre 231 232

Siehe Ziffer 12.1.1.

Siehe Ziffer 12.1.1.

5171

Stimme elektronisch abgeben können. Diese Limite wird in der ersten Etappe aus Gründen der Risikominimierung nach wie vor tief angesetzt. Hinsichtlich der Einführung der Systeme der zweiten Generation ist keine zusätzliche Risikominimierung über eine Beschränkung des zugelassenen Elektorats vorgesehen.

Nachfolgend ist die Erhöhung der Bundeslimite für das gesamtschweizerisch zugelassene Elektorat in Abhängigkeit vom kantonal zugelassenen Elektorat ausgewiesen.

Kantonal zugelassenes Elektorat

Bundeslimite Gesamtschweizerisches Elektorat

Elektorat der Kantone, welche die neuen Sicherheitsstandards nicht (bis zu 30 %) oder nur teilweise (erste Etappe ­ bis zu 50 %) umgesetzt haben

30 %

Elektorat der Kantone, welche die neuen Sicherheitsstandards komplett (zweite Etappe ­ bis zu 100 %) umgesetzt haben

unbeschränkt

Die Bundeslimite soll erst in einem weiteren Schritt ganz aufgehoben werden, wenn sich die nachfolgend vorgeschlagenen Neuerungen bewährt haben.

11.3

Freiwillige Einführung

Entsprechend der Kompetenzaufteilung im Bereich der politischen Rechte ist es den Kantonen überlassen, ob und wann sie Vote électronique einführen wollen. Schliesslich sind die Kantone zuständig für die Organisation und Durchführung auch eidgenössischer Urnengänge und tragen die Kosten hierfür. Der Entscheid über die Einführung der elektronischen Stimmabgabe soll daher im föderalistischen System der Schweiz auch weiterhin den Kantonen überlassen werden. Der Bundesrat hat dies bereits in seiner Antwort vom 9. November 2011 auf die Motion Fässler «Flächendeckendes E-Voting für Auslandschweizerinnen und -schweizer bis 2015» (11.3879) der verfassungsmässigen Ordnung entsprechend bestätigt. Die Motion will die Kantone gesetzlich dazu verpflichten, bis zu den eidgenössischen Wahlen 2015 allen berechtigten Auslandschweizerinnen und -schweizern die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe anzubieten. Der Bundesrat vertritt die Ansicht, dass sich der bisherige partnerschaftliche Ansatz bewährt hat. Die Zusammenarbeit zwischen der Bundeskanzlei und den Kantonen einerseits und den Kantonen untereinander andererseits funktioniert sehr gut. Der Projektstand variiert jedoch stark von Kanton zu Kanton und auch die Erwartungshaltungen der Kantone gegenüber dem Projekt sind sehr unterschiedlich. Ein Zwang seitens des Bundes zur Einführung der elektronischen Stimmabgabe würde den gewählten partnerschaftlichen Ansatz zunichtemachen. Ausserdem legt die verschiedenartige Ausgestaltung der politischen Rechte in den einzelnen Kantonen eine Realisierung auf freiwilliger Basis und zu einem von den Kantonen selber bestimmten Zeitpunkt nahe. Die Einführung der neuen Technologie ist komplex; sie setzt ein sorgfältiges und auf die kantonalen Bedürfnisse abgestimmtes Vorgehen voraus. Eine überstürzte Einführung von Vote électronique gegen den Willen einzelner oder mehrerer Kantone dürfte dem Projekt mehr schaden als nützen.

5172

11.4

Zielgruppen

Bei der Einführung der Stimmabgabe via Internet wurden folgende drei Zielgruppen mit je spezifischen Bedürfnissen und unterschiedlicher Priorisierung identifiziert: ­

Auslandschweizer Stimmberechtigte (Ziff. 11.4.1)

­

Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung (Ziff. 11.4.2)

­

In der Schweiz wohnhafte Stimmberechtigte (Ziff. 11.4.3)

Nachfolgend soll pro Zielgruppe aufgezeigt werden, inwiefern das Projekt Vote électronique weiterentwickelt werden soll.

11.4.1

Auslandschweizer Stimmberechtigte

Die Auslandschweizer Stimmberechtigten wurden aus den in Teil I genannten Gründen bisher priorisiert behandelt233. So haben seit 2008 alle Kantone mit Vote électronique ihre im Ausland wohnhaften Stimmberechtigten in die Versuche einbezogen. Kantone ohne eigenes System bieten im Rahmen der Einführung von Vote électronique sogar ausschliesslich dieser Gruppe die Stimmabgabe via Internet an.

Dies erfolgte in Übereinstimmung mit der Zielsetzung in der 2007 erarbeiteten E-Government-Strategie Schweiz, in der Vote électronique als priorisiertes Vorhaben gilt234.

Der Bund empfiehlt Kantonen, welche die elektronische Stimmabgabe neu einführen wollen, im Rahmen der ersten Versuche auch künftig mit den Auslandschweizer Stimmberechtigten zu beginnen. Diese profitieren nicht nur am meisten vom neuen Kanal, sondern bilden auch eine überschaubare und abgrenzbare Gruppe, die sich gut für eine Testphase eignet. Bei einem solchen Vorgehen können erste Erfahrungen gesammelt und bestehende Prozesse wo nötig angepasst werden, bevor ein grosser Teil des Elektorats in die Versuche einbezogen wird. Die Ziele des Bundes235 konzentrieren sich denn auch bis zu den nächsten eidgenössischen Wahlen 2015 auf die Auslandschweizer Stimmberechtigten, was dem Mandat der E-Government-Strategie Schweiz236 entspricht. Ausserdem wurden dank der 2009 in Kraft getretenen Vorschrift zur Zentralisierung oder Harmonisierung der Stimmregister der Auslandschweizer Stimmberechtigten237 die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen.

233 234

Siehe Ziffer 2.2.

Siehe www.egovernment.ch > Umsetzung/Katalog > Katalog priorisierter Vorhaben. Das Ziel für Vote électronique (A 1.13) ist wie folgt umschrieben: «Neben der persönlichen Abstimmung und Wahl an der Urne und der brieflichen Stimmabgabe soll neu auch die Möglichkeit der Abstimmung mit elektronischen Mitteln möglich sein. Als erster Schritt sollen Wahlen und Abstimmungen für alle Auslandschweizer auf elektronischem Weg (eVoting) möglich sein. Die Lösungen sind die Basis für eine flächendeckende Ausbreitung für alle Bürger.» 235 Siehe Ziffer 2.1.

236 Siehe Ziffer 1.2.

237 Art. 5b BPRAS, siehe Ziffer 1.4.1.

5173

Einschränkung auf «Wassenaar-Staaten» Der Bundesrat hat bei den bisherigen Versuchen wie in Teil I238 aufgezeigt nur Auslandschweizerinnen und -schweizer zu Vote électronique zugelassen, die ihren Wohnsitz in einem EU-Staat haben oder aber in einem Staat, der das WassenaarAbkommen239 unterzeichnet hat (nachfolgend: «Wassenaar-Staat»). Folglich erhielten Auslandschweizer Stimmberechtigte, die in einem Nicht-Wassenaar-Staat angemeldet sind, keinen Zugang zu Vote électronique, selbst wenn der Kanton, in dem sie immatrikuliert sind, diese Möglichkeit grundsätzlich anbietet. Grund für diese Einschränkung war die Tatsache, dass die Übermittlung von verschlüsselten Daten nicht in allen Staaten zulässig ist. Auf eine Auflistung der Länder, von denen aus Vote électronique zugelassen oder nicht zugelassen werden soll, wurde aus politischen Gründen bewusst verzichtet.

Die Einschränkung wurde nun aber vor allem seitens der Auslandschweizer Stimmberechtigten selber und der ihre Interessen vertretenden ASO immer wieder kritisiert. Ausgerechnet in jenen Staaten, die das Abkommen nicht unterzeichnet haben, funktioniert die postalische Zustellung nämlich häufig schlecht. Den betroffenen Auslandschweizerinnen und -schweizern wird damit die Stimmabgabe faktisch verunmöglicht. Es stellt sich daher die Frage, ob die Einschränkung auf WassenaarStaaten künftig beibehalten werden soll oder ob auf zielführende Alternativen zurückgegriffen werden kann.

Das Stimmgeheimnis muss für Auslandschweizerinnen und -schweizer bei der elektronischen wie auch bei der brieflichen Stimmabgabe gewährleistet sein. Bei Vote électronique dient die Verschlüsselungstechnologie der Gewährleistung des Stimmgeheimnisses.

Falls eine stimmberechtigte Person über die Eingabe der relevanten Geheimelemente ihres Stimmrechtsausweises mit dem Stimmabgabeprozess beginnen kann, hat sie die Gewähr, dass die Verschlüsselungstechnologie vorhanden ist und funktioniert.

Dies wird in den allermeisten Ländern der Fall sein, so auch in Ländern, die das Wassenaar-Abkommen nicht unterzeichnet haben.

Ferner lässt sich das Wassenaar-Kriterium durch technische Mittel nicht lückenlos durchsetzen ­ Auslandschweizer Stimmberechtigte, die in einem Wassenaar-Staat leben, können ihre Stimme bereits heute auf beliebigem Staatsgebiet erfassen und abschicken, solange der
Zugang zum Internet nicht eingeschränkt ist. Zum Schutz des Stimmgeheimnisses müssen die Stimmberechtigten deshalb in jedem Fall ­ insbesondere unabhängig vom Staatsgebiet ­ darauf achten, dass ihre Computer sicher und geschützt sind.

Ausserdem muss das Ausmass der Problematik als gering bezeichnet werden, da nur sehr wenige Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer ihren Wohnsitz in einem Nicht-Wassenaar-Staat haben und wenige davon sich im gleichen Staat aufhalten. Die Auswirkungen auf das Resultat eines Urnengangs bei einem allfälligen Problem in einem Staat dürften daher gering sein.

Aus diesen Gründen soll künftig auf die Einschränkung auf Wassenaar-Staaten verzichtet werden. Stimmberechtigte, die ihren Wohnsitz in einem Staat haben, bei dem die Verwendung von Verschlüsselungstechnologie nicht möglich oder nicht 238 239

Siehe Ziffer 1.4.4.

Wassenaar-Abkommen vom 19. Dezember 1995/12. Mai 1996 über Exportkontrolle für konventionelle Waffen, Dual-Use-Güter und Technologien (www.wassenaar.org).

5174

erlaubt ist oder in denen die elektronische Stimmabgabe aus anderen Gründen als unsicher gelten muss, sollen aber auf die möglichen Konsequenzen der Stimmabgabe via Internet aufmerksam gemacht werden. Zu diesem Zweck müssen die Kantone künftig in den Stimmunterlagen (z.B. mit einem Merkblatt) und auf ihrer Internetseite über diese Problematik und allfällige Konsequenzen informieren.

Anschliessend ist es im Ermessen der betroffenen Person, ob sie ihre Stimme von ihrem Aufenthaltsstaat aus elektronisch abgeben will oder nicht.

Dies schafft auch eine Gleichbehandlung mit der brieflichen Stimmabgabe, die ebenfalls von allen Staaten aus erlaubt ist ­ unabhängig davon, ob das Brief- und Postgeheimnis gewährleistet ist.

Vereinfachte elektronische Wiederanmeldung Auslandschweizer Stimmberechtigte müssen sich nach der ersten Anmeldung bei einer Schweizer Vertretung in ihrer neuen Heimat alle vier Jahre wieder anmelden, damit sie die Schweizer Stimmunterlagen weiterhin erhalten. Aufgrund der parlamentarischen Initiative 08.522 «Vereinfachte Ausübung der politischen Rechte für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer» wurde das BPRAS dahingehend angepasst, dass die Stimmabgabe einer Auslandschweizerin oder eines Auslandschweizers automatisch als Wiederanmeldung gelten soll.

Nach der Meinung des Parlaments soll auch bei der elektronischen Stimmabgabe eine Möglichkeit geschaffen werden, die Wiederanmeldung zusammen mit der Stimmabgabe vorzunehmen. Die Kantone, die Vote électronique anbieten, haben der Bundeskanzlei bereits Konzepte zur Umsetzung dieser neuen Anforderung unter Wahrung des Stimmgeheimnisses vorgelegt. Die Bundeskanzlei hat diese für gut befunden. Sobald die neue Bestimmung in Kraft tritt, werden die Kantone mit Vote électronique innert der vorgeschriebenen Frist von 18 Monaten die Wiederanmeldung auch auf elektronischem Weg anbieten. In welcher Form und auf wann die beschlossene Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte in Kraft treten wird, ist mit Blick auf das geplante Auslandschweizergesetz240, das voraussichtlich auch das BPRAS übernehmen wird, noch unklar.

11.4.2

Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung

Im Bericht des Bundesrates aus dem Jahr 2006 wurden Stimmberechtigte mit einer Behinderung und insbesondere solche mit einer Sehbehinderung neben den Auslandschweizer Stimmberechtigten als zweite priorisierte Zielgruppe bei der Einführung der elektronischen Stimmabgabe definiert. Vote électronique erlaubt es dieser Gruppe von Stimmberechtigten, ihre Stimme zum ersten Mal ohne fremde Hilfe und damit unter Wahrung des Stimmgeheimnisses abzugeben. Aus diesem Grund trat auf den 1. Januar 2008 eine Bestimmung in Kraft, wonach die technische Umsetzung von Vote électronique die Bedürfnisse von Stimmberechtigten mit Behinderungen, namentlich mit Sehbehinderungen, zu berücksichtigen hat, soweit die Sicherheit und das Stimmgeheimnis dadurch nicht in unverhältnismässiger Weise eingeschränkt werden241. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch das Bundesgesetz 240

Parlamentarische Initiative Lombardi «Für ein Auslandschweizergesetz» (11.446) vom 15. Juni 2011.

241 Art. 27ebis VPR.

5175

vom 13. Dezember 2012 über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen oder kurz Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG)242. Im Vordergrund steht Artikel 14 Absatz 2 BehiG, der vorschreibt, dass Behörden ihre auf dem Internet angebotenen Dienstleistungen ohne erschwerende Bedingungen für Menschen mit einer Sehbehinderung zugänglich machen müssen.

Die Kantone mit einem eigenen System für Vote électronique haben bereits verschiedene Massnahmen implementiert, um den Zugang zu den Systemen für Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung zu erleichtern. Diese wurden zum Teil unter Einbezug von Menschen mit einer Sehbehinderung definiert und umgesetzt.

Auch wurden bei diesen Vorhaben internationale Standards berücksichtigt.

Es entspricht aber einer Tatsache, dass in der heutigen Projektphase erst wenige Schweizer Gemeinden einbezogen sind und damit auch nur ein Bruchteil der schweizweit Betroffenen von der elektronischen Stimmabgabe profitieren kann.

Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass Stimmberechtigte mit einer (Seh-) Behinderung anders als Auslandschweizer Stimmberechtigte nicht separat in den Stimmregistern geführt werden und daher keine abgrenzbare Gruppe bilden. Es ist auch schwierig zu definieren, welche Kriterien eine Person erfüllen muss, um als (seh-)behindert zu gelten und folglich zu Vote électronique zugelassen zu werden.

Andererseits durften die Kantone bei den bestehenden Limiten erst einen begrenzten Teil der in der Schweiz wohnhaften Stimmberechtigten einbeziehen. Anders als die Auslandschweizerinnen und -schweizer sind Stimmberechtigte mit einer Behinderung bei der heute geltenden Regelung nicht von diesen Limiten ausgenommen.

Aufgrund der beschriebenen Situation hat der Druck seitens der BehindertenOrganisationen in den letzten Monaten zugenommen. Verschiedene Gruppierungen haben beim Bund eingefordert, dass die in Aussicht gestellte Priorisierung nicht nur punkto Auslandschweizer Stimmberechtigte, sondern auch punkto Stimmberechtigten mit Behinderung gegenüber den Kantonen vehementer durchgesetzt wird. So hat z.B. die Organisation «Egalité Handicap» 2011 in einem Schreiben an die Bundeskanzlei ihre Forderungen hinsichtlich der Weiterentwicklung der Systeme für Vote électronique zum Ausdruck gebracht. 2012 hat die Stiftung «Zugang für Alle»
die Demo-Version des Zürcher Systems getestet und das entsprechende Video auf dem Internet publiziert.

Die Systeme stellen für Stimmberechtigte mit einer motorischen Behinderung gegenüber den konventionellen Stimmkanälen bereits heute einen grossen Vorteil dar, da sie für die Stimmabgabe nicht ins Wahlbüro oder auf die Post gehen müssen, sondern selbstständig von zu Hause aus ihre Stimme über das Internet abgeben können. Es ist aber richtig, dass noch gewisse sicherheitstechnische Hürden zu überwinden sind, bevor von vollständig behindertentauglichen Systemen gesprochen werden kann243. Die Kantone sind sich dieser Problematik bewusst und arbeiten an entsprechenden Lösungen. Auch der Bundesrat nimmt die Forderungen der Behinderten-Organisationen ernst. Im Hinblick auf die Anpassung der Rechtsgrundlagen für Vote électronique und auf die Umsetzung der neuen Anforderungen an die Systeme hat die Bundeskanzlei eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema ins Leben gerufen. Diese setzt sich aus Vertretern des Bundes, der Kantone sowie aus Vertreterinnen und Vertretern der Interessengruppen zusammen. In der Arbeitsgruppe sollen die wichtigsten technischen Aspekte erörtert werden. Politische Fragen rund um 242 243

SR 151.3 Siehe Ziffer 3.2.

5176

diese Problematik sollen auch identifiziert werden. Eine erste Sitzung wurde im Januar 2013 durchgeführt. Im Rahmen dieser Sitzung wurden das Mandat und die Ziele der Arbeitsgruppe festgelegt.

Der Bundesrat hofft, mit dem gewählten Vorgehen den Grundstein für einen regelmässigen Dialog und eine noch intensivere Zusammenarbeit mit den Betroffenen auch auf Stufe Bund gelegt zu haben. Ziel muss sein, dass die Bedürfnisse der Stimmberechtigten mit einer (Seh-)Behinderung im Rahmen der Weiterentwicklung der Systeme hin zu Systemen der zweiten Generation bestmöglich berücksichtigt werden.

11.4.3

Inlandschweizer Stimmberechtigte

Bei der aktuellen Versuchsphase bestehen wie gesehen Limiten von 10 Prozent (gesamtschweizerisch) und 30 Prozent (kantonal) beim zugelassenen Elektorat. Von der kantonalen Limite ausgenommen sind Auslandschweizer Stimmberechtigte, die als priorisierte Zielgruppe gelten.

Während die Pilotversuche in den drei Kantonen Zürich, Neuenburg und Genf zu Beginn des Projekts in erster Linie auf in der Schweiz wohnhafte Stimmberechtigte ausgerichtet waren, haben sich die Kantone, die sich einem der drei bestehenden Systeme angeschlossen haben, in Anlehnung an die Strategie des Bundes auf die Auslandschweizer Stimmberechtigten konzentriert.

Langfristiges Ziel von Bund und Kantonen ist und bleibt aber die schrittweise Einführung der elektronischen Stimmabgabe für alle Schweizer Stimmberechtigten, d.h.

die etappierte Erhöhung der Limiten auf 100 Prozent des gesamtschweizerischen Elektorats. Die elektronische Stimmabgabe soll sich als dritte, zu den bisherigen zwei Stimmkanälen komplementäre Möglichkeit der Stimmabgabe etablieren. Die Priorisierung der Auslandschweizer Stimmberechtigten kommt nur im Rahmen einer ersten Projektphase zur Anwendung. Die für die Auslandschweizer Stimmberechtigten entwickelten Lösungen dienen als Basis für die Ausdehnung auf die Inlandschweizer Stimmberechtigten.

Verschiedene Kantone planen, ihre Versuche mit Vote électronique mittelfristig auch auf die im Inland wohnhaften Stimmberechtigten auszudehnen oder aber einen grösseren Teil davon in die Versuche einzubeziehen. Der Bund unterstützt diese Pläne. Voraussetzung für die schrittweise Ausdehnung ist die vorgängige Weiterentwicklung der Systeme gemäss den von Bund und Kantonen gemeinsam definierten Sicherheitsstandards, d.h. die Einführung von Systemen der zweiten Generation244. Der Bund überlässt es im Sinne des föderalen Ansatzes den Kantonen, den Fahrplan zur Umsetzung dieser Standards und damit auch zum Einbezug eines erweiterten Elektorats zu definieren.

244

Siehe Ziffer 12.1.1.

5177

11.5

Projektstruktur

Der gewählte partnerschaftliche Ansatz hat sich in einem föderalen Staat mit derart unterschiedlichen Ausprägungen der politischen Rechte wie in der Schweiz als der zielführendste erwiesen. Die bisherige Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen im Rahmen der bestehenden Gremien (Steuerungsausschuss, Begleitgruppe und Arbeitsgruppe Vote électronique) hat sich bewährt. Dank dem seit längerer Zeit praktizierten ständigen Austausch der involvierten Partner im Rahmen von institutionalisierten Treffen ist die Identifikation und Verbreitung von vorbildlichen Praktiken sowie die regelmässige Weitergabe von für das Projekt relevanten Informationen gewährleistet. Dies entspricht auch einer im Bericht zur Wahlbeobachtung 2011 geäusserten Empfehlung von OSZE und BDIMR245.

Auch die teilweise neuartigen Wege der Zusammenarbeit zwischen den Kantonen untereinander (Beherbergungen und weitere Modelle der Zusammenarbeit) und zwischen Kantonen und privaten Anbietern waren von Erfolg gekrönt246. Die Kantone planen daher, diese Modelle weiterzuverfolgen. Der Bund überlässt es klar den Kantonen, wie sie sich inner- und interkantonal organisieren wollen.

Die im Jahr 2011 innerhalb der Bundeskanzlei vorgenommene Restrukturierung des Projekts und die damit verbundene Aufstockung der für Vote électronique eingesetzten Ressourcen auf Seiten des Bundes haben sich als erfolgreich erwiesen. Aus diesem Grund sollen an den aktuellen Projektstrukturen zumindest auf Stufe Bund keine Anpassungen vorgenommen werden.

Die Zusammenarbeit im internationalen Bereich auf der Basis des von der Bundeskanzlei entwickelten Konzepts «Internationale Zusammenarbeit im Bereich Vote électronique»247 hat ebenfalls gut funktioniert, weshalb auch hier keine Neuerungen angezeigt sind.

Verschiedentlich hat sich die Frage nach der Anzahl der Systeme gestellt. Aus Kostengründen mag es wünschenswert erscheinen, schweizweit nur noch ein einziges System weiterzubetreiben. Das parallele Bestehen dreier verschiedener Systeme hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Der Bund will den Kantonen, die für die Kosten von Vote électronique aufkommen, in dieser Frage keine Vorgaben machen; der Entscheid für ein bestimmtes System liegt in ihrer Kompetenz. Der Steuerungsausschuss Vote électronique hat diese Thematik behandelt und es wurde festgestellt, dass zum heutigen
Zeitpunkt seitens der Kantone der Wille zur Reduktion der Systeme (noch) nicht vorhanden ist. Langfristig schloss der Steuerungsausschuss aber nicht aus, dass eine solche Reduktion stattfindet. Hingegen steht angesichts der heutigen Kompetenzaufteilung und Rechtslage weder der Betrieb noch die Finanzierung eines Systems des Bundes zur Debatte.

Auf der anderen Seite besteht auch die Möglichkeit der Einführung neuer Systeme oder neuer Modelle der Zusammenarbeit, sofern dies seitens der Kantone gewünscht wird. Voraussetzung dafür wäre die Einhaltung der bundesrechtlichen Vorgaben im Rahmen von eidgenössischen Urnengängen.

245 246 247

Siehe Anhang 4.

Siehe Ziffer 1.4.3.

Siehe www.bk.admin.ch > Themen > Politische Rechte > Vote électronique > International.

5178

11.6

Überarbeitung der Rechtsgrundlagen

Wie im ersten Teil des vorliegenden Berichts aufgezeigt, wird die elektronische Stimmabgabe auf Stufe Bund bis anhin im BPR und in der VPR geregelt, wobei das Gesetz auf grundsätzliche Art und Weise Versuche mit Vote électronique zulässt, während die Verordnung im Rahmen von 19 Bestimmungen die konkreten Voraussetzungen dafür festlegt. Auch weitere Erlasse nehmen Bezug auf die elektronische Stimmabgabe oder sind mit Blick auf diese relevant.

Die geltenden Bestimmungen für Vote électronique wurden erarbeitet, noch bevor der erste Versuch mit Vote électronique durchgeführt wurde. Da zu diesem Zeitpunkt auch im internationalen Raum noch kaum Erfahrungen und daher auch keine vergleichbaren Rechtsgrundlagen rund um die elektronische Stimmabgabe vorhanden waren, konnte sich die Schweiz bei diesem innovativen Projekt nicht auf bestehende Standards abstützen. Die Bestimmungen der VPR wurden zwar im Verlauf des Projekts mehrfach leicht angepasst. Nach rund zehn Jahren Erfahrung ist es nun aber an der Zeit, die Regelungen zu Vote électronique grundlegend zu überarbeiten.

Im Vordergrund stehen dabei folgende Ziele: ­

Aktualisierung der Bestimmungen mit Blick auf die seit 2000 entwickelten (internationalen) Standards und wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der elektronischen Stimmabgabe;

­

Umsetzung der Erkenntnisse nach mehrjähriger praktischer Erfahrung;

­

Neugliederung der Normstufe der heutigen Bestimmungen.

Allgemein kann gesagt werden, dass in den Rechtsgrundlagen künftig klarere und zeitgemässere Kriterien für Systeme für Vote électronique sowie Kriterien für deren professionelle und unabhängige Überprüfung festgelegt werden müssen. Dies entspricht auch einer Empfehlung von OSZE und BDIMR im Nachgang zu der Beobachtung der Nationalratswahlen 2011.

Es entsprach einem bewussten Entscheid, zuerst im Rahmen von Pilotversuchen praktische Erfahrungen zu sammeln. Dabei wollte man in der Versuchsphase explizit nicht zu einschränkende Regelungen aufstellen, damit sich gute Lösungen entwickeln und dann in Form von vorbildlichen Praktiken verbreiten konnten. Bei den bestehenden Limiten von 10 bzw. 30 Prozent (bis Mai 2012: 20 %) war und ist dieses Vorgehen gerechtfertigt. Der schweizerische Ansatz des schrittweisen, kontrollierten Vorgehens wurde denn auch auf internationaler Ebene verschiedentlich positiv hervorgehoben. Mit Blick auf die Erhöhung und spätere Aufhebung der Limiten ist es nun aber angezeigt, die aus den Versuchen gezogenen Lehren und Erkenntnissen, wie sie im vorliegenden Bericht festgehalten sind, in die Rechtsgrundlagen zu überführen. Auch mit Blick auf die Weiterentwicklung der bisher eingesetzten Systeme hin zu Systemen der zweiten Generation248 müssen die aktuellen Bestimmungen überdacht und wo nötig an die technische Entwicklung angepasst werden. Ausserdem haben sich verschiedene Normen als in ihrer Formulierung zu eng oder zu weit oder aus anderen Gründen als nicht praxistauglich erwiesen.

248

Siehe Ziffer 12.1.1.

5179

Bei der Überarbeitung der Rechtsgrundlagen für Vote électronique soll auch künftig die bewährte schrittweise Ausdehnung berücksichtigt werden. Im Gegensatz zur bisherigen Praxis soll es aber möglich sein, pro System bzw. pro Kanton die dem Projektstand angepasste Limite anzuwenden249.

Auch die an den Versuchen beteiligten Kantone haben Rechtsgrundlagen für die elektronische Stimmabgabe erlassen. An dieser Stelle gilt es zu betonen, dass die bundesrechtlichen Bestimmungen rund um die elektronische Stimmabgabe nur bei eidgenössischen Urnengängen zur Anwendung kommen; sie gelten weiterhin nicht bei kantonalen und kommunalen Urnengängen. Auf dieser Ebene gelten einzig und alleine kantonale und allenfalls kommunale Regelungen.

Zu den eidgenössischen und kantonalen Rechtsgrundlagen treten zudem internationale Standards rund um die elektronische Stimmabgabe. Im Vordergrund stehen die Empfehlungen und Richtlinien des Europarats. Ausserdem haben die OSZE und das BDIMR im Rahmen der Beobachtung der Nationalratswahlen 2011, bei denen zum ersten Mal auch Versuche mit Vote électronique im Rahmen von eidgenössischen Wahlen durchgeführt wurden, 13 Empfehlungen rund um die elektronische Stimmabgabe abgegeben. Auch diesem unverbindlichen «soft law» soll bei der Überarbeitung der aktuellen Rechtsgrundlagen soweit sinnvoll Rechnung getragen werden.

12

Technische Grundlagen

Die bestehenden Beschränkungen des zur elektronischen Stimmabgabe zugelassenen Elektorats haben in einem starken Mass der Risikominimierung gedient. Bei einer allfälligen Ausdehnung auf einen grösseren Anteil des Elektorats muss sichergestellt sein, dass sich die identifizierten Risiken weiterhin in einem vertretbaren Rahmen bewegen. In diesem Sinn legt die Roadmap fest, dass eine Ausweitung von Vote électronique die Umsetzung erweiterter Sicherheitsmassnahmen erfordert. Das Thema Sicherheit wird in Ziffer 12.1 behandelt.

Um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu fördern, müssen Systeme für Vote électronique geeignete Funktionalitätsmerkmale aufweisen. Fragen zu Entwicklungen in der Funktionalität der Systeme für Vote électronique werden in Ziffer 12.2 diskutiert.

12.1

Sicherheit

Die technische Arbeitsgruppe hat unter der Leitung der Bundeskanzlei ­ gemeinsam mit den Kantonen und den Expertinnen und Experten aus Industrie und Wissenschaft ­ erörtert, wie ein genügend hohes Mass an Sicherheit bei einer schrittweisen Ausweitung der elektronischen Stimmabgabe auf 100 Prozent des gesamtschweizerischen Elektorats erreicht werden kann. Die technische Arbeitsgruppe konnte am Ende ihrer Arbeiten konkrete Vorschläge machen, welche Bedingungen für eine Ausweitung von Vote électronique erfüllt sein sollen. Systeme für Vote électronique, die diese Bedingungen erfüllen, nennen wir Systeme der zweiten Generation.

249

Siehe Ziffer 11.2.1.

5180

Es geht einerseits um konkrete Sicherheitsanforderungen (Ziff. 12.1.1) und anderseits um Bedingungen, wie die Einhaltung dieser Sicherheitsanforderungen durch Kontrollen überprüft werden sollen (Ziff. 12.1.2). In einem ersten Schritt soll ermöglicht werden, 50 Prozent des Elektorats elektronisch abstimmen zu lassen. Erst in einer zweiten Etappe kann das ganze Elektorat einbezogen werden.

In Ziffer 12.1.3 wird diskutiert, ob die elektronischen Urnen wie bis anhin am Samstag vor einem Abstimmungssonntag geschlossen werden sollen.

In Ziffer 12.1.4 wird die Frage des Zeitpunkts der Urnenentschlüsselung untersucht.

Einige Kantone haben den Wunsch geäussert, bereits am Samstag vor dem Abstimmungssonntag die verschlüsselten elektronischen Stimmen zu entschlüsseln. Die Ursache hinter dem Begehren liegt in der Befürchtung, dass ein System die Entschlüsselung nicht zeitgerecht vornehmen kann.

12.1.1

Gemeinsame Sicherheitsanforderungen mit Fokus Verifizierbarkeit

Für Vote électronique gilt das Prinzip: «Sicherheit vor Tempo». Die hier besprochenen Möglichkeiten zur Überprüfung der Sicherheit stützen sich auf zeitgemäss anerkannte Techniken, die spezifisch für Systeme für Vote électronique entwickelt wurden.

Im Zentrum der Sicherheitsanforderungen steht die Verifizierbarkeit: Sie stellt sicher, dass systematische Fehlfunktionen im Wahl- bzw. Abstimmungsablauf infolge von Softwarefehlern, menschlichen Fehlleistungen oder vorsätzlichen Manipulationsversuchen unter Wahrung des Stimmgeheimnisses erkannt werden. Dank ihrer wissenschaftlichen Abstützung und dadurch, dass sich die Verifizierbarkeit eines Systems für Vote électronique durch Analogien mit den konventionellen Abstimmungskanälen einem breiten Publikum erklären lässt, bildet die Verifizierbarkeit ein starkes Instrument zur Nachvollziehbarkeit des korrekten Ablaufs eines Urnengangs und zur Vertrauensbildung.

Grundsätzlich sollen die Kantone möglichst viel Freiheit geniessen, was die Ausgestaltung ihrer Systeme betrifft. Die Sicherheitseigenschaften sollen sich an besten Praktiken und Standards orientieren. Da jedoch auf keinen allgemein anerkannten Standard für die Verifizierbarkeit zurückgegriffen werden kann, sind die Anforderungen in diesem Zusammenhang sehr konkret formuliert. Diese Anforderungen haben somit auf die Ausgestaltung der Systeme in diesem Punkt eine einschränkende Wirkung. Erst aufgrund dieses Vorgehens kann jedoch der Mehrwert der zentralen Sicherheitsanforderung «Verifizierbarkeit» einheitlich und gewinnbringend kommuniziert werden. Es wird aber beachtet, dass die Kantone im Rahmen jener notwendigen Einschränkungen möglichst viel Freiheit bei der Umsetzung der Verifizierbarkeit haben (siehe auch Ziff. 12.1.1).

Ein Teil der Sicherheitsanforderungen, die zusätzlich zur Verifizierbarkeit festgelegt wurden, basiert direkt auf den heute existierenden Sicherheitsmassnahmen, wie sie bereits von Kantonen bzw. deren Systembetreibern angewendet werden. Weitere Sicherheitsanforderungen wurden einem anerkannten internationalen Standard250 entnommen.

250

Protection Profile des deutschen Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik.

5181

Da die Verifizierbarkeit die grössten Folgen auf die Weiterentwicklung der existierenden Systeme für Vote électronique hat (finanziell, organisatorisch, logistisch und in Hinblick auf Vertrauensbildung), wird der Fokus auf sie gelegt. Hinsichtlich der ersten Entwicklungsetappe für ein System der zweiten Generation (Lösung für das Problem der «unsicheren Plattform»251) wird eine reduzierte Form der Verifizierbarkeit vorgeschlagen (siehe Ziff. 12.1.1).

Verifizierbarkeit und vertrauenswürdiger Teil eines Systems Gemäss Vorgaben von Bundesrat und Parlament müssen sich Systeme für Vote électronique nach der Sicherheit der brieflichen Stimmabgabe richten. Da es auch bei der brieflichen Stimmabgabe zu Ungenauigkeiten kommt, muss bei der elektronischen Stimmabgabe das Hauptaugenmerk darauf liegen, systematischen Missbrauch zu verhindern. Dennoch gilt es zu berücksichtigen, dass bei der brieflichen Stimmabgabe die Möglichkeit, ein Resultat signifikant zu beeinflussen, beschränkt ist. Diese Aussage gilt nicht für die elektronische Stimmabgabe: Hier impliziert die Möglichkeit, eine Stimme zu manipulieren, im Allgemeinen auch die Möglichkeit, eine signifikante Zahl von Stimmen, theoretisch sogar alle Stimmen in der elektronischen Urne zu manipulieren.

Die Verifizierbarkeit ermöglicht, dass systematische Manipulationen unter Wahrung des Stimmgeheimnisses mit genügend grosser Wahrscheinlichkeit rechtzeitig, das heisst in jedem Fall vor der Publikation eines Abstimmungs- oder Wahlergebnisses, festgestellt werden.

Die Verifizierbarkeit hat sich in den letzten Jahren in der technischen Literatur etabliert. In Norwegen kam bereits 2011 ein verifizierbares System bei politischen Wahlen zum Einsatz. Dennoch konnte sich bisher keine allgemein anerkannte Definition für den Begriff durchsetzen.

Bei wie auch immer gearteten Sicherheitskontrollen ist doch eines unbestritten: Die Stimmenden müssen nach wie vor grundsätzliches Vertrauen in einzelne Abläufe im Wahlsystem haben (beispielsweise in die Hilfsmittel, die bei der Kontrolle verwendet werden). Diese sicherheitskritischen Abläufe fassen wir als den «vertrauenswürdigen Teil» eines Wahlsystems zusammen. Die Vertrauenswürdigkeit dieses Teils muss gewährleistet sein, egal ob an der Urne, per Brief oder elektronisch abgestimmt oder gewählt wird. Verifizierbarkeit setzt
also voraus, dass es einen Teil des Systems gibt, der allgemein als vertrauenswürdig erachtet wird.

Für Vote électronique heisst das, dass der vertrauenswürdige Teil auf allgemein bekannte, sicherheitsorientierte Technologien und nachvollziehbare Prozesse reduziert und klar identifiziert wird. Der vertrauenswürdige Teil ist die Voraussetzung dafür, dass Manipulationen nach einem positiven Kontrollergebnis auch wirklich ausgeschlossen werden können. Die Kontrolle erfolgt unter anderem mit Hilfe von speziell aufbereiteten kryptographischen Daten. Aufgrund dieser Daten und den Sicherheitseigenschaften des vertrauenswürdigen Teils lässt sich das Ergebnis eines Urnengangs plausibilisieren.

251

Mit «Plattform» ist das Gerät gemeint, welches die Stimmenden zur Stimmabgabe verwenden. Im Allgemeinen ist dies ein Computer. Das «Problem der unsicheren Plattform» ist ein fester Begriff in der Literatur und bezeichnet den Umstand, dass im Allgemeinen nicht angenommen werden darf, dass die Plattformen der Stimmberechtigten sicher sind.

5182

Anforderungen an den vertrauenswürdigen Teil eines Systems Grundsätzlich ist festzuhalten: ­

Systeme sollen im Hinblick auf die Zulassung des gesamten Elektorats die Verifizierbarkeit anbieten.

­

Es gelten seitens des Bundes keine Vorschriften, welche Gestalt eine konkrete Umsetzung annehmen soll. Dies liegt in der Kompetenz und der Verantwortung der Kantone. Dennoch spricht sich der Bund aufgrund der Empfehlung der technischen Arbeitsgruppe für restriktive Vorschriften aus, was die Sicherheitseigenschaften des vertrauenswürdigen Teils betrifft. Nur dadurch kann der Mehrwert der zentralen Sicherheitsanforderung «Verifizierbarkeit» einheitlich und gewinnbringend kommuniziert werden.

Doch wie lässt sich der «vertrauenswürdige Teil» bestimmen? Und was muss erfüllt sein, damit Vertrauen geschaffen wird? Dazu gibt es zwei unterschiedliche Zugänge: Vertrauenswürdiger Teil bei den Stimmenden Die eine Möglichkeit besteht darin, den vertrauenswürdigen Teil bei den Stimmenden anzusiedeln (Client-seitig). Da die Computer der Stimmenden jedoch nicht als vertrauenswürdig einzustufen sind, müssen den Stimmberechtigten spezielle Geräte zugeschickt werden. Mit Hilfe des Geräts können sich die Stimmenden überzeugen, dass ihre Stimmen unverändert ins Wahlsystem gelangt sind. Die Vertrauenswürdigkeit der Geräte kann durch die Abgabe von Teststimmen nachvollzogen werden.

Es kann jedoch als sicher gelten, dass eine Umsetzung auf der Basis einer Clientseitigen Lösung infolge logistischer und finanzieller Schwierigkeiten mittelfristig kaum umsetzbar ist.

Vertrauenswürdiger Teil bei den Systembetreibern Der vertrauenswürdige Teil kann auch auf der Seite des Systembetreibers angesiedelt sein (Server-seitig). Hier kommen mehrere Kontrollkomponenten zum Einsatz.

Die Anzahl dieser Kontrollkomponenten hängt von deren technischen Eigenschaften ab: ­

Handelt es sich bei einer Kontrollkomponente beispielsweise um Computer ohne besonderen Hardwareschutz, hängt die Verifizierbarkeit vom korrekten Funktionieren von mindestens einer von vier Kontrollkomponenten ab. Das heisst, dass im Extremfall drei dieser Computer infolge eines menschlichen Fehlverhaltens oder einer Manipulation ausfallen oder falsch funktionieren dürfen. Denn dank des vierten Computers kann immer noch eine Manipulation festgestellt werden. Damit das System aber als vertrauenswürdig gilt, müssen diese Kontrollkomponenten während der gesamten Rechenzeit einer speziellen Überwachung unterliegen.

­

Es stehen auch andere technische Möglichkeiten zur Verfügung, z.B. Systeme, wie sie in den Hochsicherheitsbereichen der Banken verwendet werden: Mit den zertifizierten Hardware Security Modules (HSM) von unterschiedlichen Herstellern kann die Zahl der Kontrollkomponenten auf zwei reduziert werden. HSM müssen so konfiguriert sein, dass Prüferinnen und Prüfer nach einem Urnengang feststellen können, ob unerlaubte Zugriffe durch Mitarbeitende stattgefunden haben.

5183

Um möglichst viel Flexibilität zu gewährleisten, darf der vertrauenswürdige Teil auch mehrere unterschiedliche Gruppen von Kontrollkomponenten umfassen.

Zusätzlich im vertrauenswürdigen Teil ­ Druckerei und Post Zusätzlich zu den Kontrollkomponenten lassen es die Sicherheitsanforderungen zu, den Druckprozess bei der Druckerei hinsichtlich der Geheimhaltung sicherheitsrelevanter Daten zum vertrauenswürdigen Teil zu zählen. Die Verifizierbarkeit darf somit zusätzlich von der Vertrauenswürdigkeit von Daten abhängen, die den Stimmberechtigten über den Postweg zugestellt werden. Die Vertrauenswürdigkeit ist dadurch gegeben, dass der Druckprozess neu beobachtbar und losgelöst von jeglichen Computernetzwerken ist. Zum Druckprozess wurde eigens ein Anforderungskatalog erarbeitet. Gleich wie bei der brieflichen Stimmabgabe darf hinsichtlich systematischen Fehlverhaltens von der Vertrauenswürdigkeit der Post ausgegangen werden.

Verifizierende Stelle Die technische Literatur gliedert die Verifizierbarkeit oft gemäss den folgenden drei Fragen: ­

Wurde die Stimme gemäss Absicht abgegeben («cast-as-intended»)?

­

Wurde die Stimme im Sinn ihrer Abgabe abgelegt («recorded-as-cast»)?

­

Wurde die Stimme im Sinn ihrer Ablage gezählt («counted-as-recorded»)?

Wurde die Stimme gemäss Absicht abgegeben («cast-as-intended»)?

Damit das Stimmgeheimnis gewahrt bleibt, kann die erste Fragestellung nur eine stimmende Person selbst beantworten. Ein verifizierbares System muss deshalb gezwungenermassen den Stimmenden die Gelegenheit geben, die Verifizierung selbst vorzunehmen. Allerdings soll die Verifizierung für die Stimmberechtigten optional bleiben. Unter der Annahme, dass eine genügende Anzahl von Stimmenden die Verifizierung vornimmt, werden so systematische Manipulationen entdeckt.

Wurde die Stimme im Sinn ihrer Abgabe abgelegt («recorded-as-cast») und wurde die Stimme im Sinn ihrer Ablage gezählt («counted-as-recorded»)?

In der Literatur werden oft Systeme beschrieben, bei denen die Stimmberechtigten ebenfalls die zweite und dritte Fragestellung selbst beantworten (das gilt vor allem für Fälle, bei denen den Prozessen im Wahlbüro generell wenig Vertrauen entgegengebracht wird).

Im schweizerischen Kontext ist jedoch das Vertrauen in die Behörden und die Mitarbeitenden der Wahlbüros gross, so dass die Verifizierung hinsichtlich der zweiten und der dritten Fragestellung auch durch vertrauenswürdige Dritte erfolgen kann (sog. Prüferinnen und Prüfer). Wer in der Praxis die Rolle der Prüferinnen und Prüfer übernehmen soll (z.B. Wahlkommission, Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter, Freiwillige oder Interessierte), ist abhängig von den rechtlichen Grundlagen, dem politischen Umfeld und dem gesellschaftlichen Bedürfnis. Grundsätzlich können die Daten, welche die Prüferinnen und Prüfer zur Beantwortung der zweiten und dritten Frage benötigen, bei Bedarf auch publiziert werden, um sie der gesamten Stimmbürgerschaft zugänglich zu machen. Dieser Entscheid wird den Kantonen überlassen.

5184

Stimmgeheimnis trotz Verifizierbarkeit Auf den ersten Blick mag die Gewährleistung des Stimmgeheimnisses (einschliesslich der Geheimhaltung der Stimmen bis zum Beginn der Auszählung) und die gleichzeitige Einführung der Verifizierbarkeit widersprüchlich erscheinen. Dennoch schliessen sich die Eigenschaften in der Praxis nicht aus. Ähnlich wie die Verifizierbarkeit hängt die Einhaltung des Stimmgeheimnisses vom korrekten Funktionieren des vertrauenswürdigen Teils ab252. Dies impliziert automatisch, dass die Stimmen zu keinem Zeitpunkt vor dem Auszählen entschlüsselt werden dürfen (End-to-End Verschlüsselung). Allerdings gibt es einen Unterschied, was die Elemente des vertrauenswürdigen Teils betrifft: Die Einhaltung des Stimmgeheimnisses darf zusätzlich von der Vertrauenswürdigkeit der Benutzerplattform abhängig gemacht werden.

Diese gehört damit zusammen mit den Kontrollkomponenten und den übrigen oben erwähnten Elementen ebenfalls zum vertrauenswürdigen Teil. Versuche, das Stimmgeheimnis auf der Benutzerplattform zu brechen, scheitern also nur auf Benutzerplattformen, die genügend geschützt und nicht von Schadsoftware befallen sind.

Dieser Zugang mag auf den ersten Blick erstaunen, da die handelsüblichen Computer der Stimmberechtigten bekanntlich als unsicher einzustufen sind. Allerdings wird davon ausgegangen, dass systematische und daher aufwändige Attacken auf die Plattformen der Stimmenden, die darauf abzielen vorzeitige Ergebnisse zu ermitteln, unwahrscheinlich sind. Dasselbe gilt für Attacken, die darauf abzielen, festzustellen, wer wie gestimmt hat. Hinsichtlich solcher Attacken gegen das Stimmgeheimnis liegt es ausserdem vielmehr im Ermessen der einzelnen Stimmberechtigten, ob sie ihre Plattform als genügend vertrauenswürdig einstufen. Die unverfälschte Stimmabgabe der Einzelnen hingegen betrifft das ganze Elektorat und erfordert daher höhere Anforderungen an die Verifizierbarkeit.

Etappierte Einführung der Verifizierbarkeit Die Weiterentwicklung der Systeme für Vote électronique zu Systemen der zweiten Generation (also für 100 % des Elektorates) ist mit Kosten verbunden und erfordert erhebliche Aufwände bei der Planung und der Umsetzung. Die Kantone haben deshalb und im Sinn der schrittweisen Einführung der elektronischen Stimmabgabe den Wunsch geäussert, gemeinsame sicherheitstechnische
Standards für eine erste Etappe zu definieren. Dadurch sollen kostengünstigere Lösungen umgesetzt werden können, die bereits eine beschränkte Erweiterung des zugelassenen Elektorats auf 50 Prozent möglich machen.

Für die erste Etappe kann gemäss Vorschlag der technischen Arbeitsgruppe die Verifizierbarkeit in einer reduzierten Form umgesetzt werden:

252 253

­

Es muss sichergestellt sein, dass verifiziert werden kann, ob die Stimme gemäss der Absicht des Stimmenden abgegeben wurde («cast-as-intended»253).

­

Dabei muss die Verifizierbarkeit nicht von der Vertrauenswürdigkeit von Kontrollkomponenten abhängig gemacht werden. Stattdessen wird das gesamte System für Vote électronique zum vertrauenswürdigen Teil gezählt.

Seine Vertrauenswürdigkeit begründet sich einerseits durch den nach wie Siehe Ziffer 12.1.1.

Siehe Ziffer 12.1.1.

5185

vor beschränkten Anteil von elektronischen Stimmen und den zusätzlichen Sicherheitsanforderungen, die bereits in der ersten Etappe umgesetzt werden müssen.

­

Die Massnahmen zur reduzierten Verifizierbarkeit löst bereits das «Problem der unsicheren Plattform» in einem hohen Mass ­ die Computer der Stimmenden können nicht eigenständig unbemerkt Stimmen manipulieren. Da dieses Problem im Fokus liegt und dadurch, dass die Anzahl elektronisch abgegebener Stimmen nach wie vor beschränkt ist, scheint eine Erhöhung der kantonalen Limite von heute 30 auf 50 Prozent vertretbar.

Mögliche Umsetzung der Verifizierbarkeit Dieser Abschnitt beschreibt auf stark vereinfachte Weise einen Vorschlag, wie die Verifizierbarkeit umgesetzt werden kann. Der Vorschlag ist keineswegs verbindlich ­ die Kantone können die Verifizierbarkeit auch anders umsetzen, solange die oben erläuterten Sicherheitsanforderungen erfüllt werden. Was den Ablauf der Stimmabgabe betrifft, wurde der Vorschlag von der technischen Arbeitsgruppe jedoch als richtungsweisend betrachtet.

Die Stimmberechtigten erhalten nebst ihrem Stimmrechtsausweis vorgängig eine Liste (Codeliste), mit der sie verifizieren können, dass die verschlüsselte Stimme das Wahlsystem und die Kontrollkomponenten im Sinn ihrer Erfassung erreicht hat. Die Liste enthält: ­

eine Identifikationszahl (ID);

­

einen Kontrollcode pro Kandidat bzw. pro mögliche Antwort (Die Codes sind in zufälliger Ordnung pro Liste bzw. Vorlage unterschiedlich , es könnten aber auch Bilder sein, die auf jeder Codeliste anders angeordnet sind;

­

einen Bestätigungscode;

­

einen Finalisierungscode.

Als Kontrollkomponenten kommt in diesem Beispiel nur eine Gruppe bestehend aus zwei Hardware Security Modules (HSM) zum Einsatz.

Die Kontrollkomponenten werden nach der Auszählung die aufgezeichneten Daten so aufbereiten, dass die Prüferinnen und Prüfer ­ mit vom Wahlsystem unabhängigen Computern ­ merken würden, falls eine gültige Stimme nicht oder nicht im Sinne ihrer Abgabe berücksichtigt wurde. Mithilfe der Daten der Kontrollkomponenten können sie auch feststellen, ob für einen Stimmrechtsausweis mehrere Stimmen berücksichtigt wurden, oder gar Stimmen entdecken, die nicht mit einem gültigen Stimmrechtsausweis korrelieren.

Der Wahlvorgang unterscheidet sich aus Sicht der Stimmenden nur unwesentlich von den heutigen Systemen. Der Unterschied liegt darin, dass zu Beginn die ID der Codeliste eingegeben werden muss und dass zu jedem Kandidaten oder jeder möglichen Antwort bei Abstimmungen ein Code angezeigt wird, den der Stimmende optional verifizieren kann. Die Stimmenden können die Codes auch ignorieren und erleben dadurch den Prozess kaum anders als heute. Insbesondere haben die Systeme bereits heute Codes, die dem Bestätigungscode und dem Finalisierungscode entsprechen.

Eine detailliertere Darstellung der möglichen Umsetzung findet sich in Anhang 7.

5186

12.1.2

Gemeinsame Anforderungen zu Systemkontrollen

Vote électronique befindet sich in der Schweiz zurzeit in einer Versuchsphase. Die Funktionalität der Systeme wird deshalb laufend ergänzt. Die Versuchsphase erlaubt nicht nur, Erfahrungen zu sammeln, sondern auch, wichtige Erkenntnisse umgehend zu verarbeiten, um die Systeme zu verbessern. Ferner liegt es in der politischen Natur des Projekts, dass sich die Ansprüche an ein System für Vote électronique mit der Zeit verändern und Anpassungen an den Systemen nötig machen.

Demgegenüber steht die Forderung in Artikel 27l Absatz 2 VPR, dass eine von der Bundeskanzlei anerkannte externe Stelle bestätigen muss, dass die Systeme die Anforderungen hinsichtlich Sicherheit und Funktionalität erfüllen. Entsprechende Audits wurden in der Vergangenheit durchgeführt. Allerdings waren kostspielige und zeitaufwändige Audits bei jeder Änderung am System unmöglich.

Stattdessen wurden bei Systemänderungen Begleitgruppen bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und verschiedener Kantone eingesetzt254. Sie haben sich mit Anpassungen an den Systemen für Vote électronique befasst und ihre Beurteilung zur Umsetzung in Form eines Berichts wiedergegeben. Hinsichtlich einer Erweiterung von Vote électronique sollen die Kontrollen professionalisiert werden.

In der technischen Arbeitsgruppe haben Bund, Kantone sowie Expertinnen und Experten aus der Privatwirtschaft und der Wissenschaft gemeinsam Anforderungen zur Art und zur Häufigkeit der Systemkontrollen erarbeitet. Dabei geht es darum, die Systeme auf die in der technischen Arbeitsgruppe erarbeiteten Sicherheitsanforderungen hin zu überprüfen.

Mit einer Ausnahme laufen die Überprüfungen in Form von Systemaudits ab. Dabei muss die auditierende Stelle von der Schweizerischen Akkreditierungsstelle (SAS) akkreditiert worden sein. Als Beleg für die erfolgreiche Überprüfung stellt die auditierende Stelle ein entsprechendes Zertifikat aus. Dieses ist im Rahmen der Gesuchstellung eines Kantons um die Durchführung von Versuchen mit Vote électronique relevant255.

Nebst den in Anhang 6 beschriebenen Audits muss der Systembetreiber vor jedem Urnengang einen Funktionalitätstest durchführen, um sicherzustellen, dass alle nötigen Funktionen verfügbar sind.

12.1.3

Zeitpunkt der Schliessung der elektronischen Urne

Bis anhin gab der Bundesrat vor, dass die elektronische Urne bereits am Samstag vor dem Abstimmungssonntag um 12 Uhr zu schliessen ist. Dies erlaubt es Stimmberechtigten, die Probleme mit der elektronischen Stimmabgabe via Internet erfahren, noch an die Urne zu gehen und die Stimme persönlich abzugeben. Ausserdem erleichtert es mit Blick auf die konventionell abgegebenen Stimmen die Überprüfung, ob eine Stimme bereits auf elektronischem Weg abgegeben wurde, was für die Verhinderung doppelter Stimmabgaben unumgänglich ist. Daher soll die elektroni254 255

Siehe Ziffer 4.4.2.

Siehe Ziffer 14.

5187

sche Urne auch künftig bereits am Samstag vor dem Abstimmungssonntag geschlossen werden.

12.1.4

Zeitpunkt der Urnenentschlüsselung

Da die elektronische Urne bereits am Samstag vor dem Abstimmungssonntag schliesst, stellt sich die Frage, wann der Inhalt der elektronischen Urne in Klartext vorliegen darf, d.h. ab wann die Entschlüsselung der verschlüsselt abgelegten elektronischen Stimmen zulässig ist.

Das Fehlen von vorzeitigen Teilergebnissen, die aufgrund von eingegangen Stimmen erhoben werden, gehört zu den Grundprinzipien von Urnengängen in der Schweiz und über unsere Grenzen hinaus. Gleichzeitig wollen die Kantone und Gemeinden das Ergebnis eines Urnengangs möglichst früh bekanntgeben. Dazu müssen sie mit der Auszählung der eingegangenen Stimmen frühzeitig beginnen können. In diesem Sinne legen die Kantone nach Genehmigung des Bundes fest, wann und unter welchen Einschränkungen vorzeitig mit dem Auszählungsprozess von Papierstimmen begonnen werden darf. Ähnlich wie für die Auszählung von Papierstimmen braucht es zur Entschlüsselung von elektronischen Stimmen eine gewisse Zeit. Bei einigen dezentral organisierten Kantonen, die viele Gemeinden umfassen, herrscht daher die Befürchtung, dass das Ergebnis der elektronischen Stimmen nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt vorliegt. Unter Berücksichtigung, dass wie bei der konventionellen Stimmabgabe vorzeitige Teilergebnisse nicht vorhanden sein dürfen, gilt es nun abzuwägen, welcher Zeitpunkt für die Entschlüsselung der Stimmen nicht unterschritten werden soll.

Um die Inhalte von Papierstimmen geheimzuhalten, müssen sie unter Verschluss aufbewahrt werden, wie beispielsweise in der versiegelten Urne des Stimmlokals im Fall der persönlichen Stimmabgabe. Bei der brieflichen Stimmabgabe befinden sich die Stimmen zunächst in Umschlägen, anschliessend werden sie ähnlich wie die Urne des Stimmlokals unter Verschluss oder Überwachung gehalten. Um jedoch die Inhalte von elektronischen Stimmen geheimzuhalten, gilt deren Verschlüsselung als die einzig richtige Praxis. Vorarbeiten, wie bei der brieflichen Stimmabgabe das Trennen von Stimmrechtsausweisen von den verschlossenen Umschlägen mit den Stimmzetteln, sind selbstverständlich auch bei der elektronischen Stimmabgabe erlaubt. Allerdings darf die Entschlüsselung der Stimmen nicht im Rahmen jener Vorarbeiten vorgenommen werden. Ebenso wenig sollen die Vorarbeiten Versuche begünstigen, die darauf abzielen, Stimmen vorzeitig zu entschlüsseln.
Der Entschlüsselungszeitpunkt muss sich deshalb nach dem Beginn der eigentlichen Auszählung der konventionell abgegebenen Stimmen richten. Ferner und insbesondere hinsichtlich der Ausweitung von Vote électronique ­ muss berücksichtigt werden, dass aufgrund ihres signifikanten Anteils am Gesamtergebnis die vorgängige Kenntnis der Stimmen in der elektronischen Urne viel exaktere Hochrechnungen zulässt, als dies im Allgemeinen infolge der Auszählung von Papierstimmen in einem einzelnen Abstimmungsbüro möglich wäre. Dies liegt daran, dass die Auszählung von elektronischen Stimmen durch das System für Vote électronique, also an einer zentralen Stelle vorgenommen wird. Letztlich muss berücksichtigt werden, dass die briefliche Stimmabgabe und die Prozesse, die mit ihr in Verbindung stehen, bei der Bevölkerung im Allgemeinen auf Vertrauen stossen. Da Vote électronique in der Schweiz noch relativ jung ist und noch nicht die Aufmerksamkeit der breiten 5188

Öffentlichkeit geniesst, scheint es wichtig, die Einhaltung der bereits vorhandenen und etablierten demokratischen Grundprinzipien zu unterstreichen und durch die Verwendung von allgemein anerkannten Praktiken bei der elektronischen Stimmabgabe zu belegen.

Aus diesen Gründen soll die Entschlüsselung von elektronischen Stimmen mit Blick auf die Erhöhung der Limiten in der Regel frühestens am Abstimmungssonntag erfolgen.

12.2

Funktionalität

Die elektronische Stimmabgabe hat entscheidende Vorteile: Beispielsweise wird damit erstmals verhindert, dass infolge von formalen Fehlern oder Verständnisproblemen eine Stimme für ungültig erklärt werden muss. Dennoch hängt die Akzeptanz bei der Bevölkerung gleichzeitig massgeblich davon ab, inwiefern die Stimmabgabe gegenüber den übrigen Stimmkanälen erleichtert wird.

Alle Stimmenden sollen die elektronische Stimmabgabe einfach verstehen können und nicht unnötige Zeit mit der Bedienung verbringen müssen. Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass die Stimmabgabe über das Internet die Bedeutung eines Urnengangs nicht trivialisiert und die Stimmenden bei ihrer Entscheidungsfindung nicht beeinflusst.

Bei der Betrachtung der angebotenen Funktionalität muss besonderes Augenmerk auf die Benutzerfreundlichkeit, insbesondere für Stimmberechtigte mit einer (Seh-)Behinderung gelegt werden. Ihre Bedürfnisse finden sich ­ wenn auch in eingeschränktem Mass ­ bereits in den heutigen Systemen für Vote électronique berücksichtigt256. Dennoch äussern sich Sehbehinderten-Organisationen kritisch zu der Benutzerfreundlichkeit der heute verwendeten Systeme. Wie Vote électronique künftig die (seh-)behinderte Bevölkerung in der Ausübung ihrer politischen Rechte weiterhin und zusätzlich unterstützt, wird in Ziffer 11.4.2 erläutert.

Zurzeit erhalten die Stimmberechtigten personalisierte Codes als Teil ihres Stimmmaterials. Der Versand des Stimmmaterials erfolgt heute vor jedem Urnengang per Briefpost. Um eine Stimme überhaupt abgeben zu können, müssen die Stimmenden einige dieser Codes zwingend verwenden. Verschiedentlich wurde die Idee geäussert, das Stimmmaterial ausschliesslich elektronisch zuzustellen. Diese Neuerung hätte das Potenzial, den Prozess der Stimmabgabe zu erleichtern. Ausserdem wäre es durch den vollständigen Verzicht auf die Briefpost für zu Vote électronique zugelassene Auslandschweizer Stimmberechtigte noch wahrscheinlicher, dass sie ihre Stimme rechtzeitig abgeben können.

Die neuen Sicherheitsanforderungen schliessen die elektronische Zustellung sämtlicher Unterlagen nicht grundsätzlich aus. Um allerdings gleichzeitig die Verifizierbarkeit umzusetzen, müssten die Stimmberechtigten spezielle «vertrauenswürdige Geräte» verwenden können (siehe dazu Ziff. 12.1.1). Der Verlust der als vertrauenswürdig
geltenden Briefpost würde somit durch den Einsatz jener Geräte kompensiert. Würde man auf den Einsatz solcher Geräte verzichten, wären die Stimmenden beim Verifizieren allein auf die Vertrauenswürdigkeit ihrer Computer angewiesen.

Beim Verifizieren geht es jedoch genau darum zu überprüfen, dass auf ihrem Com256

Siehe Ziffer 3.2 und Ziffer 11.4.2.

5189

puter keine Manipulationen stattfinden. Die Vertrauenswürdigkeit der Computer darf somit nicht als gegeben gelten. Sie können die erwähnten «vertrauenswürdigen Geräte» nicht ersetzen. Es kann jedoch aus Sicht der Praxis als sicher gelten, dass mittelfristig keine solchen Geräte bereitgestellt und unter den Stimmberechtigten verteilt werden können. Als Alternative bleibt die Verwendung eines vom Computer unabhängigen zweiten und vertrauenswürdigen Zustellkanals, der sich aus heutiger Sicht nur in Form der Briefpost realisieren lässt.

13

Risikomanagement

Die Führung jedes kantonalen Projekts zu Vote électronique stellt aufgrund seiner augenscheinlichen Komplexität bereits für sich eine grosse Herausforderung dar.

Die Zusammenarbeit mit Gemeinden, IT-Anbietern und politischen Gremien, der Dialog mit den Stakeholdern, zu denen auch die Stimmberechtigten zu zählen sind, sowie die strategische Ausrichtung hinsichtlich der gesamtschweizerischen Ausweitung von Vote électronique bilden nur einige Aspekte dieser facettenreichen Aufgabe. Aufgrund der Bedeutung der politischen Rechte für den Staat und die Öffentlichkeit ist ein bewusster Umgang mit den Risiken zentral. Ein geeignetes Instrument zum Erfassen, Bewerten und Verarbeiten von Risiken scheint bei der Komplexität von Vote électronique angebracht.

Zum heutigen Zeitpunkt haben der Bund einerseits und die Kantone andererseits ihr Risikomanagement hauptsächlich voneinander losgelöst betrieben. Zwar wurden wichtige Informationen unter der Koordination der Bundeskanzlei bei Bedarf ausgetauscht. Allerdings unterlag dieser Austausch keiner vorgegebenen Systematik.

Technische Risiken, wie beispielsweise Bedrohungen für die Durchführung eines Urnengangs, wurden in der technischen Arbeitsgruppe257 durchaus diskutiert. Aus den Arbeiten resultierten auch risikominimierende Massnahmen, beispielsweise in Form von Sicherheitsanforderungen hinsichtlich der Ausweitung von Vote électronique. Es existieren dazu aber zurzeit noch keine Abläufe, die eine Neubeurteilung der Risikolage systematisch vorsehen würden. Ebenfalls gibt es keinen Prozess, der dazu beiträgt, die relevanten Grundlagen zur Risikobeurteilung anzureichern oder neue Risiken zu erkennen.

Während den nächsten Jahren soll auf Stufe Bund ein Risikomanagementprozess mit folgenden Zielen definiert werden: 1.

Die Bundeskanzlei und die Kantone haben ein Instrument, um Risiken zu erörtern und ihnen effizient zu begegnen.

2.

Die Bundeskanzlei hat ein geeignetes Instrument um die Zulassung der Systeme zu prüfen.258

3.

Die Bundeskanzlei und die Kantone haben eine Anleitung zum Umgang mit Schadensfällen.

Die Bundeskanzlei stellt im Rahmen der Arbeitsgruppe Vote électronique sicher, dass die Bedürfnisse der Kantone in diesem Prozess berücksichtigt und dass die relevanten Schnittstellen zum Informationsaustausch geschaffen werden. Mögliche 257 258

Siehe Ziffer 12.1.

Siehe Ziffer 14.2.

5190

Partner bilden beispielsweise die Melde- und Analysestelle Informationssicherung des Bundes (MELANI), andere Staaten mit Vote électronique sowie weitere Verantwortungsträger, die beispielsweise im Rahmen der Umsetzung der nationalen Strategie zum Schutz vor Cyber-Risiken noch zu definieren sind.

Ferner stellt sie sicher, dass die vorhandenen Instrumente bei der Umsetzung des Prozesses ihre Bedeutung behalten. Dies betrifft beispielsweise den Risikobericht, den die Bundeskanzlei 2011 in Zusammenarbeit mit den Kantonen erarbeitet hat. Er zeigt die wichtigsten Risiken von Vote électronique aus der Perspektive von Bund und Kantonen auf und richtet sich hauptsächlich an politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger. Weitere Versionen des Dokuments sollen nun im Rahmen des Risikomanagements periodisch verfasst werden. Nebst dem Risikobericht soll gewährleistet sein, dass die Krisenszenarien, die Teil der bereits bestehenden Krisenvereinbarungen zwischen Bund und Kantonen bilden, ebenfalls berücksichtigt werden.

14

Anpassungen am Bewilligungsverfahren

Gemäss Artikel 8a BPR müssen Kantone, die im Rahmen von eidgenössischen Urnengängen Versuche mit Vote électronique durchführen möchten, eine Bewilligung des Bundesrates einholen. An dieser grundsätzlichen Bewilligungspflicht soll zum heutigen Zeitpunkt nichts geändert werden. Wie in Teil I259 aufgezeigt, hat sich das bisherige Bewilligungsverfahren aber als schwerfällig erwiesen. Zwar wurden bereits einige Optimierungen der heutigen Prozesse vorgenommen. Im Rahmen der bevorstehenden Weiterentwicklungen gilt es dieses Verfahren nun aber grundlegend zu überdenken und effizienter zu gestalten.

Die beiden wichtigsten Neuerungen beim Bewilligungsverfahren sind die folgenden: ­

Möglichkeit der Grundbewilligungen (siehe Ziff. 14.1);

­

Zulassungsverfahren durch Bundeskanzlei (siehe Ziff. 14.2).

Bis anhin hatten die Kantone für jeden Urnengang ein separates Gesuch einzureichen, das der Bundesrat seinerseits für jeden Urnengang gesondert bewilligte. Künftig sollen auch Grundbewilligungen durch den Bundesrat für Versuche über eine längere Zeitspanne möglich sein. Die heutigen Rechtsgrundlagen erlauben dies bereits, sofern ein Kanton nachweisen kann, dass er mehrere pannenfreie Versuche durchgeführt hat260. Diese Neuerung entlastet die zuständigen Behörden v.a. auf kantonaler Seite wesentlich.

Im Sinne einer Kompensation und in Übereinstimmung mit den durch Bund und Kantone gemeinsam definierten Sicherheitsstandards wird es künftig ein Zulassungsverfahren geben. Die Bundeskanzlei, die für diesen Teil des Verfahrens die Verantwortung tragen wird, hat einen Kanton künftig pro Urnengang zuzulassen, d.h. sie muss überprüfen, ob alle Voraussetzungen (noch) gegeben sind. Die genaue Ausgestaltung dieses Verfahrens wird nachfolgend beschrieben.

259 260

Siehe Ziffer 2.5.1.

Art. 8a Abs. 1bis BPR.

5191

Schematisch kann das neu zweiteilige Verfahren wie folgt dargestellt werden:

14.1

Bewilligung durch den Bundesrat

Kantone, die bei einer eidgenössischen Wahl oder Abstimmung Versuche mit Vote électronique durchführen möchten, haben beim Bundesrat als für die Resultate eidgenössischer Urnengänge verantwortliche Instanz wie im BPR vorgesehen um eine entsprechende Bewilligung zu ersuchen.

Die Bundeskanzlei als seitens des Bundes für Vote électronique zuständige Stelle wird auch künftig die Federführung für das Bewilligungsverfahren innehaben. Sie überprüft die durch die Kantone eingereichten Dokumente, evaluiert sie hinsichtlich Einhaltung der bundesrechtlichen Vorgaben und stellt dem Bundesrat gestützt auf ihre Beurteilung und unter Einhaltung der in der Bundesverwaltung üblichen Prozesse (Ämterkonsultationsverfahren, Mitberichtsverfahren etc.) Antrag.

Grundbewilligungen des Bundesrates beziehen sich nur auf den Einsatz von Vote électronique im Rahmen von eidgenössischen Volksabstimmungen. Bei nationalen Wahlen (Nationalratswahlen) ist ein separates Gesuch mit den für Wahlen spezifischen Angaben einzureichen. Die Voraussetzungen für Wahlen unterscheiden sich erheblich von jenen für Abstimmungen; der Komplexitätsgrad ist bei Wahlen viel höher. Da auf nationaler Ebene nur alle vier Jahre Wahlen durchgeführt werden, ist dies vom Aufwand her vertretbar. Ausserdem muss ein Kanton, der bei den eidgenössischen Wahlen Vote électronique einsetzen möchte, wie auch schon 2011 nachweisen, dass auf dem verwendeten System bereits ein erfolgreicher Versuch mit der elektronischen Stimmabgabe bei Wahlen von ähnlicher Komplexität wie die Nationalratswahlen durchgeführt wurde. Falls dieser Versuch nicht in seinem Kanton stattfand, muss er einen Testdurchlauf organisieren, der von der Bundeskanzlei begleitet wird. Die weiteren Voraussetzungen werden durch die Bundeskanzlei festgelegt261. Für den Entscheid, ob inskünftig auf die Unterscheidung zwischen Wahlen und Abstimmungen verzichtet werden kann, ist es zum heutigen Zeitpunkt zu früh. Hierfür muss zuerst der Einsatz der Systeme anlässlich der Wahlen 2015 evaluiert werden.

Der Bundesrat kann ein Gesuch weiterhin mit Auflagen oder Bedingungen versehen.

Er kann eine erteilte Bewilligung aus wichtigen Gründen (z.B. veränderte Risikosituation) auch nachträglich noch einschränken, sistieren oder ganz zurückziehen.

Wenn immer möglich sind die (System-)Kantone als eigentliche
Projektleiter vor einem solchen Entscheid zu konsultieren. Soll eine durch den Bundesrat erteilte Bewilligung eingeschränkt, entzogen oder sistiert werden, muss die Bundeskanzlei 261

Anforderungskatalog der Bundeskanzlei zur Durchführung von Wahlen mit Vote électronique (2011).

5192

dem Bundesrat einen entsprechenden Antrag stellen; es ist an der politischen Behörde, welche die Bewilligung ursprünglich erteilt hat, einen solchen Entscheid zu treffen. Dies ist aus heutiger Sicht insbesondere in zwei Fällen denkbar (keine abschliessende Aufzählung): ­

Veränderte Risikoeinschätzung (systemübergreifend);

­

Ablehnung eingereichter Zertifikate.

Wenn Risiken nicht kurzfristig in genügendem Masse reduziert werden können, muss der Bundesrat über den Einsatz von Vote électronique entscheiden. Die Bundeskanzlei beantragt beim Bundesrat in einem solchen Fall gestützt auf eine schriftliche Risikobeurteilung, die wenn immer möglich auch die Einschätzung der (System-)Kantone wiedergibt262, eine Sistierung der betroffenen Bewilligungen bis auf Weiteres. Sie beantragt dem Bundesrat die Reaktivierung, sobald sich die Risikolage genügend verbessert hat263.

Ein weiteres denkbares Szenario besteht darin, dass alle erforderlichen Zertifikate264 für ein System vorliegen (und gültig sind), die Bundeskanzlei diese aber für ungenügend befindet (z.B. aufgrund eines offensichtlich mangelhaften Audits, auf dessen Grundlage ein Zertifikat erteilt wurde). In einem solchen Fall versucht die Bundeskanzlei zuerst mit dem betroffenen Kanton bzw. mit den betroffenen Kantonen bilateral eine Lösung zu finden. Ist dies nicht möglich, muss sie dem Bundesrat beantragen, dass die erteilte Bewilligung sistiert oder eingeschränkt wird, bis der Mangel behoben wird.

Ganz allgemein kann festgehalten werden, dass die Bundeskanzlei bei einem geplanten Antrag an den Bundesrat betreffend Entzug, Einschränkung oder Sistierungen einer Bewilligung zur Durchführung von Versuchen mit Vote électronique immer zuerst die (betroffenen) Kantone konsultiert und deren Ansicht im Antrag an den Bundesrat zum Ausdruck bringt. Der Entscheid des Bundesrates ist den Kantonen jeweils umgehend mitzuteilen und zu begründen.

Um zu vermeiden, dass die Kantone ihre Gesuche zu unterschiedlichen Zeitpunkten einreichen und der Bundesrat so auch künftig für (fast) jeden Urnengang einen Antrag auf Vote électronique behandeln muss, können die Kantone künftig jeweils auf eine Frühlings- oder Herbstabstimmung hin ein Gesuch einreichen. Die genauen Fristen werden durch die Bundeskanzlei festgelegt und den Kantonen rechtzeitig kommuniziert.

Die Beschlüsse des Bundesrates über die Erteilung einer Bewilligung zur Durchführung eines Versuchs mit Vote électronique sollen auch künftig im Bundesblatt publiziert werden. Da neu Grundbewilligungen über eine längere Dauer ausgesprochen werden, wird dies gegenüber heute jedoch seltener der Fall sein.

262

In der Praxis dürften die Fristen, innert der sich die Kantone dazu äussern können, sehr kurz ausfallen, da es sich hier oft um dringliche Fragen handeln dürfte, die rasch zu entscheiden sind (hohe Kadenz der Urnengänge in der Schweiz). Die Bundeskanzlei berücksichtigt jene Stellungnahmen, die innerhalb dieser Fristen eingingen.

263 Mehr zum Risikomanagement siehe Ziffer 13.

264 Dazu zählt auch die Bestätigung der erfolgreichen Überprüfung des kryptographischen Protokolls (siehe Ziff. 12.1.2).

5193

Bei der Festlegung der Voraussetzungen für eine Grundbewilligung gilt es zu unterscheiden zwischen Kantonen, die noch keine Versuche mit Vote électronique durchgeführt haben (siehe Ziff. 14.1.1), und solchen, die damit bereits Erfahrungen gemacht haben (siehe Ziff. 14.1.2).

Soll ein gänzlich neues System für Vote électronique eingesetzt werden, so müssen allfällige Anpassungen an den hier formulierten Bedingungen bilateral mit der Bundeskanzlei abgesprochen werden.

14.1.1

Neue Kantone

Will ein Kanton zum ersten Mal einen Versuch mit der elektronischen Stimmabgabe anlässlich eines eidgenössischen Urnengangs durchführen, soll auch künftig nicht von Beginn an der Einbezug von 100 Prozent des kantonalen Elektorats zugelassen werden. Bei den ersten fünf Versuchen265 werden im Rahmen der Grundbewilligung wie bis anhin höchstens 30 Prozent der kantonalen Stimmberechtigten mit Wohnsitz in der Schweiz plus die im Kanton registrierten Auslandschweizer zugelassen.

Ein Kanton, der eine solche Grundbewilligung des Bundesrats erhalten hat, muss der Bundeskanzlei nach dem erstmaligen Einsatz der elektronischen Stimmabgabe einen Zwischenbericht über das Ergebnis des Versuchs vorlegen. Fällt dieser positiv aus, werden durch die Bundeskanzlei weitere vier Versuche zugelassen266. Allfällige Probleme sind in Absprache mit der Bundeskanzlei und soweit nötig mit dem Systemkanton zu beheben, bevor ein zweiter Versuch zugelassen wird.

Nach dem fünften Versuch ist der Bundeskanzlei ein Abschlussbericht über die erste Versuchsphase im Kanton einzureichen. Von diesem Zeitpunkt an kann für weitere Versuche um eine Pauschalbewilligung ersucht werden, sofern die ersten fünf Versuche pannenfrei verlaufen sind. Dies bedeutet, dass der Kanton nunmehr von den erhöhten Limiten von 50 Prozent bzw. 100 Prozent profitieren kann; je nachdem, welche Anforderungen das eingesetzte System erfüllt.

14.1.2

Bisherige Kantone mit Vote électronique

Der Bundesrat bewilligt einem Kanton, der nachweisbar bereits fünf oder mehr pannenfreie Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe im Rahmen einer bestimmten Etappe durchgeführt hat, auf entsprechendes Gesuch hin künftig den Einsatz der elektronischen Stimmabgabe bei eidgenössischen Abstimmungen über eine Zeitspanne von höchstens zwei Jahren. In der aktuellen Projektphase, die mit weitreichenden Änderungen verbunden ist, ist es angezeigt, dass der Bundesrat nach einer gewissen Zeit die Lage gesamthaft beurteilt und gestützt auf die Ergebnisse neue Bewilligungen erteilt. Nach Evaluation der in diesem Bericht vorgeschlagenen Anpassungen, kann die maximale Dauer erhöht werden, sofern sich das neue Verfahren bewährt hat.

265 266

Art. 27b Abs. 2 VPR.

Siehe Ziffer 14.2.

5194

Gemäss dem Stufenmodell267 lässt der Bundesrat 30 Prozent (Status quo), 50 Prozent (Umsetzung der 1. Etappe) oder 100 Prozent (Umsetzung der 2. Etappe) zu den Versuchen zu, wenn das eingesetzte System die entsprechenden Anforderungen erfüllt. Es handelt sich dabei immer um das maximal zugelassene Elektorat. Bevor eine erhöhte Limite von 50 Prozent bzw. 100 Prozent zugelassen wird, muss der Kanton das angepasste bzw. neue System mindestens einmal erfolgreich bei einem eidgenössischen Urnengang eingesetzt haben, bei dem noch die alte Limite (30 % vor dem Übergang zur 1. Etappe bzw. 50 % vor dem Übergang zur 2. Etappe) zur Anwendung kam. Alternativ kann auch nachgewiesen werden, dass das angepasste bzw. neue System im Rahmen eines kantonalen oder kommunalen Urnengangs erfolgreich eingesetzt wurde. In beiden Fällen müssen die Voraussetzungen zur Zulassung eines Systems erfüllt sein und insbesondere die Bestätigungen und Zertifikate vorliegen.

Falls während der Dauer der Bewilligung erhöhte Standards umgesetzt werden und folglich ein grösserer Teil des Elektorats einbezogen werden kann, ist um eine neue Bewilligung zu ersuchen.

Die Bewilligung wird jeweils unter der Bedingung erteilt, dass die Bundeskanzlei einen Kanton zu einem Versuch zulässt.

14.2

Zulassung durch die Bundeskanzlei

14.2.1

Ordentliches Verfahren

Beim Vorliegen einer Bewilligung des Bundesrates überprüft die Bundeskanzlei in Zukunft pro Urnengang, ob alle Voraussetzungen für die Durchführung eines Versuchs mit Vote électronique (noch) gegeben sind. Ist dies der Fall, so lässt sie einen Kanton bzw. ein System zu einem Versuch mit Vote électronique zu.

Es geht hier um eine rein formale Überprüfung, d.h. die Bundeskanzlei untersucht nur ­ aber immerhin ­, ob die eingereichten Dokumente vollständig und v.a. die neu pro System zu liefernden Zertifikate mit Blick auf den fraglichen Urnengang (noch) gültig sind. Ist dies der Fall, teilt sie den betroffenen Kantonen schriftlich mit, dass Vote électronique im Umfang der bundesrätlichen Bewilligung für den fraglichen Urnengang zugelassen ist.

14.2.2

Verfahren bei Nicht-Zulassung

Kann ein Kanton bzw. ein System aufgrund der eingereichten Unterlagen ausnahmsweise nicht zugelassen werden, so teilt die Bundeskanzlei dies dem betroffenen Kanton bzw. den betroffenen Kantonen möglichst frühzeitig in schriftlicher Form mit und begründet die drohende Nicht-Zulassung. Dem Kanton bzw. den Kantonen wird eine Frist zur Behebung der Mängel eingeräumt. Werden die verlangten Nachbesserungen nicht rechtzeitig vorgenommen oder ist der Kanton mit der Einschätzung der Bundeskanzlei nicht einverstanden, unterbreitet die Bundeskanzlei das Gesuch dem Bundesrat zum Entscheid.

267

Siehe Ziffer 11.2.

5195

Sind die technischen Zulassungsvoraussetzungen eines Systems lediglich für die beim Bundesrat ursprünglich beantragte Limite nicht (mehr) gegeben, so kann die Bundeskanzlei dem Kanton erlauben, den Versuch mit einem geringeren Anteil des Elektorats durchzuführen, sofern die Bedingungen für diesen Anteil erfüllt sind.

Kann ein Kanton bei einem eidgenössischen Urnengang trotz Vorliegen einer bundesrätlichen Bewilligung mangels Zulassung keinen Versuch mit Vote électronique durchführen, setzen die Bundeskanzlei und der betroffene Kanton bzw. die betroffenen Kantone alles daran, dass das Problem, das zur Nicht-Zulassung geführt hat, möglichst bald ­ wenn immer möglich bis zum übernächsten Urnengang ­ behoben werden kann. Ziel ist klar, dass ein Kanton bei jedem Urnengang, für den er eine bundesrätliche Bewilligung hat, einen Versuch durchführen kann.

Die Nicht-Zulassung ist nicht mit einer Einschränkung, einer Sistierung oder einem Entzug der bundesrätlichen Grundbewilligung zu verwechseln; der Einsatz von Vote électronique ist in einem solchen Fall nur mit Blick auf einen konkreten Urnengang nicht möglich, die Grundbewilligung bleibt aber unverändert bestehen.

14.3

Inhalt der Gesuche

14.3.1

Gesuch an den Bundesrat

Die kantonalen Gesuche an den Bundesrat müssen lediglich aus einem Gesuchsschreiben der politischen Instanz bestehen. In diesem sind folgende Angaben zu machen: ­

Angabe des maximalen Anteils des Elektorats, das in die Versuche einbezogen werden soll (neu);

­

Anzahl der Urnengänge oder die Höchstdauer, für welche die Grundbewilligung erteilt werden soll (neu);

­

Angabe des Systems, das eingesetzt werden soll, und die dazugehörigen Zertifikate bzw. Belege (neu);

­

Zusicherung der Einhaltung der bundesrechtlichen Vorgaben (bisher);

­

kantonale Rechtsgrundlagen (bisher);

­

Zusicherung eines umsetzbaren Konzeptes technischer, finanzieller und organisatorischer Massnahmen (bisher).

Die Bundeskanzlei stellt dem Bundesrat gestützt auf diese Angaben Antrag auf Bewilligung (bzw. Nicht-Bewilligung) eines Gesuchs.

14.3.2

Gesuch an die Bundeskanzlei

Nach Vorliegen der Grundbewilligung des Bundesrates sind der Bundeskanzlei im Rahmen des Zulassungsverfahrens verschiedene Dokumente einzureichen. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen der Zulassung eines Kantons und der Zulassung eines Systems.

5196

Zulassung eines Kantons Für die Zulassung eines Kantons sind der Bundeskanzlei folgende Dokumente einzureichen: Nr.

Dokument

Häufigkeit

1.

Ausgefülltes Formular der Bundeskanzlei mit allen Angaben zum bevorstehenden Versuch (bisher)

Pro Urnengang

2.

Konzept finanzieller und organisatorischer Massnahmen (bisher)

Einmalig, danach bei Änderungen

3.

Verträge mit Dritten (bisher)

Einmalig, danach bei Änderungen

Ausserdem sind die Kantone gehalten, der Bundeskanzlei pro Urnengang einen Terminplan zur besseren Koordination der Aktivitäten einzureichen.

Diese Dokumente können der Bundeskanzlei durch das für Vote électronique zuständige kantonale Amt eingereicht werden.

Zulassung des Systems Die Unterlagen für die Zulassung eines Systems sind nur durch die Systemkantone bzw. die für ein System zuständigen Kantone (z.B. Geschäftsleitung des Consortiums) einzureichen. Die übrigen Kantone können unter Angabe des eingesetzten Systems auf diese Unterlagen verweisen. Für die Zulassung eines Systems sind der Bundeskanzlei folgende Dokumente einzureichen: Nr.

Dokument

Häufigkeit

1.

Systemspezifikationen und Beschrieb der Abläufe beim Betrieb (bisher)

Einmalig, danach bei Änderungen

2.

Bestätigung der erfolgreichen Überprüfung des kryptographischen Protokolls inkl. Bericht (neu)

Einmalig, danach bei Änderungen

3.

Gültige Zertifikate des Systems inkl. Auditbericht(e) (neu)

Der Bundeskanzlei müssen pro Urnengang alle erforderlichen Zertifikate vorliegen.

Diese müssen bis zum Datum des Urnengangs gültig sein.

4.

Bericht zum Funktionalitätstest (siehe Ziff. 12.2) (neu) Pro Urnengang

Auch diese Dokumente können der Bundeskanzlei durch das für Vote électronique zuständige kantonale Amt eingereicht werden.

5197

15

Kommunikation

15.1

Zweck und Ziele der Kommunikation

Eine klare und transparente Kommunikation im Bereich der politischen Rechte stellt eine wichtige Aufgabe der zuständigen Behörden dar. Sie ist auch eine zentrale Massnahme für die Förderung des Vertrauens und der Akzeptanz des neuen Stimmkanals. Die Kommunikationsmittel sind laufend zu überprüfen und den aktuellen Bedürfnissen anzupassen.

15.2

Koordination Bund und Kantone

Im August 2011 hat der Steuerungsausschuss Vote électronique das von der Bundeskanzlei in Absprache mit den Kantonen entwickelte «Kommunikations- und Medienkonzept Vote électronique» verabschiedet. Im Konzept und in seinen Anhängen werden klare Regeln für die Koordination der Kommunikation definiert sowie neue Instrumente vorgeschlagen (z.B. Broschüre zum Projekt Vote électronique). Dieses Konzept hat sich in der Praxis bewährt und soll daher auch künftig umgesetzt werden. Bei Bedarf ist es gemeinsam weiterzuentwickeln.

15.3

Zielgruppen

Bis anhin richtete sich die Kommunikation des Bundes hauptsächlich an die Vertreterinnen und Vertreter aus Behörden von Bund und Kantonen, an die Politik und an die Wissenschaft. Dies ist wichtig und soll auch künftig aufrechterhalten werden.

Die Stimmberechtigten, die noch nicht zur elektronischen Stimmabgabe zugelassen waren ­ und damit die grosse Mehrheit ­, wurden bis jetzt nur beschränkt in die Kommunikation einbezogen. Mit der Umsetzung von neuen Sicherheitsmassnahmen und der darauffolgenden geplanten Ausdehnung von Vote électronique sind Herausforderungen im Bereich der Kommunikation verbunden. Aus diesem Grund sind die Anstrengungen hier zu intensivieren. Alle Stimmberechtigten sind transparent über die Funktionsweise, die Vorteile, aber auch die Risiken von Vote électronique zu informieren. Dabei wird es eine zentrale Rolle spielen, das Vertrauen der breiten Bevölkerung in den neuen Stimmkanal gewinnen und halten zu können.

Es gilt, die technisch anspruchsvollen und wirksamen Sicherheitsanforderungen den politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, den Stimmberechtigten sowie den weiteren erwähnten Ansprechgruppen in einer verständlichen und zielgruppengerechten Art und Weise zu vermitteln.

15.4

Herausgabe von Dokumenten

Eine relativ hohe Kadenz an Öffentlichkeitsgesuchen rund um Vote électronique hat gezeigt, dass eine gegenüber heute erhöhte Transparenz in der Dokumentation rund um das Projekt angezeigt ist.

5198

Der im Jahr 2012 durch die Arbeitsgruppe Vote électronique verabschiedete Leitfaden «Umsetzung des Öffentlichkeitsprinzips im Bereich Vote électronique»268 nimmt dieses Bedürfnis auf. Er soll künftig zu einer möglichst grossen «Unité de doctrine» zwischen Bund und Kantonen, die nicht alle das Öffentlichkeitsprinzip kennen, führen. Der Bund erhofft sich damit eine erhöhte Transparenz in der Dokumentation rund um das Projekt erreichen zu können. Die Koordination in diesem Bereich ist zentral. Die Entscheidung des Bundes oder eines Kantons, ein Dokument zu veröffentlichen oder eine Systemkomponente offenzulegen (Open Source-Frage), hat Konsequenzen für alle am Projekt beteiligten Akteure. Der Bundeskanzlei kommt bei der systemübergreifenden Koordination auch in diesem Bereich eine wichtige Rolle zu.

Bei der Veröffentlichung oder Herausgabe von Dokumenten müssen immer auch die damit verbundenen Risiken genau evaluiert und gestützt darauf eine Güterabwägung vorgenommen werden. Die (öffentlichen aber auch privaten) Interessen können gegenläufig sein, weshalb mehr Transparenz nicht zwangsläufig im Interesse der Öffentlichkeit sein muss. Grundsätzlich soll aber so viel Transparenz wie möglich geschaffen werden.

16

Rechtliche Grundlagen

Die aktuellen Rechtsgrundlagen für Vote électronique sind gestützt auf die in diesem Bericht vorgeschlagenen Änderungen anzupassen, und es sind auch neue Grundlagen zu schaffen. Betroffen sind insbesondere folgende Erlasse: ­

Bundesgesetz über die politischen Rechte (Ziff. 16.1);

­

Verordnung über die politischen Rechte (Ziff. 16.2);

­

Technisches Reglement Vote électronique (Ziff. 16.3).

Von den bevorstehenden Anpassungen betroffen sind auch weitere eidgenössische und kantonale Rechtsgrundlagen (Ziff. 16.4 und 16.5). Diese müssen bei der Überarbeitung der Bestimmungen für Vote électronique berücksichtigt werden. Dasselbe gilt für internationale Standards (Ziff. 16.6).

16.1

Bundesgesetz über die politischen Rechte

Die elektronische Stimmabgabe wird in Artikel 8a des BPR wie folgt geregelt: 1

Der Bundesrat kann im Einvernehmen mit interessierten Kantonen und Gemeinden örtlich, zeitlich und sachlich begrenzte Versuche zur elektronischen Stimmabgabe zulassen.

1bis Er kann Kantone, die Versuche zur elektronischen Stimmabgabe über längere Zeit erfolgreich und pannenfrei durchgeführt haben, auf Gesuch hin ermächtigen, diese Versuche für eine von ihm festgelegte Dauer weiterzuführen. Er kann die Ermächtigung mit Auflagen oder Bedingungen versehen oder die elektronische Stimmabgabe in Abwägung der gesamten Umstände jederzeit örtlich, sachlich oder zeitlich ausschliessen.

268

Siehe Ziffer 5.2.

5199

2

Die Kontrolle der Stimmberechtigung, das Stimmgeheimnis und die Erfassung aller Stimmen müssen gewährleistet und Missbräuche ausgeschlossen bleiben.

3...

4 Der Bundesrat regelt die Einzelheiten.

Diese Bestimmung soll im Rahmen der Anpassung der Rechtsgrundlagen für Vote électronique zum heutigen Zeitpunkt nicht geändert werden. Insbesondere soll vorerst noch von «Versuchen» die Rede sein, auch wenn diese verbindlich sind und einige Kantone die elektronische Stimmabgabe schon über eine längere Zeit hinweg regelmässig ermöglichen. Schweizweit ist die elektronische Stimmabgabe noch nicht derart verbreitet, als dass es sich rechtfertigen lassen würde, von einem generellen dritten Stimmkanal zu sprechen. Die Tatsache, dass es hierfür auch künftig eine Bewilligung braucht, belegt dies. Dem Bundesrat soll es nach wie vor möglich sein, die Versuche örtlich, zeitlich und sachlich zu begrenzen bzw. auszuschliessen und bei Bedarf die Bewilligung mit Auflagen oder Bedingungen zu versehen. Ausserdem haben erst vier Kantone einen ersten Versuch mit der elektronischen Stimmabgabe bei (eidgenössischen) Wahlen durchgeführt. Eine Anpassung der Terminologie im BPR macht erst dann Sinn, wenn Vote électronique in den ordentlichen Betrieb übergeführt wird.

Von der Möglichkeit der Erteilung von Grundbewilligungen (Abs. 1bis BPR) wurde bis anhin noch kein Gebrauch gemacht, da die technischen und/oder organisatorischen Versuchsbedingungen in der ersten Projektphase häufige, wenn auch meist kleinere Anpassungen erfahren haben. Künftig soll dies jedoch möglich sein269.

Nach mehrjähriger Erfahrung mit dem Projekt scheint es gerechtfertigt, Kantonen, die über eine längere Zeit hinweg pannenfreie Versuche mit Vote électronique durchgeführt haben, eine Mehrfachbewilligung zu erteilen. Dadurch kann der administrative Aufwand sowohl bei Bund als auch bei Kantonen verringert werden, weshalb dies auch einem mehrfach geäusserten Bedürfnis der Kantone entspricht.

Die allgemeinen Bestimmungen des BPR zur Durchführung von Wahlen und Abstimmungen gelten selbstverständlich (sinngemäss) auch für die elektronische Stimmabgabe, sofern dies nicht anders ausgewiesen wird. Verschiedene durch die Bundeskanzlei in Absprache mit den Kantonen erarbeitete Anforderungskataloge «übersetzen» diese Bestimmungen sowie die entsprechenden Ausführungsbestimmungen in der Verordnung für Vote électronique, was den Kantonen ihre Interpretation erleichtern soll. Die Anforderungskataloge sollen auch weiterhin Gültigkeit beanspruchen. Sie werden bei
Bedarf in Absprache mit den Kantonen weiterentwickelt.

Die Bestimmung zu Vote électronique im BPR und insbesondere die Frage, ob es künftig noch eine Bewilligung durch den Bundesrat braucht, soll im Rahmen der nächsten Teilrevision dieses Gesetzes untersucht werden.

16.2

Verordnung über die politischen Rechte

Die grundsätzliche Zulassung von Versuchen mit der elektronischen Stimmabgabe in Artikel 8a BPR wird in Abschnitt 6a weiter konkretisiert. In den Artikeln 27a­ 27q VPR wird festgelegt, unter welchen Bedingungen ein Kanton Versuche mit Vote électronique durchführen kann.

269

Siehe Ziffer 14.1.

5200

Die 19 Bestimmungen zu Vote électronique sind gestützt auf die während rund zehn Jahren gesammelten praktischen Erfahrungen, aber auch technischen Entwicklungen grundlegend zu überarbeiten. Ausserdem sollen sich die im vorliegenden Bericht zusammengetragenen Anpassungen mit Blick auf die Ausdehnung der elektronischen Stimmabgabe in den angepassten Rechtsgrundlagen wiederfinden.

Es hat sich gezeigt, dass die Bestimmungen in der Verordnung teilweise zu detailliert oder in ihrer Formulierung zu restriktiv sind. Hier gilt es, den Wortlaut zu überarbeiten. Dabei ist darauf zu achten, dass Formulierungen gefunden werden, die so klar und präzis wie nötig sind, gleichzeitig aber möglichst viele ­ auch noch nicht existierende ­ Lösungen zulassen.

Andere Bestimmungen haben sich von der Materie her als für die VPR zu technisch erwiesen. Aus diesem Grund soll neu ein Technisches Reglement Vote électronique (TR VE) erlassen werden270. Der Erlass eines neuen Reglements hat auch Auswirkungen auf die Verordnungsbestimmungen.

Übergeordnetes Ziel der Teilrevision der VPR muss sein, dass auf dieser Normstufe vermehrt Grundsätze des neuen Stimmkanals geregelt werden, wo hingegen konkretere (oft technische) Vorgaben künftig im Technischen Reglement Niederschlag finden sollen.

Die Überarbeitung der VPR hat auf den Umstand Rücksicht zu nehmen, dass die Kantone unterschiedliche Anforderungen zu erfüllen haben, je nachdem wie hoch der Anteil des zugelassenen Elektorats sein soll (siehe Ziff. 11.2).

Die revidierte VPR soll in Absprache mit den Kantonen, die Versuche mit Vote électronique durchführen, auf den 1. Januar 2014 in Kraft treten.

16.3

Technisches Reglement Vote électronique

Die elektronische Stimmabgabe ist ein Vorhaben mit zahlreichen technischen Aspekten. Die eingesetzten Technologien sind schnelllebig und ändern daher häufig.

Ausserdem verlangt das Projekt technische Regelungen, für welche die VPR nicht die richtige Normstufe darstellt. Aus diesem Grund sollen Detailbestimmungen, die vorwiegend technischer Natur sind, neu in einem eigenen Erlass zusammengetragen und die VPR damit einerseits entlastet und andererseits weiter konkretisiert werden.

Dies erleichtert auch die in diesem Bereich erforderlichen relativ häufigen Anpassungen an den aktuellsten Stand der Technik.

Dass technische Einzelheiten in einem Reglement eines Departements oder eines Amts festgelegt werden, ist nichts Aussergewöhnliches. Vielmehr sind solche Reglemente (unter verschiedenen Bezeichnungen) z.B. im Zuständigkeitsbereich des BAKOM bekannt271.

270 271

Siehe Ziffer 16.3.

Vgl. z.B. die Verordnung des BAKOM vom 6. Dezember 2004 über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur (SR 943.032.1) oder die Verordnung des BAKOM vom 9. Dezember 1997 über Fernmeldedienste und Adressierungselemente (SR 784.101.113). Weitere technische und administrative Vorschriften des BAKOM finden sich unter www.bakom.admin.ch > Das BAKOM > Rechtliche Grundlagen > Vollzugspraxis > Telekommunikation.

5201

Die Einführung eines (neuen) Erlasses mit detaillierteren Bestimmungen zur elektronischen Stimmabgabe entspricht auch einer Empfehlung der OSZE und des BDIMR, die diese in ihrem Bericht zur Beobachtung der Nationalratswahlen 2011 zum Ausdruck gebracht haben272.

Wichtigster Inhalt des neuen TR VE sind die von Bund und Kantonen gemeinsam definierten Sicherheitsstandards273.

Für das Erlassen und die Aktualisierung dieses neuen Reglements zuständig ist die Bundeskanzlei als für das Projekt verantwortliche Stelle. Sie konkretisiert im Rahmen des TR VE die in der VPR festgehaltenen Grundsätze und bricht sie auf Anforderungen an die Systeme und die Prozesse rund um die (technischen) Zulassungsvoraussetzungen und den Betrieb der Systeme herunter. Bei künftigen Anpassungen des Reglements spricht sie sich ­ wie auch schon bei der Erarbeitung des initialen Erlasses ­ eng mit den Kantonen als Systemeigentümer und -betreiber ab und berücksichtigt deren Bedürfnisse. Eine Konsultation der Kantone ist in beiden Fällen vorgesehen.

Das TR VE hat ­ wie auch schon die VPR ­ auf den Umstand Rücksicht zu nehmen, dass die Kantone unterschiedliche Anforderungen zu erfüllen haben, je nachdem wie hoch der Anteil des zugelassenen Elektorats sein soll.

Das neue TR VE der Bundeskanzlei soll parallel zu den angepassten Bestimmungen der VPR in Kraft treten, d.h. auf den 1. Januar 2014.

16.4

Bundesgesetz über die politischen Rechte der Auslandschweizer

Nebst den genannten Erlassen wird die elektronische Stimmabgabe auch im BPRAS geregelt274.

In Artikel 1 BPRAS wird seit 2003 unter Verweis auf Artikel 8a BPR geregelt, dass der Bundesrat auch für Auslandschweizer Stimmberechtigte im Einvernehmen mit interessierten Kantonen und Gemeinden örtlich, zeitlich und sachlich begrenzte Versuche zur elektronischen Stimmabgabe zulassen kann.

Die Kantone wurden mit dem im Januar 2008 in Kraft getretenen Artikel 5b BPRAS dazu verpflichtet, ihre Stimmregister für Auslandschweizer Stimmberechtigte entweder zu harmonisieren oder aber zu zentralisieren. Dies stellt eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Einführung von Vote électronique dar.

Die genannten Bestimmungen des BPRAS müssen mit Blick auf die im vorliegenden Bericht gemachten Anpassungsvorschläge nicht geändert werden. Dies gilt auch mit Blick auf das geplante neue Auslandschweizergesetz275, das zurzeit erarbeitet wird und in dem voraussichtlich auch die Bestimmungen des BPRAS mit einigen Anpassungen aufgenommen werden.

272 273 274 275

Siehe Anhang 4.

Siehe Ziffer 12.1.1.

Siehe Ziffer 1.4.1.

Parlamentarische Initiative Lombardi «Für ein Auslandschweizergesetz» (11.446) vom 15. Juni 2011.

5202

16.5

Kantonale Rechtsgrundlagen

Kantone, die Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe durchführen, haben hierzu entsprechende Rechtsgrundlagen erlassen. Normstufe und -dichte unterscheiden sich von Kanton zu Kanton zum Teil wesentlich; die Regelungen gehen inhaltlich nicht gleich weit. Ausserdem sehen einzelne Kantone bereits heute rechtliche Grundlagen für Versuche mit in der Schweiz wohnhaften Stimmberechtigten vor, wohingegen andere die elektronische Stimmabgabe vorerst noch auf Auslandschweizer Stimmberechtigte beschränken. Diese Situation ist darauf zurückzuführen, dass es den Kantonen entsprechend der Kompetenzaufteilung im Bereich der politischen Rechte überlassen ist, ob, wann und in welchem Tempo sie Vote électronique einführen wollen.

Mit den neuen bundesrechtlichen Vorgaben muss das bestehende kantonale Recht nicht bzw. nur geringfügig angepasst werden. Dieser Umstand ist der technischen Arbeitsgruppe, welche die neuen Standards für die Systeme der zweiten Generation definiert und dabei auch die kantonalen Rahmenbedingungen berücksichtigt hat, zu verdanken. Hingegen empfahlen OSZE und BDIMR in ihrem Bericht im Nachgang zur Beobachtung der Nationalratswahlen 2011 wie gesehen sowohl Bund als auch Kantonen, im Bereich der elektronischen Stimmabgabe detailliertere Rechtsgrundlagen zu erarbeiten276. Der Bund kommt dieser Empfehlung mit der geplanten Revision der VPR und dem Erlass eines neuen Technischen Reglements nach277. Es wäre wünschenswert, dass die Kantone ihre Rechtsgrundlagen insbesondere mit Blick auf eine Ausdehnung des zur elektronischen Stimmabgabe zugelassenen Elektorats ebenfalls überprüfen und gegebenenfalls anpassen.

Ganz allgemein müssen Kantone, welche die elektronische Stimmabgabe neu einführen oder aber planen, die aktuellen Versuche auszudehnen, dafür besorgt sein, dass die entsprechenden kantonalen Rechtsgrundlagen unter Einhaltung der bundesrechtlichen Vorgaben vorhanden sind. Dies wird auch weiterhin Voraussetzung für die Genehmigung der kantonalen Gesuche um Durchführung eines Versuchs mit Vote électronique anlässlich eines eidgenössischen Urnengangs durch den Bundesrat sein.

16.6

Internationale Standards

Zwei im Bereich der politischen Rechte wichtige internationale Organisationen engagieren sich für die Erarbeitung von Standards zur elektronischen Stimmabgabe und bieten den Staaten eine Plattform für den Erfahrungsaustausch. Sie haben allgemeine Empfehlungen zur elektronischen Stimmabgabe erarbeitet bzw. konkrete Empfehlungen zuhanden des Schweizer Projekts ausgesprochen:

276 277

­

Empfehlungen des Europarates (Ziff. 16.6.1);

­

Empfehlungen der OSZE/BDIMR im Nachgang zur Beobachtung der Nationalratswahlen 2011 (Ziff. 16.6.2).

Siehe Anhang 4.

Siehe Ziffer 16.2 und Ziffer 16.3.

5203

Diese Empfehlungen sind für die Schweiz nicht bindend, doch sollen sie bei der Überarbeitung der Rechtsgrundlagen soweit möglich und sinnvoll berücksichtigt werden. Andernfalls soll begründet werden, weshalb eine Empfehlung nicht umgesetzt wird. Dieses Vorgehen trägt dazu bei, dass sich die schweizerischen Lösungen auf der internationalen Ebene profilieren können. Auch innerstaatlich ist dies eine wichtige Botschaft mit Blick auf die Kommunikation rund um die Ausdehnung des neuen Stimmkanals.

16.6.1

Empfehlungen des Europarats

Der Europarat hat wie in Teil I278 beschrieben folgende Empfehlungen zuhanden der Mitgliedstaaten ausgesprochen: ­

Empfehlung des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten hinsichtlich der rechtlichen, operativen und technischen Standards für die elektronische Stimmabgabe (Empfehlung [2004] 11);

­

Richtlinien zur Zertifizierung279;

­

Richtlinien zur Beobachtung/Transparenz280.

Die Umsetzung der Empfehlung (2004) 11 wird im Rahmen von zweijährlich stattfindenden Review Meetings evaluiert. Anlässlich des vierten Review Meetings vom Juli 2012 kamen die anwesenden Staaten übereinstimmend zum Schluss, dass die Empfehlungen nach mehrjähriger praktischer Erfahrung in verschiedenen Mitgliedstaaten überarbeitet werden sollten, da sie nicht mehr aktuell sind. Aus diesem Grund wird im Rahmen dieses Berichts auf eine vollständige Überprüfung der gemachten Anpassungsvorschläge auf ihre Kompatibilität mit Empfehlung (2004) 11 hin zum heutigen Zeitpunkt verzichtet.

16.6.2

Empfehlungen von OSZE und BDIMR

Eine ausführliche Wiedergabe aller Empfehlungen zur elektronischen Stimmabgabe, welche die OSZE/BDIMR im Nachgang zur Beobachtung der Nationalratswahlen 2011 in ihrem am 30. Januar 2012 veröffentlichten Bericht ausgesprochen hat, findet sich im ersten Teil des Berichts281 sowie in Anhang 4.

An dieser Stelle seien die Empfehlungen lediglich summarisch aufgelistet und es sei aufgezeigt, inwiefern sie mit den in diesem Bericht vorgeschlagenen Massnahmen berücksichtigt wurden.

278 279

Siehe Ziffer 1.8.1.

«Certification of e-voting systems ­ Guidelines for developing processes that confirm compliance with prescribed requirements and standards» des Europarates vom 16. Februar 2011 (www.bk.admin.ch > Themen > Politische Rechte > Vote électronique > International).

280 «Guidelines on transparency of e-enabled elections» des Europarates vom 16. Februar 2011 (www.bk.admin.ch > Themen > Politische Rechte > Vote électronique > International).

281 Siehe Ziffer 1.8.1.

5204

Nr.

Empfehlung

Bemerkungen/Begründung (falls nicht umgesetzt)

Fundstelle im Bericht (Kapitel)

1.

Detailliertere Rechtsgrundlagen für Vote électronique

Überarbeitung der Rechtsgrundlagen 2013

Ziff. 16

2.

Definition formelles Verfahren zur Vernichtung der elektronischen Daten

Es existiert eine entsprechende Sicherheitsanforderung hinsichtlich der Weiterentwicklung von Vote électronique

Ziff. 12.1.1

3.

Überprüfung Druckvorgang Stimmrechtsausweise für Vote électronique

In Umsetzung (Anforderungskatalog der Bundeskanzlei, der seit Ziffer 1.1.12 in Kraft ist)

Ziff. 12.1.1

4.

Einführung von Verifizierbarkeit und Re-Voting282 prüfen

Re-Voting wird als nicht in das aktuelle schweizerische System der politischen Rechte passend beurteilt

Ziff. 12.1.1

5.

Verwendung von «State-ofthe-art»-Verschlüsselungsmethoden

Stimmen werden zu keinem Zeitpunkt entschlüsselt (Endto-end-Verschlüsselung)

Ziff. 12.1.1

6.

Möglichst späte Entschlüsselung der elektronischen Urne

Entschlüsselungszeitpunkt soll nach hinten verschoben werden

Ziff. 12.1.4

7.

Sicherheitssiegel über Passwort für Vote électronique

In Umsetzung (Anforderungskatalog der Bundeskanzlei, der seit Ziff. 1.1.12 in Kraft ist)

Ziff. 12.1.1

8.

Mehr technisch geschultes Personal bei Kantonen

Keine einheitliche Aussage auf Stufe Bund möglich, fällt in die Kompetenz der Kantone

Ziff. 17.1.2

9.

Besserer Umgang mit verschlüsselten Daten

Stimmen werden zu keinem Zeitpunkt entschlüsselt (Endto-end-Verschlüsselung) Grad der Öffentlichkeit ist ein politischer Entscheid und liegt in der Kompetenz der Kantone

Ziff. 12.1.1

10. End-to-End-Test vor jedem Einsatz

Grad der Öffentlichkeit ist ein politischer Entscheid und liegt in der Kompetenz der Kantone

Ziff. 12.1.2

11. Zertifizierung durch unabhängige Stelle

Bundesrat und Bundeskanzlei

Ziff. 12.1.2

282

Die mehrfache Abgabe der Stimme ist möglich, doch wird lediglich die letzte abgegebene Stimme gezählt.

5205

Nr.

Empfehlung

Bemerkungen/Begründung (falls nicht umgesetzt)

Fundstelle im Bericht (Kapitel)

12. Evaluation durch unabhängige Stelle

Durch die SAS akkreditierte private Unternehmen Grad der Öffentlichkeit ist ein politischer Entscheid und liegt in der Kompetenz der Kantone

Ziff. 12.1.2

13. Austausch von vorbildlichen Praktiken

Seit längerer Zeit in Umsetzung im Rahmen von Arbeitsgruppe, Begleitgruppe und Steuerungsausschuss VE

Ziff. 1.7.1

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der grösste Teil der Empfehlungen mit den vorgeschlagenen Neuerungen auf die eine oder andere Weise abgedeckt wird. Lediglich die Empfehlung zur Einführung von Re-Voting (4.) soll nicht weiterverfolgt werden.

Es gilt zu betonen, dass die meisten Punkte bereits vor den Empfehlungen der OSZE/BDIMR aufgegleist wurden, so insbesondere die technischen Aspekte im Rahmen der technischen Arbeitsgruppe, die von Mai 2011 bis Juni 2012 tagte283.

Die OSZE/BDIMR hat ausserdem nach ersten Erfahrungen in Mitgliedstaaten in den Jahren 2011/12 (Estland, Norwegen, Schweiz und Frankreich) ein Handbuch zur Beobachtung der elektronischen Stimmabgabe in Aussicht gestellt. Die Schweizer Expertinnen und Experten werden dieses zu gegebener Zeit studieren und versuchen, die Berücksichtigung der schweizerischen Besonderheiten zu erwirken.

17

Finanzielle Auswirkungen

17.1

Neue Prozesse

Die bisherigen Prozesse im Bereich der elektronischen Stimmabgabe und insbesondere das Bewilligungsverfahren erfahren grössere Änderungen. Es stellt sich daher die Frage, welche Konsequenzen dies auf die bei Bund und Kantonen benötigten Ressourcen hat.

17.1.1

Einschätzung des Bundes

Nach Einschätzung des Bundes dürften die neu definierten Prozesse mittel- bis langfristig weniger ressourcenaufwändig sein als die aktuell zur Anwendung gelangenden. Dennoch führt dies zum heutigen Zeitpunkt voraussichtlich noch nicht zu spürbaren Einsparungen. Insbesondere in einer ersten Phase wird die Bundeskanzlei mit Blick auf die Umsetzung der neuen Prozesse (Bewilligungs- und Zulassungsverfahren, Risikomanagement, Kommunikation etc.) stark gefordert sein. Auch dürfte der Bedarf der Kantone an Unterstützung durch die Bundeskanzlei bei der Umset-

283

Siehe Ziffer 12.1.

5206

zung der neuen Anforderungen zunehmen. Die Einsparungen werden daher zumindest in einer ersten Phase durch die Ausdehnung von Vote électronique aufgewogen.

17.1.2

Einschätzung der Kantone

Nach Einschätzung der Kantone führen die neuen Prozesse rund um das Bewilligungsverfahren zu einem geringeren Aufwand als bisher.

Hingegen werden die Prozesse rund um die Umsetzung der neuen Sicherheitsanforderungen einen beträchtlichen Mehraufwand mit sich bringen.

Die OSZE/BDIMR hat in ihrem Bericht vom 30. Januar 2012 empfohlen, dass bei den Kantonen für die Durchführung von Versuchen mit Vote électronique mehr technisch geschultes Personal eingestellt werden sollte. Angesprochen sein dürften hier in erster Linie die beherbergten Kantone bzw. Kantone des Consortiums, die ihr System durch einen anderen Kanton oder aber durch einen privaten Anbieter betreiben lassen. Dies liegt klar in der Kompetenz der Kantone als eigentliche Projektleiter; der Bund setzt lediglich voraus, dass das Gesamtkonzept eines Kantons nachvollziehbar ist und nachgewiesen werden kann, dass die elektronische Stimmabgabe nur unter Einhaltung der bundesrechtlichen Vorgaben möglich ist.

17.1.3

Kosten für die Weiterentwicklung von Vote électronique

Es gilt zu unterscheiden zwischen Kosten für die Weiterentwicklung der Systeme (Ziff. 17.1.3) und Kosten für die Kontrollen der Umsetzung der bundesrechtlichen Anforderungen (Ziff. 17.1.3). In beiden Fällen wird zwischen den zwei vorgeschlagenen Entwicklungsschritten unterschieden (eine erste Etappe gefolgt von der vollständigen Umsetzung der Verifizierbarkeit284).

Die Schätzungen der Kantone sind unterschiedlich ausgefallen. Dies erklärt sich insbesondere dadurch, dass ihre Angaben einzig auf die Weiterentwicklung bzw. die Überprüfung ihres eigenen Systems bezogen wurden.

Die Kantone Neuenburg und Genf sowie auch das Consortium sind bei der Schätzung der Kosten unterschiedlich vorgegangen. In einem Fall wurden minimale und maximale Kosten ausgewiesen, in den anderen Fällen ein Erwartungswert, dessen Unsicherheit nicht weiter quantifiziert wurde (auf die grosse Unsicherheit wurde jedoch hingewiesen). Um eine bessere Vergleichsbasis zu erhalten, wurden die Erwartungswerte (Durchschnitt von Maximum und Minimum) miteinander verglichen. Bei den unten ausgewiesenen Kosten handelt es sich jeweils um den höchsten geschätzten Erwartungswert unter den befragten Betreibern von Vote électronique.

Die Schätzungen umfassen interne und externe Kosten. Es bleibt zu unterstreichen, dass die Schätzungen noch mit grossen Unsicherheiten behaftet sind, da den Kantonen zum heutigen Zeitpunkt noch keine konkreten Offerten vorliegen.

Schliesslich stellt sich die Frage, wer für welche Kosten aufzukommen hat (Ziff. 17.2).

284

Siehe Ziffer 12.1.1.

5207

Kosten für die Weiterentwicklung der Systeme Die höchste Schätzung für die Weiterentwicklung im Sinne der ersten Etappe285 beläuft sich auf 1,7 Millionen Franken.

Die zusätzlichen Kosten bei einer Weiterentwicklung zu Systemen der zweiten Generation werden auf bis zu 3,9 Millionen Franken geschätzt.

Kosten für Kontrollen Die höchste Schätzung für die für die Zulassung erforderlichen Kontrollen eines Systems für Vote électronique der ersten Etappe286 beläuft sich auf 550 000 Franken.

Die Kosten für die Kontrolle eines Systems der zweiten Generation werden auf bis zu rund 700 000 Franken geschätzt.

Hinzu kommen wiederkehrende Kosten, die auf jährlich rund 44 000 Franken geschätzt werden.

17.2

Kostenaufteilung zwischen Bund und Kantonen

Diese Schätzungen zeigen, dass die Weiterentwicklung der Systeme und deren regelmässige externe Überprüfung mit nicht zu vernachlässigenden Kosten verbunden sind. Aufgrund der aktuellen Kompetenzaufteilung im Bereich der politischen Rechte hätten grundsätzlich die Kantone für diese Kosten aufzukommen. Weil Vote électronique aber ein Gemeinschaftsprojekt von Bund und Kantonen ist und weil auch der Bund sich die flächendeckende Einführung des neuen Stimmkanals zum Ziel gesetzt hat (priorisiertes Vorhaben der E-Government-Strategie Schweiz), haben die Kantone gegenüber der Bundeskanzlei den Antrag gestellt, dass sich der Bund an diesen Kosten beteilige. Die Kosten für den Betrieb der Systeme tragen selbstverständlich auch künftig die Kantone.

Die Kantone werden im Jahr 2013 auf Antrag der Bundeskanzlei hin aus Mitteln aus dem «Aktionsplan E-Government Schweiz»287 mit 100 000 Franken pro System, d.h. insgesamt 300 000 Franken, unterstützt. Der Bund ist bereit, die Kantone im Jahr 2014 im gleichen Umfang aus dem allgemeinen Budget der Bundeskanzlei zu unterstützen. Ausserdem hat sie den Kantonen eine finanzielle Unterstützung bei den erstmaligen Audits der weiterentwickelten Systeme zugesagt; dies erfolgt ebenfalls aus dem allgemeinen Budget der Bundeskanzlei. Eine darüber hinausgehende (einmalige) Beteiligung des Bundes ab 2015 wird der Bundesrat im Verlauf des Jahres 2013 auf Antrag der Bundeskanzlei in Absprache mit den Kantonen prüfen.

18

Weiteres Vorgehen

Mit dem Inkrafttreten der auf der Grundlage des vorliegenden Berichts angepassten Rechtsgrundlagen auf den 1. Januar 2014 können Versuche mit Vote électronique unter den neuen Bedingungen durchgeführt werden. Erste Kantone werden diese 285 286 287

Siehe Ziffer 12.1.1.

Siehe Ziffer 12.1.1.

Siehe www.egovernment.ch > Umsetzung/Katalog > Aktionsplan.

5208

Möglichkeit nützen und die aktuellen Versuche im Rahmen der ersten Etappe ausdehnen. Anstatt 30 Prozent dürfen sie dann bis zu 50 Prozent ihrer Stimmberechtigten in die Versuche einbeziehen. Es ist damit zu rechnen, dass bei positiven Erfahrungen weitere Kantone nachziehen werden.

In einem nächsten Schritt dürften einzelne Kantone auch die zweite Etappe umsetzen, um 100 Prozent ihres Elektorats zur elektronischen Stimmabgabe zulassen zu können. Einige Kantone gaben an, dass dies frühestens ab 2016/17 realistisch ist.

Mit den Erfahrungen mit den erweiterten Zulassungsvoraussetzungen wird sich zeigen, ob diese praxistauglich sind.

Ausserdem sollen weitere Erfahrungen bei Wahlen mit Vote électronique gemacht werden. Erste Versuche sind auf kommunaler und/oder kantonaler Stufe durchzuführen. Verschiedene Kantone planen derzeit solche Versuche. Anlässlich der nächsten eidgenössischen Wahlen im 2015 soll dann eine grosse Mehrheit der Auslandschweizer und idealerweise auch eine grosse Mehrheit der Kantone Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe bei Wahlen durchführen. Der Bund unterstützt die Kantone dahingehend, dass auch erste in der Schweiz wohnhafte Stimmberechtigte 2015 ihre Wahl elektronisch treffen könnten.

Um die genannten Ziele erreichen zu können, ist eine Ausdehnung des neuen Stimmkanals auf neue Kantone unumgänglich. Die Bundeskanzlei wird Kantone, welche die Einführung von Vote électronique planen, auch künftig bestmöglich unterstützen. Die Kantone mit eigenem System für Vote électronique haben mehrfach die Bereitschaft geäussert, neue Kantone aufzunehmen. Selbstverständlich wäre es auch zulässig, ein neues System zu verwenden, sofern dieses den bundesrechtlichen Vorgaben entspricht.

2017/18 soll dann der vierte und aus heutiger Sicht letzte Bericht des Bundesrates zu Vote électronique vorgelegt werden. Dieser wird sich mit der Auswertung der Erfahrungen mit den neuen Versuchsbedingungen befassen müssen. Sind die Ergebnisse positiv, könnte der dritte, komplementäre Stimmkanal in den Normalbetrieb überführt werden. Den Kantonen wäre es weiterhin freigestellt, ob sie Vote électronique anbieten oder nicht. Die Bedingungen des Bundes hierfür sind allerdings klar und praxiserprobt. Ob es weiterhin eine Bewilligung brauchen wird und wie das Bewilligungsverfahren diesfalls auszugestalten
wäre, kann zum heutigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden und muss gestützt auf die gemachten Erfahrungen im vierten Bericht beurteilt werden. Auf Stufe Bund würde die Überführung des dritten Stimmkanals in den Normalbetrieb die Auflösung der heutigen Projektstruktur mit sich bringen.

Die definitive Einführung des neuen Stimmkanals würde eine Anpassung des BPR mit sich bringen. Dies bedeutet, dass sich die Bundesversammlung mit dem Geschäft befassen und grünes Licht für die Generalisierung geben müsste. Die Stimmberechtigten hätten sodann die Möglichkeit, das Referendum gegen die Überführung des neuen Stimmkanals in den Normalbetrieb zu ergreifen.

Die Einführung der elektronischen Unterschriftensammlung für (eidgenössische) Volksbegehren, das sogenannte E-Collecting, stellt wie im letzten Bericht des Bundesrates zum Vote électronique aus dem Jahr 2006 aufgezeigt die dritte Phase des Projekts dar. Verschiedene parlamentarische Vorstösse haben seit 2006 die Einführung dieser neuartigen Unterschriftensammelmethode oder Vorschläge für die

5209

Lösung von Problemen, die damit im Zusammenhang stehen, verlangt288. Bis anhin wurden noch keine Versuche mit E-Collecting durchgeführt, da wichtige Voraussetzungen für ein solches Projekt wie z.B. ein einheitlicher Personenidentifikator oder Stimmregister mit harmonisierten Schnittstellen noch nicht bzw. nicht ausreichend vorhanden waren. Dennoch wird die Bundeskanzlei die Einführung von E-Collecting prüfen und zu diesem Zweck eine entsprechende Vorstudie lancieren. Dabei gilt es auch die im Ausland gemachten Erfahrungen, insbesondere jene im Zusammenhang mit der Europäischen Bürgerinitiative der EU, zu berücksichtigen. Die vierte und letzte Projektphase, das elektronische Unterschriftensammeln für Wahlvorschläge bei Nationalratswahlen, dürfte von der Lösung her sehr ähnlich sein wie jene für das E-Collecting; bei dieser Phase kann daher von den bei E-Collecting gemachten Erfahrungen profitiert werden.

Die Bundeskanzlei wird beauftragt, das Projekt Vote électronique weiterhin wissenschaftlich begleiten zu lassen und die Auswirkungen auf die direkte Demokratie unter Berücksichtigung verschiedener Disziplinen untersuchen zu lassen.

Im Bereich der internationalen Zusammenarbeit soll auch künftig sowohl auf multilateraler als auch auf bilateraler Ebene der Austausch mit anderen Staaten gesucht werden. Die Mitarbeit der zuständigen Spezialistinnen und Spezialisten dient einerseits der Wahrung der Interessen der Schweiz auf diesem Gebiet und andererseits dem Erfahrungsaustausch in einem Bereich, in dem die Schweiz eine Vorreiterrolle einnimmt. So soll die Schweiz insbesondere bei der geplanten Überarbeitung der Standards des Europarats zur elektronischen Stimmabgabe mitwirken und ihr Wissen einbringen.

288

Siehe Anhang 3. Zusätzlich zu den dort genannten Vorstössen kann an dieser Stelle auf die Interpellation Wermuth «Zentrale Beglaubigung für eidgenössische Volksinitiativen und Referenden» (12.3082) und die entsprechende Antwort des Bundesrates verwiesen werden.

5210

Ergänzende Dokumentation Zu den folgenden Themen sind ergänzende und weiterführende Informationen in einer separaten Dokumentation elektronisch veröffentlicht: 1.

Rechtsgrundlagen

2.

Rechtsgrundlagen für Auslandschweizer Stimmberechtigte

3.

Parlamentarische Vorstösse auf Bundesebene und in den Kantonen

4.

Empfehlungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu Vote électronique

5.

Gemeinsame Berechnungsgrundlage der Kosten für Vote électronique

6.

Kontrolle durch Externe

7.

Mögliche Umsetzung der Sicherheitsanforderungen

Diese Dokumentation oder Teile davon können bei der Sektion Politische Rechte der Bundeskanzlei angefordert werden oder über das Internet unter der Adresse www.admin.ch (Rubrik «Bundeskanzlei/Sektion Politische Rechte/Vote électronique») eingesehen werden.

5211

Abkürzungsverzeichnis AG VE

Arbeitsgruppe Vote électronique

AkkBV

Verordnung vom 17. Juni 1996 über das schweizerische Akkreditierungssystem und die Bezeichnung von Prüf-, Konformitätsbewertungs-, Anmelde- und Zulassungsstellen (Akkreditierungs- und Bezeichnungsverordnung, SR 946.512)

ASO

Auslandschweizer-Organisation

BAKOM

Bundesamt für Kommunikation

BBl

Bundesblatt

BDIMR

Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte

BehiG

Bundesgesetz vom 13. Dezember 2012 über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG, SR 151.3)

BFH

Berner Fachhochschule

BFS

Bundesamts für Statistik

BGer

Bundesgericht

BGÖ

Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (Öffentlichkeitsgesetz, SR 152.3)

BG VE

Begleitgruppe Vote électronique

BJ

Bundesamt für Justiz

BPR

Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (SR 161.1)

BPRAS

Bundesgesetz vom 19. Dezember 1975 über die politischen Rechte der Auslandschweizer (SR 161.5)

BV

Bundesverfassung (SR 101)

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

DSG

Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, SR 235.1)

EDA

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten

EDÖB

Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter

ETHZ

Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

GPV

Gemeindepräsidenten des Kantons Zürich

Hrsg.

Herausgeber

HSM

Hardware Security Modules

IG EDV

Interessengemeinschaft EDV

ISB

Informatiksteuerungsorgan des Bundes

ISO

International Organization for Standardization

5212

MELANI

Melde- und Analysestelle Informationssicherung des Bundes

NDA

Non-Disclosure Agreement

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

RRB

Regierungsratsbeschluss

RVOV

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998 (SR 172.010.1)

SA VE

Steuerungsausschuss Vote électronique

SECO

Staatssekretariat für Wirtschaft

SSL

Secure Socket Layer

TR VE

Technisches Reglement Vote électronique

VerfGH

Verfassungsgerichtshof

VERA

Informationssystem Vernetzte Verwaltung der Auslandschweizer

VPR

Verordnung vom 24. Mai 1978 über die politischen Rechte (SR 161.11)

VRSG

Verwaltungsrechenzentrum St. Gallen

VZGV

Verein Zürcher Gemeindeschreiber und Verwaltungsfachleute

ZertES

Bundesgesetz über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur (Bundesgesetz über die elektronische Signatur, ZertES, SR 943.03)

5213

5214