13.099 Botschaft zur Genehmigung der Abkommen mit Jersey, Guernsey und der Insel Man über den Informationsaustausch in Steuersachen vom 20. November 2013

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung der Abkommen vom 28. August 2013 zwischen der Schweiz und der Insel Man, vom 11. September 2013 zwischen der Schweiz und Guernsey sowie vom 16. September 2013 zwischen der Schweiz und Jersey.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. November 2013

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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Übersicht Seit dem Beschluss des Bundesrats vom Frühjahr 2009, den international anerkannten Standard beim Informationsaustausch in Steuersachen gemäss Artikel 26 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) zu übernehmen, hat die Schweiz eine Vielzahl von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) revidiert und neue Abkommen mit einer standardkonformen Klausel über den Informationsaustausch abgeschlossen.

Sie setzt ihre Bestrebungen, die neue Amtshilfepolitik in bestehende oder neue DBA mit weiteren Staaten zu verankern, unvermindert fort.

Aufgrund der neuen Amtshilfepolitik der Schweiz haben gewisse Jurisdiktionen, u. a.

Jersey, Guernsey und die Insel Man, die Schweiz um Aufnahme von Verhandlungen über ein Steuerinformationsabkommen (SIA; Tax Information Exchange Agreement, TIEA) ersucht. Im April 2012 hat der Bundesrat beschlossen, auch solche SIA abzuschliessen.

Der Abschluss eines SIA erlaubt es Staaten oder Jurisdiktionen, die untereinander kein DBA abschliessen wollen ­ zum Beispiel, weil im bilateralen Verhältnis kaum Doppelbesteuerungen auftreten ­, einen Informationsaustausch in Steuersachen zu vereinbaren. Ein DBA und ein SIA sind im Prinzip gleichwertige Instrumente für die Vereinbarung einer standardkonformen Amtshilfebestimmung. Im Vergleich zu Artikel 26 OECD-MA regelt ein SIA die Modalitäten der Amtshilfe detaillierter und beschränkt sich ausdrücklich auf die Amtshilfe auf Ersuchen.

Die Abkommen mit der Insel Man, Guernsey und Jersey wurden am 28. August, am 11. September und am 16. September 2013 unterzeichnet.

In der Anhörung ist der Abschluss dieser Abkommen begrüsst worden.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Seit dem Beschluss des Bundesrats vom Frühjahr 2009, den international anerkannten Standard beim Informationsaustausch in Steuersachen gemäss Artikel 26 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) zu übernehmen, hat die Schweiz eine Vielzahl von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) revidiert und neue Abkommen mit einer standardkonformen Klausel über den Informationsaustausch abgeschlossen. Sie setzt ihre Bestrebungen, die neue Amtshilfepolitik in bestehenden oder neuen DBA mit weiteren Staaten zu verankern, unvermindert fort.

Aufgrund der neuen Amtshilfepolitik der Schweiz haben gewisse Jurisdiktionen, u. a. Jersey, Guernsey und die Insel Man, die Schweiz um Aufnahme von Verhandlungen ersucht, um ein Steuerinformationsabkommen (SIA; Tax Information Exchange Agreement, TIEA) abzuschliessen. Zu Beginn der Umsetzung ihrer neuen Amtshilfepolitik in Steuersachen erachtete die Schweiz jedoch zunächst die Revision ihrer DBA für prioritär. Das Global Forum über Transparenz und Informationsaustausch für Steuerzwecke (Global Forum) hat der Schweiz deshalb im Peer-Review-Bericht vom Juni 2011 empfohlen, mit interessierten Staaten und Jurisdiktionen standardkonforme SIA abzuschliessen. Im April 2012 hat der Bundesrat beschlossen, auch solche SIA abzuschliessen.

Der Vollzug von SIA wird im Steueramtshilfegesetz vom 28. September 20121 (StAhiG) geregelt, das am 1. Februar 2013 in Kraft getreten ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 Bst. b StAhiG). Der Abschluss eines SIA erlaubt den Staaten und Jurisdiktionen, die untereinander kein DBA abschliessen wollen ­ zum Beispiel, weil aufgrund des Fehlens eines Steuersystems oder eines umfassenden Steuerrechts seitens einer der Vertragsparteien im bilateralen Verhältnis kaum Doppelbesteuerungen auftreten ­, einen Informationsaustausch in Steuersachen zu vereinbaren.

Ein DBA und ein SIA sind im Prinzip gleichwertige Instrumente für den Abschluss einer standardkonformen Amtshilfebestimmung. Im Vergleich zu Artikel 26 OECD-MA regelt ein SIA die Modalitäten der Amtshilfe detaillierter und beschränkt sich ausdrücklich auf die Amtshilfe auf Ersuchen.

Um zu entscheiden, ob es sinnvoller ist, ein DBA oder ein SIA abzuschliessen, muss jeder Einzelfall aufgrund der jeweils auf dem Spiel stehenden Interessen beurteilt werden. Eine besondere Bedeutung ist den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen
beizumessen. Bedürfen im bilateralen Verhältnis neben dem Informationsaustausch weitere Steuerfragen einer Regelung, so ist der Abschluss eines DBA vorzuziehen. In allen anderen Fällen dürfte ein SIA geeigneter sein.

Gestützt auf den Bundesratsbeschluss vom April 2012 hat die Schweiz den Gesuchen von Jersey, Guernsey und der Insel Man um Aufnahme von Verhandlungen zwecks Abschlusses eines SIA zugestimmt. Diese Jurisdiktionen sind vom Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland autorisiert worden, solche Abkommen abzuschliessen. Obschon es gemeinsame Interessen gibt und die drei Jurisdiktionen zu den wichtigsten Finanzzentren Europas zählen, hat eine vorgängige informelle Konsultation ergeben, dass die Schweiz aus wirtschaftlichen Gründen nicht am Abschluss eines DBA interessiert ist, sondern ein SIA als geeigneter erachtet. Im Januar 2013 fanden in London Verhandlungen zum Abschluss dreier SIA zwischen der Schweiz

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SR 672.5

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einerseits und Jersey, Guernsey sowie der Insel Man andererseits statt; sie führten am 24. Januar 2013 zur Paraphierung von Abkommensentwürfen.

Die Abkommen wurden am 28. August (Insel Man), am 11. September (Guernsey) und am 16. September 2013 (Jersey) unterzeichnet.

1.2

Würdigung der Abkommen

Die Abkommen regeln den Informationsaustausch auf Ersuchen und dessen Vollzug. Sie stimmen weitgehend mit dem OECD-MA von 2002 über den Informationsaustausch in Steuerbelangen (TIEA-MA) sowie mit Artikel 26 OECD-MA überein. Einige Punkte mussten jedoch den Besonderheiten des internen Rechts von Jersey, Guernsey und der Insel Man (Berücksichtigung des Konzepts des legal privilege, das dem Common Law eigen ist) beziehungsweise des Schweizer Rechts (Ausschluss der im TIEA-MA enthaltenen Bestimmung über Steuerkontrollen im Ausland) angepasst werden. Die SIA dienen der Umsetzung der schweizerischen Amtshilfepolitik, standardkonforme Amtshilfeabkommen nicht nur in Form von DBA, sondern auch von SIA zu vereinbaren. Mit dem Abschluss solcher Abkommen kann gleichzeitig die Reputation und die Integrität des Schweizer Finanzplatzes gewahrt und die Empfehlung des Global Forum umgesetzt werden. Die Abkommen sind eine gute Grundlage, um mit weiteren Jurisdiktionen ähnliche SIA auszuhandeln. Aus Sicht der Schweiz ist es wünschenswert, dass die drei SIA möglichst bald in Kraft treten.

1.3

Anhörungsverfahren

Vom 19. Juni bis 19. Juli 2013 waren die Abkommensentwürfe Gegenstand eines Anhörungsverfahrens unter Beteiligung der Kantone und der interessierten Kreise. Der Abschluss der Abkommen ist insgesamt begrüsst worden.

Angesichts des Modellcharakters der drei SIA wurde im erläuternden Bericht die Frage aufgeworfen, ob es nicht sinnvoll wäre, im Rahmen der Botschaft über die Genehmigung der Abkommen mit Jersey, Guernsey und der Insel Man eine Kompetenzdelegation an den Bundesrat zur Verhandlung von SIA und zu deren Ratifizierung ohne Genehmigungsvorbehalt zu beantragen. Dazu wurde ausgeführt, dass dies von der Verfahrensökonomie her im Hinblick auf den Abschluss weitgehend ähnlicher SIA von Vorteil wäre. Zudem könnte auf diese Weise den Erwartungen weiterer Staaten und Jurisdiktionen und des Global Forum schneller entsprochen werden.

Die Schweizerische Bankiervereinigung stellte die Notwendigkeit einer solchen Delegation grundsätzlich in Frage. Der Wirtschaftsverband SwissHoldings sprach sich für den Fall, dass SIA in Zukunft auch mit Staaten mit allgemeiner Einkommens- und Vermögensbesteuerung abgeschlossen werden, dafür aus, dass solche Abkommen dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet werden sollten. Aufgrund dieser Stellungnahmen wurde auf die Aufnahme einer Kompetenzdelegation an den Bundesrat für den Abschluss von künftigen Abkommen in die vorliegende Botschaft verzichtet.

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2

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

Die Abkommen folgen sowohl formell als auch materiell weitgehend dem TIEA-MA und Artikel 26 OECD-MA. Sie dienen der schweizerischen Abkommenspolitik, standardkonforme Amtshilfeabkommen auch in der Form eines SIA abzuschliessen. Die folgenden Erläuterungen betreffen jedes der drei Abkommen.

Ingress Gemäss Ingress besteht der allgemeine Zweck der SIA darin, den Informationsaustausch in Steuersachen zwischen den Vertragsparteien zu erweitern und zu erleichtern.

Die vorliegenden Abkommen enthalten nur Verpflichtungen für die Vertragsparteien und nicht für das Vereinigte Königreich von Grossbritannien und Nordirland.

Art. 1

Gegenstand und Geltungsbereich des Abkommens

Die Vertragsparteien leisten einander Unterstützung durch den Austausch von Informationen, die für die Anwendung und Durchsetzung des internen Rechts betreffend die unter das SIA fallenden Steuern voraussichtlich erheblich sind. Mit dem Verweis auf die voraussichtliche Erheblichkeit der ersuchten Auskünfte soll ein möglichst weit gehender Informationsaustausch in Steuersachen gewährleistet werden. Gleichzeitig soll damit jedoch klar festgehalten werden, dass es untersagt ist, sogenannte Fischzüge (fishing expeditions) zu betreiben, also Gesuche ohne konkrete Anhaltspunkte zu stellen, oder um Informationen zu ersuchen, deren Erheblichkeit hinsichtlich der Steuerbelange einer bestimmten steuerpflichtigen Person wahrscheinlich nicht gegeben ist.

Die persönlichen Rechte und Sicherheiten, welche die Gesetze oder die Verwaltungspraxis der ersuchten Partei gewähren, bleiben anwendbar, sofern ein wirksamer Informationsaustausch dadurch nicht verhindert oder übermässig verzögert wird. Für die Schweiz heisst dies namentlich, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie die Rechtsweggarantie nach Massgabe der gesetzlichen Bestimmungen gewahrt bleiben.

Art. 2

Zuständigkeit

Die ersuchte Partei ist nicht verpflichtet, Informationen zu liefern, die weder ihren Behörden vorliegen noch sich im Besitz, unter der Kontrolle oder in der Verfügungsmacht von Personen in ihrem Hoheitsbereich befinden. Der Passus «in der Verfügungsmacht» wurde auf Wunsch von Jersey, Guernsey und der Insel Man eingefügt, um zu verdeutlichen, dass Personen, die dem Recht der ersuchten Partei unterstehen und in deren Verfügungsmacht sich die ersuchten Auskünfte befinden, vom SIA ebenfalls erfasst sind. Die Begriffe «Besitz», «Kontrolle» oder «in der Verfügungsmacht» sind in einem weiten Sinne auszulegen.

Die Auskunftspflicht ist weder durch die Ansässigkeit noch durch die Staatsangehörigkeit der Person, auf die sich die Auskünfte beziehen, oder der Person, die im Besitz der ersuchten Informationen ist, diese kontrolliert oder in deren Verfügungsmacht sich diese befinden, begrenzt.

Art. 3

Unter das Abkommen fallende Steuern

Für die Schweiz fallen die Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie die Erbschaftsund Schenkungssteuern der Kantone und Gemeinden in den Geltungsbereich der SIA. Für Jersey, Guernsey und die Insel Man fallen die Einkommenssteuern in den Geltungsbereich der SIA;

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für Guernsey kommen die Steuern auf Gewinnen aus der Veräusserung von Wohneigentum hinzu. Indirekte Steuern hingegen fallen nicht unter die SIA.

Art. 4

Begriffsbestimmungen

Artikel 4 definiert die Begriffe des Abkommens. Dabei werden im Wesentlichen die Definitionen des TIEA-MA übernommen.

Art. 5

Informationsaustausch auf Ersuchen

Abs. 1 Der Informationsaustausch für die in Artikel 1 genannten Zwecke erfolgt ausschliesslich auf Ersuchen. Der spontane und der automatische Informationsaustausch sind somit ausgeschlossen.

Die Informationen werden unabhängig davon ausgetauscht, ob das Verhalten, das Gegenstand der Ermittlungen ist, nach dem Recht der ersuchten Partei eine Straftat darstellen würde. Die ersuchende Partei stellt nur dann ein Ersuchen, wenn sie ihre eigenen Untersuchungsmittel ausgeschöpft hat, ausser der Rückgriff auf diese Untersuchungsmittel würde unverhältnismässig grosse Schwierigkeiten mit sich bringen.

Abs. 2 Die ersuchte Partei darf sich nicht einfach auf die Auskünfte berufen, die sich im Besitz der zuständigen Behörde befinden, sondern sie muss alle erforderlichen Massnahmen ergreifen, um der ersuchenden Partei die verlangten Informationen zu erteilen. Dies gilt auch dann, wenn die ersuchte Partei die Informationen nicht für eigene steuerliche Zwecke benötigt. Der Informationsaustausch beschränkt sich damit nicht auf Informationen, die auch den Steuerbehörden der ersuchten Partei von Nutzen sind.

Abs. 4 Beide Vertragsparteien stellen sicher, dass ihre zuständigen Behörden über die nötigen Befugnisse zur Einholung und Erteilung von Auskünften verfügen, welche sich bei Banken oder anderen Finanzintermediären befinden oder die Eigentumsverhältnisse einer Person betreffen. So hat die ersuchte Partei die Auskünfte auch dann einzuholen und auszutauschen, wenn nach ihrem Recht oder ihrer Verwaltungspraxis die verlangten Informationen nicht erhältlich wären. Entsprechend kann die Schweiz den Informationsaustausch nicht unter Hinweis auf das schweizerische Bankgeheimnis verweigern. Das SIA und Artikel 8 Absatz 2 StAhiG in Verbindung mit Artikel 13 Absatz 1 StAhiG stellen die Rechtsgrundlagen zur Beschaffung der ersuchten Auskünfte dar. Wie unter den abgeschlossenen DBA wird die Schweiz der Lieferung von Inhaberinformationen in gewissen Fällen erst vollständig nachkommen können, wenn die in der Vorlage zur Umsetzung der 2012 revidierten Empfehlungen der Groupe d'action financière (GAFI) vorgesehenen Transparenzmassnahmen betreffend Inhaberaktien in Kraft getreten sind.

Abs. 5 Absatz 5 enthält die Angaben, welche die ersuchende Partei schriftlich liefern muss, um die voraussichtliche Erheblichkeit der verlangten
Informationen nachzuweisen. Der Informationsaustausch kann nur stattfinden, wenn das Amtshilfeersuchen möglichst detailliert formuliert ist und so viele Auskünfte wie möglich enthält. Mit den in Absatz 5 aufgeführten Angaben sollen fishing expeditions verhindert werden. Allerdings sind sie in einem weiten Sinn auszulegen, damit ein wirksamer Informationsaustausch nicht verhindert wird. Wie Artikel 26 OECD-MA erlauben auch die SIA Gruppenersuchen. Bei diesen müssen die betroffenen Personen durch spezifische Suchkriterien identifiziert werden. Fishing expeditions bleiben verboten.

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Abs. 6 Absatz 6 legt das Verfahren und die Fristen fest, um eine rasche Übermittlung der Informationen sicherzustellen. Die ersuchte Partei muss die ersuchende Partei unverzüglich informieren, weshalb sie nicht in der Lage war, die Informationen innerhalb der vorgegebenen Frist zu beschaffen und zu liefern. Die in den Abkommen genannten Verfahren und Fristen sind dieselben wie im TIEA-MA.

Art. 6

Möglichkeit der Ablehnung eines Ersuchens

Abs. 1 Die ersuchte Partei ist nicht verpflichtet, Auskünfte einzuholen oder zu erteilen, welche die ersuchende Partei nach ihrem internen Recht nicht einholen könnte. Durch diese Bestimmung wird die ersuchende Partei daran gehindert, die Einschränkungen ihres internen Rechts zu umgehen, indem sie mittels eines Amtshilfeersuchens unter dem Abkommen eingeräumte umfassendere Befugnisse nutzt. Die ersuchte Partei kann das Ersuchen auch ablehnen, wenn es nicht in Übereinstimmung mit dem SIA gestellt wurde.

Abs. 2 und 3 Die Vertragsparteien sind nicht verpflichtet, Informationen zu erteilen, die einem Aussageverweigerungsrecht (legal privilege) unterliegen, die ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren offenbaren würden oder deren Preisgabe dem Ordre public widerspräche. Das Konzept des legal privilege, welches das den Jurisdiktionen des Common Law eigene Anwaltsgeheimnis umfasst, wurde auf ausdrückliches Ersuchen von Jersey, Guernsey und der Insel Man aufgenommen. Die Regelung von Artikel 7 Absatz 3 TIEA-MA wurde dagegen nicht übernommen, wonach das Abkommen keine der Vertragsparteien verpflichtet, Auskünfte einzuholen oder zu erteilen, mit denen vertrauliche Mitteilungen zwischen einem Klienten und einem Anwalt oder einem anderen Rechtsvertreter offengelegt würden, sofern in diesen Mitteilungen eine rechtliche Stellungnahme verlangt oder abgegeben wird oder die vertraulichen Mitteilungen in einem laufenden oder geplanten Klageverfahren verwendet werden beziehungsweise werden sollen. Gemäss SIA werden die Vertragsparteien nach ihrem eigenen internen Recht festlegen, welche Auskünfte dem Anwaltsgeheimnis unterstehen.

Abs. 4 Ein Amtshilfeersuchen darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die dem Ersuchen zugrunde liegende Steuerforderung sei strittig.

Abs. 5 Die ersuchte Partei kann ein Amtshilfeersuchen ablehnen, wenn die von der ersuchenden Partei erbetenen Auskünfte Staatsangehörige oder Bürgerinnen und Bürger der ersuchten Partei gegenüber Staatsangehörigen oder Bürgerinnen und Bürgern der ersuchenden Partei unter den gleichen Umständen benachteiligen.

Art. 7

Vertraulichkeit

Alle von der anderen Vertragspartei erhaltenen Auskünfte sind vertraulich zu behandeln. Dieser Schutz ist für jedes Dispositiv zum Informationsaustausch in Steuersachen unabdingbar. Unter die Vertraulichkeit fallen sowohl die von der ersuchenden Partei gemachten Angaben (vgl. Art. 5 Abs. 5) als auch die von der ersuchten Partei erteilten Auskünfte. Die Informationen dürfen nur für die Zwecke des SIA verwendet werden. Sie dürfen nur den Personen oder Behörden zugäng9627

lich gemacht werden, die mit der Veranlagung oder der Erhebung, mit der Vollstreckung oder Strafverfolgung oder mit der Entscheidung von Rechtsmitteln hinsichtlich der unter dieses SIA fallenden Steuern befasst sind.

Der ersuchenden Partei ist es untersagt, diese Informationen ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung der ersuchten Partei Dritten zugänglich zu machen. Auf ausdrückliches Ersuchen von Jersey, Guernsey und der Insel Man wurde zusätzlich die Bestimmung aufgenommen, wonach es der ersuchenden Partei untersagt ist, die erhaltenen Auskünfte einem anderen Staat oder einer anderen Jurisdiktion bekanntzugeben. Will ein Drittstaat von einer Vertragspartei Auskünfte einholen, so kann er dies mittels eines Amtshilfeersuchens und gestützt auf ein SIA tun, das er direkt mit dieser Vertragspartei abgeschlossen hat. Dadurch wird die Vertraulichkeit der Auskünfte gewährleistet.

Art. 8

Kosten

Gemäss dieser Bestimmung einigen sich die Vertragsparteien über die anfallenden Kosten für das Einholen und Erteilen von Auskünften. Die zuständigen Behörden der Vertragsparteien haben die Kostentragung in einem Memorandum of Understanding geregelt (vgl. auch Art. 10 Abs. 2). Danach sollen im Allgemeinen die ordentlichen Kosten, die bei der ersuchten Partei anfallen, von dieser getragen werden, während die ersuchende Partei ausserordentliche Kosten übernimmt. Bei Routinetätigkeiten anfallende Kosten wie die Einholung und Übermittlung von Dokumentenkopien werden als ordentliche Kosten betrachtet.

Art. 9

Umsetzungsgesetzgebung

Die Vertragsparteien erlassen die erforderlichen Bestimmungen, um das SIA zu erfüllen und auszuführen.

Art. 10

Verständigungsverfahren

Zur Bereinigung von Schwierigkeiten bei der Durchführung oder Auslegung des SIA wird ein Verständigungsverfahren vorgesehen. Dabei können sich die Vertragsparteien auch auf eine andere Form der Streitbeilegung einigen.

Art. 11

Inkrafttreten

Das SIA tritt am Tag des Eingangs der späteren der beiden Notifikationen über den Abschluss der hierfür erforderlichen internen Verfahren in Kraft. Seine Bestimmungen finden Anwendung auf Informationen betreffend Steuerjahre, die am oder nach dem 1. Januar des auf das Inkrafttreten des SIA folgenden Kalenderjahres beginnen oder ­ in Ermangelung einer Steuerperiode, wie dies z. B. bei Erbschafts- und Schenkungssteuern der Fall ist ­ für alle Steuerforderungen, die am 1. Januar des auf das Inkrafttreten des SIA folgenden Kalenderjahres oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen.

Art. 12

Kündigung

Jede Vertragspartei kann das SIA jederzeit kündigen. Die Kündigung wird am ersten Tag des siebten Monats nach Eingang der schriftlichen Kündigungsanzeige bei der anderen Vertragspartei wirksam.

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Finanzielle Auswirkungen

Da die SIA, im Gegensatz zu den DBA, nicht die gegenseitige Besteuerung, sondern nur den Informationsaustausch in Steuersachen regeln, haben sie keine Verminderung der Steuereinnahmen zur Folge. Gegebenenfalls können die SIA zu zusätzlichen Steuereinnahmen führen, da sie der Schweiz erlauben, Amtshilfeersuchen an die drei Jurisdiktionen zu stellen. Diesbezügliche Schätzungen sind jedoch nicht möglich. Aufgrund der Abkommen kann sich ein administrativer Mehraufwand ergeben; es ist aber zu erwarten, dass sich dieser mit den vorhandenen Personalressourcen bewältigen lässt.

Die Verpflichtung zur Leistung von Amtshilfe auf Verlangen zur Durchführung des internen Rechts der ersuchenden Partei einerseits und der Zugang zu Bankinformationen auf Ersuchen zu Steuerzwecken andererseits könnten zwar in gewisser Weise als dem Standort Schweiz und indirekt den Steuereinnahmen der Schweiz abträglich betrachtet werden. Angesichts der internationalen Bestrebungen für einheitliche Rahmenbedingungen bei der Amtshilfe in allen Staaten (Global Level Playing Field) und der Sicherstellung eines wirksamen Informationsaustauschs durch einen entsprechenden Kontrollmechanismus dürfte sich die neue Situation für die Schweiz aber insgesamt neutral auswirken. Die Kantone und die interessierten Wirtschaftskreise haben die Abkommen begrüsst. Insgesamt tragen diese in positiver Weise zur Beibehaltung und zum Ausbau der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen bei und unterstützen damit die wesentlichen Ziele der schweizerischen Aussenhandelspolitik.

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Verfassungsmässigkeit

Verfassungsgrundlage für die neuen Abkommen ist Artikel 54 der Bundesverfassung2 (BV), der die Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten dem Bund zuweist. Nach Artikel 166 Absatz 2 BV ist die Bundesversammlung für die Genehmigung der Abkommen zuständig. Die neuen Abkommen sind unbefristet, sie können aber jederzeit unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden. Die Abkommen sehen keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Dem Staatsvertragsreferendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstehen die Staatsverträge, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesrecht erfordert. In Anlehnung an Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 (SR 171.10) gilt eine Bestimmung eines Staatsvertrags dann als rechtsetzend, wenn sie auf unmittelbar verbindliche und generellabstrakte Weise Pflichten auferlegt, Rechte verleiht oder Zuständigkeiten festlegt.

Die neuen Abkommen regeln die Pflicht zur Amtshilfe an Jersey, Guernsey und die Insel Man.

Die Amtshilfe wird gemäss internationalem Standard umfassend gewährt, was der schweizerischen Abkommenspolitik entspricht. In diesem Sinn enthalten diese Abkommen wichtige neue Bestimmungen im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung der Abkommen mit Jersey, Guernsey und der Insel Man über den Informationsaustausch in Steuersachen unterliegt daher dem Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV.

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SR 101

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