zu 07.402 Parlamentarische Initiative Verfassungsgrundlage für ein Bundesgesetz über die Kinder- und Jugendförderung sowie über den Kinder- und Jugendschutz Bericht der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates vom 28. Mai 2013 Stellungnahme des Bundesrates vom 21. August 2013

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates vom 28. Mai 20131 betreffend einer neuen Verfassungsgrundlage für ein Bundesgesetz über die Kinder- und Jugendförderung sowie über den Kinder- und Jugendschutz nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

21. August 2013

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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BBl 2013 6283

2013-1429

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Die von Nationalrätin Viola Amherd am 12. März 2007 eingereichte parlamentarische Initiative «Verfassungsgrundlage für ein Bundesgesetz über die Kinder- und Jugendförderung sowie über den Kinder- und Jugendschutz» (07.402) verlangt die Ergänzung der Bundesverfassung2 (BV) durch einen Artikel über den Schutz und die Förderung von Kindern und Jugendlichen. Die Kommisssion für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates beauftragte ihre Subkommission «Jugendschutz» einen Berichts- und Erlassentwurf auszuarbeiten. Zum Vorentwurf und dem erläuternden Bericht führte sie eine Vernehmlassung durch. Nach Kenntnisnahme der Vernehmlassungsergebnisse verabschiedete die Kommission am 28. Mai 2013 den Erlassentwurf samt Bericht.

Die Kommission schlägt eine Ergänzung von Artikel 67 BV mit folgendem Wortlaut vor: Art. 67

Förderung von Kindern und Jugendlichen

Bund und Kantone verfolgen eine aktive Kinder- und Jugendpolitik. Sie tragen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben den besonderen Förderungs- und Schutzbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen Rechnung.

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1bis Der Bund kann Grundsätze festlegen über die Förderung und den Schutz von Kindern und Jugendlichen und deren Mitwirkung in Politik und Gesellschaft.

Die Auswertung der Vernehmlassung zeigte ein uneinheitliches Bild; bei den Kantonen sprach sich eine leichte Mehrheit gegen die neue Verfassungsbestimmung aus, die Parteien hingegen befürworteten sie mehrheitlich und alle Fachorganisationen vollumfänglich. Sowohl der Gemeinde- wie auch der Städteverband, deren Mitglieder die hauptsächlichsten Träger ausserschulischer Kinder- und Jugendarbeit sind, unterstützten die Bestrebungen einer nationalen Koordination und Festlegung von Grundsätzen.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Stand der Kinder- und Jugendpolitik

Mit dem Bericht zur Strategie für eine schweizerische Kinder- und Jugendpolitik vom 27. August 20083 (Strategiebericht) definierte der Bundesrat Schutz, Förderung und Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen als die drei tragenden Säulen der schweizerischen Kinder- und Jugendpolitik. Der Bundesrat stellte gleichzeitig fest, 2 3

SR 101 Strategie für eine schweizerische Kinder- und Jugendpolitik. Bericht des Bundesrats in Erfüllung der Postulate Janiak (00.3469) vom 27. September 2000, Wyss (00.3400) vom 23. Juni 2000 und Wyss (01.3350) vom 21. Juni 2001, Eidgenössisches Departement des Innern, 27. August 2008, abrufbar unter www.bsv.admin.ch > Themen > Kinder- und Jugendfragen > Kinder- und Jugendpolitik: Übersicht._

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dass die bestehenden gesetzlichen Grundlagen und die damit verbundenen Massnahmen in diesen Bereichen aufgrund des gesellschaftlichen Wandels angepasst werden müssen, und schlug vor, dass der Bund sein Engagement und die Zusammenarbeit mit den Kantonen verstärkt. Der Bund sollte den Kantonen bei der Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendpolitik Unterstützung bieten, die konkrete Ausgestaltung jedoch je nach örtlichen Voraussetzungen und Strukturen den Kantonen und Gemeinden überlassen. Der Bundesrat erteilte 2008 den Auftrag für eine Totalrevision des Jugendförderungsgesetzes4 (KJFG) und für den Erlass einer Verordnung bezüglich Kinderschutz und -rechte.5 Mit dem 2009 publizierten Bericht «Jugend und Gewalt»6 und zwei zeitlich begrenzten Jugendschutzprogrammen,7 die sowohl Prävention und Bekämpfung von Jugendgewalt wie auch die Verbesserung des Jugendmedienschutzes zum Inhalt hatten, verabschiedete der Bundesrat 2010 ein weiteres Massnahmenpaket im Bereich Jugendschutz. Der 2012 publizierte Bundesratsbericht «Gewalt und Vernachlässigung in der Familie»8 stellte eine umfangreiche Analyse sowie den Stand und den Entwicklungsbedarf bezüglich Gewalt und Vernachlässigung in der Familie dar.

Das KJFG ist seit dem 1. Januar 2013 in Kraft und bietet die Grundlage für die Zusammenarbeit, den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden sowie die Kompetenzentwicklung im Bereich Kinderund Jugendpolitik (Art. 18, 20 und 21 KJFG). Der Bund kann neu Modellprojekte von Kantonen und Gemeinden zur Weiterentwicklung der ausserschulischen Jugendarbeit finanziell unterstützen und in Absprache mit den Kantonen thematische Schwerpunkte und Ziele setzen (Art. 11 KJFG). Die finanziellen Mittel wurden von 7 Millionen Franken im Jahr 2012 auf 10,3 Millionen Franken im Jahr 2013 erhöht.

Zudem kann der Bund jedem Kanton einmalig Finanzhilfen ausrichten, die zur konzeptionellen Entwicklung der kantonalen Kinder- und Jugendpolitik dienen (Art. 26 KJFG). Hierzu wurden für die Jahre 2013 bis 2022 insgesamt zusätzlich 12,4 Millionen Franken bereitgestellt. Diese Finanzhilfen sind als reine Anreizinstrumente konzipiert. Auf nationaler Ebene können damit keine verbindlichen Mindeststandards festgelegt werden.

Ab 2015 stellt der Bund zusätzlich eine elektronische Informationsplattform zum Austausch von Informationen und Erfahrungen für die Kantone und interessierte Organisationen zur Verfügung.

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7 8

SR 446.1 Verordnung über Massnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie zur Stärkung der Kinderrechte, SR 311.039.1.

Jugend und Gewalt ­ Wirksame Prävention in den Bereichen Familie, Schule, Sozialraum und Medien. Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate Leuthard (03.3298) vom 17. Juni 2003, Amherd (06.3646) vom 6. Dezember 2006 und Galladé (07.3665) vom 4. Oktober 2007. Bern: BSV, abrufbar unter www.bsv.admin.ch > Themen > Kinder- und Jugendfragen > Jugendschutz.

«Jugendmedienschutz und Medienkompetenzen» und «Jugend und Gewalt».

Gewalt und Vernachlässigung in der Familie: notwendige Massnahmen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe du der staatlichen Sanktionierung. Bericht des Bundesrats in Erfüllung des Postulats Fehr (07.3725) vom 5. Oktober 2007.

Eidgenössisches Departement des Innern, 27. Juni 2012, abrufbar unter www.bsv.admin.ch > Themen > Kinder- und Jugendfragen > Kinderschutz.

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2.2

Handlungsbedarf

Der Bundesrat geht davon aus, dass die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen von vielfältigen Faktoren beeinflusst werden und starken Veränderungen ausgesetzt sind (u. a. demographischer und soziokultureller Wandel).9 Die Schaffung von positiven Lebensbedingungen für Kinder, Jugendliche und ihre Familien ist eine zentrale staatliche Aufgabe. Hierfür ist ein Zusammenwirken der verschiedenen staatlichen Ebenen sowie von verschiedenen Politikfeldern erforderlich. Kinder- und Jugendpolitik ist deshalb als Querschnittspolitik auf allen Ebenen und zwischen den verschiedenen Ebenen zu verstehen.

Die grosse Mobilität von Jugendlichen und jungen Erwachsenen führt dazu, dass verschiedene Problemfelder, beispielsweise gewalttätiges Verhalten im Umfeld von Sportveranstaltungen oder Störungen im Rahmen des Nachtlebens, sinnvollerweise nur in einer koordinierten Art und Weise angegangen werden können. Im Rahmen des Programms «Jugend und Gewalt» unterstützt der Bund Kantone und Gemeinden, indem er Beispiele für erfolgreiche Präventionsprogramme zur Verfügung stellt und den Austausch zwischen Kantonen und Gemeinden untereinander fördert.

Die Mediennutzung durch Kinder und Jugendliche ist heute durch die örtlich unabhängige Nutzung des Internets geprägt. Was das Internet anbetrifft, stösst selbst die Regulierung auf nationaler Ebene schnell an Grenzen. Hier vermittelt der Bund mit dem Programm «Jugend und Medien» den verschiedenen Gruppen von Erziehungsberechtigten die Grundlagen für einen kompetenten Umgang mit den elektronischen Medien und eine verantwortungsvolle Begleitung der Kinder und Jugendlichen durch sie. Das Parlament schenkt dieser Problemstellung eine hohe Aufmerksamkeit: Von 2006 bis 2012 sind im Bereich Jugendmedienschutz über 30 Vorstösse eingereicht worden, davon alleine 20 Vorstösse in den letzten 3 Jahren.

Die vom Bund in den vergangenen 5 Jahren lancierten Massnahmen zielen darauf ab, die Zusammenarbeit der verschiedenen staatlichen Ebenen zu verbessern sowie Unterstützung zu leisten, damit die Strategien und Massnahmen in den Kantonen in den Bereichen Schutz, Förderung und Mitwirkung der aktuellen Entwicklung angepasst werden. Die Unterstützungsleistungen des Bundes sind in vollem Gange (Jugendschutzprogramme 2011­2015) oder erst am Anfang (Anstossfinanzierung konzeptionelle
Entwicklung in Rahmen des KJFG 2013­2022). Die Evaluation der beiden Jugendschutzprogramme ist für 2015, diejenige für die Umsetzung des Kinder- und Jugendförderungsgesetzes für 2017/18 geplant. Der Zwischenbericht «Gewalt und Vernachlässigung in der Familie» soll 2017 erscheinen und darlegen, wie sich die kantonale Kinder- und Jugendhilfe entwickelt hat. Die Wirkungen der getroffenen Massnahmen lassen sich deshalb heute noch nicht abschliessend beurteilen und die Schlussfolgerungen für den weiteren Handlungsbedarf in den erwähnten spezifischen Handlungsfeldern liegen noch nicht vor.

2.3

Würdigung des Entwurfs der Kommission

Mit dem neuen Verfassungsartikel würden Bund und Kantone zu einer aktiven Kinder- und Jugendpolitik verpflichtet (Abs. 1). Zusätzlich erhielte der Bund in Absatz 1bis die Möglichkeit über den reinen Informations- und Erfahrungsaustausch 9

Vgl. Strategiebericht; 5

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hinaus eine koordinierende Funktion in der Kinder- und Jugendpolitik wahrzunehmen. Wie oben dargelegt, wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Massnahmen ergriffen, um die Kantone bei der Weiterentwicklung ihrer Kinder- und Jugendpolitik zu unterstützen und den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen zu verbessern. Die Umsetzung dieser Massnahmen ist noch nicht abgeschlossen und die entsprechenden Evaluationen liegen noch nicht vor. Es ist heute deshalb kaum abzuschätzen, ob und in welchen Bereichen sich ein weitergehender Koordinations- und Handlungsbedarf manifestieren wird und der Bund deshalb die Möglichkeit haben sollte, steuernd einzugreifen. Der Bundesrat hat deshalb bisher die Strategie verfolgt, die Kinder- und Jugendpolitik innerhalb der bestehenden verfassungsmässigen Grundlagen weiterzuentwickeln. Eine Strategieänderung drängt sich aus seiner Sicht ohne ausgewiesenen Bedarfsnachweis nicht auf. Der Bundesrat lehnt deshalb den von der Kommission vorgeschlagenen Verfassungsartikel ab.

Sollte die Kommission die Vorlage trotzdem weiterverfolgen, weist der Bundesrat darauf hin, dass die bestehende Sachüberschrift von Artikel 67 nicht verändert, inhaltlich jedoch neben der Förderung eine Erweiterung auf Schutz und Mitwirkung vorgenommen wurde. Konsequenterweise müsste auch die Sachüberschrift entsprechend ergänzt werden: Art. 67

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Förderung, Schutz und Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen

Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Nichteintreten auf die Vorlage.

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