Evaluation der Anhörungs- und Vernehmlassungspraxis des Bundes Stellungnahme des Bundesrates vom 15. Februar 20121 zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 7. September 20112 Stellungnahme der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 19. Juni 2012

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BBl 2012 2409 BBl 2012 2351

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Bericht 1

Einleitung

Auf der Basis einer Evaluation der Anhörungs- und Vernehmlassungspraxis des Bundes der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK, Bericht vom 9. Juni 2011) formulierte die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) in ihrem Bericht vom 7. September 2011 verschiedene Empfehlungen an den Bundesrat und forderte ihn dazu auf, ihr bekannt zu geben, mit welchen Massnahmen und bis wann er die Empfehlungen der Kommission umzusetzen gedenkt.

Vier Empfehlungen betrafen das festgestellte Optimierungspotenzial. Eine fünfte Empfehlung forderte den Bundesrat dazu auf, zu prüfen, inwiefern es zweckmässig ist, an der mit dem Vernehmlassungsgesetz (VlG)3 im Jahre 2005 eingeführten Unterscheidung zwischen Anhörung und Vernehmlassung festzuhalten. An das Prüfungsergebnis knüpfte sie weitere Forderungen (Empfehlung 5a bzw. 5b).

Mit Datum vom 15. Februar 2012 hat der Bundesrat zu den Schlussfolgerungen und den Empfehlungen der GPK-N Stellung genommen. Die Kommission nahm die Stellungnahme an ihrer Sitzung vom 19. Juni 2012 zur Kenntnis und dankt dem Bundesrat dafür.

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Allgemeine Bemerkungen

Die GPK-N begrüsst, dass sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme bereit erklärt, die Empfehlungen 1 (zumindest in Bezug auf die Klärung der Verantwortlichkeiten der beteiligten Stellen) und 4 anzunehmen und entsprechende Massnahmen zu treffen.

Vor dem Hintergrund, dass grosses Interesse an der Möglichkeit zur Konsultation besteht und die dazu zur Verfügung stehenden Instrumente grundsätzlich akzeptiert sind, die konkrete Durchführung von Anhörungs- und Vernehmlassungsverfahren aber immer wieder von Kritik begleitet wird, kann die Kommission allerdings nicht nachvollziehen, dass der Bundesrat offenbar weder die Chance für eine Neukonzipierung der Konsultationsverfahren nutzen noch das in den Empfehlungen dargelegte Optimierungspotenzial bei den bestehenden Verfahren ausschöpfen will (auch wenn er ein solches anzuerkennen scheint).

Zwar ist die in der Vergangenheit regelmässig vorgebrachte Kritik an den vom Bund durchgeführten Verfahren weitgehend unberechtigt. Sie beruht häufig auf falschen Vorstellungen seitens der an diesen Verfahren Teilnehmenden oder an einer Teilnahme Interessierten über die zu beachtenden Regeln. Gerade diesem Umstand werden die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen nach Ansicht der Kommission aber nicht gerecht. Diese zielen lediglich auf die regulatorischen Vorgaben (welche die Kommission im Übrigen im Hinblick auf die Erreichung der Ziele einer Konsultation tatsächlich für ungenügend hält). Dabei erscheinen sie der Kommission 3

Bundesgesetz vom 18. März 2005 über das Vernehmlassungsverfahren (SR 172.061).

Vgl. auch Verordnung vom 17. August 2005 über das Vernehmlassungsverfahren (Vernehmlassungsverordnung, VlV; SR 172.061.1).

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insgesamt als vage und zu wenig durchdacht (siehe unten). Vom Bundesrat ausgeklammert bleiben das Problem der fehlenden Kenntnis dieser Vorgaben und dasjenige der damit verbundenen mangelhaften Kommunikation. Wenig Verständnis hat die GPK-N dementsprechend dafür, dass sich der Bundesrat in Bezug auf die Forderung nach einer Durchsetzung der geltenden Regeln auf den Hinweis beschränkt, sich darum zu bemühen.

Im Übrigen weist die Kommission darauf hin, dass sie sich bewusst ist, dass die gesetzlichen Vorgaben auch für Vernehmlassungsvorlagen gelten, welche von parlamentarischen Kommissionen eröffnet werden. Allerdings nimmt die GPK-N keine Oberaufsicht über das Parlament und seine Institutionen wahr.

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Bemerkungen zu den Empfehlungen

3.1

Empfehlung 1: Rolle und Kompetenzen der Bundeskanzlei

Zwar zeigt sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu Empfehlung 1 bereit, eine Klärung der Verantwortlichkeiten der beteiligten Stellen vorzunehmen und gewisse Massnahmen zu ergreifen. Eine Erweiterung der Kompetenzen und des Instrumentariums der Bundeskanzlei in Bezug auf die Wahrnehmung ihrer Koordinationsaufgabe lehnt er allerdings mit dem Hinweis darauf ab, dass aus der Koordinationspflicht der Bundeskanzlei kein Mitentscheidungsrecht fliesse. Bezüglich tatsächlich vorhandener Ermessenspielräume (z. B. in Bezug auf die Beurteilung der Tragweite einer Vorlage) ist dieser Argumentation nichts entgegenzuhalten.

Mit Blick auf die Ziele der Durchführung eines Konsultationsverfahrens gemäss Vernehmlassungsgesetz und in Anbetracht der Erkenntnisse aus der Evaluation der PVK befriedigt es aber nicht, dass die Bundeskanzlei auch bezüglich der Einhaltung klarer Vorgaben keinen Einfluss nehmen kann (so z. B. in Bezug auf die Einhaltung vorgegebener Fristen durch die eröffnenden Verwaltungseinheiten). Und dies, obwohl der Bundesrat selbst die Koordinationsaufgabe der Bundeskanzlei als Kontrolle der formellen Richtigkeit und Vollständigkeit der Unterlagen sowie der Einhaltung der Vorgaben der Vernehmlassungsgesetzgebung definiert.

Die GPK-N fordert den Bundesrat deshalb dazu auf, ihr die Bedeutung dieses so verstandenen Prüfungsauftrags der Bundeskanzlei darzulegen. Darüber hinaus erachtet es die Kommission als wichtig, dass die in der Stellungnahme des Bundesrates als denkbar bezeichneten Massnahmen auch tatsächlich ergriffen werden.

3.2

Empfehlung 2: Transparenz der Ergebniskommunikation

Die Kommission begrüsst, dass der Bundesrat bereit ist, die Empfehlung 2 im Sinne der Aufnahme einer ausdrücklichen Pflicht zur aktiven Ergebniskommunikation auf Verordnungsstufe anzunehmen. Die vom Bundesrat zur Umsetzung der Empfehlung in Aussicht gestellte Verankerung einer Pflicht zur Veröffentlichung der Ergebnisberichte und zur Information an die Teilnehmer über deren Publikation mit Hinweis auf die Bezugsquelle auch bei Anhörungen bzw. Vernehmlassungen, die auf Departementsstufe eröffnet werden, erachtet die GPK-N allerdings als ungenügend.

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Die Kommission erwartet eine Berichterstattung seitens der verfahrensführenden Verwaltungseinheit, welche über die Auswirkungen der Eingaben im Konsultationsverfahren auf die ursprüngliche Vorlage Auskunft gibt.

Insofern kann aus Sicht der GPK-N tatsächlich eine Parallelität zu Vernehmlassungsvorlagen angestrebt werden. In den allermeisten Fällen münden diese nämlich in einer Botschaft, worin in zusammenfassender Form Auskunft erteilt wird darüber, welche Anpassungen an der Vorlage aufgrund der erhaltenen Stellungnahmen angebracht wurden.

Die Stellungnahme des Bundesrates vermochte die GPK-N nicht zu befriedigen. Sie erachtet es als wichtig, dass vertieft geprüft wird, wie dem legitimen Bedürfnis der an Konsultationsverfahren Teilnehmenden nach mehr Transparenz bei der Ergebniskommunikation entgegengekommen werden kann.

Postulat 1 Der Bundesrat wird beauftragt, zu überprüfen, wie dem legitimen Bedürfnis der an Konsultationsverfahren Teilnehmenden nach mehr Transparenz bei der Ergebniskommunikation entgegengekommen werden kann, und darüber sowie über mögliche gesetzliche oder andere Massnahmen Bericht zu erstatten.

3.3

Empfehlung 3: Abschaffung des konferenziellen Verfahrens

Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass der Bundesrat an der Möglichkeit festhalten möchte, in dringlichen Fällen eine Konsultation im Rahmen eines konferenziellen Verfahrens durchzuführen.

Die Evaluation der PVK hat klar aufgezeigt, dass die Entscheide, Konsultationsverfahren konferenziell durchzuführen, in der Vergangenheit regelmässig als wenig zweckmässig beurteilt wurden. Auch die vom Bundesrat angeführte Unmittelbarkeit spricht nicht für die Notwendigkeit einer Beibehaltung eines solchen Verfahrens.

Tatsächlich ist ein direkter Austausch zwischen den Teilnehmenden und den Behörden in Anbetracht der Tatsache, dass aktuell 49 Akteure als ständige Vernehmlassungsteilnehmer bezeichnet und damit auch bei einer konferenziellen Durchführung einzuladen sind, weitere interessierte Kreise ein Recht auf eine Teilnahme haben und eine Einschränkung des Adressatenkreises bei Vernehmlassungen auch bei Dringlichkeit nicht vorgesehen ist, kaum möglich.

Bei der bundesrätlichen Betrachtung bleibt im Übrigen unberücksichtigt, dass die Verfahren ausser in Ausnahmefällen bei Dringlichkeit schriftlich geführt werden.

Art. 17 Abs. 2 der Vernehmlassungsverordnung schreibt sogar vor, dass selbst bei einer konferenziell durchgeführten Vernehmlassung die Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu gewähren ist (wovon auch rege Gebrauch gemacht wird).

Die Unmittelbarkeit, wie sie vom Bundesrat angeführt wird, ist demnach weder im Regel- noch im Ausnahmefall von entscheidender Bedeutung.

Für die Kommission denkbar wäre, die beiden aktuell bestehenden Verfahrensformen in dieser Frage unterschiedlich zu behandeln. Es könnte auf Gesetzesstufe die 6262

Möglichkeit geschaffen werden, den Adressatenkreis bei Anhörungen bzw. Vernehmlassungen, die auf Departementsstufe eröffnet werden, einzuschränken, wenn das Konsultationsverfahren aus Gründen der Dringlichkeit konferenziell durchgeführt werden soll. Dadurch darf allerdings die Erreichung der Ziele der Konsultation auf keinen Fall gefährdet werden. Eine Einschränkung der Adressaten bei Vernehmlassungen, die vom Bundesrat eröffnet werden, läuft nach Ansicht der GPK-N den Zielen der Konsultation aber in grundsätzlicher Weise entgegen und ist deshalb nicht vorzusehen.

Die Stellungnahme des Bundesrates vermochte die GPK-N nicht zu überzeugen. In Anbetracht der Bedeutung, welche den Konsultationsverfahren vonseiten der Beteiligten zugemessen wird, erscheint es der Kommission notwendig, jede Verfahrensregelung zu überprüfen, welche die Glaubwürdigkeit von Vernehmlassungsergebnissen gefährden kann.

Postulat 2 Der Bundesrat wird beauftragt, zu überprüfen, ob es in Anbetracht der Bedeutung und den in der Praxis bestehenden Unsicherheiten im Umgang mit dieser Form der Konsultation zweckmässig ist, an der Möglichkeit einer konferenziellen Durchführung festzuhalten. Im Weiteren ist zu klären, welche Auswirkungen ein Verzicht hätte. Darüber sowie über mögliche gesetzliche oder andere Massnahmen ist Bericht zu erstatten.

3.4

Empfehlungen 5, 5a und 5b: Zweckmässigkeit der Unterscheidung von Vernehmlassung und Anhörung sowie an das Ergebnis dieser Prüfung anknüpfende Ausgestaltung der Verfahren

Die GPK-N nimmt zur Kenntnis, dass der Bundesrat entschieden hat, nicht weiter an zwei verschiedenen Verfahren festzuhalten. Die daran anknüpfenden Ausführungen des Bundesrates zu den Empfehlung 5, 5a und 5b vermögen allerdings nicht zu überzeugen und sind teilweise widersprüchlich.

Die Kommission begrüsst, dass die Verfahren nur noch auf Stufe Bundesrat oder Departement eröffnet und die verfahrensführenden Behörden verpflichtet werden sollen, ihren Eröffnungsentscheid unter Bezugnahme auf die Verfahrenszwecke zu begründen. Ebenso begrüsst die GPK-N, dass der Bundesrat einen Verzicht auf den zwingenden Charakter des Kriteriums der Normstufe für die Durchführung einer Vernehmlassung prüfen will. Damit würde über eine Gesetzesänderung die aktuelle Praxis legalisiert, wonach auch dann auf die Einleitung eines Verfahrens wegen Nichterreichbarkeit des Zwecks gemäss Art. 2 VlG verzichtet wird, wenn Art. 3 VlG diesbezüglich kein Ermessen lässt und eine Einleitung zwingend vorschreibt.

Offenbar ist der Bundesrat aber nicht bereit, auf grundsätzlicher Ebene eine Verbesserung der Konsultationsverfahren anzustreben. Verschiedene der vorgeschlagenen Massnahmen wie die Verwendung der gleichen Bezeichnung für zwei unterschiedliche Instrumente dürften die bestehenden Unklarheiten eher vergrössern als aus der 6263

Welt schaffen. Umso mehr, als sich der Bundesrat nicht zur verlangten besseren Bekanntmachung der Verfahren und ihrer Regeln geäussert hat.

Die GPK-N erinnert daran, dass sie den Bundesrat nicht dazu aufgefordert hat, nur noch ein Konsultationsverfahren vorzusehen. Vielmehr verlangte sie, dass er prüft, inwiefern es zweckmässig ist, zwei unterschiedliche Verfahren zur Verfügung zu stellen. Aus Sicht der Kommission rechtfertigt die unterschiedliche Zielsetzung der beiden Instrumente durchaus gewisse Verfahrensunterschiede, insbesondere auch unterschiedliche Adressatenkreise.

Postulat 3 Der Bundesrat wird beauftragt, zu überprüfen, ob sowohl den Zielen von Konsultationen als auch den legitimen Flexibilitätsbedürfnissen seitens der verfahrensführenden Behörden mit einem oder zwei verschiedenen Verfahren besser Rechnung getragen wird und welche Auswirkungen ein konsequent vollzogener Systemwechsel zu nur einem Instrument hätte, und darüber sowie über mögliche gesetzliche oder andere Massnahmen Bericht zu erstatten.

Dabei ist die Möglichkeit der Aufnahme einer Bestimmung ins Vernehmlassungsgesetz zu berücksichtigen, wonach neben einer Fristverkürzung bei Dringlichkeit neu auch eine begründungspflichtige Einschränkung des Adressatenkreises im Hinblick auf die Zielerreichung der Konsultation möglich ist.

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Schlussfolgerungen

Die Kommission sieht der Berichterstattung im Sinne der obigen Ausführungen und der vom Bundesrat in seiner Stellungnahme in Aussicht gestellten Massnahmen mit Interesse entgegen. Sie bittet um eine Zustellung der ergänzenden Berichterstattung zu Empfehlung 1 bis zum 17. September 2012.

Genehmigen Sie, sehr geehrte Frau Bundespräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte, den Ausdruck unserer ausgezeichneten Hochachtung.

19. Juni 2012

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Der Präsident: Ruedi Lustenberger Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres Der Präsident der Subkommission EJPD/BK: Rudolf Joder Der Sekretär der Subkommission EJPD/BK: Philipp Mäder

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