12.113 Botschaft über die Genehmigung des Vertrags zwischen der Schweiz, Österreich und Liechtenstein über die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit vom 9. Januar 2013

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags vom 4. Juni 2012 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

9. Januar 2013

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2012-1711

755

Übersicht Der revidierte trilaterale Polizeikooperationsvertrag zwischen der Schweiz, Liechtenstein und Österreich hebt die Polizeizusammenarbeit auf ein neues Niveau; er berücksichtigt dabei die Teilnahme der drei Vertragsstaaten an der Schengener Zusammenarbeit und baut auf den gemachten Erfahrungen auf. Mittels einer Ergänzung des Bundesgesetzes über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes wird die nationale Regelung des schweizerischen Teils der gemeinsamen Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit mit anderen Staaten auf die Stufe des formellen Gesetzes angehoben.

Ausgangslage Der trilaterale Polizeivertrag von 1999 zwischen der Schweiz, Österreich und Liechtenstein ist seit Juli 2001 in Kraft. Er hat sich seither als solide Basis für die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit erwiesen. In den vergangenen 10 Jahren haben sich jedoch die Herausforderungen bei der Kriminalitätsbekämpfung gerade in den Grenzregionen gewandelt. Mit dem Wegfall der systematischen Personenkontrollen infolge der Schengen-Assoziierung der Schweiz haben sich darüber hinaus auch die Modalitäten der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden geändert: Statt stationärer Kontrollen stehen nun polizeiliche Ausgleichsmassnahmen in den Grenzregionen bzw. eine Stärkung der Polizeikooperation mit den Dienststellen der Nachbarstaaten mehr denn je im Vordergrund.

Inhalt der Vorlage Der revidierte Polizeivertrag sieht gegenüber der geltenden Fassung von 1999 zusätzliche Instrumente zur Bekämpfung der Schwerkriminalität vor: Er sieht unter anderem die präventive verdeckte Ermittlung und den Zeugen- und Opferschutz vor, er erleichtert die Zusammenarbeit zur Bekämpfung der illegalen Migration, gestaltet die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Grenzkantone mit den Nachbarländern noch effizienter und bietet die Möglichkeit, vermehrt gemeinsame Einsatzformen zu bilden, in denen die Beamten eines Vertragsstaates auf dem Territorium eines Partnerstaats auch hoheitlich tätig werden können. Schliesslich wird die neu vorgesehene Zusammenarbeit bei Widerhandlungen im Strassenverkehr einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, solche Delikte auch in den Partnerstaaten ahnden zu können. Davon erhoffen sich die drei Staaten eine Erhöhung der Sicherheit im Strassenverkehr.

Der Vertrag greift nicht in die bestehende Kompetenzverteilung
zwischen den Justizund Polizeibehörden ein. Bezüglich der Schweiz wird im Besonderen die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Kantonen sowie unter den Kantonen nicht angetastet.

756

Der revidierte Polizeivertrag sieht vor, dass die Schweiz zusammen mit Liechtenstein und Österreich ein gemeinsames Polizei- und Zollkooperationszentrum errichten kann. Mit einer Ergänzung des Bundesgesetzes über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes wird die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen innerhalb des schweizerischen Teils solcher gemeinsamer Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit im nationalen Recht geregelt.

757

Inhaltsverzeichnis Übersicht

756

1 Grundzüge des Vertrags 1.1 Ausgangslage 1.2 Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen 1.3 Überblick über den Inhalt des Vertrags 1.4 Würdigung

759 759 760 761 762

2 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln 2.1 Vertrag 2.2 Bundesbeschluss

762 762 784

3 Auswirkungen

785

4 Verhältnis zur Legislaturplanung

786

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Änderung des Bundesgesetzes über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes 5.3 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

786 786 787 787

Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags zwischen der Schweiz, Österreich und Liechtenstein über die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit (Entwurf)

789

Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit

791

758

Botschaft 1

Grundzüge des Vertrags

1.1

Ausgangslage

Der Vertrag vom 27. April 19991 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden (im Folgenden «Polizeivertrag») ist seit 1. Juli 2001 in Kraft. Seither hat sich die internationale Polizeikooperation weiterentwickelt, für die Schweiz und Liechtenstein insbesondere durch die Schengen-Assoziierung. Darüber hinaus hat die Fussball-Europameisterschaft EURO 2008 neue Erkenntnisse hinsichtlich der operationellen Bedürfnisse gebracht. Die Innenminister Österreichs und Liechtensteins sowie die damalige Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) einigten sich deshalb an einem Treffen im Jahr 2009 darauf, den Polizeivertrag auf allfällige Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu überprüfen.

Anlässlich eines Experten-Treffens im Juni 2009 in Triesen (FL) erarbeiteten die Vertreterinnen und Vertreter der drei Länder einen gemeinsamen Bericht, der diverse Möglichkeiten der Weiterentwicklung aufzeigte. Gestützt auf diesen Bericht wurden auf Expertenebene umfangreiche Arbeiten aufgenommen, inhaltliche Fragen geklärt und innerstaatliche Konsultationen durchgeführt, in der Schweiz u. a. auch bei den Kantonen. An zwei weiteren Treffen ­ am 2. und 3. März 2010 in Wien sowie am 27. und 28. Oktober 2010 in Walzenhausen (CH) ­ wurden die Resultate der innerstaatlichen Abklärungen vorgestellt und offene Fragen geklärt. Die Resultate wurden in einem gemeinsamen Bericht vom 9. Dezember 2010 festgehalten.

Überdies erstellten die Expertinnen und Experten einen Vorschlag zu einem revidierten trilateralen Polizeivertrag. Auf der Basis des gemeinsamen Berichts gelangten die Expertinnen und Experten der drei Staaten an ihre Regierungen und beantragten die Aufnahme von Verhandlungen zur Revision des bestehenden Vertrags.

2011 führte das EJPD bei den Kantonen eine schriftliche Anhörung zur vorgeschlagenen Revision des Polizeivertrags durch. Diese Anhörung sollte insbesondere die Frage klären, ob die Revision im Sinne der Kantone ist und welche der identifizierten Weiterentwicklungsbereiche für sie von vorrangigem Interesse sind. Alle 17 Kantone, die sich geäussert haben, unterstützen die Revision. Die Kantone möchten damit einen Beitrag zur Optimierung der Polizeizusammenarbeit
und des Ressourceneinsatzes, insbesondere der Grenzkantone mit Österreich und Liechtenstein, erreichen.2 Der Bundesrat erteilte auf Antrag des EJPD am 7. September 2011 ein Mandat zur Aufnahme von Verhandlungen.

Bei den Verhandlungen sollte die Schweizer Delegation zwei Ziele verfolgen: Zum einen sollte der Polizeivertrag aufgrund der Schengen-Assoziierung der Schweiz und Liechtensteins aktualisiert werden. Zum anderen sollten neue Möglichkeiten für die Polizeibehörden der drei Länder geschaffen werden, um den Herausforderungen,

1 2

SR 0.360.163.1 Vgl. Ergebnis der Anhörung unter: www.admin.ch > Vernehmlassungs- und Anhörungsverfahren > Abgeschlossene Vernehmlassungen und Anhörungen > 2011.

759

welche die grenzüberschreitende Kriminalität darstellt, sowie den Zusammenarbeitsbedürfnissen der involvierten Polizeibehörden Rechnung zu tragen.

1.2

Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Gestützt auf einen Vorentwurf der Expertinnen und Experten wurde der neue Vertrag an zwei Verhandlungsrunden in Wien (5. und 6. Dezember 2011) und Vaduz (16. und 17. Februar 2012) ausgehandelt. Auf Seiten der Schweiz waren in der vom Bundesamt für Polizei (fedpol) geleiteten Delegation vertreten: die Direktion für Völkerrecht (DV), das Bundesamt für Justiz (BJ), das Grenzwachtkorp (GWK) sowie die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und die Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS). An der Verhandlungsrunde in Vaduz nahm zudem ein Vertreter des Bundesamts für Strassen (ASTRA) teil.

Der Vertrag wurde am 23. Mai 2012 vom Bundesrat genehmigt und am Rande des Fünfländertreffens der Innenminister Deutschlands, Luxemburgs, Österreichs, Liechtensteins und der Schweiz am 4. Juni 2012 von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des EJPD, unterzeichnet.

Gemäss Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20053 ist bei völkerrechtlichen Verträgen, die nach den Artikeln 140 Absatz 1 Buchstabe b und 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung4 (BV) dem Referendum unterliegen, ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen.

Gemäss Ziffer 2 Buchstabe A der Leitlinien der Bundeskanzlei (BK) vom 30. August 2006 zur Konsolidierung der entsprechenden Praxis kann auf die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens verzichtet werden, wenn es sich um einen Vertrag handelt, der politisch eindeutig akzeptiert und ohne wesentlichen neuen Inhalt ist.

Die politische Akzeptanz des Vertrags ist eindeutig gegeben: Der Vertrag entspricht den im Mandat des Bundesrates vorgegebenen Richtlinien. Dieses Mandat wurde nach Anhörung der Kantone (KKJPD) verabschiedet, und deren Interessen wurde vollumfänglich Rechnung getragen. Überdies nahmen die Kantone in jeder Phase der Verhandlungen aktiv teil.

Beim vorliegenden Vertrag handelt es sich um einen Polizeivertrag. Polizeiverträge werden in der genannten Leitlinie der BK als ein Beispiel für Verträge ohne wesentlichen neuen Inhalt genannt. Einige Bestimmungen sind im Vergleich zu den Polizeiverträgen mit Deutschland5 und Frankreich6, welche bislang am weitesten gehen, zwar neu, gehen jedoch nur wenig über das hinaus, was bereits in anderen Polizeiverträgen vereinbart worden
ist. Schliesslich handelt es sich bei Österreich und Liechtenstein um zwei Staaten, mit welchen die Schweiz eine lange Tradition der Polizeizusammenarbeit unterhält.

3 4 5

6

760

SR 172.061 SR 101 Vertrag vom 27. April 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die grenzüberschreitende polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit, SR 0.360.136.1 Abkommen vom 9. Oktober 2007 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Justiz-, Polizei- und Zollsachen, SR 0.360.349.1

Aufgrund dieser Erwägungen kann auf die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens verzichtet werden.

Da die vorrangig Betroffenen, namentlich die Kantone, bereits vor der Aufnahme der Verhandlungen angehört wurden, an der Aushandlung des Vertrags teilgenommen und das Verhandlungsergebnis zustimmend zur Kenntnis genommen haben, kann zudem auf eine weitere Konsultation der Kantone gemäss Bundesgesetz vom 22. Dezember 19997 über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes verzichtet werden.

1.3

Überblick über den Inhalt des Vertrags

In der Präambel bestätigen die Vertragsparteien ihr Interesse, die Zusammenarbeit zur Vorbeugung und Bekämpfung der Kriminalität zu verstärken und dabei ein besonderes Augenmerk auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Drogenhandels, des Menschenhandels, der Korruption sowie des Terrorismus zu richten. Der revidierte Vertrag zielt darauf ab, die bestehende Zusammenarbeit auf der Basis des geltenden Vertrags weiterzuentwickeln, namentlich auch vor dem Hintergrund der Teilnahme aller drei Vertragsstaaten an der Schengener Zusammenarbeit. Die Zusammenarbeit soll unter Beachtung der Grundwerte, namentlich auch des Datenschutzes, erfolgen.

Kapitel I definiert den Zweck des Vertrags sowie dessen Verhältnis zum innerstaatlichen wie zum internationalen Recht. Er bestimmt zudem, welche Behörden zur Umsetzung des Vertrags zuständig sind und welche Gebiete als Grenzgebiete gelten.

Kapitel II legt die allgemeinen Formen der Zusammenarbeit fest, wie etwa den Austausch von personen- und nicht personenbezogenen Informationen, die Amtshilfe in dringenden Fällen sowie die Zusammenarbeit bei der Aus- und Fortbildung.

Kapitel III regelt den automatisierten Daten- und Informationsaustausch.

Kapitel IV sieht die besonderen Formen der polizeilichen Zusammenarbeit vor und ist damit das Herzstück des revidierten Vertrags. Dabei handelt es sich zum einen um grenzüberschreitende Massnahmen wie Observation, Nacheile und kontrollierte Lieferung, zum anderen figurieren in diesem Kapitel verschiedene Instrumente zur Bekämpfung der Schwerkriminalität, etwa die verdeckte Ermittlung im Vorfeld eines Strafverfahrens sowie der Zeugen- und Opferschutz. Das Kapitel IV enthält überdies Bestimmungen über die Zusammenarbeit zur Bekämpfung der illegalen Migration (z. B. Dokumentenberater, Unterstützung bei Rückführungen); es gestaltet die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Grenzkantone mit den Nachbarländern noch effizienter (z. B. polizeiliche Durchbeförderung, Übergabe von Personen an der Staatsgrenze) und regelt gemeinsame Einsatzformen.

Kapitel V enthält Bestimmungen über die Rechtsverhältnisse beim Tätigwerden auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates.

Kapitel VI normiert die Zusammenarbeit zur Verfolgung von Widerhandlungen gegen Vorschriften des Strassenverkehrs.

Kapitel VII regelt den Datenschutz bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Vertragsstaaten im Besonderen.

7

SR 138.1

761

Kapitel VIII sieht u. a. die Möglichkeit vor, Vereinbarungen zur Durchführung der im Vertrag vorgesehenen Zusammenarbeit abzuschliessen sowie Expertentreffen zur Anwendung und Fortentwicklung des Vertrags durchzuführen; es legt zudem die Modalitäten für das Inkrafttreten und für die Kündigung fest.

1.4

Würdigung

Der Bundesrat beurteilt das Resultat der Verhandlungen als überaus positiv. Die im Verhandlungsmandat bestimmten Richtlinien konnten im revidierten Polizeivertrag vollumfänglich berücksichtigt werden. Der vorliegende Polizeivertrag übernimmt neu Bestimmungen, welche bereits in den Polizeiverträgen mit Deutschland und Frankreich vorgesehen sind. Dies gilt namentlich für die Bestimmungen zur verdeckten Ermittlung im Vorfeld eines Strafverfahrens und die Zusammenarbeit bei der Ahndung von Widerhandlungen gegen Strassenverkehrsvorschriften. In anderen Bereichen werden neue Bestimmungen aufgenommen, welche sich noch nicht in den anderen Polizeiverträgen finden. Somit stellt der revidierte Polizeivertrag mit Österreich und Liechtenstein einen neuen Standard für die internationale Polizeizusammenarbeit der Schweiz dar.

Die Schweiz verfügt im Verhältnis zu Österreich und Liechtenstein mit dem revidierten Polizeivertrag über ein zeitgemässes und zielgerichtetes Instrument, um den neuen Herausforderungen, welche die grenzüberschreitende Kriminalität darstellt, wirksam begegnen zu können. So werden mit der verdeckten Ermittlung im Vorfeld eines Strafverfahrens sowie mit dem Zeugenschutz Massnahmen ermöglicht, die eine effektive Bekämpfung der Schwerkriminalität, namentlich der organisierten Kriminalität, erlauben. Überdies verbessert und vereinfacht der Vertrag die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit der Grenzkantone, indem er neu Einsätze zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr ermöglicht, grenzüberschreitende Massnahmen im Eisenbahn- und Schiffsverkehr regelt und den Nutzen gemeinsamer Einsatzformen verstärkt. Zudem hat mit der effizienten Gestaltung der polizeilichen Zusammenarbeit bei Rückführungen, bei der Durchbeförderung von Personen, die sich in Gewahrsam befinden, und bei der Übergabe von Personen an der Staatsgrenze ein wesentliches Anliegen der Kantone Eingang in den Polizeivertrag gefunden.

Diese Bestimmungen werden es den Kantonen ermöglichen, die Polizeizusammenarbeit und den Ressourceneinsatz, insbesondere in den Grenzkantonen, zu optimieren. Schliesslich ermöglicht der revidierte Vertrag die Zusammenarbeit bei der Ahndung von Widerhandlungen gegen Strassenverkehrsvorschriften nun auch mit Österreich und Liechtenstein. Damit wird ein Anliegen aufgenommen, das die Kantone wiederholt geäussert haben, und die Bestimmungen werden somit auch einen Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit auf Schweizer Strassen leisten.

2

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

2.1

Vertrag

Nachfolgend werden nur die materiell neuen Bestimmungen erläutert. Bestimmungen, die nicht kommentiert werden, entsprechen entweder den Bestimmungen des geltenden Vertrags oder sind selbsterklärend.

762

Art. 1

Zweck des Abkommens

Die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen der Schweiz, Liechtenstein und Österreich soll weiterentwickelt werden. Dies spiegelt sich auch im erweiterten Zweckartikel: Die Zusammenarbeit wird neu neben der Kriminalitätsbekämpfung und der Gefahrenabwehr auch diejenige im fremdenpolizeilichen und verkehrspolizeilichen Bereich ermöglichen. Die verkehrspolizeiliche Zusammenarbeit umfasst dabei sowohl die Entsendung von Beamten zur Sicherung und Regelung des Verkehrs als auch die grenzüberschreitende Ahndung von Widerhandlungen gegen Strassenverkehrsvorschriften.

Art. 3

Verhältnis zu internationalen Regelungen

Der vorliegende Vertrag soll die bestehenden Vorschriften und Regelungen insbesondere des Schengen- und Dublin-Besitzstandes und dessen Weiterentwicklungen sowie die Regelungen im Rahmen der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (IKPO, INTERPOL) ergänzen. Zudem soll sichergestellt werden, dass allfällige vom Vertrag abweichende Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes, sofern sie für die drei Staaten gelten, dem vorliegenden Polizeivertrag vorgehen (Abs. 1).

Artikel 39 des geltenden Vertrags wurde in den neuen Artikel 3 integriert (Abs. 2).

Von Schweizer Seite wird zusätzlich das Betrugsbekämpfungsabkommen vom 26. Oktober 20048 vorbehalten, welches in seinem Anwendungsbereich ebenfalls die Vornahme von Observationen, die Bildung von gemeinsamen Ermittlungsgruppen etc. vorsieht.

Art. 4

Behörden und Grenzgebiete

Die Definition der zuständigen Behörden, der nationalen Zentralstellen und der Grenzgebiete ist neu Gegenstand eines eigenständigen Artikels und damit verständlicher gestaltet. Im Gegensatz zum bestehenden Vertrag von 1999 wird nun nicht mehr einheitlich von Sicherheitsbehörden gesprochen. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die für die Verkehrspolizei zuständigen Behörden in Österreich nicht als Sicherheitsbehörden gelten. Zum anderen beinhaltet der Vertrag Bestimmungen, welche nicht direkt die in Artikel 4 definierten Sicherheitsbehörden betreffen, etwa die Bestimmung über Rückführungen (Art. 28). Die zuständigen Sicherheitsbehörden wurden seitens Österreichs an die neue Behördenorganisation angepasst (Abs. 1). Aufgrund der speziellen Behördenorganisation im Bereich der Verkehrspolizei in Österreich werden in diesem Absatz zudem in diesen Angelegenheiten zuständigen Behörden separat genannt. Die Benennung der hier zuständigen Behörden erfolgt gemäss Artikel 46 auch nochmals bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden. Für die Schweiz werden diejenigen Behörden notifiziert, die bereits im Rahmen der Umsetzung des schweizerisch-französischen Polizeivertrags genannt wurden (vgl. auch Ausführungen zu Art. 46). Der Übersicht halber wurden die nationalen Zentralstellen in einen gemeinsamen Absatz (Abs. 2) überführt. Die Grenzgebiete bleiben unverändert (Abs. 3).

8

Abkommen vom 26. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die ihre finanziellen Interessen beeinträchtigen, SR 0.351.926.81.

763

Art. 6

Lageanalysen

Die drei Vertragsstaaten streben einen einheitlichen Informationsstand über die polizeiliche Sicherheitslage an. Zu diesem Zweck sieht Artikel 6 einerseits den Austausch von Lageanalysen und anderseits die Erstellung einer gemeinsamen Sicherheitsanalyse vor. Die Bestimmung wurde aus dem bestehenden Vertrag übernommen und aufgrund der inzwischen gewonnenen Erfahrungen in diesem Bereich redaktionell und inhaltlich angepasst. Eine jährliche gemeinsame Sicherheitsanalyse unter den drei Staaten fand unter dem bestehenden Vertrag von 1999 nicht statt. Die Verpflichtung, einmal jährlich die Sicherheitslage zu analysieren, wurde somit gestrichen.

Art. 7

Zusammenarbeit auf Ersuchen

Artikel 7 regelt die polizeiliche Amtshilfe. Inhaltlich entspricht er Artikel 4 des geltenden Vertrags. Diese für die polizeiliche Zusammenarbeit zentrale Bestimmung orientierte sich an Artikel 39 des Schengener Durchführungsüberkeinkommens (SDÜ)9. Die Bestimmung ging schon 1999 über den Schengen-Besitzstand hinaus, indem sie bezüglich des erlaubten Direktverkehrs zwischen Polizeibehörden zusätzliche Erleichterungen vorsah und etwa auch die Übermittlung von personenbezogenen Daten zu fremdenrechtlichen Zwecken ermöglichte. Die Bestimmung wurde gegenüber der geltenden Fassung inhaltlich beibehalten und redaktionell überarbeitet. Die Absätze zu den Grenzgebieten und zuständigen Sicherheitsbehörden wurden in den neuen Artikel 4 verschoben.

Es dürfen Informationen übermittelt werden, die ohne Anwendung prozessualen Zwangs beschafft werden können. Dabei handelt es sich insbesondere um die in Absatz 5 genannten Informationen. Die nicht abschliessende Liste von Ersuchen nach Absatz 5, welche übermittelt werden können, wurde gegenüber dem bestehenden Vertrag von 1999 um weitere Beispiele ergänzt. Dazu gehört der Austausch «weiterer polizeilicher Erkenntnisse aus Datensammlungen und polizeilichen Unterlagen sowie Auskünfte aus öffentlich zugänglichen behördlichen Datensammlungen», welcher einen Grossteil der in der Praxis übermittelten Ersuchen und Antworten darstellt.

Art. 8

Amtshilfe in dringenden Fällen

Artikel 8 entspricht inhaltlich Artikel 7 des geltenden Vertrags. Es wurden nur kleinere redaktionelle Änderungen vorgenommen. Die Bestimmung ist ausdrücklich nur auf jene Einzelfälle anwendbar, bei denen ein Ersuchen nicht rechtzeitig über die zuständigen Justizbehörden gestellt werden kann, ohne den Erfolg der Massnahme zu gefährden. Sie ändert nichts daran, dass der ersuchte Staat im Rahmen der Umsetzung des Ersuchens die zuständige Justizbehörde einzuschalten hat, sofern das nationale Recht für die Massnahme, um die ersucht wird, eine richterlichen Genehmigung voraussetzt. Um die Ergebnisse der durchgeführten Massnahmen zu erhalten, hat der ersuchende Staat den Weg der Rechtshilfe zu begehen.

9

764

Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990, ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.

Art. 9

Erste polizeiliche Befragung nach Unfällen

Artikel 9 trägt den geografischen Gegebenheiten und der Kleinräumigkeit im Grenzgebiet zwischen den Schweizer Grenzkantonen, Liechtenstein und dem österreichischen Bundesland Vorarlberg Rechnung. Insbesondere die liechtensteinische Landespolizei wird durch diesen Artikel ermächtigt, Personen, welche nach Unfällen ­ zu denken ist vorab an Ski- und sonstige Sportunfälle, aber auch an Verkehrsunfälle ­ in österreichische oder schweizerische Spitäler eingeliefert worden sind, in Anwesenheit der territorial zuständigen Beamten über den Sachverhalt zu befragen.

Die Befragung muss vorgängig von der zuständigen Sicherheitsbehörde des ersuchten Staates genehmigt werden. Eine solche erste polizeiliche Befragung ist nicht gleichzusetzen mit der formellen Einvernahme einer Person in ihrer Qualität als Beschuldigte oder Geschädigte. Solche Einvernahmen sind weiterhin nur auf der Basis eines Rechtshilfeersuchens möglich.

Art. 10

Informationsübermittlung ohne Ersuchen

Artikel 10 entspricht grundsätzlich Artikel 8 des geltenden Vertrags, wurde jedoch den geltenden Verpflichtungen der drei Staaten aus dem Schengener Besitzstand angepasst. Gemäss Rahmenbeschluss 2006/960/JI10 («Schwedische Initiative») müssen sich die Schengen-Mitgliedstaaten Informationen, welche für den Empfängerstaat zur Bekämpfung von Straftaten oder zur Abwehr von konkreten Gefahren nützlich sein können, auch ohne Ersuchen übermitteln. Aus diesem Grund wurde die im geltenden Vertrag figurierende Beschränkung auf Einzelfälle aufgehoben. Beibehalten wurde jedoch die vereinfachte Übermittlung im Grenzverkehr entsprechend Artikel 7 Absätze 2, 3, 4 und 8.

Art. 12

Informationsübermittlung im automatisierten Verfahren

Im geltenden Vertrag ist die Informationsübermittlung im automatisierten Verfahren in Artikel 5 geregelt. Zum Zeitpunkt, als die Bestimmung geschaffen wurde, hatte die Schweiz noch keinen Zugang zum Schengener Informationssystem (SIS). Diese Bestimmung war dazu gedacht, dass die drei Vertragsstaaten bei ihnen gespeicherte nationale Fahndungsausschreibungen im regionalen Rahmen austauschen und speichern können. Damit wäre ein zum SIS strukturell paralleles regionales Fahndungssystem entstanden. Artikel 5 ist im Verhältnis zu Österreich bis heute nicht umgesetzt worden und dürfte es auch in Zukunft aufgrund des Schweizer Anschlusses ans SIS nicht werden. Dennoch soll der Norminhalt des Artikels 5 ­ neu als Artikel 12 auch im revidierten Polizeivertrag beibehalten werden, da er im Verhältnis zu Liechtenstein als Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit im Bereich der Personen-, Fahrzeug- und Sachfahndung dient. Die Bestimmung wurde jedoch redaktionell überarbeitet. Die einzelnen und abschliessend genannten Kategorien von Ausschreibungen sind nun systematisch wie folgt gegliedert: Zweck (Abs. 1), Inhalt der Mitteilungen (Abs. 2), Folge der Ausschreibung (Abs. 3) sowie entsprechend den Ausschreibungskategorien im SIS: Absatz 4 (Vermisste, analog Art. 97 SDÜ), Absatz 5 (Aufenthaltsermittlung zugunsten der Justizbehörden, analog Art. 98 SDÜ), Absatz 6 (verdeckte Registrierung, analog Art. 99 SDÜ), Absatz 7 (Sachfahndung, analog 10

Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 386 vom 29.12.2006, S. 89.

765

Art. 100 SDÜ). In Absatz 1 wurde die im geltenden Vertrag angeführte inhaltsleere Unterscheidung zwischen «Aufenthaltsermittlung und Ingewahrsamnahme von Abgängigen und Vermissten» (Bst. a) und «Aufenthaltsermittlung und Ingewahrsamnahme von Personen gemäss Absatz 5» (Bst. b) aufgehoben. Bei den im geltenden Vertrag bestimmten Personen gemäss Absatz 5 handelt es sich um volljährige Abgängige bzw. Vermisste, minderjährige Abgängige und Vermisste sowie um Personen, die im Interesse ihres eigenen Schutzes oder zur Gefahrenabwehr auf Ersuchen der zuständigen Behörde vorläufig in Gewahrsam genommen oder aufgrund einer Anordnung einer zuständigen Stelle zwangsweise untergebracht werden müssen. Diese sind durch den neuen Artikel 12 Absatz 4 weiterhin erfasst. Die Absätze 8­10 regeln den Datenschutz und wurden unverändert, wenngleich in anderer Reihenfolge, übernommen.

Art. 13

Austausch von Fahrzeug- und Halterdaten

Artikel 13 sieht vor, dass den anderen Vertragsstaaten auf deren Anfrage hin Fahrzeug- und Halterdaten mitgeteilt werden können, soweit dies zur Kriminalitätsbekämpfung, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder zur Ahndung von Widerhandlungen gegen Strassenverkehrsvorschriften notwendig ist (Abs. 1). Der Austausch dieser Daten kann sowohl im nichtautomatisierten als auch im automatisierten Verfahren erfolgen (Abs. 2). Zur Verfolgung von Strassenverkehrsdelikten soll ein automatisiertes Anfrage- und Auskunftsverfahren eingerichtet werden, analog jenem mit Frankreich und mit Deutschland auf Basis der entsprechenden Polizeiverträge. Die Modalitäten der Anfrage, des Umfangs der Auskunft sowie der Übermittlung von Daten aus den Fahrzeugregistern wird in einer Durchführungsvereinbarung geregelt werden (vgl. auch Ausführungen zu Art. 47).

Art. 14

Grenzüberschreitende Observation

Die Regelung der grenzüberschreitenden Observation wurde aufgrund der bisherigen praktischen Erfahrungen mit dieser Bestimmung umgestaltet und für die Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender verständlicher formuliert, bleibt jedoch inhaltlich gegenüber der geltenden Fassung weitgehend unverändert. Die Bestimmung geht über den Schengen-Besitzstand hinaus: Zum einen ist eine Observation im Vorfeld einer Straftat bzw. zur Sicherstellung einer Strafvollstreckung im Rahmen der Schengener Kooperation nicht vorgesehen. Zum anderen erleichtert Artikel 14 des vorliegenden Polizeivertrags die Durchführung einer grenzüberschreitenden Observation, indem im Gegensatz zu den Katalogstraftaten des SDÜ Observationen für alle auslieferungsfähigen Straftaten zulässig sind. Überdies kann eine grenzüberschreitende Observation bis 12 Stunden ohne entsprechende Zustimmung des Vertragsstaats durchgeführt werden. Die Beamten verfügen im Gegensatz zur Regelung im SDÜ über ein Festhalterecht.

Eine grenzüberschreitende Observation ist im Verhältnis Liechtenstein Schweiz Österreich zum einen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen einer im ersuchten Staat auslieferungsfähigen Straftat zulässig (Abs. 1). Zum anderen kann eine Observation grenzüberschreitend fortgesetzt werden, mit dem Ziel, die Strafvollstreckung sicherzustellen (Abs. 2 Bst. b) und auslieferungsfähige Straftaten abzuwehren (Abs. 2 Bst. c); zulässig ist eine Observation ferner, um eine bestimmte, in Vorbereitung befindliche auslieferungsfähige Straftat noch während ihrer Vorbereitung verhindern zu können (Abs. 2 Bst. d) sowie bandenmässige und organisierte 766

Kriminalität abzuwehren (Abs. 2 Bst. e). Präziser geregelt wird im neuen Vertrag die Observation einer Drittperson: Im Rahmen eines Strafverfahrens kann eine Drittperson observiert werden, wenn anzunehmen ist, dass sie zur Identifizierung oder Auffindung einer Person beitragen kann, die der Beteiligung an einer auslieferungsfähigen Straftat verdächtigt ist (Abs. 2 Bst. a). Diese Ergänzung ist inhaltlich nicht neu. Eine entsprechende Präzisierung findet sich bereits in Artikel 12 des schweizerisch-französischen Polizeivertrags bzw. in Artikel 17 des Zweiten Zusatzprotokolls vom 8. November 200111 zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen.

Grenzüberschreitende Observationen auf der Basis eines vorgängig gestellten Ersuchens im präventiven Bereich (Abs. 2 Bst. c bis e) sind grundsätzlich nur zulässig, sofern das innerstaatliche Recht des ersuchten Staates diese auch vorsieht. Massgeblich sind hier die kantonalen Polizeigesetze, welche solche präventiven Observationen vorsehen. Zudem ist Voraussetzung, dass ein Ersuchen nicht im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gestellt werden konnte und dass der Zweck der Observation nicht durch die Übernahme der Amtshandlung durch Beamte des ersuchten Vertragsstaats oder durch die Bildung einer gemeinsamen Observationsgruppe (Art. 19) erreicht werden kann (Verhältnismässigkeitsprinizip).

Eine erteilte Zustimmung gilt für das gesamte Hoheitsgebiet (Abs. 4). Falls eine vorgängige Zustimmung wegen besonderer Dringlichkeit nicht eingeholt werden kann, darf die Observation unter gewissen Voraussetzungen grenzüberschreitend fortgesetzt werden. Der Grenzübertritt ist noch während der Observation unverzüglich der zuständigen Behörde des Vertragsstaates, auf dessen Hoheitsgebiet die Observation fortgesetzt werden soll, mitzuteilen. Ein begründetes Ersuchen ist ohne Aufschub nachzureichen. Stimmt der ersuchte Staat nicht zu oder unterlässt er es, eine Zustimmung innerhalb von 12 Stunden nach Grenzübertritt zu erteilen, ist die Observation einzustellen (Abs. 5­7).

Absatz 8 legt die allgemeinen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Observation fest. Die observierenden Beamten sind an das Recht des Vertragsstaates gebunden, auf dessen Hoheitsgebiet sie auftreten (Abs. 8 Bst. a). Es gelten für sie namentlich dieselben verkehrsrechtlichen Bestimmungen
wie für die Beamten dieses Vertragsstaates. Das Betreten von Wohnungen und nicht öffentlichen Grundstücken und Gebäuden ist nicht zulässig; öffentlich zugängliche Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume dürfen nur während den Öffnungszeiten betreten werden (Abs. 8 Bst. b). Absatz 8 Buchstabe c gewährt observierenden Beamten ein Festhalterecht, wenn die observierte Person bei der Begehung von oder der Teilnahme an einer im ersuchten Vertragsstaat auslieferungsfähigen Straftat angetroffen oder wegen einer solchen Tat verfolgt wird. Die weiteren Befugnisse der Beamten entsprechen denjenigen im Falle der Nacheile (s. Art. 15).

Absatz 8 Buchstabe d verlangt vom ersuchenden Staat eine Berichterstattung über jede Observation, die stattgefunden hat. Der ersuchte Staat kann das persönliche Erscheinen des observierenden Beamten oder der observierenden Beamtin verlangen. Eng damit verknüpft ist Absatz 8 Buchstabe e, der im Falle von nachträglichen Ermittlungen, einschliesslich gerichtlicher Verfahren, verlangt, dass der Staat, aus dessen Gebiet die observierenden Beamten kommen, den anderen Staat unterstützen muss. Damit soll sichergestellt werden, dass die Einhaltung der von diesem Vertrag 11

SR 0.351.12

767

geforderten Voraussetzungen und die Einhaltung nationalen Rechts kontrolliert werden. Der Einsatz technischer Mittel ist nach Absatz 8 Buchstabe f nur erlaubt, sofern dies nach dem Recht des Vertragsstaates zulässig ist, auf dessen Gebiet observiert wird. Auch die ausländischen Behörden dürfen also nur die auf dem Gebiet des Einsatzstaates zulässigen Mittel einsetzen und müssen allenfalls notwendige richterliche Bewilligungen einholen. Ersuchen betreffend grenzüberschreitende Observationen unter Einsatz von Peil- und Ortungstechnik können an fedpol gerichtet werden. Dieses holt die notwendige Anordnung bzw. Bewilligung bei der Bundesanwaltschaft bzw. beim Zwangsmassnahmengericht innert 24 Stunden ein.

Absatz 9 regelt den Geschäftsweg. Aufgrund der Schengen-Assoziierung der Schweiz wurden die Kommunikationswege mit dem Einverständnis der KKPKS angepasst. Diesem Umstand soll nun auch im revidierten Vertrag Rechnung getragen werden. Neu sind alle Ersuchen an fedpol zu richten, welches im Falle einer vorliegenden Bundeskompetenz die Bewilligung erteilt oder das Ersuchen an die zuständige kantonale Polizeibehörde zur Bewilligung weiterleitet. Dies gilt sowohl für die Observation im Rahmen eines Strafverfahrens als auch für die Observation zur Verhinderung einer Straftat.

Art. 15

Grenzüberschreitende Nacheile

Auch die Regelung der grenzüberschreitenden Nacheile wurde aufgrund der Praxiserfahrung überarbeitet. Nach Absatz 1 soll die Nacheile zum einen möglich sein, wenn jemand bei der Begehung oder Teilnahme an einer auslieferungsfähigen Straftat erwischt wird, zum anderen, wenn eine Person aus der Haft (Untersuchungsoder Strafhaft), die wegen einer auslieferungsfähigen Straftat verhängt wurde, geflohen ist. Der Polizeivertrag geht auch hier über den Schengen-Besitzstand (Art. 41 SDÜ) hinaus: Eine Nacheile soll nämlich auch erfolgen können, wenn sich eine Person einer polizeilichen Kontrolle entzieht. Gegenüber dem geltenden Vertrag wurde der Raum, innerhalb dem sich die vor der Polizeikontrolle fliehende Person befinden muss, von 30 Kilometern ab der Staatsgrenze auf 80 Kilometer erweitert.

In Absatz 2 wurde zudem präzisiert, dass eine Nacheile aufgrund der Flucht vor einer polizeilichen Kontrolle nur möglich sein soll, wenn die Person eindeutig Haltezeichen missachtet und in der Folge eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellt.

Die Auslieferungsfähigkeit richtet sich nach dem Recht des ersuchten Staates. Die nacheilenden Beamten haben unverzüglich, in der Regel noch vor dem Grenzübertritt, die zuständige örtliche Behörde zu unterrichten. Die nacheilenden Beamten verfügen über ein Festhalterecht, sofern die örtlichen Behörden nicht rechtzeitig herangezogen werden können (Abs. 4). Die Nacheile kann ohne räumliche und zeitliche Begrenzung ausgeübt werden (Abs. 5). Absatz 6 enthält die allgemeinen Voraussetzungen zur Ausübung der Nacheile. Nach Absatz 7 können Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit zum Zwecke der Vernehmung festgehalten werden. Vorbehalten bleiben nationale Regelungen, die eine Anordnung von Haft oder die vorläufige Festnahme erlauben.

Meldungen betreffend den bevorstehenden Grenzübertritt sind in der Schweiz an die Kantonspolizei St. Gallen oder die Kantonspolizei Graubünden zu richten. In Fällen von übergeordneter Bedeutung, oder wenn die Nacheile über das Grenzgebiet hinausgeht, hat jedoch eine Unterrichtung der Zentralstelle beider Vertragsstaaten über die erfolgte Nacheile zu erfolgen (Abs. 8). Wie bis anhin ist im Verhältnis Schweiz 768

­ Liechtenstein eine Nacheile auf dem Gebiet der Kantone St. Gallen und Graubünden sowie Liechtensteins auch bei Verstössen gegen das Strassenverkehrsrecht zulässig (Abs. 9).

Art. 16

Kontrollierte Lieferung

Artikel 16 entspricht weitestgehend Artikel 12 des geltenden Vertrags. Dieser orientierte sich an Artikel 73 SDÜ, welcher jedoch eine kontrollierte Lieferung nur im Bereich der Betäubungsmittel vorsieht. Artikel 73 SDÜ wurde in der Zwischenzeit durch Artikel 12 des Übereinkommens vom 29. Mai 200012 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union abgelöst. Artikel 12 ist Teil des Schengen-Besitzstandes und verpflichtet die Schengen-Mitgliedsstaaten sicherzustellen, dass kontrollierte Lieferungen im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen, die auslieferungsfähige Straftaten betreffen, in seinem Hoheitsgebiet ermöglicht werden. Ein eigenständiger Artikel zu den kontrollierten Lieferungen im Polizeivertrag hat weiterhin seine Berechtigung, legt er doch die Einzelheiten für die Durchführung der kontrollierten Lieferung fest.

Eine kontrollierte Lieferung bedarf der Zustimmung des ersuchten Staates. Diese wird nur dann erteilt, wenn nach Einschätzung des ersuchenden Staates die Ermittlung von Auftraggebern und anderen Tatbeteiligten oder die Aufdeckung von Verteilerwegen aussichtslos ist oder wesentlich erschwert würde (Verhältnismässigkeit, Erforderlichkeit). Gegenüber dem geltenden Vertrag wurde zusätzlich präzisiert, dass es sich bei den Straftaten, zu deren Aufklärung eine kontrollierte Lieferung möglich ist, um eine auslieferungsfähige Straftat handeln muss. Die Zustimmung gilt für das gesamte Staatsgebiet. Der ersuchte Staat kann die Zustimmung ablehnen.

Die Lieferung kann zur Kontrolle abgefangen und dabei die (illegale) Ware in ihrem ursprünglichen Zustand belassen oder aber entfernt oder durch eine Attrappe ersetzt werden (Abs. 1). Absatz 2 verlangt, dass die Zustimmung verweigert oder beschränkt werden muss, wenn von der Ware ein nicht vertretbares Risiko für die am Transport beteiligten Personen oder für die Allgemeinheit ausgeht. Gedacht wurde dabei insbesondere an Massenvernichtungswaffen oder Bestandteile für deren Herstellung, Sondermüll oder radioaktive Stoffe. Auch eine kontrollierte Lieferung von Personen (Menschenhandel, Menschenschmuggel) ist ausgeschlossen. Absatz 3 normiert die Kontrollaufgaben des ersuchten Staates eingehend. Er muss sicherstellen, dass kein Unterbruch der Kontrolle der Lieferung entsteht und dass jederzeit die Möglichkeit des
Zugriffs auf die Täterin oder den Täter oder die Ware gegeben ist.

Beamte des ersuchenden Staates können auch im ersuchten Staat an der Begleitung der kontrollierten Lieferung beteiligt werden. In diesem Fall sind sie an das innerstaatliche Recht des ersuchten Staates und an die Weisungen von dessen Behörden gebunden.

Absatz 4 sieht zudem vor, dass eine kontrollierte Lieferung, die in einem Drittstaat beginnen oder dort fortgesetzt werden soll, bewilligt werden kann. Dabei müssen jedoch die Kontrollbedingungen nach Absatz 3 gewährleistet bleiben. Ein Ersuchen betreffend eine kontrollierte Lieferung ist in der Schweiz an fedpol zu richten (Abs. 6).

12

Rechtsakt des Rates vom 29. Mai 2000 über die Erstellung des Übereinkommens ­ gemäss Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union ­ über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. C 197 vom 12.7.2000, S. 1.

769

Art. 17

Verdeckte Ermittlungen

Mit diesem Artikel wird analog zum schweizerisch-deutschen Polizeivertrag die verdeckte Ermittlung im Vorfeld eines Strafverfahrens ermöglicht. Damit soll eine möglichst klare Trennung des Polizeivertrags gegenüber den Rechtshilfeübereinkommen erzielt werden. Möglich ist die Zusammenarbeit in diesem Bereich nur, soweit es das nationale Recht zulässt. Für die Schweiz massgebend sind in erster Linie die kantonalen Polizeigesetze, welche die verdeckte Ermittlung im Vorfeld eines Strafverfahrens vorsehen können.

Weil es sich um einen besonders sensiblen Bereich handelt, wurden wie im schweizerisch-deutschen Polizeivertrag verschiedene Zulässigkeitsvoraussetzungen und Schranken eingebaut: Namentlich müssen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine rechtshilfefähige Straftat vorliegt, für die nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht der Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler zugelassen ist. Zudem muss es sich um Straftaten von besonderer Bedeutung handeln (etwa Terrorismus, Finanzierung des Terrorismus, organisierte Kriminalität, Drogenhandel). Der Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler soll möglich sein, wenn es das Recht der beiden Staaten auch so vorsieht.

Nach Absatz 2 werden die Voraussetzungen und Bedingungen der Einsätze und die Verwendung der Ermittlungsergebnisse vom ersuchten Staat nach seinem innerstaatlichen Recht festgelegt.

Absatz 3 sieht vor, dass sich die Ermittlungen auf einzelne Einsätze beschränken, die zeitlich begrenzt sind. Bereits im Ersuchen muss eine Angabe zur voraussichtlichen Dauer des Einsatzes gemacht werden. Ist davon auszugehen, dass der Einsatz sich über einen bestimmten Zeitraum erstreckt, können die verdeckten Ermittlungen zunächst für einen Monat bewilligt werden, wobei eine Verlängerung der Bewilligung zulässig ist. Der Einsatz der verdeckten Ermittlerin oder des verdeckten Ermittlers ist zwischen den zuständigen Behörden des ersuchten Vertragsstaates vorgängig abzustimmen.

Die Handlungen des verdeckten Ermittlers sind dem ersuchten Staat zuzurechnen.

Der ersuchte Staat kann die verdeckte Ermittlung jederzeit beenden. Der verdeckte Ermittler des ausländischen Staates untersteht der Leitung eines Beamten des ersuchten Staates (Abs. 4).

Absatz 5 verpflichtet den ersuchten Vertragsstaat zur Leistung notwendiger technischer
und personeller Unterstützung. So kann der ersuchende Staat dem ersuchten Staat entsprechend dem innerstaatlich geltenden Recht Urkunden und sonstige Dokumente, welche der Legendierung der verdeckten Ermittlerin oder des verdeckten Ermittlers dienen, zur Verfügung stellen. Der verdeckte Ermittler kann diese Dokumente im Rechtsverkehr zur Durchführung des Einsatzes gebrauchen.

Absatz 6 bestimmt, dass technische Mittel, die zur Absicherung des Einschreitens erforderlich sind, mitgeführt werden können, es sei denn, der ersuchte Vertragsstaat widerspricht dem ausdrücklich. Die mitgeführten technischen Mittel müssen bereits im Ersuchen angegeben werden. Zu denken ist hierbei vor allem an Mikrofone, welche den zur Unterstützung des verdeckten Ermittlers eingesetzten Beamten die Möglichkeit geben, den Verlauf der Gespräche mitzuverfolgen, um allenfalls rechtzeitig einschreiten zu können.

770

Bei besonderer Dringlichkeit kann gemäss Absatz 7 davon abgesehen werden, eine vorherige Zustimmung einzuholen. Bedingung dafür ist allerdings, dass einerseits die rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz verdeckter Ermittler im anderen Vertragsstaat gemäss den Absätzen 1 bis 3 vorliegen und andererseits die Aufdeckung der veränderten Identität droht, wenn der Einsatz nicht durchgeführt wird.

Das Tätigwerden der verdeckten Ermittlerin oder des verdeckten Ermittlers hat sich in diesen Fällen auf das zur Aufrechterhaltung der Legende unumgängliche Mass zu beschränken. Auch hier ist der Einsatz der zuständigen Behörde nach Absatz 7 unverzüglich mitzuteilen und nachträglich ein begründetes Gesuch einzureichen.

Art. 18

Zeugen- und Opferschutz

Beim Zeugenschutz geht es darum, Personen zu schützen, die in einem Strafverfahren über einen von ihnen wahrgenommenen Sachverhalt aussagen sollen und deswegen gefährdet sind. Ziel und Zweck von Zeugenschutzmassnahmen ist einerseits der Schutz von Personen, die wegen ihrer Aussage, ihrer Beteiligung am Verfahren oder ihrer Nähe zum Verfahren an Leib und Leben gefährdet sind oder deren Gesundheit, Freiheit oder wesentliche Vermögenswerte bedroht sind, und andererseits die Sicherung der Strafverfolgung durch Herstellung und Aufrechterhaltung der Aussagebereitschaft. Eine enge internationale Kooperation ist für die Schweiz auf der einen Seite von Bedeutung, da die Schweiz in Fällen erheblicher Gefährdung einer Person zu klein ist, um die Sicherheit der bedrohten Zeugin oder des bedrohten Zeugen im Alleingang zu garantieren. Schutzbedürftige Personen könnten bei Notwendigkeit vorübergehend oder längerfristig ins Ausland verbracht werden. Auf der anderen Seite steht eine Kooperation mit den Ländern besonders im Vordergrund, welche über soziokulturelle und sprachliche Gemeinsamkeiten verfügen.

Artikel 18 sieht die gegenseitige Unterstützung der Vertragsstaaten bei der Durchführung von Zeugen- und Opferschutzmassnahmen vor, soweit dies das nationale Recht zulässt. Die Bestimmung bezieht sich bewusst auch auf den Opferschutz, um allfällige zukünftige Entwicklungen abdecken zu können. Die Zusammenarbeit im Bereich des Zeugen- und Opferschutzes richtet sich nach dem nationalen Recht. In Betracht kommen dabei in der Schweiz etwa für Zeuginnen und Zeugen von Menschenhandel Massnahmen gemäss Artikel 30 Absatz 1 Buchstabe e des Ausländergesetzes vom 16. Dezember 200513 (AuG) oder im ausserprozessualen Bereich Massnahmen gemäss dem Opferhilfegesetz vom 23. März 200714.

Die in Artikel 18 statuierten Grundsätze entsprechen den international gängigen Prinzipien bei der Zusammenarbeit im Bereich des Zeugenschutzes sowie den im Bundesgesetz vom 23. Dezember 201115 über den ausserprozessualen Zeugenschutz statuierten Normen zur internationalen Zusammenarbeit. So soll die Zusammenarbeit nicht nur den Austausch sachdienlicher Informationen beinhalten, sondern auch die Übernahme von zu schützenden Personen, welche im anderen Vertragsstaat aus Sicherheitsgründen nicht untergebracht werden konnten (Abs. 2). Somit kann
ein Vertragsstaat gemäss innerstaatlichem Recht dem ersuchenden Vertragsstaat Urkunden oder sonstige Dokumente zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung einer vorübergehend geänderten Identität («Tarnidentität») für die zu schützende Person zur Verfügung stellen. Die Schweiz ist jedoch nicht verpflichtet, solche Personen 13 14 15

SR 142.20 SR 312.5 SR 312.2

771

aufzunehmen oder kann die Zusammenarbeit zu jedem Zeitpunkt beim Vorliegen schwerwiegender Gründe beenden. Der ersuchende Vertragsstaat hat in diesem Falle die zu schützende Person zurückzunehmen (Abs. 6). In jedem Einzelfall müssen durch die zuständigen Behörden die Modalitäten der Zusammenarbeit festgelegt werden (Abs. 3), einschliesslich der entsprechenden konkreten Kostenaufteilung.

Diese Vereinbarung soll direkt zwischen den für den Zeugenschutz zuständigen Stellen abgeschlossen werden. Entsprechend dem geltenden Recht ist dies für die Schweiz fedpol (vgl. Art. 16 der Verordnung vom 7. November 201216 über den ausserprozessualen Zeugenschutz in Verbindung mit Artikel 48a Absatz 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199717; RVOG).

Die zu schützenden Personen, welche beim ersuchenden Vertragsstaat ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden, werden nicht in das Zeugenschutzprogramm des ersuchten Vertragsstaates aufgenommen (Abs. 4). Die Kostenaufteilung entspricht schliesslich den von Europol empfohlenen und in der internationalen Zusammenarbeit auch praktizierten Richtlinien (Abs. 5).

Art. 19

Gemeinsame Einsatzformen

Artikel 19 stellt eine der hauptsächlichen Neuerungen des revidierten Polizeivertrags dar. Auch diese Bestimmung ist im Lichte der Erfahrungen angepasst worden, die verschiedene Polizeibehörden bei gemeinsamen Einsätzen gemacht haben. Namentlich hat sich gezeigt, dass etwa der Nutzen gemeinsamer Patrouillen stark eingeschränkt ist, wenn die Polizeibeamten des anderen Vertragsstaates über keine hoheitlichen Befugnisse verfügen. Die im geltenden Vertrag festgelegten, restriktiven Bedingungen für den Einsatz von Beamten mit hoheitlichen Befugnissen werden entsprechend gelockert (Abs. 2). Die Neufassung orientiert sich dabei an Artikel 24 des sogenannten Prümer Vertrags vom 27. Mai 200518.

Absatz 1 ermöglicht den Einsatz operativer polizeilicher Handlungsformen, welche die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und die Verhinderung von Straftaten bezwecken. Neben gemeinsamen Streifen können insbesondere gemeinsam besetzte Kontroll-, Auswertungs- und Observationsgruppen zu diesen Formen polizeilichen Handelns gezählt werden, bei denen Vertreterinnen und Vertreter der Vertragsparteien unterstützend auf dem Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei mitwirken können.

Bei solchen Einsätzen können die Beamten des Partnerstaates auch mit hoheitlichen Aufgaben betraut werden. Dies setzt jedoch voraus, dass vorgängig ein Einvernehmen zwischen den beteiligten Dienststellen hergestellt worden ist, etwa bezüglich Zweck und Dauer des Einsatzes, Aufgaben und Kompetenzen der eingesetzten Beamten des Vertragsstaates sowie der logistischen Modalitäten. Des Weiteren muss geklärt sein, welche rechtlichen Grundlagen beim Einsatz zu beachten sind (Abs. 2 und Abs. 3). Dabei gelten für die Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse zusätzliche Voraussetzungen, die insbesondere in Absatz 4 geregelt sind: Hoheitliche Befugnisse dürfen nur unter der Leitung von Beamten des Gebietsstaates wahrgenommen 16 17 18

772

SR 312.21 SR 172.010 Vertrag vom 27. Mai 2005 zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande und der Republik Österreich über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration

werden. Die Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse hat zudem gemäss dem Recht des Gebietsstaates zu erfolgen.

Absatz 5 regelt den Gebrauch von Schusswaffen. Der Einsatz von Schusswaffen ist nur auf Anordnung der Einsatzleitung oder im Falle der Notwehr und Notwehrhilfe gestattet. Diese Regelung war bereits im geltenden Vertrag bei der Entsendung von Beamten mit hoheitlichen Funktionen (Art. 15) vorgesehen.

Art. 20

Entsendung von Beamten zur Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse

Weiterhin möglich bleibt, dass Beamte einer Sicherheitsbehörde eines Landes in die zuständigen Einheiten einer Sicherheitsbehörde eines anderen Vertragsstaates entsendet werden können; dies kann sowohl für die Gefahrenabwehr als auch zur Bekämpfung von Straftaten der Fall sein. Sie können dabei auch mit hoheitlichen Befugnissen betraut werden. Die Voraussetzungen und Bedingungen von Artikel 19 Absätze 3­5 gelten entsprechend.

Art. 21

Massnahmen bei unmittelbarer Gefahr

Artikel 21 sieht vor, dass Beamte der Polizeibehörden in Notsituationen zum Schutz von Leib, Leben oder Eigentum ohne vorherige Zustimmung des Gebietsstaates grenzüberschreitend tätig werden können. Eine ähnlich lautende Regelung findet sich in Artikel 25 des Prümer Vertrags, jedoch nur in Bezug auf die Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben. Eine ähnliche Bestimmung enthält im Übrigen bereits der Polizeivertrag mit Frankreich: Ereignet sich ein schwerer Unfall, so kann diejenige Streife eingreifen, die dem Unfallort am nächsten ist ­ unabhängig davon, welchem Vertragsstaat sie untersteht (Art. 16 Abs. 4).

Absatz 1 ermöglicht es im Ausnahmefall, dass Polizeibeamte zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum und bei einem dringendem Bedarf ohne vorherige Zustimmung des Gebietsstaates die Grenze überschreiten, und im grenznahen Bereich auf dem Gebiet des anderen Vertragsstaates die erforderlichen vorläufigen Gefahrenabwehrmassnahmen treffen können. Der Ausnahmecharakter grenzüberschreitender Gefahrenabwehrmassnahmen im grenznahen Bereich wird durch die in Absatz 2 definierten engen Voraussetzungen des dringenden Bedarfs deutlich. Ein dringender Bedarf liegt nur dann vor, wenn bei einem Abwarten auf das Einschreiten von Beamten des Gebietsstaates eine Verwirklichung der Gefahr droht.

Absatz 3 schreibt vor, dass die Gefahrenabwehrmassnahmen auf dem fremden Hoheitsgebiet des Gebietsstaates nur so lange andauern dürfen, bis dieser die eigenen notwendigen Massnahmen ergriffen hat. Der Gebietsstaat ist verpflichtet, unverzüglich tätig zu werden, sobald er durch die grenzüberschreitend eingreifenden Beamten des anderen Vertragsstaates unterrichtet worden ist. Auch die Unterrichtung des Gebietsstaates durch die grenzüberschreitend hilfeleistenden Beamten hat unverzüglich zu erfolgen. Die grenzüberschreitend tätigen Beamten haben sich an die Weisungen des Gebietsstaates zu halten.

Absatz 4 legt u. a. fest, dass die Beamten des anderen Vertragsstaates an das Recht des Vertragsstaates gebunden sind, auf dessen Hoheitsgebiet gehandelt wird.

773

Da es sich bei diesen Einsätzen um Massnahmen zur Gefahrenabwehr im grenznahen Raum handelt, regelt Absatz 5, dass die Kantonspolizeien in den beiden Grenzkantonen St. Gallen und Graubünden zu unterrichten sind.

Art. 22

Unterstellung von Beamten zum Zwecke der Regelung und Sicherung des Verkehrs

Beamte eines Vertragsstaates können den zuständigen Behörden eines anderen Vertragsstaates zur Verfügung gestellt werden, um die Sicherheit und Flüssigkeit des Strassenverkehrs bei Grossveranstaltungen zu gewährleisten. Ihnen obliegt die Regelung und Sicherung des Verkehrs; sie können aber auch mit Vollzugsaufgaben betraut werden. Im Falle der Betrauung mit hoheitlichen Befugnissen sind die Bedingungen und Voraussetzungen gemäss Artikel 19 Absätze 3 und 4 zu beachten.

Artikel 22 stellt für den Fall von Grossereignissen eine Spezialbestimmung der Artikel 19 und 20 für den Bereich der Verkehrspolizei dar. Die Bestimmung kann etwa bei der Durchführung einer grossen Massenveranstaltung von Nutzen sein.

Aufgrund der spezifischen Behördenorganisation Österreichs im Bereich der Verkehrspolizei ist eine solche Spezialregelung notwendig.

Art. 23

Grenzüberschreitende Fahndungsaktionen

Artikel 23 sieht vor, dass sich die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten an grenzüberschreitenden Fahndungsaktionen beteiligen können. Die Möglichkeit zur Durchführung solcher Fahndungsaktionen ist bereits im geltenden Vertrag vorgesehen (Art. 13 Abs. 2). Neu soll jedoch die Beschränkung auf die Behörden der Grenzgebiete aufgehoben werden. Dies schafft die Möglichkeit, etwa auch mit Österreich Zusammenarbeitsformen wie den Kindesentführungsalarm zu vereinbaren. Mit Liechtenstein besteht bereits eine solche Vereinbarung.

Art. 26

Flugsicherheitsbegleiter

Die drei Vertragsstaaten sollen neu beim Einsatz von Flugsicherheitsbegleitern («Air Marshalls», TIGER) zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit umfasst insbesondere den Einsatz solcher Begleiterinnen und Begleiter auf Flügen, die vom Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates auf das Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates durchgeführt werden (Abs. 3). Es ist jedoch in der ausschliesslichen Zuständigkeit der jeweiligen Vertragspartei, ob sie Flugsicherheitsbegleiter in den in ihrem Hoheitsgebiet registrierten Luftfahrzeugen einsetzt. Keine der Vertragsparteien wird durch den Vertrag verpflichtet, Flugsicherheitsbegleiter einzusetzen. Durch den Verweis auf die internationalen Luftfahrtabkommen wird weiter deutlich, dass durch diesen Vertrag keine eigenständige völkerrechtliche Grundlage zum Einsatz von Flugsicherheitsbegleitern geschaffen wird, sondern dass der Einsatz auf der Grundlage und im Rahmen des bestehenden internationalen Rechts erfolgt. Aufgrund der Definition in Absatz 2 dürfen von den Vertragsparteien nur Beamte der Sicherheitsbehörden als Flugsicherheitsbegleiter im Rahmen des Vertrags eingesetzt werden.

Damit ist der Einsatz von Angestellten privater Sicherheitsunternehmen als Flugsicherheitsbegleiter ausgeschlossen.

774

Art. 27

Dokumentenberater

Die drei Vertragsstaaten wollen im Bereich der Dokumentenberater zusammenarbeiten (Abs. 1). Im schweizerischen Recht besteht eine entsprechende Rechtsgrundlage für Dokumentenberaterinnen und Dokumentenberater mit Artikel 100a AuG seit dem 1. Januar 2011. Die grundlegende Aufgabe dieser Personen besteht darin, die Luftverkehrsunternehmen und die örtlich zuständigen Kontrollbehörden bei der Dokumentenkontrolle beratend zu unterstützen. Auf Ersuchen der zuständigen Behörde kann die Dokumentenberaterin oder der Dokumentenberater beispielsweise dabei behilflich sein, Reisedokumente und Visa zu überprüfen. Dokumentenberaterinnen und Dokumentenberater verfügen über keine hoheitlichen Befugnisse (Art. 100a Abs. 2 AuG).

Die Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten im Bereich Dokumentenberater soll insbesondere die in Absatz 2 genannten Bereiche umfassen.

Absatz 3 umschreibt die Aufgaben der Dokumentenberater. Dazu gehören die Beratung und Schulung der Angehörigen der Auslandsvertretungen aller Vertragsparteien in Pass- und Visaangelegenheiten, der Angehörigen von Beförderungsunternehmen oder der für die grenzpolizeilichen Kontrollen zuständigen Behörden und Einrichtungen des Gastlandes.

Art. 28

Unterstützung bei Rückführungen

Die drei Vertragsstaaten wollen sich bei der Organisation und Durchführung von Rückführungen unterstützen. Artikel 28 sieht vor, dass Sammelflüge zur Rückführung von Drittstaatenangehörigen organisiert werden können. Des Weiteren unterstützen sich die zuständigen Behörden bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmassnahmen auf dem Luftweg. Diese Massnahme ist eine Konkretisierung des Schengen-Besitzstandes, namentlich der Richtlinie 2008/115/EG19 (Rückführungsrichtlinie). Auch diese sieht vor, die Zusammenarbeit zwischen Schengen-Staaten beim Vollzug von Wegweisungen in Drittstaaten zu verbessern und die Organisation und Durchführung von gemeinsamen Sonderflügen zu vereinfachen. Die Zusammenarbeit hat unter Berücksichtigung der internationalen Verpflichtungen der Vertragsstaaten zu erfolgen, namentlich die entsprechenden Rückübernahmeabkommen.

Art. 29

Polizeiliche Durchbeförderung

Österreich und Liechtenstein haben ein grosses praktisches Interesse daran, insbesondere Personen, welche Rückführungsmassnahmen unterliegen, direkt durch das Hoheitsgebiet der Schweiz durchbefördern zu können. Dabei kann es sich um Auslieferungen, Ausschaffungen oder die Zuführung von Personen zu einer Strafvollzugsanstalt handeln. Dies ist insbesondere dem Umstand geschuldet, dass Liechtenstein über keinen eigenen Flughafen verfügt; auch für das österreichische Bundesland Vorarlberg ist die Beförderung einer solchen Person an den Flughafen Zürich schneller und einfacher, als eine Beförderung an einen internationalen Flughafen in Österreich. Die Vereinfachung solcher Durchbeförderungen ist aber auch im Interesse der Grenzkantone, müssen doch diese andernfalls jeweils die betreffen19

Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABI. L 348 vom 24.12.2008, S. 98.

775

den Personen an der Grenze zu Liechtenstein oder Österreich übernehmen bzw. die liechtensteinischen oder österreichischen Beamten bis an den Zielort eskortieren.

Absatz 1 sieht vor, dass Beamte der zuständigen Behörden in Gewahrsam befindliche Personen durch das Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates durchbefördern können. Dies kann auch eine Durchbeförderung von rückzuführenden Personen an einen Flughafen sein, der auf dem Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien liegt; gedacht ist hier aus der Perspektive der österreichischen oder der liechtensteinischen Behörden insbesondere der Flughafen Zürich. Über die Durchbeförderung ist die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaates rechtzeitig zu informieren, namentlich über die Durchbeförderungsstrecke, das gewählte Verkehrsmittel sowie die Personalien der zu befördernden Person. Sofern die Durchbeförderung einer Bewilligung der Justizbehörden bedarf, etwa im Falle einer Auslieferung, bleibt diese vorbehalten.

Absatz 2 statuiert, dass die Durchbeförderung auf dem kürzestmöglichen Weg und ohne unnötigen Zwischenhalt zu erfolgen hat. Falls die Durchbeförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel erfolgt, ist das Transportunternehmen vorgängig zu informieren.

Gemäss Absatz 3 dürfen die Beamten auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates keine über die Durchbeförderung hinausgehenden Amtshandlungen vornehmen, ausser diese sind im Zusammenhang mit der Beförderung erforderlich. Die Beamten haben dafür Sorge zu tragen, dass alle Sicherheitsmassnahmen getroffen werden, um das Entkommen der Beförderten oder die Gefährdung von Dritten oder Sachen sowie die Störung des Verkehrs zu verhindern. Zu diesem Zweck zulässig ist, falls erforderlich, die Anwendung von Zwangsmassnahmen, insbesondere das Anlegen von Handfesseln. Die Anwendung solcher Zwangsmassnahmen richtet sich nach dem Recht des Vertragsstaates, auf dessen Hoheitsgebiet die Durchbeförderung stattfindet. Somit unterliegen liechtensteinische oder österreichische Beamte, welche eine solche Durchbeförderung durchführen, den Bestimmungen des Zwangsanwendungsgesetztes vom 20. März 200820 und der Zwangsanwendungsverordnung vom 12. November 200821.

Absatz 4 schliesst den Transport von Personen aus, die transportunfähig sind oder nach den entsprechenden Bestimmungen der jeweiligen Transportunternehmen
nicht transportiert werden können.

Sollte eine durchzubefördernde Person entkommen, sind die begleitenden Beamten nach Absatz 5 verpflichtet, diese zu verfolgen und die örtlich zuständigen Sicherheitsbehörden unverzüglich über deren Flucht zu orientieren. Die Verfolgung ist dabei auf die unmittelbare Nähe der Beförderungsstrecke beschränkt und endet, wenn die örtlich zuständigen Beamten die Verfolgung übernommen haben und diese die Einstellung der Verfolgung verlangt haben.

Absatz 6 sieht vor, dass die durchbeförderte Person für den Durchgangsverkehr weder einen Sichtvermerk noch ein Reisedokument benötigt. Entsprechende Dokumente, welche die Person für die Ein- und Ausreise aus den Vertragsstaaten in Drittstaaten benötigt, sind mitzuführen.

20 21

776

SR 364 SR 364.3

Art. 30

Übergabe von Personen an der Staatsgrenze

Mit der Schengen-Assoziierung der Schweiz und Liechtensteins sind die Personenkontrollen an der Grenze zwischen den drei Vertragsstaaten weggefallen. Dies hat auch dazu geführt, dass auf österreichischer Seite die Polizeibeamten nicht mehr an der Grenze selbst stationiert sind. Für die Schweiz und Liechtenstein gilt insofern eine Sonderlösung, als die Zollkontrollen durch das GWK gegenüber Österreich weiterhin bestehen. Damit die Übergabe von Personen vorgenommen werden kann, müssen heute die übergebende sowie die Dienststelle, die eine Person übernimmt, jeweils eigens an die Grenze reisen. Mit der neuen Bestimmung in Artikel 30 könnte im Einzelfall, und nach vorgängiger Absprache mit der übernehmenden Stelle, die Übergabe einer Person in Grenznähe an dafür geeigneten Örtlichkeiten auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates erfolgen. Dies schliesst auch die Übergabe einer Person an einem Flughafen mit ein. Diese Bestimmung soll es erlauben, unnötigen Koordinationsaufwand und unnötige Anfahrwege zu vermeiden. Überdies wird dadurch die Sicherheit erhöht, da der Übergabeort über entsprechend gesicherte Einrichtungen verfügt. Die Sicherheitsbehörden informieren einander über die für diese Übergabe geeigneten Örtlichkeiten und Einrichtungen (Abs. 1).

Absatz 2 bestimmt, dass für den Transport solcher Personen ab Staatsgrenze die Bestimmungen des Artikels 29 Absätze 2­6 zu beachten sind. Dies gilt insbesondere für die allenfalls notwendige Ausübung von Zwangsmassnahmen.

Art. 31

Grenzüberschreitende Massnahmen im Eisenbahn- und Schiffsverkehr

Artikel 31 trägt den Anforderungen des Schengen-Besitzstands und den räumlichen Verhältnissen in der Grenzregion Rechnung. Die im Rahmen der Schengener Zusammenarbeit üblichen polizeilichen Ausgleichsmassnahmen bedingen, dass die Polizeibehörden der Vertragsstaaten in einem gemeinsamen Sicherheitsraum tätig sein und dabei auch die Grenze überschreiten können.

Absatz 1 ermöglicht es den Beamten eines Vertragsstaates, eine Amtshandlung, welche in einem Reisezug auf eigenem Territorium begonnen wurde, bis zum ersten fahrplanmässigen Halt auf dem Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien fortzusetzen. Ebenfalls sollen die Beamten der Sicherheitsbehörden bereits beim letzten Halt auf fremdem Hoheitsgebiet zusteigen können, um gegebenenfalls nach Abfahrt des Zuges von der letzten Einstiegsstation Massnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergreifen zu können (Abs. 2). Sollten die Beamten dabei eine Person bei der Begehung einer Straftat antreffen oder eine Person vorfinden, welche aus einer Untersuchungs- oder Strafhaft geflohen ist oder nach der international gefahndet wird, können sie diese bis zum Eintreffen der örtlich zuständigen Beamten festhalten. Dasselbe gilt, falls eine Person nach dem nationalen Recht des anderen Vertragsstaats auf dessen Hoheitsgebiet eine strafbare Handlung begeht oder zu begehen versucht. Die Beamten können die Person einer Sicherheitsdurchsuchung unterziehen und während der Beförderung Handschellen anlegen (Abs. 3). Absatz 4 sieht vor, dass diese Bestimmung auch im grenzüberschreitenden Schiffsverkehr gilt.

777

Art. 32

Gemeinsame Zentren

Die gemeinsamen Polizei- und Zollkooperationszentren (CCPD) an der Staatsgrenze sind ein ausgezeichnetes Instrument der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Aktuell hat die Schweiz mit Italien und Frankreich ein solches CCPD aufgebaut.

Artikel 32 schafft die Rechtsgrundlage dafür, auch mit Liechtenstein und Österreich ein solches Zentrum zu errichten. Es ist allerdings derzeit nicht geplant, ein solches Kooperationszentrum zu eröffnen, weil hierfür weder ein operationelles Bedürfnis noch ein weitergehendes Interesse der Grenzkantone besteht. Für die gegenwärtige Zusammenarbeit reicht das bestehende Verbindungsbüro in Schaanwald vollauf aus.

Nach Absatz 1 können in den Grenzgebieten gemeinsame Zentren für den Informationsaustausch und die Unterstützung der dort zuständigen Polizeibehörden der drei Vertragsstaaten eingerichtet werden. Die Einrichtung solcher Zentren kann unbefristet oder auf eine bestimmte Dauer ausgerichtet sein. Zu denken ist im letzteren Fall etwa an die Einrichtung von Lagezentren bei Grossereignissen.

Die eingesetzten Beamten sollen nach Absatz 2 räumlich unmittelbar zusammenarbeiten, um in Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden fallen, Informationen auszutauschen, zu analysieren und weiterzuleiten sowie bei der Koordinierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit unterstützend mitzuwirken. Sie können zudem nach Absatz 3 die Überstellung von Ausländerinnen und Ausländern vorbereiten und daran mitwirken. Die Beamten der gemeinsamen Zentren können nach Absatz 4 nicht selbstständig operative Aufgaben wahrnehmen. Sie können jedoch von den zuständigen Sicherheitsbehörden mit der Vorbereitung und Koordination gemeinsamer operativer Einsätze im Grenzgebiet beauftragt werden.

Die Beamten unterstehen der Weisungs- und Disziplinargewalt der jeweiligen nationalen zuständigen Sicherheitsbehörden.

In Absatz 6 wird festgelegt, dass Anzahl und Sitz der gemeinsamen Zentren sowie die Modalitäten der Zusammenarbeit und die gleichmässige Verteilung der Kosten in einer gesonderten Vereinbarung geregelt werden müssen. Dies entspricht der heutigen Praxis der Schweiz in der Zusammenarbeit mit Italien und Frankreich.

Absatz 7 sieht zudem die Möglichkeit vor, dass sich Polizeibeamte an gemeinsamen Zentren, die ein Vertragsstaat mit einem Drittstaat betreibt, beteiligen
können, soweit der Drittstaat einer solchen Beteiligung zustimmt. Die Modalitäten der Zusammenarbeit und Kostenverteilung sind in separaten Vereinbarungen zwischen allen beteiligten Staaten zu regeln. Absatz 8 soll es ermöglichen, dass auch Staaten, die nicht Vertragspartei des vorliegenden Vertrags sind, Beamte in das gemeinsame Zentrum entsenden können.

An die völkerrechtliche Vereinbarung nach Art. 32 knüpfen die nationalen Regelungen zum Betrieb des schweizerischen Teils an einem Kooperationszentrum an. Diese Regelungen sollen mit dem neuen Artikel 6a des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 199422 über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes auf Gesetzesstufe verankert werden (vgl. Ziff. 2.2).

22

778

SR 360

Art. 34

Uniformen und Dienstwaffen

Gemäss Absatz 1 sind Beamte, die auf dem Gebiet eines anderen Vertragsstaates tätig sind, grundsätzlich befugt, Uniform zu tragen und ihre Dienstwaffen sowie sonstige Zwangsmittel mitzuführen. Absatz 3 beschränkt den Gebrauch von Schusswaffen auf die Fälle von Notwehr und Nothilfe. Ausgenommen sind die Fälle nach Artikel 19 und 20: Bei gemeinsamen Einsatzformen, bei denen Beamte mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet werden, sowie in Fällen, in denen Beamte zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben entsendet werden, soll der Gebrauch von Schusswaffen auch dann erfolgen können, wenn dies die vorgesetzte Stelle ausnahmsweise anordnet. Artikel 34 regelt ausdrücklich, dass bei Ehrungen, Präsentationen oder ähnlichen offiziellen Anlässen auf dem Territorium des anderen Vertragsstaates die Uniform getragen werden kann, wenn dies der andere Vertragsstaat erlaubt (Abs. 2).

Art. 35

Einsatz von Fahrzeugen

Artikel 35 regelt neu auch die Nutzung aller Dienstfahrzeuge, die auf der Basis und im Rahmen der im Vertrag vorgesehenen Einsatzformen eingesetzt werden.

Absatz 1 verpflichtet die Beamten, welche ihr Dienstfahrzeug in einem anderen Vertragsstaat dienstlich einsetzen, die verkehrsrechtlichen Bestimmungen des Einsatzstaates zu beachten. Die Beamten dürfen Sonder- und Wegerechte in Anspruch nehmen, soweit dies auch den örtlich zuständigen Beamten erlaubt ist. Die gleichlautenden Bestimmungen des bestehenden Vertrags von 1999 werden somit auf alle Einsatzformen ausgeweitet. Analog zu Artikel 34 wird neu aufgenommen, dass bei Ehrungen, Präsentationen oder ähnlichen offiziellen Anlässen auf dem Territorium des anderen Vertragsstaates eigene Fahrzeuge mitgeführt werden können (Abs. 2). Die von Beamten bei ihrem Einsatz auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates benutzten Dienstfahrzeuge sind von Strassen- und Autobahngebühren befreit (Abs. 6).

Art. 37

Haftung

Artikel 37 regelt die Haftungsfragen bei Einsätzen auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates. Werden Dritte geschädigt, so haftet der Staat, auf dessen Hoheitsgebiet der Schaden eingetreten ist. Massgebend für Umfang und Bestehen eines solchen Anspruches ist das anwendbare nationale Recht, welches zur Anwendung käme, wenn der Schaden durch einen eigenen, sachlich wie örtlich zuständigen Beamten verursacht worden wäre (Abs. 1).

Absatz 2 bestimmt den Regressanspruch des Schadenersatz leistenden Staates gegenüber einem anderen Vertragsstaat. Ein Regress ist ausgeschlossen, wenn der Einsatz auf Ersuchen des Schadenersatz leistenden Vertragsstaats stattgefunden hat.

Ebenfalls nicht möglich ist ein Regress, wenn der Beamte den Schaden vorsätzlich oder grobfahrlässig verursacht hat. Bei Schäden zulasten der Vertragsstaaten wird darauf verzichtet, den erlittenen Schaden geltend zu machen, es sei denn, dass der Beamte den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat.

Absatz 3 dieses Artikels wurde aufgenommen aufgrund der Erfahrungen mit der Entsendung von deutschen Polizeibeamten während der Fussball-Europameisterschaft EURO 2008 in der Schweiz und in Österreich. Derjenige Einsatzstaat, der durch Beamte des anderen Vertragsstaates unterstützt wird, soll auch für Schäden an Fahrzeugen oder Ausrüstungsgegenständen dieser Beamten haften, welche von 779

Dritten (Fans, Demonstrantinnen und Demonstranten) vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht worden sind. Damit wird sichergestellt, dass der unterstützende Staat nicht durch seine Unterstützungsleistung finanziell benachteiligt wird.

Art. 40

Halterausforschungen und Lenkerermittlungen

Artikel 40 Absatz 2 sieht vor, dass die zuständigen Behörden eines Vertragsstaates ­ in der Schweiz die Kantons- und Stadtpolizeien ­ auf Ersuchen der zuständigen Behörden eines anderen Vertragsstaats einen einer Zuwiderhandlung gegen Strassenverkehrsvorschriften verdächtigen Lenker zur Abklärung des Sachverhaltes befragen und die Erkenntnisse an die ersuchende Behörde übermitteln können. Auch der schweizerisch-deutsche Polizeivertrag regelt bereits in Artikel 35 Absatz 9, dass die zuständige Stelle des ersuchenden Vertragsstaates direkt an die zuständige Stelle des anderen Vertragsstaates gelangen kann, sollte sie weitere Informationen zwecks Ahndung von Widerhandlungen gegen Strassenverkehrsvorschriften benötigen (Nachermittlung). Die Ermittlung der Fahrzeughalterin oder des Fahrzeughalters soll gemäss Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe c im automatisierten Verfahren erfolgen.

Art. 41

Übersendung und Inhalt von amtlichen Schriftstücken

Artikel 41 Absatz 1 ermöglicht eine Direktzustellung von Schriftstücken, wenn es um Widerhandlungen gegen Strassenverkehrsvorschriften geht. Artikel 41 Absatz 2 legt die Mindestangaben fest, die in Unterlagen enthalten sein müssen, die einer (natürlichen oder juristischen) Person zugestellt werden. Unterlagen, die Personen im anderen Vertragsstaat im Zusammenhang mit einer Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften zugestellt werden, müssen alle Informationen enthalten, die die Empfängerin oder der Empfänger für eine Antwort benötigt. Insbesondere müssen Art, Ort und Zeitpunkt der Zuwiderhandlung sowie Elemente zur Identifizierung des Fahrzeugs angegeben werden. Dies ist Voraussetzung zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs. Die Höhe der drohenden oder verhängten Busse und die Rechtsmittelbelehrung gehören ebenfalls zum zwingenden Inhalt des Dokuments sowie die Mitteilung der Fristen, welche für diese Rechtsmittel gelten.

Artikel 41 Absatz 3 regelt die Umstände, die dazu führen, dass eine Zustellung durch Vermittlung der zuständigen Behörde erfolgt. Dieser Absatz entspricht Artikel 5 Absatz 2 des EU-Rechshilfeübereinkommens, welcher Teil des SchengenBesitzstands ist.

Art. 42

Voraussetzungen des Vollstreckungshilfeersuchens

Artikel 42 räumt die Möglichkeit ein, zur Einforderung einer Busse die Übertretung dem Vertragsstaat anzuzeigen, und legt die Voraussetzungen dafür fest. Wenn ein Strafentscheid wegen eines Strassenverkehrsdelikts rechtskräftig, die Aufforderung zur Bezahlung der verhängten Busse jedoch erfolglos geblieben ist, kann der Vertragsstaat, in dem die betroffene Person ihren Wohnsitz oder Aufenthalt hat, um Vollstreckungshilfe ersucht werden. Damit soll sichergestellt werden, dass Personen, die sich eines Verkehrsdelikts schuldig gemacht haben, sich nicht wegen ihres Wohnsitzes im anderen Vertragsstaat einer Bestrafung entziehen können. Aus Gründen der Verhältnismässigkeit ist eine untere Limite des Bussgeldbetrags fixiert worden: Der Vertrag sieht vor, dass Bussen unter 70 Euro oder 100 Schweizerfranken im anderen Staat nicht vollstreckt werden. Jedoch kann dieser Betrag auch durch 780

das Zusammenrechnen mehrerer Geldstrafen, die gegen dieselbe Person verhängt wurden, erreicht werden (Abs. 1).

Sobald ein Ersuchen gestellt worden ist, verzichtet der ersuchende Staat solange auf eigene Vollstreckungsmassnahmen, bis der ersuchte Staat das Ersuchen ablehnt oder mitteilt, dass ihm die Vollstreckung nicht möglich sei (Abs. 2). Die Übermittlung von Vollstreckungsersuchen ist an keine besondere Form gebunden. Zulässig ist jedes geeignete Nachrichtenmittel, das eine schriftliche Aufzeichnung hinterlässt.

Dem Ersuchen muss die Kopie des von der zuständigen Behörde getroffenen Bussentscheides beiliegen; es muss bestätigt werden, dass der Entscheid nach dem Recht des ersuchenden Staates vollstreckbar und nicht verjährt ist sowie, dass das Ersuchen sich auf die Vollstreckung einer Geldbusse beschränkt (Abs. 3). Das vereinbarte Vollstreckungshilfeverfahren wird nicht angewendet, wenn die verhängte Geldbusse entweder mit einer Freiheitsstrafe kombiniert ist oder die zugrunde liegende Strassenverkehrszuwiderhandlung mit Straftaten aus anderen Rechtsbereichen zusammentrifft. Damit wird die Einheitlichkeit des Vollstreckungsverfahrens gewahrt, und Kompetenzüberschneidungen werden vermieden (Abs. 4).

Art. 43

Ablehnungsgründe, Mitteilungspflicht, Umfang und Beendigung der Vollstreckung

Artikel 43 nennt in abschliessender Aufzählung die Gründe für die Ablehnung eines Vollstreckungshilfeersuchens. Ein Ersuchen, das den Anforderungen genügt, kann also nicht abgelehnt werden, es sei denn, der ersuchte Vertragsstaat ist der Ansicht, dass die Vollstreckung gegen den Grundsatz «ne bis in idem» (Verbot der Doppelbestrafung) verstossen würde, dass die dem Ersuchen zugrunde liegende Zuwiderhandlung nach seinem Recht nicht als solche bestraft werden kann oder dass die Vollstreckungsverjährung nach seinem Recht bereits eingetreten ist. Eine Busse kann ferner nicht vollstreckt werden, wenn das Recht des Vollstreckungsstaates eine Immunität vorsieht, welche die Vollstreckung unmöglich macht. Mit diesen Verweigerungsmöglichkeiten wird verhindert, dass ein Vertragsstaat zu einer Rechtshandlung verpflichtet wird, die seiner eigenen Rechtsordnung nicht entspricht.

Art. 44

Unmittelbarkeit der Vollstreckung, Umrechnung, Zwangsmittel

Artikel 44 legt insbesondere fest, dass sich die Vollstreckung auf das im eigenen Recht angedrohte Höchstmass für eine Zuwiderhandlung derselben Art beschränkt.

Dies, um der Rechtsordnung des vollstreckenden Staates Rechnung zu tragen. Da der ersuchte Vertragsstaat die Entscheide wie seine eigenen vollstreckt und den Vollstreckungserlös selbst behält, liegt es auf der Hand, dass dies in dessen Landeswährung geschieht.

Art. 45

Ertrag der Vollstreckung und Kosten

Artikel 45 statuiert, dass weder Aufwand noch Ertrag der Vollstreckung mit dem ersuchenden Vertragsstaat abgerechnet werden. Diese Regelung ist Ausdruck der beabsichtigten administrativen Vereinfachung. Indem der Erlös aus der Vollstreckung dem ersuchten Vertragsstaat zufliesst, schafft die Bestimmung gleichzeitig einen Anreiz, die Vollstreckung tatsächlich vorzunehmen.

781

Art. 46

Zuständige Stellen

Die Vertragsstaaten werden bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden diejenigen Behörden bestimmen, welche für die Umsetzung des Kapitels VI zuständig sind.

Diese Benennung kann jederzeit auf diplomatischem Wege abgeändert werden. Die zuständigen Behörden in der Schweiz sind: ­

das Bundesamt für Strassen (ASTRA) für die technische Umsetzung des anvisierten Austauschs von Fahrzeug- und Halterdaten;

­

die für die Durchsetzung rechtskräftiger Bussen zuständigen Behörden; dabei handelt es sich analog der diesbezüglichen Zusammenarbeit mit Frankreich um die Staatsanwaltschaften bzw. in einigen Kantonen um die Kantonspolizeien;

­

die Kantons- und Stadtpolizeien für alle übrigen Umsetzungsmassnahmen gemäss diesem Kapitel.

Art. 47

Durchführungsvereinbarung

Die verwaltungsmässige und technische Durchführung der Zusammenarbeit im Bereich Verstösse gegen Strassenverkehrsregeln wird in einer gesonderten, durch die drei Vertragsstaaten abzuschliessenden Vereinbarung geregelt. Dem ASTRA soll vom Bundesrat nach Artikel 48a Absatz 1 zweiter Satz in Verbindung mit Artikel 7a Absatz 2 Buchstabe d RVOG die Kompetenz übertragen werden, mit den Vertragsparteien Durchführungsvereinbarungen abschliessen zu können. Dieses Vorgehen wurde bereits beim schweizerisch-französischen Polizeivertrag gewählt.

Art. 52

Protokollierung

Alle drei Vertragsstaaten nehmen an der Schengener Zusammenarbeit teil und müssen somit datenschutzrechtliche Mindestanforderungen erfüllen. Im Bereich des Datenschutzes ist derzeit der Rahmenbeschluss 2008/977/JI23, massgebend. Dieser Rahmenbeschluss ist von den drei Staaten in das nationale Recht übernommen worden. Der vorliegende Polizeivertrag verzichtet somit auf ein umfassendes Datenschutzkapitel, richtet sich die Verarbeitung von personenbezogenen Daten doch nach den im Empfängerstaat massgeblichen Vorschriften (Art. 48 Abs. 1). In den Polizeivertrag wurden ­ wie bereits 1999 ­ nur diejenigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen aufgenommen, welcher für die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der drei Staaten einer speziellen Konkretisierung bedürfen. Dies sind namentlich die Zweckbindung, die Protokollierung und die Datenbearbeitung auf fremdem Hoheitsgebiet.

Die Datenschutzbestimmungen des vorliegenden Vertrags (Art. 48­54) entsprechen inhaltlich somit denjenigen des geltenden Vertrags von 1999. Neu ist einzig die Protokollierung des Abruf-Anlasses durch den abrufenden Staat im Bereich des Verfahrens zur Zusammenarbeit bei Widerhandlungen gegen Strassenverkehrsvorschriften (Art. 52 Abs. 2).

23

782

Rahmenbeschluss 2008/977/JI des Rates über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verbreitet werden, ABl. L 350 vom 30.12.2008, S. 60.

Art. 57

Durchführung der Zusammenarbeit

Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen Artikel 35 des geltenden Vertrags.

Allerdings wurde mit Österreich vereinbart, dass gestützt auf diesen Artikel untergeordnete Vereinbarungen und technische Einzelheiten zur administrativen Durchführung des Vertrags unter den zuständigen Behörden abgeschlossen werden können.

Solche Vereinbarungen sollen den Vertrag ergänzen oder konkretisieren. Dabei handelt es sich um völkerrechtliche Verträge von beschränkter Tragweite gemäss Artikel 7a Absatz 2 Buchstabe b RVOG (Verträge, die dem Vollzug von Verträgen dienen, die ihrerseits von der Bundesversammlung genehmigt worden sind) oder Artikel 7a Absatz 2 Buchstabe d RVOG (Verträge, die sich in erster Linie an Behörden richten und administrativ-technische Fragen regeln). Diese völkerrechtlichen Verträge kann der Bundesrat in eigener Kompetenz abschliessen und die Befugnis zum Vertragsabschluss auch an ein Bundesamt delegieren. Konkret ist vorgesehen, das Bundesamt für Polizei und das ASTRA mit dem Abschluss der notwendigen Durchführungsvereinbarungen zu betrauen. Im Vordergrund stehen dabei Vollzugsabkommen zu den Artikeln 13 und 47 (Zusammenarbeit bei Strassenverkehrsverstössen), sowie beim Zeugenschutz (Art. 18). Dem Bundesrat wird ferner im Genehmigungsbeschluss die Kompetenz eingeräumt, eine oder mehrere Vereinbarungen zur Errichtung gemeinsamer Zentren (Art. 32) abzuschliessen (Art. 7a Abs. 1 RVOG). Die Vertragsstaaten können im Weiteren die praktische, operationelle Zusammenarbeit in Handbüchern festhalten (Abs. 2).

Art. 58

Kosten

Grundsätzlich trägt jeder Vertragsstaat die Kosten, die aufgrund der Tätigkeiten nach diesem Vertrag anfallen, selbst. Ausnahmen davon gelten nur, soweit sie im Vertrag selbst vorgesehen sind. Hierzu zählen insbesondere die Entsendung von Beamten im Rahmen von Grossereignissen und die Zusammenarbeit im Bereich des Zeugenschutzes. Allfällige anderweitige Absprachen bleiben im Einzelfall vorbehalten.

Art. 61

Inkrafttreten und Kündigung

Artikel 61 sieht vor, dass der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen wird (Abs. 3). Er ersetzt den geltenden Vertrag mit Österreich und Liechtenstein vom 27. April 1999, der somit aufgehoben wird (Abs. 2). Die Vertragsstaaten hinterlegen nach Abschluss ihrer verfassungsrechtlichen Verfahren für das Inkrafttreten des revidierten Vertrags ihre Ratifikationsurkunden bei der österreichischen Regierung, welche als Depositar für diesen Vertrag fungiert. Der Vertrag tritt am ersten Tag des zweiten Monats in Kraft, der auf den Monat folgt, in dem die letzte Ratifikationsurkunde beim Depositar hinterlegt wurde (Abs. 1). Der revidierte Vertrag kann von jedem Vertragsstaat durch Notifikation an den Depositar jederzeit gekündigt werden und tritt sechs Monate danach ausser Kraft (Abs. 3). Die bei internationalen Verträgen von gewisser Tragweite übliche Registrierung beim Generalsekretariat der Vereinten Nationen wird von Österreich übernommen (Abs. 4).

783

2.2

Bundesbeschluss

Art. 3: Änderung des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 199424 über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes (ZentG) Titel Bundesgesetz über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes und gemeinsame Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit mit anderen Staaten Das ZentG enthält neu nicht nur Bestimmungen zu Zentralstellen des Bundes, sondern auch zu den gemeinsam mit anderen Staaten geführten Zentren, was eine Anpassung des Titels notwendig macht.

Art. 1

Zentralstellen

Die Sachüberschrift muss angepasst werden, da die bisherige Sachüberschrift («Grundsatz») nicht mehr zutreffend ist: Das Gesetz enthält mit dieser Revision nun auch Bestimmungen über gemeinsame Zentren, weshalb Artikel 1, der sich ausschliesslich mit den Zentralstellen beschäftigt, nicht mehr als «Grundsatz»-Artikel bezeichnet werden kann.

Ingress Der Bund übernimmt in den gemeinsamen Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit, die in der Nähe der gemeinsamen Grenze auf dem Hoheitsgebiet einer der Vertragsstaaten liegen, gegenüber den Kantonen eine Leitungs- und Koordinationsaufgabe. Die hierzu notwendige Verfassungsgrundlage ergibt sich aus Artikel 57 Absatz 2 BV (Koordination im Bereich der inneren Sicherheit), der entsprechend neu in den Ingress aufgenommen wird. Aus dieser Verfassungsnorm kann der Bund Rechtsetzungskompetenzen ableiten, wenn Sicherheitsbelange zu regeln sind, die mindestens teilweise in die Zuständigkeit des Bundes fallen und die aus dessen Sicht eine Koordination unter Einbezug oder Leitung des Bundes erfordern. Die Zuständigkeit des Bundes darf dabei nicht bloss marginale Bedeutung haben.25 Art. 6a Gemäss Artikel 32 des revidierten Polizeivertrags können die Schweiz, Liechtenstein und Österreich zusammen ein gemeinsames Polizei- und Zollkooperationszentrum (CCPD) errichten. Wie in den Erläuterungen zu Artikel 32 erwähnt, ist die Eröffnung eines solchen Kooperationszentrums zwischen den drei Staaten derzeit nicht geplant.

24 25

784

SR 360 Bericht des Bundesrates vom 2. März 2012 in Erfüllung des Postulats Malama 10.3045 vom 3. März 2010 Innere Sicherheit. Klärung der Kompetenzen, BBl 2012 4486.

Zwischen der Schweiz und Frankreich sowie zwischen der Schweiz und Italien sind gestützt auf die mit diesen Staaten abgeschlossenen Staatsverträge26 und die entsprechenden Zusatzprotokolle27 solche Kooperationszentren hingegen realisiert worden (CCPD Genf und CCPD Chiasso).

Mit dem neuen Artikel 6a soll dem Bund generell die Kompetenz zugewiesen werden, solche gemeinsamen Zentren zu errichten. Zudem soll die Zuständigkeit des Bundes für die Führung und Koordination des schweizerischen Teils dieser Zentren auf Gesetzesstufe verankert werden. In Absatz 2 der neuen Bestimmung wird vorgesehen, dass der Bundesrat mit den Kantonen die gemeinsame Organisation, die Aufgabenwahrnehmung und die Einzelheiten der Finanzierung des schweizerischen Anteils der zwischenstaatlichen Zentren vereinbaren kann. Inhalt solcher Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Kantonen sind vor allem: institutionelle Aspekte (interne Organisation des schweizerischen Teils des Zentrums), die von den Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und der Kantone wahrzunehmenden Verantwortlichkeiten und Aufgaben, Finanzierung, personalrechtliche Aspekte sowie Aspekte des Beschaffungsrechts.

3

Auswirkungen

Der Vertrag kann mit den bestehenden personellen und finanziellen Ressourcen umgesetzt werden. Der Ressourcenbedarf hängt jedoch wesentlich von der Nutzung der neuen Zusammenarbeitsmöglichkeiten ab. Gewisse Massnahmen können im Einzelfall und nach vorgängiger Absprache zwischen den jeweiligen Parteien zu Kosten führen, namentlich bei der Übernahme von Personen im Rahmen des Zeugenschutzes oder bei der Entsendung grösserer Kontingente von Polizeibeamten.

Die Einrichtung eines gemeinsamen Zentrums ist derzeit nicht geplant (vgl. Art. 32).

Sollte jedoch dereinst die Errichtung eines solchen Kompetenzzentrums beschlossen werden, würde dies den Abschluss eines vom Bundesrat zu genehmigenden Zusatzprotokolls unter Einbezug der nationalen Partner voraussetzen. Die Kostenregelung wäre Gegenstand dieses Zusatzprotokolls.

Hinsichtlich der Umsetzung der Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Widerhandlungen im Strassenverkehr sind personelle und finanzielle Kosten zu erwarten: Da Liechtenstein ebenfalls auf dem vom ASTRA betriebenen zentralen Fahrzeug- und Fahrzeughalterregister (MOFIS) der Schweiz arbeitet, muss die Schweiz (das ASTRA) im Bereich des Datenaustausches auch die Arbeiten für Liechtenstein übernehmen. Umgekehrt führt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in diesem Bereich dazu, dass Verstösse von österreichischen und liechtensteinischen Motorfahrzeugführern auf Schweizer Strassen mit Bussen geahndet werden können, was zu Mehreinnahmen bei den Kantonen führt.

26

27

Frankreich: vgl. Fussnote zu Ziff. 1.2 (Art. 20 des Abkommens); Italien: Abkommen vom 10. September 1998 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zollbehörden, SR 0.360.454.1 (Art. 13 des Abkommens).

Frankreich: Zusatzprotokoll vom 28. Januar 2002 zum Abkommen vom 11. Mai 1998 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Französischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Justiz-, Polizei- und Zollsachen, SR 0.360.349.11; Italien: Protokoll vom 17. September 2002 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über die Errichtung gemeinsamer Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit, SR 0.360.454.11.

785

Konkret belaufen sich die Entwicklungskosten für die Einrichtung eines automatisierten Systems zur Übertragung von Daten, die der Verfolgung von Widerhandlungen gegen Strassenverkehrsvorschriften dienen (Art. 39 ff.) auf 300 000 bis 400 000 Schweizerfranken. Die jährlichen Informatik-Betriebskosten betragen zwischen 100 000 und 150 000 Schweizerfranken. Diese Kosten bestreitet das ASTRA mit Mitteln aus seinem Budget. Das ASTRA ist auch verantwortlich für den operativen Betrieb und die Aufrechterhaltung des Datenaustausches sowohl für die Schweiz wie für Liechtenstein. Diese Arbeit führt zu grösserem Personalaufwand beim ASTRA. Dieser kann jedoch mit den bestehenden Ressourcen erbracht werden.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 25. Januar 201228 zur Legislaturplanung 2011­ 2015 angekündigt.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Verfassungsgrundlage für den vorliegenden völkerrechtlichen Vertrag ist Artikel 54 Absatz 1 der BV, der die Zuständigkeit für die auswärtigen Angelegenheiten dem Bund zuweist. Nach Artikel 184 Absatz 2 BV unterzeichnet und ratifiziert der Bundesrat völkerrechtliche Verträge und unterbreitet diese der Bundesversammlung zur Genehmigung. Nach Artikel 166 Absatz 2 BV ist die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge Sache der Bundesversammlung, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200229 (ParlG); Art. 7a Abs. 1 RVOG). Eine selbständige Vertragsabschlusskompetenz des Bundesrates basierend auf einer spezifischen gesetzlichen oder völkerrechtlichen Grundlage ist vorliegend nicht gegeben, und es handelt sich auch nicht um einen Staatsvertrag von beschränkter Tragweite gemäss Artikel 7a Absatz 2 RVOG. Der Vertrag ist somit dem Parlament zur Genehmigung zu unterbreiten.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativem Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2), wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3). Beim Vertrag mit der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein sind die ersten zwei Voraussetzungen nicht gegeben: Nach Artikel 61 Absatz 3 ist der Vertrag jederzeit kündbar, und er sieht auch nicht den Beitritt zu einer internationalen Organisation vor.

Es bleibt zu prüfen, ob der Vertrag wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthält oder ob seine Umsetzung den Erlass eines Bundesgesetzes erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten 28 29

786

BBl 2012 481, hier 614 SR 171.10

auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen.

Der vorliegende Vertrag enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen; die Vereinbarung zur grenzüberschreitenden Polizeiarbeit auferlegt den Vertragsparteien wichtige Pflichten und räumt ihnen überdies auf fremdem Staatsgebiet Rechte ein.

Einige Vertragsbestimmungen haben auch direkte Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten von Einzelpersonen. All diese Normen müssen als wichtig angesehen werden, da sie nach Artikel 164 Absatz 1 BV nur in der Form eines Bundesgesetzes statuiert werden könnten, wenn sie auf nationaler Ebene erlassen werden müssten.

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags zwischen der Schweiz, Österreich und Liechtenstein über die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit wird daher dem fakultativen Referendum für völkerrechtliche Verträge gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstellt.

5.2

Änderung des Bundesgesetzes über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes

Zusammen mit der Genehmigung des trilateralen Vertrags soll in Anwendung von Artikel 141a Absatz 2 BV auch die der Umsetzung des Vertrags dienende Änderung des ZentG beschlossen werden. In den gemeinsamen Zentren, für deren Errichtung der neue Artikel 6a die Rechtsgrundlage schafft, nimmt der Bund unter anderem auch eine Leitungs- und Koordinationsaufgabe gegenüber den Kantonen wahr. Die hierzu notwendige Verfassungsgrundlage ergibt sich nebst den im Ingress des ZentG aufgeführten Verfassungsnormen auch aus Artikel 57 Absatz 2 BV (Koordination im Bereich der inneren Sicherheit). Entsprechend wird der Ingress des ZentG mit dieser Verfassungsnorm ergänzt. Bei dieser Gelegenheit wird auch der fälschlicherweise im Ingress des ZentG aufgeführte Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe b BV durch Artikel Artikel 173 Absatz 2 BV ersetzt.

5.3

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Der Vertrag steht mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz im Einklang.

Namentlich entspricht er den Vorgaben des Schengen-Besitzstands, etwa im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit oder des Datenschutzes: Die Schengen-Staaten sind gemäss SDÜ explizit berechtigt, zusätzliche bilaterale Regelungen zur Umsetzung der Schengener Polizeizusammenarbeit zu treffen. Im Vordergrund steht die Erarbeitung massgeschneiderter Lösungen zur Durchführung grenzüberschreitender Massnahmen wie Observation, Nacheile und kontrollierte Lieferung. Die im vorliegenden Vertrag figurierenden Bestimmungen zur Observation, Nacheile und kontrollierten Lieferung gehen weiter als die Bestimmungen des SDÜ bzw. konkretisieren diese. Überdies sind die Schengen-Staaten befugt, Kooperationsmassnahmen, die von den Bestimmungen des Schengen-Besitzstandes nicht erfasst werden, etwa im Bereich des Zeugen- und Opferschutzes, bei verdeckten Ermittlungen oder gemeinsamen Einsatzformen, durch bilaterale Kooperationsabkommen zu regeln.

Internationale Verpflichtungen der Vertragsparteien bleiben vom Vertrag explizit 787

unberührt. Allfällige zukünftige, dem Vertrag widersprechende Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes gehen dem vorliegenden Polizeivertrag vor (Art. 3).

In den Verhandlungen wurde auch die Möglichkeit einer künftigen Assoziierung der Schweiz an die Prümer Zusammenarbeit der EU berücksichtigt. Im revidierten Vertrag figurieren nur diejenigen Bestimmungen aus dem Prümer Vertrag von 2005, die nicht in den EU-Rechtsrahmen (Beschluss 2008/615/JI30[sogenannte Prümer Beschlüsse]) überführt worden sind (z. B. Flugsicherheitsbegleiter, Dokumentenberater, Unterstützung bei Rückführungen, Massnahmen bei unmittelbarer Gefahr).

Um allfällige Doppelspurigkeiten zu vermeiden, wurden die zentralen Bestandteile der Prümer Beschlüsse, etwa der automatisierte Austausch und Abgleich von DNAProfilen und Fingerabdrücken, folglich nicht in den Polizeivertrag aufgenommen. Im Bereich des automatisierten Fahrzeug- und Halterdatenaustauschs soll zudem kein Online-Verfahren, wie dies die Prümer Zusammenarbeit vorsieht, eingerichtet werden, sondern jenes, das die Schweiz mit Deutschland und Frankreich umgesetzt hat.

30

788

Beschluss 2008/615/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, ABl. L 210 vom 6.8.2008, S. 1.