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Bundesratsbeschluss betreffend

die Allgemeinverbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrages für die schweizerische Kartonagenindustrie.

(Vom 29. Juni 1945.)

Der schweizerische Bundesrat, nach Prüfung des Antrages des Verbandes Schweizerischer Cartonnage-Fabrikanten, des Schweizerischen Buchbinder- und Kartonagerverbandes, des Schweizerischen Textil- und Fabrikarbeiterverbandes, des Christlichen Verbandes der Buchbinder-, Papier- und Cartonnagearbeiter und des graphischen Hilfspersonals der Schweiz, des Schweizerischen Verbandes evangelischer Arbeiter und Angestellter und des Landesverbandes freier Schweizer Arbeiter auf Allgemeinverbindlicherklärung verschiedener Bestimmungen des am 8. September 1944 abgeschlossenen Gesamtarbeitsvertrages für die schweizerische Kartonagenindustrie, gestützt auf Art. 8, Abs. 2, des Bundesbeschlusses vom 28. Juni 1948 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen, beschliesst:

Art. 1.

Von dem Gesamtarbeitsvertrag vom 8. September 1944 für die schweizerische Kartonagenindustrie werden folgende Bestimmungen allgemeinverbindlich erklärt: Ziff. 2.

Begriff des 1 Als Facharbeiter im Sinne dieses Vertrages gilt der Arbeitnehmer, Fach- und der die Lehrabschlussprüfung als Kartonager gemäss dem Reglement Hilfsarbeiters. des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements vom 27. Oktober 1943 oder als Buchbinder gemäss dem Reglement des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements vom 25. September 1937 abgelegt hat. Ausserdem gelten als Facharbeiter alle jene Arbeitnehmer, die sich über eine längere Tätigkeit als Kartonagenzuschneider oder Mustermacher durch Zeugnisse ausweisen können, auch wenn sie die Prüfung gemäss Reglement des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements noch nicht abgelegt haben. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen der Ziffer 3.

811 2 Das Einrichten und Bedienen ausschliesslich einer Maschine durch spezialisierte Hilfsarbeiter gilt nicht als Facharbeit.

3 Als Hilfsarbeiter im Sinne dieses Vertrages gelten die Arbeitnehmer beiderlei Geschlechts, die weder eine Lehrabschlussprüfung bestanden haben noch Zeugnisse als Zuschneider oder Musterrnacher vorweisen können.

Ziff. 3.

1 Facharbeiten sind grundsätzlich von Facharbeitern ausführen zu Abgrenzung lassen. Ausnahmen, wie z.B. bei Militärdienst, Krankheit, Ferien und dos Tätigkeitsdergleichen, sind vorübergehend gestattet.

Facharbeiter 2 Als Facharbeiten selten insbesondere das Einrichten der Maschinen unli1^b,e.r" und das Herstellen von Mustern.

^m^gonTM" 3 Als Hilfsarbeiten gelten insbesondere die Transportarbeiten innerhalb des Betriebes, das Verarbeiten am Tisch, die blossen Einlegearbeiten an den Maschinen.

4 Bisherige Hilfsarbeiter, die Facharbeiten ausführten, haben sich bis spätestens Ende 1946 einer Prüfung zu unterziehen, deren Bestehen ihnen das Anrecht auf Behandlung als Facharbeiter gibt.

5 Junge ungelernte Arbeiter haben die Möglichkeit, bis Ende 1948 die gleiche Prüfung zu bestehen.

6 Ab 1. Januar 1949 dürfen Facharbeiten nur noch von anerkannten Facharbeitern ausgeführt werden. Vorbehalten bleibt die Bestimmung unter Abs. l betreffend Ausnahmen.

Ziff. 4.

Das Personal kann durch mündliche oder schriftliche Vereinbarung angestellt werden.

2 Die ersten 14 Tage einer Anstellung in einem Betrieb gelten als Probezeit. Ein allfälliger Arbeitsunterbruch zufolge Krankheit, Militärdienst usw. unterbricht auch die Probezeit.

3 Während der Probezeit kann die Entlassung bzw. der Austritt ohne Kündigung auf Ende eines Arbeitstages stattfinden.

1

Ziff. 5.

Nach Ablauf der Probezeit kann das AnsteUungsverhältnis nur mit schriftlicher Kündigung aufgelöst werden. Die Kündigungsfrist beträgt 14 Tage. Die Kündigung darf nur am Wochenende, am letzten Arbeitstag der Woche oder am Zahltag ausgesprochen werden. Sie muss dem Empfänger vor Arbeitsschluss des betreffenden Tages zugestellt werden.

Vorbehalten bleiben die Bestimmungen der Ziffer 6.

Ziff. 6.

Die Aushilfsanstellung ist schriftlich als solche zu vereinbaren.

2 Die Kündigung der Aushilfsanstellung hat schriftlich unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Tagen zu erfolgen. Überschreitet die Anstellung die Dauer von vier Wochen, so richtet sich die Kündigung nach den Bestimmungen der Ziffer 5.

1

Ziff. 7.

Die Normalarbeitswoche des Personals beträgt 48 Stunden.

Anstellung,

Kündigung

Ausllllfsauetellung.

Arbeitszeit.

812 Pflichten der Arbeitnehmer.

Entlohnung,

Ziff. 8.

Das Personal hat die vorgeschriebene Arbeitszeit genau einzuhalten und die ihm zugewiesene Arbeit gewissenhaft auszuführen.

2 Jeder Arbeitnehmer hat das ihm anvertraute Material mit aller Sorgfalt zu behandeln. Wenn sich an Maschinen oder im Material Defekte zeigen, ist die Betriebsleitung aufmerksam zu machen, welche ihrerseits zur Abhilfe verpflichtet ist.

3 Die Arbeitsplätze müssen in sauberem Zustand gehalten werden, ebenso Maschinen, Werkzeuge, Klebstoffbehälter usw.

4 Das Personal ist zu strengster Verschwiegenheit über Geschäftsgeheimnisse (Patentverfahren, Kundschaft usw.) verpflichtet. Zuwiderhandlung berechtigt während des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses zu sofortiger Entlassung. Für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen während und nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses gelten die einschlägigen Bestimmungen des Obligationenrechtes.

5 Dem Arbeitnehmer ist es untersagt, ausserhalb des Betriebes : irgendwelche bezahlte Berufsarbeit auszuführen.

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Ziff. 9.

* Der Lohn ist der Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeit-

nehmer überlassen.

2 Die Vertragsparteien verpflichten sich, den Abschluss von regionalena und lokalen Kollektivabkommen über Mindestlöhne zu fördern.

Die Vereinbarung eines Stücklohnes (Akkord) ist sowohl in den Abmachungen zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und dem Personal als auch in den Kollektivabreden zulässig. Die Ansätze für Stückarbeit müssen dem Personal vor Beginn der Arbeit bekanntgegeben werden.

Sie müssen aber so bemessen sein, dass auf alle Fälle der festgesetzte Stundenlohn garantiert ist. Bei nachweisbar zu tiefen Akkordansätzen sind dieselben auf Ersuchen des Personals zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Solche Gesuche sind sofort nach Feststellung des ungenügenden Ansatzes einzureichen. Ein Revisionsrecht bei zu hohen Akkordansätzen steht auch dem Arbeitgeber zu. Die Verrechnung von Unterverdiensten an Mehrverdiensten ist nicht zulässig.

Ziff. 10.

Feiertage und Absetzen,

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Es wird nur wirklich eingehaltene Arbeitszeit entlöhnt. Immerhin hat der Arbeitnehmer, sofern er mindestens drei Monate im Betrieb tätig gewesen ist, Anspruch auf Bezahlung: a. der fabrikgesetzlichen oder ortsüblichen Feiertage, maximal sechs.

Neue bezahlte Feiertage dürfen nicht eingeführt werden. Fällt ein Feiertag auf einen arbeitsfreien Tag, so bleibt er unbezahlt, wodurch sich der Anspruch auf Bezahlung von sechs Tagen um die auf Sonntage fallenden Feiertage entsprechend reduziert; ein Ersatz dafür wird nicht gewährt; b. eines Tages bei Todesfall in der Familie, wobei als Familienangehörige gelten : Ehegatten, Eltern, Grosseltern, Schwiegereltern, Kinder und Geschwister; c. eines Tages bei Niederkunft der Frau; d. eines Tages bei der Rekrutenaushebung ; eines halben Tages bei der Waffeninspektion.

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Der Feiertag bzw. die Absenz umfasst 8 Stunden und wird in der Höhe des Stundenlohnes vergütet.

Ziff. 11.

Für Überzeit- und Nachtarbeit werden folgende Zuschläge auf Überzeit-, dem ordentlichen Stundenlohn bezahlt: SoniSagsartSrit innerhalb der Zeit von 6 bis 22 Uhr: 25 %, : von 22 bis 6 Uhr: 50 %.

2 Ausnahmsweise Arbeit an Sonntagen sowie an bezahlten Feiertagen wird doppelt bezahlt.

Ziff. 12.

Die Arbeit muss vom 1. Mai bis 15. September in die Zeit zwischen Tages5 und 20 Uhr, im übrigen Teil des Jahres zwischen 6 und 20 Uhr gelegt «beitezoit.

werden, Ziff. 13.

Die Auszahlung des Lohnes erfolgt wöchentlich; hat der Arbeit- Auszahlung geber sich mit dem Personal über die 14tägige Lohnzahlung verständigt, de8 Lolmesso gilt diese.

Ziff. 14.

1 Betriebe, welche dem Fabrikgesetz nicht unterstehen, haben auf Geltung des Grund des gegenwärtigen Vertrages die Vorschriften der nachfolgend Fabrikgesetzes.

aufgeführten Artikel des Fabrikgesetzes sinngemäss anzuwenden: Art. 5, Abs. l bis 3, betreffend Fabrikhygiene und Unfallverhütung; Art. 23 betreffend Beschränkung des Kündigungsrechts; Art. 28, Abs. l und 2, betreffend Unentgeltlichkeit der Arbeitseinrichtungen; Art. 45, Abs. 2, betreffend Umgehung der Beschränkung der Arbeitsdauer; Art. 65, Abs. l, betreffend Beschränkung der Beschäftigung von weiblichen Personen; Art. 66 betreffend Nachtruhe von weiblichen Personen; Art. 67 betreffend Überzeitarbeit von weiblichen Personen; Art. 69 betreffend Wöchnerinnen; Art. 71, Abs. l und 2, betreffend Beschränkung der Beschäftigung jugendlicher Personen; Art. 72 betreffend Nachtruhe jugendlicher Personen; Art. 75 betreffend Schul- und Religionsunterricht jugendlicher Personen und Art. 76 betreffend den beruflichen Unterricht jugendlicher Personen.

2 Angehörige der Familie des Betriebsinhabers, die in seinem Betriebe beständig ohne Mitwirkung von Drittpersonen arbeiten, werden von Abs. l nicht erfasst.

Ziff. 151 In den nicht dem Bundesgesetz über Kranken- und Unfallversicheunfallrung unterstellten Betrieben ist das Personal mindestens zu den An- Versicherung.

Sätzen der SUVAL gegen Betriebs- und Nichtbetriebsunfälle zu versichern.

2 Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Prämien für Nichtbetriebsunfälle auf den Arbeitnehmer abzuwälzen.

1

814 Ziff. 16.

Ferien.

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Die Feriengewährung ist, unter Beachtung der nachstehenden Absätze 2 bis 7, grundsätzlich der Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer überlassen. Als Stichtag für die Bestimmung des Ferienanspruches gilt der 31. Dezember in der Meinung, dass der Arbeitnehmer, der am 31. Dezember ein volles Jahr im gleichen Betrieb tätig gewesen ist, Anspruch auf die nachstehend aufgeführten Ferien hat.

Arbeitnehmer, die in der Zeit vom l, Januar bis 30, Juni eintreten, haben grundsätzlich im darauffolgenden Jahr ebenfalls Anspruch auf drei Tage Ferien. Verlässt jedoch ein Arbeitnehmer, dem diese Vergünstigung eingeräumt wurde, den Betrieb vor Ende des folgenden Jahres, so stellt dem Arbeitgeber das Recht zu, am letzten Zahltag den Lohn für die gewährten Ferientage in Abzug zu bringen.

2 Unter Beachtung der Bestimmungen des Abs. l stehen dem Arbeitnehmer folgende bezahlte Ferien zu: im im im im

2. und 3. Arbeitsjahr = 3 Tage, 4. und 5. Arbeitsjahr = 5 Tage, 6. und 7. Arbeitsjahr = 7 Tage, 8. und den f olgenden ArbeitsJahren je9Tagepro Jahr.

· Weitergehende Abmachungen über Ferien werden durch diesen Vertrag nicht beeinträchtigt.

3 Der Zeitpunkt der Ferien wird vom Arbeitgeber bestimmt, wobei die Wünsche der Arbeitnehmer nach Möglichkeit zu berücksichtigen sind, 4 Bezahlte Feiertage und Sonntage dürfen nicht in die Ferien einberechnet werden.

6 Während der Ferien darf der Arbeitnehmer keine in bar oder natura entschädigte Arbeit leisten.

« Ferien dürfen nicht durch Bar- oder andere Entschädigungen ersetzt werden. Fällige Ferien müssen auf alle Fälle vor der eventuellen Beendigung des Dienstverhältnisses gewährt werden.

7 Der Ferientag umfasst 8 Stunden und wird in der Höhe des Stundenlohnes vergütet.

Ziff. 18.

Paritätische Kommission,

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Zur Durchführung und Überwachung des Vertrages wird eine paritätische Vertragskommission bestellt, welche sich-zusammensetzt aus : vier Vertretern des Verbandes schweizerischer Cartonnage-Fabrikanten, wovon eventuell ein Vertreter der dieser Organisation nicht angehörenden Gruppen oder Firmen; vier Vertretern der Arbeitnehmerverbände, 2 In der Kommission führen die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmervertreter abwechslungsweise den Vorsitz. Die Protokollführung kann einer neutralen Person übertragen werden.

3 Die Beschlüsse werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst, wobei nur je gleich viele Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer stimmen dürfen. Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als verworfen.

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Art. 2.

Dem eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement steht das Eecht zu, zur Wahrung der Interessen der Nichtmitglieder der vertragschliessenden Verbände gegenüber der paritätischen Kommission die erforderlichen Anordnungen zu treffen.

Art. 3.

1 Die Allgemeinverbindlichkeit gilt für das ganze Gebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft.

2 Sie erstreckt sich auf sämtliche Betriebe, die auf maschinellem Wege Karton und Pappe zu Verpackungs- und Gebrauchsgegenständen verarbeiten. Gemischte Betriebe werden von der Allgemeinverbindlichkeit nicht erfasst, sofern sie Kartonagen ausschliesslich für den eigenen Bedarf herstellen. Ausgenommen sind ferner diejenigen Betriebe, die ausschliesslich oder in der Hauptsache reine Lithographiekartonagen herstellen.

s Der Allgemeinverbindlichkeit untersteht das gesamte gelernte und ungelernte Betriebspersonal beiderlei Geschlechtes, soweit das Arbeitsverhältnis nicht bereits durch einen Gesamtarbeitsvertrag eines andern Eerufszweiges geregelt ist. Das in Heimarbeit tätige Personal wird von dem Beschluss nicht erfasst.

* Die allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen treten am I.August 1945 in Kraft. Die Allgemeinverbindlichkeit gilt bis zum 81. Dezember 1946.

Bern, den 29. Juni 1945.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Ed. v. Steiger.

Der Bundeskanzler:

Leimgruber.

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Bundesratsbeschluss betreffend die Allgemeinverbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrages für die schweizerische Kartonagenindustrie. (Vom 29. Juni 1945.)

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05.06.1945

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