Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 22. August 2012 Organisation der Bekämpfung der Grippepandemie Stellungnahme des Bundesrates vom 14. November 2012

Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 22. August 2012 betreffend die Organisation der Bekämpfung der Grippepandemie nehmen wir nach Artikel 158 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

14. November 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2012-2371

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) kündigte in ihrem Schreiben vom 2. Dezember 2009 die Prüfung einzelner Aspekte der Organisation der Bewältigung der pandemischen Grippe (H1N1) 2009 an und wandte sich in insgesamt fünf Schreiben mit Fragen an den Bundesrat. Die Prüfung fand ihren Abschluss im Bericht der Geschäftsprüfungskommission vom 22. August 2012.

Die einzelnen Schritte können wie folgt zusammengefasst werden: Am 13. Januar 2010 informierte der Bundesrat erstmals die GPK-S über die bereits in die Wege geleiteten Evaluations- und Abklärungsarbeiten.

Mit einem zweiten Schreiben vom 26. Februar 2010 an den Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) informierte die von der GPK-S mit der Überprüfung beauftragte Subkommission EDI/UVEK, aufgrund der ihr zur Verfügung gestellten Ausführungen keine Parallelarbeiten durchführen zu wollen. Mit Brief vom 26. Mai 2010 liess der Bundesrat der Subkommission EDI/UVEK sowohl den angeforderten Schlussbericht der Evaluation zur H1N1-Impfstrategie als auch Informationen zum Stand der in die Wege geleiteten Abklärungs- und Evaluationsarbeiten zukommen.

Die GPK-S verlangte in ihrem dritten Schreiben vom 30. Juni 2010 an den Bundesrat einen Bericht zu folgenden Themen: Resultate und Umsetzung der Empfehlungen der Evaluation der H1N1-Impfstoffstrategie und der internen Organisation des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), Bericht der parlamentarischen Versammlung des Europarates, Offenlegung der Interessenbindungen von Expertenkomitees, Zusammenarbeit des BAG mit privaten Unternehmungen. Die gewünschten Informationen liess der Bundesrat der Subkommission am 3. Dezember 2010 zukommen.

Am 7. Juni 2011 verlangte die Subkommission EDI/UVEK Auskünfte über die seit Herbst 2009 getroffenen Massnahmen. Die Antwort des Departementsvorstehers des EDI erfolgte am 26. September 2011. Der Bericht enthielt einen Überblick über die getroffen Massnahmen und den Stand der Arbeiten, namentlich zur Revision des Epidemiengesetzes, zum nationalen Pandemieplan und zu den Krisenhandbüchern des BAG.

Am 8. März 2012 ersuchte die Subkommission EDI/UVEK in ihrem fünften Schreiben um zusätzliche Informationen zu den Sofortmassnahmen, die im Pandemiefall eine effizientere Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen und den verschiedenen Akteuren garantieren
sollen. Am 26. März 2012 erfolgte die Antwort des Departementsvorstehers des EDI zum Projekt «Versorgung mit Impfstoffen im Pandemiefall», zur Revision des Epidemiengesetzes und zum nationalen Pandemieplan.

Der Bericht der GPK-S vom 22. August 2012 attestiert dem Bundesrat und dem EDI eine zufriedenstellende Umsetzung der aus den diversen Evaluationen hervorgehenden Empfehlungen und Massnahmen. Der Bericht spricht zwei Empfehlungen zur Frage der Offenlegung von Interessenbindungen sowie zum internationalen Informationsaustausch zwischen dem Schweizerischen Heilmittelinstitut (Swissmedic) und

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der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) aus, zu welchen der Bundesrat ausführlich Stellung bezieht.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Empfehlung 1: Vorgehen bei der Prüfung von Interessenbindungen

2.1.1

Offenlegung von Interessenbindungen

Der Bundesrat begrüsst die Feststellungen der GPK-S in Bezug auf die Offenlegung von Interessenbindungen. Er ist der Ansicht, dass der Unabhängigkeit von Expertinnen und Experten ein hoher Stellenwert beizumessen ist.

Mitglieder von ausserparlamentarischen Kommissionen Das EDI hat in seiner Stellungnahme vom 26. September 2011 festgehalten, dass die Interessenbindungen von Mitgliedern ausserparlamentarischer Kommissionen seit dem 1. Januar 2012 gestützt auf Artikel 57f des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 19971 (RVOG) und die Artikel 8f und 8k der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 19982 (RVOV) zur Gewährleistung der Transparenz in einem elektronischen Verzeichnis veröffentlicht werden. Hervorzuheben ist, dass die zur Wahl vorgeschlagenen Personen ihre Interessenbindungen dem EDI vor der Ernennung in die Kommission mitteilen müssen. Damit wird sichergestellt, dass Expertinnen und Experten mit problematischen Bindungen dem Bundesrat nicht zur Wahl vorgeschlagen werden.

Der Bundesrat erinnert daran, dass die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) mit geeigneten Massnahmen sicherstellt, dass die Impfempfehlungen unabhängig und ohne direkte oder indirekte Interessenkonflikte erarbeitet werden. Damit wird gewährleistet, dass die Integrität und Unparteilichkeit ihrer Arbeit nicht gefährdet werden können und dass die Empfehlungen negativ beeinflusst werden. Gemäss der Einsetzungsverfügung des EDI vom 1. Juli 2004 sind die Mitglieder der EKIF verpflichtet, dem EDI «wirtschaftliche und finanzielle Abhängigkeiten» zu melden, wenn diese zu einem Interessenkonflikt führen können. Unter dem Stichwort «Unparteilichkeit» wird zudem festgehalten, dass die Mitglieder der Kommission als unabhängige und unparteiliche Expertinnen und Experten arbeiten. Die genauen Modalitäten wurden in einer entsprechenden internen Richtlinie im Nachgang der H1N1-Grippepandemie überarbeitet und sind in einem öffentlich zugänglichen Dokument der EKIF vom 24. November 20103 festgehalten.

Interessenbindungen sind nicht nur generell, sondern auch im Einzelfall im Rahmen der Kommissionsarbeit bekanntzugeben. Aus diesem Grund sind die Mitglieder der EKIF verpflichtet, vor jeder Kommissionssitzung alle Interessenbindungen zu melden, und zwar unabhängig davon, ob tatsächlich ein Interessenkonflikt resultiert oder nicht. Nach der Richtlinie sind Interessenbindungen mit der Industrie zu mel1 2 3

SR 172.010 SR 172.010.1 www.bag.admin.ch > Themen > Krankheiten und Medizin > Kommissionen > Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) > Die Kommission > Unabhängigkeit > Interessenerklärung für die Mitglieder der Eidgenössischen Kommission für Impffragen.

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den, wenn diese tatsächliche, potenzielle oder scheinbare Interessenkonflikte sein könnten. Zu melden sind auch ältere, aber noch bestehende Interessenbindungen.

Jedes Mitglied der EKIF ergänzt vor jeder Sitzung die Deklaration seiner Interessenbindungen, bestätigt deren Vollständigkeit und informiert das Präsidium und das Sekretariat der EKIF über eventuelle Änderungen. Gegebenenfalls meldet die Fachperson auch Interessenkonflikte, die im Verlauf der Arbeit der EKIF auftreten. Die Meldepflicht gilt auch für die Mitglieder von Arbeitsgruppen.

Im internationalen Vergleich entspricht die Praxis der EKIF den Empfehlungen der OECD4. Auch kann das Vorgehen der EKIF mit anderen Institutionen, etwa der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), verglichen werden.

Insgesamt kommt der Bundesrat zum Schluss, dass im Nachgang zur H1N1Pandemie die notwendigen Massnahmen ergriffen wurden, um allfällige Interessenskonflikte zu verhindern bzw. zu unterbinden.

Vom BAG beauftragte Expertinnen und Experten Der Bundesrat und das EDI haben die GPK-S in verschiedenen Stellungnahmen (Schreiben des Bundesrates an die GPK-S vom 3. Dezember 2010; Information der GPK-S durch den Direktor des BAG anlässlich der Sitzung vom 28. März 2011; Schreiben des EDI an die Subkommission EDI/UVEK vom 26. September 2011) darüber informiert, wie das Verfahren der Offenlegung von Interessenbindungen von Expertinnen und Experten im BAG erfolgt. Expertinnen und Experten, die im Auftrag des BAG Aufgaben wahrnehmen, werden nach objektiven Kriterien aufgrund ihrer wissenschaftlichen Kompetenz und ihrer Erfahrung ausgewählt. Massgebend sind dabei insbesondere Aus- und Weiterbildungen, Berufserfahrungen, Publikationen sowie Reputation und Stellung im akademischen Umfeld. Der Bundesrat hält fest, dass im BAG Interessenbindungen der von ihm beauftragen Expertinnen und Experten in Analogie zu den Interessenbindungen der Mitglieder von ausserparlamentarischen Kommissionen deklariert werden müssen. Das BAG kontrolliert und überwacht die deklarierten Interessenbindungen, so z.B. auch zur Pharmaindustrie. Der Bundesrat ist folglich überzeugt davon, dass die Expertinnen und Experten Gewähr dafür bieten, dass sie ihre Gutachtertätigkeit objektiv und unparteiisch ausüben.

2.1.2

Überprüfung der Interessenbindungen

Der Bundesrat hält fest, dass qualifiziertes wissenschaftliches Fachwissen, das Voraussetzung für die Expertentätigkeit ist, seinem Wesen nach hauptsächlich auf entsprechender Erfahrung basiert. Damit eine adäquate Beratung möglich ist, müssen Expertinnen und Experten im Bereich der Pandemiebekämpfung über bestimmte berufliche Erfahrungen verfügen. Dies schliesst in der Regel auch entsprechende 4

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Der Text der «Recommendation of the council on guidelines for managing conflict of interest in the public service (2003)» ist im Internet abrufbar unter: www.oecd.org > Topics > Public Governance > Fighting corruption in the public sector > Guidelines and principles on corruption. Vgl. auch die Publikationen der OECD «Managing Conflict of Interest in the Public Service: OECD Guidelines and Country experiences (2003)» und «Managing Conflict of Interest in the Public Sector: A Toolkit (2005)», im Internet abrufbar unter: www.oecd.org > Topics > Public Governance > Fighting corruption in the public sector > Managing Conflict of Interest in the public service.

Kontakte oder Verbindungen sowohl auf staatlicher als auch privater Ebene mit ein.

Zudem kann aus dem Vorhandensein solcher Verbindungen nicht zwangsläufig ein Interessenkonflikt für den konkreten Einzelfall abgeleitet werden. Das BAG prüft die Angaben, die die Expertinnen und Experten im Rahmen der Interessenerklärung übermitteln, und nimmt für jeden Einzelfall eine Einschätzung vor, ob eine deklarierte Verbindung einen Interessenkonflikt darstellt oder zu einem solchen führen könnte. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Überprüfung der Interessenbindungen angesichts der Vielfalt möglicher Konstellationen von Fall zu Fall ­ abhängig namentlich vom Inhalt und der Art der deklarierten Interessenbindungen und dem konkreten Auftrag der Expertin oder des Experten ­ unterschiedlich vorgenommen werden muss. So sind, aufgrund der gewünschten Kenntnisse und Expertisen, nicht nur Interessenbindungen mit Pharmaunternehmen einzuschätzen, sondern beispielsweise auch Beziehungen zu internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und weiteren Wirtschaftszweigen zu prüfen.

Der Bundesrat fand auch im Rahmen einer erneuten Überprüfung des Vorgehens bei der Prüfung von Interessenbindungen von Expertinnen und Experten keinen Anhaltspunkt für Unregelmässigkeiten in diesem Bereich. Er teilt jedoch die Einschätzung der Kommission, dass es sich um einen äusserst sensiblen Bereich handelt.

Der Bundesrat hat in Erwägung gezogen, zu veranlassen, dass auf Bundesebene einheitliche und allgemeingültige Vorgaben formuliert werden, wie bei der Überprüfung und Beurteilung von Interessenbindungen vorzugehen ist und welche Kriterien dabei anzuwenden sind. Die Rückmeldungen aus der Bundesverwaltung haben gezeigt, dass es aufgrund der Vielfalt der zu erfassenden Konstellationen weder machbar noch opportun erscheint, solche Kriterien aufzustellen. Selbst wenn es mit enormem Koordinationsaufwand gelänge, einheitlich gültige Kriterien zu erarbeiten, bliebe fraglich, ob diese praxistauglich und zielführend wären. Sie müssten nämlich mit Blick auf die einheitliche Verwendbarkeit in der Bundesverwaltung entweder so allgemein gehalten werden, dass sie gegenüber der heutigen Praxis keinen Mehrwert darstellen würden. Oder aber sie müssten aufgrund der Vielfalt möglicher Anwendungsfälle so komplex ausgestaltet werden, dass sie dem konkreten Einzelfall nicht hinreichend Rechnung tragen könnten und überdies zu unnötigem Mehraufwand führen würden.

2.2

Empfehlung 2: Internationaler Informationsaustausch

2.2.1

Ausgangslage

Im Kontext der H1N1-Virus-A-Pandemie im Jahr 2009 wurde ein Bedarf für einen Informationsaustausch zwischen den Heilmittelbehörden der Schweiz und der Europäischen Union (EU) festgestellt ­ dies vor allem, weil sich Swissmedic mit Vorwürfen einer späteren Zulassung der Pandemie-Impfstoffe im Vergleich zur EU konfrontiert sah. Als Grund hierfür wurde unter anderem angegeben, dass Swissmedic keinen Zugang zu den Entscheidungsgrundlagen der EMA habe.

Der Bundesrat hatte dementsprechend am 27. November 2009 beschlossen, Swissmedic ein Verhandlungsmandat zum Abschluss eines dringlichen Memorandums bzw. «Arrangements» zum Informationsaustausch zwischen dem EDI (im Namen 227

des Bundesrats) und der EMA sowie zum Abschluss eines weiterführenden «Confidentiality Memorandum» zwischen dem EDI (im Namen des Bundesrats) und der Europäischen Kommission und der EMA, vergleichbar mit den Vereinbarungen, die bereits von der EU-Kommission und der EMA z.B. mit der amerikanischen Food and Drug Administration abgeschlossen wurden, zu erteilen.

Am 3. Februar 2010 genehmigte der Bundesrat den Abschluss einer dringlichen, rechtlich unverbindlichen Vereinbarung in Form eines «Arrangements» zum Informationsaustausch zwischen der EMA und Swissmedic, die Swissmedic Zugang zu Informationen im Umfeld der H1N1-Pandemie ermöglichen soll. Die Vereinbarung trat am 12. Februar 2010 mit der Unterzeichnung durch die beiden Amtsdirektoren in Kraft.

Swissmedic hatte nun die Möglichkeit, Zugang zu den Entscheidungsgrundlagen der EMA zu erhalten und konnte sich somit besser auf die Ergebnisse der Prüfungen der EMA abstützen. Zudem bestand die Möglichkeit für Swissmedic, sich mit den Experten der EMA bei Fragen im Zusammenhang mit der Begutachtung auszutauschen, insbesondere im Zusammenhang mit Änderungen der Zulassung. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Zusammenarbeit im Rahmen der Marktüberwachung vor allem bei den Pandemieimpfstoffen. Zu erwähnen ist auch die Möglichkeit, Erfahrungen im Sinne von «lessons learnt» auszutauschen, die für beide Seiten von grossem Interesse sind.

2.2.2

Massnahmen seit der ersten Unterzeichnung

Die im Februar 2010 in Kraft getretene Vereinbarung hatte eine Gültigkeitsdauer von einem Jahr. Im Einvernehmen mit der EMA und der EU-Kommission konnten im Februar 2011 sowie im Februar 2012 Verlängerungen um je ein weiteres Jahr unterzeichnet werden. Somit gilt die Vereinbarung aktuell bis Februar 2013.

Die Verhandlungen zum weiterführenden, verbindlichen Instrument, dem «Confidentiality Memorandum» (entsprechend dem zweiten Teil des Verhandlungsmandats vom 27. November 2009), konnten bisher aufgrund der ablehnenden Haltung der EU-Kommission noch nicht gestartet werden.

Das EDI und Swissmedic verfolgen parallel hierzu einen anderen Weg, um die Beziehungen mit den Heilmittelbehörden der EU zu verbessern. Im Oktober 2011 wurde eine erste Vereinbarung mit einer Heilmittelbehörde eines EU-Mitgliedsstaates, dem Irish Medicines Board, abgeschlossen; im April 2012 folgte eine weitere Vereinbarung mit dem deutschen Paul-Ehrlich Institut. Das Paul-Ehrlich-Institut ist in Deutschland für die Zulassung und Überwachung der biomedizinischen Arzneimittel, einschliesslich der Impfstoffe, zuständig.

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